Dokumentation

Migration – Integration Studientag 15. Februar 2008 im Haus der ver.di-Bundesverwaltung Paula-Thiede-Ufer 10 10179 Berlin

Die Veranstaltung wurde gefördert durch das

Studientag Migration – Integration, 15. Februar 2008 - Dokumentation

Programm 11.00 Uhr

Begrüßung und Einführung in die zentralen Inhalte des Nationalen Integrationsplans (NIP) Brunhilde Raiser Vorsitzende des Deutschen Frauenrates

11.20 Uhr

Alles Integration – oder was? Serpil Pak Kabarett (Berlin)

11.40 Uhr

Präsentation von fünf Projekten aus dem Bereich Integrationsarbeit ! Muslimische­Stimmen.de Internetforum für Pluralismus und Austausch ! berami – berufliche Integration e.V. Beruf, Bildung, Beratung in der Migration (Frankfurt/M) ! Transkulturelles und interreligiöses Lernhaus der Frauen (Berlin) ! Omas und Opas erzählen in vielen Sprachen Ein generationsübergreifendes Projekt im Kindergarten (Frankfurt/M) ! BOXgirls und andere Mädchensportangebote (Berlin)

12.00 Uhr

Arbeitsgruppen zu den vorgestellten Projekten anhand folgender Fragen: ! Was gelingt in dem Projekt? ! Wo gab/gibt es Schwierigkeiten? ! Welche Unterstützung wünschen sich die Mitwirkenden in dem Projekt? ! Welche Anforderungen an die Gestaltung der Integrationspolitik stellen sich aus Sicht des Projektes?

13.00 Uhr

Mittagspause

14.00 Uhr

Fortsetzung der Arbeitsgruppen

15.00 Uhr

Vorstellung der Fragen/Positionen/Erwartungen aus den Arbeitsgruppen

15.15 Uhr

Wie kann Integrationspolitik aus Sicht des Parlaments gelingen? Statement: Sebastian Edathy Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses anschließend Diskussion

16.45 Uhr

Resümee

17.00 Uhr

Schluss der Veranstaltung

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Begrüßung und Einführung Brunhilde Raiser Vorsitzende des Deutschen Frauenrates

Ich begrüße Sie herzlich zu unserem Studientag Migration-Integration, einem Thema, das zentral ist für unsere Gesellschaft. Wie tagesaktuell es ist, konnten wir bei der Planung dieser Veranstaltung nicht wissen. Ich meine das tragische Ereignis in Ludwigshafen und die darauf folgende - zu Recht umstrittene - Rede des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan in Köln. Beides wird nicht im Zentrum unseres Studientages stehen. Aber wir können uns nicht völlig frei machen von aktuellen Geschehnissen. Und ein Gutes haben sie an sich, wenn auch um einen sehr hohen Preis: Sie verstärken die Diskussion um Integration – um ihr Gelingen oder auch um die Ursachen ihres Scheiterns. Aller Voraussicht nach soll es nächste Woche eine Parlamentsdebatte über Integration geben. Wie sicher das ist, können wir heute Nachmittag Sebastian Edathy fragen, den Vorsitzenden des Bundestagsausschusses, der die Sicht des Parlaments auf gelingende Integrationspolitik aufzeigen und mit uns diskutieren wird. Unser heutiger Studientag wird damit direkt auf die politische - parlamentarische - Diskussion einwirken. Vielleicht ist er aber auch eine ideale „Vorbereitung“ auf die eben genannte Parlamentsdebatte. Integration ist keine Einbahnstraße. Schon seit Langem sagt der Deutsche Frauenrat, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Für uns bedeutet das, dass Veränderungen nicht nur von den Einwandernden abverlangt werden müssen, sondern dass Integration, wenn sie gelingen soll, voraussetzt, dass sich auch die Aufnahmegesellschaft ändern muss. Strittig, oder positiv ausgedrückt zu klären ist, wo die Grenzen der Veränderung für beide Seiten liegen, wie Verständigung erreicht werden kann, und vor allem, welche Lösungen bei tatsächlich oder scheinbar unvereinbaren Positionen gefunden werden können. Mit unserem heutigen Studientag wollen wir diese Frage angehen und uns dabei orientieren an fünf Projekten aus dem Bereich der Integrationsarbeit – fünf Projekte, die Gräben überwinden wollen und sich als Brücken verstehen. Auf ihren positiven aber auch negativen Erfahrungen basierend sollen Anforderungen an Integrationspolitik formuliert werden.

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„Deutsche Einheit, die zweite“ Damit begleitet der Deutsche Frauenrat die Evaluation des Nationalen Integrationsplanes (NIP), die für Ende 2008/Anfang 2009 vorgesehen ist. „Deutsche Einheit, die zweite“, so titelte die Süddeutsche Zeitung am 12. Februar 2008 einen Artikel von Heribert Prantl, in dem dieser den schwierigen – aus meiner Sicht auch irrigen? – Weg bis zum NIP aufzeigt, dabei aber deutlich macht: „Endlich wird Integrationspolitik gemacht.“ Nach Plädoyers aus dem Jahr 2002, die Assimilierung forderten, nach Diskussionen um Leitkultur, gab es mit dem Zuwanderungsgesetz von 2004, das aus der Sicht des Deutschen Frauenrates (noch) nicht zufriedenstellend ist, zumindest einen Paradigmenwechsel. Nun muss es endlich darum gehen, eine zweite „deutsche“ Einheit zu bilden. Der NIP ist aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland das zentrale Instrument. Erstmals werden hier Zuwanderung und Integration als Teil unserer Geschichte gesehen. Die heutige Migration steht in einer Reihe mit den Flüchtlingen und Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg, mit den AussiedlerInnen aus der ehemaligen Sowjetunion und aus Russland. Die positive Tatsache: Rund ein Fünftel der Bevölkerung in Deutschland hat einen Migrationshintergrund, davon hat etwa die Hälfte die deutsche Staatsbürgerschaft. Viele haben ihren Platz in dieser Gesellschaft gefunden und gestalten sie mit, so lauten Formulierungen im NIP. 2005 hat Bundeskanzlerin Merkel Integration zu einer zentralen Aufgabe ihrer Regierungszeit erklärt; Maria Böhmer wurde als Integrationsbeauftragte zur Staatsministerin im Kanzleramt berufen. 2006 lud die Kanzlerin zum 1. Integrationsgipfel: MigrantInnen, VertreterInnen der politischen Ebenen und gesellschaftlicher Gruppen – bedauerlicherweise nicht der Deutsche Frauenrat – waren eingeladen, miteinander zu sprechen und eine neue Diskussion in der Gesellschaft anzustoßen. Ziel: Bis Sommer 2007 sollte ein gemeinsames Integrationskonzept erarbeitet werden: der Nationale Integrationsplan. Zehn Arbeitsgruppen unter Federführung jeweils eines Ministeriums, aber jeweils unter Mitarbeit aller Beteiligten, wurden zu zehn Themenfeldern gebildet. Beteiligt waren der Bund, die Länder und Kommunen, VertreterInnen der Bürgergesellschaft, von MigrantInnengruppen, aus der Wirtschaft, den Gewerkschaften, Kirchen, Religionsgemeinschaften, Wohlfahrtsverbänden, Wissenschaft, Kultur, Medien und dem Sport. In einer Arbeitsgruppe war auch der Deutsche Frauenrat vertreten, in anderen einige seiner Mitgliedsverbände. Die Gesamtleitung hatten Staatsministerin Böhmer und Kulturstaatsminister Neumann. Aus den Ergebnissen der Arbeitsgruppen, die alle mindestens an drei Tagen getagt haben, und den politischen Eckpunkten der Ministerpräsidenten der Länder zur Integration, die ohne direkte Verbindung zu den Arbeitsgruppen formuliert wurden, entstand der NIP 2007. Am 12. Juli 2007 fand der 2. Integrations-gipfel statt. Die gleichzeitig dazu laufende Islamkonferenz von Bundesinnenminister Schäuble empfand nicht nur der Deutsche Frauenrat als höchst problematisch. Diese mit dem NIP nicht abgestimmte Aktion wirkte desintegrativ, vor allem, weil mit der Islamkonferenz eine Gruppe herausgegriffen und in eine Sonderstellung gebracht bzw. deren Sonderstellung verstärkt wird. Inoffiziell weiß ich, dass die noch arbeitende Islamkonferenz bemüht ist, fünf Punkte gemeinsamer Wertvorstellungen zu formulieren.

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Grundprinzip des Forderns und Förderns ist einseitig Dies war meiner Erkenntnis nach nicht das Ziel der Arbeitsgruppen des NIP. Ich selbst habe dort bedauert und kritisiert, dass es nicht gelungen sei, unterschiedliche Sichtweisen, Differenzen deutlich zu benennen, damit mit und an ihnen gearbeitet werden kann. Bei aller Wertschätzung der dort aufgezeigten, der miteinander gesuchten gemeinsamen Möglichkeiten, halte ich dies dennoch für problematisch, weil es nicht weit genug führt. Als problematisch erachte ich auch, dass trotz vieler anderer wirklich positiver Ansätze im Grundprinzip des Forderns und Förderns eine heftige Einseitig-keit besteht. In der Kurzfassung des NIP heißt es: „Integration setzt eine Kultur des gegenseitigen Respekts voraus. Dabei gilt der Grundsatz des Förderns und Forderns. Dies bedeutet, dass sich Zugewanderte und ihre Familien mit ihren Fähigkeiten und Potenzialen für ihre Teilhabe einsetzen und dazu Integrationsangebote annehmen. Sie erhalten ihrerseits Solidarität und Unterstützung der Aufnahmegesellschaft, wenn sie sich aus eigener Kraft nicht ausreichend helfen können“. Die Herausforderungen an und die Chancen für die Aufnahmegesellschaft werden hier nicht benannt. Immerhin, und das ist ein wirklicher Wechsel und auch ein Erfolg, zu dem auch der DF beigetragen hat: MigrantInnen werden Kompetenzen zuerkannt, sie werden nicht mehr oder nicht nur als Problem, sondern auch als Chance und als Gewinn gesehen. Wenn dann jedoch von weltweitem Wettbewerb um die besten Köpfe die Rede ist, für den Zuwanderung ein probates Mittel sei, habe ich Probleme. Deutlich formuliert der NIP, dass Integrationspolitik eine Querschnittaufgabe auf allen Ebenen (Bund, Länder, Kommune) sein müsse. Die in den zehn Themenbereichen formulierten Selbstverpflichtungen der politischen Ebenen, aber auch der zivilgesellschaftlichen AkteurInnen, sollen und wollen dies bewirken. Der DF hat sich verpflichtet, verstärkt mit Migrantinnenorganisationen zusammenzuarbeiten und sich um deren Mitgliedschaft zu bemühen. Außerdem wird der DF in seinen Stellungnahmen auf die besonderen Aspekte für Migrantinnen verweisen. Dies ist besonders wichtig, da gerade dieser Aspekt sowohl in Gesetzgebungsverfahren wie in z. B. von den Ministerien in Auftrag gegebenen Studien meist ganz vernachlässigt wird, wie z. B. der Präventionsgesetzentwurf, zu Teilen auch das Pflegeentwicklungsgesetz, aber auch die AVID (Alterssicherung in Deutschland)-Studie zeigen. Die Kultursensibilität, die Voraussetzung für gelingende Integration ist, bleibt so ein Schlagwort. Der Bund hat Schwerpunkte als „Selbstverpflichtung“ benannt: 1. Integration durch Bildung: Hierbei wird v. a. auf verstärkte Kinderbetreuung gesetzt; dabei wird jedoch von den MigrantInnen mitgebrachtes Wissen kaum berücksichtigt. 2. Integration durch Sprache: Das Erlernen der deutschen Sprache und die Unterstützung dabei werden als Voraussetzung für Integration gesehen. Völlig vernachlässigt wird die Kompetenz der Bilingualität und zu wenig

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berücksichtigt, anhand welcher Inhalte in den Integrations-/Sprachkursen Kenntnisse vermittelt werden. Dabei ist bis heute das Thema Gleichstellung fakultativ. 3. Integration durch Ausbildung und Erwerbsleben: „Integration gelingt am besten dort, wo Menschen aus Zuwanderungsfamilien aktiv im Erwerbsleben stehen“, daher sind familien- und gleichstellungspolitische Maßnahmen als Selbstverpflichtung geplant. 4. Integration in der Wissenschaft: In diesem Bereich setzt der Bund auf die besten Köpfe, will also, um in der internationalen Konkurrenz zu bestehen, die weltweit Besten gewinnen. Dies jedoch ist ein Problem für nicht so Begabte, die damit zwangsläufig weniger willkommen sind. Grundsätzlich ist anzumerken: Wenn man den NIP unter menschenrechtlichen und ethischen Gesichtspunkten bewertet, dann wird für mich deutlich, es fehlt der humanitäre Aspekt. 5. Integration durch Kultur, Sport, Medien, Bürgerschaft, Engagement. Frauen und Mädchen gilt eine besondere Aufmerksamkeit, ihnen wird große Bedeutung zugemessen. Aufgrund noch immer bestehender Geschlechterrollen haben sie eine Schlüsselstellung bei der Integration, daher sollen/müssen die Potenziale von Migrantinnen in ihren vielfältigen Lebensentwürfen gestärkt und ihnen Teilhabe ermöglicht werden. Die Problematik von Zwangsverheiratungen soll gezielt angegangen werden. Dem widerspricht jedoch die Tatsache, dass mit der zu erwartenden Parlamentsentscheidung entgegen mancher Ankündigungen die Rückkehrfrist für Zwangsverheiratete wohl nicht verlängert werden wird. Für alle diese Selbstverpflichtungen gilt: Entscheidend wird sein, ob Zuwanderung wirklich gewollt ist und wie sehr dies deutlich wird in gesellschaftlichen Entwicklungen; wie konstruktiv der Dialog, der Streit um Dissens, um Grenzen geführt wird. Dazu aber brauchen wir Brücken, die auch im Dissens begehbar sind.

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Muslimische­Stimmen.de Internetforum für Pluralismus und Austausch

Iris Exo (li.) und Betül Yilmaz

Workshop I Referentinnen: Moderation: Protokoll: Anzahl der Teilnehmerinnen:

Iris Exo, Betül Yilmaz Inge v. Bönninghausen Ulrike Helwerth 14

Informationen zum Projekt: Muslimische-Stimmen.de ist ein unabhängiges Online-Portal, das von fünf zumeist jungen Frauen seit 2005 betrieben wird als Forum für pluralistischen und konstruktiven Austausch. Es entstand als Reaktion auf den Mord an dem niederländischen Filmemacher Theo van Gogh und dem darauf folgenden „monolithischen und negativen Bild von Muslimen in den Medien“ (vgl. auch Anlage). Fragen der Teilnehmerinnen und Antworten der Macherinnen Frage: Die Website heißt „Muslimische Stimmen“, es geht dort viel um den Islam. Steht „muslimisch“ synonym für „islamisch“, oder wie wird unterschieden? Antwort: Islamisch hat etwas Theologisches an sich. Muslimisch verweist auf einen religiösen Hintergrund und/oder kulturelle Praktiken, dabei geht es nicht unbedingt um die Praktizierung des Glaubens. Die Seite will so offen wie möglich sein und nicht definieren. Jede Autorin, jeder Autor kann einen anderen Zugang zum Muslimischen haben. Die Seite will Vielfalt und Individualität fördern. Es werden nicht nur alle Positionen veröffentlicht, solange sie nicht verhetzend sind und/oder Hass predigen, sondern extreme Positionen sind regelrecht erwünscht - von der, warum Islam und Demokratie nicht miteinander vereinbar sind, bis hin zu einer, die erklärt, warum Homosexualität und Islam kein Widerspruch sind.

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Im Projekt machen übrigens auch Menschen mit oder schreiben für die Website, die keine MuslimInnen sind. Es gibt auch nicht nur einen Islam. Frage: Wie reagieren offizielle islamische Organisationen auf die Meinungsvielfalt? Antwort: Die Website hat noch keine sehr große Reichweite. Es gibt aber auch keinen Grund zur Sorge, dass die Kritik zunehmen wird, da ja eine Plattform für alle Positionen geboten wird. Frage: Das Projekt wurde von zwei Personen gestartet, heute wird es von fünf gemacht. Wer sind die Muslimischen Stimmen? Welche Meinungen/Inhalte werden dort präsentiert? Antwort: Es sind nicht die Stimmen der Website-Macherinnen; es sind Beiträge, die zum einen zugeschickt werden, zum anderen auch von Menschen, die von den Macherinnen gebeten werden, etwas zu schreiben oder von ihnen interviewt werden. Frage: Handelt es sich dabei um eine Art „Kummerkasten“ für Menschen mit muslimischem Hintergrund? Antwort: Im ersten Impuls ja, aber inzwischen geht es um viel mehr, um Reflexion, Beobachtungen im Alltag etc. Frage: Vor Kurzem wurde in der Öffentlichkeit heiß über einen ARD-Tatort diskutiert, der einen Mord in einer alevitischen Familie ansiedelte und daraufhin den scharfen Protest der AlevitInnen heraufbeschwor. Findet eine solche Debatte auch auf der Website der Muslimischen Stimmen statt? Antwort: Das wäre wünschenswert und sinnvoll, zu aktuellen Debatten Stellung zu beziehen bzw. ein breites Spektrum von Meinungen abzubilden, aber den Macherinnen, die alle ehrenamtlich und neben ihren jeweiligen Jobs und Studien die Website betreiben, fehlt es an Zeit und Professionalität, um aktuell agieren zu können. Frage: Erhalten die Macherinnen auch Schmähungen oder Drohungen? Antwort: Das ist bislang noch kaum vorgekommen. Frage: Gibt es eine geschlechtsspezifische Fragestellung? Antwort: Geschlecht ist kein Schwerpunkt - es ist eher Zufall, dass alle Macherinnen Frauen sind, keine politische Agenda. Geplant ist aber ein Themenbereich Islamischer Feminismus. Zentrale Diskussionspunkte: Was ist Vielfalt und Pluralität? Keine Wertung vorzunehmen, Werturteilsfreiheit. Alle müssen gehört werden. Ich lasse etwas stehen. Oder: Beliebigkeit, Indifferenz, falsch verstandene Liberalität? Ein Werterahmen ist automatisch dadurch gesetzt, dass verhetzende und zum Hass aufrufende Beiträge zensiert werden.

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Der Begriff „muslimisch“ ist derzeit stark negativ belastet. Durch den Titel „Muslimische Stimmen" werden säkulare oder Nicht-Muslime nicht angesprochen, sich einzumischen. Das ist vielleicht ein Manko der Website, auf der anderen Seite wurde der Titel auch mit Bedacht gewählt, eben weil er zunächst Irritationen auslöst und Erwartungen bei den BesucherInnen der Website weckt, die nicht erfüllt werden. Migrationsdebatte ist hierzulande vor allem eine deutsch-türkische Diskussion, alle anderen Migrationshintergründe bleiben unbeachtet. Deutsch darf nicht ethnisch interpretiert werden. Unterschiedliche Kulturen, zum Beispiel deutsch und kurdisch, dürfen sich nicht gegenseitig ausschließen. Integration muss ohne Druck geschehen; vor allem von den Jugendlichen aus Migrantenfamilien muss der Druck genommen werden, sich erklären, definieren zu müssen. Es darf nicht sein, dass ein Schüler/eine Schülerin vor der Klasse erklären muss, was die Scharia ist, nur weil er/sie aus einer Familie mit muslimischem Hintergrund stammt. Drei Forderungen für das anschließende Plenum 1. Besonders von jungen Menschen mit Migrationshintergrund muss der Druck genommen werden, sich definieren zu müssen. 2. Deutsch darf nicht als ethnische Kategorie definiert werden. Muslimische und/oder andere kulturelle Hintergründe müssen in die staatsbürgerliche Identität mit integriert werden. 3. Kompetenz und Eigeninitiativen von jungen und vor allem gebildeten Frauen mit Migrations- bzw. muslimischem Hintergrund müssen gezielter gefördert werden.

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Muslimische-Stimmen.de

Präsentation ! Wie es anfing ! Warum Internet? ! Name der Website ! Zielsetzungen ! Beiträge, AutorInnen, Kategorien und Serien ! LeserInnen und Feedback ! Team ! Kooperation und langfristige Planung

2005: Gründung der Website Motivation Idee kam nach dem Mord an Theo Van Gogh Ende 2004. Nur wenige Muslime beteiligten sich an den Debatten über Integration in Deutschland.

Probleme • Monolithisches und negatives Bild von Muslimen in den Medien • Geringe Partizipation von Muslimen in öffentlichen Debatten, kaum Artikulierung ihrer Frustrationen und Belange • Muslime in der Defensive, „muslimische Agenda“ von Nicht-Muslimen definiert • Viele Muslime von den muslimischen Organisationen nicht repräsentiert • Viele Webseiten präsentieren nur eine Sichtweise auf den Islam ohne pluralistischen Denkansatz

Räume für konstruktive und pluralistische Diskussionen mussten eröffnet werden !

Warum Internet? • Kostengünstige Lösung für Kommunikation • Eine breite Öffentlichkeit kann erreicht werden, v.a. junge Menschen • Verschiedene Formen von Beiträgen möglich: Texte, aber auch Fotos, Videos, Musik etc. • Chat-, Umfrage und Kommentartools können eine richtige Interaktivität mit und unter den Besuchern garantieren • Internet als Archiv: Diskussionen werden dokumentiert (besser als mündliche Diskussionen) • Anonymität kann eventuell nicht politisch korrekte und evt. produktivere Diskussionen fördern

Name der Website • „Muslimisch“, nicht „islamisch“ „Muslimisch“ bezieht sich auf Menschen, „islamisch“ auf Religion. „Muslimisch“ umfasst nicht nur religiöse, sondern auch kulturelle Aspekte. „Islamisch“ ist wertend, „muslimisch“ neutraler.

• „Stimmen“ Stimme: Ziel ist gehört zu werden StimmeN: zeigt pluralistischen Ansatz

Die Website ist… • Unabhängig • Pluralistisch • Nicht­religiös • Engagiert

Sie repräsentiert keine Organisation und wird vom Team finanziert Das Team zensiert nicht (außer Hassparolen), sondern moderiert Sie definiert nicht den „richtigen“ Islam Sie fördert Werte von Toleranz und zivilgesellschaftlichem Engagement

Die Website ist NICHT… • Ein Forum • Ein Blog • Ein Instrument für Lobby-Arbeit

Zielsetzungen • Für Muslime • Pluralistische Diskussionen und die Toleranz für verschiedene muslimische Lebensweisen fördern • Soziale und politische Partizipation fördern • Lösungen für existierende Probleme finden • Für Nicht­Muslime • Muslimische Vielfalt zeigen, Vorurteile abbauen • Plattform für unterrepräsentierte Stimmen bieten • Auf Fragen und Ängste antworten • Für JournalistInnen, PolitikerInnen, StudentInnen und WissenschaftlerInnen Eine Informationspattform über deutsche Muslime anbieten

Beiträge, AutorInnen, Kategorien, Serien • Beiträge Politische Stellungnahmen, Projektbeschreibungen, persönliche Anekdoten aus dem Alltag, wissenschaftliche Artikel, Interviews, Veranstaltungshinweise und Tagungsberichte, Fotos, Videos, Musik, Karikaturen. NUR über DEUTSCHLAND und EUROPA!

• AutorInnen

Bekannte und unbekannte, meist zwischen 20 und 40 Jahren, unterschiedliche Berufe, kulturelle und soziale Hintergründe

• Kategorien

• Projekte, Politik, Gesellschaft, Religion, Erfahrungen, Berlin, Audio/Video. • Neu: Dossiers

• Serien

• StimmeN Aktuell • mit Koffer, Kummer und Kismet • Außensicht

LeserInnen und Feedback • LeserInnen

? Aber steigende Zahl von Journalisten, Politikern und Vereinsvertretern melden sich für den Newsletter an • Feedbacks • Positiv: Journalisten, politische Stiftungen • 2 Preise: Bündnis für Demokratie und Toleranz, Startsocial 2006. • Fast keine Reaktionen von muslimischen Organisationen, zumindest nicht offiziell (aber keine aktive Kommunikation in ihre Richtung)

Team

• Seit Aug. 2005: Konzeption, Programmierung, Moderation und Öffentlichkeitsarbeit liegen in der Verantwortung von: Clémence Delmas, 28, Politologin und Betül Yilmaz, 21, Islamwissenschaftsstudentin • 2007: Team vergrößert sich, immer mehr Menschen sollen in das Projekt involviert werden

Kooperation und langfristige Planung • Kooperation mit anderen Webseiten und Zeitungen: Austausch von Artikeln etc. • Kooperation mit muslimischen Organisationen, Stiftungen und öffentlichen Institutionen: gemeinsame Veranstaltungen und Projekte • Lokale Teams in ganz Deutschland • Mehr StudentInnen involvieren • Mehr Videos, weniger Text • Fundraising (v. a. für Programmierung und Videoproduktion)

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berami – Berufliche Integration e. V. Beruf, Bildung, Beratung in der Migration

Ute Chrysam (li.) und Teresa Jeri

Workshop II Referentinnen: Moderation: Protokoll: Anzahl der Teilnehmerinnen:

Ute Chrysam, Teresa Jeri Brigitte Triems Lydia Reich neun

Informationen zum Projekt: Mentoring-Projekt (beruflich Gefestigte unterstützen beruflich am Anfang Stehende) Mentees – Mentorinnen (Männer wie Frauen, bisher überwiegend Frauen möglichst im Berufsleben, Berufserfahrung) Unterstützung im weitesten Sinne: bei Bewerbungsunterlagen, Bewerbungen, Vermittlung von Praktikas, Hospitation, Stellen etc., Ratschläge Einjährige Beratung / Unterstützung (Tandem-Beziehung) Bisher: Finanzierung von 15 Plätzen Nach zwei Jahren Pilotprojekt nun im dritten Jahr Klientinnen: Frauen, die nicht in ihrer Qualifikation arbeiten; Frauen, die ihrer Qualifikation entsprechend arbeiten, aber Unterstützung im Weiterkommen suchen; Frauen, die freiwillig bzw. unfreiwillig nicht tätig sind. Voraussetzung: Frauen müssen zuvor Beruf erlernt haben! Mentees erhalten Qualifizierungsmodelle Mentorin: Supervision Vernetzungsbörse nutzen Große Weitervermittlungserfolge des Projekts Auszeichnung für das Projekt der Deutschen Bank Langfristiges Ziel: deutschlandweite Ausweitung des Projektes berami: Problem – Finanzierung nutzenbringend für Kommunen: Einkommenssteuer des qualifizierten Arbeitnehmers bzw. der qualifizierten Arbeitnehmerin, kaufkräftig Nachhaltigkeit wissenschaftlicher Evaluation Vorzeigecharakter wünschenswert

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Fragen der Teilnehmerinnen und Antworten der Macherinnen Frage: Qualifizierung der Mentees in Deutschland oder Heimatland? Antwort: Sowohl als auch, oft auch Akademikerinnen. Frage: Auf welchem Wege kommen die Mentees zu berami? Antwort: U. a. über die Qualifizierungsangebote, die der Verein anbietet; dann Einstieg als TANDEM, von „Mund zu Mund“, Werbung der Deutschen Bank (Kooperationspartner, Unterstützer des Projekts) Frage: Problematik der Anerkennung von Berufs-/Studienabschlüssen hier in Deutschland, was dann? Antwort: Dt. Vernetzung von berami; Versuch der Vermittlung, um zum anerkannten Abschluss (Zertifikat) zu führen. Zentrale Diskussionspunkte: Problem Sprache: Sprache soll bei Abschluss/Berufsausbildung nicht zum Hindernis führen: Fachwissen contra deutsche Sprache?! (Abschlüsse auch in Muttersprache?) - in Prüfungssituation zweisprachig begleiten Muttersprache als Ressource verstehen: - Die deutsche Sprache bleibt trotzdem wichtige Voraussetzung für Integration. - Fazit: Kultur der Toleranz fördern (Ressource Mehrsprachigkeit, Ressource Flexibilität etc., auch volkswirtschaftlicher Nutzen für Deutschland) - Kritik am Integrationsplan (bezüglich der Spracherfordernisse) - Bei Einstig ins Berufsleben in Deutschland – Probezeit für Migrantinnen bedeutet in doppelter Hinsicht Herausforderung: inhaltlich und kulturell (siehe Berufsfeld). - Kann es Aufgabe von Politik sein, in Unternehmen Mentoring-Programme zu fördern? Wie, durch wen erfolgt Integration/Anpassung? MigrantInnen als ArbeitnehmerInnen wie auch arbeitgebende Unternehmen müssen sich bewegen, Räume für Integration, Kultur der Toleranz schaffen. Zwei Forderungen für das anschließende Plenum 1. Auswirkung und Förderung von Modellprojekten, die sich in Deutschland bewährt haben: z. B. Mentoring-Projekte (wie berami) 2. Nutzung mitgebrachter Kompetenzen von MigrantInnen (z. B. durch Anerkennung von Bildungsabschlüssen, Kapazitäten, Ressourcen); Unterstützung bei Prüfungen

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Transkulturelles und interreligiöses Lernhaus der Frauen

Christiane Klingspor

Workshop III Referentinnen: Moderation: Protokoll: Anzahl der Teilnehmerinnen:

Christiane Klingspor, Marianne Arndt, Karima Hartmann Brunhilde Raiser Jakeline Hamzeh-Holle (EFiD) 13

Informationen zum Projekt: Transkulturalität wird hier begriffen als Paradigmenwechsel im Hinblick auf den Kulturbegriff: „Kulturen fließen ineinander“. Grundlage und gleichzeitig Methode ist die „lernende Haltung“ – voneinander Lernen und Achtsamkeit werden als Methode verstanden. Ebenen des Lernens voneinander sind Dialog als Grundlage, Fakten, Interpretationen und der Austausch darüber. Dies beinhaltet den Austausch und die Reflexion in der Gruppe, den Dialog mit Praktikerinnen und Expertinnen – beispielsweise aus der Politik, Methodentraining sowie Veranstaltungen mit Öffentlichkeitswirkung. So wurde beispielsweise Barbara Nath-Wiser eingeladen, die im Rahmen des Projekts „1000 FriedensFrauen – 1000 Frauen für den Nobelpreis“ 2005 für den Friedensnobelpreis nominiert worden ist. Um das Lernen voneinander zu ermöglichen, sollten mitgebrachte Vorstellungen zeitweise suspendiert – gewissermaßen an der Garderobe abgegeben – werden. Dies soll die Offenheit füreinander und Begegnungen auf Augenhöhe ermöglichen. Den Austausch in der Gruppe erleichtern beispielsweise ein Redeball und die Regel, dass nur diejenige spricht, die ihn in den Händen hält. Ein World Café bietet ein Forum für einen lockeren Austausch in kleinen Gruppen. Eine Zertifizierung der Ausbildung zur Kulturmittlerin erfolgt nach zweijähriger Teilnahme (vgl. auch Anlage).

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Fragen der Teilnehmerinnen und Antworten der Macherinnen Diskussion / Bildungsniveau Frau v. Haldenwang (Dt. Hebammenverband) überlegt, wie sich dieses Projekt mit seinem hohen Anspruch auch für die Arbeit mit Menschen mit unterschiedlichem Bildungshintergrund aufbereiten lassen könnte. Frau Mette (kdf) erkundigt sich, in welcher Sprache die Verständigung erfolge. – In der Regel wird deutsch gesprochen. Frau Schmalhofer (Vernetzungsstelle) fragt nach der Perspektive der Frauen, der Gruppen und des Projektes nach Ablauf der zwei Jahre. Frau Kalthegener (Terre des Femmes) erkundigt sich nach der Zusammensetzung der Gruppen. – Es gehen zahlreiche Bewerbungen für die Teilnahme ein. Auswahlvoraussetzungen sind in Berlin Deutschkenntnisse, ein hohes Bildungsniveau und bürgerschaftliches Engagement. In dieser Hinsicht gibt es leichte Unterschiede zwischen den Standorten. Frau Hartmann (Lernhaus) ergänzt hinsichtlich der Teilnahmebedingungen, sie habe eine Mittlerrolle als Elternvertreterin in der Schule eingenommen, die sie vor dem Hintergrund ihrer Teilnahme ausgeweitet hat. Sie bietet inzwischen ein interkulturelles Projekt in der Schule an und fungiert als Multiplikatorin im Stadtteil. Frau Lopez (Dt. Staatsbürgerinnenverband) und Frau Immenkötter (Verband aktivunabhängiger Frauen) erkundigen sich nach der Einbindung von Erfahrungen aus der Frauenbewegung, auch im Hinblick auf die Verknüpfung von Inhalten und Methoden. – Diese sind nicht zuletzt über die Biografien der Projektinitiatorinnen eingeflossen und bilden den Hintergrund des Projektes. Frau Arndt (Lernhaus) merkt an, Verknüpfungen erfolgten in der Gruppe über den Erfahrungshorizont der Frauen. Frau Raiser (VS DF) betont die Qualifizierung der Kulturmittlerinnen, und in diesem Zusammenhang die Funktion des Zertifikates und den Modellcharakter des Projektes. Als wichtiges Ziel sieht sie, dass zivilgesellschaftliches Engagement explizit als Qualifikation auch für die berufliche Weiterentwicklung sichtbar gemacht wird. Eine weitere Verbreitung, zu der die am 27.05.08 in Frankfurt stattfindende Fachtagung „Zivilgesellschaft braucht Kulturmittlerinnen und Kulturmittler“ beitragen soll, befürwortet sie deshalb ausdrücklich. Zentrale Diskussionspunkte: Diskussion Finanzierung / Infrastruktur: Das Modellprojekt wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert. Für eine flächendeckende Ausweitung werden Träger vor Ort benötigt. Zudem sollte es eine Koordinationsstelle geben. Frau Klingspor warnt vor zu großer Besorgnis hinsichtlich der Finanzierung und vor Entmutigung. - Frau Mette spricht sich dafür aus, zunächst auf Landesebene vorzugehen. Dies diene auch der Erhöhung des Bekanntheitsgrades. - Frau Immenkötter sieht Qualifikation durch ehrenamtliches Engagement als Alternative zu Expertenwissen. - Frau v. Haldenwang erachtet die Implementation vergleichbarer Projekte auf breiter Fläche und Vernetzung als dringend notwendig. Integration bedarf angesichts sozialer Unterschiede deutlicher Stärkung.

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Frau Kaltenhegener wirft die Frage auf nach Perspektiven über das Modellprojekt hinaus. Frau Schliepack (SoVD) betont die Bedeutung sozialer Kompetenz für die berufliche Integration. Frau Lopez sieht dadurch die Erfordernis der Ansiedelung vergleichbarer Projekte auch auf kommunaler Ebene bestätigt. – Sie betont die Funktion der Multiplikatorinnen in verschiedenen Milieus und Bereicherungen durch das Projekt über den „persönlichen Zugewinn“ der Teilnehmerinnen hinaus. Frau Schmalhofer überlegt, ob auch ein kürzerer Projektzeitraum wie etwa eine Laufzeit von einem Jahr sinnvoll sein könne. Frau Klingspor hält auch dies für sinnvoll; auch beispielsweise Wochenendseminare für Verwaltungen stellen eine Option dar. Frau Schmalhofer sieht hierin eine Erleichterung hinsichtlich der flächendeckenden Ansiedelung vergleichbarer Projekte. Frau Raiser sieht die Möglichkeit, dass zertifizierte Teilnehmerinnen, die ein zweijähriges Programm absolviert haben, Kurzseminare anbieten könnten. Frau Immenkötter überlegt, wie eine erhöhte öffentliche Sensibilisierung und damit „mehr Nachfrage“ erreicht werden könnten. Frau Kaltenhegener sieht hierfür mehrere Möglichkeiten: die Zusammenarbeit mit Volkshochschulen und Kommunen, Zertifizierung, die Nutzung von Bildungsgutscheinen, die Weitergabe von Absolventinnenprofilen an AnsprechpartnerInnen wie Kommunen. Frau Klingspor möchte das Lernhaus als Begegnungsstätte erhalten, dies schließe jedoch nicht aus, auch Aufgaben dieser Art zu übernehmen. Frau Schliepack (SoVD) schlägt eine Zusammenarbeit mit Gleichstellungsbeauftragten vor. Frau Lopez hält die Einbeziehung männlicher Teilnehmer für sinnvoll. Frau Klingspor stimmt zu, doch auch Arbeit mit Frauen sei wichtig, denn sie eröffne über den Zugang zu spezifischen Feldern wie Kindererziehung kulturellen Zugang. Frau Kalthegener spricht sich dafür aus, die drei bestehenden Häuser zu erhalten und für eine flächendeckende Ansiedlung vergleichbarer Projekte Kooperationspartner vor Ort zu suchen. Frau Mette spricht sich für eine Einbeziehung nicht nur von Städten sondern auch ländlicher Gegenden ein. Dort seien möglicherweise andere Konzepte erforderlich. Frau Schmalhofer verweist auf vom Land Niedersachsen zur Verfügung gestellte Projektmittel zur Förderung von Migrantinnen.

Zwei Forderungen für das anschließende Plenum 1. die Verbreitung von Kulturmittlung als Grundprinzip im Sinne des Dialogs des Lernens auf gleicher Augenhöhe und unter Einbeziehung von Erfahrungswissen; 2. die Implementation „ähnlicher“ Projekte mit Breitenwirkung in Zusammenarbeit auf Bundesebene mit der Migrationsbeauftragten Frau Dr. Böhmer, auf Landesebene mit den zuständigen Ministerien und auf kommunaler Ebene mit Gleichstellungsbeauftragten, Volkshochschulen und Migrationsbeauftragten.

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Anlage

Transkulturelles und interreligiöses Lernhaus der Frauen Das Transkulturelle und interreligiöse Lernhaus der Frauen ist ein auf Partizipation basierendes Qualifizierungskonzept zum Erwerb interkultureller Kompetenz. Der Begriff „Interkulturelle Kompetenz“ stellt eine Schlüsselkompetenz im Prozess des Lebenslangen Lernens dar und umfasst eine Kombination von Wissen, Erfahrungen, normativen Positionen, habituellen Grundhaltungen und methodischen Fähigkeiten. Dieser Schlüsselkompetenz kommt im Kontext der Globalisierung wachsende Bedeutung zu. Dies gilt gleichermaßen für Gemeinwesen wie für Individuen. Grundlage: ein dynamischer Kulturbegriff Dem Begriff „Transkulturalität“ liegt ein Kulturkonzept zugrunde, das Kulturen nicht mehr als gegeneinander abgegrenzte, relativ einheitliche Entitäten wahrnimmt, sondern als lebendige Systeme, die immer auch in Wandlungsprozessen begriffen sind. Ein solches Kulturkonzept berücksichtigt die vielen Heterogenitäten innerhalb von Kulturen ebenso wie die wechselseitigen Abhängigkeiten, Beeinflussungen und Neukombinationen kultureller Elemente. Nur mithilfe eines solchen offenen und dynamischen Kulturkonzepts können die gesellschaftlichen und individuellen Herausforderungen in einer global vernetzten Gesellschaft bewältigt, nur so kann die Entwicklung zu großer Spannungen in der Gesellschaft wie im Individuum vermieden werden. Es markiert einen Paradigmenwechsel im Umgang mit den Veränderungen, die durch Globalisierung und Migration in Gang gesetzt werden. Das Transkulturelle und interreligiöse Lernhaus der Frauen will mit seiner Arbeit einen Beitrag zu diesem Paradigmenwechsel leisten. Hierbei betrachten wir Religion als einen Bestandteil von Kultur, dessen Bedeutung für die individuelle Lebensgestaltung unterschiedlich ausgeprägt sein kann, der aber ernst genommen und, gerade im Kontext des transkulturellen Austausches, nicht ausgeklammert werden sollte. Im Zentrum: die Aktivität des Lernens Mit der Wahl des Begriffs Lernhaus legen wir die Betonung auf die Aktivität des Lernens. Im Lernhaus ist die Dichotomie von Lehrenden und Lernenden zugunsten eines wechselseitigen Prozesses aufgehoben. Nicht das überlegene Wissen einiger soll hier weitergegeben werden, sondern die Unterschiedlichkeit von Religionen, Weltanschauungen und Lebensentwürfen soll genutzt werden, um den Horizont aller Beteiligten zu erweitern und neues Wissen zu schaffen. Ziel: Kommunikationsformen für die transkulturelle Gesellschaft In einem offenen und empathischen Dialog entwickeln und präzisieren Frauen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen anhand ihrer persönlichen Erfahrungen und theoretischer Reflexionen die verschiedenen Facetten transkultureller Lebenswirklichkeiten. Gemeinsam erarbeiten sie ein methodisches und strategisches Repertoire für den transkulturellen Austausch und finden heraus, welche Werte und Normen das Zusammenfließen der Kulturen unterstützen. Frauen als Pionierinnen In dieser Modellphase richtet sich das Lernhausprojekt speziell an Frauen und macht sich so die besonderen Kompetenzen und Ressourcen von Frauen zunutze. Frauen verfügen in der Regel über ausgeprägte Sozialkompetenzen und eine breite Alltagskompetenz und soziale Flexibilität. Aufgrund vorherrschender geschlechtsspezifischer Arbeitsteilungen und der damit verbundenen 13/40

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stärkeren Verantwortung von Frauen für den Bereich des sozialen Alltagslebens und insbesondere der Kindererziehung, kommt ihnen auch in Bezug auf Integrationsprozesse eine Schlüsselrolle zu. Es ist jedoch nicht Intention des Projekts, diese geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zu perpetuieren. Vielmehr soll die im Lernhaus etablierte Qualifikation dazu beitragen, die gesellschaftliche Teilhabe und Gestaltungsmacht von Frauen zu fördern. Die guten Ergebnisse des aktuellen Prozesses legen es nahe, auch in Zukunft ähnliche Angebote speziell für Frauen zu machen. Zugleich erscheint aber auch eine Ausweitung des Angebots auf Männer und auf geschlechtsgemischte Gruppen – insbesondere auch auf Jugendliche - denkbar und sinnvoll. Das Lernhaus­Konzept – verbindet unterschiedliche Politikbereiche und versteht sich als ein Beitrag zur Integrationspolitik, zum Aufbau der Zivilgesellschaft und zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe und Gestaltungsmacht von Frauen; – basiert auf der Wertschätzung kultureller Vielfalt. Diese ist eine gesamtgesellschaftliche Ressource, die es zu nutzen gilt. Wir suchen nach Wegen, das in der kulturellen Vielfalt enthaltene Potenzial für den gesellschaftlichen Zusammenhang zu erschließen und gehen davon aus, dass mithilfe dieses Potenzials auch die in diesem Kontext auftretenden Probleme gelöst werden können; – begreift die Gestaltung des Zusammenlebens in der multikulturellen Gesellschaft als gesamtgesellschaftliche Zukunftsaufgabe, die nur als aktiver, gemeinsamer Prozess aller gesellschaftlichen Kräfte erfolgreich bewältigt werden kann; – möchte zu diesem Prozess durch die Entwicklung eines Qualifikationsprofils beitragen, das es ermöglicht, an vielen Stellen zwischen den Kulturen zu vermitteln, zu übersetzen und den interkulturellen Austausch in Gang zu bringen. Das Qualifikationsprofil – erschließt die spezifischen Fähigkeiten von Frauen für den Prozess der Integration und trägt zugleich zum Empowerment und zur Verstärkung der gesellschaftlichen Teilhabe von Frauen – gerade auch von Migrantinnen – bei; – leistet einen Beitrag zur Entwicklung von geeigneten Kommunikationsformen für den interkulturellen Dialog, von Strategien zur Minimierung interkultureller Missverständnisse und Methoden für die Bearbeitung von Konfliktsituationen; – bezieht sich auf ein breites Spektrum von Feldern des zivilgesellschaftlichen Engagements. Es ist aber auch geeignet, seinen Trägerinnen zusätzliche Chancen im beruflichen Bereich zu erschließen. Das Modellprojekt Das Modellprojekt wird zurzeit an den Standorten Berlin, Frankfurt (Main) und Köln realisiert. An allen drei Standorten arbeiten Gruppen von Frauen mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen über einen Zeitraum von zwei Jahren im Projekt zusammen. Sie entwickeln und absolvieren gemeinsam ein Qualifizierungsprogramm, dessen Elemente nachstehend beschrieben werden. Nach Ablauf des Programms erhalten die Teilnehmerinnen ein Zertifikat, das sie als „Kulturmittlerinnen“ ausweist.

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Die Elemente des Qualifizierungsprogramms ! Basics In diesen Veranstaltungen1 wird gemeinsam und mit Hilfe von Expertinnen Grundwissen über die verschiedenen Religionen und Kulturen in unserer Gesellschaft erarbeitet. !

Skills Trainings mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen aus den Bereichen Kommunikation, Moderation und Mediation machen die Teilnehmerinnen mit einem breiten Spektrum von Werkzeugen vertraut, die geeignet sind, interkulturelle Kommunikationsprozesse zu erleichtern. Ergänzend bieten Planspiele inszenierte und überschaubare Erfahrungsräume, die es ermöglichen, unterschiedliche Formen des Umgangs mit kultureller Differenz genau zu beobachten und Strategien für den Prozess des interkulturellen Austausches zu erproben.

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Net & Practice Net & Practice-Veranstaltungen bieten die Gelegenheit, für den transkulturellen und interreligiösen Dialog relevante Praxisfelder kennenzulernen und sich mit anderen Initiativen und Institutionen, die in diesen Bereichen engagiert sind, zu vernetzen.

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Gruppentreffen In Gruppentreffen wenden die Teilnehmerinnen das Erlernte an, um es zu vertiefen, und planen die einzelnen Veranstaltungen inhaltlich mit. Gruppentreffen dienen auch der Reflexion des Lernprozesses und ermöglichen eine Intensivierung des wechselseitigen Austausches.

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Workshops Die Workshops dienen der Einbindung einer breiteren Öffentlichkeit. Hier wird u. a. das Netzwerk von Unterstützerinnen einbezogen. Workshops bieten die Möglichkeit, sich mit einem Thema aus dem transkulturellen und interreligiösen Dialog vertiefend auseinanderzusetzen und verschiedene Perspektiven dazu kennenzulernen. Zugleich dient die gemeinsame Gestaltung dieser mehrtägigen öffentlichen Veranstaltungen der Gruppe auch als ein Erfahrungsfeld, in dem das im Projekt Gelernte angewendet und weitergegeben werden kann.

Dieses Qualifizierungsprogramm bietet den Rahmen für einen ganzheitlichen Lernprozess, dessen Grundlage eine dialogorientierte Haltung bildet. Dialog als Grundlage Der Begriff des Dialogs meint Verständigung durch das Wort. In seiner strikten Ausrichtung auf die Verständigung unterscheidet sich der Dialog von anderen Formen der Kommunikation. Im Dialog geht es darum, „eigene und fremde Gedankenfelder in einer offenen, nicht-manipulativen Form zu erkunden“.2 Der Dialog wird unterstützt durch ein methodisches Setting, das es den Beteiligten erleichtert, die hierfür erforderlichen Grundhaltungen und Verhaltensweisen zu übernehmen. Insbesondere die explizite Auseinandersetzung mit den habituellen Voraussetzungen des Dialogs stellt eine wichtige Voraussetzung zu deren tatsächlicher Internalisierung dar. Von besonderer Bedeutung sind:

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Blockveranstaltungen werden in der Regel an Wochenenden durchgeführt. Hartkemeyer et al., Stuttgart 1998, S.14 15/40

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Das Prinzip des horizontalen Dialogs Gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen erfordert eine Grundhaltung des radikalen Respekts. Dies schließt auch ein aktives Bemühen um den Abbau von Dominanzmechanismen ein. Die Fähigkeit, auf gleicher Augenhöhe zu kommunizieren, wird in Zukunft für alle interkulturellen Kommunikationsprozesse von grundlegender Bedeutung sein.

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Prinzip der Partizipation Alle Beteiligten haben die Möglichkeit, an der Gestaltung des Lernprozesses aktiv mitzuwirken. Hiermit wird ein zentraler zivilgesellschaftlicher Grundsatz exemplarisch umgesetzt.

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Reflexion des Lernprozesses Die kontinuierliche Reflexion des gemeinsamen Prozesses ermöglicht Lernprozesse auf einer Metaebene, die das Erfahrene intensivieren und eine Weitergabe des erworbenen Wissens erleichtern.

Multikulturalität im Lernprozess / Die Gruppe als Lernraum Besondere Bedeutung für den Lernprozess kommt der multikulturell zusammengesetzten Gruppe zu. Diese stellt die zentrale Lernebene des Projekts dar. Die Erfahrungen, Kompetenzen und Ressourcen der beteiligten Frauen sind der Ausgangspunkt aller Lernprozesse und verleihen den kognitiven Lernprozessen Glaubwürdigkeit und Authentizität. Im empathischen Austausch innerhalb der Gruppe kann „Vielfalt als Reichtum“ konkret erfahren werden. Das oft bipolar erlebte Verhältnis von „eigener“ und „fremder“ Kultur wird durch die Erfahrung eines ganzen Spektrums unterschiedlicher Kulturen und kultureller Unterschiedlichkeiten aufgebrochen und relativiert. Zukunftsperspektiven Im Sommer 2008 endet die Modellphase des Projekts. Die positive Resonanz, die das Projekt erfahren hat, veranlasst uns, über Möglichkeiten der Verstetigung und Ausweitung des Angebots nachzudenken. Vorstellbar wären: ! Die Beibehaltung des Angebots für den Bereich des zivilgesellschaftlichen Engagements. Da die aktuelle Gestaltung des Programms primär auf diesen Bereich zielt, sollte auch zukünftig ein derartiges Angebot für Menschen, die sich zivilgesellschaftlich engagieren (wollen), gemacht werden. ! Der Ausbau des Lernhaus-Curriculums zu einer (Zusatz-)Qualifikation für den beruflichen Bereich. ! Die Entwicklung von zielgruppenspezifischen Schulungs- und Sensibilisierungsprogrammen aus dem Lernhaus-Konzept. Bereits jetzt haben wir einige Nachfragen nach Angeboten für spezifische Zielgruppen beziehungsweise Institutionen erhalten. Immer mehr Organisationen und Institutionen verspüren die Notwendigkeit, ihre MitarbeiterInnen auf diesem Sektor zu sensibilisieren und zu qualifizieren. Hierfür könnten aus dem Lernhauszusammenhang heraus Qualifizierungsmodule entwickelt werden. ! Die Bildung eines Referentinnenpools für den Bereich des interkulturellen Lernens. Hier sollten auch die Absolventinnen der Modellphase einbezogen werden; dadurch würde die Bildung gut funktionierender multikultureller Teams erheblich vereinfacht. ! Vermittlung/Vernetzung von Angebot und Nachfrage Eine solche Ausweitung des Angebots müsste ergänzt werden durch die Vernetzung zwischen Anbietern und Nachfragern. Lernhäuser könnten somit eigene Angebote an 16/40

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Institutionen herantragen und auch auf Nachfrage spezielle Angebote aus einem Referentinnenpool vermitteln bzw. gezielt zusammenstellen. Mögliche Einsatzfelder Die im Nationalen Integrationsplan beschriebene systematische Strategie des interkulturellen „Mainstreamings“ bezieht alle gesellschaftlichen Bereiche ein. Sie erfordert einerseits die interkulturelle Öffnung der Institutionen und damit verbunden eine entsprechende Sensibilisierung aller Akteure, andererseits die Qualifizierung von Migrantinnen und Migranten für die Teilhabe an diesen Bereichen. Das Lernhaus-Konzept – nämlich Lernen in interkulturellen Gruppen - ist zur Umsetzung dieser Strategie in besonderem Ausmaß geeignet, da es beide Erfordernisse miteinander verbindet. Als Einsatzfelder sind alle im Nationalen Integrationsplan genannten Bereich denkbar. Beispielhaft hervorgehoben werden sollen hier die Bereiche: ! Bildung Hier sei die teilweise recht schwierige Situation an vielen Berliner Schulen genannt. Die Problematik ist inzwischen weitgehend bekannt, und es besteht auch Einigkeit darüber, dass ein Handlungsbedarf besteht. Wie genau dieser aber abgedeckt werden kann und welche Qualifikationen hierzu erforderlich sind, ist zurzeit noch unklar. Hier könnte das Lernhaus sich sehr gut an der Suche nach Lösungen beteiligen. Das Lernhaus kann sowohl Qualifizierungen für vorhandene Kräfte (LehrerInnen und SozialarbeiterInnen an Schulen) anbieten, als auch selber qualifizierte Kräfte zur Verfügung stellen. Nahe liegend wäre auch die Durchführung interkultureller Trainings für Schüler. ! Pflege Eine weitere Problematik, die in der nächsten Zeit an Bedeutung gewinnen wird, ist der Bereich Krankenpflege und Altenversorgung. Die demografische Entwicklung bringt es mit sich, dass in Zukunft auch in der Gruppe der Senioren der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund stark zunehmen wird. Auch hier sehen wir großen Bedarf für interkulturelle Kommunikation. ! Integration vor Ort Der Nationale Integrationsplan legt besonderen Wert auf die konkrete lokale Perspektive. Für die Integration vor Ort wird ein differenziertes Programm des lokalen interkulturellen Dialoges beschrieben. Die Erfahrungen des Lernhaus-Projektes könnten gut genutzt werden, um diesen Prozess in Gang zu setzen und zu koordinieren.

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Omas und Opas erzählen in vielen Sprachen Ein generationsübergreifendes Projekt im Kindergarten

Verena Bayram

Workshop IV Referentin: Moderation: Protokoll: Anzahl der Teilnehmerinnen:

Verena Bayram Gabriele Wrede Eva Schneider-Borgmann fünf

Informationen zum Projekt: Lediglich fünf Teilnehmerinnen sind anwesend, daher ist eine Vorstellungsrunde möglich. Die Teilnehmerinnen stellen ihre ehrenamtliche Arbeit und ihr Interesse am Seminar und an der Arbeitsgruppe dar. Der Arbeitsgruppenleiterin und Verantwortlichen für die Vorstellung des Oma/Opa-Projektes, Verena Bayram, liegt vor allem die Förderung von Mehrsprachigkeit am Herzen; die generationsübergreifende Idee kam eher zufällig. Sie selbst ist Muslima, kommt aus Deutschland, ist mit einem Türken verheiratet. Fragen der Teilnehmerinnen und Antworten der Macherin Das Projekt läuft in vier Frankfurter Stadtteilen, ging aus Elterninitiativen und einer Lehrerkooperative hervor. Die Kitas hatten schon Bezug zu MigrantInnen mit mehrsprachigem Hintergrund. Insgesamt zehn Großeltern mit Migrationshintergrund nahmen teil mit unterschiedlichen Sprachen. Das Innovative ist, dass Ältere, wirklich Omas und Opas, engagiert sind, ältere MigrantInnen, die eigentlich aus einer Zielgruppe herausfallen, d. h. dass deren Wissen und Kompetenz genutzt wird; dies ist höchst selten. Die Kinder sind mehrsprachig. Auch die Eltern sollen durch diese mehrsprachige Lebenswelt eine Wertschätzung erhalten. Viele Eltern sprechen oft besser deutsch als die „Familiensprache“; dem soll entgegengewirkt werden, indem die Älteren in der Familiensprache vorlesen und erzählen. 18/40

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Frage: Ist das von der Politik gewollt? Antwort: Der entscheidende Aspekt ist auch Zugang zum geschriebenen Wort. Dies wird vermittelt über das Geschichten-Erzählen. Frage: In welcher Sprache denkt ein Kind? Antwort: Das oft vorhandene Kauderwelsch muss minimiert werden. Zu Hause sollte die Familiensprache (Muttersprache, Erstsprache) gepflegt werden zur Bewahrung der kulturellen Identität. Bilinguale deutsch-türkische Schulen ähnlich der deutsch-französischen, deutsch-englischen, sollte es auch geben. Sprachen müssen ein Prestige haben. Literacy (= alles, was mit Schriftsprache zu tun hat, Vertrautheit mit Büchern und Schrift, Alltagssprachlichkeit und Abstraktheit in der Sprache) muss bewusst gefördert werden. Das geschieht im Projekt inzwischen, war aber ein Prozess. Dazu sind pädagogische Fähigkeiten gefragt, in denen die Älteren gefördert und begleitet werden. Die Sprachen im Projekt sind vor allem Russisch und Türkisch, auch in unterschiedlichen Religionszusammenhängen. Die verwendeten Materialien werden von den Projektleiterinnen ausgesucht. Es gibt einen großen Schatz an bilingualen Büchern. Häufig kommen Kinder aus ganz lesefernen Familien und sind überfordert, wenn ihnen Märchen erzählt werden. Stattdessen werden Bilderbücher erklärt und besprochen, weil die Kinder erst zu einem gewissen Sprachniveau gelangen müssen im Kindergartenalter. Bei vielen geschieht keine qualifizierte Kommunikation zu Hause. Dialogorientiertes Vorlesen und Besprechen der Bilderbücher helfen. Frage: Sind Bilderbücher fantasieanregend? Antwort: Dazu hat das Projekt eine große Bibliothek eingerichtet, die hohe Qualität besitzt. Die Großeltern haben Schulungen erfahren über Spracherwerb und ganz praktisch, um zu erspüren, wo die Kinder stehen. Die Fortbildung geschieht durch Muttersprachlerinnen (z. B. Leiterin eines bilingualen Kindergartens) mit Erfahrung in der Erwachsenenbildung. Hindernisse, Stolpersteine: ! Sehr unterschätzt war der zeitliche Aufwand in Schulung und Begleitung der Großeltern. ! Einmal in der Woche z. B. in Türkisch Erzählen oder Vorlesen genügt nicht für eine wirkliche Förderung. Dennoch wichtig, mehr als nichts, da der Fokus nicht einseitig auf das Erlernen von Deutsch gelegt wird. ! Vorleseomas, -opas in Arabisch fehlen. Frage: Warum nur Türkisch und Russisch? Antwort: Möglicherweise entstehen da neue Ausgrenzungen. Aber andere SprachGroßeltern sind nicht vorhanden. Die Großeltern erhalten eine Aufwandsentschädigung von 8 Euro/Woche. In zwei Kitas wird dies durch den Förderverein weitergeführt (in zwei weiteren aus unterschiedlichen Gründen nicht). Auch sind die Großeltern wichtige Personen und Bezugspersonen für die Einrichtung. 19/40

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Es ist ein freies Angebot für alle Kinder. Die Morgenkreise begrüßen sich in allen Sprachen, so wurde ein bewusster Umgang mit Sprache etabliert. Das Projekt lief bis Ende 2007, da waren die Projektmittel aufgebraucht. Einige Kitas tragen es aus eigenen Mitteln weiter. Zwei Forderungen für das anschließende Plenum 1. Politisch und gesellschaftlich müssen Freiräume etabliert werden für das ehrenamtliche Engagement von MigrantInnen, damit sie sich einbringen können, und zwar in unterschiedlichen Orten der Mehrheitsgesellschaft und mit ihren Kompetenzen sowie mit ihrem Hintergrundwissen. 2. Es muss einen erweiterten Blick auf die Familien geben: Die Großeltern müssen mit einbezogen werden, auch beim Nachzug aus dem Herkunftsland, nicht zuletzt als Ressourcen im weitesten Sinne für Familien. Bei den Mehrgenerationenhäusern müssen MigrantInnen einbezogen werden.

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BOXgirls und andere Mädchensportangebote Sport und Integrationsarbeit

Heike Kübler

Workshop V Referentinnen: Zufall Moderation: Protokoll: Anzahl der Teilnehmerinnen:

Heather Cameron, Roswitha Ehrke, Heike Kübler, Pia Heike Kübler Henny Engels 14

Informationen zum Projekt: Vgl. Anlage Zentrale Diskussionspunkte: Sind die im Vortrag erwähnten Gegenmaßnahmen bereits erprobt? Da die Vorschläge aus der erwähnten Studie stammen, ist davon auszugehen. Aus der Erfahrung des DOSB sind die zielgruppenorientierte Werbung und eine Arbeit, die die kulturellen Unterschiede beachtet, von höchster Bedeutung. Um dies weiter zu verbessern, sind auch politische Maßnahmen notwendig, z. B. eine entsprechende Veränderung der Sportstättenanlagennutzungsordnung. Wichtig sind „Schnupperangebote“, die nicht unmittelbar mit einer Einladung zum Vereinsbeitritt verbunden werden. Ein mit Blick darauf entwickeltes Kurssystem ist allerdings für die Vereine sehr aufwendig und oft nicht realisierbar. Eine Verminderung der Schwellenangst kann auch erreicht werden durch eine Mitgliedschaft, die nicht mit einer bestimmten Kündigungsfrist verbunden ist, d. h. nicht den Eindruck einer langfristigen Bindung erweckt. Positiv dürfte sich auch die verstärkte Ausbildung und der verstärkte Einsatz von Übungsleiterinnen mit Migrationshintergrund auswirken.

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Erreichen zielgruppenspezifische Angebote ihr Ziel? Das Projekt „Seitenwechsel“ arbeitet mit Blick auf dieses Ziel eng mit Schulen zusammen und knüpft bei entsprechenden Gesprächen an der Bewegungsfreude der Mädchen an. Die Schule ist gerade mit Blick auf die Mädchen aus „konservativen/traditionellen“ Elternhäusern ein wichtiger Ort, weil sie ansonsten kaum bis nicht zu erreichen sind. Nach der Erfahrung des DOSB sind Sportvereine für Mädchen mit Migrationshintergrund nicht sonderlich attraktiv; deshalb wird hier auch die Idee verfolgt, Sportangebote mit anderen Unterstützungsangeboten (z. B. Hausaufgaben-hilfe) zu verbinden. Die Ansprache von Kindern bereits im Vorschulalter gestaltet sich mangels entsprechender Räumlichkeiten demgegenüber eher schwierig. Wie ist die Altersstruktur der Mädchen? Beim Projekt BOXgirls sind die Teilnehmerinnen zwischen 13 und 18 Jahre alt; Seitenwechsel setzt bereits im Grundschulalter an und hofft, dass die Mädchen lange – auch über die Pubertät hinaus – bleiben. Ein Zurückziehen der Mädchen ab einem bestimmten Alter, ggf. aber auch eine gewisse Vereinsferne, muss nicht zwingend mit dem Migrationshintergrund zusammenhängen, sondern kann auch mit der sozialen Situation generell (Stichwort „bildungsferne Familien“) verbunden sein. Ist für den Abbau von „Mauern“ ggf. ein Umbau der Strukturen erforderlich? Hier sind die Einschätzungen unterschiedlich; allerdings können – so einige – Sportvereine hier ggf. von anderen Organisationen lernen. Wie sieht die Geschlechterstruktur im Sport / in Sportvereinen aus? Der Sport ist zwar nicht mehr mehrheitlich männlich, es sind auch gegenüber früheren Jahren mehr Frauen in den entsprechenden Vereinen – nicht aber in den Führungsebenen der Organisationen. Im DOSB beträgt der Anteil von Frauen an der Gesamtmitgliedschaft vierzig Prozent; demgegenüber der Anteil von Frauen in den Leitungsebenen erheblich weniger. In über siebzig Verbandspräsidien sind zwei Prozent Frauen; in den Präsidien der Spitzenverbände beträgt der Frauenanteil zehn Prozent. Dies mag – so führt eine Teilnehmerin aus – auch an der Mehrfachbelastung von Frauen liegen, die ihnen eine solche Tätigkeit nicht erlaubt. Wie steht es um den Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund auf den Leitungsebenen des DOSB? Bei den ÜbungsleiterInnen liegt der Prozentsatz bei zwanzig Prozent; bei den Hauptamtlichen der Mitgliedsverbände bei zwanzig Prozent, in den Vorständen nach Kenntnis der Anwesenden bei null. In diesem Zusammenhang erfolgt der Hinweis, dass es aber bei vielen Sportverbänden Integrationsbeauftragte bzw. IntegrationsbotschafterInnen gibt. Zwei Forderungen für das anschließende Plenum 1. Dem Sport kommt für die Integration eine hohe Bedeutung zu. 2. Um dem gerecht werden zu können, bedarf es einer nachhaltigen Förderung und einer stabilen Vernetzung verschiedener Bildungsträger.

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Arbeitskreis Die Integrationsaktivitäten des Sports (DOSB)

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Tagesordnung (Teil 1) Begrüßung

Heike Kübler (DOSB)

Projekt „Mehr Migrantinnen in den Sport“

Pia Zufall (DOSB)

Was wirkt wie. Sport als Mittel zum Zweck

Heather Cameron (FU Berlin)

Projekt „Leyla rennt“

Roswitha Ehrke (Seitenwechsel)

Projekt „Box­Girls“

Heather Cameron (Seitenwechsel)

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Das Netzwerkprojekt „Mehr Migrantinnen in den Sport“ Pia Zufall Fachgebietsleiterin Gender Mainstreaming

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Gliederung des Vortrags •

Teil 1: Expertise der Universität Bielefeld „Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund im organisierten Sport“ (2007)



Teil 2: Netzwerkprojekt des DOSB „Mehr Migrantinnen in den Sport“

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„Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund im organisierten Sport“ Expertise der Universität Bielefeld 2007

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Sportbeteiligung oder die Mitgliedschaft im Sportverein •

Sportbeteiligung von Mädchen im Kindes- und Jugendalter m.M. wird auf 3% - 21 % geschätzt.



Die Mitgliedschaften im Verein erwachsener Migrantinnen wird auf unter 1% geschätzt.



58 % Mädchen (Mitgliederstatistik des DOSB, 2006)

" Differenz: 21%

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Besonderheiten im Integrationsprozess der Mädchen und Frauen • • • • • •

Aushandlungsprozesse führen zu einer ersten, vorsichtigen Ablösung von den elterlichen Normen Es wird begonnen, eigenständige normative Orientierungen auszubilden. Sportteam hat peergroup-Funktion (Unterstützung!) Stärkung des Selbstbewusstseins und das Erleben der eigenen Stärke Aufbau eines eigenen Freundeskreises Beziehung zum eigenen Körper

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Diese Forschungsergebnisse in zwei Aussagen zusammengefasst •

Sport trägt bei jungen Migrantinnen zur Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft bei.



Sport ermöglicht eine Balance zwischen den Kulturen.

" Sport kann ein Instrument sein, die gesellschaftliche Integration zu erhöhen.

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Konfliktpotential im Sport •

generelles Misstrauen außerfamilialen Aktivitäten gegenüber



Verstöße gegen das Verhüllungsgebot



Verstöße gegen das Gebot der Trennung der Geschlechter



Verstöße gegen das Beaufsichtigungsgebot

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Konflikten vorbeugen •

Wahl der Sportart



Wird die Sportart von der community als „geeignet“ betrachtet?



Wer leitet das Training?



Findet das Training abends statt?



Welcher Körpereinsatz wird praktiziert?



Werden mehrtägige Sportveranstaltungen besucht?

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Bevorzugte Sportarten

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Kampfsportarten Fußball Tanzen Schwimmen Turnen

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Geplantes Netzwerkprojekt „Mehr Migrantinnen in den Sport“

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Ziel des Projekts •

Teilhabe an der Bewegungskultur



Interaktion in Gruppen



Qualifizierung (z.B. Deutschkenntnisse)



Mitentscheidungsmöglichkeiten



soziale Anerkennung



Identifikation mit dem Aufnahmeland

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Graphische Darstellung des Netzwerkprojekts (Entwurf)

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit

Weitere Auskünfte: Pia Zufall ([email protected]) Heike Kübler (kü[email protected])

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Tagesordnung (Teil 2) Diskussion anhand folgender Leitfragen: •

Was gelingt in dem Projekt?



Wo gab / gibt es Schwierigkeiten?



Welche Unterstützung wünschen sich die Mitwirkenden in dem Projekt?



Welche Anforderungen an die Gestaltung der Integrationspolitik stellen sich aus Sicht der Projekte?

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Statement Wie kann Integrationspolitik aus Sicht des Parlaments gelingen? Sebastian Edathy, Mitglied des Deutschen Bundestages, Vorsitzender des Innenausschusses

Sehr geehrte Damen und Herren, ich bedanke mich für die Einladung zu dieser Veranstaltung. Ich bin seit zehn Jahren Bundestagsabgeordneter und seitdem auch Mitglied im Innenausschuss. Ich habe damals die Bitte geäußert gegenüber meiner Fraktion, dem Innenausschuss angehören zu können, weil wir nach langen Jahren - man kann fast sagen Jahrzehnten - der Ignoranz gegenüber der Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und von Migration zumindest mit geprägt ist, Nachholbedarf hatten im Bereich der Gesetzgebung. Ich hatte mich federführend mit beteiligt an der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes, verbunden mit einer Erleichterung der Einbürgerung für Erwachsene, vor allen Dingen aber mit der Einführung des ius-soli-Prinzips, was den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch neugeborene Kinder in Deutschland anbelangt. In der zweiten rot-grünen Wahrperiode war ich einer von denen, die an der Erarbeitung des Integrations- und Zuwanderungsgesetzes nicht nur partizipiert, sondern dies auch ein Stück weit mit vorangebracht haben. Wenn wir von Integration sprechen, ist meine Maxime, sehr deutlich zu machen, dass es um eine gleichberechtigte Teilhabe geht in den verschiedensten Bereichen des Lebens; das geht von der Frage von Bildungschancen bis hin zu den Möglichkeiten, politische Teilhabe auszuüben. Ich glaube schon, dass man sagen kann, dass in den letzten zehn Jahren in diesem Bereich Schritte in die richtige Richtung gegangen worden sind, dass diese Schritte aber ohne Zweifel noch nicht ausreichend sind, sondern wir noch viel an Handlungsbedarf haben. Zu dem, was angesprochen worden ist hier an konkreten Vorschlägen: Ich halte das für absolut berechtigt. Ich bin der festen Überzeugung, dass aus dem Integrationsgipfel, der nun mehrfach getagt hat, konkrete Folgerungen abzuleiten sind. Das betrifft auch die Frage der Förderung von Projekten, wie sie hier teilweise vorgestellt worden sind. Das betrifft aber auch andere Aspekte. Ich will vielleicht ein paar Punkte nennen, wo ich in der aktuellen Diskussion noch Steuerungsbedarf sehe in Richtung der Schaffung von Voraussetzungen für eine bessere Integration. Wir hatten ja im Jahr 2005 den Anspruch, aber auch für einen Teil derjenigen, die daran teilnehmen sollen, die Verpflichtung eingeführt, an Sprachkursen teilzunehmen. Diese 23/40

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Sprachkurse erfreuen sich großer Beliebtheit. Sie richten sich von der Konzeption her zunächst an neu zugewanderte Personen. Da wir aber im Vergleich der letzten 15, zwanzig Jahre ausgesprochen niedrigere Zuwanderungszahlen haben, sind inzwischen sechzig Prozent der Sprachkursplätze belegt mit Ausländerinnen und Ausländern, die schon länger in Deutschland leben. Diese Kurse umfassen bisher 630 Stunden und sollen in absehbarer Zeit verlängert werden auf neunhundert Stunden. Es ist vernünftig, eine Aufstockung der Volumina der Kurse einzuführen. Ich halte es aber auch zugleich für zwingend, dass wir stärker zu einer Diversifizierung der Kurse kommen. Es war vom Ansatz her immer so, dass wir gesagt haben, wir wollen spezielle Angebote für Frauen haben, gerade mit Blick auf muslimische Frauen, nicht zuletzt, um ihnen zu ermöglichen, in einer weitgehend angstfreien Atmosphäre dort auch im Rahmen des staatlichen Kursangebotes über ihre Probleme reden zu können. Wir müssen gerade viele dieser Frauen stärken. Ich halte es für einen ganz entscheidenden Ansatz, dass wir mehr Frauenkurse bekommen, jedenfalls dort, wo es sinnvoll und auch nötig erscheint. Übrigens Kurse auch, die ggf. zu verbinden sind mit Kinderbetreuungsangeboten; das sollte man in dem Zusammenhang nicht vernachlässigen. Ich befürworte das auch vor einem konkreten Hintergrund, der darin besteht, dass nach meinem Dafürhalten Integration nur dann gelingt, wenn soziale Perspektivlosigkeit überwunden werden kann. Wenn wir über Defizite, die es diesbezüglich gibt, reden in Deutschland, dann haben wir es nicht mit einer Ausländerdiskussion im Kern zu tun, sondern mit einer Sozialstaats-, mit einer Bildungsdiskussion. Ich finde es hoch problematisch, dass in der öffentlichen Debatte oftmals ein eigentlich soziales Thema ethnisiert wird, indem man es zu einem Ausländerthema stilisiert, was es im Kern nicht ist. Wenn wir, und sei es das Thema Jugendkriminalität, über Phänomene diskutieren, die auf Probleme hinweisen, und man schaut sich dann die näheren Ursachen an, dann liegen die Ursachen dafür auf der Hand. Das hat auch etwas zu tun mit der spezifischen Form von Zuwanderungspolitik, wie sie Ende der Fünfzigerjahre begonnen wurde und bis in die Siebzigerjahre hinein praktiziert wurde, indem man Menschen überwiegend aus Südost- und Südeuropa angeworben hat, die teilweise einen eher prekären Bildungshintergrund hatten und die hierher eingeladen worden sind, um es kurz zu sagen und auch pointiert zu sagen, um schlecht bezahlte, oftmals schmutzige und in der Regel auch körperlich belastende Tätigkeiten ausüben. Gerade in diesem Bereich – klassische Fabrikarbeitertätigkeiten – sind seitdem viele Arbeitsplätze weggebrochen. Man hat diesen Menschen aber zugleich kein systematisches Integrationsangebot gemacht, und man hat auch nicht darauf geachtet, dass es ausreichend Möglichkeiten gibt der Weiterqualifikation, der Gewinnung von zusätzlichen Bildungskenntnissen, die es dann ermöglichen, zumindest mit Blick auf die Generationsabfolge sozusagen ein Stück weit gesellschaftliche Mobilität nach oben zu erreichen. Wenn einleitend hier gesagt worden ist, von einer der Vortragenden, sie möchte, dass Menschen, die in den Augen anderer Menschen vielleicht nicht so aussehen wie ein klassischer Teutone, nicht in einem Legitimierungszwang sich selber sehen, hat das auch damit zu tun, dass der Prozess der Elitenbildung seitens eines erheblichen Teiles der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland unterentwickelt ist. Ich glaube, dass es für das Selbstbild Deutschlands ganz andere Auswirkungen hätte, wenn entsprechend dem Anteil an der Gesamtbevölkerung im Bereich der Wirtschaftseliten, im Bereich der Kulturtragenden, im Bereich der Fernsehschaffenden, im Bereich auch der Politikerinnen und Politiker sich das stärker abbilden würde.

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Wenn wir im Deutschen Bundestag fünf, sechs Abgeordnete haben mit einem sogenannten Migrationshintergrund, das ist ein Prozent des nationalen Parlamentes, dann entspricht das nicht annähernd dem Anteil, auch nicht dem eingebürgerten Anteil von Menschen, die selber oder deren Vorfahren in den letzten Generationen nach Deutschland migriert sind. Die Frage der Stärkung von Frauen spielt auch in anderer Hinsicht eine Rolle. Das ist das eine, dass man verstärkt vor Augen führen muss den Wert von Bildung, auch gegenüber den Kindern. Dass es nicht darauf ankommt, dass sie möglichst schnell von der Schule gehen, um arbeiten zu können, sondern dass sie eine möglichst gute Ausbildung erhalten. Das hat auch etwas damit zu tun, dass man versuchen muss, Einfluss zu nehmen auf das Wertebild in der Familie. Ich will vielleicht einen kleinen Exkurs machen, weil ich das ganz interessant finde, was an aktuellen Befunden ermittelt worden ist vom kriminologischen Forschungsinstitut in Niedersachsen, unter Leitung von Christian Pfeiffer, dort früher Justizminister. Ich will das gar nicht so lange machen, sondern einfach nur ein paar Zahlen nennen. Das ist auch im Internet nachzulesen; diese Studie ist auch nicht ganz so lang, ungefähr sechzig Seiten. Sie ist deshalb besonders bemerkenswert, weil sie von der Anlage her die am breitesten gefasste Studie ist, die es zurzeit gibt. Es sind dort 14.000 Neuntklässler und Neuntklässerinnen befragt worden zu ihren Gewalterfahrungen zum einen, aber auch zum anderen zu der Frage, ob sie selber gewaltgeneigt sind. Nur um ein paar Zahlen zu nennen, weil ja immer gesagt wird, Migrantenjugendliche seien überrepräsentiert beim Gewaltbereich - das ist richtig, aber es hat auch konkrete Ursachen. Bei den Befragungen ist unterschieden worden in der Auswertung zwischen Jugendlichen, also 14, 15 Jahre alt zum Zeitpunkt der Befragung, mit zwei deutschen Elternteilen, und Jugendlichen mit mindestens einem nichtdeutschen Elternteil. Bei den Letzteren berichten 23 Prozent von erheblichen Gewalterfahrungen in der eigenen Familie. Bei den Jugendlichen mit zwei deutschen Elternteilen sind das nur acht Prozent. Bei den Jugendlichen mit mindestens einem ausländischen Elternteil besuchen vierzig Prozent die Hauptschule, von denen mit zwei deutschen Elternteilen nur 14 Prozent. Mitglied in Vereinen sind von den Migrantenjugendlichen vierzig Prozent, von den Nicht-Migrantenjugendlichen aber 65 Prozent. Eine Zahl fand ich noch ganz interessant, zu ausgeprägten Männlichkeitsnormen bei Jugendlichen, da geht es jetzt nur um die Jungs, für die das erhoben worden ist: 23 Prozent der Migrantenjugendlichen und vier Prozent der Nicht-Migrantenjugendlichen. Das heißt ganz klar, man kann es nicht pauschal so formulieren, aber es gibt offenkundig viele Migrantenfamilien, in denen ein Wertebild gepflegt wird und in dem in der Erziehung auch Dinge vermittelt werden, die nicht kompatibel sind mit unserem Verständnis von Liberalität bzw. auch mit unserem Verständnis, was die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung von Männern und Frauen betrifft. Dort müssen wir zumindest den Versuch machen, Einfluss zu nehmen; das kann man über Projekte machen, das kann aber auch im Rahmen dieser Sprach- und Gesellschaftskurse erfolgen. Das ist sehr, sehr wichtig. Vielleicht eine letzte Zahl aus der Untersuchung. Es sind nicht nur Neuntklässler befragt worden, sondern auch Viertklässler. Da hat es eine ganz interessante Frage gegeben an die Kinder, und zwar an die Kinder mit mindestens einem ausländischen Elternteil, wie oft sie bei den letzten drei Kindergeburtstagen von nichtmigrantischen Kindern, also da sprechen wir von Acht- bis Neunjährigen, eingeladen worden sind, und da sind nur 55 Prozent bei den letzten drei Geburtstagsfeiern in Haushalten gewesen bei Nicht-Migranten. Das ist ein ganz entscheidender Ansatzpunkt auch für die Integration. Die funktioniert nur dann, wenn Austausch gewährleistet wird, auch durch ein vernünftiges Bildungssystem, durch eine vernünftige Mischung in der Zusammensetzung der Schulkassen,

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durch eine Schwerpunktsetzung auch vom Personal her in Schulklassen mit besonderem Förderbedarf. Auch nicht zuletzt durch eine Ganztagsschulbetreuung. Ich denke, das darf man überhaupt nicht verkennen. Wenn wir es schaffen, das ist meine feste Überzeugung, dass die Kinder und Jugendlichen miteinander aufwachsen und auch miteinander ihre Freizeit verbringen, wenn also nicht nur Mustafa mit Hassan spielt am Nachmittag auf der Straße, sondern auch mit Christian und Robert, dann sind wir auf einem vernünftigen Weg. Das heißt aber auch, Angebote zu machen. Ich habe manchmal den Eindruck, wenn über Defizite geklagt wird, dass im Mittelpunkt eine Schuldzuweisung steht. Ich finde das nicht vernünftig, wenn man sich vor Augen hält, dass wir gerade zugewanderten Menschen lange Zeit – wenn ich sage wir, dann meine ich nicht mich, sondern die Mehrheit der Politik in Deutschland –, wenn also über Jahrzehnte hinaus den Menschen vermittelt worden ist, dass sie hier Gäste auf Zeit sind, dass sie nicht zunächst einmal betrachtet werden als selbstverständlicher Teil der deutschen Gesellschaft, dann kann man schlechterdings anschließend sagen, da ist zu wenig Integration erfolgt. Beides bedingt einander: die Bereitschaft, sich zu integrieren, aber auch die Möglichkeit, Integrationsangebote in Anspruch zu nehmen. Wenn ich keine Angebote mache, aber Integration fordere, dann ist das so ähnlich wie die Forderung nach Duschpflicht in der Wüste. Die kann man erheben, sie ist aber nicht legitim und meistens nicht zu realisieren. Ich hoffe, dass jetzt in diesem Prozess ein Nachdenken angestoßen werden konnte. Ich will noch zwei, drei Punkte nennen, wo ich ausdrücklich unzufrieden bin mit der gegenwärtigen Situation. Zwei Punkte betreffen das Ausländerrecht im engeren Sinne, ein Punkt betrifft die Möglichkeit zur Partizipation. Ich will mit den ersten beiden Punkten anfangen. Es war nach meinem Dafürhalten ein echter Fortschritt, dass der Deutsche Bundestag vor Jahren sich mehrheitlich dafür ausgesprochen hat, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für ausländische Ehegatten einzuführen ab 24 Monaten. Vorher war ja die Notwendigkeit da, vier Jahre lang die Ehe geführt haben zu müssen; vor dem Hintergrund, dass es Gewalt gibt in vielen Ehen, war die Überlegung richtig, dass man insbesondere geschlagenen Frauen natürlich nicht zumuten kann, zur Erlangung des Aufenthaltsrechtes in einer unglücklichen Partnerschaft zu verbleiben. Deshalb haben wir diese Frist reduziert. Ich glaube, da müssen wir zu einer Weiterentwicklung kommen, indem wir in die Liste der Ausnahmetatbestände auch das Phänomen der Zwangsverheiratung aufnehmen. Es muss möglich sein, nach meinem Dafürhalten, beim Vorliegen einer Zwangsverheiratung einem ausländischen Ehepartner auch die Möglichkeit zu geben, unterhalb des zweijährigen Bestehens der Ehe einen eigenständigen Aufenthaltsanspruch zu erhalten. Ein zweiter Punkt, der ebenfalls nicht befriedigend gelöst werden konnte, ist die Frage des Rückkehrrechtes. Das erlischt, wenn man nicht 15 Jahre bereits rechtmäßig in Deutschland gelebt hat, bereits nach sechsmonatigem Aufenthalt im Ausland. Bei verschleppten, im Ausland möglicherweise festgehaltenen Frauen, die länger als sechs Monate nicht die Möglichkeit haben, nach Deutschland zurückzureisen, haben wir eine Situation, die objektiv ungerecht ist, weil man sozusagen die Opfer ein zweites Mal zu Opfern macht, indem sie sozusagen nicht nur in der misslichen Situation sich befinden, sondern anschließend auch vom deutschen Staat die Möglichkeit verweigert bekommen, wieder nach Deutschland einreisen zu können. Wir hatten im Sommer des letzten Jahres eine Diskussion über diese Thematik gehabt im Deutschen Bundestag im Zuge der notwendigen Umsetzung von mehreren EU-Richtlinien, die das Ausländerrecht betreffen, und wir haben auch bei den Verhandlungen innerhalb der Koalition diesen Missstand thematisiert.

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Das ist jetzt nicht Polemik, sondern ich sage es Ihnen so, wie es ist, und es ist ein Bespiel dafür, dass wir gegenwärtig, gerade was Fragen der Integrationspolitik betrifft, zwar verbal einen breiten politischen Konsens haben, aber wenn es dann konkret wird, doch noch sehr viele Unterschiede: Die Union hat gesagt, wir können das Rückkehrrecht ausweiten auf ein oder zwei Jahre, wenn zugleich das eigenständige Aufenthaltsrecht für die geprügelte Ehefrau erst nach drei oder vier Jahren greift. Also, sie wollten die Frist für das eigenständige Aufenthaltsrecht wieder verlängern und im Gegenzug die Rückkehrmöglichkeit ausweiten. Ich denke, es war klar, dass wir dem nicht haben zustimmen können. Die Folge davon ist, dass es eben bei der gegenwärtigen Situation bleibt, und ich auch nicht erkennen kann, jedenfalls für den Rest dieser Wahlperiode, dass wir in diesem Bereich zwischen Union und SPD wirklich vernünftig nach vorne kommen. Anträge auf Ausweitung des Rückkehrrechts sind heute (15.02.) im Bundestag abgelehnt worden, wobei das auch klar war, weil es Anträge der Opposition waren. Natürlich wäre es am sinnvollsten, am besten gewesen, die Koalition hätte einen eigenen Antrag vorlegen können zu dieser Thematik. Dass das nicht möglich war, liegt aber nicht an der Fraktion, der ich im Bundestag angehöre. Ein anderer Punkt, über den wir miteinander noch zu reden haben werden, wo ich aber auch nicht gerade optimistisch bin, betrifft das Thema kommunales Wahlrecht. Ich bin persönlich der festen Überzeugung, dass der sinnvollste Weg und auch ein Bestandteil des Integrationsprozesses die Einbürgerung ist. Das muss das Ziel sein, deswegen bin ich auch der Auffassung, dass wir eigentlich eher die Voraussetzung für eine Einbürgerung erleichtern sollten denn verschärfen, wie es bisweilen diskutiert wird - Stichwort Sprachtest. Ich bin dafür, es zu erleichtern, weil die Einbürgerung kein Gnadenakt des Staates ist, sondern im ureigenen Interesse des demokratischen Gemeinwesens insgesamt liegt. Es ist für eine Demokratie auf Dauer nicht gut, wenn es Bürger erster und zweiter Klasse gibt. Es besteht aber nach meinem Dafürhalten überhaupt kein Grund, das kommunale Wahlrecht denen zu verweigern, die lange Jahre bereits in Deutschland leben, aber nicht aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat kommen, also insbesondere den türkischen Bürgerinnen und Bürgern. Ihnen die Möglichkeit zumindest auf kommunaler Ebene einzuräumen, sich zu beteiligen an politischen Entscheidungen, mag bei dem einen oder anderen dann auch das Interesse dafür wecken, zur Voraussetzung an der Teilnahme an Landtags- und Bundestagswahlen die Staatsbürgerschaft zu beantragen. Bisher wird ja gelegentlich der Eindruck erweckt, wir hätten zu viele Einbürgerungen. Ich bin der festen Überzeugung, das Gegenteil ist der Fall. Wir haben zu wenige Einbürgerungen. Das ist aber auch ein Stück weit, diese Diskussion, die wir da haben, ein Nachwirken, damit will ich dann auch schließen, bevor wir in die Diskussion miteinander einsteigen sollten, der spezifisch deutschen Geschichte. Ich habe dazu vor mittlerweile acht Jahren ein Buch veröffentlicht, eine wissenschaftliche Abhandlung, in der ich die Geschichte des deutschen Staatsbürgerschaftsrechtes analysiert habe. Im Grunde genommen ist diese über mehr als 140 bis 150 Jahre jetzt währende, auch heute noch, Anfang des 21. Jahrhunderts, in der öffentlichen Diskussion aufflackernde biologistisch geprägte Debatte über die Frage von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit, Folge schlichtweg auch des deutschen Nationalstaatsbildungsprozesses, von Mitte des 19. Jahrhunderts angefangen. Vom Norddeutschen Bund über das Kaiserreich mit der Pervertierung der biologisch definierten Staatsbürgerschaftseigenschaft durch die Nationalsozialisten. Man hat nach dem Zweiten Weltkrieg nur sehr zögerlich und nur schrittweise sich der Tatsache gegenüber geöffnet, dass Zuwanderung, wenn sie zugleich auch zu Inklusion und d. h. zu Integration führen soll, damit verbunden sein muss, dass man denen, die auf Dauer hier leben, unabhängig von der Abstammung, dieselben Rechte einräumen muss. Diese Diskussion wird auch noch längere Zeit 27/40

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in Anspruch nehmen und ich halte es für ganz, ganz wichtig, auch bei der Frage, die gerade im Raum steht: Wie ist das mit dem Islam und der Demokratie, wo zum Teil abstruse Behauptungen aufgestellt werden; ich finde es ganz wichtig, sich vor Augen zu halten und öffentlich immer wieder zu betonen, dass es nach unserem Verfassungsverständnis in der Bundesrepublik völlig egal sein muss, ob ein Bürger freitags in die Moschee geht, samstags in die Synagoge, sonntags in die Kirche, oder ein Bürger ist Atheist, das muss uns egal sein, wenn die Werte des Grundgesetzes – wo übrigens Religionsfreiheit selbstverständlich dazu gehört, ein ganz klarer Bestandteil ist – von allen geteilt werden. Das muss auch heißen, wir brauchen im Bereich der Integrationspolitik nicht den erhobenen Zeigefinger. Wir brauchen schon gar nicht die geballte Faust, sondern wir brauchen die ausgestreckte Hand. Wir brauchen auch nicht ein Von-Oben-Nach-Unten-Schauen. Wir brauchen auch nicht nur gute Ratschläge, wir brauchen handfeste Angebote. Aber natürlich auch guten Willen auf Seiten derer, die die Integrationsleistung zu erbringen haben. Aber Integration, auch das will ich kurz noch zum Schluss sagen, Integration ist nicht nur etwas, was eine Herausforderung, eine Aufgabe ist für Migrantinnen und Migranten. Die urdeutschen Staatsbürger, die im Sommer letzten Jahres indische Bürger durch die Straßen von Mügeln gejagt haben, waren mit Sicherheit vieles, aber eines waren sie mit Sicherheit nicht, nämlich gut integriert.

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Diskussion

Teilnehmerinnen

Brunhilde Raiser, Vorsitzende des Deutschen Frauenrates Vielen Dank, manches hat sich erstaunlich überschnitten mit unseren eigenen Perspektiven und Forderungen, die wir eben vorgestellt haben. Ich eröffne jetzt das Gespräch mit Herrn Edathy. Ich möchte einführend meinerseits ein paar Punkte benennen, die mir wichtig scheinen, z. B. dass es einer Definition von Integration bedarf. Integration ist gleichberechtigte Teilhabe, aber, das war ja Ihr Schlusssatz, Herr Edathy, keine Einbahnstraße. Herr Edathy hat weiterhin auf die Sprachkurse und auf ihre Diversifizierung hingewiesen und bei den Integrationskursen auch auf das Problem, inwieweit das Thema Gleichberechtigung Gegenstand des Unterrichts ist. Er hat auf die Vermischung oder unglückliche Vermengung von eigentlich sozialen Themen mit migrantischen Fragen hingewiesen, auf Fragen des Wertebildes in der Familie und mit dem schönen Bild, das ist wie Duschpflicht in der Wüste, auf die Frage: Warum sollte ich mich eigentlich integrieren, wenn ich nur auf Zeit gewünscht bin? Und dann die sehr konkreten Fragen des Ausländerrechts, des Rückkehrrechts, der Einbürgerung und des Wahlrechts. Das waren so die Punkte, die ich gehört habe. Ich bitte Sie nun um Ihre Diskussionsbeiträge. Inge von Bönninghausen, Journalistin Ich habe eine Sachachfrage. Bei der Pfeiffer-Untersuchung, wissen Sie, ob da bei den Jugendlichen und den Kindern, die in der Familie mindestens ein Migrantenelternteil hatten, unterschieden worden ist, ob das die Mutter oder der Vater war? Das fände ich sehr interessant, denn ich könnte mir durchaus vorstellen, dass das einen Unterschied macht, z. B. bei der Gewalterfahrung oder auch bei anderen Themen. Wissen Sie, ob die das unterschieden haben? Sebastian Edathy Das kann ich aus dem Stegreif nicht sagen. Kriterium bei den Eltern war, ob mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren wurde, also nicht die Staatsbürgerschaft der Eltern. Dies, um auch Aussiedler erfassen zu können, die ja prinzipiell die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Aber ob noch einmal unterschieden worden ist, ob die Mutter oder der Vater im Ausland geboren wurde, wo dies nicht bei beiden Elternteilen der Fall ist, kann ich Ihnen nicht sagen.

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Pia Zufall, Deutscher Olympischer Sportbund Ich möchte auf die anderen Punkte zu sprechen kommen, die Sie in Ihren Ausführungen noch nicht erwähnt haben, nämlich den Sport. Meines Wissens ist es so, dass über das BMI, das Innenministerium, in weiten Strecken der Leistungssport gefördert wird, aber weniger der Breitensport. Wenn Sie der These zustimmen sollten, dass der Breitensport bei der Integration eine wesentliche und herausragende Rolle einnimmt, wollte ich fragen, ob Sie nicht Möglichkeiten sehen, das Förderungsverhältnis zwischen Leistungssport und Breitensport in Richtung Breitensport zu verändern. Sebastian Edathy Da rennen Sie bei mir offene Türen ein, wobei wir die Dachverbände im deutschen Sport, auch den DOSB, pauschal fördern. Es wird nicht nur der Leistungssport gefördert, sondern es gibt auch Pauschalmittel für die Verbände, die sie dann auch projektbezogen verwenden können. Ich schreibe es mir gerne auf, um dem noch mal nachzugehen, weil der Bundesinnenminister durchaus für die Thematik offen ist. Wir haben ja in seinem Haushalt auch Mittel für die Förderung von Integrationsmaßnahmen, auch für Projekte. Es wäre natürlich schon sinnvoll zu prüfen, ob dies von der Höhe her nicht ausbaufähig ist, gerade vor dem Hintergrund des Integrationsgipfels. Mechthild Immenkötter, Verband aktiv­unabhängiger Frauen Wenn ich das direkt ergänzen darf, ich denke, was ein großes Problem ist, nach meinen Diskussionen, dass selbst da, wo Integrationsmaßnahmen gefördert werden, eben die Integrationsmaßnahmen für Mädchen nachrangig sind, um es etwas vornehm zu formulieren. Ich glaube, dass es genau umgekehrt sein müsste, weil hier ja genau der Sport eine Möglichkeit wäre, einen großen Teil von zusätzlichen Problemen, die Mädchen ja haben, das ist ja wohl anerkannt, dass genau der Sport da ein Ansatz wäre, um da besonders zu helfen. Und von diesen Pauschalmitteln, die an die Verbände gehen, die die dann nach eigenem Gutdünken oder auch insbesondere nach eigenen Wertvorstellungen verteilen können, ist es ja so nach meinen Erfahrungen, dass gerade dann solche Maßnahmen im Breitensport im Allgemeinen und dann auch noch im Breitensport für Mädchen dann ganz besonders nachrangig behandelt werden. Sebastian Edathy Das ist letztendlich auch Aufgabe der Vereine selbst – nur, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass wir von Berlin aus bis in den einzelnen örtlichen Sportverein sozusagen durchregieren könnten -, wie dort die Aktivitäten gestaltet werden. Was ich gerne machen will im Nachgang zu dieser Veranstaltung, ist eine Anfrage an die Bundesregierung zu stellen, mitzuteilen, in welchem Maße die Mittel für solche Projekte auch tatsächlich vor Ort ankommen. Darüber müssten ja im Ministerium entsprechende Informationen vorliegen. Ich weiß jetzt z. B. nicht, ob neben den Maßnahmen, die das Bundesinnenministerium in dem Bereich unterstützt, es ergänzende Maßnahmen gibt, z. B. aus dem Bereich des Familienministeriums heraus. Das will ich nicht ausschließen, gerade weil es eine Querschnittsaufgabe ist. Wir haben auch für andere Politikfelder durchaus aus verschiedenen Titeln des Haushaltes Ausgaben für ähnliche Inhalte. Deswegen würde ich vorschlagen, das nachzureichen, ob eine entsprechende tabellarische Auflistung z. B. geliefert werden kann von der Bundesregierung, was in dem Bereich gemacht wird.

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Brunhilde Raiser Ich würde es gerne insoweit ergänzen, als dass natürlich die Vereine nicht außen vor in der Verantwortung sind, wie Geld verteilt wird. Aber es ist natürlich immer die Frage bei der Genehmigung von Projekten, welchen Kriterien sie genügen müssen. Das war wohl das Signal, darauf zu achten. Ich selbst habe die Erarbeitung des Nationalen Integrationsplans sehr intensiv begleitet und war auch in einer der Arbeitsgruppen. Ich habe aber bis jetzt nicht wahrgenommen, dass wirklich sehr viel mehr Geld dafür in die Hand genommen wird. Das ist, denke ich, so etwas, was man sich insgesamt überlegen muss: Es werden Projekte, die ansonsten gefördert werden, etwas zielgerechter - und das finde ich gut - gefördert, aber ich fürchte, wenn man in der nächsten Zeit jetzt sehr dringend etwas machen will, muss man leider auch dafür etwas mehr Geld in die Hand nehmen; es wird anders nicht gehen. Heike Kübler, Deutscher Olympischer Sportbund Ich bin die Verantwortliche für das Programm „Integration durch Sport“, das dankenswerterweise vom BMI jährlich mit 5,4 Mio. gefördert wird nach dem Prinzip der Jährlichkeit – wir wissen alle, was das für Vor- und Nachteile hat. Wir werden zurzeit evaluiert von der Uni Potsdam mit allen Vor- und Nachteilen. Wir haben den Bundesrechnungshof über uns ergehen lassen müssen. Wir haben natürlich jede Menge Kriterien, wir haben auch jede Menge Formulare, wir verwalten hier Steuergelder. Wir würden uns aber mehr Geld für noch mehr Projekte wünschen. Wir können derzeit nur zwölftausend Projekte im Jahr begleiten, wir vom DOSB. Wir würden es gerne ausweiten; meine Kollegin, Pia Zufall, steht für das Projekt „Mehr Migrantinnen im Sport“. Wir können derzeit nur fünfhundert Vereine betreuen. Das Interesse ist sehr groß. Wir bekommen jeden Tag auch über die Fachverbände Anzeigen über Engagement. Ich sage ganz selbstbewusst, wir könnten noch mehr gebrauchen, um das an der Basis ausgeben, mit zielgruppenspezifischen Projekten. Sebastian Edathy Können Sie denn etwas sagen zu der Frage, die aufgeworfen wurde, wie viele von diesen Projekten mädchen- oder frauenspezifische Projekte sind? Heike Kübler Das wird gerade neu auferlegt über ein anderes Ministerium. Aber die zielgruppenspezifischen Projekte für die Mädchen sind unterrepräsentiert, das kann ich ganz klar sagen. Sebastian Edathy Das war aber keine Forderung aus dem BMI, dass sie eine Quote erfüllen müssen, oder? Das machen Sie doch eigenverantwortlich? Heike Kübler Nein, aber wir haben dafür andere Forderungen vom BMI. Wir haben es aber in unserer Zielvereinbarung im NIP mit aufgenommen, dass wir mehr Projekte für die Mädchen aufnehmen. Insofern ist es eine Forderung von uns, dem DOSB und den Programmen „Integration durch Sport“ und „Mehr Migrantinnen in den Sport“. Sebastian Edathy Das könnte ja der Haushaltsgesetzgeber unabhängig von der Frage der Höhe der Förderung ausdrücklich aufnehmen, auch im Rahmen von Entschließungsanträgen im Rahmen von Haushaltsberatungen zu sagen: Wir erwarten, dass 25 Prozent der geförderten Projekte sich gerade der Unterstützung von Mädchen und Frauen widmen.

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Heike Kübler Aber das macht er nicht, das macht auch nicht der Sportausschuss, um das zu ergänzen. Ute Krüßer, berami Frankfurt Wir sprechen in letzter Zeit zu häufig über Fachkräftemangel in Deutschland und Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland; unserer Erfahrung nach gibt es schon sehr viele qualifizierte Migrantinnen und Migranten in Deutschland. Wenn es Förderungsmaßnahmen gibt, dann wird immer über mangelnde Deutschkenntnisse gesprochen, das ist aber aus meiner beruflichen Praxis nicht das Hauptproblem. Was ist mit Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen – ist das ein Thema? Gibt es da Erleichterungen? Was ist mit Anpassungsqualifikationen? Ich spreche von Nutzung von den Ressourcen von Frauen und Männern, die schon im Land sind und nicht erst geholt werden müssen. Sebastian Edathy Ich denke, da besteht in jedem Fall Konsens. Es ist natürlich auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass es immer noch sehr viele Arbeitslose gibt in Deutschland, klar, dass wir schauen müssen, dass in erster Linie diejenigen, die hier dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, offene Stellen besetzen. Das wird aber perspektivisch nicht ausreichen, nach alldem, was wir wissen. Auch von der Bevölkerungsentwicklung her wird das Thema Zuwanderung, auch Steuerung von Zuwanderung, im Bereich von Arbeitsmigration an Bedeutung gewinnen, aber das entbindet uns natürlich nicht von der Verpflichtung, im Bereich der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit mehr zu machen. Es ist ja u. a. vereinbart worden, dass bei der Agentur für Arbeit eine Schwerpunktsetzung erfolgen soll für Weiterqualifizierung von Migrantinnen und Migranten. Wir haben insgesamt, das hat auch etwas damit zu tun, was ich vorhin gesagt hatte, die Frage, welche Leute man angeworben hat, im Kern jedenfalls. Wir haben ja nach wie vor eine signifikant höhere Arbeitslosigkeit bei Migrantinnen und Migranten, die ungefähr doppelt so hoch liegt, bei ungefähr zwanzig Prozent, wie bei der übrigen Bevölkerung in Deutschland. Wir haben übrigens auch – und das halte ich für einen Skandal – im Bereich von Schülern ohne Schulabschluss fast zwanzig Prozent Migrantenjugendliche – das ist ein Versagen des Bildungssystems. Da müssen wir rangehen, das sind wirklich vergebene Chancen. Im Bereich der Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen müsste man das vielleicht konkret machen. Da gibt es natürlich auch eine ganze Reihe von bilateralen Übereinkommen. Man kann auch nicht jede Form von höherem Schulabschluss andernorts gleichsetzen mit dem Hochschulzugangszeugnis in Deutschland. Man muss zumindest den Leuten, natürlich aufbauend auf dem, was sie an Wissen haben, auch eine Förderung angedeihen lassen. Das war übrigens auch ein Punkt bei der Frage der Ausgestaltung der Kurse, dass wir sie auch dahingehend stärker umgestalten müssen, dass wir Rücksicht nehmen auf das Maß an Vorbildung, das vorhanden ist. Es macht ja überhaupt keinen Sinn, wie das teilweise gerade in ländlichen Gebieten passiert, weil sie nicht so viele Leute zusammenbringen, dass man einen Analphabeten in denselben Sprachkurs steckt wie einen Akademiker. Ute Krüßer Das stimmt ja so nicht, wenn ich das korrigieren darf. Ich bin auch bei uns für die Integrationskurse zuständig. Die nicht Alphabetisierten waren schon immer in anderen Kursen als die, die den Spracherwerb neu hatten. Das mit den neunhundert Stunden ist ja auch nicht für alle. Es sind nach wie vor sechshundert Stunden vorgesehen; nur diejenigen, die dann später die Prüfung nicht bestehen, bekommen dann noch einmal dreihundert Stunden extra. Ich weiß das, weil ich da täglich mit zu tun habe. Mein Thema war auf jeden Fall, noch einmal den Fokus auf die qualifizierten Migranten zu richten. Nicht Spracherwerb, sondern wirklich die vorhandenen Qualifikationen, die Ressourcen zu nutzen. Es geht mir nicht um die 32/40

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Schulabbrecher - das ist natürlich auch ein großes Thema -, sondern darum, aber die qualifizierten Migranten und Migrantinnen zu unterstützen. Christiane Klingspor, Transkulturelles Lernhaus Ich wollte das noch einmal aufgreifen, was Sie zum Schluss gesagt haben, dass Integration, und so steht es ja in der wunderbaren Lyrik des Nationalen Integrationsplans, der ja in dieser Hinsicht sehr eindeutig ist und sagt, Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Von daher frage ich mich gerade, brauchen wir nicht auch noch eine neue Terminologie, wenn wir von Integrationskursen reden? Oder anders gefragt, brauchen wir nicht endlich auch Integrationskurse für die Mitglieder der Residenzgesellschaft? Das ist jetzt nicht als ein Witz gemeint, sondern es geht ja darum, wenn Integration eine Aufgabe ist, die wir alle gemeinsam angehen, dann kann man nicht sagen, die einen bekommen jetzt eine Förderung und werden da reingefördert, und die anderen, die bekommen es einfach so hin; sie bekommen es ja eben nicht hin. Deswegen würde ich ein starkes Plädoyer doch dafür gerne machen, dass man Integration auch auf dieser Ebene schon als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ansieht und dass man die Mitglieder der Residenzgesellschaft gleichberechtigt mit einbezieht. Sebastian Edathy Da gibt es rechtliche Schwierigkeiten, wenn ich den sechzigjährigen Rentner, der sich fremdenfeindlich äußert, dazu verpflichten will, einen Volkshochschulkurs zu besuchen; das dürfte an gewisse Grenzen stoßen, die spätestens in Karlsruhe gezogen werden würden. Das war nicht ganz so ernst gemeint. Aber, was Sie inhaltlich sagen, ist ja richtig. Wobei der Anlass für die Integrationskurse ja im Kern die Vermittlung von Sprachkenntnissen ist. Die heißen deswegen Sprach- und Integrationskurse, weil der Großteil der Stunden der Sprachvermittlung gewidmet ist, aber ein Teil der Stunden eben auch einer Einführung in Historie, Gesellschaft, Kultur und das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Das halte ich auch für sinnvoll. Ich finde übrigens, dass dieser letzte Teil viel zu kurz kommt im Rahmen der Kurse; das sollte deutlich ausgebaut werden. Mit Blick auf die Residenzgesellschaft glaube ich schon, dass man insgesamt eine Reform des Bildungssystems dahingehend braucht, dass wir gewährleisten müssen, dass jede Schule zugleich auch eine Schule der Demokratie ist. Ich will das mal ein bisschen sehr eingedampft auf den Punkt bringen: Demokratie wird nicht vererbt. Demokratie kann man nicht vererben, sondern Demokratie muss erlernt werden. Das kann man schon im Kindergarten beginnen lassen und auch in der Grundschule, dass dort nicht nur Kenntnisse im Lesen, Schreiben, Rechnen vermittelt werden, sondern auch Kenntnisse im zivilen Umgang miteinander. Dass man also demjenigen, der einem gegenüber sitzt, denselben Respekt zuteil werden lässt, den man für sich selber in Anspruch nimmt. Dass man lernt, dass man nicht dazu berechtigt ist, Konflikte, die es ja gerade in offenen Gesellschaften immer geben muss, und offene Gesellschaften leben auch von Konflikten – ohne Konflikte gibt es keine freie Gesellschaft – mit Gewalt zu lösen zu versuchen. Und ich halte auch mit Blick auf Integration – ich habe es vorhin schon als Stichwort in den Raum geworfen – das Thema Ganztagsschule für ganz entscheidend. Wenn ich feststelle, dass es eine nennenswerte Zahl nicht nur Migrantenelternhäuser, sondern auch sozusagen Eingeborenelternhäuser gibt, die vielleicht dazu in der Lage sind, dem Kind ein Dach über dem Kopf zu gewährleisten und vielleicht hinzubekommen, dass es regelmäßig etwas zu essen gibt, die aber nicht Demokratieorientierung oder Gesellschaftsorientierung vermitteln können, dann ist darauf hinzuweisen, dass das auch eine staatliche Aufgabe ist, und an die junge Generation komme ich über die Schulpflicht ran. D. h. die Eltern kann ich schlecht nachqualifizieren, das ist immer schwierig und nur punktuell möglich, aber bei Kindern und Jugendlichen habe ich natürlich die Möglichkeit, auch indem ich der Freizeitgestaltung am Nachmittag einen 33/40

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bestimmten Raum gebe, über schulische Angebote, die auch verpflichtend sind. Da kann man für Integration eine Menge tun, und zwar nicht nur für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, sondern auch für alle anderen. Brigitte Triems, stellv. Vorsitzende des Deutschen Frauenrates Ich habe zwei Bemerkungen bzw. Fragen, die ich Sie bitte mitzunehmen, anknüpfend an das, was schon gesagt wurde zur beruflichen Integration von Migranten. Mir geht es um das Programm „Perspektive 50 +“, was von der Bundesregierung beschlossen wurde zur Integration von Arbeitnehmern, die mehrfache, multiple Vermittlungshemmnisse haben. Ich finde, dass unter diesen Vermittlungshemmnissen zu sagen, jemand ist Migrant, dass das als Vermittlungshemmnis bezeichnet wird, finde ich sehr diskriminierend. Wir Träger, die wir mit solchen Projekten arbeiten, sind sehr für einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, aber unter dem Gesichtspunkt, dass er für Menschen eingerichtet wird, die wenig Chancen haben, auf einem ersten Arbeitsmarkt zu arbeiten. Ich finde zu sagen, da bringen wir Leute rein, die mehrfache Vermittlungshemmnisse haben wie Alkohol, Drogen, Alter, und in einer Reihe damit Migranten zu nennen, finde ich sehr, sehr diskriminierend. Meine zweite Frage ist, es wird sehr viel über interkulturelle Kompetenz gesprochen. Wenn ich also verpflichtend Integrationskurse für Migranten einführe und dann höre, dass Schulungen zur interkulturellen Kompetenz z. B. in öffentlichen Einrichtungen nicht verpflichtend sind, sondern jeder Angestellte oder Beamte im öffentlichen Dienst selber entscheiden kann, ob er das braucht, das finde ich auch nicht in Ordnung. Es gibt in so vielen Einrichtungen wie – vielleicht sollte ich erläuternd hinzusagen, dass ich in Kreuzberg arbeite, dann wird das offensichtlicher – in Sozialämtern und Jobcentern genügend Mitarbeiter, die überhaupt nicht über interkulturelle Kompetenz verfügen und Migranten wirklich als Menschen zweiter Klasse behandeln. Sebastian Edathy Zum ersten Punkt: ich kenne nicht die Details, dieses „Programm 50 +“, das wird verantwortet vom Arbeitsministerium. Ich könnte mir vorstellen, dass man das deshalb so formuliert hat, um in Einzelfällen eine Handhabe zu haben, Leuten, die objektiv besondere Probleme haben auf dem Arbeitsmarkt, weil sie Migranten sind, im Einzelfall Hilfe bzw. Angebote bereitstellen zu können. Das würde ich jetzt nicht als Diskriminierung sehen, sondern auch ein Stück weit als eine indirekte Beschreibung einer sicherlich zu verbessernden Realität. Es ist so, und das ergeben ja auch Erhebungen. Wir haben auch deshalb u. a. das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz trotz aller Widerstände der Union ganz vernünftig durchgesetzt im Parlament, und es greift ja auch, wie wir jetzt bei einer ganzen Reihe von Urteilen mittlerweile erleben. Es soll auch ein Stück weit das Bewusstsein verändern. Ich war immer dafür, das Gesetz zu machen, um ein klares Signal zu setzen, dass es schlichtweg ein Unding ist in einer demokratischen Gesellschaft, Menschen wegen eines bestimmten Merkmals zu diskriminieren. Zum anderen finde ich aber, dass, so lange die Situation so ist, es auch möglich sein muss, in einem solchen Programm zur Förderung z. B. von älteren Arbeitslosen auch Menschen mit Migrationshintergrund, die der Unterstützung bedürfen, mit aufzunehmen. Ich kenne die Formulierung nicht, ich würde sie mir gerne anschauen, aber ich habe nicht den Eindruck, dass es aktive Diskriminierung ist, sondern eher das Gegenteil damit gemeint ist. Zu der Frage der interkulturellen Kompetenz will ich zwei Dinge sagen. Ja, ich halte es für zwingend notwendig, dass insbesondere öffentliche Bedienstete, die viel mit Migrantinnen und Migranten zu tun haben, eine entsprechende Schulung erhalten. Das vorzuschreiben, ist Sache des jeweiligen Arbeitgebers. Die allermeisten Beschäftigten im öffentlichen Dienst sind auf Ebene der Bundesländer bzw. Kommunen beschäftigt; der Bund hat ca. zwanzig Prozent. Wir machen das z. B. verpflichtend in der Ausbildung der Bundespolizei, da ist seit Jahren 34/40

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selbstverständlicher Bestandteil der Ausbildung die Vermittlung von Wissen um andere Kulturen und Gesellschaftsformen. Das andere, was zum Thema interkulturelle Kompetenz zu sagen ist, ist, dass ich mir mehr wünschen würde. Das muss man noch nicht einmal gesetzlich regeln, das kann im öffentlichen Dienst auch so geleistet werden, dass man gezielter bei Ausbildungsstellen z. B. im Bereich der Polizei, bei Ausbildungsstellen im Bereich von Verwaltungseinheiten auf Schulabsolventen mit Migrationshintergrund zugeht und sie anspricht: „Hast du nicht Lust, kannst du dir nicht vorstellen, bei uns eine Ausbildung zu machen?“ Das wird zu wenig praktiziert. Berlin hat dankenswerterweise, und ich finde das vorbildhaft, im Bereich der Polizei vor Jahren schon entsprechende Initiativen gestartet, ist damit aber bundesweit immer noch in der Minderheit, was die Bundsländer betrifft. Ich glaube, dass auch das ein sehr hilfreicher Beitrag sein könnte, sicherzustellen, dass sich auch im öffentlichen Dienst die Bevölkerungszusammensetzung ein Stück weit widerspiegelt, wie wir sie in Deutschland haben. Henny Engels, Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrates Ich würde gerne noch einmal zu den Integrationskursen zurückkommen. Wir haben es in unserer Stellungnahme etwas satirisch ausgedrückt, als wir geschrieben haben, dass die Bundesregierung von den Integrationskursen selbst so wenig zu halten scheint, dass sie es als Vergünstigung ansieht, dass man sie nicht wahrnehmen muss. Das gilt für alle die Menschen, die visumsfrei ins Land kommen, dass man sie nicht verpflichten kann, dass es nicht kontrollierbar ist; das verstehen wir auch. Was wir nicht verstehen ist, dass man Menschen, die visumsfrei reinkommen, also aus bestimmten Ländern, dass überhaupt nicht dafür geworben wird, dass sie einen Integrationskurs machen müssen. Auch Japanerinnern, die sechs Jahre in Düsseldorf leben – ich komme aus dem Rheinland und weiß, wovon ich spreche – sollten eigentlich integriert werden in diese Gesellschaft. Offensichtlich ist aber das nicht notwendig, und das kommt natürlich bei bestimmten anderen Migrantinnen und Migrantengruppen so an, dass sie offensichtlich ein besonderes Integrationshemmnis haben, weshalb sie eines solchen Kurses bedürfen. Das finde ich schwierig, und wir haben im Innenministerium es angesprochen, aber es wird dann nur auf die rein rechtliche Ebene abgehoben; ich finde aber, das reicht nicht aus. Das Zweite ist: Eines der zentralen Argumente gerade mit Blick auf muslimische Menschen oder Menschen aus muslimisch geprägten Ländern für die Integrationskurse war die Vermittlung des Prinzips der Gleichstellung der Geschlechter. Wir waren sehr beglückt, dass das jetzt offensichtlich eine zentrale Erkenntnis der bundesdeutschen Politik und eines der zentralen Ziele ist, dieses besonders dann zu betreiben. Wir haben aber dann festgestellt, dass in den Curricula der Integrationskurse, also jenseits der Sprachkurse, das Thema Gleichberechtigung überhaupt nicht vorkommt. Und Nachfragen bei Sprachschulen haben ergeben, dass dies den Dozentinnen und Dozenten überlassen bleibt. Zum einen ist es zu der Argumentation, die vorher gelaufen ist, ein bisschen widersprüchlich – um es vorsichtig auszudrücken –, und zum Zweiten, wenn Sie sagen, die Menschen sollen das System kennenlernen, dann wäre das – hoffentlich nicht nur aus unserer Sicht – ein sehr zentraler Punkt, den sie wirklich kennen lernen müssten. Da meine ich allerdings, dass der Bund darauf drängen muss, dass dies verpflichtender Bestandteil ist. Als Letztes, Sie haben eben gesagt, man kann Sechzigjährige nicht zum Besuch eines Integrationskurses verpflichten; ja, das stimmt, aber dafür werben könnten wir. Das andere ist – und die Frage können wir vielleicht heute nicht mehr zu Ende diskutieren, aber es wäre lohnend, sich dazu noch einmal zu treffen: Wo sind eigentlich die Integrationskurse für die 35/40

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Deutschstämmigen? Also die Residenzgesellschaft könnten ja auch Nicht-Deutschstämmige sein. Integrare heißt, wenn ich mich recht erinnere, etwas zusammenfügen, und nicht etwas anpassen. D. h. die Deutschstämmigen müssten auch mal schauen, was sie bei sich verändern, und zwar offensiv, nicht wie beim Essen, dass wir das sehr genießen, dass wir jetzt auch indisch essen gehen dürfen, sondern offensiv etwas verändern. Dazu gibt es keine Anreize, und ich glaube, dass das Integration in der Tat für beide Seiten sehr erschwert. Sebastian Edathy Das mit dem Curriculum greife ich gerne auf. Das wundert mich jetzt auch ein bisschen – ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass das Thema ein verpflichtender Bestandteil ist; wenn nicht, sollte man das ändern. Mein Beispiel mit dem Sechzigjährigen bezog sich nicht auf einen sechzigjährigen Zuwanderer, sondern auf einen sechzigjährigen Deutschen. Die Integrationskurse sind nicht für die siebzig Millionen der Einheimischen da, sondern für die anderen. Auch zu Recht, weil sie vom Ansatz her natürlich schon eine Starthilfe im Kern sein sollen. Ich habe vorher darauf hingewiesen, dass sozusagen sechzig Prozent der Plätze nicht von Neuzuwanderern in Anspruch genommen werden, sondern von Leuten die man – wie ich finde, sehr unschön – im Beamtendeutsch als „Bestandsausländer“ bezeichnet. Wenn Sie Ausländerin sind und schon eine Weile in Deutschland sind, dann sind Sie Bestandsausländerin. Integration der deutschstämmigen Bevölkerung, das ist auch eine Frage vor Ort, wie es in der Kommune geregelt wird. Wie agieren z. B. die Sportvereine, achten die gezielt darauf, dass alle Bevölkerungsgruppen in ihren Reihen vertreten sind? Wie ist das mit der Zusammensetzung von Elternräten in den Schulen? Wie ist das mit Nachbarschaftspflege? Ich kann nicht in ein Gesetz schreiben – nach dem Motto „seid nett zu einander und kümmert euch umeinander“. Ich kann das nur begünstigen durch einzelne Maßnahmen und eine gewisse Rahmensetzung. Mein Eindruck ist, bei der Frage, wer wird aufgefordert, an den Kursen teilzunehmen, dass das schon vernünftig gehandhabt wird. Die Kurse werden nicht ungern besucht, sondern die allgemeine Resonanz, das belegt auch eine entsprechende Studie, die im letzten Jahr vorgelegt wurde, ist sehr, sehr positiv. Die Abbrecherquote liegt bei unter zwei Prozent bei den Kursen, ist also sehr gering, und die Hälfte von denen, die abbrechen, haben dafür auch einen guten Grund - weil sie zum Beispiel eine Arbeitsstelle gefunden haben oder gerade ein Kind vor der Entbindung steht. Insofern war das auch eine virtuelle Diskussion, ob man Sanktionen einführen muss bei Leuten, die mutwillig nicht an dem Kurs teilnehmen, weil das de facto die absolute Ausnahme darstellt. Bei der Frage bei den Nichtneuzuwanderern, wer wird da eingeladen, ist der wichtigste Ansatzpunkt, dass in den Behörden darauf hingewiesen wird, dass es die Möglichkeit gibt, einen solchen Kurs zu besuchen. Das sollte jedenfalls vor Ort so praktiziert werden, d. h. wenn die Leute z. B. zum Einwohnermeldeamt kommen und da ihre Unterlagen abholen oder einreichen, dass sie da auch darauf hingewiesen werden, dass es diese Kurse gibt. Wir haben nicht das Problem, dass die Leute sich weigern würden, dann ein solches Angebot wahrzunehmen, sondern viele haben sehr lange darauf gewartet, dass ein solches Angebot gemacht wird. Verena Bayram, Verband binationaler Familien und Partnerschaften Ich wollte noch einmal auf das Thema „Integration – keine Einbahnstraße“ und auch noch einmal auf „Integrationsforderung an die Mehrheitsgesellschaft“ zu sprechen kommen. Natürlich ist es klar, dass man nicht für siebzig oder achtzig Millionen irgendwelche Integrationskurse anbieten kann. Aber was sehr wohl möglich ist und auch sein muss, ist dass z. B. in der Bildungspolitik, in der Organisation von Schule und vor allem im Unterricht endlich darauf 36/40

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reagiert wird, dass unsere Gesellschaft eben keine monolinguale und monokulturelle Gesellschaft ist und immer weniger wird gerade in Großstädten, sondern dass man mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, die vor allem mehrsprachig sind. Aber der Unterricht ist immer noch organisiert, als ob es eine einsprachige Schülerschaft ist. Wie reagiert wird ist eben, zeigt z. B., dass es in Hessen das Sprachförderprogramm für Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen gibt. Das ist immer der Punkt. Es wird immer daran herumgedoktert, dass sie besser Deutsch lernen, aber eine tatsächliche Veränderung der Unterrichtsmethodik und Didaktik und ein wirkliches Eingehen darauf, dass sie andere Lernvoraussetzungen durch ihre Kompetenzen in mehreren Sprachen haben, fehlt. Ich habe schon Hoffnung, aber ich denke, es wird eine Weile dauern, ähnlich wie es in den Sechzigerjahren die Bildungsoffensive für das katholische Arbeitermädchen vom Lande gab. Ich glaube, dass erst dann, wenn wirklich ein wirtschaftlicher Bedarf da ist und die Entwicklung der Bevölkerung so schwierig wird, dass wir wirklich jedes Kind brauchen, sich wirklich etwas ändert. Aber wir brauchen es jetzt schon. Ich hoffe, es dauert nicht mehr zu lange. Sebastian Edathy Da ist schon ein zutreffender Kern vorhanden; ich glaube aber, dass es nicht zuletzt auch Aufgabe der Eltern ist, sicherzustellen, dass ihr Kind nicht ohne ein vernünftiges Fundament an deutschen Sprachkenntnissen eingeschult wird. Ich glaube, das hat auch etwas zu tun mit Bildung der Elterngeneration, ihnen vor Augen zu halten: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Lebensperspektive eures Kindes in Deutschland ist, ist sehr groß, und wenn ihr eurem Kind einen Gefallen tun wollt, dann ist es natürlich völlig legitim, wenn ihr ihm auch eure Herkunftssprache vermitteln wollt, aber dann bitte immer verbunden mit deutschen Sprachkenntnissen. Das halte ich für absolut zwingend. Natürlich kann man sich darüber unterhalten, das halte ich für sinnvoll, dass man in den Schulen ganz selbstverständlich neben Englisch und Französisch auch Türkisch als erste Fremdsprache anbietet. Das kann man regional unterschiedlich gestalten, und das fände ich angemessen und auch richtig. Zugleich – ich will jetzt gar nicht auf die aktuelle Diskussion mit der Kölner Rede des türkischen Regierungschefs zu sprechen kommen – sage ich: Ich glaube nicht - um ein Bespiel zu nennen – dass wir türkische Gymnasien in Deutschland brauchen, sondern was wir brauchen sind mehr türkische Schüler in deutschen Gymnasien. Das ist meine feste Überzeugung. Aber natürlich muss ich, wenn ich eine größere Schülergruppe ein Jahr vor der Einschulung habe, schauen: Gibt es noch Förderbedarf für das Kind mit Blick auf die bevorstehende Einschulung? Und dann muss gewährleistet werden, dass dieses Kind ein Training bekommt und eine besondere Förderung, damit es auch mithalten kann, wenn die Einschulung erfolgt. Man kann aber auch zugleich sehen, wenn es objektiv so ist, dass es dort Defizite gibt, die nicht nur einzelne Mitglieder künftiger Schulklassen betreffen, sondern mehrere, dass das didaktisch im Unterricht Berücksichtigung findet. Möglicherweise z. B. auch mit zwei Lehrerinnen bzw. Lehrern, eine/r türkischsprachig, eine/r deutschsprachig. Das ist alles diskussionswürdig, aber vom Kern her glaube ich, es ist absolut angemessen, Eltern darauf hinzuweisen, dass es schlichtweg unverantwortlich gegenüber ihren Kindern ist, wenn sie diese in die Schule schicken ohne ausreichende Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Verena Bayram Es ging mir nicht um bilinguale Schulen oder gar türkische Schulen, das ist ein weiterer erstrebenswerter Punkt, gerade bilinguale Schulen. Es gibt mir darum, wie gestalte ich z. B. Deutschunterricht, Mathematikunterricht mit Kindern, die einen anderssprachigen oder mehrsprachigen Hintergrund haben. Weil man dann den Deutschunterricht anders gestalten muss. Diese Kinder lernen anders, sie haben andere Voraussetzungen. Es geht um den

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deutschen Unterricht in deutschen Schulen, aber vor dem Hintergrund einer mehrsprachigen Schülerschaft. Es geht nicht um türkische Schulen oder türkischen Unterricht. Christiane Klingspor Ich würde vielleicht gleich anschließen, weil es dasselbe Thema ist. Man muss, glaube ich, unterscheiden. Es mag diese Integrationskurse geben, die jetzt sozusagen ein definierbares Defizit ausgleichen sollen und die Zwangskurse sind, aber damit ist Integration noch lange nicht gewährleistet. Ich denke eigentlich auf einer anderen Ebene. Dieses Bespiel mit den Schulen ist doch wunderbar. Wieso erlauben wir uns das, dass das gesamte Personal in Schulen nicht systematisch auf multikulturelle Klassen, auf interkulturelle Kompetenz hin geschult ist? Können wir uns das erlauben? Es geht auch nicht nur um die Sprachdefizite der Kinder. Ich kenne z. B. den Fall eines Kindes, das in der Schule massive Schwierigkeiten hatte, weil es den Sprachgestus seines ägyptischen Vaters übernommen hat, der laut ist. Ob jemand laut oder leise redet, ist eine Frage der kulturellen Prägung. Solche Dinge sind den Lehrern häufig überhaupt nicht bewusst. Deswegen denke ich, wir brauchen nicht nur für Beamte, sondern wir brauchen im Grunde für alle gesellschaftlichen Bereiche interkulturelle Kompetenz, wir brauchen Integrationsfähigkeit auf Seiten auch der Mitglieder der Residenzgesellschaft. Das ist etwas, wo ich denke, wozu man nicht die Individuen zwingen muss, was man aber systematisch eintakten muss in die gesellschaftlichen Lernprozesse. Jakeline Hamzeh­Holle, Evangelische Frauen in Deutschland Sie haben es selber gesagt und Vorschläge dazu gemacht, und wir haben sehr gute Vorschläge gehört hier in der Runde: Es besteht wirklich Bedarf auf Seiten der Schulen – die PISA-Studien bestätigen das auch –, dass auch auf Seiten des Personals etwas passiert. Interkulturelle Kompetenz, Sprachkompetenzen - sich darauf zu verlassen, dass alle Elternhäuser das aufgreifen wollen und auch vermitteln können, halte ich für eine sehr hohe Erwartung. Sebastian Edathy Die habe ich auch gar nicht. Deswegen ist es ja gerade, wenn ich die Erwartung nicht habe, umso wichtiger, dass im Rahmen der schulischen Bildung sozusagen an der einen oder anderen Stelle Lücken aufgefüllt werden können, deren Auffüllung im Elternhaus eben unwahrscheinlich ist. Das war mein Ansatzpunkt. Brunhilde Raiser Ich komme mit diesem Tagesordnungspunkt so langsam zum Ende, damit ich wirklich vernünftig mit Ihrer Zeit, Herr Edathy, umgehe. Wir haben das nicht weiter verfolgt jetzt in dieser Diskussion, aber ich habe mit relativem Entsetzen wahrgenommen, dass Sie sagten, ausländerrechtlich, rückkehrrechtlich sehen Sie wenig Chancen. Ich möchte das ungern aufgeben und gebe Ihnen als Vorsitzendem des Innenausschusses die deutliche Bitte um ein Gespräch mit dem Vorstand des Deutschen Frauenrates mit. Wir würden gerne die Möglichkeit nutzen, im direkten Gespräch Überzeugungsarbeit zu leisten, die Sie ganz bestimmt versuchen zu leisten. Wir sind ja überparteilich und von daher ein wenig ungebundener als andere und damit etwas, wie soll ich es sagen, außerhalb des klassischen Clinchs. Ich bitte Sie sehr, das, was Sie heute gehört haben, an die entsprechenden Stellen mitzunehmen und auch ggf. bei Nachfragen mit uns im Kontakt zu bleiben. Ich mache an dieser Stelle nur einen Gedankenstrich, wünsche Ihnen einen guten Flug und hoffentlich gute Erfahrungen bei der Wahlbeobachtung, nicht nur für Sie, sondern für Pakistan selbst.

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Sebastian Edathy Das ist sogar noch wichtiger, würde ich sagen. Ich darf mich noch einmal herzlich für die Einladung bedanken. Es ist so, dass der Innenausschuss regelmäßig zu Gesprächen mit verschiedensten Verbänden zusammenkommt, also zu Fragen der Menschenrechte z. B. oder der nationalen Minderheiten, die wir in Deutschland haben, oder zu Fragen des Rassismus. Ich würde den Vorschlag machen, und ich bin auch sicher, es wird aufgegriffen werden, dass wir mal einen Termin vereinbaren mit Vertreterinnen des Deutschen Frauenrates zu Sie besonders interessierenden Aspekten, gerade zu ausländerrechtlichen Fragestellungen unter frauenspezifischen Gesichtspunkten. Ich kann nur hoffen, dass Sie da am Ball bleiben und auch einmal mit der Integrationsbeauftragten sprechen. Gerade bei der Diskussion über die Integration ist es wichtig, dass man nicht nur sonntags schöne Worte formuliert, sondern auch am Montag vernünftige Taten folgen lässt. Das kann noch besser werden. Brunhilde Raiser Meine lieben noch vorhandenen Teilnehmerinnen, ich denke, wir müssen schauen, was für uns heute noch ansteht. Auf der Tagesordnung steht Resümee. Normalerweise hat ein Resümee immer die Moderatorin zu machen, das kann ich gerne tun, aber vielleicht gibt es auch aus Ihren Reihen Beträge für dieses Resümee. Ansonsten würde ich jetzt einfach relativ schnell bündeln, weil ich merke, dass die Reihen sich lichten. Marianne Arndt, Interkulturelles Lernhaus Ich bin Lernhausfrau und habe für mich eigentlich geschlussfolgert, dass es unbedingt an der Zeit ist, dass wir Mitglieder der Residenzgesellschaft mehr Bereitschaft entwickeln, uns zu öffnen und den Problemen der Migrantinnen uns zuzuwenden. Das ist in einigen Beiträgen heute noch einmal zum Ausdruck gekommen, und ich möchte das für mich eigentlich als Schlussfolgerung mitnehmen. Brunhilde Raiser Hier haben wir noch ein Begriffsproblem zu klären. Ich gebe zu, dass ich den Begriff der Residenzgesellschaft auch noch nicht kannte, vielleicht sollten wir uns da noch einmal mit Frau Klingspor unterhalten. Jedenfalls denke ich, es ist auch wichtig, sich über diese Begriffe zu verständigen, weil mit jedem Begriff Konnotationen mitschwingen und unterschiedliche, das muss man auch bedenken. Ich will das jetzt aber im Moment auch nicht werten. Inge v. Bönninghausen Ich würde nur gerne einen ganz kleinen Betrag dazu leisten, dass alle, die die jetzt hier sind und dringend an dem Thema weitermachen möchten, auch schon bevor die Dokumentation da ist, etwas mitnehmen können. Hinten liegen die Postkarten von „Muslimische-Stimmen.de“. Alle, die vorhin in dem Workshop waren, haben versprochen, spätestens nächste Woche auf diese Website zu gehen. Ich möchte Ihnen allen, damit Sie in diese Spanne bis zur Dokumentation gut bei Thema bleiben können, empfehlen, nehmen Sie sich die Postkarte da hinten und gehen Sie auf die Website. Verena Bayram Ich möchte es noch einmal ergänzen, dass man den Blick, den wir heute auf Migrantinnen geworfen haben oder auf das Thema Migration, Integration, dass man nicht nur den Blick auf die Probleme richtet – der ist sicherlich notwendig –, sondern dass wir eben auch den Blick werfen auf die Ressourcen und Kompetenzen und auf die Chancen, die in Migration liegen und auf die vielen Kompetenzen, die Migrantinnen mitbringen und die vielen Ressourcen, die wir auch nutzen können. Dass man praktisch den Blick auch rund macht. 39/40

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Brunhilde Raiser Ich hatte ja bereits gesagt, dass der Frauenrat an der Thematik dran bleibt, und ich spreche bewusst von Thematik, nicht von Problematik. Ich hoffe, dass wir im Austausch bleiben können mit denjenigen Organisationen, Gruppenvertreterinnen, mit denen wir heute auch zusammengetroffen sind. Ich finde es sehr wichtig, dass wir miteinander reden, nicht übereinander, und ermuntere von daher auch die Gruppen ihrerseits, immer wieder auf uns zuzukommen bzw. andere auch dazu zu motivieren. Auch wenn das nicht in einer Mitgliedschaft im Deutschen Frauenrat enden kann oder muss - das miteinander Reden, das miteinander Arbeiten ist in jedem Fall ein Schritt nach vorne, und ich bitte darum, dass wir das auf allen Ebenen auch versuchen. In diesem Sinne hoffe ich, dass wir uns nicht haben entmutigen lassen von Herrn Edathys Aussagen, dass er an manchen Stellen wenig Beweglichkeit sieht. Wir müssen einfach zäh dran bleiben, und ich hoffe, jede tut es an ihrem Platz und miteinander. In diesem Sinne einen guten Heimweg und ein baldiges Wiedersehen, wo auch immer.

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