Modell und Vorbild Das Spalter Bockerl rollt als Kleinserie aus Chemnitz

Modell und Vorbild Das „Spalter Bockerl“ rollt als Kleinserie aus Chemnitz 62 Ausgabe 20 Modell und Vorbild Beim großen Vorbild versah die Baure...
Author: Laura Fried
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Modell und Vorbild

Das „Spalter Bockerl“ rollt als Kleinserie aus Chemnitz

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Beim großen Vorbild versah die Baureihe 983 seinen Dienst ziemlich unspektakulär. Doch im Modell dürfte der „Glaskasten“, wie ihn Bahnfreunde nennen, zu den herausragenden Neuheiten des Jahres 2008 zählen. 220dasjournal stellt dieses Modell in all seiner Pracht und Schönheit vor.

E

s ist vollbracht und die ersten Serienexemplare des kleinen schwarzen Glaskastens werden in Kürze auf den Anlagen und Modulen der glücklichen Z-Freunde rollen, die sich das Modell rechtzeitig vorbestellt haben. Jede Menge Arbeit und Schweiß liegen hinter Dr. Scheibe, dem Schöpfer dieses Modells, das man mit Fug und Recht als Kleinod im Maßstab 1:220 bezeichnen kann.

Modellaufnahmen: Guido Kruschke

Gut verpackt rollt der Glaskasten an Klein, blau und unscheinbar ist die Kartonverpackung, in welcher das Kleinserienmodell aus Chemnitz bei mir eintraf. Beim Auspacken habe ich den Winzling wie ein rohes Ei behandelt, weil die Anbauteile unheimlich filigran gehalten sind. Doch keine Angst auch Grobmotoriker werden ihre Freude an diesem Modell haben, denn trotz aller Filigranität sind die Teile erstaunlich stabil und solide. Eine durchdachte Konstruktion vom Schlot bis zu den Rädern. Nach dem Auspacken sollte man das Modell nicht gleich auf das Gleis stellen

Auf seiner Solofahrt nach Spalt zeigt sich die 98 307 von ihrer Rückseite - auch ein schöner Rücken kann durchaus entzücken. Die Details sind eine Schau für sich.

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Gut verpackt kommt der Glaskasten zu seinen Kunden. Sicher ist sicher...

und losfahren, obwohl genau dieses in den Fingern jucken dürfte. Mein Tipp an dieser Stelle: Schauen Sie sich den Glaskasten ganz in Ruhe an und genießen sie den Blick aus allen Perspektiven, als wenn es ein Kunstwerk wäre. Und sie werden feststellen, daß es ein Kunstwerk ist.

Die Frontpartie in der Nahansicht. Man beachte die kleinen Details. wie zum Beispiel die Speisepumpe, die filigranen Geländer oder die gut nachgebildetet Steuerung.

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Als Vorbild für seinen Glaskasten hat sich Dr. Scheibe die Version der ersten Bauserie herausgesucht, wie sie bei der Deutschen Bundesbahn in den 50er Jahren zum Einsatz kam. Das Modell im Maßstab 1:220 verfügt noch nicht über das dritte Spitzenlicht, welches beim großen Vorbild oben am Kohlekasten und vorne am Schlot oberhalb des kleinen Kessels angebracht war. Das dritte Spitzenlicht selbst - im Signalbuch der Bundesbahn als Zg 1 bezeichnet - wurde erst mit dem Signalbuch von 1959 verbindlich eingeführt. Die Maschinen der ersten Bauserie, von denen die Bundesbahn 9 Lokomotiven von der Reichsbahn übernahm und als 98 301 bis 309 einreihte, besaßen ein Triebwerk mit Blindwelle. Fangen wir mit unserem Modellrundgang vorne am Kessel an. Zunächst fallen die sehr filigran ausgeführten Geländer an, die wie beim großen Vorbild mehrteilig gehalten sind. Dort ist alles an seinem Platz, ja selbst

Modellaufnahmen: Guido Kruschke

Die Faszination der Epoche III

Modell und Vorbild das Übergangsblech mit den angedeuteten Halterungen ist vorhanden. Unterhalb des Bleches sieht man sogar die kleinen Scharniere. Am kleinen Kessel findet man die Verschlüsse der Rauchkammertüre ebenso, wie die links in Fahrtrichtung angebrachte Speisepumpe. Auf der rechten Seite liegt vorbildgerecht der kleine Turbogenerator für die Stromversorgung. Und der schmale Schlot paßt ebenfalls.

Modellaufnahmen: Guido Kruschke

Die Gesamtproportionen machen das Modell aus Am großen Führerstand des Modells fallen dem Betrachter aus nächster Nähe zunächst die vielen Nieten auf. Sie wirken auf den Nahaufnahmen sehr groß. Doch schon in einer Entfernung von wenigen Zentimetern hinterlassen sie beim Betrachter den Eindruck, daß hier einfach alles stimmt. Die Gesamtproportionen sind entscheidend und die passen definitiv. Gleiches gilt auch für die aufgedruckte Betriebsnummer und den markanten DB-Keks. Die mir bekannten Aufnahmen aus der Betriebszeit der 98 307 zeigen ein auflackiertes DB-Zeichen - und so hat es Dr. Scheibe bei seinem Modell auch umgesetzt. An der Rückseite des Führerstands findet sich der große Kohlekasten mit der halbselbsttätigen Schüttsteuerung. Auch hier gefallen die Nietnachbildungen in der Gesamtheit. Was fehlt, ist das Betriebsnummernschild, welches beim großen Vorbild direkt unterhalb des Kohlevorratsbehälters angebracht war. Vorhanden ist auf jeden Fall das schon an der Frontseite beschriebene Übergangsblech und die zierlichen Geländer. Während man den Kessel an der Frontseite der Maschine über die kleinen Zylinder besteigen konnte, sind an der Rückseite des Umlaufs kleine rote Aufstiege angebracht. Ein Genuß ist das Fahrwerk des kleinen Glaskastens. Vorbildgerecht ist das Triebwerk mit Blindwelle wiedergegeben, die im Betrieb selbstverständlich funktioniert - man mag es bei der Filigranität der gesamten Steuerung kaum glauben. Von Haus aus sind Steuerung und Radkränze silberfarben ausgeführt, wer es möchte, kann diese Teile bei Bedarf schnell und einfach nachdunkeln. An den Stirnseiten möchte ich meinen Rundgang auch beenden. Die Pufferbohle erscheint wie beim großen Vorbild sehr wuchtig, weist aber die wesentlichen Merk-

Nur aus kürzester Entfernung wirken die Nieten relativ groß. Aus der normalen Perspektive hinterlassen sie den Eindruck eines absolut stimmigen Modells im Maßstab 1:220.

Sehr gut nachgebildet ist die Steuerung der Baureihe 983. Das Gewicht der Blindwelle ist selbstvesrtändlich beweglich - und im Betrieb mag man sich gar nicht sattsehen.

Im hinteren Bereich des Glaskastens findet man den Kohlekasten mit der halbselbsttätigen Schüttsteuerung. Auch diese Details hat Dr. Scheibe am Modell nachbilden können.

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Das Modell aus der Schmiede von Dr. Scheibe macht aus jedem Blickwinkel eine bemerkenswert gute Figur. Die Kupplungen sind voll alltagstauglich. male des großen Glaskastens auf. An beiden Seiten findet man eine feine Metallkupplung, die mit der Standardkupplung von Märklin voll kompatibel ist. Die Vorbildlänge des großen Vorbilds ist ungewöhnlich. Die Maschinen der ersten Serie (98 301 bis 309) hatten eine Länge über Puffer von 7.004 mm. Umgerechnet sind das 31,83 mm, das Modell selbst kommt auf eine Länge von genau 31,65 mm. Dieser Unter-

schied von noch nicht einmal 0,2 mm ist definitiv im grünen Bereich und unterstreicht aus meiner Sicht die Akribie, mit der dieses Modell konstruiert und gebaut wurde. Ein Antrieb vom Allerfeinsten Nach diesem Rundgang, der das Herz eines jeden Besitzers höher schlagen lassen dürfte, geht es nun auf die Anlage. Kann der Glas-

kasten im Modell den optischen Hochgenuß auch im fahrtechnischen Sinne fortführen. Er kann. Im Inneren des Führerstands liegt der Antrieb in Form eines Minimotors, der auch in Handys für den Vibrationsalarm sorgt. Es treibt den Glaskasten über ein kleines Getriebe und beide Treibachsen mit einer Gesamtübersetzung von 88:1 an. Die Kraft dieses Antriebes reicht mehr als aus, um die wenigen Personen- und Güterwagen zu ziehen, mit denen sich der große Glaskasten beim Vorbild auch abgeben durfte. Weiches Anfahren und Bremsen sind bei diesem Modell ein Genuß. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei voll aufgedrehtem Fahrregler etwas über der vorbildgerechten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Somit wird man sich beim Fahren dieses Modells beim Regeln eher im mittleren Bereich bewegen. Die Fahrleistungen selbst sind allererste Sahne. Mit einem elektronischen Fahrregler bringt der Glaskasten eine absolut saubere Langsamfahrt hin. Und deshalb kann ich hier an dieser Stelle konstatieren, daß das 1:220 Modell den alltäglichen Beförderungsherausforderungen mehr als gewachsen ist - egal, ob er einen kurzen Personenzug oder einen GmP am Haken hat. Rangierfahrten machen mit diesem Modell übrigens den meisten Spaß.

Falschfahrt in Richtung Georgensgmünd. In der Nachmittagssonne zieht es den Glaskasten zurück, um sich für die Aufgaben des kommenden Tages zu rüsten.

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Unterm Strich bleibt nach meinem optischen und technischen Rundgang die Erkenntnis, daß Dr. Scheibe ein Modell der Premiumklasse auf die Räder gestellt hat. Für 490 EUR bekommt man einen echten Gegenwert in Form eines Glaskastens der Epoche III, der seinesgleichen sucht. Für mich ist das Modell, welches unter der Artikelnummer 1101 im Programm von Z-Modellbau gelistet ist, eine echte Empfehlung. Nach diesem Topeinstand in den Dampflokomotivbau in 1:220 drängen sich den Kleinserienfreunden unter den Z-Bahnern natürlich viele Wünsche nach weiteren Modellen auf. Ich bin sicher, daß Dr. Scheibe für jeden Wunsch ein offenes Ohr hat und ganz in Ruhe entscheiden wird, was realisiert werden kann. Zum Abschluß drängt sich den Betriebsbahnern die Frage auf, wie man die Baureihe 983 vorbildgerecht einsetzen kann. 220dasjournal liefert die Antworten dazu.

Modellaufnahmen: Guido Kruschke

Der Glaskasten aus Chemnitz ist sein Geld mehr als wert

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Hier sieht man den ersten Vorschlag zu einer vorbildgerechten Zugbildung. Am Haken hat die 98 307 einen Gepäck-/Postwagen der Gattung PwPosti-34a, einen 1./2 Klasse Personenwagen der Gattung Bie und einen 2. Klasse Personenwagen der Gattung ABie.

Im zweiten Vorschlag zieht die 98 307 einen typischen GmP (Güterzug mit Personenbeförderung). Nach der Lok laufen zwei gedeckte Güterwagen der Gattung G 10, ein 1./2 Klasse Personenwagen der Gattung Bie und ein 2. Klasse Personenwagen der Gattung ABie.

Modellaufnahmen: Guido Kruschke

Beim großen Vorbild war der Glaskasten nicht nur vor Personenzügen eingesetzt, sondern fand seine Verwendung auch im

gemischten Dienst. Auf seiner Stammstrecke in der Epoche III von Georgensgmünd nach Spalt zog er alles, was man ihm anhängte.

Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei den GmP zu – den Güterzügen mit Personenbeförderung. Dabei liefen direkt hinter

Und der dritte Vorschlag zeigt einen reinen Güterzug der Epoche III mit zwei gedeckten Güterwagen der Gattung G 10, einem offenen Wagen der Gattung O 11, einem weiteren G 10 und einem Privatkesselwagen der ARAL.

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Die 98 307 beim Rangierdienst in Georgensgmünd, aufgenommen im Jahre 1958.

der Lokomotive verschiedene Güterwagen und wenige Personenwagen. Das Großserienangebot fällt in dieser Beziehung recht mager aus. Echte bayerische Personenwagen gibt es nicht, da muß man notgedrungen zu den 3-achsigen Umbauwagen (8706, 8707, 8708) oder noch besser zu

den 2-achsigen Nebenbahnpersonenwagen (87670) von Märklin greifen. Bei den Güterwagen kann man sich bei diversen gedeckten und offenen Wagen und auch dem einen oder anderen Kesselwagen bedienen. Eine Auswahl an Möglichkeiten für Zugbildungen zeigen die Beispiele auf Seite 67.

Die Warteliste ist lang Wer sich nun seinen Glaskasten bei ZModellbau in Chemnitz bestellen möchte, der sollte das auf jeden Fall tun. Allerdings sei gesagt, daß es auch bei diesem Modell eine Warteliste gibt, denn die Nachfrage nach diesem Kleinod ist sehr groß. Doch wenn man die Geduld mitbringt und auf „sein Wunschmodell“ warten kann, wird spätestens mit der Lieferung mehr als belohnt. Hersteller: www.z-modellbau.de

Die Aufnahme aus Wikipedia zeigt den Glaskasten der Baureihe 983 mit der Betriebsnummer 98 307 im Eisenbahnmuseum Bochum-Dahlhausen.

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Die Lokomotiven der Gattung PtL 2/2 der Bayerischen Staatsbahn waren leichte und sehr kompakte Heißdampflokomotiven, die für den Betrieb auf Nebenbahnen entwickelt wurden. 1908 und 1909 lieferte Krauss nach einer Vorserie nun 29 Lokomotiven, die jetzt ein konventionelles Außentriebwerk hatten, das allerdings auf eine zwischen den Achsen angeordnete Blindwelle arbeitete. Sie erhielten die Bahnnummern 4507 bis 4535. Dieses Triebwerk ermöglichte es, den Wasserkasten unterhalb des Kessels im Rahmen anzuordnen, so daß die Umläufe geräumiger gestaltet werden konnten. Den Bauarten gemeinsam war die Achsfolge B, die halbselbsttätige Schüttfeuerung, die einen Einmann-Betrieb zuließ und Umläufe

Vorbildaufnahmen: Wikipedia (MPW57); Dr. Rolf Brüning

Das große Vorbild war bis 1963 im Einsatz

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Modellaufnahmen: Guido Kruschke

Zum Abschluß dieses Beitrags gibt es den Traum in 1:220 in einer Großaufnahme.

mit Geländern, die vorne und hinten einen gefahrlosen Zugang zum Wagenzug ermöglichten. Die Lokomotiven hatten ein großes Führerhaus mit je drei Fenstern auf jeder Seite, das bis auf die Rauchkammer den gesamten Kessel verdeckte. Diese Eigenart brachte den Lokomotiven den Beinamen Glaskasten ein. 1911 und 1914 erfolgten zwei weitere Lieferungen von neun bzw. vier Lokomotiven an die Bayerische Staatsbahn. Bei diesen verzichtete man auf die Blindwelle und

verkürzte den Achsstand von 3.200 mm auf 2.700 mm. Diese Lokomotiven waren auch insgesamt etwas kürzer und leichter als die bis 1909 gebauten Modelle. Die Deutsche Reichsbahn übernahm noch 22 Lokomotiven mit den Nummern 98 301 bis 98 322. Neun davon stammten aus der ersten Serie mit Blindwelle. Zwei Lokomotiven wurden 1942 an Industriebetriebe verkauft worden, eine wurde Opfer des Zweiten Weltkriegs, Die 98 304 blieb nach dem Krieg in Österreich, wurde von den Österreichischen

Bundesbahnen als ÖBB 688.01 eingeordnet und schon 1959 ausgemustert. Die übrigen Lokomotiven kamen zur Deutschen Bundesbahn, wo die meisten im Laufe der 1950er Jahre ausgemustert wurden. Die 98 307 wurde noch bis 1963 zwischen Spalt und Georgensgmünd eingesetzt und war als Spalter Bockerl bekannt. Sie blieb erhalten und steht als Leihgabe des Verkehrsmuseums Nürnberg im Deutschen Dampflokomotivmuseum in Neuenmarkt-Wirsberg, ist allerdings nicht mehr betriebsfähig.

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