Messung der Driftgeschwindigkeit von Elektronen in Gasen

Messung der Driftgeschwindigkeit von Elektronen in Gasen Diplomarbeit von ¨ fer Thomas Bergho Institut f¨ ur Experimentelle Kernphysik Universit¨at ...
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Messung der Driftgeschwindigkeit von Elektronen in Gasen

Diplomarbeit von ¨ fer Thomas Bergho

Institut f¨ ur Experimentelle Kernphysik Universit¨at Karlsruhe (TH) und Institut f¨ ur Kernphysik Forschungszentrum Karlsruhe in der Helmholtz-Gemeinschaft

1. Juli 2002

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1

1 Theorie 1.1 Funktionsweise einer Driftkammer . . . . . 1.1.1 Energieverlust geladener Teilchen . 1.1.2 Statistik von Ionisationsprozessen . 1.2 Elektronendrift und Diffusion . . . . . . . 1.2.1 Diffusion . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Drift und Beweglichkeit . . . . . . 1.3 Transporttheorie . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Das Simulationsprogramm MAGBOLTZ 1.5 Einfl¨ usse auf das Driftverhalten . . . . . . 1.5.1 Druck . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Temperatur . . . . . . . . . . . . . 1.5.3 Magnetfelder . . . . . . . . . . . . 1.5.4 Verunreinigungen . . . . . . . . . . 1.6 Gasverst¨arkung und Signalbildung . . . . . 1.7 Z¨ahlgase und Quencher . . . . . . . . . . .

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2 2 2 6 8 8 11 14 17 17 17 17 19 20 21 24

2 Aufbau der Meßvorrichtung 2.1 Die Driftkammer . . . . 2.1.1 Geh¨ause . . . . . 2.1.2 Driftstrecke . . . 2.1.3 Signaldraht . . . 2.2 Optisches System . . . . 2.3 Die Ausleseelektronik . . 2.4 Die Datennahmesoftware

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27 27 27 29 30 31 32 34

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . und Methan

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36 36 46 49 56

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3 Ergebnisse 3.1 Systematiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Fehlerbetrachtung . . . . . . . . . . . 3.2 Argon-Kohlendioxid . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Verschiedene Mischungsverh¨altnisse von Argon Zusammenfassung

62

Literaturverzeichnis

63

i

ii

Einleitung

In der Detektorentwicklung f¨ ur die Hochenergiephysik wurden in den letzten Jahrzehnten Fortschritte erzielt, die man zu einem nicht unwesentlichen Teil dem besseren Verst¨andnis von Transportmechanismen geladener Teilchen in Gasen verdankt. Insbesondere f¨ ur die Entwicklung neuer Driftkammern und die Verbesserung ihrer Ortsaufl¨osung ist es entscheidend, das Drift- und Diffusionsverhalten von Elektronen und Ionen in Gasen sowie deren Gemischen m¨oglichst genau zu kennen. Je nach experimenteller Zielsetzung ist es dabei von Interesse, Gase mit m¨oglichst großer Driftgeschwindigkeit, kleinen Diffusionskoeffizienten, passenden Gasverst¨arkungen etc. zu finden. Die Konstruktion immer komplexerer Detektorsysteme, welche f¨ ur den Dauerbetrieb von mehreren Jahren konzipiert wurden, machte es zudem erforderlich, Untersuchungen des Alterungsverhaltens von Driftkammern in Abh¨angigkeit von der verwendeten Gasmischung anzustellen. Die Entwicklung geeigneter Simulationsprogramme hat diese Suche in den letzten Jahren erheblich erleichtert, weil hiermit das Verhalten einer Gaskomposition mit hoher Genauigkeit vorhergesagt werden kann. Auf der experimentellen Seite sorgte vor allem die kommerzielle Verf¨ ugbarkeit von UV-Lasern f¨ ur eine deutlich h¨ohere Genauigkeit der Messungen. In fr¨ uheren Experimenten erreichte man die Erzeugung freier Elektronen meist durch Ionisation des Z¨ahlgases durch Gammastrahlung radioaktiver Pr¨aparate, durch Photoemission von Elektronen aus einer Metallplatte oder man benutzte direkt eine Betaquelle. Der Vorteil der Laserionisation gegen¨ uber diesen Verfahren ist eine wesentlich genauere Kenntnis des Ionisationsortes und Ionisationszeitpunktes. Die Entwicklung einer Meßvorrichtung, welche auf dem Prinzip der Laserionisation beruht, die Programmierung einer geeigneten Datennahmesoftware und die Durchf¨ uhrung von Messungen der Driftgeschwindigkeit verschiedener Gasmischungen sind Thema dieser Diplomarbeit. Auf die Untersuchung der Auswirkungen zugeschalteter Magnetfelder und die Temperaturabh¨angigkeit der Driftgeschwindigkeit wird im Rahmen dieser Diplomarbeit verzichtet, weil sie im sp¨ateren Praktikumsbetrieb, f¨ ur den diese Apparatur gebaut wird, aufgrund ihrer technischen Anforderungen und des begrenzten Zeitrahmens des Praktikums nicht zu realisieren w¨are. Es wird jedoch der Vollst¨andigkeit halber in dieser Diplomarbeit kurz auf die Einfl¨ usse dieser beiden Faktoren eingegangen.

1

1 Theorie

1.1 Funktionsweise einer Driftkammer Driftkammern bilden in der heutigen Hochenergiephysik oft den zentralen Bestandteil komplexer Detektorsysteme die es erlauben, die Flugbahn ionisierender Teilchen zu rekonstruieren. Sie beruhen auf dem Prinzip, daß die entlang der Trajektorie eines geladenen Teilchens durch Ionisation freigesetzten Elektronen unter Einluß eines elektrischen Feldes zu einem Signaldraht driften, wo sie dann nachgewiesen werden. Aus der Driftzeit l¨aßt sich dann auf den Abstand zum Signaldraht und somit auf den Ort ihrer Entstehung schließen. Um eine dreidimensionale Rekonstruktion der Flugbahn zu bekommen, sind mehrere Lagen solcher Signaldr¨ahte in der Driftkammer notwendig. F¨ ur die vollst¨andige Spurrekonstruktion ist es außerdem noch erforderlich, die Durchgangszeit des Teilchens durch die Kammer zu bestimmen. Daher sind oft zus¨atzlich noch um den Detektor angeordnete Triggersysteme notwendig, welche z.B. aus einer Lage schneller Plastikszintillatoren bestehen. Im folgenden Abschnitt wird auf die physikalischen Prozesse, die das Verhalten einer solchen Driftkammer bestimmen, eingegangen.

1.1.1 Energieverlust geladener Teilchen Beim Durchqueren von Materie, also z.B. eines mit Gas gef¨ ullten Detektorvolumens, k¨onnen geladene Teilchen auf unterschiedliche Art und Weise Energie verlieren. Dazu z¨ahlen:

• Inelastische St¨oße mit den H¨ ullenelektronen • Elastische St¨oße mit den Atomkernen • Bremsstrahlung ¨ • Cerenkov-Strahlung und Ubergangsstrahlung • Kernreaktionen

2

In Gasen wird der Hauptanteil des Energieverlustes durch Ionisations- und Anregungsprozesse hervorgerufen, weswegen die u ur den Betrieb einer Driftkammer ¨brigen Beitr¨age f¨ keine Rolle spielen. Bei den inelastischen St¨oßen kommt es entweder zur Anregung von H¨ ullenelektronen oder zur Ionisation des Atoms. War der Energie¨ ubertrag dabei so groß, daß das dabei herausgeschlagene Elektron gen¨ ugend Energie mitbekommt, um seinerseits weitere Atome zu ionisieren, so spricht man von δ-Elektronen. Entlang der Trajektorie eines solchen Elektrons entstehen dann Cluster von im Mittel 3 Elektronen (f¨ ur typische Kammergase mit hohem Argonanteil). Der mittlere Energieverlust dE/dx, den ein geladenes Teilchen pro Massenbelegung dx = % · ds erleidet, wird von der Bethe-Bloch-Formel beschrieben [Gru93]:     dE δ 2me c2 γ 2 β 2 2 2 2 2Z 1 −β − . − = 4πNA re me c z ln dx A β2 I 2

(1.1)

Dabei bezeichnet z

- Ladung des einfallenden Teilchens (in Einheiten von e)

Z, A - Kernladungszahl und Massenzahl des Absorbermaterials me

- Elektronmasse

re

- klassischer Elektronenradius (re =

NA

- Avogadro-Konstante ( = 6.022 · 1023 Mol−1 )

I

- mittleres Ionisationspotential (materialspezifisch)

β

- Verh¨altnis von Teilchengeschwindigkeit zu Lichtgeschwindigkeit (β = vc )

γ

- Lorentzfaktor (γ = √ 1

δ

- Korrekturterm, der Abschirmeffekte durch die H¨ ullenelektronen

1−β 2

1 4πε0

·

e2 ) me c 2

)

ber¨ ucksichtigt (auch ’Dichte-Effekt’ genannt). Die Ersetzung der zur¨ uckgelegten Wegstrecke ds durch die Massenbelegung dx = ρ · ds ist gebr¨auchlich, weil in diesem Fall der Energieverlust eine universelle Funktion der Geschwindigkeit des Teilchens ist. Der minimale Energieverlust liegt f¨ ur alle Materialen (außer Wasserstoff) zwischen 1 und 2 MeV g−1 cm−2 . Abbildung 1.1 zeigt den typischen Verlauf des Energieverlustes eines Teilchens in Abh¨angigkeit vom Lorentzfaktor γ, normiert auf den minimalen Energieverlust (dE/dx)min . Teilchen, deren Lorentzfaktor etwa im Bereich des Minimums dieser Funktion liegt, nennt man minimalionisierend.

3

Abbildung 1.1: Auf den minimalen Energieverlust normierter mittlerer Energieverlust durch Anregung und Ionisation nach Bethe-Bloch in Abh¨angigkeit vom Lorentzfaktor der einfallenden Teilchen.

Der mittlere Energieverlust ist materialabh¨angig, weil

• Das mittlere Ionisationspotential I eine f¨ ur das Absorbermatrial charakteristische Gr¨oße ist, wobei f¨ ur Z > 1 gilt: I ≈ 16 · Z 0.9 eV (1.2) • Die Art der molekularen Bindung der Absorberatome Einfluß auf das mittlere Ionisationspotential hat • Die Dichte des Materials und das Verh¨altnis von Kernladung und Atommasse (Z/A ≈ 0.5 f¨ ur die meisten Stoffe) in die Gleichung eingehen. Formel (1.1) gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, daß die Masse der H¨ ullenelektronen klein gegen die Masse des ionisierenden Teilchens ist. Sind die einfallenden Teilchen Elektronen, so muß diese etwas modifiziert werden, um die Massengleichheit der Stoßpartner und Energieverluste durch Bremsstrahlungsprozesse zu ber¨ ucksichtigen. F¨ ur den Ionisationsverlust von Elektronen gilt dann n¨aherungsweise:     γme c2 δ∗ dE 2 2Z 1 2 = 4πNA re me c ln −β − . (1.3) − dx A β2 2I 2 δ ∗ ber¨ ucksichtigt dabei, daß der Dichte-Effekt f¨ ur Elektronen andere Werte annimmt, als der f¨ ur schwerere Teilchen. Die Bethe-Bloch-Formel gibt allerdings nur den mittleren Energieverlust geladener Teilchen an. Die Energieverlustverteilung weist jedoch, besonders bei d¨ unnen Absorberschichten und

4

Gasen, eine starke Schwankung um diesen Mittelwert auf. F¨ ur diesen Fall kann sie durch die Landau-Verteilung beschrieben werden. Diese kann approximiert werden durch [Gru93]: 1 − 1 (λ + eλ ) . L(λ) = √ · e 2 2π

(1.4)

Der Parameter λ bezeichnet hierbei die Abweichung vom wahrscheinlichsten Energieverlust: λ=

∆E − ∆EW . ξ

(1.5)

∆E ist der Energieverlust in der Schichtdicke x und ∆EW der wahrscheinlichste Energieverlust. ξ ist definiert als ξ = 2πNA re2 me c2 z 2

Z 1 · ρx . A β2

(1.6)

Dabei steht x f¨ ur die Dicke des Absorbers und ρ f¨ ur dessen Dichte in g/cm3 .

Abbildung 1.2: Landauverteilung mit eigezeichnetem wahrscheinlichsten Eneregieverlust ∆E W und mittlerem Energieverlust ∆E. Wie man erkennt, ist die Energieverteilung asymmetrisch, der Mittelwert ∆E der Verteilung und der wahrscheinlichste Wert ∆EW weichen voneinander ab. F¨ ur dicke Absorberschichten verschwindet der Ausl¨aufer in der Landauverteilung immer mehr und die Energieverlustverteilung kann durch eine Gaußverteilung beschrieben werden.

5

1.1.2 Statistik von Ionisationsprozessen Die Energie, welche bei der Ionisation durch ein geladenes Teilchen auf das dabei erzeugte Elektron-Ion-Paar u ¨ bertragen wird, ist poissonverteilt. Dies beruht darauf, daß der Energieverlust in einem Medium ein statistischer Prozeß diskreter Wechselwirkungen zwischen ionisierendem Teilchen und Absorberatomen ist. Die Poissonverteilung gilt aber nur f¨ ur Detektoranordnungen, bei denen die Energie des nachzuweisenden Teilchen nicht vollst¨andig absorbiert wird. Falls dies jedoch der Fall sein sollte, ist die Annahme einer Poissonverteilung der signalbildenden Wechselwirkungen nicht mehr richtig. Zur¨ uckzuf¨ uhren ist das darauf, daß die totale deponierte Energie in diesem Fall konstant ist, wohingegen sie im Fall der nicht vollst¨andigen Absorption statistisch verteilt ist. Die einzelnen Ionisationsvorg¨ange sind daher nicht mehr unabh¨angig voneinander, weswegen die Poisson-Statistik nicht angewendet werden kann. Die Varianz σ dieser Verteilung ist daher auch nicht durch σ2 = N

(1.7)

gegeben, was dem poissonverteilten Fall entsprechen w¨ urde, sondern durch σ2 = F N .

(1.8)

N steht in diesem Fall f¨ ur die Anzahl der im Mittel erzeugten Ladungstr¨agerpaare und F ist ein materialabh¨angige Gr¨oße, die Fano-Faktor genannt wird [Leo87]. F¨ ur F = 1 ist die Varianz dieselbe wie f¨ ur den poissonverteilten Fall. Bei vielen Detektortypen, wie z.B. Halbleiter- oder Gasdetektoren, gilt jedoch F < 1, was sich nat¨ urlich auch auf das Aufl¨osungsverm¨ ogen dieser Detektoren g¨ unstig auswirkt. Dieses ist dann n¨amlich um √ den Faktor F besser, als f¨ ur Poisson-Fluktuationen. Die mittlere Energie, die aufgebracht werden muß, um in einem Gas ein Elektron-Ion-Paar zu erzeugen, liegt meistens h¨oher als das mittlere Ionisationspotential des Gases. Dem liegt zu Grunde, daß ein Teil der Energie durch Anregungsprozesse, die nicht zur Freisetzung eines Elektrons f¨ uhren, verlorengeht. Wie man Tabelle 1.1 entnehmen kann, liegt der Energieverlust Wi bei der Produktion eines Elektron-Ion-Paares f¨ ur einige Gase zum Teil doppelt so hoch wie das mittlere effektive Ionisationspotential (pro H¨ ullenelektron) des betreffenden Gases. Wie man sieht, betr¨agt der minimale zur Ionisation f¨ uhrende Energieverlust bei Gasen etwa 30 eV. Die Gesamtzahl nt der durch den Energieverlust erzeugten Elektron-Ion-Paare setzt sich aus zwei Anteilen zusammen: der Zahl np der prim¨ar erzeugten Paare und aus ns , der Zahl der Paare, die durch Sekund¨arionisation entstanden sind. Diese wird verursacht durch Elektronen, die bei der Prim¨arionisation gen¨ ugend Energie erhalten haben, um selbst weitere Ionisationsprozesse auszul¨osen. Die Sekund¨arionisation durch ein Elektron h¨alt so lange an, bis seine Energie unter die f¨ ur Ionisation des Mediums notwendige Mindestenergie gefallen ist.

6

Gas

Z

A

ρ (g/cm3 )

H2

2

2

8.38 · 10−5

He

2

4

Ne

10

20.2

Ar

18

39.9

Kr

36

83.8

Xe

54 131.3

CO2

22

44

CH4

10

16

1.66 · 10−4

8, 38 · 10−4 1.66 · 10−3 3.49 · 10−3

5.49 · 10−3

1.86 · 10−3

6.70 · 10−4

I0 [eV] Wi [eV]

np [1/cm]

nt [1/cm]

15.4

37

5.2

9.2

24.6

41

5.9

7.8

21.6

36

12

39

15.8

26

29.4

94

14.0

24

(22)

192

12.1

22

44

307

13.7

33

(34)

91

13.1

28

16

53

Tabelle 1.1: Charakteristika oft benutzter Gase in Ionisationskammern. ρ = Dichte bei Normaldruck und Normaltemperatur, I0 = mittleres Ionisationspotential, W i = mittlerer zur Erzeugung eines Elektron-Ion-Paares notwendiger Energieverlust, n p = Anzahl prim¨ar gebildeter Ionenpaare, nt = Anzahl gesamter gebildeter Ionenpaare (jeweils bei Normaldruck und f¨ ur ein minimalionisierendes Teilchen) (nach [Sau77]).

F¨ ur Gasgemische kann die Gesamtzahl nt dabei durch folgende Formel beschrieben werden:

nt = ∆E

X ci , Wi i

(1.9)

wobei ∆E den Gesamtenergieverlust in dem betrachteten Gasvolumen, Wi die durchschnittlich aufzuwendende Energie zur Erzeugung eines Elektron-Ion-Paares und ci die Konzentration der i-ten Komponente des Absorbermaterials bezeichnet. F¨ ur die Zahl der prim¨ar erzeugten Paare existiert kein einfacher Ausdruck wie (1.9). Man hat aber herausgefunden, daß f¨ ur die meisten Gasarten ein linearer Zusammenhang zwischen mittlerer Ordnungszahl Z des Gases und der durchschnittlichen Anzahl np der prim¨aren Paare besteht. Anhand Abbildung 1.3 (linkes Teilbild) kann dann np f¨ ur eine bestimmte Gasart abgesch¨atzt werden. Die Abh¨angigkeit von der mittleren Kernladungszahl ist hier durch np = 1.5 · Z angen¨ahert. Die Anzahl der gesamten gebildeten Ionenpaare nt l¨aßt sich ebenfalls n¨aherungsweise durch einen linearen Zusammenhang der Form nt = 4.5 · Z beschreiben, wie man dem rechten Teilbild von Abbildung 1.3 entnehmen kann. Somit werden im Mittel pro prim¨ar erzeugtem Elektron-Ion-Paar 3 sekund¨are Paare gebildet.

7

100

nt (Ionenpaare / cm)

np (Ionenpaare / cm)

45 C2H5OH

40 35 Ar

30 25

O2

20

80

O2

60

CH4

40

CH4

N2

Ne

15 Ne

10

20

He

5 0

CO2

Ar

np = 1.5.Z

H2

0

nt = 4.5.Z

H2 He

10

20

30

0

mittlere Kernladungszahl Z

0

10

20

30

mittlere Kernladungszahl Z

Abbildung 1.3: Linkes Teilbild: Mittlere Anzahl prim¨ar gebildeter Ionenpaare np pro cm Wegstrecke in Abh¨angigkeit von der Kernladungszahl Z. Die Anzahl kann n¨aherungsweise durch np = 1.5 · Z beschrieben werden. Rechtes Teilbild: Gesamtzahl pro cm Wegstrecke gebildeter Ionenpaare nt in Abh¨angigkeit von der Kernladungszahl. Die Abh¨angigkeit l¨aßt sich durch einen linearen Zusammenhang der Form nt = 4.5 · Z beschreiben (nach Tabelle 1.1 und [Sau77]).

1.2 Elektronendrift und Diffusion ¨ Durch relativ einfache Uberlegungen, die im wesentlichen auf der klassischen kinetischen Gastheorie beruhen, lassen sich die beiden Ph¨anomene, auf denen der Transport von Elektronen und Ionen in Gasen vornehmlich beruht, schon gr¨oßtenteils erkl¨aren, auch wenn die Meßergebnisse mit den von der Theorie vorhergesagten Werten oft nur n¨aherungsweise u ¨bereinstimmen. Bei diesen beiden Ph¨anomenen handelt es sich um die Diffusion und Drift unter dem Einfluß eines elektrischen Feldes. Die klassische Theorie kann verwendet werden, wenn die mittlere freie Wegl¨ange der Elektronen sehr viel gr¨oßer als deren Comptonwellenl¨ange ist.

1.2.1 Diffusion Elektronen in einem Gas der Temperatur T , welche z.B. beim Durchgang eines geladenen Teilchens durch das Gas oder Ionisation durch einen hochenergetischen Laserstrahl erzeugt wurden, verlieren durch Stoßprozesse mit den sie umgebenden Gasmolek¨ ulen rasch einen Teil ihrer Energie, bis sie thermalisiert sind. Die Energie der Elektronen kann in diesem Fall durch eine Maxwell-Boltzmann’sche Verteilungsfunktion F (ε) beschrieben werden: √ −ε (1.10) F (ε)dε = C ε e kT dε .

8

Daraus ergibt sich eine mittlere kinetische Energie (’thermische Energie’) von < ε >=

Z∞

εF (ε)dε ,

(1.11)

0

was dem Gleichverteilungssatz zufolge gerade einer Energie von 23 kT entspricht. Bei Raumtemperatur w¨aren das etwa 40 meV. Die zugeh¨orige Geschwindigkeitsverteilung sieht dann folgendermaßen aus: 2  m 3/2 − mv 2kT . F (v) = 4πv e 2πkT

2

(1.12)

Hieraus l¨aßt sich nun die mittlere Teilchengeschwindigkeit c sowie die wahrscheinlichste Geschwindigkeit c∗ berechnen: r   2kT dF (v) ∗ =0 (1.13) c = aus m dv   r Z∞ 8kT 2 c= (1.14) = √ c∗ = 1.128 c∗ aus c = vF (v)dv  . πm π 0

Diese Geschwindigkeiten unterscheiden sich von der quadratisch gemittelten Geschwindigkeit v, welche sich aus der Beziehung zwischen kinetischer Energie und mittlerer thermischer Energie ergibt: r 1 3 3kT m < v >2 = kT ⇒ v = = 1.225 c∗ . (1.15) 2 2 m Aufgrund dieser ungerichteten Bewegung, der Brown’schen Molekularbewegung“, diffun” diert nun eine Ladungsverteilung in den sie umgebenden Raum, wobei der Ladungsschwerpunkt erhalten bleibt. Es kann gezeigt werden, daß die Anzahldichte N der Ladungstr¨ager durch eine zerfließende Gaußverteilung beschrieben werden kann, welche in eindimensionaler Darstellung zum Zeitpunkt t von folgender Gestalt ist: 2

dN N0 −x =√ e 4Dt . dx 4πDt

(1.16)

N0 bezeichnet hierbei die Gesamtzahl an Ladungstr¨agern, x den Abstand vom Ursprung und D den sogenannten Diffusionskoeffizienten. Die Standardabweichung in x-Richtung betr¨agt f¨ ur diese Verteilung somit √ σx = 2Dt .

(1.17)

9

√ Die r¨aumliche Ausdehnung der Ladungswolke ist folglich proportional zu t, nimmt also monoton mit der Zeit zu. Der Diffusionskoeffizient h¨angt dabei von der Temperatur des Gases bzw. der mittleren thermischen Geschwindigkeit der Teilchen und weiterhin von ihrer Masse ab. Mit steigender Geschwindigkeit steigt der Diffusionskoeffizient dabei an und √ mit zunehmender Masse der Teilchen nimmt er ab, da die thermische Geschwindigkeit ∼ 1/ m ist. Der Diffusionskoeffizient h¨angt mit der mittleren freien Wegl¨ange λ u ¨ber 1 D = λv 3

(1.18)

zusammen. Die mittlere freie Wegl¨ange kann man hierbei als Radius einer Kugel interpretieren, auf deren Oberfl¨ache die Teilchen nach ihrer Erzeugung im Mittel zum ersten Mal mit einem Gasmolek¨ ul zusammenstoßen. F¨ ur Elektronen ist die mittlere freie Wegl¨ange etwa vier mal so groß wie f¨ ur Ionen. Sie h¨angt außerdem vom Streuquerschnitt σ(ε) der betreffenden Teilchen, der im Allgemeinen energieabh¨angig ist, und der Anzahldichte N der Gasmolek¨ ule in dem betreffenden Volumen ab: λ(ε) =

1 , N σ(ε)

N=

NL ρ A

(NL : Loschmidtzahl, A : M olmasse) .

(1.19)

F¨ ur Edelgase bei Normalbedingungen ist N = 2.69·1019 Molek¨ ule/cm3 . Der Streuquerschnitt f¨ ur St¨oße zwischen Elektronen und Edelgasatomen liegt dabei je nach Elektronenenergie weit unter dem klassisch erwarteten gaskinetischen Wert. Dies beruht darauf, daß bei bestimmten Elektronenenergien die Wellenl¨ange der Elektronen im Bereich der Abmessungen des Atompotentials liegt, und die Atome dadurch beruhend auf einem quantenmechanischen Interferenzeffekt (Resonanzstreuung) f¨ ur die stoßenden Elektronen praktisch ’durchsichtig’ werden. Der Streuquerschnitt sinkt infolgedessen um bis zu zwei Gr¨oßenordnungen ab. Der Effekt heißt nach seinem Entdecker, der dies 1921 zum ersten mal durch Streuung langsamer Elektronen an Edelgasatomen nachwies, Ramsauereffekt. Abbildung 1.4 zeigt den Verlauf des elastischen Streuquerschnitts von Elektronen f¨ ur die drei Edelgase Helium, Argon und Xenon als Funktion ihrer kinetischen Energie. Wie man erkennen kann, besitzt Helium kein Ramsauerminimum, w¨ahrend die beiden Minima f¨ ur Argon und Xenon gut zu erkennen sind. Die mittlere freie Wegl¨ange h¨angt mit dem Streuquerschnitt u ¨ ber 1 1 λ= √ N 2 ( V )σ0

(1.20)

zusammen, was sich mittels der idealen Gasgleichung auch als 1 kT λ= √ 2 σ0 p schreiben l¨aßt. σ0 ist hier der totale Streuquerschnitt.

10

(1.21)

Sigma [ 10-16 cm2 ]

10

10

10

10

10

3

Argon Xenon Helium

2

1

0

-1

10

-3

10

-2

10

-1

10

0

10

1

10

2

Elektronenergie [eV]

Abbildung 1.4: Abh¨angigkeit des elastischen Streuquerschnitts von der Elektronenergie f¨ur die drei Edelgase Helium, Argon und Xenon (nach [Hux74]).

Unter Verwendung von (1.14), (1.18) und (1.20) l¨aßt sich der Diffusionskoeffizient somit schreiben als r (kT )3 2 1 D= √ , (1.22) 3 π pσ0 m woraus die Abh¨angigkeit von den verschiedenen Gasparametern klar abzulesen ist. Erg¨anzend ist zu bemerken, daß der Diffusionskoeffizient durch ein ¨außeres elektrisches Feld ~ beeinflußt wird und von dessen Orientierung abh¨angt, so daß im Allgemeinen D ~ 6= D ~ E ⊥E kE ist und man prinzipiell zwischen longitudinalem und transversalem Diffusionskoeffizienten unterscheidet. Die transversale Diffusion ist hierbei der begrenzende Faktor f¨ ur das Ortsaufl¨osungsverm¨ogen einer Driftkammer. Um eine m¨oglichst hohe Ortsaufl¨osung zu erreichen, w¨ahlt man in der Praxis daher Gasgemische, welche im gew¨ unschten Feldst¨arkebereich eine m¨oglichst geringe Transversaldiffusion besitzen. Außerdem arbeitet man meist bei Dr¨ ucken zwischen 2 und 8 bar, weil sich der Diffusionskoeffizient, wie man Gleichung (1.22) entnehmen kann, mit steigendem Druck verkleinert.

1.2.2 Drift und Beweglichkeit Unter dem Einfluß elektrischer Felder ergibt sich eine Superposition von ungeordneter Diffusionsbewegung und geordneter Bewegung in Richtung des angelegten Feldes (bzw. entge¨ gengesetzt, je nach Vorzeichen der Ladung). Die folgenden Uberlegungen beziehen sich alle auf Elektronen, k¨onnen aber ohne weiteres auch auf Ionen u ¨bertragen werden.

11

¨ In einem einfachen Modell, das vornehmlich auf den Uberlegungen von J. Townsend beruht [Tow47], kann man die Anzahl der Kollisionen, welche ein Elektron beim Zur¨ ucklegen der Strecke dx erleidet, beschreiben durch dn =

1 vD τ

dx ,

(1.23)

wobei v D die mittlere Driftgeschwindigkeit und τ die mittlere Zeit zwischen zwei St¨oßen bezeichnet. Die sogenannte Kollisionsrate τ1 ist mit der Teilchenzahldichte N , dem Streuquerschnitt σ und der momentanen Elektronengeschwindigkeit w u ¨ber folgende Relation verkn¨ upft: 1 = N σw . (1.24) τ Die differenzielle Wahrscheinlichkeit, daß ein Elektron seine n¨achste Kollision im Zeitintervall zwischen t und t + dt erleidet, ist definiert als dP =

1 −t/τ e dt . τ

(1.25)

Das Elektron wird nun zwischen zwei St¨oßen gem¨aß der Bewegungsgleichung m

dv = eE , dt

(1.26)

beschleunigt, woraus sich eine Weg-Zeit-Gesetz der Form x(t) =

1 e 2 Et 2m

(1.27)

ergibt. Die mittlere zur¨ uckgelegte Wegstrecke erh¨alt man somit durch Mittelung von x(t) u ¨ ber die Zeit und unter Verwendung der Kollisionswahrscheinlichkeit (1.25) zu < x >=

Z∞

e 1 e 2 1 −t/τ Et e dt = Eτ 2 . 2m τ m

(1.28)

0

Die gemittelte Driftgeschwindigkeit ist dann < vD >=

e = Eτ = µE , τ m

(1.29)

wobei µ f¨ ur die Beweglichkeit der Elektronen steht. Diese h¨angt gem¨aß der sogenannten Nernst-Townsend-Beziehung, welche in der Literatur auch oft als Einstein-Gleichung bezeichnet wird, mit dem Diffusionskoeffizienten D wie folgt zusammen: e µ = . D kT

(1.30)

Die Formel wurde 1899 von Townsend, basierend auf den Maxwell’schen Transportgleichungen und Vor¨ uberlegungen von W. Nernst, hergeleitet und gilt nur f¨ ur ideale Gase, die sich mit den in ihnen bewegenden Ladungstr¨agern im thermischen Gleichgewicht befinden.

12

Weil τ umgekehrt proportional zur Dichte des Gases ist, gilt somit f¨ ur die Driftgeschwindigkeit: E vD ∼ P : Gasdruck . (1.31) P Man gibt daher die Driftgeschwindigkeit u ¨ blicherweise in folgender Form an: vD = µE

P0 . P

(1.32)

Die Beweglichkeit µ ist dabei bezogen auf den Normaldruck P0 . Die Driftgeschwindigkeit wird daher oft gegen das sogenannte ’reduzierte elektrische Feld’ E/P (Einheit V cm −1 hPa−1 ) oder auch gegen E/N (Einheit 1 Td(T ownsend) = 10−17 Vcm2 ) aufgetragen, da sie mit diesen Gr¨oßen skaliert. Die Gesamtenergie ε eines Elektrons setzt sich zusammen aus dessen thermischer Energie und dem Energiegewinn εE im elektrischen Feld : ε =

3 mw 2 = εE + kT . 2 2

(1.33)

Stellt sich ein Gleichgewicht zwischen dem Energieverlust der Elektronen durch St¨oße mit den Gasatomen und ihrem Energiegewinn im elektrischen Feld ein, so ergibt sich, bei konstanter Feldst¨arke und Druck, eine konstante Driftgeschwindigkeit. Mit Kenntnis der Driftgeschwindigkeit der Elektronen und der Zeit, welche diese vom Ort der Prim¨arionisation (zum Zeitpunkt t0 ) bis zum Ort ihres Nachweises (zum Zeitpunkt t1 ) ben¨otigt haben, kann man nun nat¨ urlich auch umgekehrt den zugeh¨origen Abstand x berechnen: Zt1 x = vDrif t (E, t) dt . (1.34) t0

Dieser Zusammenhang wird auch Orts-Driftzeit-Beziehung genannt und ist besonders f¨ ur die Spurrekonstruktion in Driftkammern wichtig. In den meisten Gasen ist die Driftgeschwindigkeit jedoch nicht konstant, weswegen man eine nichtlineare Orts-Driftzeit-Beziehung erh¨alt. ¨ F¨ ur Ionen kann analog zu obigen Uberlegungen nat¨ urlich auch eine Driftgeschwindigkeit definiert werden: P0 + vD = µ+ E , (1.35) P mit µ+ , der Beweglichkeit der Ionen. Diese ist verglichen mit Elektronen bei einem Feld von z.B. 1 kV/cm etwa 1000 mal so klein. In Tabelle (1.2.2) sind einige Zahlenbeispiele f¨ ur die Beweglichkeiten einiger positiver Ionen in verschiedenen Gasen angegeben.

13

Gas

Ion

µ+ (cm2 V−1 s−1 )

Ar

(OCH3 )2 CH2+

1.51

Iso C4 H10

(OCH3 )2 CH2+

0.55

Ar

+ Iso C4 H10

1.56

Iso C4 H10

+ Iso C4 H10

0.61

Ar

CH4+

1.87

CH4

CH4+

2.26

Ar

CO2+

1.72

CO2

CO2+

1.09

Tabelle 1.2: Beweglichkeit von positiven Ionen in diversen Gasen (nach [Sau77]).

+ Liegt ein Gemisch von Gasen G1 , G2 , ..., Gn vor, so ist die Beweglichkeit µ+ i des Ions Gi durch das Blanc’sche Gesetz gegeben: n

X cj 1 = . µ+ µ+ i j=1 ij

(1.36)

ur die Beweglichkeit Dabei steht cj f¨ ur die Konzentration des Gases j in der Mischung und µ+ ij f¨ + des Ions Gi im Gas Gj .

1.3 Transporttheorie Die gaskinetische Betrachtungsweise der Elektronendriftgeschwindigkeit, wie sie im letzten ¨ Abschnitt behandelt wurde, liefert oft nur eine unbefriedigende Ubereinstimmung von Theorie und Messung. Bessere Ergebnisse erzielte man durch die Entwicklung einer Theorie, die im wesentlichen auf der Boltzmann’schen Transporttheorie beruht. Diese ber¨ ucksichtigt die Abh¨angigkeit des Streuquerschnitts von der Energie, was dazu f¨ uhrt, daß die Energieverteilung der Elektronen nicht mehr durch eine einfache Maxwellverteilung der Form (1.10) beschrieben werden kann. ¨ Die folgenden Resultate basieren vor allem auf Uberlegungen von G. Schultz und J. Gresser [SG78] sowie von V. Palladino und B. Sadoulet [Pal75], welche unter Verwendung eines Artikels von Morse, Allis und Lamar [Mor35] das Verhalten von Elektronen in Gasen mittels der Boltzmann-Transportgleichung beschreiben. Die Erkenntnisse gelten jedoch nur f¨ ur den Fall, daß keine Kollisionen, die zur Ionisation f¨ uhren, auftreten, und gelten daher nur f¨ ur Energien bis ca. 10 eV. F¨ ur eine allgemeinere Darstellung sei auf das Buch von Huxley und Crompton verwiesen [Hux74].

14

Zun¨achst gilt es, die Boltzmann’sche Transportgleichung und somit die Energieverteilung der Elektronen zu bestimmen. Die Transportgleichung ist gegeben durch:     K ∂f ∂ + v · ∇r + · ∇v f (v, r; t) = . (1.37) ∂t m ∂t coll. Anschaulich stellt dies nichts anderes als eine Kontinuit¨atsgleichung f¨ ur die Elektronendichte f (v, r; t) im Phasenraum dar. Dabei bedeuten die Terme im einzelnen: ∂ f (v, r; t) ∂t

:

¨ zeitliche Anderung der Verteilungsfunktion

v · ∇r f (v, r; t)

:

¨ Anderung der Verteilungsfunktion am Ort r hervorgerufen durch Bewegung der Elektronen

K m

· ∇v f (v, r; t) :

¨ Anderung der Verteilungsfunktion aufgrund Beschleunigung durch a¨ußere Kraft

 ∂f

∂t coll.

:

¨ Anderung der Verteilungsfunktion durch Streuprozesse

Die Hauptschwierigkeit beim L¨osen dieser Gleichung besteht im wesentlichen darin, ein geeignetes Modell f¨ ur den Streuterm zu entwickeln. Dazu muß unter anderem der Streuquerschnitt und dessen Variation mit der Energie sowie der mittlere Energieverlust pro Stoß bekannt sein. Nimmt man elastische St¨oße zwischen einem Elektron der Masse m und der Energie ε = 12 mv 2 und einem Atom der Masse M an, so kann man nach [SG78] den Anteil des Energieverlustes durch Kollisionen in erster N¨aherung schreiben als m 2∆v ∆ε (1 − cosθ) , (1.38) = =2 ε v M

wobei θ der Winkel der Diffusionsrichtung nach dem Stoß ist. Der mittlere Energieverlust ist somit 2m Λ= . (1.39) M Im Allgemeinen h¨angt Λ jedoch von der Energie ab, so daß diese einfache Annahme nicht mehr g¨ ultig ist. Unter diesen Voraussetzungen und der Annahme einer homogenen und isotropen Verteilung im Phasenraum kann man die Verteilungsfunktion nun gem¨aß [Mor35] in eine Reihe von Legendre-Polynomen entwickeln, wobei nur die ersten beiden Terme der Entwicklung verwendet werden: F (ε, θ) = F0 (ε) + F1 (ε)cosθ + ... .

(1.40)

θ ist in diesem Fall der Winkel zwischen der Bewegungsrichtung der Elektronen und dem E-Feld. Man erh¨alt eine Reihe gekoppelter Differentialgleichungen, die sich mit numerischen

15

Methoden l¨osen lassen. Ber¨ ucksichtigt man dann noch die Eigenbewegung der Atome bzw. Molek¨ ule, so ist die L¨osung f¨ ur die Verteilungsfunktion von folgender Gestalt [SG78] :   Z √ 3Λ(ε)ε dε F (ε) = C ε exp − . (1.41) [eEλe (ε)]2 + 3Λ(ε)εkT Hierbei ist C eine Normierungskonstante, λe (ε) die energieabh¨angige mittlere freie Wegl¨ange f¨ ur die Elektronen, k die Boltzmann-Konstante und T die absolute Temperatur. F¨ ur kleine 2 Feldst¨arken kann man im Exponenten den Term [eEλe (ε)] gegen¨ uber dem Term 3Λ(ε)εkT vernachl¨assigen, wodurch die Verteilung in die bekannte Maxwellverteilung (1.10) u ¨bergeht. Um die bei molekularen Gasen bei Energien zwischen ca. 0.1 und 1 eV auftretende Anregung von inelastischen Rotations- und Vibrationsniveaus zu ber¨ ucksichtigen, muß der Ausdruck f¨ ur den mittleren Energieverlust durch Stoßprozesse modifiziert werden. Die Streuquerschnitte f¨ ur die Anregung von Rotations- und Vibrationsniveaus liegen teilweise in der selben Gr¨oßenordnung wie die f¨ ur Elektronenanregung und k¨onnen daher nicht vernachl¨assigt werden. Mit den Bezeichnungen εh f¨ ur die Anregungsenergie des h-ten Anregungsniveaus und λh (ε) f¨ ur die mittlere freie Wegl¨ange, die zum Anheben eines Elektrons in das Energieniveau h f¨ uhrt, l¨aßt sich dieser dann schreiben als 2m X εh λe (ε) Λ(ε) = + , (1.42) M ε λ h (ε) h oder unter Verwendung von (1.19) auch als Λ(ε) =

2m X εh σh (ε) + . M ε σ e (ε) h

(1.43)

Mittels der Verteilungsfunktion lassen sich nun die Transportkoeffizienten f¨ ur den Fall, daß kein Magnetfeld vorliegt, berechnen . F¨ ur die Driftgeschwindigkeit der Elektronen, also f¨ ur die Geschwindigkeitskomponente parallel zum elektrischen Feld E, ergibt sich [SG78] : Z 2 eE ∂(F (ε)/v) vD (E) = − ελe (ε) dε , (1.44) 3m ∂ε und f¨ ur den Diffusionskoeffizienten

D(E) =

Z

1 λe (ε)vF (ε) dε . 3

(1.45)

Weiterhin l¨aßt sich die charakteristische Energie definieren, welche eine Absch¨atzung der mittleren kinetischen Energie der Elektronen darstellt [Hux74]. Sie ist gegeben durch εk =

eD eDE = , µ vD

wobei µ f¨ ur die Beweglichkeit der Elektronen steht.

16

(1.46)

1.4 Das Simulationsprogramm MAGBOLTZ ¨ Um die Auswirkungen der Anderung verschiedener Gasparameter wie z.B Druck, Temperatur, Magnetfelder etc. auf die Driftgeschwindigkeit zu untersuchen und um Vergleichswerte f¨ ur die sp¨ateren Messungen zu erhalten, wurden im Vorfeld Untersuchungen mit dem Simulationsprogramm MAGBOLTZ durchgef¨ uhrt. Das Programm l¨ost numerisch die BoltzmannTransportgleichung unter Verwendung einer Monte-Carlo-Integration und erlaubt es so, die Transportkoeffizienten von bis zu vierkomponentigen Gasgemischen zu berechnen [Bia99]. Im Programm implementiert sind die gemessenen elastischen und inelastischen Wirkungsquerschnitte von Elektronen f¨ ur das entsprechende Gas. Nach Vorgabe von Gasart, elektrischem und magnetischem Feld sowie Druck und Temperatur berechnet das Programm die Driftgeschwindigkeit, den Diffusionskoeffizienten und den Lorentzwinkel, d.h. den Winkel zwischen Driftrichtung und elektrischem Feld.

1.5 Einfl¨ usse auf das Driftverhalten 1.5.1 Druck Wie in den vorherigen Abschnitten gezeigt, ist die Driftgeschwindigkeit der Elektronen eine Funktion des reduzierten elektrischen Feldes E/P bzw. E/N . Bei konstant gehaltener Feldst¨arke haben demnach Druck¨anderungen Auswirkungen auf das Driftverhalten. Durch eine Druckerh¨ohung bei konstant gehaltenem Volumen und Temperatur und bei fester Feldst¨arke ¨andert sich die Teilchenzahldichte im Gas, wodurch die mittlere freie Wegl¨ange f¨ ur die Elektronen kleiner wird. Aufgrund der daraus resultierenden Erh¨ohung der Zahl inelastischer St¨oße werden die Elektronen folglich vermehrt abgebremst, wodurch sich ihre mittlere Driftgeschwindigkeit verringert.

1.5.2 Temperatur F¨ ur den Fall, daß die Energie der driftenden Elektronen von der Gr¨oßenordnung der thermischen Energie der Atome und Molek¨ ule ist, kann die Eigenbewegung der Gaskomponenten nicht vernachl¨assigt werden. Die Energieverteilung der Elektronen kann dann nicht mehr durch eine Maxwellverteilung beschrieben werden, sondern muß durch eine Verteilungsfunktion der Form (1.41) ersetzt werden. Aus dieser ist jedoch der Einfluß der Temperatur auf die verschiedenen Transportkoeffizienten schwer abzulesen. F¨ ur eine qualitative Absch¨atzung des Temperatureinflusses reicht es jedoch, wenn man die Annahme macht, daß f¨ ur Felder im Bereich von 100 V/cm die Energieverteilung der Elektronen einer Maxwellverteilung ge-

17

horcht [SG78]. F¨ ur die Driftgeschwindigkeit ergibt sich dann: Z −ε −5/2 vD = C(kT ) ελe e kT dε .

(1.47)

Im betrachteten Fall kleiner Felder E und folglich kleiner Energien ε kann die mittlere freie Wegl¨ange durch einen Ausdruck der Form 1

λe = l 0 ε 2

T 273

beschrieben werden, womit sich obiger Ausdruck umschreiben l¨aßt: Z T −ε −5/2 ε3/2 e kT dε . vD = C(kT ) l0 273

(1.48)

(1.49)

Integrieren ergibt: T 5 Γ( ) . (1.50) 273 2 Durch Differentiation nach T erh¨alt man nun die gesuchte Absch¨atzung f¨ ur die Temperaturabh¨angigkeit der Driftgeschwindigkeit: vD = C l 0

∆T ∆vD = . vD T

(1.51)

Bei einer Temperatur¨anderung von ∆T = 1 K und bei T = 294 K erh¨alt man somit eine D ¨ relative Anderung der Driftgeschwindigkeit von ∆v = 3.4 · 10−3 . vD ¨ Experimentell zeigt sich eine gute Ubereinstimmung der Absch¨atzung f¨ ur den Bereich kleiner Feldst¨arken (E . 400 V/cm), bei gr¨oßeren Feldern zeigen sich jedoch Abweichungen, so daß sich z.B. f¨ ur den Fall hoher Feldst¨arken (E & 2000 V/cm) das Vorzeichen umdreht und die Driftgeschwindigkeit dementsprechend bei Erh¨ohung der Temperatur sinkt. ¨ Eine Temperatur¨anderung f¨ uhrt zu einer Dichte¨anderung im Gas und somit auch zu Anderungen der Transporteigenschaften des Gases. Weil die Driftgeschwindigkeit mit E/N skaliert, haben Temperaturerh¨ohungen einen umgekehrten Effekt wie Druckerh¨ohungen. Bei niedrigen Feldst¨arken steigt die Driftgeschwindigkeit daher normalerweise mit Erh¨ohung der Temperatur ebenfalls an. Abbildung 1.5 (links) zeigt die Driftgeschwindigkeits¨anderung einer Neon-Methan-Mischung im Verh¨altnis 90-10 bei einer Temperatur von 250 K bis 350 K in 10 K-Schritten. Wie man erkennt, f¨ uhrt z.B. bei einer Feldst¨arke von 600 V/cm eine Temperaturerh¨ohung von 10 K zu einer Erh¨ohung der Driftgeschwindigkeit von knapp 3 %. Der Einfluß einer Temperatur¨anderung ist jedoch nicht u ¨ber den gesamten Feldst¨arkebereich konstant, sondern nimmt zu h¨oheren reduzierten Feldern hin ab, wie Abbildung 1.5 (rechts) veranschaulicht. Weiterhin ist er von der Komposition des Z¨ahlgases abh¨angig.

18

Änderung der Driftgeschwindigkeit [ 10-3 cm / µs K-1 ]

Driftgeschwindigkeit [cm/µs]

5.5 5

T = 350 K

4.5 4 3.5

T = 250 K

3 2.5 2 1.5 1 0.5

3.8 3.6 3.4 3.2 3 2.8 2.6 2.4 2.2 2 1.8 1.6 1.4 1.2 1 0.8 0.6 0.4 0.2 950 900 850 800 750 700 650 600 550 500 450 400 350 300 250 200 150

950

900

850

800

750

700

650

600

550

500

450

400

350

300

250

200

150

100

50

E [V / cm]

E [V /cm]

Abbildung 1.5: Einfluß der Temperatur auf das Driftverhalten von Elektronen in einer HeliumMethan 90-10 Mischung. Das linke Bild zeigt den Verlauf der Driftgeschwindigkeit bei Temperaturen von 250 bis 350 K in 10 K-Schritten. Rechts ist die Sensitivit¨at dieser Mischung auf Temperatur¨anderungen bei einer Temperatur von 300 K zu sehen (nach [Vee00]).

1.5.3 Magnetfelder Durch die Anwesenheit magnetischer Felder wird das Driftverhalten der Elektronen wesentlich beeinflusst. Auf die Ladungstr¨ager wirkt nun zus¨atzlich zum elektrischen Feld die Lorentzkraft, welche die Ladungstr¨ager, je nach Orientierung der beiden Felder zueinander, ¨ zwischen den St¨oßen auf Kreis- oder Spiralbahnen zwingt. F¨ uhrt man analoge Uberlegungen wie in Kapitel (2.3) unter Ber¨ ucksichtigung eines Magnetfeldes durch, so ¨andert sich der Ausdruck (1.29) f¨ ur die mittlere Driftgeschwindigkeit wie folgt [Gru93]: µ < vD > = 1 + ω2τ 2



(E · B) · B 2 2 E×B ωτ + E+ ω τ B B2



,

(1.52)

wobei µ die Beweglichkeit der Ladungstr¨ager und ω die Zyklotronfrequenz ist. F¨ ur den Fall, daß E ⊥ B ist, vereinfacht sich Gleichung (1.52) zu |vD | = √

µE . 1 + ω 2τ 2

(1.53)

Abbildung (1.6) zeigt eine Magboltz-Simulation des Driftgeschwindigkeitsverlaufs von ArgonMethan 90-10 mit und ohne zugeschaltetes Magnetfeld, wobei E und B jeweils senkrecht aufeinander stehen. Es ist deutlich zu erkennen, wie sich f¨ ur h¨ohere magnetische Felder das Maximum der Kurve zu h¨oheren Feldst¨arken hin verschiebt. Bei großen Feldst¨arken verliert die durch das Magnetfeld verursachte zus¨atzliche transversale Geschwindigkeitskomponente zunehmend an Bedeutung, weshalb sich der Verlauf der Kurven wieder einander ann¨ahert.

19

Driftgeschwindigkeit (cm/µs)

6 B=0T

5

B = 0.2 T B = 0.5 T

4

B = 1.0 T

3

2

1

0

0

0.2

0.4

0.6

0.8

1

E/P (V/(cm hPa))

Abbildung 1.6: MAGBOLTZ -Simulation der Abh¨angigkeit des Driftgeschwindigkeitsverlauf einer Argon-Methan 90-10 Mischung von der St¨arke eines zugeschalteten Magnetfeldes (E ⊥ B).

1.5.4 Verunreinigungen Besonders st¨orend auf die Driftgeschwindigkeit wirkt sich die Anwesenheit von stark elektronegativen Verunreinigungen im Gasgemisch aus. Dazu z¨ahlen vor allem Sauerstoff und Wasser sowie chlor- und fluorhaltige Verbindungen, die z.B. durch Ausgasen von Komponenten der Driftkammer freigesetzt werden k¨onnen. Diese Verunreinigungen haben zum einen Auswirkungen auf die zu erwartende Signalh¨ohe am Nachweisdraht, da sie durch Elektroneneinfang die Anzahl driftender Elektronen reduzieren, zum anderen wirken sie sich aber auch direkt auf die Driftgeschwindigkeit aus, da sie die Bewegung der Elektronen verlangsamen. Weiterhin haben sie sich nat¨ urlich auch einen Einfluß auf die Energieverteilung der Elektronen. Der Verlust von Elektronen bei einer im konstanten Feld zur¨ uckgelegten Wegstrecke x l¨aßt sich durch folgenden Ausdruck beschreiben [Sau77]: n −x = e λC , n0

20

(1.54)

wobei λC die mittlere freie Wegl¨ange, die zum Elektroneneinfang f¨ uhrt, ist. Um die St¨arke des Bestrebens eines Atoms oder Molek¨ uls, Elektronen an sich zu binden, zu charakterisieren, verwendet man den Anlagerungskoeffizienten. Dieser gibt die Wahrscheinlichkeit eines Einfanges bei einer Kollision an und ist im Allgemeinen eine energieabh¨angige ¨ Gr¨oße. Tabelle 1.3 gibt eine Ubersicht der Anlagerungskoeffizienten h und der mittleren Zeitdauer t f¨ ur einen Elektroneneinfang f¨ ur verschiedene Gase an: Gas

h (s−1 )

t (s)

CO2

6.2 · 10−9

0.71 · 10−3

2.5 · 10−5

1.4 · 10−7

O2 H2 O Cl

2.5 · 10−5

4.8 · 10−4

1.9 · 10−7 4.7 · 10−9

Tabelle 1.3: Anlagerungskoeffizient h und mittlere Zeitdauer t f¨ur einen Elektroneneinfang bei verschiedenen Gasen (nach [Sau77]).

Bei einem Feld von E = 500 V/cm werden z.B. in Argon, das eine Verunreinigung durch 1% Luft aufweist, pro cm Driftstrecke 33% der Elektronen eingefangen. Bei der Konstruktion einer Driftkammer muß demzufolge stark auf die verwendeten Komponenten und auf die Reinheit der zu untersuchenden Gasgemische geachtet werden.

1.6 Gasverst¨ arkung und Signalbildung Um das elektrische Signal, das die driftenden Elektronen am Anodendraht ausl¨osen, nachzuweisen, muß dieses verst¨arkt werden, da es zum Nachweis mit elektronischen Verst¨arkern viel zu klein ist. Man macht sich daher die 1/r-Abh¨angigkeit des elektrischen Feldes eines d¨ unnen Drahtes, der auf einem hohen positiven Potential liegt, zunutze. Mit kleiner werdendem Abstand steigt das Feld stark an, so daß die auf den Draht zudriftenden Elektronen ab einem bestimmten Abstand gen¨ ugend Energie erhalten, um ihrerseits Gasmolek¨ ule ionisieren zu k¨onnen. Die dabei freigesetzen Elektronen werden durch das Feld ebenfalls beschleunigt, bis auch sie wieder gen¨ ugend Energie f¨ ur weitere Ionisationen besitzen. Dadurch ergibt sich eine Elektronenlawine mit einer ausreichenden Zahl von Elektronen, um am Signaldraht einen deutlichen Puls zu erzeugen. Die Ionen driften dabei aufgrund ihrer gr¨oßeren Masse mit einer geringeren Geschwindigkeit als die Elektronen vom Signaldraht weg, woraus eine tropfenf¨ormige Gestalt der gesamten Lawine resultiert. Abbildung 1.7 zeigt die schematische Entstehung einer solchen Elektronenlawine.

21

Abbildung 1.7: Zeitliche Entwicklung einer Elektronenlawine um einen Anodendraht. Ein einzelnes Elektron bewegt sich auf den Anodendraht zu (a). Durch die dort herrschenden hohen Feldst¨arken erh¨alt das Elektron genug Energie f¨ ur weitere Ionisationen (b). Aufgrund der unterschiedlichen Diffusionskoeffizienten von Elektronen und Ionen bildet sich eine tropfenf¨ormige Lawine, die schließlich den Draht umh¨ ullt (c)+(d). Die Elektronen werden in kurzer Zeit (ca. 1 ns) gesammelt und es bleibt eine positiv geladene Ionenwolke zur¨ uck, die sich langsam Richtung Kathode bewegt (e). (schematisch, nach [Sau77]).

Nach dem Durchlaufen der Strecke von x0 nach x steigt die Anzahl der Elektron-Ion-Paare dabei von n(x0 ) an, gem¨aß n(x) = n(x0 ) · G

mit G = exp

" Zx x0

α(x)dx

#

.

(1.55)

Hierbei ist G der Gasverst¨arkungsfaktor (’Gain’) und α(x) der 1. Townsend-Koeffizient, der das Inverse der mittleren freien Wegl¨ange f¨ ur Ionisation darstellt und im Allgemeinen feldabh¨angig ist. Durch das Ramsauerminimum im Stoßquerschnittsverlauf der Edelgase Argon, Krypton und Xenon resultieren f¨ ur diese Gase große mittlere freie Wegl¨angen, woraus hohe Gasverst¨arkungen resultieren. Die Anzahl gesammelter Ladungen h¨angt von der Betriebsspannung des Z¨ahldrahtes ab, man unterscheidet u ¨blicherweise zwischen drei charakteristischen Gebieten (hier am Beispiel eines zylindrischen Gasdetektors, vgl. Abbildung 1.8): • Ionisationskammer-Modus: in dieser Betriebsart werden alle Ladungen gesammelt, es findet jedoch noch keine Gasverst¨arkung statt. Der Bereich erstreckt sich von einer Spannung, die gerade noch ausreicht, um die Rekombination der Ladungstr¨ager zu verhindern, bis hin zu einer Spannung, bei der die Elektronen gen¨ ugend Energie zur Ionsation erhalten und die Gasverst¨arkung einsetzt.

22

• Proportionalbereich: Ab einer gewissen Schwellenspannung setzt die Gasverst¨arkung ein, wobei die nachgewiesene Ladung proportional zur prim¨ar erzeugten Ladungsmenge ist. In dieser Betriebsart sind Gasverst¨arkungen bis ca. 106 m¨oglich. • Geiger-M¨ uller-Bereich: Bei h¨oheren Feldst¨arken wird der Proportionalbereich verlassen und man kommt in den Bereich der maximalen Gasverst¨arkung, den sogenannten Geiger-M¨ uller-Bereich. Hier werden zus¨atzlich zu den Elektronen noch vermehrt Photonen freigesetzt, die ihrerseits im Detektor durch Photoeffekt Elektronen freisetzen, welche zur Bildung von Sekund¨ar- und Terti¨arlawinen im gesamten Gasvolumen f¨ uhren. 8 10 Die Signalamplitude entspricht hier einem Ladungsimpuls von 10 bis 10 Elektronen pro prim¨ar erzeugtem Elektron [Gru93]. Erh¨oht man die Signaldrahtspannung noch weiter, so kommt es schließlich zur Gasentladung im gesamten Detektor und somit zum Zusammenbruch der Spannung.

Abbildung 1.8: Verschiedene Arbeitsbereiche eines Gasdetektors am Beispiel einer Proportionalr¨ohre (nach [Sau77], entnommen von [Obe00]).

23

1.7 Z¨ ahlgase und Quencher Die chemische Zusammensetzung eines Gases entscheidet u ¨ber seine Verwendbarkeit als Z¨ahl¨ gas. Ublicherweise verwendete Gemische bestehen aus einem einatomigen Edelgas und einem Zusatz eines mehratomigen organischen Gases aus der Kohlenwasserstoffgruppe wie z.B. CH4 , C3 H8 , iC4 H1 0 (Isobutan) oder auch C2 H6 . Der Edelgasanteil sorgt hierbei u ¨berwiegend f¨ ur die Ladungsvervielfachung, wohingegen der organische Anteil durch seine u ¨ber einen weiten Energiebereich vorhandenen nichtradiativen Rotations- und Vibrationsniveaus Photonen aus dem Gasverst¨arkungsprozeß absorbiert, welche ansonsten zur Sekund¨aremission von Elektronen und somit zur permanenten Gasentladung f¨ uhren k¨onnten. Man bezeichnet diese vielatomige Komponente des Gasgemisches deshalb auch als L¨oschgas oder Quencher. Der organische Zusatz sollte hierbei m¨oglichst unpolar sein, damit keine Elektronen durch Einfangprozesse verlorengehen. Schon ein geringer Anteil eines solchen Gases ver¨andert das Verhalten des Detektors entscheidend. Ein mit reinem Argon betriebenes Z¨ahlrohr erlaubt z.B. nur Gasverst¨arkungen von ca. 103 bis 104 bevor es zur permanenten Entladung kommt, setzt man diesem jedoch einen etwa zehnprozentigen Anteil Methan zu, so k¨onnen Verst¨arkungen von 106 und dar¨ uber erreicht werden. Der Zusatz eines L¨oschgases wirkt sich aber nat¨ urlich auch auf die Driftgeschwindigkeit der Elektronen aus, welche dadurch erheblich gesteigert werden kann. Abbildung 1.10 zeigt z.B. eine MAGBOLTZ -Simulation der Driftgeschwindigkeit von Argon in Abh¨angigkeit vom Methananteil.

Abbildung 1.9: Mittlere Elektronenergien einiger Gase in Abh¨angigkeit vom reduzierten Feld (nach [Chr91]).

24

Driftgeschwindigkeit (cm/µs)

12 Argon:Methan 90-10

10

70-30 50-50 Reines Argon Reines Methan

8

6

4

2

0

0

0.2

0.4

0.6

0.8

1

1.2

1.4

E/P (V/(cm hPa))

¨ Abbildung 1.10: Anderung des Driftgeschwindigkeitsverlaufs einer Argon-Methan-Mischung mit zunehmendem Methananteil.

Wie man sieht, besitzt reines Argon u ¨ber den gesamten angegebenen Bereich des reduzierten Feldes eine sehr niedrige Driftgeschwindigkeit. Dies beruht darauf, daß bei Argon schon bei Werten von E/P > 0.2 V cm−1 Torr−1 die mittleren Elektronenenergien u ¨ber 2 eV liegen (vgl. Abb. 1.9) und somit die Wirkungsquerschnitte, wenn man den Wert mit Abbildung 1.4 vergleicht, nicht im Ramsauerminimum liegen. Die Elektronen stoßen daher mit den Argonatomen rein elastisch, wodurch sie ihre hohe Energie beibehalten und daraus wiederum die niedrige Driftgeschwindigkeit resultiert. Durch Zugabe eines molekularen Gases wie etwa CH4 , CO2 , CF4 oder N2 , welche u ¨ber einen gr¨oßeren Feldst¨arkebereich geringere mittlere Elektronenenergien als Argon besitzen, ¨andert sich dieser Verlauf der Driftgeschwindigkeit nun dramatisch. Die Elektronen stoßen mit den Gasmolek¨ ulen inelastisch, wobei sie einen großen Teil ihrer kinetischen Energie verlieren. Diese wird von den Molek¨ ulen in Rotationsund Vibrationsenergie umgesetzt. Dadurch verringert sich die mittlere Elektronenenergie soweit, daß man in den Bereich des Ramsauerminimums des jeweiligen Edelgases gelangt. Aufgrund des bei diesen Elektronenenergien viel kleineren Stoßquerschnitts erh¨alt man nun eine sehr viel gr¨oßere Driftgeschwindigkeit. Der Absolutwert der Driftgeschwindigkeit h¨angt zudem noch von der St¨arke des elektrischen Feldes, durch welches die Elektronen beschleunigt

25

werden, ab. Je h¨oher die elektrische Feldst¨arke, desto h¨oher ist auch die kinetische Energie der Elektronen. Bei niedrigen Feldst¨arken von etwa 0.4 kV/cm ist die mittlere Elektronenergie im Bereich des Ramsauerminimums von Argon angesiedelt, woraus ein Maximum der Driftgeschwindigkeit resultiert. Mit zunehmender Feldst¨arke verschiebt sich die Energieverteilung der driftenden Elektronen hin zu h¨oheren Energien, welche einem hohen inelastischen Wirkungsquerschnitt von Argon entsprechen. Aus diesem Grund sinkt die Driftgeschwindigkeit trotz des st¨arkeren, die Elektronen beschleunigenden, elektrischen Feldes. Bei Argon spricht man auch von einem ’heißen Gas’, weil hier die zugeh¨orige Elektronenergie vom elektrischen Feld dominiert wird (ε ∼ εE  23 kT ), w¨ahrend z.B. CO2 ein ’kaltes’ Gas ist (ε ∼ 23 kT ). In der Praxis w¨ahlt man daher ein Gasgemisch, das den experimentellen Anforderungen am besten entspricht. Diese Anforderungen k¨onnen z.B sein: • hohe Driftgeschwindigkeit, um die Verarbeitung hoher Teilchenraten zu erm¨oglichen • Unbrennbarkeit der Gasmischung • geringe transversale Diffusion, um eine m¨oglichst gute Ortsaufl¨osung zu erhalten • ausreichende Gasverst¨arkung • M¨oglichst breites Plateau des Driftgeschwindigkeitsverlaufs, damit sich Schwankungen des Feldes m¨oglichst wenig auf die Driftgeschwindigkeit auswirken und man in diesem Feldst¨arkebereich eine weitestgehend lineare Orts-Driftzeit-Beziehung erh¨alt.

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2 Aufbau der Meßvorrichtung

2.1 Die Driftkammer 2.1.1 Geh¨ ause Abbildung 2.1 zeigt einen schematischen L¨angsschnitt durch die Driftkammer. Der ¨außere Aufbau der Kammer besteht im wesentlichen aus drei Teilen: • einem etwa 9 cm hohen Bodentopf, an dem die Gaszufuhr, eine vakuumdichte SHVBuchse f¨ ur die Zufuhr der Signaldrahtspannung sowie ein NW40 Kleinflansch zum Anschluß einer Vakuumpumpe angebracht sind, • einem Edelstahlzylinder, der die eigentliche Driftstrecke beinhaltet sowie • einem 3 cm hohen Deckel, in den ein Sensor zur Druckbestimmung eingeschraubt ist. Zwischen den drei Einzelteilen befinden sich zwei Zwischenst¨ ucke aus Polyethylen, in die je zwei O-Ringe aus Viton zur Abdichtung der Kammer eingelassen sind. Außerdem sind sie mit jeweils 32 Bohrungen versehen, um einen m¨oglichst ungehinderten Gasaustausch zwischen den drei Kammerteilen zu erm¨oglichen. Die Verschraubung der drei Einzelteile erfolgt dabei u ¨ ber zwei an den Zylinder angeschweißte Flansche. Der Edelstahlzylinder hat einen Innendurchmesser von 257 mm und ist insgesamt 612 mm lang. In diesen sind insgesamt 9 Kleinflansche NW40 eingeschweißt, von denen sich 8 gegen¨ uberliegen. Diese beinhalten je ein UV-durchl¨assiges Glasfenster mit einem Durchmesser von 40 mm und dienen zur Einbzw. Auskopplung des Laserstrahls, mit dem die Ionisation des Z¨ahlgases erfolgen soll. Die Flansche sind in einem Abstand von 117 mm zueinander angebracht, so daß verschieden ¨ lange Driftstrecken mit einer Maximall¨ange von etwa 35 cm untersucht werden k¨onnen. Uber den neunten Flansch wird die Hochspannung zur Erzeugung des Driftfeldes zugef¨ uhrt. Am oberen Ende des Zylinders ist außerdem noch ein Edelstahlrohr mit 6 mm Durchmesser eingeschweißt, welches als Gasauslaß dient. Die Innenwand des Zylinders wurde außerdem ¨ mit einer 2 mm dicken Teflonmatte verkleidet um Uberschl¨ age, welche bei hohen Feldst¨arken

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