Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie

Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie Ansätze – Personen – Grundbegriffe Bearbeitet von Ansgar Nünning 4., aktualisierte und erweiterte Aufl...
Author: Marie Albrecht
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Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie

Ansätze – Personen – Grundbegriffe

Bearbeitet von Ansgar Nünning

4., aktualisierte und erweiterte Auflage 2008. Buch. XII, 808 S. Hardcover ISBN 978 3 476 02241 7 Format (B x L): 15,5 x 23 cm Gewicht: 1439 g

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978-3-476-02241-7 Nünning, Literatur- und Kulturtheorie © 2008 Verlag J.B. Metzler (www.metzlerverlag.de)

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Vorwort

Kein Teilbereich der Literatur- und Kulturwissenschaften hat in den letzten Jahrzehnten einen ähnlichen Boom erlebt wie die Theoriebildung, die die Entwicklung aller Philologien betrifft. Die seit Ende der 1960er Jahre erhobene Forderung nach einer stärkeren Theoretisierung der Geisteswissenschaften hat inzwischen zur Entwicklung einer Vielzahl literatur- und kulturwissenschaftlicher Theorien, Modelle und Methoden geführt. Ob es sich dabei um eine begrüßens- oder beklagenswerte Entwicklung handelt, mag zwar eine Frage sein, über die sich trefflich streiten lässt, unstrittig ist jedoch zweierlei. Erstens hat sich inzwischen die Einsicht durchgesetzt, dass jede Form von Erkenntnis, Beobachtung und Interpretation theoriegeleitet ist. Der von Theoriegegnern gern herausgestellte Gegensatz zwischen einem theorielastigen und einem ›direkten‹ oder ›unverstellten‹ Zugang zu literarischen Texten erweist sich daher als eine falsch formulierte Alternative: Die Frage lautet nicht, ob sich Literatur- und Kulturwissenschaftler bestimmter Theorien, Modelle und Konzepte bedienen oder nicht, sondern wie bewusst sie sich ihrer theoretischen und methodischen Prämissen sind und wie explizit sie die verwendeten Kategorien darlegen. Zweitens beweist ein Blick in die Vorlesungsverzeichnisse und Prüfungsordnungen der Universitäten, dass die Darstellung theoretischer Grundlagen der Literatur- und Kulturwissenschaften in Lehrveranstaltungen eine immer größere Rolle spielt und dass Studierende sämtlicher Philologien inzwischen gar nicht mehr umhin können, sich mit literatur- und kulturwissenschaftlichen Theorien, Begriffen und Methoden vertraut zu machen. Das Lexikon Literatur- und Kulturtheorie ist als Arbeitsmittel für die Orientierung innerhalb eines Sach- und Begriffsfeldes konzipiert, das inzwischen selbst für Fachleute kaum noch überschaubar ist. Das interdisziplinär ausgerichtete Lexikon gibt einen kompakten Überblick über die Vielfalt der literatur- und kulturwissenschaftlichen Ansätze, erläutert die zentralen Grundbegriffe und verschafft einen Zugang zu den Autor/innen, die die theoretischen Debatten bestimmt haben. Es soll Studierenden (auch Studienanfänger/innen) aller Philologien und Kulturwissenschaften sowie Wissenschaftler/innen

und theorieinteressierten Leserinnen und Lesern anderer geisteswissenschaftlicher Disziplinen (insbesondere Historikern, Soziologen und Psychologen) fachliche Orientierungshilfe bieten und ihnen ermöglichen, sich innerhalb des interdisziplinären Diskussionszusammenhangs der Literatur- und Kulturtheorie eine erste begriffliche Übersicht zu verschaffen. Um diesem Anspruch zu genügen, muss das Lexikon so umfassend wie möglich sein, ohne seine Handlichkeit als einbändiges Nachschlagewerk zu verlieren. Das Lexikon Literatur- und Kulturtheorie kommt mit seiner Zusammenschau von theoretischen Ansätzen, Autor/innen und Grundbegriffen dem wachsenden Bedürfnis nach Orientierungswissen entgegen und macht, über die prägnante Information über einzelne Begriffe und Personen hinausgehend, Zusammenhänge transparent. Im Gegensatz zu reinen Autoren-, Begriffs- und Werklexika bietet dieses Lexikon in über 600 Artikeln verständliche und zuverlässige Einführungen in die wichtigsten literaturund kulturwissenschaftlichen Ansätze, deren Hauptrepräsentanten und die von ihnen geprägten Grundbegriffe. Im Mittelpunkt der Artikel stehen die Charakterisierung der theoretischen Grundlagen der verschiedenen Ansätze und die Erläuterung der jeweils relevanten Konzepte sowie der methodischen Zugangsmöglichkeiten zur Analyse von literarischen und kulturellen Phänomenen. Im Zentrum dieses Lexikons steht die moderne Literatur- und Kulturtheorie, die durch literaturgeschichtliche Überblicksartikel (u. a. zu Literaturtheorien der Antike, des Mittelalters, der Renaissance, des Klassizismus, der Romantik, des Realismus, des Ästhetizismus sowie des Modernismus und Postmodernismus) und durch die Berücksichtigung wissenschaftsgeschichtlicher Aspekte in vielen anderen Beiträgen auch in ihrer historischen Entwicklung erschlossen wird. Neben textzentrierten und eher traditionellen Methoden wird eine Vielzahl von autoren-, leser- und kontextorientierten Ansätzen in einem internationalen und interdisziplinären Kontext vorgestellt. Umfassend berücksichtigt wurden vor allem auch neuere Entwicklungen wie Dekonstruktion, Diskurstheorie, feministische Theorien und Geschlechterforschung, Konstruktivismus, New Historicism,

Vorwort

Mentalitätsgeschichte, postkoloniale Literaturkritik und Poststrukturalismus. Der allseits geforderten – und zum Teil bereits vollzogenen – Weiterentwicklung der Philologien zu einer Kultur- und/oder Medienwissenschaft hin sowie der nicht zuletzt daraus resultierenden zunehmenden Interdisziplinarität der Theoriebildung wird dadurch Rechnung getragen, dass das Lexikon auch jene theoretischen Ansätze einbezieht, die in anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen entwickelt und später – oftmals eklektisch – in die Literaturwissenschaft übernommen wurden. Als Beispiele für solche übergreifenden Theorieentwürfe, die inzwischen auch die literatur- und kulturtheoretischen Diskussionen prägen, seien etwa Jacques Lacans Psychoanalyse, Michel Foucaults historische Diskursanalyse, Pierre Bourdieus Gesellschaftstheorie, Jacques Derridas Sprachkritik und Dekonstruktion sowie Niklas Luhmanns Systemtheorie genannt. Ebenso sind kultur- und medienwissenschaftlichen Ansätzen und Konzepten viele eigene Artikel gewidmet. Beiträge zu Themen wie »Film und Literatur«, »Kunst und Literatur« »Musik und Literatur«, »Photographie und Literatur«, »Historiographie und Literatur« sowie »Naturwissenschaft und Literatur« tragen dazu bei, die zunehmend intermediale und interdisziplinäre Dimension der zeitgenössischen Literatur- und Kulturtheorie zu erschließen. Darüber hinaus werden die wichtigsten Repräsentant/innen einer Vielzahl literatur- und kulturtheoretischer Ansätze sowie ihre Werke in Autorenporträts vorgestellt. Das breite Spektrum der Theoretiker/innen reicht von Aristoteles über Bachtin, de Man, Derrida, Foucault, Greenblatt, Iser, Jauß, Kristeva, Luhmann und Lyotard bis zu Virginia Woolf. Die Auswahl der Personen, die natürlich (ebenso wie jede andere) angreifbar ist, orientiert sich primär an der Bedeutung, die die Autorinnen bzw. Autoren für die zeitgenössischen Theoriedebatten haben; diese ist zwar schwer exakt abzuschätzen, aber die Register einschlägiger literatur- und kulturtheoretischer Publikationen neueren Datums oder der Humanities Citation Index bieten durchaus verlässliche Anhaltspunkte. Hinweise zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Werke der vorgestellten Theoretiker/innen sowie Querverweise zwischen den Artikeln erleichtern die wissenschaftsgeschichtliche Einordnung. Das Lexikon kann freilich nicht die Beschäftigung mit den Werken und dem Denken der Literatur- und Kulturtheoretiker/innen

VI ersetzen, sondern will Leserinnen und Lesern einen verlässlichen Leitfaden für die bessere Orientierung geben. Außerdem werden die zentralen Grundbegriffe der Literatur- und Kulturtheorie (von Appellfunktion bis Zirkulation) in über 300 kurzen Sachbegriffsartikeln definiert. Bei der Auswahl der Lemmata galt es, ein möglichst breites Spektrum abzudecken, die Überrepräsentierung von Konzepten, die mit bestimmten Ansätzen verbunden sind, zu vermeiden und vor allem jene Begriffe der Literatur- und Kulturtheorie zu erläutern, die in den etablierten Lexika der literarischen Terminologie (z. B. in G. Schweikle/I. Schweikle: Metzler Literatur Lexikon, Stuttgart: Metzler, 1984) weitgehend unberücksichtigt bleiben. Der Akzent liegt daher nicht auf jenen Begriffen aus den Bereichen der Poetik, Rhetorik, Metrik, Literaturgeschichte oder Gattungstheorie, deren Bedeutung in vielen Begriffslexika nachgeschlagen werden kann, sondern auf der Erläuterung zentraler Konzepte der modernen Literatur- und Kulturtheorie wie »Dialogizität«, »Différance«, »Écriture féminine«, »Fokalisierung«, »Impliziter Leser« usw., ohne deren Kenntnis ein Großteil der Forschungsliteratur nicht mehr verständlich ist. Da die literatur- und kulturwissenschaftliche Theoriebildung einen eminent dialogischen Prozess darstellt, soll die Vielzahl interner Querverweise (ä ) zwischen den Sachbegriffs- und Autorenartikeln die Einordnung der Ansätze, Theoretiker/innen und Kategorien in übergeordnete systematische und wissenschaftsgeschichtliche Zusammenhänge erleichtern. Zugleich sind die einzelnen Begriffserläuterungen und Autorenporträts jedoch so abgefasst, dass sie jeweils für sich selbst verständlich sein sollen, ohne dass der/die Leser/in durch die Verweise auf andere, verwandte Artikel zu ständigem Weiterblättern genötigt wäre. Alle Artikel enthalten aktuelle Hinweise auf einführende oder weiterführende Literatur neueren Datums, die den Einstieg in das Werk des einzelnen Theoretikers bzw. den dem jeweiligen Ansatz oder Begriff zugehörigen Problembereich gezielt erleichtern sollen. Diese (notgedrungen selektiven) Auswahlbibliographien streben nicht nach Vollständigkeit, sondern sollen das Bedürfnis von Leserinnen und Lesern nach gezielter und kompakter Information und überblicksartiger Orientierung in einem für alle Philologien zentralen Bereich befriedigen. Für ausführlichere Bibliographien und umfassendere Darstellungen literatur- und kulturwissenschaft-

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Vorwort

licher Ansätze, Theoretiker/innen und Begriffe sei auf die in der Auswahlbibliographie (am Ende des Bandes) enthaltenen Titel verwiesen. Besonders hervorgehoben seien die folgenden vier Nachschlagewerke, die auch in vielen Artikeln des Lexikons zur Anwendung kamen: Encyclopedia of Contemporary Literary Theory: Approaches, Scholars, Terms, hrsg. von Irena R. Makaryk (Toronto: University of Toronto Press, 1993); The Johns Hopkins Guide to Literary Theory and Criticism, hrsg. von Michael Groden und Martin Kreiswirth (Baltimore, MD/ London: Johns Hopkins University Press, 1994); A Dictionary of Cultural and Critical Theory, hrsg. von Michael Payne (Oxford: Blackwell, 1996); Reallexikon der Deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 1: A-G, hrsg. von Klaus Weimar (Berlin/New York, NY: de Gruyter, 1997). Alle in der Schlussbibliographie (mit vollständigen bibliographischen Angaben) genannten Publikationen zur Literatur- und Kulturtheorie sind – zur Entlastung des Gesamtumfangs des Bandes – in den Literaturangaben der einzelnen Artikel nur mit dem Namen der jeweiligen Autor/innen bzw. Herausgeber/innen und Jahreszahl aufgeführt.

* Am Ende eines erquicklichen Gemeinschaftsunternehmens sei allen herzlich gedankt, die zu dessen Gelingen beigetragen haben. An erster Stelle möchte ich den Autorinnen und Autoren, die die Artikel für dieses Lexikon geschrieben haben, für die ertragreiche und zuverlässige Zusammenarbeit danken. Ohne deren Disziplin und geduldige Bereitschaft, umgehend auf Rückfragen, Vorschläge und Kürzungswünsche zu reagieren, wäre das termingerechte Erscheinen dieses Lexikons nicht möglich gewesen. Darüber hinaus haben mir viele weitere Kolle-

ginnen und Kollegen (zu viele, um sie namentlich zu nennen) in der Phase der Vorbereitung mit ihrer großen Belesenheit und mit gezielten Ratschlägen weitergeholfen. Sodann gilt der (kollektive) Dank Bernd Lutz und Ute Hechtfischer vom Metzler Verlag, die sich von Beginn an für dieses Projekt engagiert, es (bzw. den Herausgeber, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Beiträgerinnen und Beiträger) mit entsprechend beharrlichem Druck vorangetrieben und in allen Phasen unterstützt haben. Vielmals danken möchte ich auch meinen Kölner und Gießener Studentinnen und Studenten, die mich mit ihrer intellektuellen Neugierde angespornt und immer wieder daran erinnert haben, wie groß der Bedarf an kompakten Überblicksdarstellungen über die Fülle von studienrelevanten literatur- und kulturtheoretischen Ansätzen und Grundbegriffen ist. Meinen Gießener Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Sascha Feuchert, Nathalie Hahn, Sandra Heinen, Nora Lauck, Klaudia Seibel, Dagmar Sims, Roy Sommer und Bruno Zerweck sowie meiner Sekretärin Rosemary Lawson danke ich ganz herzlich für ihre enorme Einsatzbereitschaft, große Sorgfalt und die oftmals mühevolle Überprüfung sämtlicher Zitate und bibliographischer Angaben. Besonderer Dank gebührt Franziska Mosthaf und Carola Surkamp, die das Anliegen des Lexikons zu ihrer eigenen Sache gemacht und den Löwenanteil der Korrespondenz und redaktionellen Arbeiten mit der ihnen eigenen Akribie, Geduld, Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit erledigt haben. Das Zustandekommen dieses Lexikons ist nicht nur der engagierten Mitarbeit der Autorinnen und Autoren zu verdanken, sondern auch dem unermüdlichen Einsatz der namentlich Genannten und meiner Frau Vera. Gießen, im April 1998

Ansgar Nünning

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Vorwort zur zweiten Auflage

Dass dieses Lexikon schon drei Jahre nach dem Ersterscheinen in einer aktualisierten, überarbeiteten und erweiterten zweiten Auflage erscheint, ist der äußerst regen und positiven Aufnahme durch eine große Zahl von Leser/innen und Rezensent/innen zu verdanken. In der hier vorgelegten zweiten Auflage wurde die Konzeption der ersten beibehalten, aber es wurde eine Reihe von Ergänzungen und Aktualisierungen vorgenommen. Das Lexikon wurde um etwa 130 neue Artikel erweitert, die v. a. aus drei Bereichen stammen: Erstens wurde die interdisziplinäre und intermediale Dimension der Theoriebildung sowohl durch zahlreiche neue Überblicksartikel als auch durch einige gezielte Nachträge noch stärker akzentuiert. Ergänzt wurden beispielsweise einige Theoretiker (u. a. Nelson Goodman, Emmanuel Lévinas, Humberto Maturana, Maurice Merleau-Ponty, Jean Piaget, Victor Turner) und etliche Grundbegriffe (z. B. Archiv, Dichte Beschreibung, Dispositiv, Emergenz, Identität, Interkulturalität, Liminalität, Performance/Performativität, Ritual, Theatralität, Transkulturation). Als übergreifende Artikel wurden neu aufgenommen: »Chaostheorie und Literatur«, »Gedächtnis und Gedächtnistheorien«, »Körpersprache in der Literatur«, »Kulturanthropologie«, »Modernisierung und Modernisierungstheorien«, »Ecocriticism/Ökokritik«, »Philosophie und Literatur«, »Recht/Rechtssystem und Literatur«, »Religion und Literatur«, »Raum/ Raumdarstellung, literarische(r)«, »Theater und Literatur«, »Wirtschaft/Wirtschaftssystem und Literatur«, »Zeit« und »Zivilisationstheorie«. Der damit unterstrichenen Weiterentwicklung der Philologien zu interdisziplinären Kultur- bzw. Medienkulturwissenschaften wurde zweitens durch einige Ergänzungen aus dem Bereich der Medientheorie Rechnung getragen (durch neue Artikel z. B. zu »Mediengattungstheorie« und »Medien und Literatur« sowie zu Medientheoretikern wie Béla Balázs, Vilém Flusser und Neil Postman und Theatertheoretikern wie Antonin Artaud und Martin Esslin). Aus Umfangsgründen sowie aufgrund der Tatsache, dass ein eigenes Metzler Lexikon Medientheorie und Medienwissenschaft in Vorbereitung ist, beschränken sich diese Erweiterungen jedoch auf einige gezielte Ergänzungen.

Drittens tragen eine Reihe von neu aufgenommenen Autorenporträts (z. B. Charles Baudelaire, Johann Gottfried Herder, Immanuel Kant, Gotthold Ephraim Lessing, Charles W. Morris) sowie Artikel zu den Literaturtheorien der Aufklärung und des Imagismus dazu bei, die historische Entwicklung der modernen Literatur- und Kulturtheorie, die bereits in der ersten Auflage durch viele literaturgeschichtliche Überblicksartikel zu den Literaturtheorien zentraler Epochen und Strömungen systematisch berücksichtigt wurde, noch umfassender und besser zu erschließen. Einem vielfach geäußerten Wunsch entsprechend, ist das Spektrum der Artikel durch neue Beiträge zur Schule der Annales und zu einigen auch für die Kulturtheorie wichtigen Geschichtstheoretikern (u. a. Philippe Ariès, Jacob Burckhardt, Roger Chartier, Natalie Zemon Davis und Jacques LeGoff) erweitert worden, um auch die Bezüge zwischen der Literatur- und Kulturtheorie und der Geschichtstheorie noch deutlicher zu konturieren. Darüber hinaus wurden durch weitere Ergänzungen in allen Bereichen der Literatur- und Kulturtheorie gezielt Lücken geschlossen. Das Spektrum dieser Nachträge reicht von bislang fehlenden Grundbegriffen der Literaturtheorie (z. B. Chronotopos, Einbettung, Fiktionssignale, Foregrounding, Funktion, Groteske, Komik, Metadrama/Metatheater, Metalyrik, Montage/ Collage, Multiperspektivität, Offene vs. geschlossene Form, Schreibweisen, Spannung, Sprechsituation und Sympathielenkung) bis zu übergreifenden Konzepten aus benachbarten Disziplinen (z. B. Hermeneutik des Verdachts, Identitätstheorien, Rollentheorien, Stereotyp, Visualität und Visualitätskritik sowie die so aktuelle ›Weltentheorie‹ bzw. Possible-worlds theory). Um dem gerade im Bereich der Theoriebildung besonders großen Bedürfnis nach aktueller Information zu entsprechen, sind außerdem sowohl die Auswahlbibliographie am Ende des Bandes als auch die bibliographischen Angaben einer Vielzahl von Artikeln aktualisiert worden. Die Veränderungen in den meisten Beiträgen der ersten Auflage beschränken sich ansonsten auf kleinere Korrekturen, die Bereinigung von formalen Unstimmigkeiten und einige sachliche Ergänzungen und Aktualisierungen.

IX

Vorwort

Die Einfügung neuer Verweislemmata (z. B. Bewusstseinsdarstellung ä Bewusstseinsstrom; ä Erlebte Rede; ä Fokalisierung; ä Gedankenbericht; ä Innerer Monolog) und weiterer Querverweise zwischen den Sachbegriffs- und Autorenartikeln sollen nicht nur die wissenschaftsgeschichtliche Einordnung erleichtern, sondern auch gewährleisten, dass Benutzer/innen gesuchte Aspekte gezielt nachschlagen und möglichst rasch auffinden können.

* Den nunmehr etwa einhundertneunzig Autorinnen und Autoren, die an diesem Lexikon mitgearbeitet haben, sowie allen, die im Vorwort der ersten Auflage namentlich genannt sind, möchte ich nochmals ganz herzlich für die ausgezeichnete Zusammenarbeit und vielfältige Unterstützung danken. Für außerordentlich ermunternde Rückmeldungen und wertvolle Vorschläge danke ich einer Vielzahl von Kollegin-

nen, Kollegen und Studierenden, deren Reaktionen mir in den letzten Jahren das Gefühl gegeben haben, dass sich all die Mühe gelohnt hat. Für wichtige Anregungen, die in der zweiten Auflage gerne berücksichtigt wurden, bin ich auch zahlreichen Rezensent/innen zu Dank verpflichtet, insbesondere Stefan Glomb, Günter Leypoldt, Andreas Mahler, Harald Neumeyer und vor allem Herbert Foltinek. Besonders großes Lob und Dank haben schließlich abermals meine Gießener Mitarbeiterinnen – Gaby Allrath, Wibke Bindemann, Britta Freitag, Stefanie Hoth, Rose Lawson, Nora Redhardt, Klaudia Seibel und vor allem Carola Surkamp – verdient, die mit ihrem unübertroffenen Engagement und großen Können unermüdlich halfen, einen möglichst fehlerfreien, druckreifen und optimalen Text zu erstellen, und die mich wieder in allen Phasen dieses Projekts unterstützt haben. Der größte Dank gebührt aber wie immer Vera. Gießen, im Januar 2001

Ansgar Nünning

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Vorwort zur dritten Auflage

Das weite Feld der Literatur- und Kulturtheorie zählt nach wie vor zu den produktivsten und vielstimmigsten Bereichen der Literatur- und Kulturwissenschaften. Ein Lexikon wie das vorliegende muss daher immer wieder aktualisiert und ergänzt werden, damit Leser/innen das finden, was sie zu Recht erwarten: zuverlässige und aktuelle Informationen zu allen wichtigen Ansätzen, Theoretiker/innen und Grundbegriffen. Für die hier vorgelegte dritte Auflage dieses Lexikons sind daher nicht nur die Auswahlbibliographie, sondern auch alle Artikel (soweit erforderlich) bibliographisch – und z. T. auch inhaltlich – aktualisiert worden. Darüber hinaus wurde das Lexikon gezielt um etwa 25 neue Artikel erweitert. Das Spektrum der neuen Beiträge, deren Aufnahme von Rezensent/innen und kritischen Leser/innen (denen ich herzlich für das ebenso positive wie ermunternde Feedback danken möchte) angeregt wurde, umfasst v. a. einige bislang nicht berücksichtigte literatur- und kulturtheoretische Grundbegriffe wie Adresse/Adressierung, Heterotopie, Index, Inszenierung, Maskerade/Geschlechtermaskerade, Mimikry, Rhizom, Supplement sowie Zentrum und Peripherie. Daneben wurden mit Donna Haraway, Richard ˇ zek Schechner und Slavoj Zi ˇ einige Kulturtheoretiker/innen aufgenommen, die in den letzten Jahren international Furore gemacht haben. In Fortführung des Verfahrens bei der zweiten Auflage, in der neue Kristallisationspunkte interdisziplinärer Theoriebildung und kulturwissenschaftlicher Forschung integriert wurden, wird in dieser Auflage mit neuen Beiträgen zu Maurice Halbwachs sowie zu den Lemmata »Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft«, »Lieux de mémoire/Erinnerungsorte« und »Trauma und Literatur« der Tatsache Rechnung getragen, dass die interdisziplinäre Forschung zu Erinnerung und Gedächtnis inzwischen zu einem neuen Paradigma der Kulturwissenschaften avanciert ist, das auch für die Literaturwissenschaften zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Abgerundet wird die Überarbeitung durch die Einfügung einiger neuer Verweislemmata, die ebenso wie die Aktualisierung der Auswahlbibliographie am Ende des Bandes gewährleisten soll, dass sich Benutzer/innen auch weiterhin möglichst schnell und auf dem neuesten

Stand über alle relevanten Ansätze, Personen und Grundbegriffe der Literatur- und Kulturtheorie informieren können.

* Den inzwischen etwa zweihundertzehn Autorinnen und Autoren, die die Artikel für dieses Lexikon geschrieben haben, sowie allen, die im Vorwort der ersten und zweiten Auflage namentlich genannt sind, möchte ich nochmals ganz herzlich für die engagierte Mitarbeit an diesem für alle Beteiligten sehr arbeitsintensiven Projekt danken. Seit über acht Jahren profitiert die (nie ganz abreißende) Arbeit an diesem Lexikon von einer Vielzahl von wertvollen Anregungen von Kollegen und Kolleginnen sowie Studierenden, für deren wertvolle Rückmeldungen ich außerordentlich dankbar bin, und von der Mitarbeit an interdisziplinären Forschungseinrichtungen wie dem Gießener Sonderforschungsbereich »Erinnerungskulturen«, dem »Gießener Graduiertenzentrum Kulturwissenschaften«, drei Graduiertenkollegs sowie dem Internationalen Promotionsprogramm »Literatur- und Kulturwissenschaften«. Beides zeigt mir immer wieder, wie sehr gerade auch die Kulturwissenschaften vom interdisziplinären Dialog und von kollegialer Zusammenarbeit leben. – Bei den bibliographischen Recherchen, der Überprüfung von Angaben und beim Korrekturlesen hat sich mein unschlagbar tüchtiges und nettes neues Gießener Team – namentlich Michael Basseler und Dorothee Birke sowie Wibke Bindemann, Hanna Bingel, Stefanie Bock, Katharina Engelhardt, Meike Hölscher, Ewelina Krok, Eva Laass, Aleksandra Podsiadlik und Karin Scharf – große Verdienste erworben. Besonders herzlich danken möchte ich meiner Sekretärin Rose Lawson, die trotz Dauer- und Mehrfachbelastung immer alles bestens im Griff hat und dabei nie ihre gute Laune verliert, und meinen Mitarbeiterinnen Julijana Nadj und v. a. Stella Butter, die den Löwenanteil der redaktionellen Feinarbeiten mit größter Akribie koordiniert und erledigt haben und deren Engagement, Enthusiasmus, Kompetenz und Leistungsvermögen unübertroffen sind. Der größte Dank gebührt aber wieder Vera. Gießen, im Juni 2004

Ansgar Nünning

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Vorwort zur vierten Auflage

Ten Years After: Zehn Jahre nach dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Lexikons wird hiermit die wiederum vollständig aktualisierte und erweiterte vierte Auflage vorgelegt. Sowohl die ungebrochen positive Resonanz und anhaltende Nachfrage als auch die Tatsache, dass dieses Lexikon inzwischen in einer tschechischen und einer koreanischen Übersetzung vorliegt, unterstreichen, dass das weite Feld der Literatur- und Kulturtheorie nach wie vor zu den produktivsten und dynamischsten Bereichen der Literatur- und Kulturwissenschaften gehört. Als ein weiteres Indiz dafür mag auch das Erscheinen einer neuen Fachzeitschrift für Literaturtheorie, des Journal of Literary Theory (Berlin: de Gruyter 2007ff.), gelten, das ebenso Unkenrufe vom ›Ende‹ oder ›Tod‹ der Literaturtheorie Lügen straft wie die anhaltende Entwicklung neuer literatur- und kulturtheoretischer Ansätze und Grundbegriffe. Die mit dem Bolognaprozess und der Einführung der neuen BA-/MA-Studiengänge einhergehende Re-Kanonisierung und Aufwertung des exemplarischen Lehrens und Lernens tragen zusätzlich dazu bei, dass eine fundierte Kenntnis literaturund kulturtheoretischer Ansätze und Grundbegriffe für Studierende aller geistes-, kulturund sozialwissenschaftlicher Fächer weiterhin von großer und sogar noch gestiegener Bedeutung ist. Damit dieses Lexikon Leser/innen auch weiterhin als ein zuverlässiger und aktueller Leitfaden durch das Dickicht aller wichtigen Ansätze, Theoretiker/innen und Grundbegriffe dient, wurde die hier vorgelegte vierte Auflage, in der die bewährte Konzeption der ersten bis dritten beibehalten wurde, um etwas mehr als fünfzig neue Lemmata ergänzt. Außerdem wurden abermals nicht nur die Schlussbibliographie, sondern auch alle Artikel (soweit erforderlich) bibliographisch – und z. T. auch inhaltlich – aktualisiert. Darüber hinaus wurden – auf Wunsch des Verlages und vieler Leser/innen – die Orthographie und Zeichensetzung in dieser Auflage auf die neue Rechtschreibung umgestellt. Das breite Spektrum der neuen Beiträge umfasst zunächst einmal ein Dutzend Überblicksartikel zu neuen Ansätzen, die zukunftweisende Kristallisationspunkte interdisziplinärer Theoriebildung und kulturwissenschaftlicher For-

schung markieren. Als übergreifende Artikel wurden folgende Lemmata neu aufgenommen: »Afroamerikanische Literaturtheorien«, »Bildwissenschaft«, »Biopoetics/Evolutionäre Literaturpsychologie«, »Iconic turn«, »Kognitive Poetik«, »Lebenswissen und Lebenswissenschaften«, »Material Culture Studies«, »Narrativistische Ansätze«, »New Economic Criticism«, »Raumtheorien«, »Spatial turn«, »Trauma und Traumatheorien« sowie »Visual Culture Studies«. Zum anderen wurde auch diese Neuauflage wieder gezielt um einige bislang nicht berücksichtigte bzw. in den letzten Jahren in das Zentrum der Diskussion gerückte literatur- und kulturtheoretische Grundbegriffe ergänzt. Deren Spektrum reicht von Abduktion, Abjekt, Contact zone, Dialogische Theorie, Diaspora und Dingkultur über die Erklären-VerstehenDebatte, Enzyklopädie, Fetisch/Fetischismus, Genealogie, Generation, Geokulturologie, Gestalttheorie, Glokal/Glokalisierung, Grenze/ Grenzziehung, Imaginative geography, Kontextualisierung, Kreolisierung, »Kultur als Text«, Kulturbegriffe, Kulturelles Wissen, Metaisierung, Multimodalität und Relativismus bis zu Skripte, Spektakel, Spur, Stimme, Symbolische Formen, Synkretismus, Transgression, Transnational/Transnationalität, Transversalität sowie Zeitdarstellung/Zeitstruktur. Überblickt man die neu aufgenommenen Ansätze und Grundbegriffe, so reflektiert die Auswahl zugleich die besonders einflussreichen Neuorientierungen in den Literatur- und Kulturwissenschaften der letzten Jahre – wie etwa den iconic turn, den narrative turn und den spatial turn bzw. das gewachsene Interesse an den visuellen, räumlichen und materiellen Dimensionen von Kultur bzw. an der Kultur der Dinge. Außerdem wurden mit Giorgio Agamben, Aleida und Jan Assmann, Mieke Bal, Guy Debord, Michel de Certeau und René Girard einige Literatur- und Kulturtheoretiker/innen neu aufgenommen, die bislang nicht berücksichtigt worden waren und/ oder die in den letzten Jahren schulebildend gewirkt und international Furore gemacht haben. Auf die Aufnahme weiterer Lemmata aus der Ästhetik und der Theatertheorie wurde hingegen verzichtet, weil mit dem von Achim Trebeß herausgegebenen Metzler Lexikon Ästhetik (Stuttgart/Weimar: Metzler, 2006) und dem von

XII

Vorwort

Erika Fischer-Lichte, Doris Kolesch und Matthias Warstat herausgegebenen Metzler Lexikon Theatertheorie (Stuttgart/Weimar: Metzler, 2005) inzwischen aktuelle und zuverlässige Nachschlagewerke zu diesen wichtigen Bereichen der Theoriediskussion erschienen sind. Abgerundet wird diese aktualisierte und überarbeitete Neuauflage durch die Einfügung einiger neuer Verweislemmata, die ebenso wie die Aktualisierung der Auswahlbibliographie am Ende des Bandes sowie der Literaturangaben in den meisten Artikeln gewährleisten soll, dass sich Benutzer/innen des Metzler Lexikon Literaturund Kulturtheorie auch weiterhin möglichst schnell und auf dem neuesten Stand über alle relevanten Ansätze, Personen und Grundbegriffe der Literatur- und Kulturtheorie informieren können.

* Den inzwischen mehr als zweihundertzwanzig Autorinnen und Autoren, die die Artikel für dieses Lexikon geschrieben haben, sowie allen, die im Vorwort der ersten bis dritten Auflage namentlich genannt sind, möchte ich abermals sehr herzlich für die ertragreiche Mitarbeit an diesem Projekt danken. Ideen für die Aufnahme neuer Artikel stammen von engagierten Leser/ innen und Kolleg/innen, denen ich für den ebenso anregenden wie fruchtbaren Dialog sehr dankbar bin. Über positive Rückmeldungen, Anregungen aller Art und natürlich auch kritische Anmerkungen freut sich auch weiterhin: [email protected]. Wertvolle Anregungen für die neue und erweiterte Auflage verdanke ich außerdem vielen Kolleg/innen, Doktorand/innen und Studierenden, die an interdisziplinären Forschungseinrichtungen wie dem Gießener Sonderforschungsbereich »Erinnerungskulturen«, dem »Gießener Graduiertenzentrum Kulturwissenschaften« (GGK), dem DFG-Graduiertenkolleg »Transnationale Medienereignisse« sowie dem fünf Jahre vom DAAD und nun von der Justus-Liebig-Universität geförderten Internationalen Promotionsprogramm »Literatur- und Kulturwissenschaften« (IPP) beteiligt sind. Vor allem die intensive Zusammenarbeit in diesen Forschungseinrichtungen sowie in dem seit 2006 im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder geförderten »International Graduate Centre for the Study of Culture« (GCSC) hat mich in

den letzten Jahren nachdrücklich in meiner Überzeugung bestärkt, dass interdisziplinärer und internationaler Dialog sowie kollegiale Zusammenarbeit gerade für die Literatur- und Kulturwissenschaften nicht nur überaus anregend, sondern sogar (über-)lebensnotwendig sind. Vielmals danken möchte ich daher allen Mitarbeiter/innen des GGK/GCSC und der ersten Generation von Stipendiat/innen und Doktorand/innen des GCSC – vor allem Simon Cooke, Matthis Danelzik, René Dietrich und Lutz Hengst, deren scharfsinnigen Diskussionsbeiträgen ich ebenso etliche Anregungen verdanke wie den wertvollen Hinweisen von Guido Isekenmeier, Michael C. Frank und den tschechischen Kolleg/innen, die die tschechische Übersetzung besorgt haben. Besonders herzlich danken möchte ich meinen Kolleg/innen und Freunden Astrid Erll, Marion Gymnich, Wolfgang Hallet, Birgit Neumann und Roy Sommer, die mir mit ihrer ansteckenden Begeisterung, ihrer Fröhlichkeit sowie ihrem unglaublichen Engagement, Ideen- und Kenntnisreichtum immer wieder wichtige Denkanstöße, Motivation und viel Freude an der Arbeit sowie das Gefühl gegeben haben, dass sich die ganze Arbeit lohnt. – Bei den bibliographischen Recherchen, der Überprüfung von Angaben und beim Korrekturlesen hat sich mein ebenso tüchtiges wie nettes neues Gießener Team – namentlich Alexandre Segao Costa, Meike Hölscher, Ilke Krumholz, Anna Schewelew, Daniela Siener, Anne Kristina Stoll and Anna Weigel – große Verdiente erworben. Sehr herzlich danken möchte ich auch meiner Sekretärin Rose Lawson, die trotz Dauerund Mehrfachbelastung immer alles bestens im Griff hat und dabei nie ihre gute Laune verliert, und meiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Ronja Tripp, die den Löwenanteil der redaktionellen Feinarbeiten mit größter Akribie koordiniert und erledigt hat und deren Enthusiasmus sowie vorbildliche Kompetenz, Leistung und Zuverlässigkeit denen ihrer Vorgängerinnen, vor allem Prof. Dr. Carola Surkamp (jetzt Universität Göttingen) und Dr. Stella Butter (jetzt Universität Mannheim), in nichts nachstehen. Nicht nur weil sie mehr Anteil als alle anderen an allen Projekten hat, gebührt der größte Dank aber wie immer Vera.

Gießen, im November 2007

Ansgar Nünning

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A Abduktion (lat. abducere: wegführen; engl. abduction: Entführung), bezeichnet nach C. S. ä Peirce ein bes. Schlussverfahren, das als »first step of scientific reasoning« (Peirce 1931–1958, 7.128) den Prozess des Aufstellens von Hypothesen bestimmt (ebd., 5.189). Nach Peirce ist die A. »the only logical operation which introduces any new idea« (ebd., 5.171), die somit die Prämissen für nachfolgende deduktive und induktive Schlüsse findet oder erfindet. Geht die Wissenschaftstheorie (vgl. K. Popper, Logik der Forschung, 1934) davon aus, dass die Vorgänge des Aufstellens von Hypothesen sich nur psychologisch untersuchen lassen, fasst Peirce die A. als Inferenz, »asserting its conclusion only problematically or conjecturally« (Peirce 1931– 1958, 5.188). Die A. ist als »reasoning from consequent to antecedent« (ebd., 6.469) ein Rückschluss (»Retroduction«), der weniger auf logische Gültigkeit, denn auf eine plausible Erklärung abzielt. Entscheidend für Peirce ist dabei, dass der abduktive Prozess gleichwohl in einer logischen Form ›darstellbar‹ ist: »The surprising fact, C, is observed; But if A were true, C would be a matter of course; Hence, there is reason to suspect that A is true« (ebd., 5.189). Die Frage ist natürlich, wie man auf die Vermutung ›A‹ kommt, d. h., wie man subjektive Assoziationen in plausible Argumentationen transformiert. Für Peirce spielt hierbei ein durch Erfahrung geschärfter ›Rate-Instinkt‹ eine zentrale Rolle, denn er behauptet, die A. sei »after all, nothing but guessing« (ebd., 7.219). So besehen ist die A. als »skill for scientific guessing« (Polanyi 1969, S. 144) eine Form von »tacit inference«, die durch implizit wirksame Strategien der Rationalisierung von Rateprozessen gesteuert wird, nämlich insbes. durch forschungsökonomische Maximen, kulturell geprägtes Vorwissen (ä Wissen, kulturelles) und theoretische ä Präsuppositionen. Fasst man kulturelle Prägungen als ä symbolische Form im Sinne E. ä Cassirers (vgl. Wirth 2007), dann lassen sich mit Hilfe des A.konzepts wichtige Einsichten für eine auf Zeichenprozessen (ä Zeichen und Zeichensystem) fußende ›Logik der ä Kulturwissenschaft‹ gewinnen. Die A. ist der erste Schritt aller Prozesse der Zeichendeutung, die eine Kopplung von Beobachtung und Theorie vornehmen – etwa im Rahmen der Psychoanalyse,

Abjekt

die S. ä Freud als Verfahren bezeichnet, »Geheimes und Verborgenes zu erraten« (Freud 1999 [1914], S. 186). Dabei werden Symptome nicht mehr im Rahmen eines ›Indizienparadigmas‹ (Ginzburg 1985) ›gefunden‹, sondern durch abduktive Operationen theoriegeleiteten Ratens ›hergestellt‹. Dies gilt auch mit Blick auf das ›divinatorische Verfahren‹ der Philologie, wo mit Hilfe von ä Konjekturen Textfehler korrigiert und monumentale wie systematische ä Leerstellen ergänzt werden, indem man »errät [. . .], was der Sinn sein muß« (Schleiermacher 1977 [1838], S. 283). Dies betrifft nicht nur die Textkonstitution, sondern insbes. die Textinterpretation (ä Interpretation). So verwendet U. ä Eco die Ausdrücke Konjektur und A. synonym und rekurriert auf sie als ›operational mode‹ der Kohärenzstiftung (ä Kohärenz) im Wechselspiel von Leser, Text und Autor (vgl. Eco 1987, S. 111 f.). Lit.: F. Schleiermacher: Hermeneutik und Kritik, FfM. 1977 [1838]. – S. Freud: »Der Moses des Michelangelo« [1914]. In: ders.: Gesammelte Werke, Bd. X, FfM. 1999. S. 172–201. – C. S. Peirce: Collected Papers, Bde. 1–8 (Hgg. C. Hartshorne et al.), Cambridge 1931–1958. – M. Polanyi: »The Logic of Tacit Inference«. In: ders.: Knowing and Being, Chicago 1969. S. 138–158. – C. Ginzburg: »Indizien. Morelli, Freud und Sherlock Holmes«. In: U. Eco/ Th. Sebeok (Hgg.): Der Zirkel oder im Zeichen der Drei. Dupin, Holmes, Peirce, Mchn. 1985. S. 125–179. – U. Eco: Lector in fabula, Mchn. 1987. – U. Wirth: »Die Phantasie des Neuen als A.«. In: DVjs 77.4 (2003) S. 591–618. – ders.: »Die Konjektur als blinder Fleck einer Geschichte bedingten Wissens«. In: C. Welsh/St. Willer (Hgg.): Interesse für bedingtes Wissen, Mchn. 2007. S. 269– 294.

UW

Abjekt (lat. abiectus: niedrig, verworfen, gemein), ein von J. ä Kristeva eingeführtes psychoanalytisches Konzept (ä Psychoanalytische Lit. wissenschaft), das v. a. in der engl.sprachigen Forschung vielfache Anwendung gefunden hat. Es handelt sich um eine Substantivierung des frz. Adjektivs abject und mithin einen Neologismus der Autorin. Ausgangspunkt Kristevas sind Dinge, die beim Menschen eine heftige, wenn auch mit einem Gefühl der Anziehung einhergehende Abwehrreaktion (»Abjektion«) hervorrufen – von Körperausscheidungen bis hin zur Haut auf gekochter Milch. Eine Erklärung für die Verwerfung derartiger Dinge sucht Kristeva im Prozess der Subjektkonstitution (ä Subjekt und Subjektivität), der mit der Loslösung von der Mutter beginnt: »A.« steht bei Kristeva für all das, was das Ich von sich abspalten muss – aber nie voll und ganz von sich abspalten kann –, um

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Abrams, Meyer Howard

von seinem urspr., vorsprachlichen Zustand jenseits der Subjekt-Objekt-Differenz in die symbolische Ordnung einzutreten, die nach Kristevas Modell auf eben dieser Differenz basiert. Anders als das Objekt, das dem Subjekt als dessen Korrelat gegenübersteht und ihm laut Kristeva erlaubt, weitgehend losgelöst und autonom zu sein, ist das A. Folge einer unvollständigen Abgrenzung, welche ä Ambiguität erzeugt und die Trennlinie zwischen Ich und Anderem, Innen und Außen verwischt. Das A. stellt für das Subjekt eine stete regressive Versuchung dar, zurückzufallen in einen Zustand vor der Differenz, außerhalb der symbolischen Ordnung. Wie Kristeva unterstreicht, erscheint dementsprechend all das als A., was »eine Identität, ein System, eine Ordnung stört«, indem es »die Grenzen, Orte und Regeln missachtet« – nämlich das »Dazwischen (l’entre-deux), das Zweideutige, das Gemischte« (Kristeva 1980, S. 12; Übers. MCF; ä Hybridisierung; ä Grenze/ Grenzziehung; ä Raumtheorien, kulturwissenschaftliche). Kristevas Konzepte des A.s und der Abjektion sind v. a. in der feministischen Theorie (ä Feministische Lit.theorie) aufgegriffen worden. So entwickelte sie etwa J. ä Butler (1993) in ihrer konstruktivistischen Geschlechtertheorie (ä Gender Studies) zum Konzept der »abject bodies« weiter, während B. Creed (1993) die Assoziation von Mütterlichkeit mit Monstrosität in Horrorfilmen beleuchtete. Ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet hat das Konzept des A.s innerhalb der postkolonialen Theorie (ä Postkoloniale Lit.theorie und -kritik) zur Beschreibung des ambivalenten Status des ›Anderen‹ im kolonialen Diskurs (vgl. z. B. Spurr 1993, S. 76–91; McClintock 1995, S. 71–74). Bei Kristeva selbst werden Autoren der ä Moderne wie F. Dostojewski, M. Proust, J. Joyce, L. Borges und A. ä Artaud als Beispiele für die literar. Exploration – und ä Sublimierung – des A.s aufgeführt. Lit.: J. Kristeva: Pouvoirs de l’horreur. Essai sur l’abjection, Paris 1980 (engl. Powers of Horror. An Essay on Abjection, N. Y. 1982). – J. Butler 1993 (dt. 1995). – B. Creed: The Monstrous-Feminine. Film, Feminism, Psychoanalysis, Ldn. et al. 1993. – D. Spurr: The Rhetoric of Empire. Colonial Discourse in Journalism, Travel Writing, and Imperial Administration, Durham et al. 1993. – A. McClintock: Imperial Leather. Race, Gender and Sexuality in the Colonial Contest, N. Y./Ldn. 1995.

MCF

Abrams, Meyer Howard (*1912), am. Lit.- und Kulturhistoriker. – Studium in Harvard und Cambridge (England), Professor für Anglistik,

Harvard 1945–60, Cornell 1960–78, seitdem Emeritus. – A., der als Terminologe, Herausgeber und Metakritiker zu den angesehensten und eklektischsten Nestoren seines Faches gehört, ist v. a. für zwei kenntnisreiche, einander ergänzende Werke zur engl. und dt. Romantik bekannt, in denen er sich durch Methoden der ä Topos-, Metaphern- und Mentalitätsforschung (ä Metapherntheorien; ä Mentalität) als begnadeter Seismograph der Poetik- und Geistesgeschichte der vier Jahrzehnte nach der Frz. Revolution erweist. The Mirror and the Lamp (1953) gilt der bereits im Titel anvisierten Wende von einer mimetischen zu einer expressiven Poetik sowie deren dichterischen, lit.kritischen und lebensphilosophischen Folgen. Natural Supranaturalism (1971) befasst sich mit dem romantischen Topos der Transzendenz in der Immanenz, des Herüberrettens von religiösen Motiven und Inhalten in eine entzauberte, säkularisierte Welt. Studierende lernen A. zunächst durch sein souveränes, immer wieder erweitertes und aktualisiertes Glossary of Literary Terms (1957) kennen, ein Vademekum, das stets Spiegelbild und Sichtung einer im Wandel begriffenen Disziplin ist, sowie durch die von A. herausgegebene Norton Anthology of English Literature (2000 [1962]). – A. ist als »unreconstructed humanist« (Lipking 1981, S. 9), als Verfasser von »epideictic history« (Booth 1979, S. 163) bezeichnet worden. Seine Werke zeigen paradigmatisch, wie das Gespür für die in einer breiten Materialfülle vorhandenen Parallelen und Kongruenzen geschichtliche Kohärenz stiften kann. A.’ an L. ä Wittgenstein geschulte metakritische Position ist die eines neuzeitlichen Erneuerungen mit heiterer Skepsis begegnenden, humanistischen Pluralisten, der durch Belesenheit, Detailfülle und elegante Solidität besticht. Gerade deshalb stehen seine in der Blütezeit des ä Dekonstruktivismus angefochtenen Hauptwerke noch unversehrt da, nicht als Ozymandius-Relikte, sondern als wohl bleibende Klassiker. Lit.: M. H. Abrams: The Mirror and the Lamp. Romantic Theory and the Critical Tradition, N. Y. 1953. – ders.: A Glossary of Literary Terms, Fort Worth/Ldn. 1999 [1957]. – ders.: Natural Supernaturalism. Tradition and Revolution in Romantic Literature, N. Y. 1973 [1971]. – ders.: »A Note on Wittgenstein and Literary Criticism«. In: ELH 41.4 (1974) S. 541–554. – ders.: »Rationality and Imagination in Cultural History«. In: Booth 1979. S. 176–194. – W. C. Booth: »M. H. A.: Historian as Critic. Critic as Pluralist«. In: Critical Inquiry 2 (1976) S. 411–445. – ders. 1979. – L. Lipking (Hg.): High Romantic Argument. Essays for M. H. A., Ithaca/Ldn. 1981. – S. Simpkins: »M. H. A.: Defender of the Faith«. In: W. J. Spurlin/M. Fischer (Hgg.): The

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Adorno, Theodor Wiesengrund

New Criticism and Contemporary Literary Theory, N. Y. 1995. S. 185–209. – S. Perry: »New Impressions VII. The Mirror and the Lamp«. In: Essays in Criticism 54.3 (2004) S. 260–282.

RH

Absurdes Theater ä Esslin, Martin Abweichung ä Deviationsstilistik Adorno, Theodor Wiesengrund (1903–1969), dt. Philosoph. – Der Sohn des jüd. Weingroßhändlers O. Wiesengrund und seiner Frau M. Calvelli-Adorno, einer ehemaligen Sängerin, verlebte in Frankfurt eine behütete und künstlerisch wie intellektuell höchst anregende Kindheit. Schnell trat seine musikalische Hochbegabung zutage, von seinem 14. Lebensjahr an las A. mit dem älteren Frankfurter Freund S. ä Kracauer I. ä Kants Kritik der reinen Vernunft. Von 1921 an studierte er bei dem Philosophen H. Cornelius, bereits 1924 wurde er mit einer Arbeit über E. ä Husserls Phänomenologie promoviert. A. betätigte sich zunächst fast ausschließlich als Musikkritiker und ging 1925 zum Studium der Kompositionslehre bei A. Berg nach Wien, kehrte aber im gleichen Jahr noch wieder nach Frankfurt zurück. Einer 1927 abgeschlossenen Habilitationsschrift verweigerte Cornelius die Anerkennung, der Frankfurter Philosoph P. Tillich nahm schließlich eine zweite, 1930 eingereichte und stark von W. ä Benjamins Studie zum Ursprung des dt. Trauerspiels beeinflusste Arbeit über Die Konstruktion des Ästhetischen bei Kierkegaard an. Als Beiträger für die dortige Zs. gehörte A. ins Umfeld des Frankfurter Instituts für Sozialforschung: Dessen Direktor M. ä Horkheimer war während A.s Promotion Assistent bei Cornelius gewesen, war Zweitgutachter über die zweite Habilitationsschrift und sah zwischen den eigenen Überlegungen und A.s Position wichtige Konvergenzen. Im September 1933 entzogen die Nationalsozialisten A. die Lehrbefugnis, anders als die festen Mitarbeiter des Instituts blieb er bis 1938 in Deutschland und folgte erst spät dem Aufruf Horkheimers, an das nach New York emigrierte Institut zu kommen. Die Einbindung in ä empirische Untersuchungen des Institutsmitarbeiters P. Lazarsfeld ließ schnell die Differenz zwischen der fast positivistischen am. Auffassung von empirischer Sozialforschung und A.s komplex vermittelten, auf ästhetische Phänomene ausgerichteten Überlegungen zutage treten. A. wurde, v. a. im Hinblick auf Horkheimers großes Dialektik-Projekt und das For-

schungsvorhaben des Instituts zum Antisemitismus, dessen wichtigster Mitarbeiter. Beide Projekte fanden einen ersten Niederschlag in der Dialektik der Aufklärung (1944/47), die die geschichtspessimistische Verknüpfung grundlegender Überlegungen aus A.s Studie zur Philosophie der neuen Musik mit einer fundamentalen Kritik philosophischer Rationalität angesichts der faschistischen Barbarei darstellte. A. setzte die Dialektik in seinen kulturpessimistischen Aphorismen Minima Moralia (1951) fort. – Nach der Rückkehr des Instituts nach Frankfurt erhielt A. einen ›Wiedergutmachungslehrstuhl‹. Neben der Mitarbeit an empirisch-soziologischen Forschungen galt sein Engagement weiterhin einerseits der Neuen Musik, v. a. in den Noten zur Lit. (1957 ff.) schlugen sich andererseits zentrale Überlegungen aus den Studien zur Musik und aus der Dialektik der Aufklärung nieder. Deren radikale Kritik an der Rationalität traditionellen Philosophierens mündete in A.s ›philosophisches Vermächtnis‹, die Negative Dialektik, die in der Negation synthetisch begreifenden Denkens, des »Herrschaftscharakters der Vernunft« (Figal 1992, S. 331) das Recht des Nicht-Identischen betont. Das unvollendet gebliebene kunsttheoretische Vermächtnis ist die Ästhetische Theorie (1970 postum), die auf der Grundlage der älteren Hauptschriften die Gesellschaftlichkeit des Kunstwerks und der ästhetischen Erfahrung jenseits aller traditionell-marxistischen lit.soziologischen Kurzschlüsse reflektiert. Wie die Neue Musik findet auch die neueste Lit. A.s Interesse. Etwa S. Beckett und P. Celan stehen für eine Lit. nach Auschwitz, deren chiffrenhafte Inkommunikabilität bzw. beredte Absurdität für die Unsagbarkeit des Grauens bzw. die Unmöglichkeit ästhetischer Sinnstiftung stehen. Darüber hinaus aber führt A. in Essays z. B. zur Lyrik J. W. v. Goethes, F. Hölderlins oder E. Mörikes Motive seiner radikalen Vernunftkritik weiter durch, wobei die Kunstwerke selbst als deren Reflexionsmedien figurieren. Die Summe seiner ästhetischen Reflexion, die Ästhetische Theorie, denkt einerseits das Kunstwerk in seiner Form als Anteilnahme am Rationalen, am gesellschaftlichen Allg. der Vernunft, als rationale Konstruktion allerdings diesseits des Begriffs, als ä Mimesis ans Übermächtige. Dieser rationalen Konstruktion aber entzieht sich im Kunstwerk utopisch je etwas Nicht-Identisches, das etwa an ästhetischen Bruchstellen aufscheint. Für A. ist auch der angemessene Rezeptionsmodus mimetisch: Das verhüllte Wahre am Kunstwerk könne nicht be-