Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, heute, am wichtigsten Abend im Kalender des Industrie- Clubs, wird fast alles etwas anders sein als

1 Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, heute, am wichtigsten Abend im Kalender des IndustrieClubs, wird fast alles etwas anders sein als gewohnt...
Author: Katja Weber
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Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, heute, am wichtigsten Abend im Kalender des IndustrieClubs, wird fast alles etwas anders sein als gewohnt: Ich erspare Ihnen und verkneife mir meinen sonst eher länglichen Bericht über das zu Ende gehende Jahr, es gibt keine goldenen Nadeln für große Jubiläen, weil vorsorglich schon nach der Mitgliederversammlung verliehen, erstmalig werden Vertreter der Medien bei uns sein und dass Sie, die feuerpolizeilich gerade noch zulässigen 250 Menschen, hier im Karl-Jarres-Saal sein können, bedeutet zugleich, dass weitere 200, die auch gern teilgenommen hätten, es nicht können. Halten Sie aber ruhig Ihr etwa aufkeimendes schlechtes Gewissen im Zaum, unser Auswahlverfahren mit Einbau eines Zufallsfaktors war angekündigt und fair, seien Sie alle einschließlich des Düsseldorfer Oberbürgermeisters, Herrn Thomas Geisel, unserer Ehrenvorsitzenden und Ehrenmitglieder der Herren Dr. Rolf Schwarz-Schütte, Dr. Gundolf von Halem und Albrecht Woeste herzlich im Namen des Vorstandes begrüßt und heißen Sie nun mit mir die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland besonders herzlich willkommen. Mit der Kanzlerin begrüßen wir in ihrer Begleitung die Herren: Ministerialdirektor Prof. Lars Hendrik Röller, den finanz-und wirtschaftspolitischen Berater der Bundeskanzlerin und G 7und G 20-Sherpa, Herrn Steffen Seibert, den Regierungssprecher der Deutschen Bundesregierung und

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Ministerialdirigent Dr. Bernhard Kotsch, den stellvertretenden Leiter des Büros der Kanzlerin. Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, vor 5 Tagen gab mir ein Freund und Clubmitglied einen ziemlich ungewöhnlichen Rat, der sein ganzes Sprengstoffpotential in meinem Kopf erst im Verlauf der folgenden 90 Sekunden entwickelte. Er sagte nämlich mit vielleicht halbem Ernst, wir sollten doch Ihnen angesichts Ihres von uns allen beobachteten und bewunderten Reise-, Verhandlungs- und Vortragspensums allein der letzten Tage anbieten, Ihre Rede bei uns heute nicht halten zu müssen. Nachdem ich den hinterhältigen Charme dieses großmütigen Gedankens endlich begriffen hatte, kämpften in mir kurz, aber heftig, Edelmut und Eigennutz miteinander, bis der Eigennutz siegte und ich den Vorschlag ohne weitere Rücksprache mit meinen Vorstandskollegen in den Papierkorb warf. Dieser zweifellos ritterlichen Geste war ich schlicht nicht fähig, was auch hätten Sie gesagt, was mein Vorstandskollege und BDI-Präsident Ulrich Grillo, dessen Fürsprache wir Ihren Besuch verdanken? Was unsere Mitglieder? Nicht ohne eine gewisse Beschämung, Frau Bundeskanzlerin, stehe ich hier nun also als bekennender Egoist, obwohl ich vielleicht anders gekonnt hätte. Es ist einfach so, dass wir uns sehr über Ihre Zusage gefreut haben, eine Freude, die über die Wochen parallel mit der Sorge wuchs, etwas denn doch noch deutlich Wichtigeres als dieses Jahresessen könnte Ihre Anwesenheit an anderem Ort verlangen.

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Nun sind Sie unübersehbar hier in dem nach allgemeiner Meinung führenden deutschen Club seiner Art, die Hoffnung hat über die Sorge gesiegt und wir sind erleichtert, dankbar und gespannt. In gedanklicher Vorbereitung auf diesen Abend und meinen Begrüßungspart habe ich die 10 Jahre Ihrer Kanzlerschaft in groben Zügen an meinem geistigen Auge vorbeilaufen lassen und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass sie unter dem Strich gut für unser Land waren. Natürlich war nicht jeder mit jeder Entscheidung der von Ihnen geführten Koalitionen einverstanden. Stichworte sind nur z.B.: der überrumpelnde Ausstieg aus der Kernenergie, die Mütterrente, das Signal der 63-JahresPensionsgrenze. Im Übrigen aber haben Sie auf der Basis der Schröderschen Agenda 2010 und im Windschatten der Niedrigzinspolitik das Industrie- und Exportland Deutschland an die Spitze internationalen Ansehens geführt und z. B. mich zu einem Ihrer Anhänger gemacht. Und das nicht nur wegen Ihrer allseits zu Recht gepriesenen analytischen Fähigkeiten. Dazu hat – noch gewichtiger – ganz wesentlich beigetragen, dass Sie persönlich von unbezweifelbarer Integrität und Bescheidenheit sind, berechenbar und immens fleißig, jeder falschen Pose abhold. Beim ewig lauernden Konflikt zwischen Sein und Schein entscheiden Sie sich verlässlich gegen den Schein. Niemand – auch die Anhänger eines Grexit – konnte Ihnen die Achtung für Ihren Einsatz zur wohl nur vorübergehenden Beruhigung der Griechenlandfrage oder Ihr Nichtlockerlassen

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i.S. Ukraine versagen. Auch Ihre Gesprächspartner in den nicht so demokratischen Ländern wissen, woran sie bei Ihnen sind und akzeptieren, dass Sie, anders als andere westliche Staatschefs, auch unangenehme Themen ansprechen. Die Welt von heute und Morgen, Ihr Spielfeld, ist in einem lange nicht gekannten Maße in Unordnung: Hauptfaktoren sind nach meiner Zeitungsleser-Wahrnehmung u.a.: Ein Russland, das wieder Großmacht werden will. Ein sog. Islamischer Staat, der ungleich größere und brutalere Nachfolger von Al Quaida, mit seinen Metastasen vom Schlage Boko Haram und Al Shabaab, nachdem dem arabischen Frühling nirgendwo ein Sommer gefolgt ist. Ein Machtkampf in der islamischen Welt mit Iran und Saudi Arabien als Protagonisten. Din weiterhin vornehmlich sein Volk und dessen Land zerstörender und in die Flucht treibender syrischer Herrscher, neuerdings mit Hilfe von Russland. Ein in keiner Weise befriedetes Afghanistan. Ein wieder aufgebrochener Türkei-Kurden-Konflikt und totalitäre Machthaber mit ihren korrupten Eliten in vielen afrikanischen Staaten. Unter anderem all dies ist dafür verantwortlich, dass Millionen von Flüchtlingen ihre Heimat in Asien, Afrika und Europa verlassen müssen und ihre Länder bei dieser Gelegenheit entvölkern.

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Wir alle hören, sehen und lesen darüber täglich und nehmen die Bilder vom unendlichen Leid der verzweifelten, ihr Recht auf Leben einfordernden Menschen wie auch die von überforderten offiziellen und freiwilligen Helfern mit in die mitunter schlaflose Nacht. Und wir wissen auch, dass die Einhaltung deutschen Rechts nicht allen Flüchtlingen von Anfang an leicht fallen wird. Nachdem Deutschland aus vielerlei Gründen das Sehnsuchtsziel der meisten Flüchtlinge ist, haben Sie, sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, in einem gewaltigen Akt der Menschlichkeit am 5. September die europäischen Asylregeln außer Kraft gesetzt und tausenden von in Budapest gestrandeten Flüchtlingen die Einreise nach Deutschland eröffnet, die von Ungarn weder nach europäischem Recht noch nach den Geboten der Menschlichkeit behandelt wurden. Inzwischen haben Sie auf mehrerlei diplomatische Weise die strategische Sicherung der Außengrenzen der EU voranzubringen versucht. Was damals weithin als großartige humanitäre Geste, als display of moral leadership, wie die FT schreibt, weltweit und auch noch in Deutschland gefeiert wurde, hat innerhalb von 2 Monaten eine dramatische innen- und außenpolitische Krise hervorgebracht. Es ist schwer zu sagen, wieviel mehr Flüchtlinge jeder Provenienz durch Ihre damalige Geste und Ihr wiederholtes „Wir schaffen das“ sich auf den Weg gemacht haben; wahrscheinlich ist, dass der Strom auch ohne diese Worte immer weiter geflossen wäre, ein wenig verzögert vielleicht.

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Nun aber erwartet nicht nur der Vorsitzende Ihrer ach so schwesterlichen Partei, sondern die Mehrzahl der Deutschen, aber auch z.B. Frankreich in seiner Angst vor dem Front National, von Ihnen ein deutliches „Stop!“, eine Rücknahme der „Einladung“, wie allgemein formuliert wird, und die Benennung einer Obergrenze und erhofft sich davon eine Verringerung der Flüchtlingsströme. Jüngere Nachrichten geben Hoffnung auf eine morgige Einigung der Koalition in wesentlichen Fragen. Unübersehbar ist, dass sich immer mehr Deutsche ängstigen vor der ntegrationsaufgabe, vor importierter Kriminalität und vor wirtschaftlichen Folgen, die angeblich auf die Schwächeren zukommen. Unabhängig davon, wie berechtigt und durch welche gezielten Fehlinformationen diese Angst entstanden ist, sie ist Realität, macht die PEGIDA-Demonstrationszüge länger und die Zahl der AFD-Wähler größer. Die Stimme der abwägenden Mitte verschafft sich immer weniger Gehör. Im übrigen Europa wiederum gibt es offenbar fast kein Verständnis für die offenherzige deutsche Haltung, man empfindet die Einforderung von Solidarität in der Flüchtlingsfrage gar als unsolidarisch. Eine schleichende Neigung zur Renationalisierung spricht aus manchen Kommentaren und das, wo wir gerade in – wie ich finde – lebenswichtigen TTIP-Verhandlungen mit den USA sind, die nur die EU als Ganzes führen kann. Aber diese Flüchtlingskrise deckt genau wie die Staatsschulden-/Griechenland-Krise Grundfragen des europäischen Gemeinverständnisses auf, die im Hinblick auf eine in keiner Weise leichter werdende Zukunft dringend beantwortet

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werden müssen: Welches sind die Werte, auf denen die EU basiert, was ist ihr Ziel und Zweck. Sind die Werte so einheitlich, wie wir glauben? Wie und wann lösen wir den Zielkonflikt, der sehr vereinfacht heißt: Bundesstaat mit weiterer Übertragung von Hoheitsrechten oder Staatenbund und welches Land macht wobei mit? In welcher Verfassung muss Europa sein, um den klimabedingten gewaltigen Wanderungsbewegungen zu begegnen, die der Vorstandsvorsitzende der Munich Re, Nikolaus von Bomhard, erwartet, wenn aus den zur Zeit weltweit 60 Mio. Flüchtlingen deutlich mehr werden? Jenseits des Politischen gibt es einen philosophischen Diskurs zwischen klugen Leuten wie dem ehemaligen Verfassungsrichter Udo di Fabio und dem FAZ Herausgeber Berthold Kohler über den tieferen Sinn von Grenzen für die in ihnen lebenden Menschen und ihre Kultur sowie den dialektischen Gegensatz zwischen Grenze und Öffnung in einem liberalen Land. In anderen Worten: Wieviel Zuzug von Menschen deutlich anderer, religionsbestimmter Kultur kann sich ein Staat leisten, dessen Attraktivität für seine Bewohner wie auch für Dritte in seiner moralischen, rechtlichen, kulturellen Identität besteht, ohne dass er diese Identität einbüßt? Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, auf Ihrem Tisch liegt noch so viel mehr als das hier nur Angerissene, und so betone ich nochmals, wie sehr wir zu würdigen wissen und uns geehrt fühlen, dass Sie bei all diesen speziell an Sie adressierten Herausforderungen heute zu uns sprechen und freue mich mit allen anderen auf Ihre Worte nach der Suppe.