Michael Tilly. Das Judentum. marixverlag

Michael Tilly Das Judentum marixverlag Unbenannt-4 3 15.05.2012 15:39:31 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsc...
Author: Günter Krüger
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Michael Tilly

Das Judentum

marixverlag

Unbenannt-4 3

15.05.2012 15:39:31

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Es ist nicht gestattet, Abbildungen und Texte dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder mit Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Alle Rechte vorbehalten 4., korrigierte und ergänzte Auflage 2012 © by marixverlag GmbH, Wiesbaden Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH nach der Gestaltung von Thomas Jarzina, Köln Bildnachweis: akg-images GmbH, Berlin Satz und Bearbeitung: C&H Typo-Grafik, Miesbach Gesetzt in der Palatino Gesamtherstellung: CPI books GmbH, Ulm Printed in Germany ISBN: 978-3-86539-910-6 www.marixverlag.de

Unbenannt-4 4

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Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Aus der Geschichte des Judentums . . . . . . . . . . . . .

11

Antike  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Babylonien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Das Mu erland   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Tempel und Tempelopfer  . . . . . . . . . . . Exkurs: Qumran  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16 19 26

Ägypten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

Mi elalter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

Palästina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

Die östli e Diaspora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Die Chasaren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41 43

Spanien und Südfrankrei

44

  ................... land  . . . . . . . . . . . .

51

Neuzeit und Gegenwart  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

Palästina und der Staat Israel  . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

Deuts

land  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

2. Dokumente des Judentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

Die Tora  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

Die hebräis

97

Das Frankenrei

und Deuts

e Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . er Zeit  . .

99

Die Apokalyptik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

101

Philon von Alexandrien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

104

Flavius Josephus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105

Jüdis

eS

ri en aus hellenistis

-römis

5

Inhalt

Die rabbinis e Traditionsliteratur  . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Der Rabbiner  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109 109

Die Mis

na   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113

Die Tose a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

116

Die Talmudim  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

118

Der jerusalemis

e Talmud  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

119

e Talmud  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

121

im  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123

Die Targumim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

126

Responsen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128

Ras

i  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

130

Maimonides  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

134

Die Kabbala   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

137

Joseph Karo und der S

 . . . . . . . . . . . . .

141

Moses Mendelssohn  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143

Martin Buber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

146

Emmanuel Lévinas  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

151

3. Lebensformen des Judentums . . . . . . . . . . . . . . . . . .

155

Feste und Riten im Lebenszyklus  . . . . . . . . . . . . . . . . .

157

Der babylonis Die Midras

an Aru

neidung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

158

Bar und Bat Mizwa  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Jüdis e Symbole in Go esdienst und Alltag  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161

Ho

zeit und Ehestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

164

Tod und Trauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

167

Der jüdis

e Friedhof  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

170

Feste und Gedenktage im Jahreszyklus  . . . . . . . . . . . .

174

Die Bes

Die jüdis

6

ul

e Zeitre

nung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161

174

Inhalt

ana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

177

Jom ha-Kippurim  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

177

Sukkot  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179

Chanukka  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

181

Purim  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183

Pesa

 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

185

avuot  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

187

Der 9. Av  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

189

Zivilreligiöse Feiertage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

190

Der Sabbat  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191

Die Synagoge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

194

Der synagogale Go esdienst  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

197

Speise- und Reinheitsgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

209

Literatur (in Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

221

Ros

S

ha-S

7

Einleitung Das Judentum ist trotz der verglei sweise geringen Anzahl seiner Bekenner (ca. 13 Millionen Mens en auf der Welt sind jüdis en Glaubens) eine überaus lebendige und vielgestaltige Weltreligion. Jüdis e Gemeinden sind heute in allen Teilen der Erde anzutreffen. Das Judentum ist die älteste monotheistis e Weltreligion. Seine wi tigsten Voraussetzungen und Grundlagen sind der strenge Monotheismus, d. h. der Glaube an den einen und einzigen Go Israels, und die zentrale Bedeutung der als unmittelbar von Go geoffenbart geltenden fünf Bü er Moses, der Tora. In dem vorliegenden Bu soll in differenzierend gewi tender Weise aktuelles Grundwissen über wesentli e und beispielha e Aspekte des Judentums vermi elt werden. Diese Vermi lung ges ieht aus drei Bli winkeln. Das erste Kapitel soll zunä st in Raum und Zeit orientieren, indem wi tige Phasen und Ereignisse in der bewegten Ges i te des Judentums als eines komplexen kulturellen Systems von seinen na biblis en Anfängen bis in die Gegenwart knapp und übersi tli dargestellt werden, ohne dabei die Ges ehenszusammenhänge aus den Augen zu verlieren. Die Darstellung des Judentums im Altertum konzentriert si auf die drei antiken Zentren jüdis en Lebens in Babylonien, im Mu erland und in Ägypten, von denen jedes seinen eigenen Beitrag zur Entwi lung des jüdis en Glaubens geleistet hat. S werpunkte bei der Skizzierung jüdis en Lebens im Mi elalter sind Palästina, die östli e Diaspora, die Iberis e Halbinsel, das Frankenrei und Deuts land. Aus der Fülle der Lebensäußerungen des neuzeitli en und gegenwärtigen Judentums sind beispielha die we selha e Ges i te des Judentums in Palästina und im modernen Staat Israel sowie das überaus lebendige deuts e Judentum ausgewählt. Juden in aller Welt verbindet bei aller religiöser und kultureller Vielfalt die Hingabe an den einen gnädigen und gere ten

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Einleitung

Go und die Auseinandersetzung mit seinen Geboten. Seit der Antike bemühte si das Judentum fortwährend, si seiner Existenz und dem verpfli tenden Charakter seiner Erwählung denkend zu vergewissern. Im zweiten Kapitel werden deshalb einige bedeutende Glaubensdokumente, Werke und Persönli keiten des Judentums aus drei Jahrtausenden vorgestellt, die als Ausdru dieser fortwährenden Vergewisserung gelten und zuglei die faszinierende Vielfalt und Lebendigkeit der jüdis en Religion zeigen. Die gelebte jüdis e Frömmigkeit wird traditionell von den Geboten der Tora bestimmt. Sie sti et Heil und Orientierung, ermögli t ein Leben in Übereinstimmung mit dem Willen Go es und gibt dem Alltag wie dem Fes ag Struktur und Bedeutung. Die jüdis en Feste und Bräu e im Jahreszyklus stellen die Go esbeziehung regelmäßig wiederkehrend dar und dienen der Stärkung und der Erneuerung der jüdis en Identität. Im dri en Kapitel werden deshalb zunä st Lebensformen und Symbole des Judentums im Lebenszyklus und im Jahreszyklus bes rieben. S ließli widmet si ein Abs ni dem jüdis en Go esdienst in Ges i te und Gegenwart und gibt Auskun über wi tige Gebete, rituelle Handlungen, Speiseund Reinheitsgebote. Es ist dem Verfasser dieses Bu es vor allem daran gelegen, dass jüdis e Ges i te, Literatur und Lebensformen als lebendige – und si weiterhin entwi elnde – Ausdru sformen des immensen s öpferis en Beitrags der jüdis en Religion zu den bleibenden Errungens a en der Geistes- und Kulturges i te erkannt werden. Gerade in Deuts land gehört das Judentum zu den grundlegenden Faktoren bei der Entstehung der eigenen – von den Nationalsozialisten aufgegebenen – Zivilisation und Kultur. Ohne das Verständnis des Judentums bleibt das Verständnis ni t nur der gesamten deuts en Ges i te unvollkommen. Die vorliegende 4. Auflage enthält weitere Korrekturen und Ergänzungen. Mein Dank gilt Prof. Dr. Wolfgang Kraus für seine wertvollen Hinweise und Herrn Fritz Krause für die aufmerksame Dur si t der Dru vorlage. Tübingen, im April 2012

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Mi ael Tilly

1. AUS DER GESCHICHTE DES JUDENTUMS

Antike

Antike

Babylonien Grundlegende Kennzei en der antiken jüdis en Religion sind ihr strenger Monotheismus, die Kultzentralisation, die zentrale Bedeutung der als unmi elbar von Go geoffenbart geltenden Tora (s. u. S. 93 ff.) und dur die Tora begründete Identitätsmerkmale wie Sabbatheiligung, Reinheitsbestimmungen und Bes neidung. Das Judentum war und ist eine Bu religion. Die in der Zeit während und na dem babylonis en Exil (587/586–538 v. Chr.) entstandene s ri li e Tora ist die historis e Voraussetzung des Judentums. Erst im Land zwis en Euphrat und Tigris südli des heutigen Bagdad entstand auf der Basis altisraelitis er religiöser Traditionen die jüdis e Religion. Die vers leppten Judäer nahmen viele Elemente aus ihrem kulturellen und religiösen Umfeld auf, verknüp en sie mit ihren eigenen Traditionen und entwi elten sie in kreativer Weise weiter. Hieraus ergibt si die Konsequenz, ni t die heilsges i tli e Ges i tsbetra tung der Bibel innerhalb des Horizontes frommer jüdis er (und ristli er und islamis er) Tradition als Orientierungsrahmen dieser Darstellung wesentli er Phasen der bewegten jüdis en Ges i te zu Grunde zu legen, sondern die philologis und ges i tswissens a li verantwortete Analyse und Interpretation der ges i tli en Quellen. Im Jahre 597 v. Chr. verlor Juda seine Unabhängigkeit, na dem es seinen Vasalleneid gegen Nebukadnezzar II. (605 –562 v. Chr.), den Begründer des neubabylonis en Rei es, gebroen ha e. Der judäis e König Joja in wurde zusammen mit Priestern, Ho eamten und Teilen der städtis en Obers i t aus Jerusalem na Babylonien deportiert. Im Juli 587/586 v. Chr. eroberten die Truppen Nebukadnezzars endgültig die Stadt

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1 Aus der Geschichte des Judentums

Jerusalem, das einstige politis e Zentrum des Rei es Juda, und zerstörten den salomonis en Tempel, den uneinnehmbar geglaubten Wohnsitz des Go es Israels. Das Königrei Juda wurde zu einer tributpfli tigen babylonis en Provinz. Viele Bewohner Jerusalems und der umliegenden Gebiete wurden in einer zweiten Welle na Babylonien vers leppt (vgl. 2. Kön 25). Die Gemeins a dieser judäis en Exulanten, die zumeist in zusammenhängenden Gemeinden im südöstli en Babylonien als Bauern und Hirten lebten und von den Babyloniern in vielerlei Berufen als Arbeitskrä e eingesetzt wurden, verstärkte si in den folgenden Jahrhunderten immer wieder dur Zuwanderung. Im babylonis en Exil entwi elte si abseits der israelitis en religiösen Traditionen die monotheistis e Glei setzung des Go es Israels mit dem S öpfergo . Es entstanden grundlegende kultis e und re tli e Abs ni e der Tora als s ri li e Fundamente des jüdis en Glaubens. Um dem Anpassungsdru der fremdgläubigen Umwelt standzuhalten und die eigene Identität zu wahren, führten die Deportierten die Sitte der Bes neidung (s. u. S. 158 ff.) der männli en Erstgeborenen ein, die in Babylonien unübli war. Sie gestalteten den Sabba ag, der wahrs einli in seinem Ursprung ein Vollmondfest am Jerusalemer Tempel war, als allwö entli en Feiertag mit Arbeitsruhe. Die Reinheits- und Speisegebote, die ursprüngli dem priesterli en Berei entstammten, dienten nun der sozialen Abgrenzung der Judäer zwis en Euphrat und Tigris und stärkten ihr Zusammengehörigkeitsgefühl im Alltag. Aus einer ortsgebundenen Religion begann während der Exilszeit eine Religion der S ri zu werden. Die Tora wurde zum eigentli en Bindeglied zwis en dem Volk Israel und seinem Go . Jedo konnte au im babylonis en Exil der Jerusalemer Go esberg Zion als Ort der heiligenden Go esnähe Orientierungspunkt religiöser und nationaler Hoffnungen bleiben. Unter den Angehörigen der aus Jerusalem vers leppten Obers i t wurde die – nun unerrei bar weit entfernte – Heimatstadt Jerusalem zunehmend S auplatz des erho en endzeitli en Eingreifens Go es zugunsten seines bedrängten Volkes. Au na der Eroberung des neubabylonis en Großrei es dur den Perserkönig Kyros II. (539 v. Chr.) und der von ihm

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Antike

tolerierten Rü kehr der Exulanten in ihre Heimat, wo es ihnen gesta et war, ihren Tempel wiederaufzubauen, blieb ein ni t geringer Teil von ihnen in Babylonien, wo sie seit dem ersten Jahrhundert als feudal strukturierte, autarke Bevölkerungsgruppe von einem jüdis en Exilar en (»Res Galuta«) angeführt wurden. Dieses bis ins 11. Jahrhundert fortdauernde Amt wurde von Generation zu Generation vererbt. Die Mehrzahl der babylonis en Juden lebte als Bauern und Handwerker. Die Unters i t bestand aus Lohnarbeitern und Sklaven. Einige wenige babylonis e Juden waren am Fernhandel beteiligt. Zunä st no unter seleukidis er Herrs a lebend, gerieten die babylonis en Juden 240 v. Chr. in den Ma tberei der Arsakiden. Der Norden Mesopotamiens gehörte zeitweilig zum römis en Rei . Während der langen Herrs a der Sassaniden (seit 224) lebten sie vorwiegend von der Landwirts a , von der S ifffahrt und dem Handel. Jedo kam es in der Anfangszeit der Sassanidenherrs a immer wieder zu lokalen Zerstörungen von Synagogen und jüdis en Grabstä en und au zu religionspolitis motivierten krisenha en Perioden der Unterdrü ung und Verfolgung. Im Jahre 495 ausbre ende jüdis e Aufstände mit dem Ziel der Erri tung eines unabhängigen jüdis en Königrei s wurden von Chawad I. (488–531) niederges lagen; die Anführer der Rebellen wurden hingeri tet. Erst unter dem Sassanidenherrs er Chosrau I. (531–578) stabilisierte si die Lage für das Judentum im Zweistromland dauerha . Jüdis e Soldaten beteiligten si am Kampf der Sassaniden gegen Rom. Die Verbindung des babylonis en Judentums mit Jerusalem war stets weitaus enger als die Beziehung zwis en der alexandrinis en Diaspora (»Zerstreuung«) und dem Tempelstaat. Na dem jüdis en Krieg und ebenso na dem Bar-Ko baAufstand (s. u. S. 30 f.) kamen zahlrei e Flü tlinge aus Palästina na Babylonien. Das Aramäis spre ende babylonis e Judentum konnte über die Jahrhunderte eine eigenständige religiöse und kulturelle Tradition entwi eln, die in der im Zweistromland zwis en Euphrat und Tigris entstandenen rei en rabbinis en Literatur, insbesondere im babylonis en Talmud (s. u. S. 118 ff.), erhalten ist.

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1 Aus der Geschichte des Judentums

Das MuĴerland Im Jahre 587/586 v. Chr. kam es zur endgültigen Einnahme der Stadt Jerusalem dur Nebukadnezzar II. Jerusalem, das einstige politis e Zentrum des judäis en Staates, und der salomonis e Tempel, der uneinnehmbar geglaubte befestigte Wohnsitz Go es, waren von den Babyloniern nahezu vollständig zerstört worden. Der mä tig geglaubte Go esberg Zion war nur no ein S u hügel in einer verwüsteten und entvölkerten, ma tlosen und politis abhängigen kleinen Stadt. Allerdings gab es in Jerusalem au in den Jahrzehnten na der Deportation des Großteils der Priesters a wahrs einli no einen bes eidenen Opferbetrieb. Na dem Sieg des Kyros II. (601–530 v. Chr.) über die Neubabylonier wurde Judäa unselbständiger Teil einer persis en Provinz. S on im darauffolgenden Jahr wurden der regelmäßige Opfergo esdienst und der Wiederau au des Heiligtums in Jerusalem dur ein königli es Dekret wieder gesta et. Diese Maßnahmen der Perser, die hierdur das Problem der Kontrolle ihres weiten Herrs a sraums zu lösen tra teten, beabsi tigten die S affung eines organisatoris en und räumli en Zentrums der regionalen Verwaltung, das vor allem dem effizienten Eintreiben von Steuern und Tributen zugute kommen sollte. Sie trugen aber au zur Förderung der ethnis en und religiösen Identität der jüdis en Stadtbevölkerung Jerusalems bei. Unter den Bewohnern Jerusalems s eint das Bedürfnis na einem Wiederau au des Tempels angesi ts des allgegenwärtigen Elends zunä st gering gewesen zu sein. Denno propagierten priesterli e und prophetis e Kreise die Notwendigkeit, das irdis e Kultzentrum wieder herzuri ten. Dieser Ort der rituellen Entsühnung des judäis en Volkes dur Opfer verhinderte ihrer Überzeugung na die Anhäufung ungesühnter S uld bzw. die hierdur bewirkte Anballung unheilvoller Ma t. Die Wiederherstellung des Jerusalemer Tempels sei unbedingte Voraussetzung allen von hier aus in die Welt strömenden Segens. Die Bots a der Propheten Haggai und Sa arja, die diesen Gedanken Ausdru verlieh, indem sie den Tempel als Quelle paradiesis en Heils s ilderten, fand ihren Wider-

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Antike

hall in der Hoffnung eines Teiles der Bewohner Jerusalems. Man glaubte, allein das baldige wunderbare Eingreifen Go es selbst könne einerseits die überlebensnotwendige Fru tbarkeit des Landes bewirken, andererseits der Stadt zu ihrer einstigen nationalen Bedeutung und Ma t verhelfen und damit au jeden Einzelnen aus seiner aktuellen Notsituation befreien. Erst im Jahre 515 v. Chr. fand die Einweihung des mit persis er Unterstützung erri teten Zweiten Tempels in Jerusalem sta . Die in den folgenden Jahrhunderten mehrfa umgebaute und erweiterte Tempelanlage wurde na dem Vorbild auf dem Fundament und na den Maßen des zerstörten salomonis en Tempels erri tet, jedo in weitaus bes eidenerem Rahmen als dieser. Ihre ar itektonis e Grundstruktur unterteilte das Tempelgelände in vers iedene Berei e abgestu er Heiligkeit, die als aufeinanderfolgende Höfe und Räume glei sam konzentris er Kreise das Allerheiligste als ideales Zentrum der gö li en Sphäre umgaben und deren Betreten eine entspre end abgestu e rituelle Reinheit (s. u. S. 209 ff.) erforderte. Vor allem das na dem Ende des davidis en Königtums entstandene Ma tvakuum in Judäa trug zu einem ras en Anstieg von Ma t und Einfluss der Jerusalemer Priesters a bei. Als einzige au in der Krisenzeit des babylonis en Exils no organisierte und verfasste gesells a li e Gruppe trat sie gegenüber dem eigenen Volk und gegenüber den persis en Behörden zunehmend als Repräsentantin der Allgemeinheit auf. Man kann annehmen, dass die meisten dieser Priesterfamilien aus Babylonien kamen. Ihre Ansiedlung in Judäa wurde von den Persern, die so eine lokale Führungss i t in der fernen Provinz zu installieren beabsi tigten, tatkrä ig unterstützt. Es ist zu bea ten, dass die aus dem Exil im babylonis en Kernland zurü gekehrten politis en und religiösen Funktionsträger hierdur au eine besondere ideelle Position in der judäis en Bevölkerung erlangten. Sie stellten nun wieder das Kultpersonal des Tempels unter der Führung der hohenpriesterli en Dynastie mit eigenen, dur die bauli e Strukturierung des Tempelraums au ar itektonis gekennzei neten Monopolberei en. Ihre besondere Position ermögli te es den Priestern bald, als die einzigen legitimen Hüter des religiösen und nationalen Erbes aufzutreten. Ungea tet der Tatsa e, dass die

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1 Aus der Geschichte des Judentums

Bevölkerung Judäas und Jerusalems nun keine territoriale und staatli e Einheit mehr besaß, wu s ihr Einfluss auf die bei der Wegführung im Land verbliebenen Judäer, die mi lerweile zugewanderten, ehemaligen Nordrei bewohner im Land und die jüdis en Gemeinden in der gesamten Diaspora. Unter dem Sta halter Nehemia (ca. 445 –433 v. Chr.) wurde Jerusalem die ummauerte und wieder von ca. 1200 bis 1500 Mens en besiedelte Hauptstadt der kleinen und armen, jedo aufgrund des Verlaufs der wi tigen Fernhandelsstraßen wirts a li äußerst wi tigen Provinz Jehud im Südwesten des Perserrei es zwis en Mi elmeer und Antilibanon. Dem Jerusalemer Tempel kam wieder eine hohe Bedeutung als religiöser und nationaler Orientierungspunkt für die jüdis en Bewohner der Provinz zu. Der fortgesetzte Opferkult (s. u. S. 19–21) und die gemeins a li en Feste im Tempel befriedigten das Bedürfnis vieler dieser Mens en na Absi erung vor der drohenden Gefahr einer mögli en Wiederholung der erlebten nationalen Katastrophe. S on allein aus diesem Grund finanzierte au die jüdis e Bevölkerung dur ihre Abgaben in Form von Geld und Naturalien den laufenden Kultbetrieb, notwendige Baumaßnahmen und au den Unterhalt der Priester und Tempelbeamten. Bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. ha e si auf dem Gebiet des ehemaligen Nordrei s Israel die samaritanis e Religionsgemeins a als eine jüdis e priesterli e Sondergruppe gebildet. Als strikte Jahweverehrer, die wohl nur das Kultmonopol Jerusalems ablehnten, erri teten die dissidenten Priester zur Zeit Alexanders des Großen (356–323 v. Chr.) auf dem Berg Garizim ein separates Kultzentrum mit eigenem Opferbetrieb gemäß den Bestimmungen der Tora. Der bei Si em (dem heutigen Nablus) gelegene Garizim gilt den Samaritanern, von denen es gegenwärtig nur no wenige Hundert gibt, bis heute als kultis er Mi elpunkt. Dur die Zerstörung Si ems und des Tempels auf dem Garizim im Jahre 129 v. Chr. waren die Samaritaner genötigt, die Legitimation der eigenen Religionsgemeins a neu zu begründen und zu legitimieren. Es kam zur Fixierung einer besonderen samaritanis en Verständnistradition der Tora mit einer eigenständigen S ri tradition. Im jüdis en Krieg (s. u. S. 26)

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Antike

nahezu ausgero et, kämp e die kleine samaritanis e Religionsgemeins a in den folgenden Jahrhunderten ums Überleben. Der Kultbetrieb auf dem Garizim kam jedo bis heute nie gänzli zum Erliegen.

Tempel und Tempelopfer Für das Judentum in Palästina und in der gesamten antiken Welt war der Jerusalemer Tempel das verbindende Symbol der nationalen und religiösen Zusammengehörigkeit, selbst wenn man unter einer anderen Herrs a loyal lebte. Die Angehörigen der 24 priesterli en Dienstabteilungen (»Mis marot«), denen man dur Familienzugehörigkeit angehörte, kamen aus ihren vers iedenen Wohnorten im ganzen Land in regelmäßigen Abständen zur Verri tung ihres siebentägigen Opferdienstes na Jerusalem. Die individuellen Aspekte des Opfers, die in den älteren S i ten der biblis en Überlieferung begegnen, etwa in den Väterges i ten des Bu es Genesis, traten in hellenistis römis er Zeit in den Hintergrund. Der Aspekt der allgemeinen Sühnefunktion des Tempelopfers (vgl. Lev 17,11 u.ö.) war hingegen umso bedeutender geworden; das Streben na Sühne und Sündenvergebung wurde zum eigentli en Beweggrund und Zwe vieler Opferhandlungen. Beides wurde dem gesamten Volk Israel und jedem einzelnen Frommen dur die fortwährenden und korrekt vollzogenen Opfer im Jerusalemer Tempel immer wieder von neuem ges enkt. Von ebenso hoher Bedeutung wie die Sühnefunktion des zentralisierten Tempelopfers war au der Gedanke, dass der Kosmos dur den Jerusalemer Tempel als Mikrokosmos repräsentiert wird und dass die ritualgere te Opferkult- und Festpraxis unmi elbar mit der kosmis en Ordnung zusammenhängen. Der Opferkult im Tempel sollte das Ges ehen in der Welt beeinflussen. War das Tempelopfer in Ordnung, war au die Welt in Ordnung. Darum wurde es als von größter Bedeutung für das individuelle S i sal wie au für das Ergehen aller Mens en verstanden, sämtli e Bestandteile und Regeln der vorges riebenen Opfervors ri en genauestens zu bea ten und ri tig auszuführen; im Glauben nahezu aller Juden in

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1 Aus der Geschichte des Judentums

hellenistis -römis er Zeit war dies von grundlegender Bedeutung. Ein sol es Verständnis des Opfergo esdienstes im Jerusalemer Tempel muss als allgemeines und verbindendes Kennzei en antiker jüdis er Frömmigkeit angesehen werden. Juden aller gesells a li en S i ten in aller Welt entri ten deshalb anstandslos die Tempelsteuer. Die unters iedli en, mehr oder weniger prestigeträ tigen Aufgaben und Arbeiten bei den tägli en Tempelopfern, den Fest- und Privatopfern wurden unter den diens uenden Priestern ausgelost. Die Opfer kamen entweder Go selbst, dem Heiligtum oder dem amtierenden Kultpersonal zu. Auf dem freien Platz im Priesterhof östli vom eigentli en Tempelgebäude befand si der steinerne Brandopferaltar, der über eine lange Rampe auf seiner Südseite zu errei en war. Die Darbringung des tägli en Brandopfers (»Tamid«) auf diesem Altar stand neben der Darbringung des Räu eropfers im Heiligtum im Mi elpunkt des regelmäßigen Opfergo esdienstes, der am frühen Morgen (»S a arit«; s. u. S. 202) und am späten Na mi ag (»Min a«; s. u. S. 202) vor den Augen der im Vorhof der Israeliten versammelten Gemeinde sta fand. Beim tägli en Brandopfer stemmte ein Priester dem Opfertier zunä st seine Hände auf. Das Tier, ein einjähriges Lamm, wurde soglei in ritueller Weise ges la tet und sein Blut (s. u. S. 210) aus einer S ale an die E en des Altars gesprengt. Der Hohepriester selbst amtierte dabei nur vor dem und am Versöhnungstag (s. u. S. 177–179), während der Sabbate (s. u. S. 191 ff.), an Neumondtagen und bei festli en Anlässen. Andere Priester zerteilten den Kadaver. Darauf spra en sie Gebete und Benediktionen (»Lobpreisungen«), bei denen die – männli en und rituell reinen (s. u. S. 210) – Juden, die dem Opfer im Vorhof der Israeliten beiwohnten, betend respondierten. Die einzelnen Stü e des Brandopfertieres wurden na einander in das Feuer geworfen, wo sie verbrannten. Begleitet wurde das gesamte Opferges ehen vom Gesang der levitis en Tempelsänger. Beim tägli en Opfer und beim Brandopfer eines Privatmannes wurde das Opfertier ganz verbrannt, ohne dass die Priester oder der Spender etwas davon bekamen. Als private Brandopfer kamen nur makellose männli e Tiere in Betra t, und zwar Rinder, S afe oder Ziegen (Lev 1). Ledig-

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