EUROPÄISCHES PARLAMENT

2014 - 2019

Petitionsausschuss

16.12.2014

MITTEILUNG AN DIE MITGLIEDER Betrifft:

1.

Petition Nr. 0171/2012, eingereicht von Klaus Träger, deutscher Staatsangehörigkeit, zu unterschiedlichen Verjährungsfristen in Italien für Italiener und Ausländer

Zusammenfassung der Petition

Der Petent ist der Auffassung, dass Ausländer in Bezug auf die Verjährungsfristen bei Gesetzesübertretungen in Italien diskriminiert werden. Laut dem Petenten verjähren von Italienern begangene Verkehrsdelikte bereits nach 90 Tagen, während die Verjährungsfrist für Ausländer 360 Tage beträgt. Der Petent fordert eine Untersuchung. 2.

Zulässigkeit

Für zulässig erklärt am 8. Juni 2012. Die Kommission wurde um Auskünfte gebeten (Artikel 216 Absatz 6 der Geschäftsordnung). 3.

Antwort der Kommission, eingegangen am 30. April 2014

Artikel 201 des Gesetzesdekrets 285 vom 30. April 1992 („Nuovo Codice della Strada“) geändert durch Gesetz 120 vom 29. Juli 2010 („http://www.scuolaguida.it/Nuovo-Codicedella-Strada Modifiche al codice della strada, sicurezza stradale, patente a punti“), sieht vor, dass die Zustellung einer Benachrichtigung über die Verletzung des Straßenverkehrsgesetzes an die hierfür verantwortliche Person durch die nationalen Behörden innerhalb von 90 Tagen nach dem Verstoß zugestellt werden muss. Aus diesem Artikel geht zudem hervor, dass diese Frist für Personen, die nicht auf italienischem Hoheitsgebiet ansässig sind, bei 360 Tagen liegt. Gemäß den in Italien hierfür geltenden Gesetzen ist also die Frist für die Zustellung von Bußgeldbescheiden aufgrund eines Verkehrsdelikts für in Italien ansässige Personen kürzer CM\1044180DE.doc

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als für im Ausland lebende Personen. Das italienische Recht beruft sich dabei auf das Kriterium des Wohnsitzes und bezieht sich nicht auf die Nationalität. Die Kommission hat die italienischen Behörden auf die unterschiedlichen Verjährungsfristen angesprochen, die für italienische Staatsbürger und für Staatsbürger anderer EU-Staaten gelten. Die italienischen Behörden heben in ihrer Antwort hervor, dass Artikel 201 des Straßenverkehrsgesetzes Staatsbürger anderer EU Staaten nicht diskriminiert, da die Frist für die Zustellung unabhängig von der Nationalität der betroffenen Person ist. Zum Beispiel gilt die kürzere Frist für Staatsbürger anderer EU Staaten, die legal in Italien ansässig sind, während die längere Frist für italienische Bürger gilt, die im Ausland ansässig sind. Die Kommission hat in ihrem Schreiben an die italienischen Behörden hervorgehoben, dass laut der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union die im EU-Recht verankerten Vorschriften über die Gleichbehandlung „nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen“, verbieten.1 Die in der nationalen Gesetzbebung vorgesehenen Bedingungen müssen als indirekt diskriminierend angesehen werden, wenn sie – obwohl sie unabhängig von der Nationalität gelten – mit weniger Schwierigkeiten von den Bürgern des betroffenen Mitgliedstaats erfüllt werden können als von einem aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Unionsbürger, es sei denn, diese Maßnahmen sind zur Erreichung eines legitimen Zwecks sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig. Diesbezüglich heben die italienischen Behörden in ihrer Antwort hervor, dass - es Zweck der italienischen Vorschriften ist, eindeutig definierte und die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Verkehrsdelikte zu verfolgen, - die unterschiedlichen Verjährungsfristen in der Tatsache begründet liegen, dass die für die Zustellung eines Bußbescheids aufgrund eines Verkehrsdelikts erforderlichen Daten bei legal in Italien ansässigen EU-Staatsbürgern unverzüglich abgerufen werden können. Dagegen erfordert die Abfrage der für die Zustellung eines Bußbescheids aufgrund eines Verkehrsdelikts erforderlichen Daten bei EU-Staatsbürgern, die im Ausland leben, einen Austausch von Informationen zwischen den Behörden verschiedener Staaten, was häufig verhältnismäßig viel Zeit in Anspruch nimmt. In ihrer Antwort legten die italienischen Behörden konkrete Details des komplizierten Verfahrens vor, das von dem Mitgliedstaat zu befolgen ist, in dem das Delikt begangen wurde, um Zugang zu den in dem Mitgliedstaat, in dem das Fahrzeug gemeldet ist, gespeicherten Fahrzeugdaten zu erhalten. 1

Siehe Rechtssache 152/73 Sotgiu gegen Deutsche Bundespost Slg 1974, 153, Randnr. 11, Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 16. Januar 2003 in der Rechtssache C-388/01 Kommission gegen Italien Slg 2003, I-721, Randnr. 13.

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Die italienischen Behörden erklären, dass die Anwendung unterschiedlicher Verjährungsfristen für im Ausland ansässige Unionsbürger dadurch begründet ist, dass man der italienischen Verwaltung ausreichend Zeit einräumen möchte, um die erforderlichen Daten abzurufen und damit zu vermeiden, dass von Unionsbürgern in Italien begangene Verkehrsdelikte straflos bleiben. Die italienischen Behörden vertreten damit die Auffassung, dass sich Unionsbürger, die in Italien ansässig sind, und Unionsbürger, die im Ausland ansässig sind, nicht in derselben Lage befinden und dass durch die gesetzlich vorgesehene längere Verjährungsfrist es Bürgern des betroffenen Mitgliedstaats nicht erleichtert, ihre Pflichten gegenüber der Italienischen Republik zu erfüllen. Schließlich weisen die italienischen Behörden in ihrer Antwort darauf hin, dass sie bereit sind, dieses Problem nach dem Inkrafttreten der Richtlinie 2011/82/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs von Informationen über die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Verkehrsdelikte neu zu überdenken. Die Kommission ist der Auffassung, dass, wie die italienischen Behörden in ihrer Antwort darlegten, angesichts der praktischen Schwierigkeiten beim Abrufen der Daten, die für die Zustellung von Bußbescheiden für Verkehrsdelikte erforderlich sind, Artikel 201 des Gesetzesdekrets 285 vom 30. April 1992 zu dem Zeitpunkt, als die italienischen Behörden ihre Antwort verfassten, keine Diskriminierung aufgrund der Nationalität gemäß Artikel 18 AEUV darstellte. Angesichts der Tatsache, dass die Richtlinie 2011/82/EU am 7. November 2013 in Kraft getreten ist, ersuchte die Kommission die italienischen Behörden jedoch um Auskunft darüber, ob die Italienische Republik im Hinblick auf die jüngsten Erfahrungen mit den Verfahren für den grenzüberschreitenden Informationsaustausch in Bezug auf bestimmte die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Verkehrsdelikte, mit denen dem Mitgliedstaat, in dem das Delikt begangen wurde, Zugang zu den Fahrzeugregisterdaten gewährt wird, - erwägt, die Verjährungsfristen für nicht in Italien ansässige Personen, die Verkehrsdelikte gemäß der Richtlinie 2011/82/EU begangen haben, zu überprüfen. Die Kommission wartet gegenwärtig auf die Antwort der italienischen Behörden.

4.

Antwort der Kommission (REV), eingegangen am 16. Dezember 2014

Am 23. Juli 2014 übermittelten die italienischen Behörden ihren Standpunkt zu der Frage, ob sie angesichts der mit der Richtlinie 2011/82/EU eingeführten Verfahren für den grenzüberschreitenden Informationsaustausch bei bestimmten Straßenverkehrssicherheit gefährdenden Delikten ihre Haltung überdenken werden. Die italienischen Behörden argumentierten zunächst, dass der Europäische Gerichtshof die Richtlinie 2011/82/EU für nichtig erklärt hat. Daher müssen zunächst neue Rechtsvorschriften angenommen werden und in Kraft treten, bevor eine endgültige Bewertung vorgenommen werden kann.

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Zweitens ist nach Darstellung der italienischen Behörden der in der Richtlinie 2011/82/EU vorgesehene Austausch von Informationen aus folgenden Gründen nicht ausreichend, um das Verfahren zur Ahndung der von Ausländern begangenen die Straßenverkehrssicherheit gefährdenden Verkehrsdelikte in Italien zu beschleunigen: - die Möglichkeiten des Informationsaustausches sind beschränkt, da er nur für bestimmte Informationen und bestimmte strafbare Handlungen gilt, - bestimmte verfahrenstechnische Anforderungen, die eine zügige und einfache Benachrichtigung ermöglichen, sind für die Straßenverkehrssicherheit gefährdende Verkehrsdelikte nicht auf im Ausland ansässige Personen anwendbar, - die Richtlinie 2011/82/EU gilt nicht für das Vereinigte Königreich, Dänemark und Irland. Bei der Verhängung von Geldbußen für Straßenverkehrsdelikte müssen die Mitgliedstaaten die Bestimmungen des Vertrags über die Funktionsweise der Europäischen Union einhalten, einschließlich des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, der in Artikel 18 dieses Vertrages und in Artikel 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist. Insbesondere müssen sie sicherstellen, dass die Verhängung solcher Bußen Verkehrsteilnehmer nicht mittelbar oder unmittelbar aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit oder ihres Wohnortes diskriminiert. Gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs[1] ist eine Ungleichbehandlung Zuwiderhandelnder im Straßenverkehr aus Gründen des Zulassungsortes ihres Fahrzeuges mit dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gemäß Artikel 18 AEUV vereinbar, wenn sie durch objektive Umstände berechtigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel steht. Bei der genannten Rechtsprechung hat der Gerichtshof anerkannt, dass die Entrichtung von für Verkehrsdelikte auferlegten Bußgeldern, im Falle eines Fahrzeugs, das in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem das Delikt begangen wird, zugelassen ist, einen objektiven Grund darstellen kann, der eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit rechtfertigen könnte, wenn Zuwiderhandelnde im Straßenverkehr entsprechend dem Ort der Zulassung ihres Fahrzeuges anders behandelt werden. In der Richtlinie 2011/82/EU sind ausschließlich Vorgaben für den automatischen (online erfolgenden) Informationsaustausch festgelegt, der es ermöglicht, den Eigentümer/Besitzer eines in einem anderen Mitgliedstaat, als dem, in dem das Verkehrsdelikt begangen wurde, zugelassenen Fahrzeuges zu ermitteln. In der Richtlinie werden jedoch weder obligatorische Vorgaben für die Benachrichtigung des möglichen Straffälligen festgelegt, noch sind zeitliche Begrenzungen für die Benachrichtigung noch andere Folgemaßnahmen enthalten. Nicht einmal für Delikte, die unter die Richtlinie 2011/82/EU fallen, ist eine Grundlage für die Bewertung der Rechtmäßigkeit der italienischen Regelungen für die Verjährungsfrist vorgesehen. Die zur Diskussion stehende italienische Rechtsvorschrift dient dem Ziel der Gewährleistung der Zahlung von Bußgeldern, die für Straßenverkehrsdelikte, welche mit einem Fahrzeug [1]

Rechtssache C-29/95, Pastoors und Trans-Cap und Rechtssache C-224/00, Kommission v. Italien

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begangen wurden, das in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen ist als in dem, in dem das Delikt begangen wurde, auferlegt wurden. Angesichts der Hindernisse bei der grenzübergreifenden Durchsetzung dieser Bußgelder und in Ermangelung von Vorschriften des Unionsrechts, durch die diese Schwierigkeiten überwunden werden sollen, können längere Fristen für die Benachrichtigung von Straßenverkehrsdelikten, wie sie in den strittigen italienischen Rechtsvorschriften vorgesehen sind, im Zusammenhang mit dem zuvor genannten Ziel nicht als unverhältnismäßig gelten. Fazit Die Kommission ist der Auffassung, dass in Anbetracht der Schwierigkeiten bei der praktischen Ahndung von Straßenverkehrsdelikten, die von im Ausland lebenden Unionsbürgern begangen wurden, eine unterschiedliche Behandlung als mit dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung vereinbar betrachtet werden kann, wenn sie objektiv gerechtfertigt ist, insbesondere um zu verhindern, dass Geldbußen von gebietsfremden Zuwiderhandelnden nicht gezahlt werden.

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