MEDIZINISCHE BETREUUNG VON ANGEHALTENEN INFOMAT ein Projekt des BM.I Dr.med. Jochen Rausch Chefarzt der Landespolizeidirektion Burgenland Neusiedlerstraße 84, 7000 Eisenstadt Tel: 059133 10 1550 Mobil: +43 664 614 31 12 Mail:7,[email protected] BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES, 1014 WIEN, HERRENGASSE TEL.: +43 - (0)1 - 531 26 - 0 www.polizei.gv.at

 Häftlinge sind unter Achtung der Menschenwürde und mit möglichster

Schonung ihrer Person anzuhalten (§ 4 Abs. 1 AnhO); diese Verpflichtung, Angehaltene menschenwürdig und möglichst schonend zu behandeln, ergibt sich aus Art. 1 Abs. 4 PersFrSchG und Art. 3 EMRK.

 § 3 Abs. 2 AnhO normiert ausdrücklich eine Obsorgeverpflichtung im Hinblick auf mögliche Gesundheitsschädigungen und Verletzungen.

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• Die ausreichende medizinische Versorgung der im Polizeigewahrsam befindlichen Personen ist ein wesentlicher Teil eines Mindeststandards an Haftbedingungen, mit welchem der Staat der aus Art. 2 und 3 EMRK abgeleiteten Schutzpflicht (Gewährleistungspflicht) für die physische und psychische Integrität der Grundrechtsträger nachkommt. • Der Staat hat sicherzustellen, dass während der Anhaltung in (Schub)-haft

eine dem Standard seines Wohlfahrtssystems entsprechende Heilbehandlung (kurativer Behandlung) der Angehaltenen möglich ist.

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• Erkrankten

oder

verletzten

haftfähigen

Personen

ist

die

nötige

Heilbehandlung nach Maßgabe der vorhandenen Möglichkeiten angedeihen zu lassen (mit den Mitteln eines Arztes für Allgemeinmedizin im Ausmaß ihres Erkenntnis-, Wissens- und Erfahrungsstandes, jedenfalls wie bei einer häuslichen Pflege, d.h. gleichwertige Behandlung wie in Freiheit; • Spannungsfeld -

Individuelle Betreuungswunsche (oft auch unbillige

Ansinnen);

• Problematisch: fehlende Sozial- bzw. Krankenversicherung, d.h. sämtl. Kosten ärztlicher Behandlung trägt die Behörde als Vollzahler (Ressourcen!!)

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AmtsärztInnen  Sanitätsbehörde,  Vollziehung behördlicher Aufgaben,

 hauptberuflich;

PolizeiärztInnen  Amtsarzt

 beim BM.I od. bei der  Sicherheitsdirektion  Bundespolizeidirektion  hauptberuflich nicht gefordert (vertr. Vereinbarung od. öffentliches Dienstverhältnis BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES, 1014 WIEN, HERRENGASSE 7, TEL.: +43 - (0)1 - 531 26 - 0

 ÄrztInnen in Polizeianhaltezentren arbeiten oft in einem konfliktträchtigen Spannungsfeld. Ihre primäre Aufgabe ist die individuelle ärztliche Betreuung der Angehaltenen (Obsorgeverpflichtung des Staates!!!)  Die ärztliche Betreuung von Angehaltenen verdient besondere Beachtung, nicht nur wegen ihres Umfanges, sondern auch wegen der großen ärztlichen Herausforderung – keinesfalls ein berufliches Stigma!

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BETREUUNGSMÖGLICHKEITEN im PAZ (Polizeianhaltezentrum): 1. -

Polizeiärzte Konsiliarärzte (FA Psychiatrie, SuGi – Substitution) Rettungs – u. NotfallsanitäterInnen OrdinationsassistentInnen (NEU: 2014 – Klarstellung) Sanitätszimmer im PAZ = Arztordination Labor, KH, FA – Ausführung Bei stat. Aufnahme: HAFTUNFÄHIGKEIT erste allgemeine Hilfeleistungsverpflichtung bzw. akut notwendige medizin. Heilbehandlung hat VORRANG (außer juristische wichtige Gründe zur weiteren Anhaltung – Bewachung/Arrest im KH / Klinik).

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BETREUUNGSMÖGLICHKEITEN im PAZ (Polizeianhaltezentrum): 2. -

Anamneseblatt (40 Sprachen) Untersuchungsblatt (Haftbericht – Teil davon) Klin. Untersuchung (Status präsens) – vgl. FSG-GV (ohne Augen) BZ, RR, Pulsoxy, Harn / Drogenharn, EKG NICHT routinemäßig (Verfügbarkeit…) - Basismedikamente für allgemeinmed., notwendige Behandlungen z.B. RR, Infekte, Cephalea, Haut, Verbände, Schlafstörungen etc. - 24h/365Tage Arzt möglich, Sani immer anwesend in PAZ. - Vgl.: med. Versorgung im Freien (häusliche Pflege…)

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Wichtige und hilfreiche Beurteilungskriterien: -

Anamnese (Behörde, Befunde) gesamte Sachverhaltslage, Strafausmaß etc. in Erfahrung bringen Fachärztliche `Gefälligkeiten`; kurz VOR Haftantritt /Vorführung Plötzlich AKUTE Verschlechterung oder NEUE Erkrankung

1) Der BANDSCHEIBENPATIENT: - akut/chronisch, Status – Verifizieren; - Schmerztherapie adäquat / plausibel; (physikal. Therapien) - Klärung, häusliche Versorgung - ggf. Haftunterbrechung / Unfähigkeit für Zeitraum von 3,4,6,12 MO

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1) Der (insulinpflichtige) DIABETIKER: - Befundlage / Labor – Verlauf - Compliance, Hypoglykämierisiko? - Therapie adäquat, Umstellungsphase? - im PAZ: jedenfalls 3xtgl. BZ – KO, Diätplan lt. KH BB 7000 und 24/7 Überwachung / Kontrolle gegeben, - Klärung, häusliche Versorgung (`wie macht er das zuhause…???) - ggf. Haftunterbrechung / Unfähigkeit für Zeitraum von 3,4,6,12 MO 2) Der (blutverdünnte) HERZERKRANKTE (KHK, VHF): - Befundlage / Labor – Verlauf - Compliance, OAK - Ausweis - Therapie adäquat, Kontrollintervalle usw. - im PAZ: jedenfalls RR,PULS,O2, Labor (Ausführung) 24/7 Überwachung / Kontrolle gegeben, - Klärung, häusliche Versorgung (ADL-Bereiche??) - ggf. Haftunterbrechung / Unfähigkeit für Zeitraum von 3,4,6,12 MO BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES, 1014 WIEN, HERRENGASSE 7, TEL.: +43 - (0)1 - 531 26 - 0

PRAXISBEISPIEL: 2002: 60a, Diabetiker; fettleibig, COPD; Frühpens., ca 3500€ Schulden, Haftantritt zur Verwaltungsfreiheitsstrafe; Med.: Amaryl, Glucophage, Berodual b. Bed. Bef: haftfähig, k.A. im Status; 2003: COPD, OSAS – resp. Globalinsuff.; IND zur O2 – Langzeitbeatumung; Bef.: NICHT haftfähig (Lungen – FA attestiert) für 2a; 2005/2006: idem; weiter für 2a NICHT haftfähig; 2008: Status idem, nächtliche Atemhilfe gute Kompensation: haftfähig! (81 Tage bereits Ersatzfreiheitsstrafe); UVS hebt Haftfähigkeit auf unbestimmte Zeit auf (§54 Abs.1 VStG): Berufungswerber sei körperlich SCHWER KRANK!

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PRAXISBEISPIEL: 2009: neuerlich Vorführung AA, wieder Haftfähig, Status idem zu 2008 lt. AA. kurz danach: stat. Aufnahme KH Wr. Neustadt wg. tachykardem VHFL, IDDM, Hyperventilation, chron. Nikotinabusus – COPD; OAK empfohlen: NON VULT; jedenfalls NICHT haftfähig im nachfolgenden AÄ – GA, OAK noch nicht erfolgt, IDDM usw.; KO in 6 Monaten 2010: NICHT haftfähig (Lungen – FA Verschlechterung, hochgrad. OSAS, CPAP Gesichtsmaske zur Nachtruhe). 2011: idem; erneut paroxysm. tachyk. VHFL (3. Episode, noch immer keine OAK erfolgt…) 2012/2013/2014: weiter NICHT haftfähig (mittl. 71a alt) aufgrund Vollgesichtvisiermaske nCPAP-Beatmung. Dzt Diagnose(n): OSAS, COPD III,parox.VHF,Reflux,IDDM,def.WS,Knie,Hypertonie,Hyperlipidämie

- DISKUSSION !! BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES, 1014 WIEN, HERRENGASSE 7, TEL.: +43 - (0)1 - 531 26 - 0

 Verglichen mit der allgemeinen Bevölkerung, weisen Angehaltene verstärkt und vermehrt Gesundheitsprobleme auf: Psychische Krankheiten, Suchterkrankungen, Drogenabhängigkeit, Suizide/Suizidversuche, Selbstverletzungen, Abhängigkeitserkrankungen, sexuelle übertragbare Erkrankungen und schlechter Allgemeinzustand sowie soziale Problemlagen;  Das Umfeld in Polizeianhaltezentren ist schwierig und stellt hohe Anforderungen an die dort beschäftigten ÄrztInnen und das Pflege- od. Sanitätspersonal. z.B. haben Sicherheitsüberlegungen besonderen Vorrang.  Auch die Patientenpopulation ist generell problematisch, einerseits vom Standpunkt ihres Verhaltens - andererseits auch vom medizinischen Standpunkt aus.

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Die größten Bedrohungen für die Gesundheit von angehaltenen Personen

spezifische Gesundheitsprobleme:  Drogenkonsum – Entzugssymptome  chronische Erkrankungen  Anpassungs- und Persönlichkeitsstörungen in der Haft (Affektstörungen, intellektuelle Defizite)

 Hunger- und Durststreik         

Selbstdestruktionstendenz Selbstbeschädigungen Suizidversuche (suizidale Intention) Tod im PAZ übertragbare Krankheiten (Hepatitis, Tuberkulose, etc.) - Infektionsrisiken! psychiatrische Erkrankungen Belagsstärke Ressourcen (Streitpunkte Kostentragung!) Probleme mit Transsexuellen

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Wichtige Punkte: • Die notwendige ärztliche Betreuung der Angehaltenen ist durch AmtsärztInnen oder sonst durch Vorsorge sicherzustellen, dass ohne unnötigen Aufschub ein Arzt einschreiten kann. • Erstuntersuchung – ohne Verzögerung, längstens binnen 24 Stunden nach der Aufnahme (§ 7 Abs. 3 AnhO – „Mitwirkungspflicht der Angehaltenen!!). Die Aufnahmeuntersuchung ist im Hinblick auf die Dokumentationspflicht des § 3 Abs. 2 AnhO von besonderer Bedeutung, weil der Sachverhalt über Verletzungen, die nicht bereits bei der Aufnahme vorlagen, jedenfalls dokumentiert werden muss (EGMR, Fall Ribitsch gg Ö) • Das Anamneseblatt ist einzubeziehen; • Wahrgenommene Erkrankungen und Verletzungen sind unter dem Gesichtspunkt der Haftfähigkeit zu beurteilen. WICHTIG: Dokumentation!! Haftbericht III – durchgängige nachvollziehbare Krankengeschichten • Die Feststellung der Haftfähigkeit obliegt der Behörde. BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES, 1014 WIEN, HERRENGASSE 7, TEL.: +43 - (0)1 - 531 26 - 0

Alle Personen, die im PAZ od. Polizeiarrest angehalten werden, sind ohne Aufschub, spätestens innerhalb von 24 Stunden nach der Aufnahme, dem Polizeiarzt vorzustellen und von diesem auf ihre Haftfähigkeit zu begutachten. Die Beurteilung/Entwicklung des Gesundheitszustandes der Schubhäftlinge ist lückenlos zu dokumentieren. Im Falle eines Dienstwechsels der ÄrztInnen ist der/die jeweilige Nachfolger/in von der aktuellen gesundheitlichen Befindlichkeit und der erfolgten Behandlung in Kenntnis zu setzen. Dies gilt auch für Sanitäter. Die AnhO regelt, dass bei der notwendigen ärztlichen Betreuung von angehaltenen Personen für minderschwere Anlässe auch auf die Betreuung der Häftlinge durch SanitäterInnen Bedacht genommen werden kann. In den PAZen sind ExekutivbeamtInnen mit Zusatzausbildung „Rettungssanitäter“ und „Notfallsanitäter“ tätig. Ihre Ausbildung und Aufgaben sind in den Richtlinien für den Sanitätsdienst geregelt. NEU 2-2014: ORDINATIONSASSITENT-INNEN (BMG): Ausbildung absolviert! BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES, 1014 WIEN, HERRENGASSE 7, TEL.: +43 - (0)1 - 531 26 - 0

Kommen Sie Ihrer Aufklärungspflicht durch sorgfältige Information über • • • •

Diagnose/Prognose Behandlung Therapiemöglichkeiten Nicht-Behandlung

nach und dokumentieren Sie, dass Sie die Information durchgeführt haben! Die Haftfähigkeit ist conditio sine qua non für die Anhaltung! Nicht jede Erkrankung führt zur Haftunfähigkeit. Die Grenze ist im Einzelfall von den PolizeiamtsärztInnen zu beurteilen und zu begründen.

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DANKE FÜR DIE AUFMERKSAMKEIT !

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