Menschenrechte in der Einwanderungsgesellschaft

Menschenrechte in der Einwanderungsgesellschaft Salzburg, 3.3.2012 Fachtagung: Interkulturelle Arbeit bei den Kinderfreunden Ursula Liebing, Plattfor...
Author: Melanie Adler
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Menschenrechte in der Einwanderungsgesellschaft Salzburg, 3.3.2012 Fachtagung: Interkulturelle Arbeit bei den Kinderfreunden

Ursula Liebing, Plattform für Menschenrechte Salzburg

Menschenrechte in der Einwanderungsgesellschaft

1. 2. 3. 4.

Menschenrechte - Fremdenrecht: Das zentrale Spannungsfeld der Einwanderungsgesellschaft Einwanderungsland Österreich – menschenrechtliche Missstände aus der Praxis der Plattform für Menschenrechte Salzburg Die Rolle der Menschenrechte in der Einwanderungsgesellschaft Was kann Zivilgesellschaft tun?

Menschenrechte: das moralisch-ethische Prinzip „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“Art.1, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) Anerkennung der inhärenten Würde des Menschen und Schutz dieser Würde durch Rechte – Freiheit – Gleichheit – Solidarität „Kampf gegen Diskriminierung“: Strukturprinzip

der MR

Menschenrechte - die Lebensbereiche Bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) • • • • •

„Freiheitsrechte“ - persönliche Freiheit Schutz des Einzelnen gegen Übergriffe des Staates, körperliche und persönliche Integrität, Schutz gegen Übergriffe im Rechts- und politischen System gesellschaftliche Teilhabe (Versammlung, Gewerkschaften etc.) oft nicht voneinander abgrenzbar: zb Meinungsäußerung ist bürgerliches und politisches Recht

Wirtschaftliche, kulturelle und soziale Rechte (UN Sozialpakt) • • • •

„Gleichheitsrechte“ Volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, d.h.: Recht auf Bildung, Familie, medizinische Versorgung, Privatsphäre, Schutz vor Diskriminierung, Recht auf Arbeit, Recht auf Wohnung, Rente für Alte und Behinderte etc.

Menschenrechte: Rechtsgrundlagen Grundlegende Völkerrechtliche Vereinbarungen •

AEMR (1948), UN – Zivilpakt, UN Sozialpakt – 1966/1978)

Völkerrechtliche Konventionen, die einzelne Rechte betreffen: •



Genfer Flüchtlingskonvention, UN Kinderrechtskonvention, CEDAWÜbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, CERD- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Folter, Völkermord, Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen

Regionale Konventionen: Europäische Menschenrechtskonvention EMRK (1950 unterzeichnet)

Verpflichtung des Nationalstaates: • • •

Menschenrechte achten (respect) schützen (protect) gewährleisten (fulfill)

Menschenrechte und Gleichbehandlung in Österreich- gesetzliche Grundlagen • • • •

Verfassung - Staatsgrundgesetz Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK - Verfassungsrang) UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) 1980 Bundesverfassungsgesetz vom 3. Juli 1973 zu CERD (UN Konvention über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung)



Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern (2011)

• •

Gleichbehandlungsrecht EU Grundrechte-Charta und Richtlinien

Fremdenrecht Regelt Aufenhaltsbedingungen und Lebensbedingungen von Fremden. „Fremder ist, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt“ (§2 NAG) – Asylgesetz regelt Asylverfahren (AsylG) – Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) regelt Aufenthalt von nicht-ö Personen – Fremdenpolizeigesetz (FPG) regelt aufenthaltsbeendigende Maßnahmen – Staatsbürgerschaftsgesetz regelt Erwerb und Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft

Lebensbedingungen heißt: Zugang zu Arbeitsmarkt, Soziale Sicherungssyteme, Kommunale Dienstleistungen (zb Gemeindewohnungen), Gesundheitssystem, Bildungssystem etc. – d.h. menschenrechtlich relevante Lebensbereiche

Menschenrechte-Fremdenrecht verschiedene „Klassen“ von Fremden … •

Staatenlose, Undokumentierte MigrantInnen („Illegal Aufhältige“), Geduldete Menschen (auf Dauer nicht Abschiebbare)



Asylsuchende (Antrag nach Asyl-G)



Subsidiärschutzberechtigte (Asyl nicht gewährt, aber Non-Refoulement)



Drittstaatsangehörige (Nicht EU-BürgerInnen) – Familienangehörige von Drittstaatsangehörigen – langaufhältige Drittstaatsangehörige



Konventionsflüchtlinge (Asyl gewährt)



EU-BürgerInnen – Familienangehörige von EU-BürgerInnen

… unterschiedliche menschenrechtliche Missstände Betroffen vom Fremdenrecht sind auch

– Österreichische PartnerInnen und Nachkommen von Fremden (zb Binationale Ehen) – Zugewanderte ÖsterreicherInnen

Einwanderungsland Österreich – menschenrechtlich relevante Entwicklungen EU-rechtlicher Rahmen - EU Binnenraum • • • •

Richtlinien für Antidiskriminierung und Gleichbehandlung – Umsetzung in nationales Recht Antidiskriminierung und Gleichbehandlung Aber: Verstärkung der Unterschiede zwischen Fremden (Unionsbürger profitieren, Drittstaatsangehörige verlieren, Unionsbürger 2. Klasse: Osterweiterung, Roma) Harmonisierung des Umgangs mit Flüchtlingen – Nivellierung nach unten (Schengen-Raum, Dublin-II, Schubhaft-Richtlinie etc.)

EU-rechtlicher Rahmen - EU-Außengrenze •

Restriktives Migrationsmanagement: Schengen- Raum, Vorgrenz-Kontrolle (zb Frontex)

Migrationssteuerung in Ö über restriktive Fremdengesetze: • • • •

seit 1992 ca 20 Novellierungen und Änderungen des Fremdenrechts Große Rechtsunsicherheit für Betroffene Häufig Verschlechterung der rechtlichen Situation und Verschärfung menschenrechtlicher Missstände für Drittstaatsangehörige Zugang zu verschiedenen Menschenrechten wird erschwert bzw. Umsetzung auf Minimalniveau

„ Kulturalisierung“ und „Religionisierung“ der Integrationsdebatte verschärft menschenrechtliche Missstände Spar- und Krisendebatte verschärft Ausgrenzung armutsbetroffener Menschen

Menschenrechtsverletzungen im Einwanderungsland Österreich • •

Differenzierter Blick notwendig auf unterschiedliche „klassen“ von Einwanderern Häufig betreffen Probleme in der Praxis den Zugang zu einem Menschenrecht

Einwanderungsland Österreich – Beispiele für Problembereiche aus der Praxis z.B

– Das Recht auf Asyl – Das Recht auf Familien- und Privatleben – Das Recht auf Religions- und Meinungsfreiheit – Rassismus und Diskriminierung

Beispiele für menschenrechtliche Misstände: Das Recht auf Asyl (1) Allgemeine Erklärung der Menschenrechte: Artikel 14: 1. Jedermann hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen. (Ausnahme: Verfolgung wg nichtpolitischer Straftaten oder Handlungen, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen) • • • •

Festung Europa: Zugang zum Recht auf Asyl in EU – Keine Protected Entry Procedures – faktisch keine legale Einreisemöglichkeit für Asylsuchende Bilaterale Verträge – „Auffanglager“ für Flüchtlinge in Transitländern unter Mißachtung von MR Standards (zb in Libyen noch unter Ghaddafi) Missachtung des Non-Refoulement Prinzips im Mittelmeerraum (Aktuell: Verurteilung von Italien durch Europäischen Gerichtshof) Dublin II - Rückschiebungen in das erste sichere Drittland im Schengen-Raum (zb Polen, Ungarn, Italien, Griechenland) – Aber: keine vergleichbaren Qualitätsstandards der Asylsysteme

Beispiele für menschenrechtliche Misstände: Das Recht auf Asyl (2) •

Schubhaft in Österreich (Freiheitsentzug!!)



Asylverfahren in Ö:



• • •

Verhängung durch Behörde, betroffener Personenkreis, effektiver Rechtsschutz in der Schubhaft, Vollzugspraxis/Anhaltung im vgl. zu Strafhaft, Umgang mit Suizidgefährdung )

• • •

Rechtsunsicherheit aufgrund zahlreicher Änderungen (dzt. 3 parallele Gesetzeslagen) Verfahren in Asyl-Behörde (weisungsgebunden), Verkürzter Instanzenzug (Kein Zugang zu Verwaltungsgericht, nur Asyl Gerichtshof mit 2erSenaten) Entscheidungen tw. ohne persönliche Anhörungen Inadäquates Verfahren für besonders schutzbedürftige Menschen (Istanbul-Protokoll) Überlange Dauer der Verfahren/Verfahrensrückstand



Lebenssituation von Flüchtlingen in Ö während des Verfahrens



Negatives Meinungsklima in Österreich zum Recht auf Asyl



„Humanitäres“ Bleiberecht?

• • • •



Keine freie Wahl des Aufenthaltsortes Kein Arbeitsmarktzugang (Ausnahme Saison und Selbständigkeit - prekär) Manifeste Armut, Grundversorgung deutlich niedriger als BMS z.T. unwürdige Lebensbedingungen in Quartieren, insbesondere gewerbliche Quartiere

Gesetzliche Regelung aus MR-Perspektive unzureichend

Beispiele für menschenrechtliche Missstände: Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (1) EMRK Artikel 8 – (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. – (2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

Beispiele für menschenrechtliche Missstände: Das Recht auf Achtung des Privat und Familienlebens (2) • Drittstaatsangehörige – Familiennachzug

– Kontinuierliche Erschwerung des Familiennachzugs – Erteilungsvoraussetzungen (v.a. Einkommenshöhe und Berechnung, Wohnraum, Quote, Sprachkenntnisse vor Zuzug) – Gestaltung der Aufenthaltstitel („Ankerfremde“ und Angehörige) – Fehlende Harmonisierung Aufenthalt/Arbeitsmarktzugang – Wechsel von Aufenthaltszwecken (Schüler/Studium und dann?)

• „Bleiberechts“betroffene (von AsylG auf NAG)

– Familien- und Privatleben während „unsicherem Aufenthalt“ nachrangig gegenüber Interesse des Staates an geordnetem Fremdenwesen – Kein eigenständiges Bleiberecht für Kinder auch nach langjährigem Aufenthalt – Äußerst restriktive Handhabung der Anerkennung eines schützenswerten Privatlebens – In der Praxis: Einzelstehende werden zb nach 9 Jahren abgeschoben,

Beispiele für menschenrechtliche Misstände: das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit (1) • Rechtsgrundlage in Österreich: • Zb EMRK Art. 9 Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, Staatsgrundgesetz, Vertrag von St. Germain

• Zentrale Elemente der Religionsfreiheit – – – –

Positive Religionsfreiheit Negative Religionsfreiheit Freiheit in der Religion („Exit“) Individuelle und gemeinschaftliche, öffentliche und private Ausübung

• Verhältnis Staat – Religionsgemeinschaft – Respektvolle Nicht-Identifikation

Beispiele für menschenrechtliche Misstände: das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit (2) •



• •

Hierarchisierung - Diskriminierung: – anerkannte Religionsgemeinschaften (historisch bedingte Zus.setzung) – eingetragene Bekenntnisgemeinschaften – religiöse Vereine Kulturalisierung von Religion und religiösen Symbolen (zb Kruzifix, Minarett) - Instrumentalisierung von religiösen Symbolen für „Ausgrenzungsrethorik“ Moscheebau – Minarette (Gewährleistung?) „Kopftuchdiskriminierung“ von Frauen, zb beim Zugang zu Ausbildung oder Arbeitsmarkt

Beispiele für Missstände aus der Praxis – Rassismus und Diskriminierung •

Rassismus als Gegenprinzip der Menschenrechte – – –



Un-Freiheit des Individuums/Überbetonung der Kollektiven Differenzen Un-Gleichheit durch Hierarchisierung Entsolidarisierung (Wir-Ihr)

Typische Rassismusform des 21. Jahrhunderts-Einwanderungsgesellschaft: – – –

Kultur oder Religion als „Schicksalskategorien“ („Mauern“ , hinter denen das Individuum verschwindet, Wir -Ihr) Hierarchisierung („WIR“ zuerst) Entsolidarisierung („IHR“ gehört nicht hierher“)



Achtung: Rassismus mit Inanspruchnahme von Meinungsfreiheit und Demokratie, Frauenrechten („antiliberaler Liberalismus“)



In Österreich – – – – – –



750 Fälle im Jahr 2011 von ZARA dokumentiert (Schwerpunkt WIEN) Top-Down Rassismus fehlende Distanzierung politischer Parteien vom „rechten Rand“ Rassismus der gesellschaftlichen Mitte, kein gesellschaftlicher anti-rassistischer Konsens Kein anti-rassistischer Konsens in Polizei und Behörden Keine ausdifferenzierte Medienlandschaft

Diskriminierung – Benachteiligung von Menschen: – –

intentionale Diskriminierung strukturelle Diskriminierung

Rolle der Menschenrechte in der modernen Einwanderungsgesellschaft? Menschenrechte eignen sich als moralisch-ethisch Grundlage für „aufgeklärten Multikulturalismus“ (Heiner Bielefeldt) • Individuen als Träger eines MR-Anspruchs, nicht Kulturen oder Religionen. Menschen haben das Recht sich frei zu entscheiden. • Nicht Vielfalt der Kulturen als Selbstzweck

– kein Diversitätsprogramm, sondern – Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht der Menschen

• Der Anspruch auf freie und gleichberechtigte Selbstbestimmung der Menschen bedeutet auch: – Respekt für Vielfalt von Lebensformen und – Respekt für Vielfalt von kulturellen Ausdrucksformen – Kein „Artenschutz“ für Traditionen und Kulturen

Was kann Zivilgesellschaft tun? Paradigmenwechsel in der Integrationsdebatte und in der Politik Gesellschaftsklima-Bündnis: Rechte – Chancen – Vielfalt : Lobby-Arbeit für gleiche Rechte auf allen politischen Ebenen • Menschenrechtsansatz in der Einwanderungspolitik • Grundlegende Sanierung des Fremdenrechtes • Menschenrechte als Querschnittsmaterie bei Gesetzen • Anti-Rassimus als Staatsaufgabe Konkrete Solidarität und Zusammenarbeit fördern • Zusammenarbeit v.a. auch mit migrantischen Organisationen • Unterstützungsangebote für Menschen, deren Rechte bedroht sind Chancengleichheit für Alle – aktive Förderung von Vielfalt • in der eigenen Organisation • Beim Zugang zu den Angeboten Bildungsangebote für Kinder und Erwachsene • Menschenrechte, Antidiskriminierung und Antirassismus Teilhabe ermöglichen - Partizipation anbieten und fördern • Weg vom passiven Konsum von (politischen) Entscheidungen zur (politischen) Mitgestaltung

Die Ausgrenzung ausgrenzen, nicht die Menschen!

Quellen: Fallbeispiele/menschenrechtliche Mißstände: Monitoring der Plattform für Menschenrechte, Salzburg Salzburger Menschenrechtsbericht 2010 und 2011 – diverse Hintergrundartikel (insbesondere Recht auf Asyl, Bleiberecht, Recht auf freie Religionsausübung) Heiner Bielefeldt, Menschenrechte in der Einwanderungsgesellschaft, Bielefeld 2007 Heiner Bielefeldt, Vortrag: Rassismus im 21. Jahrhundert – Begleitmusik zur Alltäglichen Ausgrenzung – Podiumsdiskussion Salzburg Februar 2012

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