Evangelisch-reformierter Gottesdienst am Ewigkeitssonntag Linden

24.XI.2013 Beat Weber

Meinen Koffer packen für die letzte Reise Schriftlesung: Psalm 90,1–12 und 1. Korinther 15,1–4.14.19f. (NGÜ) Ps 90,1

Ein Gebet von Mose, dem Mann Gottes. Herr, eine Zuflucht bist du uns gewesen, wo man sicher wohnen kann,
 du warst es für uns durch alle Generationen.
 2 Ehe die Berge geboren wurden,
 ehe du die Erde mit ihren Lebensräumen hervorbrachtest – 
da warst du, Gott, schon da von Ewigkeit zu Ewigkeit. 3 Die sterblichen Menschen lässt du zu Staub werden
 und sprichst: »Kehrt ´zum Staub` zurück, ihr Menschenkinder!« 4
 Denn tausend Jahre sind in dienen Augen so kurz wie ein gerade vergangener Tag – 
sie sind nicht länger als ein paar Stunden in der Nacht. 5 Du reißt die Menschen aus dem Leben, sie entschlafen,
 sie sind so vergänglich wie frisch emporgewachsenes Gras,
 6 das am Morgen sprießt und blüht
 und am Abend welkt und verdorrt. 7 Ja, wir vergehen durch deinen Grimm,
 wir erschrecken, wenn dein Zorn uns trifft.
8 Du führst dir unsere Vergehen vor Augen,
 selbst unsere verborgenen Sünden kommen vor dir ans Licht. 9 Ach, alle unsere Tage schwinden dahin, weil dein Zorn auf uns lastet,
 wir durchleben unsere Jahre so rasch, als wären sie ein kurzer Seufzer.
 10 Unser Leben dauert siebzig Jahre,
 und wenn wir noch Kraft haben, dann auch achtzig Jahre.
 Und was uns daran so wichtig erschien, ist letztlich nur Mühe und trügerische Sicherheit.
 Denn schnell eilen unsere Tage vorüber, als flögen wir davon. 11 Wer aber erkennt wirklich, wie gewaltig dein Zorn und dein Grimm ist?
 Wer begreift, welche Ehrfurcht dir gebührt?
 12 Lehre uns zu bedenken, wie wenig Lebenstage uns bleiben,
 damit wir ein Herz voll Weisheit erlangen! 1. Kor 15,1 Geschwister, ich möchte euch an das Evangelium erinnern, das ich euch verkündet habe. Ihr habt diese Botschaft angenommen, sie ist die Grundlage eures Lebens geworden, 2 und durch sie werdet ihr gerettet – vorausgesetzt, ihr lasst euch in keinem Punkt von dem abbringen, was ich euch verkündet habe. Andernfalls wärt ihr vergeblich zum Glauben gekommen! 3 Zu dieser Botschaft, die ich so an euch weitergegeben habe, wie ich selbst sie empfing, gehören folgende entscheidenden Punkte: Christus ist – in Übereinstimmung mit den Aussagen der Schrift – 
für unsere Sünden gestorben. 4
 Er wurde begraben, 
und drei Tage danach hat Gott ihn von den Toten auferweckt – 
auch das in Übereinstimmung mit der Schrift. 
5 Als der Auferstandene hat er sich zunächst Petrus gezeigt 
und dann dem ganzen Kreis der Zwölf. …

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Und wenn Christus nicht auferstanden ist, ist es sinnlos, dass wir das Evangelium verkünden, und sinnlos, dass ihr daran glaubt. … 19 Wenn die Hoffnung, die Christus uns gegeben hat, nicht über das Leben in der jetzigen Welt hinausreicht, sind wir bedauernswerter als alle anderen Menschen. 20 Doch es verhält sich ja ganz anders: Christus ist von den Toten auferstanden! Er ist der Erste, den Gott auferweckt hat, und seine Auferstehung gibt uns die Gewähr, dass auch die, die im Glauben an ihn gestorben sind, auferstehen werden.

Predigt Liebe Gottesdienstgemeinde, In diesen Herbstferien reisten wir in den Süden, auf eine Mittelmeerinsel. Dazu gehört das Kofferpacken. Unser Leben lässt sich als Reise mit unterschiedlichen Stationen beschreiben. Begegnungen und Abschiede gehören dazu. Heute möchte ich von der letzten Reise sprechen und davon, wohin sie geht, was wir dafür brauchen und was nicht. Es geht dabei nicht nur um diejenigen, die von uns gegangen sind und an die wir heute denken. Es geht vor allem um uns. Und so heisst meine Predigt: „Meinen Koffer packen für die letzte Reise“ [Koffer]. • 1. Wann und wohin? Sie hat schon begonnen, meine letzte Reise. Die Jüngeren sind sich dessen kaum bewusst. Die Älteren fragen, wo die Jahre geblieben sind. Und die in der Lebensmitte sind sehr beschäftigt. Doch alle sind wir unterwegs. Seit der Geburt gehen wir dem Tod entgegen – das ist „todsicher“, wie man so sagt. Manchmal ist die Lebensreise lang, ein andermal ist sie früher zu Ende als gedacht. Die Reisedauer ist uns unbekannt. Im gehörten Psalmwort wird die Unwägbarkeit menschlichen Lebens zur Aufforderung (Ps 90,12 Lu): Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. Doch wohin führt sie: die Lebensreise? Bis zum Tod – gewiss! Auch darüber hinaus? Es ist heute umstritten, ob es ein Leben jenseits der Todesgrenze gibt. Auf dem Markt der Antworten kann jedes herauslesen, was ihn kommod dünkt. Falls es aber eine Ewigkeit gibt, ist unser irdisches Menschenleben weniger als ein Wimpernschlag aufs Ganze gesehen. Die Bibel äussert sich eindeutig. Die „Hoffnung über den Tod hinaus“ hat ihren Grund am Ostermorgen, in der Auferstehung Jesu Christi. Wenn das Sterbenmüssen uns klugmachen soll, heisst das: Sieh das Leben im Licht der Ewigkeit. Sei dir bewusst, dass du auf der letzten Reise bist, und beginne deinen Koffer frühzeitig zu packen.

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In den Koffer für die letzte Reise gehört Wichtiges und Bleibendes. Doch der Koffer ist nicht leer. Da liegt schon Einiges drin, das ich in unterwegs – bewusst oder unbewusst – eingepackt habe oder mir eingepackt wurde. Manches versperrt den Platz, anderes ist unnötig und nochmals anderes ist einfach nur belastend. Es gilt daher, dies zunächst auszupacken, um dann Raum für das Bedeutsame zu haben. Auspacken und dann einpacken – beides wollen wir jetzt miteinander tun. Es kann aber sein, dass der eine oder die andere von euch daheim für sich noch Zeit braucht fürs Aus-, Um- oder Einpacken. Schieb es nicht auf die lange Bank, denn die Reise kann unverhofft beginnen! • 2. Auspacken Im Koffer sind Altlasten. Andere haben sie mir aufgebürdet, oder ich habe mir Dinge selber eingebrockt. Nun will ich Unnötiges auspacken, damit die letzte Reise gelingt. [Steine] Da sind Steine drin. Ich trage schwer an ihnen. Menschen haben mich verletzt. Sie machen mir den Rücken wund und lassen mich gebeugt gehen. Nachtragend bin ich – als Last und zum eigenen Schaden trage ich sie andern hinterher. Für die Reise in die Ewigkeit ist es Zeit, solche Lasten abzugeben und zu sagen: „Ja, das war nicht gut; es hat mir sehr weh getan … aber jetzt will ich frei davon werden und das schmerzhaft Verkrampfte loslassen. Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern … HERR, ich vergebe ihm/ihr, und danke Dir, dass du es auch tust … und mir das Nachtragen vergibst. [Hammer + Nadel] Waffen kommen nicht in den Himmel, denn da ist Friede. Spätestens bei der Gepäckkontrolle müssen die raus. Es gibt Waffen aller Art. Da ist zum einen der Hammer: Wenn es nicht im Guten geht, dann habe ich ein schlagendes Argument und haue aggressiv drein. Oder da ist zum andern die Nadel: Ich stichle, immer wieder – gerne da, wo man weiss, dass es weh tut. Und sie ist so klein; man kann tun, als sei nichts dabei. Ich schaue meine Waffen an und frage: Wovor will ich mich schützen? Warum tue ich weh? Ich bete: Herr, sei du mein Schutz! Ich bekomme das Psalmwort (Ps 91,4 NGÜ): Seine Treue gibt dir Deckung, sie ist dein Schild, der dich schützt. Ich darf meine Waffen abgeben und Vertrauen wagen. In seine Hände lege ich, was mich sorgt und ängstigt, traurig oder zornig macht – denn er sorgt für mein Recht. [Spiegel] „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste, der Beste, der Gerechteste, die Tüchtigste im ganzen Land?“ Wir schauen uns im Spiegel an und ziehen Vergleiche mit andern. Die Neigung zur Selbstbezogenheit, das Abdriften in Oberflächlichkeit und Egozentrik – das sind grosse „Krankheiten“ unserer Zeit. Der moderne Mensch ist so satt und so leer – beides zugleich. Wo das Jenseits aus dem Blick entschwindet, da sind

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wir eingemauert in die materielle Welt. Es bleibt das Arbeiten oder das Sichzu-Tode-Amüsieren. Der Spiegel, in dem wir uns jeden Tag neu betrachten, muss aus dem Koffer. Wer ich wirklich bin, ist mir nicht direkt zugänglich. Ich will mich dem anheim stellen, der mich bei meinem Namen kennt. Er weiss, wer ich wirklich bin, und sagt mir in der Taufe bleibend gültig (Jes 43,1 Lu): Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! [Schwarzer Schal] Auch Trauer und Schmerz sind in den Lebenskoffer geraten: Ein grosser Wunsch blieb unerfüllt. Ein Bruch ist geschehen. Ein Mensch ist nicht mehr da, der mir nahe stand. Trauer und Schmerz suchen wir uns nicht aus, und manches hätten wir gerne anders. Wir können sie nicht so einfach aus unserem Reisekoffer verbannen. Aber wir können Belastungen Gott hinhalten und bitten, dass sie nicht in Schwermut und Bitterkeit führen. Dieses Psalmwort öffnet mir einen Weg (Ps 68,20 NGÜ): Gepriesen sei der Herr! Tag für Tag trägt er unsere Last; ja, er, Gott ist unsere Rettung. • 3. Einpacken Wir haben unsern Lebenskoffer entlastet. Nun ist Platz, um Wesentliches für die letzte Reise hinein zu tun. Hinein soll, was ans Ziel führt und was in Ewigkeit bleibt und nicht vergeht. Der Apostel Paulus sagt es mit diesen Worten (1. Kor 13,13 NGÜ): Was für immer bleibt, sind Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei. Aber am größten von ihnen ist die Liebe. Diese drei und was zu ihnen führt und ihnen dient, will ich für die letzte Reise in meinen Koffer einpacken. [Bibel] Die Bibel steht für den „Glauben“. Sie ist Wegleitung für unterwegs. Mit ihren Worten redet Gott zu mir, und im Gebet ich mit ihm. Im regelmässigen Gespräch mit Gott möchte ich bleiben. Gottes Welt ist eine andere als meine, und da brauche ich Übersetzungshilfe. Das Kalenderblatt mit der täglichen Besinnung, die Predigt am Sonntag oder eine Gesprächsgruppe hilft mir dabei. Ich bin mit andern unterwegs – das ist Kirche. So packe ich also die Bibel ein – nicht für die Insel, sondern auf die letzte Reise. Ihr Gotteswort wirkt und bewahrt Glauben. So sagt es mir (Röm 10,9f. NGÜ): Wenn du also mit deinem Mund bekennst, dass Jesus der Herr ist, und mit deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, wirst du gerettet werden. Denn man wird für gerecht erklärt, wenn man mit dem Herzen glaubt; man wird gerettet, wenn man den Glauben mit dem Mund bekennt. [Rotes Herz] Das rote Herz steht für die Liebe – für eine Liebe, die dieses Wort verdient. Liebe ist die einzige Währung im Himmel, die noch Wert hat. Wir investieren viel Zeit und Energie in Dinge, die letztendlich nicht zählen. Jedes kann die Probe aufs Exempel machen und am Abend den Tag

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durchgehen und überlegen: Was war wichtig und was unwichtig? Was waren kurze Lebensschnäppchen und was hält an? Liebe kann nicht genug in den Koffer hinein, und sie muss hinein. Der Apostel hat gesagt, dass es das Allerwichtigste vom Wichtigen sei. Nun wollen wir alle geliebt werden, schwieriger aber ist das Lieben. Woher kommt sie: die Fähigkeit zu lieben? Die Liebesfähigkeit und -willigkeit hat ihren Halt darin, dass ich geliebt bin. Gotteskindern ist der Heilige Geist gegeben, und der flüstert ihnen zu, dass Gott sie lieb hat (vgl. Röm 5,5). So packen wir die Liebe ein und bleiben ihrer doch stets bedürftig. [(Oster/Tauf-)Kerze] Die an der Osterkerze ihr Licht empfangende Taufkerze steht für die Hoffnung. Hoffnung ist der Motor des Lebens. Gibt es Hoffnung über den Tod hinaus, dann auch diesseits der Todesgrenze, schon hier im Leben. Am Ostermorgen weicht die Dunkelheit dem Licht. Was unmöglich ist, geschieht: Das Leben überwindet den Tod. Dieses Licht der Hoffnung nehmen wir mit auf die letzte Reise und lassen es unterwegs schon leuchten. Heute, in die Advents- und Weihnachtszeit hinein und weiterhin. Mein Kofferpacken für die letzte Reise schliesse ich mit einer persönlichen Erfahrung, die ein Kollege erzählt hat (H.-M. Steffe, Aufatmen 4/2011, 79): Andreas war 19. Seit einem halben Jahr hatte er einen aggressiven Krebs. Er genoss das Leben, solange es ging. Vor drei Wochen hatte er mit seinem besten Freund noch eine Reise gemacht. Jetzt waren seine letzten Tage gekommen. Ich kam eben aus dem Konfirmandenunterricht, 25 Jungen und Mädchen, das blühende Leben. Und jetzt zu ihm – so früh verwelkt und verdorrt. Auf der Fahrt flehte ich: „Vater im Himmel, gib mir ein Wort für Andreas, das ihn tröstet und stärkt. Lass ihn nicht allein – und mich lass auch nicht im Stich.“ Da stieg in mir das Wort aus dem Psalm auf, den ich eben mit den Konfis geübt hatte (Ps 27,1): Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen? Das hat getragen. Dann stand ich vor seinem Bett. Bevor ich etwas sagen konnte, sprach er mich an: „Herr Pfarrer, Sie werde mich doch bald beerdigen. Dann kommen viele junge Leute, auch mein Zwillingsbruder. Sagen Sie denen, was mir in meinem Leben geholfen hat. Es ist mein Konfirmationsspruch aus der Bibel. Mein Bruder hat die erste Hälfte bekommen und ich die zweite: Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen?“ Es war einer der Augenblicke, wo mich die Ewigkeit berührte und der Heilige Geist ganz nah war. Andreas möchte ich gern im Himmel wiedersehen. Und in meinen kleinen Koffer möchte ich einpacken: Eine Kerze. Christus ist auferstanden von den Toten und hat versprochen, dass er die zu sich holt, die ihm vertrauen. Christus, das Licht der Welt.

Amen.