Meilensteine in der „Karriere“ eines Arzneimittels
Akute Toxizität - Am Ganztier - Aufnahme: oral, inhalativ, dermal - Bestimmung von: Letalität (LD50) - Hautreizung, Augenreizung - Erste Informationen über betroffene Organe, Wirkmechanismen und Todesursache
Mutagenität - Identifikation von Veränderungen der DNA (vererblich) - Dadurch: Identifikation eines möglichen Krebsrisikos - Zwingend vorgeschrieben sind: (i) Mutagenitätstest an Bakterien (ii) Mutagenitätstest an Säugerzellen in vitro (iii) Mutagenitätstest an Säugerzellen in vivo
Pharmakokinetik und Metabolismus - Blut- und Gewebekonzentrationen - Pharmakokinetik 1. versus 2. Ordnung - Halbwertszeit (Kumulation?) - Identifikation aller Metabolite - Identifizierung der Ausscheidungswege: Harn versus Kot versus Galle - Im Versuchtier (erst in der Phase 1 klinischen Studie im Menschen)
Toxizität bei wiederholter Verabreichung - 28-Tage Test - 90-Tage Test - Ableitung eines NOAEL - Pharmakokinetik 1. versus 2. Ordnung - Änderung der Wirkungsstärke: Sensibilisierung? Toleranz? Neue Wirkungen?
Reproduktionstoxizität Zweigenerationenstudie - Bereits den Elterntieren wird die Prüfsubstanz verabreicht - Die Nachkommen werden untersucht auf die Leistung des Fortpflanzungssystems sowie auf Wachstum und Entwicklung - Großer Aufwand; erfordert viele Versuchstiere
Chronische Toxizität 12 - 18 Monate - Meist in Ratten und Mäusen - In der Regel drei Dosierungen und Kontrollen - In der Regel 20 Tiere je Gruppe - Männchen und Weibchen - Untersucht werden: Allgemeinzustand, Gewicht, Blut, Urin, alle Organe in der Histologie
Karzinogenität 2-Jahresstudie - Meist in Ratten und Mäusen - Drei Dosisstufen und eine Kontrollgruppe -Männchen und Weibchen - Meist 50 Tiere je Gruppe - Alle Organe und Gewebe, in denen Krebs entstehen kann, werden aufgearbeitet
Die klinischen Prüfungen
Das Schema verdeutlicht zugleich den steigenden Zeit- und Mittelaufwand. Die Prüfgänge können je nach Stoffart (Arzneimittel, Pestizid, Nahrungsmittelzusatz u. a. m.) gewisse Abwandlungen erfahren; auch die Einwirkungsart (Aufnahmewege, Häufigkeit, Dauer) kann von Einfluss sein. Die toxikologische Prüfung neuer Stoffe beruht fast ausschließlich auf Untersuchungen an Versuchstieren, aus praktischen Gründen werden meist kleine Nager, wie Ratte und Maus, verwendet.
Exkurs: Anwendungsorientierte Mutagenitätsprüfung
Standard Testbatterie für Gentoxizität 1. Bakterieller reverser Mutagenitätstest 2. Test mit Säugerzellen auf: a. Chromosomenaberrationen b. Genmutationen 3. In vivo Mutagenitätstest
Standard Testbatterie für Gentoxizität 1. Bakterieller reverser Mutagenitätstest 2. Test mit Säugerzellen auf: a. Chromosomenaberrationen b. Genmutationen 3. In vivo Mutagenitätstest
Möglichkeit der Umsetzung 1. Ames Test 2. V79 (HGPRT)-Test und Test auf Chromosomenaberrationen z.B. In Lymphozyten oder Mouse lymphoma tk assay (inklusive der Größenbestimmung der Kolonien: kleine Kolonien durch strukturelle oder numerische Chromosomenaberrationen)
3. Micronuklei Chromosomenabrerrationen
Im Knochenmark von Mäusen
Ames Test Chemical mutagens Wild type bacterium his G46:
Endogenous processes
5´-C T C-3´ 3´-G AG-5´ (Leucine) Formation of colonies on minimal agar
Salmonella typhimurium TA 1535 his G46 5´-C C C-3´ 3´-G G G-5´ (Proline)
No colony formation on minimal agar
Ames Test Preincubation assay S-9 Mix1
Plate incorporation assay
Bacteria
Test substance
S-9 Mix1 Test substance
Bacteria Top agar
Incubation for 20-60 min on a shaking water bath Plating onto petri dishes immediately after addition of top agar
Addition of top agar and plating on petri dishes Incubation for 48 - 72 h
Growth of colonies: each colony indicates a reverse mutation Negative control: only a small number of colonies can be observed that are due to spontaneous mutations
Bacteria incubated with a mutagen
5-7 days
Liver Administration of substances that induce liver enzymes
- Excision of the liver - Homogenisation - Centrifugation at 9 000 g
S-9 Sediment
Mechanismen falsch positiver Ergebnisse in Ames Test: - der (überwiegend) aktivierende Metabolismus (Phase I) ist massiv induziert - der (überwiegend) inaktivierende Metabolismus (Phase II) ist nicht oder nur schwächer induziert - ggf. wird eine Substanz in der Hepatozyte aktiviert aber unmittelbar zum „benachbarten“ inaktivierenden Enzym weitergereicht; der aktive Metabolit verlässt nicht die Hepatozyte
TA98 Revertanten / Platte
Ames Test mit Substanz AS-D20 mit und ohne Rattenleber S-9 Mix 300
Positive Kontrollen 250
Mit S-9-Mix: Benzo[a]pyren (10µg/Platte): 2-Aminoanthracen (10 µg/Platte):
200 Mit S-9 Mix
150 100
Ohne S-9 Mix
50 0
0
5 15,8 50 158 500 1580 5000 Substanz AS-D20 (µg/Platte)
689 ± 35 4900 ± 168
Ohne S-9-Mix: Benzo[a]pyren-4,5-oxid (1 µg/Platte) 4200 ± 424 N-Methyl-N'-nitro-N-nitrosoguanidin (10 µg/Platte): 46 ± 7
TA98 Revertanten / Platte
Mutagenität von Substanz AS-20 im Ames Test mit S-9 Mix (Präinkubation) bei Zusatz unterschiedlicher Konzentrationen an Glutathion (GSH) GSH 0 mM 2,5 mM; 5 mM
150
Positive Kontrollen GSH
Benzo[a]pyren (10 µg/Platte)
10 mM
100
50
0 0
50 158 500 Substanz AS-20 (µg/Platte)
1580
0 mM 1 mM 2,5 mM 5,0 mM 10 mM
438 ± 38 252 ± 39 264 ± 35 212 ± 46 113 ± 15
2-Aminoanthracen (10 µg/Platte) 5333 ± 208 5233 ± 153 5200 ± 200 5300 ± 200 5167 ± 58
TA98 Revertanten / Platte
Ames Test (Präinkubation; 1h) mit AS-20 mit 3 aktivierenden Systemen: S-9 Mix, Hepatozytenhomogenat und intakte Hepatozyten der Ratte Positive Kontrollen
150
Benzo[a]pyren (10 µg/Platte)
125
S-9 Mix
100
2-Aminoanthracen (10 µg/Platte)
S-9 Mix
461 ± 46
4833 ± 153
50
Homogenat
457 ± 27
4150 ± 180
25
Intakte Hepatozyten
103 ± 4,5
3717 ± 176
Homogenat
75
Intakte Hepatozyten 0 0
15,8 50 158 500 1580 5000 Substanz AS-20 (µg/Platte)
Die Substanz wurde in die Kanzerogenitätsprüfung gegeben; Ergebnis (2,5 Jahre später nach Investition von ca. 6 Mio EUR): - negativ in Mäusen - negativ in Ratten Fazit: das war nicht zu 100% vorauszusehen; aber: bei „erklärbar“ positivem Ames Test und sonst negativer Testbatterie ist mit großer Wahrscheinlichkeit keine Kanzerogenität aufgrund eines gentoxischen Mechanismus zu befürchten (nicht ausgeschlossen ist selbstverständlich ein nicht-gentoxischer kanzerogener Mechanismus)
Standard Testbatterie für Gentoxizität 1. Bakterieller reverser Mutagenitätstest 2. Test mit Säugerzellen auf: a. Chromosomenaberrationen b. Genmutationen 3. In vivo Mutagenitätstest
Möglichkeit der Umsetzung 1. Ames Test 2. V79 (HGPRT)-Test und Test auf Chromosomenaberrationen z.B. In Lymphozyten oder Mouse lymphoma tk assay (inklusive der Größenbestimmung der Kolonien: kleine Kolonien durch strukturelle oder numerische Chromosomenaberrationen)
3. Micronuklei Chromosomenabrerrationen
Im Knochenmark von Mäusen
Anwendungsbeispiele
Test
Ergebnis
1. Ames Test
negativ
2. V79 (HGPRT)-Test
negativ
Test auf Chromosomenaberrationen in Lymphozyten 3. Chromosomenabrerrationen im Knochenmark der Maus
→ Weiter mit der Kanzerogenitätsprüfung
negativ
negativ
Anwendungsbeispiele
Test
Ergebnis
1. Ames Test
positiv
2. V79 (HGPRT)-Test
positiv
Test auf Chromosomenaberrationen in Lymphozyten 3. Chromosomenaberrationen im Knochenmark der Maus
→ Substanz „beerdigen“
positiv
positiv
Test
Ergebnis
1. Ames Test
positiv
2. V79 (HGPRT)-Test
negativ
Test auf Chromosomenaberrationen in Lymphozyten 3. Chromosomenaberrationen im Knochenmark der Maus
negativ
negativ
Ein positiver Ames Test ist nicht zwingend das „Aus“ einer Substanz; Falls die anderen Prüfungen negativ sind kann die Substanz ggf. „gerettet“ werden. → Ggf. Überprüfung der Relevanz des positiven Ames Tests
Test
Ergebnis
1. Ames Test
„schwach positiv“
2. V79 (HGPRT)-Test
negativ
Test auf Chromosomenaberrationen in Lymphozyten 3. Chromosomenabrerrationen im Knochenmark der Maus
negativ
negativ
- Der Ames Test zeigte nur eine sehr schwache Erhöhung der Revertanten nur mit S-9 - Nur mit dem „in Haus“ frisch hergestellten S-9 - Der Anstieg war nicht konzentrationsabhängig, und nur bei den 3 höchsten Konzentrationen zu beobachten (500, 1580 und 5000 µg/Platte); darunter: negativ - Dieser suspekte, „schwach positive“ Befund war allerdings reproduzierbar
→ Was tun??
Die Überprüfung der Reinheit ergab für den getesteten Batch einen kleinen „Nebenpeak“ von ca. 0,3 % der Gesamtsubstanz Die „Nebensubstanz“ wurde isoliert und getestet: Ergebnis: - positiv im Ames Test - positiv im V79 Test →Das Syntheseverfahren wurde optimiert, bis keine „Nebensubstanz“ mehr nachweisbar war. Alle weiteren Gentoxizitätstests waren negativ. Der Kanzerogenitätsprüfung war ebenfalls negativ.
Test
Ergebnis
1. Ames Test
positiv
2. V79 (HGPRT)-Test
negativ
Test auf Chromosomenaberrationen in Lymphozyten 3. Chromosomenabrerrationen im Knochenmark der Maus
positiv
negativ
- Kritische Situation, aber nicht ganz ausgeschlossen, dass die Substanz zu retten ist. Vorgehen: - Widerspruch Ames-Test zu V79-Test klären - Chromosomenaberrationen nur bei toxischen Konzentrationen?
Exkurs: „Toxizitäts-assoziierten
DNA-Schäden“
Problem der Toxizität bei Tests auf Chromosomenaberrationen, Mikronuklei und DNAStrangbrüche („Klastogenität“) Die Guidelines (z.B. ICH) empfehlen toxische Konzentrationen bis zu maximal 80 % Toxizität zu testen (daher initial: „range finding test“) Aber: Apoptose und Endonukleasen-Freisetzung können bei toxischen Konzentrationen zu DNABrüchen führen und somit Chromosomenaberrationen bzw. Mikronuklei induzieren Diese „Toxizitäts-assoziierten DNA-Schäden“ sind keine Folge von Gentoxizität der Prüfsubstanz In Fall der „Toxizitäts-assoziierten DNA-Schäden“ liegt oft ein Schwellenmechanismus vor
Ein „gemeines“ Beispiel
Test
Ergebnis
1. Ames Test
negativ
2. V79 (HGPRT)-Test
negativ
Test auf Chromosomenaberrationen in Lymphozyten
positiv
3. Chromosomenabrerrationen im Knochenmark der Maus
positiv
Zusätzlich wurde noch ein Test auf Induktion von DNA-Addukten durchgeführt:
positiv
Kanzerogenität in Mäusen: positiv Kanzerogenität in Ratten: positiv
Leber- und Blasentumore, bei sehr hohen Dosierungen
Würden Sie diese Substanz gegen leichte Kopfschmerzen nehmen?
Die Substanz heißt:
Paracetamol Indizien, die den toxikologisch gebildeten Chemiker misstrauisch machen: - hohe, toxische Dosierung - Lebertumore bei Nagern
nicht zwingend auf den weniger empfindlichen Menschen übertragbar
- Blasentumore: Blasensteinbildung bei hohen Dosen? - Chromosomenaberrationen bei negativem Ames- bzw. V79-Test: toxische Konzentrationen?
Problem der Schwelle: Gentoxizität nach Überforderung der Glucuronid-Konjugation Paracetamol Glucuronidierung Sulfatierung
Chinonimin Konjugation mit Glutathion
DNA-Schädigung