Medizin, Gesellschaft und Geschichte (MedGG) Band

Medizin, Gesellschaft und Geschichte (MedGG) Band 29 • 2010 Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Ur...
Author: Maya Bäcker
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Medizin, Gesellschaft und Geschichte (MedGG) Band 29 • 2010

Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Medizin, Gesellschaft und Geschichte

Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung

Band 29 • Berichtsjahr 2010

herausgegeben von Robert Jütte

Franz Steiner Verlag Stuttgart 2011 Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

Medizin, Gesellschaft und Geschichte (MedGG) Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Herausgeber: Redaktion: Lektorat: Satz und Layout:

Prof. Dr. Robert Jütte Dr. Sylvelyn Hähner-Rombach Oliver Hebestreit, M. A. Arnold Michalowski, M. A.

Anschrift:

Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Straußweg 17 70184 Stuttgart Telefon (0711) 46084 - 171 und 172 Telefax (0711) 46084 - 181

Erscheinungsweise: jährlich. Bezugsbedingungen: Abonnement EUR 35,80, für Studenten EUR 28,60, jeweils zuzüglich Versandkosten (Inland EUR 5,00, Europa EUR 8,40, Übersee EUR 15,20), Einzelheft: EUR 41,00 (versandkostenfrei). Alle Preise incl. MwSt. Ein Abonnement gilt, falls nicht befristet bestellt, zur Fortsetzung bis auf Widerruf. Kündigungen eines Abonnements können nur zum Jahresende erfolgen und müssen bis zum 15. November des laufenden Jahres beim Verlag eingegangen sein. Verlag: Franz Steiner Verlag, Birkenwaldstr. 44, 70191 Stuttgart, http://www.steinerverlag.de Anzeigenleitung (verantwortlich): Susanne Szoradi Druck: Druckerei Laupp & Göbel GmbH, D-72147 Nehren Medizin, Gesellschaft und Geschichte enthält ausschließlich Originalbeiträge mit den Themenschwerpunkten Sozialgeschichte der Medizin sowie Geschichte der Homöopathie und alternativer Heilweisen. Entsprechende deutsch- oder englischsprachige Manuskripte sind erwünscht. Sie sollten nach den Hinweisen für Verfasser abgefasst und auf PC gesetzt werden. Diese Hinweise, die auch nähere Angaben zu Betriebssystem und möglichen Textverarbeitungsprogrammen enthalten, können auf der Homepage des Instituts unter http://www.igm-bosch.de/content/language1/html/11563.asp eingesehen oder bei der Redaktion angefordert werden. Der Umfang der Beiträge soll 10.000 Wörter bzw. 30 Manuskriptseiten nicht überschreiten. Die Autoren erhalten 20 Sonderdrucke ihrer Aufsätze gratis, auf Wunsch weitere gegen Bezahlung. Weder der Herausgeber noch das Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung tragen Verantwortung für die in den Beiträgen vertretenen Ansichten. MedGG enthält keine Buchrezensionen. Unaufgefordert eingesandte Besprechungsexemplare werden nicht zurückgeschickt, sondern von der Institutsbibliothek übernommen. Articles appearing in this journal are abstracted and indexed in HISTORICAL ABSTRACTS and AMERICA: HISTORY AND LIFE.

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2011 Franz Steiner Verlag Stuttgart Printed in Germany. ISSN 0939-351X Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

Inhalt

I.

II.

Anschriften der Verfasser

7

Editorial

8

Zur Sozialgeschichte der Medizin Fritz Dross Vom zuverlässigen Urteilen. Ärztliche Autorität, reichsstädtische Ordnung und der Verlust »armer Glieder Christi« in der Nürnberger Sondersiechenschau

9

Karen Nolte Schwindsucht – Krankheit, Gesundheit und Moral im frühen 19. Jahrhundert

47

Susanne Rueß Die Bedeutung der jüdischen Krankenpflege im Ersten Weltkrieg am Beispiel des Stuttgarter jüdischen Schwesternheims

71

Martin Dinges Die Gesundheit von Jungen und männlichen Jugendlichen in historischer Perspektive (1780-2010)

97

Bettina Blessing Die Geschichte des Alters in der Moderne: Stand der deutschen Forschung

123

Zur Geschichte der Homöopathie und alternativer Heilweisen Josef M. Schmidt Samuel Hahnemann und das Ähnlichkeitsprinzip

151

Philipp Eisele »Bald mußte ich den allopathischen Sanitätsoffizier spielen, bald durfte ich homöopathischer Arzt sein.« Homöopathie und Krieg vom Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) bis zum Ersten Weltkrieg (1914-1918)

185

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Marion Baschin »[…] und war ein Stück Grümpel mehr im Lande«. Die gescheiterten Versuche einer homöopathischen Ausbildung für Missionare der Basler Mission

229

Douglas W. Smith Potency and Provenance: An Inter-Generational Study of Homeopathic Practice in Ontario

275

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Anschriften der Verfasser

Marion Baschin, Dr. phil. Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Straußweg 17 70184 Stuttgart [email protected]

Karen Nolte, PD Dr. phil. Julius-Maximilians-Universität Würzburg Institut für Geschichte der Medizin Oberer Neubergweg 10a 97074 Würzburg [email protected]

Bettina Blessing, Dr. phil. Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Straußweg 17 70184 Stuttgart [email protected]

Susanne Rueß, Dr. med. Robert-Bosch-Krankenhaus Auerbachstr. 110 70376 Stuttgart [email protected]

Martin Dinges, Prof. Dr. Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Straußweg 17 70184 Stuttgart [email protected] Fritz Dross, PD Dr. phil. Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Glückstr. 10 91054 Erlangen [email protected]

Josef M. Schmidt, PD Dr. med. Dr. phil. Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Lessingstr. 2 80336 München [email protected] Douglas W. Smith 1123 Dennison Rd RR2 Minden ON K0M 2K0 Canada [email protected]

Philipp Eisele Gottlob-Ernst-Str. 25 71404 Korb [email protected]

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Editorial Die Richtigkeit von Diagnosen stellt auch heute noch die Medizin vor eine große Herausforderung, und das trotz modernster technischer Hilfsmittel. In der Frühen Neuzeit beanspruchten Ärzte bereits die medizinische Deutungsmacht, wie Fritz Dross am Beispiel der Nürnberger Lepraschau aufzeigt. So wundert es nicht, dass in der »richtigen« Beurteilung von Aussatz gelehrte Ärzte medizinische Laien schon früh zu verdrängen suchten. Nicht weniger problematisch war die Diagnose »Schwindsucht« im 19. Jahrhundert, da sie eine moralische Wertung, wie Karen Nolte nachweist, mit einschloss. Zur jüdischen Krankenpflege gibt es immer noch große Forschungslücken, insbesondere für die Zeit des Ersten Weltkriegs. Eine solche schließt jetzt die Studie von Susanne Rueß, die daneben eine heute kaum noch bekannte Institution, das jüdische Schwesternheim in Stuttgart, aus der Vergessenheit herausholt. Männergesundheit ist inzwischen auch in der Gesundheitspolitik als wichtiges Thema angekommen. Martin Dinges untersucht, wie es um die Gesundheit von Jungen und männlichen Jugendlichen in den letzten 200 Jahren bestellt war, um auf diese Weise auch ein historisches Streiflicht auf die geringere Lebenserwartung von Männern zu werfen. Der Forschungsüberblick von Bettina Blessing über die Geschichte des Alters in der Moderne, der sich im Wesentlichen auf die deutschsprachige Literatur konzentriert, nimmt das Ende der Alterspyramide in den Blick und zeigt, wo noch Forschungslücken bestehen. Die Sektion zur Geschichte der Homöopathie und anderer Heilweisen umfasst diesmal ausschließlich Beiträge zur Homöopathiegeschichte, spannt dafür aber einen großen geographischen Bogen: von den Ländern, in denen Missionare der Basler Mission als homöopathische Laien tätig waren (Marion Baschin), bis zur Geschichte zweier Homöopathen-Dynastien im kanadischen Ontario (Douglas W. Smith). Einem eher klassischen Thema wendet sich dagegen Josef M. Schmidt zu. Seine Ausführungen über Hahnemann und das Ähnlichkeitsprinzip bringen viele neue Erkenntnisse. Dass die Homöopathie als Heilweise früh auf das Interesse von Militärärzten stieß, ist schon lange bekannt. Doch fehlte es bislang an einschlägigen Untersuchungen. Wie schwierig die Quellenlage ist, verdeutlicht die Fallstudie von Philipp Eisele zu Homöopathie und Krieg im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Stuttgart, im Frühjahr 2011

Robert Jütte

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I.

Zur Sozialgeschichte der Medizin

Vom zuverlässigen Urteilen. Ärztliche Autorität, reichsstädtische Ordnung und der Verlust »armer Glieder Christi« in der Nürnberger Sondersiechenschau Fritz Dross Summary Judging Reliably. Medical Authority and the Ability to Discriminate between the Clean and the Unclean The article aims to explore the physicians’ role at the Nuremberg “Sondersiechenalmosen” in the 15th and 16th centuries. Special attention is given to the question as to how the city’s physicians, who claimed expert status superior to other healers and who had special authority to advise the authorities in keeping the city clean and healthy, declared and explained their problems in connection with the “examen leprosorum” on the occasion of the “Sondersiechenschau”. From 1394 the city had opened its gates for three days in Holy Week leading up to Easter to offer clerical assistance, food and shelter to foreign lepers. This meant that people were cared for who would not usually have been admitted because they were foreigners as well as being leprous. The physicians’ task within that charity was to discriminate between the leprous and foreign beggars, a task which caused serious problems when, in the 16th century, at times two thousand and more foreigners entered the imperial city during Holy Week. When, in 1571, the Nuremberg physician Kammermeister proposed to establish a “Collegium Medicum” in the city of Nuremberg, he described the procedure extensively. The authorities ignored the initial claim to establish a “Collegium Medicum” but requested each academically trained physician of the city to give a personal statement on the physicians’ ability to seriously judge the foreigners who claimed to be leprous. Based primarily on these statements, the article hopes to shed some light on the Nuremberg “Sondersiechenalmosen”, on the “examen leprosorum”, and on the relation between medical judgement and medical authority in general.

»Allerley confusion und unordnung« – Die Etablierung eines Collegium Medicum in Nürnberg Am 27. Dezember 1571 hat der Arzt Joachim Kammermeister (Camerarius) seiner Nürnberger Obrigkeit sein »Kurtzes und ordentliches bedencken, welcher gestalt in einem wohlgeordneten Regiment, es mit den Ärtzten und Arzneien sambt allen andern darzu notwendigen stücken möcht geordnet und gehalten werden« gewidmet.1 Dieses Dokument gilt in der Medizingeschichtsschreibung seit Alfons Fischers »Geschichte des deutschen Gesundheitswesens« (1933) gemeinsam mit dem Druck »Consilium medicum gene-

1

Zeitgenössische Abschrift von Georg Palma in StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 90r139v; Edition und Kommentar bei Gröschel (1977).

MedGG 29 • 2010, S. 9-46 Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen © Franz Steiner Verlag Stuttgart

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Fritz Dross

rale, fideli bonoque pectore propositum« (1567, deutsch 1573)2 des Frankfurter Arztes Joachim Struppe (Struppius) als grundlegender Entwurf eines unter der Aufsicht von Collegia Medica (früh)modern organisierten städtischen Gesundheitswesens in Deutschland3. Im Unterschied zu Struppe hat sich Kammermeister sehr konkret auf die Nürnberger Situation bezogen; ins Auge fällt vor allem die ausführliche Erörterung der Probleme mit der alljährlichen »Sondersiechenschau«. Im folgenden Artikel möchte ich die Rolle der Nürnberger Ärzte bei dieser Veranstaltung zur öffentlichen Versorgung mehrerer Hundert in der Reichsstadt fremder Aussätziger untersuchen. Der besondere Akzent liegt auf der Problemwahrnehmung der Nürnberger Ärzte mit dem Verfahren der Lepraschau unter den besonderen Bedingungen des Sondersiechenalmosens. Dass Kammermeister das »Consilium medicum generale« von Struppe als Vorlage seines »bedenckens« benutzt hat, kann nach Form, Aufbau und Inhalt der beiden Texte ausgeschlossen werden. In dem mit einigem Aufwand4 in zwei Auflagen verbreiteten Buch von Struppe geht es um das im Titel versprochene »consilium medicum« allenfalls am Rande, wenn man die dort aufgezählten Aufgaben (Stadtreinigung, Aufsicht über Apotheken und Spitäler, Abwehr von fahrenden und »Judenärzten«) implizit als solche versteht, die von dem »consilium medicum« zu erledigen wären. Das »bedencken« des Nürnberger Stadtarztes Kammermeister gibt sich dagegen bereits im Ton als (standes)politisches Gutachten, das – der Form nach – nicht darum bemüht ist, die Publizität des Autors zu befördern, sondern seiner (ihm gut bekannten) Obrigkeit einen Vorschlag zur Neuordnung des Medizinalwesens möglichst schlüssig und vor allem gelehrsam zu unterbreiten. Anstelle von Struppes konfessioneller Polemik5 und unzähligen frommen Bibelverweisen bemüht der Nürnberger Sohn eines der einflussreichsten Gräzisten seiner Zeit6 die antiken Klassiker7; die Widmung an 2

Struppius (1567); Struppius (1573).

3

Fischer (1933), S. 90f.

4

1574 hat Struppe dem Nürnberger und Augsburger Rat jeweils ein Exemplar der »Nützlichen Reformation« gewidmet. Fischer hielt dies für den Anstoß der 1582 in Augsburg erfolgten Gründung eines Collegium Medicum. Vgl. Philipp (1962), S. 76f.

5

Die Vorrede des »Hochnötigen unterrichts, geistlicher und leiblicher Artzney«, an die das »Consilium medicum generale« angebunden ist, endet: »Datum Franckfurt am tag der vnschuldigen Kindlein / nach der geburt vnsers liebsten Christkindlins / im angang des 1567. jars / welches vns ein seliges vnd fröliches newes Jar gnedigst verleihen vnd schencken wölle / vnd auch dem Türcken / Bapst vnd allen secten wehren / Amen.«

6

Vgl. Stählin (1957).

7

Hippokrates, Platon, Menander, Cicero, Celsus, Plinius d. Ä., Juvenal, Dioskurides, Galen, Johannes I. Chrysostomus, Augustinus, Boetius, Aetios von Amida, Rhases, Mesue, Avenzoar (die neueren zitierten Autoren sind Vincentinus Ferrer, Johannes Pontanus, Alexander Benedictus, Georg Pictorius, Conrad Gesner, Jacobus Sylvius, Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

Vom zuverlässigen Urteilen

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die reichsstädtische Obrigkeit überschreibt er mit der Klage, wie schlecht seine Zeit die Medizin behandle: »Heu male nunc artes medicas haec secula tractant.«8 »Allerley confusion und unordnung« habe dazu geführt, dass die Ärzte »nicht allein oftermahl verhindert werden, irem ambt, wie sich gebüret, und sie gern thun wolten, treülich vorzustehen, sondern auch derwegen bey dem gemainen völck unschuldiger weis verkleinert und in große verachtung kommen«.9 Da allgemeine Vorschriften zur Reinhaltung der Stadt im Rahmen der Seuchenprävention spätestens durch die umfangreiche »Sterbsordnung« von 1562 bereits vorlagen10 und auch ein Verfahren der Zulassung von Heilpersonen durch die geschworenen Stadtärzte, vor allem aber eines der Nichtzulassung fremder Heiler existierte, wie übrigens Struppe lobend anerkannte11, konnte sich Kammermeister auf das geforderte Collegium Medicum konzentrieren. Er gliederte sein »bedencken« in drei Teile. Aus dem »ambt eines artzts« gegenüber Kranken, Gesunden und untereinander schließt der erste Teil auf die Notwendigkeit, »ein ordentliche versamlung oder collegium der ärtzt könnt angestellt werden, und was für nutz daraus erfolget«.12 Der zweite Teil befasst sich gründlich und ausschließlich mit der Apothekenvisitation und Arzneimittelversorgung, der dritte schließlich mit dem weiteren Medizinalpersonal, der Sondersiechenschau und den Spitälern. Sein Kernziel hat Kammermeister folgendermaßen formuliert: und erwechst auf diese weis unter den aertzten ein guete freundschaft, vertrauen und einigkeit, dardurch zum andern bey bekannten und freunden gegen den ärtzten ein grössere zuversicht und hertz erwechst, und ir gueter nahmen und ansehen gemehret würd.13

Der Rat der Stadt Nürnberg hat das Anliegen Kammermeisters und der Nürnberger Ärzte allerdings nicht für besonders dringlich gehalten. Die Jean Fernel, Guillaume Rondeletius, François Valleriola, Leonhard Botallo, Fernandez Mena, Pietro Mattiolus, Leonhard Fuchs, Valerius Cordus, Adolph Occo, Johannes Aventinus (Johann Turmair), Andreas Tiraquellus, Ioannis Franciscus (de) Ripa (Gianfrancesco Riva di San Nazarro), Johann Cellarius, Antonius Margaritha); aufgelistet bei Gröschel (1977), S. 154-170. 8

Wohl nach Tibullus, Elegien, Buch 1, 4: »Heu male nunc artes miseras haec saecula tractant.«

9

StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 91v-92r.

10 Vgl. Porzelt (2000); dort auch eine Edition der »Sterbsordnung« vom 26. Januar 1562 im Anhang, S. 181-185. 11 Struppius (1567), fol. 13r; Struppius (1573), fol. 25v-27r. 12 StadtBib N, Ms. Cent V 42, Caput III, fol. 102r-104v. 13 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 91v-92r. Dies kann nicht zuletzt als Paraphrase von Kap. 6 der hippokratischen Praeceptiones gelesen werden: »car là où est l’amour des hommes est aussi l’amour de l’art.« Littré (1962), S. 259. Ich danke Karl-Heinz Leven für diesen Hinweis. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Fritz Dross

Reichsstadt hatte ein nach zeitgenössischen Maßgaben hervorragend organisiertes Medizinalwesen14 und ganze zehn akademisch ausgebildete Ärzte approbiert15. Nicht wenige dieser Ärzte hatten ihr Studium mit dem Erwerb eines Doktortitels an einer italienischen Universität abgeschlossen16 und genossen überregionalen Ruf. Dass aus dieser Gruppe nun der Vorwurf laut wurde, die Herrschaft vernachlässige ihre Pflichten, so dass die Ärzte die ihren nicht angemessen wahrnehmen könnten, wird der Obrigkeit nicht geschmeichelt haben. Dass die Ärzte darüber hinaus vorschlugen, mittels eines Collegium Medicum korporativ hoheitliche Aufgaben übernehmen zu wollen, musste den Magistrat skeptisch machen. Aus seiner Perspektive war die von Kammermeister vorgebrachte Angelegenheit also mit Bedacht zu behandeln. Sehr viel näher als die Delegation von Herrschaftsvollmachten an ein nach Verfasstheit, Kompetenz und Zusammensetzung erst noch gründlich zu überdenkendes Collegium Medicum standen der reichsstädtischen Obrigkeit vorerst die Probleme einer Teuerungs- und Hungerkrise in der ersten Hälfte der 1570er Jahre17, begleitet von Seuchengeschehen in den Jahren 1570 (Pocken, 1600 gestorbene Kinder), 1572 (»Ungarische Krankheit«), 1574/75 (»großer Sterb«, ca. 6500 Opfer), 1582 und 1585/86 (ca. 5000 Opfer)18. Strittig war vor allem das Verhältnis einer Korporation der Ärzte zur Obrigkeit sowie zu den Apothekern. Bis 1592 konnten diese Fragen schließlich – durchaus im Sinne der Ärzte – geklärt und das Nürnberger Collegium Medicum errichtet werden; Kammermeister wurde dessen erster Dekan.19 »Vnnd ist mir unverborgen die gemeine klag« – Die Rechtfertigung ärztlicher Autorität Tatsächlich hat sich die Nürnberger Obrigkeit unverzüglich und offenbar auch gründlich mit dem »bedencken« Kammermeisters auseinandergesetzt. Stein des Anstoßes war jedoch nicht die Korporation der Ärzte, sondern das jährliche Sondersiechenalmosen. Kammermeister hatte darauf im drit14 Vgl. Mummenhoff (1986); Jegel (1931); Porzelt (2000); Kintzinger (2000). 15 Melchior Ayrer 1547-1578; Heinrich Wolff 1550-1581; Paul Weller 1563-1601; Joachim Kammermeister 1564-1599; Justinus Müllner 1566-1582; Johann Schenk 15671588; Georg Palma 1568-1591; Gregor Rucker 1569-1589; Volcher Coiter 1569-1576; Erasmus Flock 1572-1576. Vgl. Wolfangel (1957), S. 23f. Die Bestallungsurkunde von Stef[f]an Holtmann (1560-1564) vom 1. November 1560 ist ediert bei Wolfangel (1957), S. 60-62. 16 Walter (2008), S. 34, spricht in diesem Zusammenhang von »exorbitanten Prüfungsgebühren«. Vgl. Schottenloher (1950), S. 15-20; Frijhoff (1996), S. 293-304; RidderSymoens (1996), S. 336-351; Füssel (2007), S. 424-427; Rasche (2007). 17 Endres (2003), S. 23-29. 18 Zahlen nach Porzelt (2000), S. 40, dort auch die historische Einschätzung dazu. 19 Gröschel (1977), S. 126-153. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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ten Teil seines »bedenckens« ausführlich Bezug genommen.20 Recht bald, nachdem er wohl zum Datum des Anschreibens am 27. Dezember 1571 seine Denkschrift dem Magistrat hatte zukommen lassen, ließ dieser im März 1572 die Nürnberger Ärzte auffordern, einzeln gutachtlich zu den Problemen der anlässlich des Almosens stattfindenden Siechenschau Stellung zu nehmen. Die neun überlieferten Gutachten finden sich unmittelbar hinter einer Abschrift Georg Palmas von Kammermeisters »bedencken«. Es soll daher in aller Kürze zunächst auf das Quellencorpus eingegangen werden. Es handelt sich um einen Sammelband (163 Blatt) mit Manuskripten vorwiegend aus der Feder des Nürnberger Arztes und Sammlers Georg Palma oder eines von Palma damit beauftragten Schreibers, der zu Recht »als einzigartige Fundgrube für die geschichtliche Entwicklung des ärztlichen Standes im 16. Jahrhundert« charakterisiert wurde.21 Er beginnt mit den Eiden der Nürnberger Medizinalpersonen, enthält dann verschiedene Manuskripte zum Wildbad in Wembdingen, Exzerpte aus der medizinischen Fachliteratur in lateinischer Sprache und von vergleichsweise flüchtiger Hand, Schriftverkehr und Berichte bezüglich der Auseinandersetzung mit den Nürnberger Apothekern der 1580er Jahre sowie zum zu errichtenden Collegium Medicum, das »bedencken« von Kammermeister (Bl. 90r-139v) sowie schließlich neun Gutachten zur Sondersiechenschau (Bl. 140v-156r). Das Gutachten von Georg Palma datiert vom 19. März 1572. Nur vor und hinter einer Sammlung von Exzerpten aus medizinischen Texten zu bestimmten Krankheitsbildern findet sich eine gewisse Zahl unbeschriebener (und nicht paginierter) leerer Seiten, so dass im Ganzen davon ausgegangen werden kann, dass es sich um ein nach Ansicht des Kompilators zusammengehöriges Corpus von Texten handelt.22 Palma hat damit ein Corpus geschaffen, das zu einer neueren Deutung auf der Grundlage des Konzeptes der »Autorisierung der frühneuzeitlichen Medizin«23 geradezu einlädt. Allein der Umstand, dass ein Arzt für den eigenen Gebrauch Kopien der einschlägigen »Berufsordnungen«, nämlich der Eide, anlegt24, spricht für die herausragende Bedeutung, die der Nürnberger 20 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 132r-138r (»Von besichtigung der aussetzigen oder siechen leuten«). 21 König (1961), S. 59. 22 Im Unterschied zu der unten zitierten Sammelhandschrift UBE, Ms. 1143, die immer wieder zahlreiche leere Blätter aufweist und wohl eher als »Notizbuch« zu diversen Betreffen zu charakterisieren ist. 23 Stolberg (2003), S. 205; Stolberg (2004); auf dieser Basis zuletzt Walter (2008). 24 Eine etwa zeitgleiche Abschrift dieser Eide in wörtlich identischer Formulierung findet sich in einem Manuskript in der Universitätsbibliothek Erlangen, hier allerdings in einer weniger explizit standespolitischen Fragen gewidmeten Sammelhandschrift: UBE, Ms. 1143, fol. 2r-7v. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Fritz Dross

Arzt standespolitischen Fragen zugemessen hat; tatsächlich ist Palma weit darüber hinausgegangen. Da er 1591, vor der obrigkeitlichen Sanktionierung des Nürnberger Collegium Medicum 1592, gestorben ist, kann auch nicht unterstellt werden, es handele sich bei dem Manuskriptband um eine nach dessen Etablierung angestellte Sammlung zur Dokumentation von dessen »Erfolgsgeschichte«. Schließlich zeichnet sich ab, dass die Nürnberger Ärzte aktiv und gemeinsam Interessenpolitik betrieben haben, um eine herausgehobene Position innerhalb des reichsstädtischen Medizinalwesens zu etablieren. Wenn man nicht annehmen wollte, dass der Nürnberger Rat Palma das »bedencken« von Kammermeister und die Ärztegutachten zur Siechenschau als Gutachter überlassen und ihm damit die Möglichkeit gegeben habe, Kopien davon zu fertigen, wird man davon ausgehen müssen, dass die Ärzte diese Dokumente wenigstens ausgetauscht, wenn nicht sogar gründlich beratschlagt haben. Der Hinweis Kammermeisters auf ein solches Vorgehen im Anschreiben seines »bedenckens« ist offenbar wörtlich zu nehmen. Der Nürnberger Arzt Volcher Coiter schrieb im Oktober 1573 an seinen Kollegen Kammermeister, dass sich eine – nicht näher bezeichnete – Gruppe im Hause des Nürnberger Arztes Melchior Ayrer getroffen habe, um die Errichtung eines Collegium Medicum zu beraten und den Stand der Beratschlagung durch die Ärzte Ayrer und Heinrich Wolff dem Rat zukommen zu lassen.25 Für eine – vorerst informelle – Ärztekorporation sprechen auch die vom Rat angeforderten Gutachten zur Sondersiechenschau, deren Anforderung durch die Stadtherrschaft die Autorisierungsbestrebungen der Nürnberger Ärzteschaft nicht nur direkt, sondern auch empfindlich traf. Dies macht der einleitende Satz in Palmas Gutachten deutlich: »Vnnd ist mir unverborgen die gemeine klag, darinnen wir beschuldiget als ob unser nachlesigkeit unnd unwissenheitt ietztt einer rhein, baldtt unrhein unnd also widerrumb dagegen erkhandt würde.«26 Wenn es – mit Michael Stolberg – zum Kern der Autorisierungsstrategie der frühneuzeitlichen Ärzte (sowie überhaupt jedes Professionalisierungsbestrebens) gehörte, »die Bewertung ihrer Kenntnisse und Fertigkeiten und damit zugleich ihre individuelle und kollektive Autorität so weit wie möglich von den konkreten Resultaten ihrer Anwendung«27 zu abstrahieren, traf der implizite Vorwurf der Obrigkeit, die Nürnberger Ärzte seien nicht in der Lage, Aussätzige und nicht am Aussatz erkrankte Menschen zuverlässig zu unterscheiden, ins Mark. Genau hier, so offenbar die Ansicht des Rats,

25 Brechtold (1959), S. 123. 26 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 140r. 27 Stolberg (2003), S. 213. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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müsse sich die wortreich in Szene gesetzte Überlegenheit der Ärzte auch praktisch beweisen lassen, gerade hier aber scheiterte dies.28 »das solche sieche leut […] recht werden unterschaidet« – Die Lepraschau Für die (spät)mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Obrigkeiten war es in der Tat von erheblicher Bedeutung, über ein nachvollziehbares Verfahren und vor allem eine dieses Verfahren beherrschende Instanz zu verfügen, deren Autorität die weitreichenden Konsequenzen ihres Urteils allen Beteiligten akzeptabel erscheinen ließ.29 Das Ergebnis wurde häufig durch gesiegelte Urkunden bekräftigt, die schon früh Formularcharakter annahmen, wie sie etwa der Nürnberger Arzt Schedel nach Wiener Vorlagen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts anlegte.30 Seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert reklamierte die universitäre Medizin einen Ausschließlichkeitsanspruch, der andere Schauinstanzen – vor allem die von Leprösen selbst betriebenen – als unzuverlässig und daher unverantwortlich disqualifizierte.31 Kammermeister hielt neben dem (Fach-)Wissen auch die Erfahrung mit und die Sorgfalt bei der Schau für die entscheidenden Kriterien.32 Das Urteil der Schauinstanzen hatte die Form eines Rechtsgutachtens33, was der Frankfurter Magistrat etwa dadurch bekräftigte, dass er das Schauverfahren unter den Vorsitz des Stadtrichters stellte34. Ganz erheblicher Auf28 Die Einschätzung, dass die Autorität der frühneuzeitlichen Ärzte auf deren Funktion als Gutachter über die »Reinheit« der Stadtbevölkerung beruhe, tut in logischer Hinsicht den zweiten Schritt vor dem ersten, indem sie nicht zuerst die medizinische Struktur des Gutachtens über Körperzustände analysiert, vor allem aber die damit zugestandene Kompetenz und Autorität jeweils problematisiert. Hammond (2005), S. 105. 29 Schaugutachten aus dem Lucca des 13. Jahrhunderts bei Meyer (2007). 30 Sudhoff: Schemata (1912/13). 31 Wie insbesondere die Bemühungen der Medizinischen Fakultät in Köln gegenüber dem Leprosorium Köln-Melaten belegen. Vgl. Irsigler/Lasotta (2009), S. 72-74; Hort (1996); Uhrmacher (2000); Jankrift (2005), S. 132. 32 »das solche sieche leut, daran man oft ein zweifel hat, recht werden unterschaidet, und die unrainen von den rainen gruentlich mögen erkent werden, sonst würden oft unversehener und unverstendiger weis, manche erliche guete leut nicht allein von gemainschaft von weib und kind, eltern, freund etc. unbilliger weis von einander gestossen, darzu aber ein sunderer vleis und gueter verstand, auch gewisse erfarnüß dieser seuch erfordert würd.« StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 133r. 33 Vgl. Demaitre (2007), S. 6 (»An emerging profile: physician as judge«). 34 In Frankfurt am Main protestierten in der Mitte des 15. Jahrhunderts die das Schaugremium bildenden Heinrich Losser, der geschworene Stadtarzt, der Barbiermeister Johann Augsburg und der Barbier und Wundarzt Johann Harp gegen die Anwesenheit des Stadtrichters bei der Schau. Demaitre (2007), S. 9f.; nach Sudhoff (1913), S. 164f.; vgl. Jütte (1984), S. 179. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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wand wurde zuweilen getrieben, um Gegengutachten beizubringen. In systematischer Hinsicht waren jeweils drei Parteien zu befriedigen: vor allem selbstverständlich die Geschauten (und ihre Familien), daneben die Obrigkeiten, die die Konsequenzen des Schauergebnisses im Zweifel auch gegen Widerstand durchsetzen mussten, sowie drittens die schauenden Instanzen, deren Autorität gegenüber den Obrigkeiten wie auch den Geschauten und im Falle von Gegengutachten auch untereinander zu beweisen war. Die – speziell für die Kölner Schau – gut dokumentierten Konflikte, die daran beteiligten Parteien und die jeweils vertretenen Interessen sind entsprechend vielfältig.35 Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass der Austragungsmodus von Konflikten, die sich rund um die Aussatzschau ergaben, ein rechtsförmiger war bzw. sein musste, um notorisch solche Schriftsätze zu produzieren, die schließlich als »Quellen« historisch ausgewertet werden können. Die Reduktion des historischen Problems auf ein technisches, ob und wie denn der Aussatz zuverlässig zu erkennen gewesen wäre, läuft auf eine methodisch ebenfalls unzulässige Variante der retrospektiven Diagnostik hinaus36 – was die bakteriologische und nachbakteriologische Medizin mit »Lepra« bezeichnet, kann nicht Gegenstand einer historischen Betrachtung der vorbakteriologischen Ära sein, viel weniger noch, ob diese Erkrankung von Fachleuten, die sie gar nicht kennen konnten, zu diagnostizieren gewesen wäre37. Historisch steht nicht zur Debatte, wie zuverlässig (oder unzuverlässig) die eingesetzten Prüfverfahren hinsichtlich unserer Kenntnis der Lepra waren, sondern auf welchem Wege Zuverlässigkeit in ihrer Gegenwart diskursiv

35 Grette Swynnen aus Thionville (Diedenhofen) war in der Bischofsstadt Metz geschaut und für unrein befunden worden, worauf sie verlangte, im immerhin gut 250 km entfernten Köln erneut geschaut zu werden. Der Magistrat von Diedenhofen sandte sie 1492 gemeinsam mit einem Boten, der ein Anschreiben an den Kölner Rat mitbrachte, dass Grette »mit artzedien die sucht in irem lybe stoppen und verbergen« würde. Demaitre (2007), S. 53; Risse (1999), S. 167-174. – Johann Joist aus Wesel war 1484 für unrein befunden worden und zog ins knapp 200 km entfernte niederländische Haarlem, um von dort in Begleitung eines Stadtboten mit einem Reinheitszeugnis nach Wesel zurückzukehren, das in seiner Heimatstadt allerdings nicht akzeptiert wurde, woraufhin er sich in Köln erneut schauen ließ. Jankrift (2003), S. 122f. – Der blinde Sohn des Heinrich aus Zons war in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts im Kölner Leprosenhaus Melaten für unrein, vor der Schaukommission der Medizinischen Fakultät aber für rein befunden worden, worauf sich ein Rechtsstreit zwischen dem Zonser Bürgermeister und der Kölner Fakultät entwickelte, der nur vom Kölner Domkapitel geschlichtet werden konnte. Schwabach (1998). – Im November 1630 ersuchte der Münsteraner Jost Heerde, in das dortige Leprosenhaus aufgenommen zu werden, wurde aber als rein befunden, worauf er sich erst nach Hamm, dann nach Köln begab, um als unrein Geschauter den Anspruch auf die Versorgung in Münster erwerben zu können. Jankrift (1998). 36 Leven (1998). 37 Vgl. Hammond (2009). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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erwiesen werden sollte, kurz: die Autorität/Deutungsmacht oder Autorisierung der Verfahren (einschließlich des Personals) und ihrer Ergebnisse.38 Der Aufwand, den die Beteiligten jeweils getrieben haben, um an für sie akzeptable Schauergebnisse zu gelangen, spricht für die eminente Bedeutung, die diese den daraus resultierenden Zeugnissen zugemessen haben. Gleichzeitig belegt er auch, dass die Autorisierungsprozesse noch lange nicht abgeschlossen, letztinstanzliches Urteilen in Sachen Aussatz nicht in Sicht war. Den Geschauten, den Schauenden und den vollziehenden Obrigkeiten stand spätestens im 16. Jahrhundert recht klar vor Augen, dass ein ganz erheblicher Teil der Schauergebnisse nicht unzweifelhaft auf »rein« oder »unrein« hinauslief. Vielmehr standen Abstufungen zur Debatte und waren verschiedenste Zwischenzustände zu berücksichtigen, was Verhandlungsspielräume eröffnete.39 In dieser Situation gewinnen die widerstreitenden Interessen der am Prozess Beteiligten an Belang. Es ist das Verdienst von Robert Jütte und Kay Peter Jankrift40, darauf insistiert zu haben, dass nicht zuletzt die Geschauten ihre Interessen in der Schau nachhaltig vertreten haben, und sei es durch das Einholen von Gegengutachten. Die Interessen der Geschauten aber haben im Einzelfall erheblich variiert, neben das Verbergen von Aussatzzeichen trat regelmäßig auch das Vortäuschen derselben.41 Mit der Formalisierung der Schauurkunden in gesiegelten Briefen war es nur eine Frage der Zeit, bis gefälschte Schauzeugnisse auftauchten.42 Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts spielte immer stärker das Motiv des starken und faulen Bettlers, der sich als vorgetäuschter Aussätziger die Lizenz zum Betteln erschleiche, eine erhebliche Rolle.43 Für eine gewichtige Ursache unzuverlässiger Schauergebnisse in Nürnberg hielt Kammermeister in seinem »bedencken« 38 Vgl. Oesterreicher/Schulze/Regen (2003). 39 Hammond (2009). 40 Jütte (1995); Jankrift (2006). 41 Es fällt auf, dass im 15. Jahrhundert das Interesse der Geschauten häufiger darin bestand, den Aussatzverdacht abzuweisen, während seit dem 16. Jahrhundert öfter Konflikte dokumentiert sind, in denen die Geschauten diesen Verdacht bestätigt wissen wollen. Ob, in welcher Form und Ausdehnung dies einer gewissen Regelhaftigkeit unterliegen könnte, ist indes anhand weiter in die Breite gehender Untersuchungen erst noch zu zeigen. 42 Jütte (1995), S. 34; Jankrift (2006), S. 142; Ebbinge Wubben (1993), S. 59. 43 Beklagt etwa in einer Leprosenordnung Wilhelms von Cleve, »dat etzliche betlers in unsern landen gaen im schyn off so uthsettich weren und sich doch befindt nith to sein« (Sudhoff: Leprosenordnung (1910/11), S. 386-388), aber auch bei Struppius (1573), fol. 18r-18v: »Ja daß auch fleissiger vff etliche böse Landtiebe / so auß faulheit sich für aussetzige angeben / gestraffet werden.« Zahlreiche weitere Belege bei Jütte (1995). 1595 sollten Aussätzige in Bern und Luzern auch mit Bettlerjagden gesucht werden: Müller (2007), S. 145-147. Seinen fulminanten Höhepunkt fand dies in dem Mordprozess um die »große Siechenbande« 1712 in Düsseldorf, der zur Schließung sämtlicher Leprosorien in Jülich-Berg führte. Fleck (2003), S. 27-29; Schlösser (1712). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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die bosheit und betriegligkeit der leut, welche des bettlens und müssigangs gewohnt haben, und nicht der besichtigung halben, sondern gelts und almusens wegen […] pflegen zu komen, welche sich zuvor mit etlichen kreutern und andern bößen stücken so meisterlich künnen zurichten und anschmiren.44

»sollen sy mitt vleiß schauen vnnd besichtigen« – Die Beurteilung von Körperzuständen In Nürnberg scheint die Siechenschau seit spätestens der Mitte des 15. Jahrhunderts im Wesentlichen Sache der an Universitäten ausgebildeten (Stadt-)Ärzte gewesen zu sein. Eine von akademischen Ärzten unabhängige Aussatzschau hat sich – im Unterschied zu anderen Orten45 – nicht etablieren können. Der spätere Nürnberger Stadtarzt Hartmann Schedel hatte bereits in Eichstätt in den 1450er Jahren Erfahrungen mit dem Verfahren gesammelt46 und sich später nach Wiener Vorlagen aus der Mitte des 15. Jahrhunderts eine Formelsammlung angelegt, nach der die Schauzeugnisse dann gefertigt werden konnten47. Die beiden Nürnberger Stadtärzte Hartmann und sein 30 Jahre älterer Vetter und Ziehvater Hermann Schedel waren auch überregional als Schauer gefragt, wie ein in Regensburg datierter Schaubrief nahelegt48; bemerkenswert ist auch das in den 1470er Jahren ausgefertigte Zeugnis der beiden über einen nicht als leprös erachteten jungen Mann Konrad, der, da er zuletzt in einem Leprosorium gelebt habe, eine gewisse Disposition zur Erkrankung erworben haben könne (»parum in humoribus corporis sui male qualificatum et indispositum per moram cum leprosis factam«) und daher – außerhalb des Leprosoriums – einer spezifischen Diät unterworfen werden möge49. 1469 und 1485 waren die Ärzte vom Rat der Reichsstadt darauf hingewiesen worden, von den Geschauten keine Gebühren für die Schau zu verlangen.50 Der Rat scheint die Schau als eine durch die Besoldung der Stadtärzte abgegoltene Tätigkeit betrachtet zu haben, 1481 forderte er jedenfalls die von den Ärzten dafür genommene Bezahlung von jeweils drei Gulden von drei Schauärzten zurück51; als 1564 die Ärzte Flock und Ayrer offenbar 44 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 134r. 45 In Süddeutschland waren sonst in zahlreichen Orten Wundärzte an der Schau beteiligt, vgl. Sudhoff: Wurzacher Lepraschaubriefe (1911/12); Frisch (1987), S. 68-74; Kinzelbach (1989), S. 122-124; Mehl (1993), S. 146-153; Riegel (2002), S. 78. 46 Sudhoff: Weitere Lepraschaubriefe (1911/12), S. 154. 47 Sudhoff: Schemata (1912/13). 48 Sudhoff: Lepraschaubriefe (1910/11), S. 373. 49 Sudhoff: Was geschah (1912/13), S. 152-154. 50 Lochner (1861), S. 204. 51 Jegel (1934), S. 1092; es scheint sich um die bei Sudhoff mitgeteilte Schau zu handeln: Sudhoff: Lepraschaubriefe (1910/11), S. 372f. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Gebühren für die Schau erhoben hatten, ließ ihnen der Rat in aller Deutlichkeit »meiner herren missfallen anzaigen. Und vernehmen, Warumb sie die leuth also ubersetzen.«52 Vor allem zu der regelmäßig in der Karwoche stattfindenden Sondersiechenschau, aber auch zur Schau von Einzelnen wurden spätestens seit den 1490er Jahren stets mehrere, nach Möglichkeit alle gerade verfügbaren Ärzte beordert.53 Im 16. Jahrhundert wurde die Teilnahme an der Sondersiechenschau Gegenstand des Nürnberger Ärzteeides, taucht aber in den Eiden der Wundärzte nicht auf.54 Dem Stadtarzt Wolff wurde die Genehmigung, einen auswärtigen Patienten zu besuchen, 1577 ausdrücklich erst »nach verrichter schau der armen sundersiechen« gestattet; 1579 – der Arzt kam in sein 59. Lebensjahr – wurde sie ihm krankheitshalber erlassen.55 Geschaut wurde aber nicht allein bei Aussatzverdacht. Vielmehr scheint heilkundliches Gutachten über körperliche Zustände bereits im 15. Jahrhundert zur Erwartung der Stadtobrigkeit an die in städtischen Diensten stehenden Medizinalpersonen gehört zu haben und wurde im Laufe des 16. Jahrhunderts weiter formalisiert.56 Eine besondere Rolle spielte die Schau für den Zugang zum Heilig-Geist-Spital. So wurde dem Hospitalarzt über die Spitalordnung hinaus 1552 noch einmal eigens auferlegt, die Ankommenden genau hinsichtlich ihrer Spitalfähigkeit zu untersuchen.57 1565 schuf man in der Hospitalverwaltung ein eigenes Schauamt, für das allerdings weder ein Arzt noch ein Wundarzt, sondern eine Schauerin verpflichtet wurde. Die Schauerin übernahm damit im Wesentlichen die ältere Verpflichtung der Meisterin, nur spitalfähige Menschen aufzunehmen, vor allem aber wöchentlich im Spital danach zu schauen, wer zu entlassen wäre.58 Der Schauerin war in ihrem Amtseid aufgegeben, die ihr angezeigten 52 Wolfangel (1957), S. 84. 53 Damm (2001), S. 163f., 169; Sudhoff: Lepraschaubriefe (1910/11), S. 374f.; Lochner (1861), S. 204. 54 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 1r-2v (»DER Geschwornen Leibartzett zu Nürnbergk Aydtt«), fol. 7r-7v (»Der Geschwornen Mayster Aydtt«), fol. 8r-9r (»Aller Wundttärtztt Ayd«), fol. 9r-11r (»Eines E Raths warnung den Barbirern vnnd Bader Beschehen, jn Anhang ainer Straff«). Wortgleich auch in einer weiteren Sammelhandschrift des 16. Jahrhunderts, UBE, Ms. 1143, fol. 2r-7v. 55 Brechtold (1959), S. 266f. 56 Eine Sonderstellung nimmt die Harnschau ein, die weniger gutachtlichen Zwecken im hier verfolgten Sinne diente. Dazu Stolberg (2009). 57 »Doch soll man im statlich einpinden, wenn er befinden werde, das arme im Spital kumen, die mit den pösen platern der Franzosen, oder dem Aussatz und andern Krankheiten, die man darin nit heylen das er dieselbe alspalde soll, damit die peth und andere arme Leut von Jnen nit vergifft oder unreyn gemacht sondern heraus an andere ort, dahin sichs gepürt geschafft werden mögen.« Wolfangel (1957), S. 78. 58 Aus den Amtseiden der Meisterin von 1498 und 1565. Knefelkamp (1989), S. 383, 385. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Personen »mit vleiß [zu] besichtigen und keines, so gefehrliche vergiffte schaden an im hat, die im spital nit zu heilen tugen, sondern allein diejenigen, so mit ziemblichen leibsschwacheiten beladen sein«, zur Aufnahme vorzubereiten.59 Wie ernst das Amt der Schauerin von den Geschauten und auch der Obrigkeit genommen wurde, zeigt die 1589 und 1591 erneut geäußerte Klage, dass die Schauerin Geld für die Schau und die Zulassung zum Bad nehme.60 Besonders heikel war die Aufgabe der Pestschau.61 Bereits zeitgenössisch wurde den Pestverdächtigen unterstellt, die Erkrankung zu verheimlichen, um im Todesfall ehrenhaft bestattet werden zu können, was Pestleichen nicht zugestanden wurde. Die 1519/20 eingeführte Isolationspflicht an der Pest Erkrankter wurde in der »Sterbsordnung« von 1585 auf gesunde, aber mit erkrankten oder verdächtigen Personen Kontakt habende Stadtbewohner ausgeweitet. Seit 1561/62 wurde im Heilig-Geist-Spital geschaut, 1597 wiederum ein eigenes Amt eingerichtet. Mit wöchentlich zwei Gulden war der nur in Epidemiezeiten angestellte Schauer besser bezahlt als der Leiter des Lazaretts oder dessen Pfarrer. Es verwundert wenig, dass auch hier bald Ermahnungen einsetzten, Reiche und Arme gleich präzise und unbesehen ihrer Besitztümer zu schauen. Der Nürnberger Stadt- und Pestarzt Johann Heinrich Kirchberger verfasste 1625 seine »Kurtzen Erinnerungspuncte von der Pest«; da dieses Amt von Wundärzten bedient werde, sei daran zu erinnern, »wann solche Cognitio oder wissenschafft den Medicis viel zu schaffen gibt: so ist desto weniger zu verwundern / daß die Schawer bißweiln straucheln / vnd eins fuer das ander schawen.«62 Auf spezieller Expertise über Körperzustände beruhende Diskriminierungsverfahren im obrigkeitlichen Auftrag gehörten im 16. Jahrhundert zu den fest erwarteten, vertraglich fixierten und besoldeten Aufgaben verschiedenen Heilpersonals in Nürnberg und in anderen Städten. Zu Verletzungen, bei denen eventuell ein kriminalistisch und gerichtlich zu verfolgender Hintergrund vermutet werden konnte, ließ der Rat die Meister der Wundarznei rufen; die übrigen Wundärzte sollten entsprechende Verletzungen unverzüglich bei Tag oder Nacht dem Bürgermeister melden.63 Auch wenn die Lepraschau in Nürnberg, anders als anderenorts, offenbar frühzeitig von akademischen Ärzten dominiert wurde und insbesondere die Aussätzigen in den Nürnberger Siechkobeln keine mit den Schauärzten konkurrierenden Instanzen ausgebildet hatten, gehört die Lepraschau in 59 Aus dem Eid der Schauerin 1565. Knefelkamp (1989), S. 386. 60 Knefelkamp (1989), S. 184-188. 61 Porzelt (2000), S. 77-82. 62 Kirchberger (1625), Kap. 2 (»Vom Ampt der Schawer«), unpag. 63 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 7r-7v (»Der Geschwornen Mayster Aydtt«), fol. 8r-9r (»Aller Wundttärtztt Ayd«); vgl. Mummenhoff (1986), S. 19. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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den Zusammenhang mit anderen, von therapeutischen Überlegungen vorerst völlig unabhängigen, richtenden bzw. gerichtsfest gutachtenden Verfahren der Beurteilung von Körperzuständen, die durchaus nicht universitär ausgebildeten Ärzten vorbehalten waren. Treffendes Beispiel ist die Begutachtung von Pestleichen, um den Pestverdacht zu entkräften und dadurch ein ehrenhaftes Begräbnis zu ermöglichen.64 Die Autorisierungsbestrebungen der frühneuzeitlichen Ärzte waren dringend darauf angewiesen, deren Gelehrsamkeit möglichst unabhängig von den Heilerfolgen zum maßgeblichen Faktor von Autorität zu deklarieren. Gutachtende Aufgaben, die nicht primär auf den Heilerfolg, sondern auf die Durchführbarkeit von Verwaltungs- und »policeylichen« Maßnahmen gerichtet waren, boten sich geradezu an. Insofern war die Sondersiechenschau für das Autorisierungsvorhaben der Nürnberger Ärzte von strategischer Bedeutung. »all iar da in der marterwochen« – Das Nürnberger Sondersiechenalmosen Auf einen offenbar eindringlichen Appell des Predigers im Heilig-GeistSpital, Meister Niclas, haben 1394 Anna Grundherrin, Anna Neydungin und die Uslingerin eine Stiftung errichtet65, die jährlich von Kardienstagnachmittag bis Karfreitagmittag fremden Aussätzigen geistliche und leibliche Versorgung in der Stadt zukommen lassen sollte. Die Stiftungsidee ist ein grandioses Beispiel des doppelgesichtigen Bildes vom Aussatz und den Aussätzigen im (späten) Mittelalter.66 Diejenigen, die nach alttestamentarischer Lesart von jeglicher Gesellschaft ausgeschlossen gehörten und die genau deshalb nach neutestamentarischer Lesart die ganz besonders erbarmungswürdigen Kreaturen dieser Erde waren67, in der Karwoche gleichsam zur Verkörperung des gemarterten Christus in die Stadt zu bitten und öffentlich auf dem Sebalder Kirchhof zu versorgen, hat seinen besonderen Reiz auf die Stifterinnen nicht verfehlt68. Geschuldet ist dies der herausra64 Hammond (2005), S. 100f. 65 Kruse (2007), S. 414-419. 66 Vgl. Belker (1990), S. 200-204; vgl. für die mittelhochdeutsche Literatur zuletzt auch Stange (2009). 67 Vgl. Schelberg (2000), S. 113-149 (»›Aussatz‹ und ›Aussätzige‹ im Alten und Neuen Testament«); Betz (1986). Dies klingt noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts an: »Eine thierische Verwilderung bemächtigte sich dieser Auswürflinge der menschlichen Gesellschaft, und man konnte ihren Zustand einer leiblichen und geistigen Verwahrlosung nicht wohl ohne Jammer ansehen.« Lochner (1861), S. 194. 68 Die Praxis, Aussätzige (nicht nur in der Karwoche) einzulassen und mit Almosen zu versehen, war nicht auf Nürnberg beschränkt. Vgl. Hörger (1982), S. 59 und 64, der die Leprösen in diesem Zusammenhang bereits österlich »als Sinnbild der aus ihren Gräbern auferstandenen Toten« deutet. Der Kölner Jurist Johannes Eversberch rechnete 1472 auf Karfreitag mit bis zu 288 Leprosen vor den Kirchen der Stadt. Irsigler/Lasotta (2009), S. 82. Vavra (2009), S. 401, sieht die Bettler und Aussätzigen als Stellvertreter der Apostel, denen Christus am Gründonnerstag die Füße wusch. In Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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genden Bedeutung der Karwoche für die spätmittelalterliche christliche Frömmigkeit, in der das österliche Erlösungsversprechen durch die öffentliche und drastische Zurschaustellung und den dramatischen Nachvollzug des Martyriums Christi zelebriert wurde.69 Die zum Sondersiechenalmosen eingeladenen Menschen mussten in der Reichsstadt gleichsam als »doppelt Fremde« gelten: Zum einen sollten sie als Aussätzige innerhalb der Mauern nicht geduldet, sondern in eines der vier Leprosenspitäler verbracht werden. Dies galt sogar für die Nürnberger Hospitaliten, die des Hospitals verwiesen wurden, wenn sie »unrein« geschaut worden waren. So starb der im Mendelschen Zwölfbrüderhaus lebende Braumeister Jörg 1437 im Leprosorium St. Jobst, nachdem er »unrein« geschaut und »auß geton« worden war.70 Nürnbergischen Aussätzigen, die in den vier städtischen Leprosorien lebten, war es während der drei Tage des Almosens verboten, die Stadt zu betreten. Zum anderen war die Klientel des Sondersiechenalmosens nicht allein aussätzig, sondern auch fremd. Diese Menschen galten damit unterschiedslos als fremde Bettler, die – ob nun aussätzig oder nicht – nach Möglichkeit gar nicht erst in die Stadt gelassen werden sollten. 1370 hatte sich die Reichsstadt eine erste Bettelordnung gegeben, die fremde Bettler nicht länger als drei Tage dulden wollte und legitimes öffentliches Betteln vom Besitz spezieller Bettelzeichen mit halbjähriger Gültigkeit abhängig machte, die von einer Amtsperson nach Anhörung mehrerer glaubwürdiger Zeugen ausgegeben wurden71; eine 1478 erlassene und 1518 erneuerte nürnbergische Bettelordnung72, die reichsweit als vorbildlich angesehen wurde73, hatte einschlägige Bestimmungen noch einmal verschärft.

Amsterdam wurde vergleichbar am Koppermaandag, dem Montag nach dem Sonntag nach dem Dreikönigstag im Januar, in Gouda am Vastenavond, dem Dienstag vor Aschermittwoch, Leprosen und Bettlern Einlass gewährt. Ebbinge Wubben (1993), S. 62. 69 Vgl. Köpf (1997). Den frömmigkeitshistorischen Zusammenhängen, insbesondere dem Formenwandel der Darstellung und des Nachvollzugs der Marter im Zeichen von Reformation und Konfessionalisierung, kann an dieser Stelle nicht hinreichend gründlich nachgegangen werden, ohne den hier gewählten Fokus aus dem Auge zu verlieren. 70 StadtBib N, Amb. 317.2° (Hausbuch der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung I), fol. 60r. Die Hausbücher der Nürnberger Zwölfbrüderstiftung sind vorbildlich aufbereitet online zugänglich: http://www.nuernberger-hausbuecher.de (letzter Zugriff: 16.12.2010). 71 Rüger (1932), S. 30, 68f. Die Prüfung umfasste nicht zuletzt die Fähigkeit der Bettelnden, Credo, Vaterunser und Ave Maria aufsagen zu können, und kann daher auch als Versicherung gegenüber den Almosengebern gelesen werden, die mit Almosen Beschenkten seien überhaupt in der Lage, im Gegenzug für sie zu beten. Irsigler (2009), S. 170. 72 Baader (1861), S. 316-320; Rüger (1932), S. 70-76. 73 Jütte (1984), S. 30; Gollwitzer (1979), S. 210. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Recht bald wollte die Obrigkeit das Sondersiechenalmosen einer Seuche wegen außerhalb der Stadt abhalten lassen. Die aus diesem Anlass verfügte Verlegung des Almosens und ihre Rücknahme geriet in der Mitte des 15. Jahrhunderts zum Gründungsmythos des Sondersiechenalmosens, der einen tiefen Einblick in die Deutung der fremden Aussätzigen als »arme Glieder Christi« und das diesen gegenüber gebührende Verhalten erlaubt sowie auch das Sondersiechenalmosen als »lieu de mémoire« der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadtgeschichte Nürnbergs ausweist. Bis 1462 wurde die Stiftung von drei Nürnbergerinnen geleitet, um dann im Namen des Rates durch den Pfleger Hans Ulstätt im Sinne einer Finanzaufsicht verwaltet zu werden. In diesem Zusammenhang wurde die Verwaltung neu organisiert und vor allem die Geschichte der Stiftung geschrieben74, die auch von den späteren Chroniken75 sinngemäß oder auch wörtlich wiederholt wurde. In der somit erstellten Hausgeschichte liest sich der Vorgang folgendermaßen: Mit dem Verbot des Almosens innerhalb der Stadtmauern – hier datiert ins Jahr 140576 – sei eine schwere Seuche ausgebrochen, der nicht zuletzt auch die dafür verantwortlichen Ratsherren erlagen. Mit der angesichts dessen wiederum erteilten Erlaubnis, das Almosen »zu den osterlichen zeiten die drey tag jn der marter wochen« doch in der Stadt abzuhalten, hörte das Sterben wieder auf – seitdem gehe es auch ökonomisch wieder aufwärts mit der Reichsstadt.77 74 StadtA N, Bestand A 21, Nr. 031 (Sondersiechen-Stiftung), fol. 1r-25v. 75 Zur spätmittelalterlichen Chronistik Nürnbergs vgl. Schneider (2000). 76 Die Datierung dieses Geschehens ist widersprüchlich. Eindeutig vermerkt die wohl zugrundeliegende Passage in der Ordnung der Stiftung das Jahr 1405: StadtA N, Bestand A 21, Nr. 031 (Sondersiechen-Stiftung), fol. 2r. Ein Jahrbuch des 15. Jahrhunderts datiert das Ereignis auf 1401 (Die Chroniken der fränkischen Städte (1872), S. 137), während der Chronist Müllner im Zusammenhang mit der im Jahr 1394 eingetragenen Gründungsgeschichte des Almosens erst das Jahr 1401 (Müllner (1984), S. 135), an anderer Stelle 1400 (Müllner (1984), S. 175) aufführt, für 1405 hingegen keinen »Sterb« erwähnt. 77 »Darnach da meret es sich mit den gelidern Christi. da wurden die armen Sundersiechen versagt gen dem Rate der Stat. Daß der Rate zu Nuremberg wolt auß haben getriben gantz vnd gar die Sundersiechen zu der Osterlichen zeit. Da verhenget vnser lieber herre Jhesus Christus das die lewt sturben vnd etliche die lagen Jn iren haupten sam sie synlaß weren vnd heten nit vernuft, das geschahe zu der selben osterlichen zeit. vnd auch die menschen die dy armen siechen gen dem Rate heten versagt die selben sturben auch zu den selben zeiten. das alles geschah Nach Christi gepurt m.iiii. vnd jm funften Jahre. mit dem sterben. vnd mit dem portzel. Darnach erlaubet der Rate wider das man die armen Sundersiechen wider ein solt lassen zu den osterlichen zeiten die drey tag jn der marter wochen. Als pald das geschah. da horet der sterb vnd der portzel auf. So hat auch die stat lieder zu genomen an gut vnd an lewten. das haben dy lewt gemerckt die mit den armen gelider Christi sein vmb gangen. das vnser lieber hir der stat hat zu geben an lewten vnd an gute.« StadtA N, Bestand A 21, Nr. 031 (Sondersiechen-Stiftung), fol. 1r-2r; vgl. Die Chroniken der fränkischen Städte Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Diese – immerhin wenigstens mittelbar von der Stadtobrigkeit in Auftrag gegebene – Geschichtserzählung wirft ein bemerkenswertes Licht auf den größeren gedanklichen Zusammenhang einer nürnbergischen »Seuchenpolizei« in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Die Obrigkeit zeigt sich hier in doppelter Hinsicht treusorgend: indem sie erst die in größerer Zahl kommenden fremden Leprosen (»Darnach da meret es sich mit den gelidern Christi«) ausweist, dann aber erkennt, dass die daraufhin ausbrechende Seuche, der »portzel«78, nur zu stoppen ist, wenn die Leprosen (wieder) eingelassen würden, was daraufhin auch geschieht. Das vermeintlich »seuchenpolizeilich« Gebotene konnte also unter bestimmten Umständen eine Seuchenkatastrophe auch auslösen, wenn den fremden Leprosen, die freilich im Wortsinne ausgesetzt werden mussten, während des Almosens in der Karwoche ihre Funktion als »arme Glieder Christi« genommen wurde: »Als Jhs xpus [Jesus Christus] hat die drey tag gewurket vnser sel selikeit. Also sull wir auch wurcken mit den aller liebsten gelidern xpi [Christi] vnser sel selikeit. die drey tag.«79 Ebenso wenig, wie ernsthaft historisch diskutiert werden kann, ob es sich bei den erst ausgesperrten, dann wieder eingelassenen Menschen um im heutigen Sinne an der Lepra erkrankte Menschen gehandelt hat, ist es sinnvoll (oder auch nur möglich), darüber zu spekulieren, ob das Verhalten des Rates den »portzel« erst ausgelöst und dann wieder beendet hat. Dies hat bereits der frühneuzeitliche Chronist Johannes Müllner beobachtet, der in seiner Chronik aus dem Jahr 1623 zurückhaltend formulierte: »hat man darfür gehalten, daß es eine Straf wäre wegen der ausgeschafften Sundersiechen.«80 Erst 149781 und 152882 hat sich der Rat wegen anderer Seuchen in der Stadt wieder getraut, das Almosen auf dem Johanniskirchhof bei dem dortigen Leprosorium außerhalb der Stadtmauern abhalten zu lassen, es aber im nächsten Jahr stets wieder in die Stadt verlegt. Das Sondersiechenalmosen wurde eine beliebte Veranstaltung, die in der Mitte des 15. Jahrhunderts bereits »pei 600 oder mer« fremde Aussätzige nach Nürnberg zog.83 Da die Übernachtung dieser Menge unter freiem Himmel auf dem Sebalder Kirch(1872), S. 135-137. 78 »Sonsten soll sich dies Jahr eine neue Krankheit erhebt haben, die der gemeine Mann den Purczel genennet.« Eintrag unter dem Jahr 1387 bei Müllner (1984), S. 109. 79 StadtA N, Bestand A 21, Nr. 031 (Sondersiechen-Stiftung), fol. 1r. Die in Nürnberg besonders prominent fassbare Stellvertretung Christi durch die Aussätzigen verdeutlichen auch die Miniaturen auf den Stiftungsbüchern der Nürnberger Siechkobel, vgl. Meier (2007), S. 127f. 80 Müllner (1984), S. 135-137. 81 Mummenhoff (1986), S. 104. 82 Müllner (2003), S. 597. 83 Die Chroniken der fränkischen Städte (1872), S. 135. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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hof und notfalls wohl auch in der Kirche nicht mehr handzuhaben war, wurde in den 1440er Jahren ein eigenes großes – und damit notwendig teures – Haus auf dem Neuen Bau errichtet84, das nach der Sondersiechenordnung ausschließlich in der Karwoche geöffnet werden sollte; erst 1562 oder 156385 wurden Speisung, Predigt und wohl auch Beichte, die weiterhin auf dem Kirchhof bzw. in der Sebalduskirche stattgefunden hatten, dorthin verlegt86. Über eine im Druck verbreitete Spruchdichtung von Hans Rosenplüt (1490) und durch einen 1493 datierten Einblattdruck, der bezeichnenderweise in zwei Exemplaren in Gotha und Paris, nicht jedoch in Nürnberg überliefert ist87, sowie in gelehrten Kreisen durch Conrad Celtis88 und Johannes Cochlaeus89 wurde das Sondersiechenalmosen weithin bekannt. Im 16. Jahrhundert waren regelmäßig zwischen 1000 und 3000 Aussätzige90 in der Karwoche nach Nürnberg gereist, versprach doch Rosenplüts Dichtung91: das drit almusen ist weit erholen / von sundersichen man vnd frauen / Die sich zu Normbargk lasen schauen / all iar da in der marterwochen / Den pfligt man drei tag zu kochen / solche edle kostperliche mal / Vnd öß ein ein [sic!] furst in einem sal / im wurd das esen nit verschmahen.92

Einen besonderen Stellenwert nahm wiederum die Schau ein, so dass gegen Ende des 15. Jahrhunderts bis heute synonym vom Sondersiechenalmosen 84 Lochner (1861), S. 178f. 85 Reicke (1896), S. 590-592. 86 Roth (1792), S. 14. 87 Nach einem Exemplar in der Pariser Bibliothèque Nationale zuletzt bei Ebbinge Wubben (1993), S. 32f., sowie Demaitre (2007), S. 48, der allerdings aus Tollet (1892), S. 45, reproduziert. Das Gothaer Exemplar zuletzt bei Jankrift (2005), S. 137, und Dross/Ruisinger (2009), S. 34. 88 Werminghoff (1921), S. 175-181 (»Capitulum duodecimum de pietatibus et elemosinis urbis et leprosis«); dt. Übersetzung bei Celtis (2000), S. 60-63. 89 Cochlaeus (1512), fol. XLIVv; Cochlaeus (1960), S. 86-89. 90 1462 wurden etwa 600 Aussätzige gezählt; 1574 ist von 2540 Sondersiechen und weiteren 700 Bettlern die Rede (Müllner (1984), S. 135-137). Bei Celtis sind 1502 600-800 (Werminghoff (1921), S. 178), bei Cochlaeus 1512 über 700 Aussätzige genannt: Cochlaeus (1512), fol. XLIVv; Cochlaeus (1960), S. 86-89. Eine Nördlinger Chronik (StadtA Nö, Bestand Chro. 24 (Chronik von Sixt Stoll), fol. 26-28) gibt 1527 für die drei Tage jeweils verschiedene Zahlen, die zwischen 1200 (Mittwoch Morgen) und 2400 (Donnerstag Mittag) schwanken; insgesamt seien 666 Sieche und 2205 arme Menschen dort gewesen. Für den Hinweis danke ich Annemarie Kinzelbach ganz herzlich. Vgl. die Zahlen über die Ausgaben der Stiftung bei Hammond (2009), S. 283. 91 Rosenplüt (1490), unpag.; vgl. Lochner (1861), S. 215f. 92 Der Vergleich mit einem fürstlichen Mahl auch bei Celtis (Werminghoff (1921), S. 179) und in der Nördlinger Chronik von Sixt Stoll (»wie an Ain Fursten Hoff«). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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oder der Sondersiechenschau die Rede ist. Der Einblattdruck von 1493 erzählt den Ablauf der drei Tage, beginnend mit der Schau, bei der ein armer, aber nicht leproser Fremder von einem Arzt abgewiesen wird93; bei Rosenplüt ist gar davon die Rede, dass die zu der Schau in die Reichsstadt kommenden Menschen gespeist würden – und nicht etwa die zu Almosen und Speisung kommenden geschaut. Nach der Ordnung des Almosens von 146294 war die ärztliche Untersuchung am Karmittwoch indes nur ein Teil der verschiedenen Schauvorgänge, die von den drei »Siechenmüttern« kontrolliert wurden. Diese sollten die zu Tisch auf dem Kirchhof sitzenden Siechen zuerst ansehen und im Zweifelsfall (»ob sich nit eins seth da sie an zweifelt. das sie deucht Es wer nit sundersiech«) auch direkt ansprechen. Weitere Stationen der Schau waren dann die Ärzte sowie die Priester, die den Siechen die Beichte abnahmen und das Sakrament austeilten und dies mit einem »Nötterlein« als Zeichen auch zertifizierten, wenn die Angereisten keine urkundliche Bestätigung ihres Heimatpfarrers vorweisen konnten. Die Ärzte sollten den »schön« Geschauten gesiegelte Urkunden über das Schauergebnis aushändigen, den »Unreinen« aber den Rock als Tuch-Zeichen.95 Die ärztliche Schau sollte durch einen »losser« (Bader/Barbier < Aderlasser) sowie einen Schreiber, vor allem aber durch eine der drei Siechenmütter in Begleitung jüngerer »Töchter« beaufsichtigt werden.96 Dass die »losser« an einem Nachmittag mehrere Hundert Menschen zur Ader gelassen haben sollen, ist allerdings schwer vorstellbar – dass die Ärzte dies anschließend auf die in der zeitgenössischen medizinischen Literatur erwähnten Blutzeichen untersucht hätten, erst recht.97 Festzuhalten bleibt, dass die Schauvorgänge von Priestern und Ärzten als externe professionelle Schauer jeweils in

93 »Freunt du pist nicht sundersiech / du hast wol sunst verwarlast dich / Bist erfrorn in dem kallten winter / Last ander herzu drit du hinhinter.« Erwähnt werden ausdrücklich »Zwen doctor die sie fleyssig schawen / Welches sey siech oder gesundt«. Vgl. Hammond (2009), S. 283, dazu: »However, the emphasis rests not on an intentional deception but rather on the discerning authority of the physician, who has looked past the superficial markers of leprosy to identify an underlying ›lookalike‹ condition. In any case, the image stresses the physician’s expert ability to distinguish the appropriate and inappropriate recipients of charity.« 94 StadtA N, Bestand A 21, Nr. 031 (Sondersiechen-Stiftung), fol. 1r-25v. 95 »welcher schön ist dem geben die erzt ein prief mit Jren sigeln das er schön sey. aber den vnsawbern gibt man ein rock zu eim zeichen das er vnsauber sey.« StadtA N, Bestand A 21, Nr. 031 (Sondersiechen-Stiftung), fol. 8v. 96 »So sol allwegen der obersten eine pey den Ertzten sein wenn man die armen schawt. vnd das sie auch ander zwu töchter zu ir nemen die ir die armen helffen leren wie sie tun sullen. wenn mans schawt.« StadtA N, Bestand A 21, Nr. 031 (SondersiechenStiftung), fol. 15v. 97 Zum Schauverfahren wird nur erwähnt: »so sehen die erzt an d zungen welcher schön oder vnsawber ist.« Zu den ärztlichen Schauverfahren vgl. Riha (2004), S. 7-11, sowie Wittern (1982). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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nachvollziehbarer Form durch »Nötterlein«, Urkunde oder Rock dokumentiert wurden. Die »schön« Geschauten wurden jedoch nicht unmittelbar aus der Stadt geleitet, sondern durften an der Speisung weiterhin teilnehmen, sollten aber weder die Geldzahlung noch den Rock am Karfreitag erhalten. Das Bemühen, in einer jahrmarktsgleichen Szenerie mit einigen Hundert, später Tausenden immerhin fremden und unbekannten Teilnehmerinnen und Teilnehmern in und um die Sebalduskirche »sauber« und »unsauber« Geschaute an verschiedenen Plätzen mit unterschiedlichen Leistungen zu versehen, wurde bereits in der Sondersiechenordnung von 1462 nur unter der Bedingung verschärfter Kontrollen als durchführbar angesehen: »Item so sol man vor allndingen an dem heiling karfreytag vnter in gar eben vmbsehen. wan es setzt sich etlicher mensch darvnter von des gelts wegen vnd von des gewants wegen das sust nit tet.«98 »diesem abscheulichen handel abzuwarten« – Kammermeister über die Siechenschau In Joachim Kammermeisters »bedencken« aus dem Jahr 1571 nimmt der Abschnitt über die Sondersiechenschau mit sechs beidseitig beschriebenen Blatt vergleichsweise breiten Raum ein99; lediglich der Abschnitt über die Abwehr fremder Heiler ist unwesentlich länger100. Allein dies kann wenigstens als Indiz für die außergewöhnliche Bedeutung der Sondersiechenschau sowie die Schwierigkeit, angemessene Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten, gewertet werden. Auffällig ist weiterhin, dass sich unter den am Rande glossierten Belegstellen nur ein antiker Schriftsteller (Aetios von Amida) und keine Bibelverweise finden. Zitiert werden außer Aetios von Amida (1. Hälfte des 6. Jahrhunderts) der Historiker Johann Georg Turmair (Johannes Aventinus, 1477-1534) und die zeitgenössischen Mediziner Jean Fernel (Johannes Fernelius, gest. 1558) und François Valleriola (gest. 1580). Das darin reflektierte Problem ist mit der Wort-, Übersetzungs- sowie Begriffs- bzw. Ideengeschichte von »Lepra« und ihren unterschiedlichen Synonyma in dem hier verfolgten Zusammenhang nur unvollständig erfasst.101 Denn wenn es nicht möglich war, einen im Prinzip gültigen und von allen Medizinern der Zeit ohne weiteres akzeptablen Kanon von Stellen 98 StadtA N, Bestand A 21, Nr. 031 (Sondersiechen-Stiftung), fol. 25r. 99 Vgl. Hammond (2009), S. 284f. 100 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 132r-138r (»Von besichtigung der aussetzigen oder siechen leuten«), fol. 106v-113v (»Von frembten leuten, die sich allerley artzneiens unterstehen wöllen«). 101 Vgl. Ieraci Bio: Elephantiasis (2005); Ieraci Bio: Leontiasis (2005); Leven (2005); Betz (1986); Gläser (1986); Riha (2004), S. 14-17; Schelberg (2006); Demaitre (2007), S. 8591, 103-131. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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aus der klassischen Literatur zusammenzustellen, ergab sich daraus nicht zuletzt ein schwerwiegendes Defizit der Autorisierungsstrategie der Medizin des 16. Jahrhunderts. Kammermeister schildert den Aussatz als eine Strafe Gottes, die zur Absonderung der Betroffenen führe, um die Übrigen vor der Verunreinigung zu schützen.102 Damit niemand zu Unrecht aus der Gemeinschaft ausgeschlossen würde, sei die Unterscheidung von obrigkeitlicher Seite an Ärzte delegiert; praktischerweise würden an verschiedenen Orten zu festgesetzten Terminen die Aussätzigen zusammenkommen, um geschaut zu werden.103 So werde es nicht nur in Nürnberg, sondern auch in den Niederlanden und im französischen Arles gehandhabt.104 Kammermeister verlegt damit nicht allein den Schwerpunkt des Nürnberger Sondersiechenalmosens auf die Schau, sondern stellt das dort geübte Verfahren der Massenschau auch als das gewöhnliche dar. Die auf eine besondere Anfrage einer einzelnen verdächtigten Person vorgenommene ärztliche Schau wird in Kammermeisters »bedencken« nicht einmal erwähnt. Die Klage über die Umstände der Nürnberger Massenschau in der Karwoche nimmt daher einen großen Teil der Ausführungen ein. Allein die große und rapide anwachsende Menge der Kommenden (»da im anfang solcher stiftung nicht der 20 tail vorhanden gewesen ist«) sowie der große Anteil betrügerischer fremder Bettler darunter mache die hinreichend gründliche Schau aller Aussätzigen völlig unmöglich. Kammermeisters »bedencken« schlägt dagegen den Ausschluss von Fremden vor. Damit bewegt sich der Text zwar umstandslos im Rahmen des Betteldiskurses im 16. Jahrhundert, ignoriert indes geflissentlich die Stiftungsintention des Sondersiechenalmosens. Nicht zuletzt darauf dürfte zurückzuführen sein, dass sich Kammermeister bei der Autorisierung eines Allgemeinplatzes – der Abwehr fremder Bettler – durch das umständlich bei dem Historiker Aventinus entlehnte Zitat einer Verordnung Karls des Großen erhebliche Mühe machte. Die wahrhaft Notleidenden der Sondersiechenschau seien die Ärzte: dieweil in kurzer zeit, und solcher eil, nicht etlich hundert, sondern tausent menschen oft zu besichtigen sein, da doch man unter hunderten nit mit einem der noturft nach sich bereden kan, muß geschweigen, was ein fromherziger arzt für mitleiden und beschwernüs aus solcher leut heulen und schreyen und andern unlust schöpfen pflegt,

102 Während Schopff (1582) zehn Jahre später den Aussatz als göttliche Strafe relativierte (fol. 4r: »dieweil der Aussatz im Alten Testament mehr eyn Geystliche dann weltliche oder natuerliche deutung vnd außlegung gehabt«); zit. n. Hammond (2009), S. 276. Bei Ortolf von Baierland im 13. Jahrhundert enthält der Abschnitt über den Aussatz keinerlei Bezugnahme auf göttliche oder religiöse Ursachen! Riha (2009), S. 103f. 103 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 132r-138r, daher auch die folgenden Zitate. 104 Kammermeister bezieht sich auf Valleriola (1554), S. 393-402 (»De annua Elephanticorum apud Arelatam probatione uetere senatusconsulto instituta«). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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davon auch von etlichen schimpfweis nicht unbillig ein solche schau das purgatorium oder fegfeuer genant ist worden.105

Dazu komme aber ein weniger technisches, durch die Umstände, als in der Medizin begründetes Problem, was sicherlich die Aufmerksamkeit des Nürnberger Rates und dessen Anfrage an die übrigen Doctores der Stadt begründet hat. Auch unter günstigsten Umständen sei nämlich die Schau nach Kammermeisters »bedencken« aus drei Ursachen nicht in allen Fällen zuverlässig zu verrichten. Zum einen gebe es verschiedene neuere Krankheiten, deren Anzeichen dem Aussatz ähnelten und die sich überdies auch dahin verschlimmern könnten. Dazu gehörten insbesondere »morbus gallicus oder die franzosen« sowie in den nördlichen Ländern wie Sachsen und den Niederlanden der »schorbock«, dazu eine Vielzahl von Folgen ärmlicher Lebensweise. Zum anderen sei der Aussatz im Anfangsstadium nicht einwandfrei zu erkennen und nicht selten sogar heilbar. Allein um den guten Ruf zu wahren, würden die Ärzte in diesen Fällen stets davon absehen, solche »eltern und kinder, eheleut und andere guete freund, denen solches ein großer kümmernüss und jammer ist, von einander zu schaiden und von aller gemainschaft anderer menschen abzusundern«.106 Schließlich und drittens sei allein aus äußerlichen Zeichen nicht sicher auf Aussatz zu schließen, wie die Erfahrung aus den Leprosorien bezeuge. Neben dem Ausschluss fremder Bettler schlägt das »bedencken« vier weitere Wege vor, die Gebrechen bei der Siechenschau zu lindern. Zum einen sollten sich die Siechen zu Hause mit urkundlichen Bescheinigungen ihrer Obrigkeiten versehen lassen. Auf diese Weise könnte ein erheblicher Teil der Schau gleichsam im Aktengang durch Schreiber erledigt werden, während gleichzeitig umherstreunende Bettler abgeschreckt würden. Zum anderen seien Simulanten hart zu bestrafen, nicht zuletzt, um sie vor der Verunreinigung durch die wahrhaft Aussätzigen zu schützen. Drittens sei der Zeitraum der Schau zu verlängern, nicht nur, um den Ärzten die Gelegenheit zu gründlicherem Vorgehen zu ermöglichen, sondern auch, damit diese ihr bezahlendes Klientel versorgen könnten: »Sonst den ganzen langen tag aneinander diesem abscheulichen handel abzuwarten nicht allein verdrieslich, sondern auch fast unmüglich fürfallen will.«107 Viertens schließlich sei es notwendig, dass sich die zur Schau beauftragten Ärzte vorher präzise verabredeten und die zu beachtenden Zeichen und deren Interpretation gemeinsam beratschlagten, um ein gemeinsames und vor allem geschlossenes Vorgehen sicherzustellen.108 105 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 134v-135r. 106 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 135v. 107 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 137v. 108 »etlich tag zuvor zusammenkommen, und von solcher krankheit, natur und aigenschaft, und derselben zaichen, erkentnus und besichtigung sich mit allen müglichen vleis unterreden, miteinander beschliessen, wie ein ordentliche, schleunige und gewisse besichtigung fürzunehmen, und was für zaichen solcher krankheit sie sich fürnehmUrheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Vor allem dieser Hinweis dürfte die reichsstädtische Obrigkeit alarmiert haben. Denn er offenbart, dass selbst das teuerste Doktordiplom einer italienischen Universität nicht hinreichend war, um die Schau zuverlässig durchzuführen, sowie den Umstand, dass die universitäre Ausbildung allein nicht einmal ein einheitliches Vorgehen der Ärzte bei der Schau sicherstellen konnte. Die schwierige Lepraschau offenbart an dieser Stelle das Dilemma ärztlicher Autorisierung in der Frühen Neuzeit. Die althergebrachte medizinische Semiotik, die Form der Interpretation von Zeichen am, im oder aus dem Körper einer (kranken) Person durch deren Arzt, war nicht dasselbe wie die von der Obrigkeit erwartete autoritative Beurteilung des (körperlichen) Zustandes derselben Person, aus der Pflichten und Rechte der Obrigkeit und der begutachteten Person widerspruchslos hervorgingen.109 »selber was zwiespeldig« – Die Gutachten der Nürnberger Ärzte Unmittelbar hinter Palmas handschriftlicher Kopie von Kammermeisters »bedencken« finden sich die neun vom Rat angeforderten Arztgutachten zur Sondersiechenschau. Es handelt sich um Abschriften von derselben Hand, die Palma entweder selbst gefertigt hat oder aber von einem Schreiber hat anfertigen lassen. Palma hat sie dem Anciennitätsprinzip entsprechend geordnet, die Gutachten derjenigen Kollegen, die am längsten in Diensten der Reichsstadt standen, befinden sich vor den später nach Nürnberg gekommenen. Außerhalb dieser Ordnung an die erste Stelle und unmittelbar hinter Kammermeisters »bedencken« hat Palma seine Stellungnahme gesetzt, die als einzige datiert ist. Es handelt sich in dieser Reihenfolge um die Gutachten von Georg Palma (in Nürnberg 1568-1591)110, Melchior Ayrer (in Nürnberg 1547-1578)111, Paul Weller (in Nürnberg 1563-1601), Joachim Kammermeister (in Nürnberg 1564-1599)112, Justinus Müllner (in Nürnberg 1566-1582), Johann Schenck (in Nürnberg 15671588), Gregor Rucker (in Nürnberg 1569-1589), Volcher Coiter (in Nürnberg 1569-1576)113 und Erasmus Flock (in Nürnberg 1572-1576). Von Heinrich Wolff (in Nürnberg 1550-1581)114 ist kein Gutachten überliefert; lich, als für die warhaftigsten gebrauchen wollten, dadurch dann darnach in der zeit der schau desto weniger disputation und zweifeln unter ihnen fürfallen, die zeit nicht dadurch verloren würd werden.« StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 138r. 109 Hammond (2009), S. 287. 110 König (1961); dort auch eine Transkription des Gutachtens auf S. 63f., die Jütte (1995), S. 38, benutzt hat. 111 Wolfangel (1957). 112 Gröschel (1977). 113 Groß/Steinmetzer (2006); Herrlinger (1952); dort auch eine Transkription des Gutachtens auf S. 124-126. 114 Brechtold (1959). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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da m. E. nichts dafür spricht, dass Palma dessen Stellungnahme vergessen oder übersehen haben könnte, gehe ich davon aus, dass sich Wolff tatsächlich nicht schriftlich geäußert hat. Durch Hieronymus Baumgartner und Christoph Fürrer, die beiden Deputierten zur Apotheken-Visitation, die aus dem politisch maßgeblichen Inneren Rat stammten und letztlich die Beauftragten des Rates für medizinalpolizeiliche Angelegenheiten waren115, hatte man den Ärzten, wie Rucker und Flock berichten, »fürgehalden, wie das ein E.W. Rath ein groß mißgefallen trag vnnd hab, von wegen des vnfleis der ordentlichen schau, welche jerlich in der Char oder Marter wochen gehaltten wirdt, dieweil viel personen rain, die doch siech geschauet befunden worden sollen sein«116. Alle Schriftsätze tragen dementsprechend rechtfertigenden Charakter.117 Gleichwohl unterscheiden sich die ärztlichen Rechtfertigungen ganz erheblich im Umfang. Während sich der erst unmittelbar vorher zum Stadtarzt ernannte Flock darauf berief, noch keiner Schau beigewohnt zu haben, legten Coiter und Weller ausführliche Gutachten vor, die fast den dreifachen Umfang hatten. Diese beiden längsten Schriftsätze umfassen etwa das Doppelte des vom Umfang her in der Mitte angesiedelten Gutachtens von Kammermeister.118 Durchgehend findet sich das Argument, dass die große Menge der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in zwei oder drei Tagen nicht ordentlich geschaut werden könne; bei Coiter in der bemerkenswerten Wendung, dass im alttestamentarischen Vorbild Aarons Söhnen, denen die Erkenntnisfähigkeit des Aussatzes immerhin von Gott gegeben sei, ganze zwei Wochen für einen, den Nürnberger Stadtärzten hingegen nur drei Tage dazu gegeben würden, Tausende Aussätzige zu beurteilen.119 115 Vgl. Wittwer (1792), S. 10f., wo die beiden erst 1581 als Deputierte erscheinen. 116 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 156r (Flock). 117 »Zum viertten ist auch viel gelegen an den Phisicis so zu solcher schau verordnet, vnnd ist gleichwohl nit ohn, das man jhnen bisher, solcher zugetragen jrthumb vnnd mengl halber nür die meiste schuldt jhnen zu gemessen, als obs durch jhren vnfleis vnd vngeschickligkeitt geschehen weren, So doch jhnen die wenigste schultt zu geben ist.« StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 153v-155v (Coiter). 118 Die Zahl der Anschläge der Transkriptionen beträgt: Coiter (8740), Weller (8619), Müllner (5249), Palma (5203), Kammermeister (4683), Rucker (4364), Schenck (3456), Ayrer (3207), Flock (2811). 119 »Dann E.E. vnnd H. als hoch verstendige können selbst erachten, dieweil den Herrn Phisicis nitt mehr dann 3 tag zu solcher schau geben, wie es müglich sein khan, das vter souil tausent personen, alle so eben vnnd recht können besichtigett werden, oder das nitt einiger mangl jhm fall vter so großer meng sollte zutragen, welches vnns auch deß weniger für vbel zuhaben, weil es Aaronj vnnd seinen söhnen (wie im 13 cap: Leuiticj stehett) welche die sonderliche gab vnnd erkandnus von gott gehabtt, gnugsam zu schaffen gegeben hatt. Dann ob sie schon 14 tag ein rechten Aussatz zu erkhennen gehabtt, So hatt es doch jhnen gefelhett, das welcher sich rein geschauet, nachmals baltt wider für vnrein erkennett worden.« StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 153v-155v (Coiter). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Dass »das Examen, welches die Altten Medici in erkhandtnus des Aussatz gebraucht, von unns allerley ursach halben ordentlich nitt khan vollzogen werden«120, räumen die Ärzte – wie bereits Kammermeister in seinem »bedencken« – durchweg ein. Palma hat in dem Manuskriptband auch ein umfangreiches Sammelexzerpt »Collectanea de Lepra«121 hinterlassen, Weller und Coiter diskutieren in ihren Stellungnahmen verschiedene (allerdings nicht namentlich genannte) Autoren und Probleme, wie etwa das innerhalb humoralpathologischer Konzepte theoretisch unlösbare Problem der vier Typen des Aussatzes, die aus den vier verschiedenen Säften entstehen122. Schenck vermerkte zurückhaltend, dass »etliche vnser scribenten selber was zwiespeldig«123 in der Sache wären. Die im Einzelnen genannten Gründe dieser Unsicherheit sind diejenigen, die Kammermeister bereits in seinem »bedencken« aufgezählt hatte. So seien zum einen »mancherley seltzamer krankheiten dem Aussatz ganz ähnlich«, zum anderen und erschwerend äußere sich der Aussatz im Krankheitsverlauf durchaus verschieden.124 Die Beschränkung auf die Untersuchung äußerer, möglicherweise vorsätzlich verfälschter Krankheitszeichen und das Unterlassen von Blut- und Harnuntersuchungen – die in so kurzer Zeit nicht durchgeführt werden könnten – ergäben weitere Unzuverlässigkeiten, die umso schwerer wögen, als weder die Umstände noch die knappe 120 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 140v-142r (Palma). 121 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 75r-85r. Exzerpiert sind einschlägige Stellen aus François Valleriola, Aetios von Amida, Giovanni Manardi, Galen, Aretaios von Kappadokien, Bernhard de Gordon, Bartolomeo Montagnana, Arnold de Villanova, Jean François Fernel und Leonhard Fuchs. In der Sammelhandschrift UBE, Ms. 1143 findet sich mit fol. 8v ein vergleichbares Exzerpt, das »Examen Leprosorum« überschrieben ist; zitiert wird in dieser Reihenfolge aus Conrad Gesner, Fuchs, Fernel, de Villanova, de Gordon, Aretaios, Joh. Actuarius, Galen, Jérôme Monteux, Manardi, Valleriola. Der Nachweis der Einzelstellen und deren Interpretation, vor allem hinsichtlich der sich darin abzeichnenden Arbeitsweise der Ärzte des 16. Jahrhunderts, Medizin als auf vorwiegend aktuelle Fachliteratur begründete Wissenschaft zu betreiben, kann hier nicht weiter ausgeführt werden. Zur einschlägigen Fachliteratur Müller (2007), S. 157-174; Riha (2004), S. 7-11; Wittern (1982). Vgl. Hammond (2009), S. 285. 122 »So ist auch die Maltzey oder der aussatz ahn im selbst nicht einerley, sundern viererley als da ist Lepra Leonina, Tyria, Elephantia & Alopexia, die vier fruchtigkeitt der menschen, daraus sie entstehen betreffent, welche dann auch vnter jhnen selbst […] seher vnterscheidlich vnnd vielmals nicht allein, sondern auch unter sich selbst alle oder ettliche, vnnd auch mit der kranckheitt der frantzosen vermischt sein.« StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 151r-151v (Weller); ähnlich Coiter: »dann weil der aussatz (wie auch andere kranckheitt,) an jhm selbst vnterschiedlich dann von wegen der mancherley humoren im menschen hin vnnd her vnter einander vermischt« (fol. 153v-155v); vgl. Gersdorff (1551), fol. 84v-85r (»Von den vier speciebus oder gestalten der Lepre oder maltzey«). 123 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 151r-151v (Schenck). 124 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 140v-142r (Palma). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Zeit es ermöglichten, die zu Untersuchenden ausführlich zu befragen. Die Aussagen von fremden und unbekannten Personen könnten nicht geprüft werden. Da viele auch außerhalb des Sondersiechenalmosens engen Kontakt mit Aussätzigen pflegten und dem allergrößten Teil der Anreisenden auch »bößer diet in essen vnnd trincken« unterstellt werden müsse125, der Aussatz sich überdies mit anderen Erkrankungen vermischen könne und bei bestimmten Personen in bestimmten Stadien heilbar sei, könne eine unzweifelhafte Entscheidung darüber, wer abzusondern bzw. hier zum Almosen zuzulassen sei und wer nicht, schlichtweg nicht getroffen werden. Umstände und Verlauf der Schau werden von den Ärzten durchweg als Zumutung, nicht zuletzt in gesundheitlicher Hinsicht, beschrieben: »Darzu findett sich auch das jämmerlich schrein unnd Heulen der armen leutt, welche von wegen des almusen alle Siech zu sein begeren.«126 Die Anwesenheit unter den siechen Massen sei »auch fast ellendlich vnnd grausam nicht allein zusehen vnnd zu erfahren, sundern auch schwache personen, vnnd diesen, so auch in statu medicij disponirt sein fast an der gesundheit vergifftlich vnnd hinderlich«; »die herrn Doctores«, heißt es weiter, würden mit der Schau »also tumultüose […] vberfallen vnnd beladen«.127 Kammermeister vergaß ebenso wenig wie Palma, darauf hinzuweisen, dass er bereits ausführlich Vorschläge zu »diesem abscheülichem vnnd verdrieslichem handl«128 geliefert habe. Schenck zürnte darüber, dass die »schön« Geschauten »gegen vnns verordneten Doctoren fluchen thun«.129 Die Geschauten haben ihre Erwartungen an das Schauergebnis offenbar lautstark gegenüber den Schauärzten vertreten. Dazu gehörten über das Fluchen über ein unerwünschtes Ergebnis und das »jämmerlich schrein unnd Heulen« hinaus nach Angabe der Ärzte auch unvollständige und falsche Auskünfte. Palma etwa beklagte die »unwahrhafftige[ ] anzeigung, sie seindtt so offtt also geurtheilett, sich in die khobl gekaufft etc. obgleich wohl khein unreinigkeitt vorhanden ist«.130 Besonders betrügerische Manipulationen waren gefürchtet. Palma machte es große Sorgen, »fürnemlich wann sie mitt salben vnnd anderer dergleichen Materien sich dermassen zurich125 »sunderlich bey diesen armen leütten, die nicht allein der andern siechen krankheitt nicht scheuen oder fliehen, sondern auch sich mitt bößer diet in essen vnnd trincken, vnnd andern sachen zu erhaldung des menschen gesundheitt von nöten ihm leben kheiner vorsichtigkeitt sich gebrauchen, oder aber wie dann ime aus armutt, wie dan bey Wegen schwebenden thewren leüfften baldt vnnd zuhannd ex neutra vitalis dispositione ihn solche jemmerliche kranckheitt fallen.« StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 144r-146v (Weller). 126 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 140v-142r (Palma). 127 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 144r-146v (Weller). 128 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 147r-148r (Kammermeister). 129 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 151r-151v (Schenck). 130 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 141r (Palma). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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ten, das der erbärmlichen siech ganz gleich erscheinett, auch anderer seltzame Hendt sich gebrauchen Daruon abscheulich zu gedenken, geschweig stettigs anzusehen ist«.131 Ayrer beklagte, dass »etliche aber durch mancherlei artt sich selbst also zurichtten, allein die Doctores der schau damitt zublenden«132, Kammermeister bezichtigte »andere bettler, welche sich betriglich vnnd durch mancherlei werck vnnd practicirn vnter die armen siechen mischen«133, Rucker beschwerte sich über »die landtsbettler, oder sonst starkcke leütt, die jhre schaden nür offenhaltten vnnd kein Cur darumb für nehmen, damitt sie in der faulkeitt des betteln halber mögen erhaltten werden«134, Coiter schließlich erwähnte, dass »man deren iecz viel find, die mitt kleiben vnnd pflastern vnnd andern büberey sich wissen anzustreichen, als ob sie recht siech weren«135. Die in der Karwoche in die Reichsstadt kommenden Fremden wurden im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts grundsätzlich anders wahrgenommen als gut eineinhalb Jahrhunderte zuvor. Aus den »armen Gliedern Christi«, denen in der Karwoche die Rolle zukam, den Nürnbergerinnen und Nürnbergern die Martern ihres Heilands im Wortsinne vor Augen zu führen, waren betrügerische fremde Bettler geworden. Ärzte, bürgerliche Chronistik und Obrigkeit reagierten mehr und mehr empfindlich auf die Menge von kranken Fremden in der Stadt. Dafür spricht auch die chronikalische Überlieferung eines Vorfalls, wonach ein »besoffener geiler garstiger Mensch« im Zuge des Almosens eine Nürnbergerin angefallen haben soll und daraufhin hingerichtet wurde, während sich die angefallene Dame in ärztliche Untersuchung begab.136 Maßgeblich war weniger die vermeintlich »ansteckende« Qualität der Aussätzigen als die gewichene Begeisterung für fromme öffentliche Massenaufläufe im Zuge der Etablierung neuer, in Nürnberg lutherisch-protestantischer, Frömmigkeitsformen sowie durch Pestmaßnahmen, der etwa auch die mindestens ähnlich publikumsträchtige Heiltumsweisung der Reichsheiltümer 1524 zum Opfer gefallen war. Die Legitimation einer Ausnahmegenehmigung, die für einige Tage vor dem Osterfest galt und die aufzuheben gefährlicher sein konnte, als Aussätzige in großer Zahl einzulassen, war für die Vertreter der Obrigkeit in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts außerhalb der gedanklichen Reichweite gerückt. Somit waren schließlich die Rollen geradezu verkehrt; das alljährliche Martyrium reklamierten nun die Ärzte. Im Angesicht

131 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 140v-142r (Palma). 132 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 142v-143v (Ayrer). 133 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 147r-148r (Kammermeister). 134 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 152r-153r (Rucker). 135 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 153v-155v (Coiter). 136 Lochner (1861), S. 232f. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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in sonderheit der Landbettler, welche an der Sonnen (mitt Reverents zu melden) gebratten, bisweilen heslich anzusehen seindt […] daher dann wir alle beschwerliche reden, fluchen unnd Schelten gereicht mitt erbärmlich weinen vnnd khlagen, als das diese zeitt unns ein ware Marter Wochen gemacht würdt.137

»bald von schreibern oder verordneten dienern besichtigett« – Verbesserungsvorschläge Obwohl alle Ärzte die Zeitknappheit angesichts der großen Menge der zu Schauenden bemängelt hatten, gab es nicht viel Spielraum, die Schau zu verlängern, ohne den Sondersiechen damit gleichzeitig einen weiteren Tag innerhalb der Stadt zu vergönnen. Der in der Ordnung von 1462 vorgesehene Schautermin am Karmittwoch war inzwischen ohnehin auf mindestens zwei Tage erweitert worden, jede weitere Verlängerung hätte wohl die gesamte Veranstaltung auch weiter in die Länge gezogen, was weder im Interesse des Rats noch in demjenigen der Ärzte lag. Hinsichtlich der Autorisierungsbestrebungen ist bemerkenswert, dass Weller, Kammermeister und Müllner ausdrücklich fordern, die Wundärzte der Stadt an der Schau zu beteiligen. Wenn es schon nicht möglich war, im Rahmen des Almosens ein zuverlässiges Urteil zu fällen, musste es zumindest ratsam erscheinen, den Kreis der dafür der Obrigkeit gegenüber Verantwortlichen über die akademischen Ärzte hinaus zu erweitern. Da der Zeitraum zur Schau nicht gut erweitert werden konnte, bedeutete jede weitere beteiligte Schauperson, dass man die pro Person aufgewandte Schauzeit entsprechend zu verlängern vermochte, um eine gründlichere Begutachtung vornehmen zu können. Die vorgeschlagenen Verbesserungen beruhen im Wesentlichen auf – den Ärzten freilich bekannten – Vorschlägen, die Kammermeister in seinem »bedencken« bereits geäußert hatte. Die Vereinfachung bestand darin, das Verfahren durch Wiedervorlage von Schauzeugnissen zu einem erheblichen Teil durch Schreiber auf dem Aktenweg vornehmen zu lassen. Verbesserungswürdig schien den Ärzten vor allem das in der Tat komplizierte System, die Schauergebnisse zu dokumentieren. Offenbar bekamen nur diejenigen, die allein zur Schau gekommen waren und nicht an dem Almosen teilnehmen wollten, nach der Schau ein gesiegeltes Schauzeugnis. Die Übrigen wurden mit dem Ess-Zeichen als nicht Aussätzige oder mit dem Tuch-Zeichen als Aussätzige versehen, um dann dementsprechend an der Speisung teilzunehmen sowie mit Kleidung ausgestattet zu werden. Sowohl die Ess- als auch die Tuch-Zeichen waren am Karfreitag beim Auslass aus der Stadt wieder abzugeben. Dagegen schlugen die Ärzte vor, allen Geschauten ein Zeugnis (»zettl«) auszuhändigen, das im folgenden Jahr wieder mitgebracht werden sollte. Ab dem übernächsten Jahr würden dann alle, die entweder ein Zeugnis des Vorjahres oder aber eine Bescheinigung ihrer

137 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 140v-142r (Palma). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Obrigkeit vorweisen könnten, gewissermaßen im Schnellverfahren durch Schreiber geprüft werden können.138 Grundsätzlich sollten das Almosen und die Schau außerhalb der Stadttore bei dem Siechkobel St. Johannis stattfinden. Müllner schlug am detailliertesten ein auf drei Tage verteiltes Verfahren vor, bei dem am Tag bevor die Fremden kämen, die Einheimischen geschaut und entsprechend zu einem der Lepraspitäler zugelassen werden sollten, die andern aber als frantzösischer vnnd krezige leütt, welche zu curirn sein, oder noch kein Cur mit jhnen fürgenohmen oder versucht worden, darneben auch ander faule landbettler sollen von verordneten bettlrichtern hin wegk getrieben […] darmitt sie nicht wieder zu der anderen oder dritten schau wie gemeiniglich geschicht khommen, vnnd andern nottürftigen an jhrer schau verhindernus bringen möchten.139

Am Dienstag sollten diejenigen mit einem Zeugnis aus dem Vorjahr oder von ihren heimatlichen Obrigkeiten »bald von schreibern oder verordneten dienern besichtigett, verneuert, vnnd wie arme leütt bald mitt tuech zaichen an weittere schau möchten abgefertigett werden«. Am Mittwoch und Donnerstag könnte dann in mehreren Stationen vor der Johanniskirche am Siechkobel St. Johannis vor den Toren der Stadt die Schau durch jeweils zwei oder drei Ärzte mit ihren Schreibern und »dartzu besonder[s] verordnete diener« vollzogen werden. Nur solche, »welche aber jhn zweiffel stünden, oder neülich ausgetrieben, oder brieff von jhrer herrschafftt brechten, vnnd vleissig schau bedürften«, sollten schließlich zu einer gründlicheren Untersuchung in die Johanniskirche gelassen werden. Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollte es also gelten, ein dreistufiges Verfahren zu bestehen, um zum Almosen zugelassen zu werden. In einem ersten Schritt sollte durch Schreiber bürokratisch das Vorliegen einer bereits vorher erworbenen und zulässigen Berechtigung geprüft werden. Sodann sollten in einem durch Ärzte geleiteten Schnellverfahren die unzweifelhaften Fälle von den zweifelhaften getrennt und schließlich, innerhalb der Johanniskirche und damit akustisch wie optisch vom Trubel des Kirchhofes halbwegs getrennt, die tatsächlich zweifelhaften Krankheitsbilder gründlicher geprüft werden. Die Vorschläge der Ärzte wurden von der Obrigkeit offenbar als plausibel erachtet.140 Noch für die Schau des Jahres 1572 hat der Rat Schauzettel drucken lassen, in die sogar das Datum vom Kardienstag dieses Jahres bereits eingedruckt war und lediglich der Name der oder des Geschauten noch

138 Das Verfahren gemäß der Ordnung des Almosens von 1462, demzufolge die Ärzte den »schön« Geschauten entsprechende Testate aushändigen sollten, war den Schauärzten 1572 offenbar nicht (mehr) bekannt. 139 StadtBib N, Ms. Cent V 42, fol. 148v-150v (Müllner). Daher auch die folgenden Zitate. 140 Gegensätzlich urteilt Hammond (2009), S. 285. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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handschriftlich eingesetzt werden musste.141 1575 schließlich wurde das Sondersiechenalmosen in seiner hergebrachten Form beendet. Es blieb die Schau, die außerhalb der Stadt am Siechkobel St. Johannis abgehalten wurde; die öffentliche Massenspeisung und die Austeilung der Kleidung wurde durch die Gabe eines »Zehrpfennigs« abgelöst, von Predigt, Beichte und Sakrament ist keine Rede mehr.142 Wie um klarzustellen, dass er es sich für dieses Mal nicht – wie im Gründungsmythos überliefert – anders überlegen würde, ließ der Rat das entsprechende Mandat in gleichem Wortlaut jeweils einige Wochen vor Ostern am 27. Januar 1575, am 10. März 1576 und am 28. Februar 1577 veröffentlichen. Zusammenfassung Das Nürnberger Sondersiechenalmosen in der Karwoche ist ein hervorragendes Beispiel für die Doppelgesichtigkeit des gesellschaftlichen Bildes der Aussätzigen im ausgehenden Mittelalter.143 Gerade die medizinisch eher nachvollziehend legitimierte und im Wesentlichen religiös begründete Pflicht, die Leprosen nach Möglichkeit auszusetzen, hat dazu geführt, dass ihr herausgehobener Status besonders dazu geeignet schien, sie in der Woche vor Ostern in die Stadt zu holen und zum Gegenstand eines öffentlich und massenhaft begangenen Almosens zu machen. In der gelebten Vorstellung sowie im imaginierenden Erleben der Aussätzigen im spätmittelalterlichen Nürnberg war es diesseits der eher theoretischen Erwägung der mittelalterlichen Theologie, ob den Aussätzigen angesichts ihrer Qualen in dieser Welt nicht auf der Schwelle zur kommenden das Fegefeuer erspart bliebe144, offenbar einsichtig, in den Sondersiechen – wenigstens zwischen Kardienstag und Karfreitag – gleichsam Stellvertreter des gemarterten Christus zu erblicken. Die Exklusivität der in der Karwoche mit öffentlichem Almosen zu versehenden Menschen wurde schließlich auf die Spitze getrieben, indem nicht etwa die Bewohnerinnen und Bewohner der vier Nürnberger Siechkobel, sondern fremde Menschen zu Hunderten und Tausenden in diejenige Reichsstadt geführt wurden, die gleichzeitig zum reichsweit beachteten Vorreiter beim Erlassen fremdenfeindlicher Bettelordnungen wurde. Mit zunehmender Macht des Bildes vom fremden und arbeitsscheuen Bettler, der unmittelbareren obrigkeitlichen Regulierung der Fürsorge und der 141 Rieder/Sticker (1910/11); Sudhoff (1912), S. 17; vgl. Voltz (1985), S. 76f.; Hammond (2009), S. 283f. 142 Herrlinger (1952), S. 35; Mummenhoff (1986), S. 97. 143 Im Gegensatz zu Zimmerman (2008), S. 559. Die pauschale Gleichsetzung von Aussätzigen, Frauen und Juden durch die mittelalterliche Gesellschaft als gefährlich »unrein« und die christlich-patriarchalische Ordnung verunreinigend, gegründet auf der Dialektik von Kannibalismustabu und dessen Bruch durch die Etablierung der Transsubstantationslehre, kann ich nicht nachvollziehen. 144 Vgl. Meier (2007), S. 133f.; Riha (2004), S. 21; Hörger (1982), S. 59. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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schwindenden Akzeptanz polizeilich kaum kontrollierbarer massenhafter Frömmigkeitsbezeigungen auf der einen sowie dem im Zuge der »Sterbsordnungen« geschärften Blick für und der gewachsenen Furcht vor Seuchenherden auf der anderen Seite schwand die Wahrnehmung der aussätzigen Fremden als »arme Glieder Christi«. Medizinischer Expertise sollte die Funktion zuwachsen, einen Teil der in der Karwoche nach Nürnberg kommenden Fremden zu delegitimieren, während die Übrigen qua Schau als nur schwer oder überhaupt nicht heilbare und überdies vermutlich der Öffentlichkeit gefährliche Kranke qualifiziert wurden. Das aus dem AussatzKontext stammende und im Buch Leviticus begründete Bild der »unreinen« Person wurde im 16. Jahrhundert erweitert und bezeichnete nunmehr deren Kontagiosität unabhängig von der spezifischen Erkrankung.145 Die damit vollzogene Diskriminierung lässt genaugenommen weder auf der einen Seite (als kontagiös und gefährlich angesehene »Unreine«) noch der anderen Seite (als betrügerische fremde Bettler betrachtete »Reine«) »arme Glieder Christi« erkennen. Sie ist gleichzeitig im Zusammenhang mit anderen – nicht nur von Ärzten – durchgeführten gutachtenden Verfahren zu betrachten, die nicht eigentlich heilkundliche Zwecke verfolgten, sondern einen obrigkeitlich zu sanktionierenden juristischen Statuswechsel der Geschauten im Sinne einer Berechtigung, eines Verdachts oder einer Beschuldigung. Dadurch aber wurden nicht zuletzt die Schauenden zu einer Partei im gesamten Verfahren, die insbesondere die Autorität ihres Urteils zu erweisen hatte. Das »Kurtze und ordentliche bedencken, welcher gestalt in einem wohlgeordneten Regiment, es mit den Ärtzten und Arzneien sambt allen andern darzu notwendigen stücken möcht geordnet und gehalten werden« des Nürnberger Arztes Joachim Kammermeister belegt allein durch die Ausführlichkeit, in der dort die Probleme der Sondersiechenschau behandelt werden, die Bedeutung der Veranstaltung für die Nürnberger Ärzte im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts. Einerseits prima vista annähernd ideales Vehikel der Autorisierungsbemühungen der akademischen Ärzteschaft der Reichsstadt, stellte sie die Ärzte andererseits vor schwerwiegende Probleme. Indem er diese dem Rat vor Augen führte, veranlasste Kammermeister die reichsstädtische Obrigkeit, nicht zuerst auf das geforderte Collegium Medicum, sondern auf die Sondersiechenschau einzugehen und nun seinerseits sämtliche nürnbergischen Ärzte zu einer Stellungnahme – gleichsam zu einem Gutachten über das gutachtende Schauen – aufzufordern. Die Rechtfertigungsstrategie der Ärzte lief im Kern auf zwei Punkte hinaus: Zum einen seien Tausende von fremden Menschen nicht lege artis an einem oder zwei Nachmittagen zu beurteilen. Zum anderen hatte nach Maßgabe der verfügbaren Bibliotheken offenbar recht gründliches Literaturstudium erbracht, dass eine halbwegs einheitliche und verfolgbare Ätiologie und Nosologie der Lepra im 16. Jahrhundert schlichtweg nicht zu haben war (womit sie um einiges klüger argumentierten als manche medizinhistorische 145 Hammond (2005); Kinzelbach (2006). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Studie des 20. Jahrhunderts). Auf dieser Grundlage konnte dann füglich »die bosheit und betriegligkeit« der Fremden beschuldigt werden, die offenbar ebenfalls recht gut mit den Aussatzzeichen vertraut waren, wenn sie diese täuschend echt nachzustellen vermochten. Der Nürnberger Rat hat diese Gutachten respektiert. Denn die Nürnberger Ärzte hatten nicht versucht, wider besseres Wissen die Zuverlässigkeit der Schau zu reklamieren, sondern außerordentlich gelehrt gezeigt, warum es diese grundsätzlich nicht geben könne. Die Strategie, das Verfahren außerhalb der Stadtmauern und vom ärztlichen Schauen nach Möglichkeit auf das Ausstellen und Prüfen von Urkunden zu verlegen, war der Obrigkeit einsichtig und langfristig erfolgreich. Eine 1652 beim Collegium Medicum eingegangene Nachfrage ergab, daß nicht mehr als zwey medici noch übrig wären, die von dem Modo, wie solche Sonder Siechen Schau anzustellen, und was ratione Signorum hiebey zu beobachten, zulängliche Wissenschaft hätten, bey deren erfolgenden hintritt, dieses heilsame Werk völlig in vergeß kommen würde.146

Bibliographie Archivalien Stadtarchiv Nürnberg (StadtA N) Bestand A 21, Nr. 031 (Sondersiechen-Stiftung St. Sebald auf dem Kirchhof) Bestand B 19, Nr. 194 (Bericht des Arztes Dr. Michael Friedrich Lochner an das Losungsamt über die Sondersiechenschau und Bürgerschau) Stadtbibliothek Nürnberg (StadtBib N) Ms. Cent V 42 Amb. 317.2° (Hausbuch der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung I), URL: http://www. nuernberger-hausbuecher.de (letzter Zugriff: 16.12.2010) Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg (UBE) Ms. 1143 Stadtarchiv Nördlingen (StadtA Nö) Bestand Chro. 24 (Chronik von Sixt Stoll)

Quellen Celtis, Conrad: Norimberga. Ein Büchlein über Ursprung, Lage, Einrichtungen und Gesittung Nürnbergs, vollendet um das Jahr 1500, gedruckt vorgelegt 1502. Nürnberg 2000. Die Chroniken der fränkischen Städte: Nürnberg. Hg. v. der Historischen Commission bei der Königlichen Academie der Wissenschaften. Bd. 4. (=Die Chroniken der deutschen Städte 10) Leipzig 1872.

146 StadtA N, Bestand B 19, Nr. 194 (Bericht des Arztes Dr. Michael Friedrich Lochner an das Losungsamt über die Sondersiechenschau und Bürgerschau, 1663). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Schwindsucht – Krankheit, Gesundheit und Moral im frühen 19. Jahrhundert Karen Nolte Summary Consumption – Sickness, Health and Morals in the Early Nineteenth Century At the start of the nineteenth century consumption, also called “phthysis”, was one of the most dreaded illnesses along with cancer. The term usually referred to the widespread “pulmonary consumption”. Metaphorical descriptions of the disease demonstrate the strong cultural significance attached to this medical, and also lay-medical, concept. Based on handwritten case histories and letters from Kaiserswerth deaconesses in the first half of the nineteenth century the author establishes the cultural implications with which sufferers met in the social practice. Consumption was seen as the visible manifestation of deviance. It was assumed that sufferers were also to blame for contracting the disease due to a lifestyle that was “excessive” in dietetic as well as Christian terms. The paper aims to analyze how the attribution of an “immoral” and “sinful” lifestyle was presented to sufferers by physicians and nurses and how this affected them. The attribution of moral implications to dietetic concepts – as the first thesis of the paper will suggest – originated from demographically motivated health policies prevalent around 1800. The paper will further try to show how, in the early nineteenth century, the idea arose that consumption was the disease of the proletariat suffering from metropolitan life.

Einleitung In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte Schwindsucht, insbesondere die Lungenschwindsucht, neben Krebs zu den am meisten gefürchteten, in der Regel tödlich verlaufenden Krankheiten.1 »Lungenschwindsucht«, die zeitgenössisch auch als »Lungensucht« oder »Phthise« bezeichnet wurde, definierte ein Arzt 1843 wie folgt: »Die Lungenschwindsucht ist eine allmählige Abnahme und Verzehrung der organischen Masse, erzeugt und unterhalten durch Eiterung, die ihren Sitz in der Substanz der Lunge hat.«2 Besonders die drastische Abmagerung bei gleichzeitigem Aushusten von schleimiger, eitriger und blutiger Masse galt als charakteristisches und gefürchtetes Anzeichen dieser unheilbaren Erkrankung. Gerötete Wangen und die fiebrige Hitze – das sogenannte Zehrfieber – standen für die Aufzehrung der Lebenskraft.3 Als Krankheitsursachen galten im Wesentlichen eine durch vorherige Erkrankungen geschwächte Konstitution, unterdrückte Ausflüsse jeglicher Art – wie z. B. Nasenbluten, Menstruation und Bluten der Hämorrhoiden –, heftige Gemütsbewegungen, ein im diätetischen und sittlich-moralischen Sinne unmäßiger Lebenswandel und ein erblich be1

Zu Krebs vgl. Nolte (2008) und Stolberg (2003).

2

Bischoff (1843), S. 4.

3

Vgl. Stolberg (2003), S. 202f.

MedGG 29 • 2010, S. 47-70 Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen © Franz Steiner Verlag Stuttgart

Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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dingter schwindsüchtiger Habitus, mit dem eine für Schwindsüchtige charakteristische Körperbeschaffenheit gemeint war. Die Geschichte der Lungenschwindsucht im deutschsprachigen Raum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – als weder die Heilstättentherapie noch die bakteriologische Ätiologie den medizinischen und gesellschaftlichen Umgang mit Schwindsucht prägten – ist bislang wenig untersucht. Einzig in Elisabeth Dietrich-Daums Studie zur Sozialgeschichte der Tuberkulose in Österreich, die ihren Schwerpunkt ebenfalls auf die Zeit vom ausgehenden 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert legt, ist die Krankheitslehre der Schwindsucht während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gründlich aufgearbeitet, auch sind kulturgeschichtliche Bezüge hergestellt worden.4 Sylvelyn Hähner-Rombach hat betont, dass im frühen 19. Jahrhundert die Vorstellung von Schwindsucht als »romantische Krankheit« vorgeherrscht habe, für die Zartheit, durchsichtige Blässe und verzehrende Leidenschaft charakteristisch gewesen seien.5 Und auch in den anderen Studien zur Sozialgeschichte der Tuberkulose wird die gesellschaftliche Wahrnehmung von Lungenschwindsucht als Krankheit der Armen, als Proletarierkrankheit erst um 1900 datiert.6 Wie ich im Folgenden zeigen werde, wurde Lungenschwindsucht schon im frühen 19. Jahrhundert im medizinischen Diskurs mit der Großstadt und den ärmlichen Lebensbedingungen der Proletarier in Verbindung gebracht. In zeitgenössischen medizinischen Schriften wurde Schwindsucht nicht nur mit Diskursen über Pauperisierung, sondern auch mit denen über »Vererbung« und Geschlecht verknüpft. Lungenschwindsucht wird im Folgenden zudem im Zusammenhang mit der »medicinischen Policey« analysiert, in deren Kontext Krankheit nicht mehr nur als individuelles Problem wahrge4

Vgl. Dietrich-Daum (2007), S. 30-102. Die anderen beiden einschlägigen Studien zum Thema von Hähner-Rombach (2000) und Condrau (2000) setzen erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Gründung erster Lungenheilstätten ein. Vgl. zur Sozialgeschichte der Lungentuberkulose in Frankreich Barnes (1995) und Guillaume (1986). Barnes schreibt einführend, dass bereits in den 1830er Jahren Schwindsucht mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Großstadt in Verbindung gebracht wurde, konzentriert sich im Weiteren aber auf die Geschichte der Tuberkulose im ausgehenden 19. Jahrhundert. Guillaumes Studie hat ebenfalls ihren Schwerpunkt im späten 19. Jahrhundert. Allerdings führt der Autor im Kapitel »La maladie sociale« einleitend die »medizinischen Topographien« zu Paris an, welche in den 1820er Jahren entstanden sind und bereits einen kausalen Zusammenhang von Armut, Großstadtentwicklung und Schwindsucht hergestellt haben. Diese frühe Geschichte der Schwindsucht wird jedoch nicht ausgeführt, vgl. Guillaume (1986), S. 131-169. Auch Gerd Göckenjahn geht kurz darauf ein, dass bereits um 1800 die Lebens- und Arbeitsbedingungen des Proletariats für Schwindsucht verantwortlich gemacht wurden. Sein Fokus liegt jedoch auf der Zeit um 1900, vgl. Göckenjahn (1985), S. 49.

5

Vgl. hierzu besonders Hähner-Rombach (1995). Zur zeitgenössischen Charakterisierung von Schwindsucht als »Künstlerschicksal« vgl. auch Guillaume (1986), S. 7-42.

6

Vgl. Condrau (2000) und Dietrich-Daum (2007). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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nommen wurde, sondern die Sorge für die Gesundheit der Untertanen vielmehr nationalökonomischen und bevölkerungspolitischen Interessen unterworfen war. In diesem gesellschaftlichen Kontext – so werden die folgenden Analysen zeigen – wurden alte diätetische Konzepte moralisch aufgeladen und dem Kranken somit Verantwortung für sein Leiden zugeschrieben. Auf der Basis von zeitgenössischer medizinischer Fachliteratur, publizierten medizinischen Fallberichten sowie handschriftlichen Krankengeschichten, die von dem Göttinger Professor Conrad Heinrich Fuchs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Lehr- und Forschungszwecken gesammelt wurden, und von Briefen der ersten Kaiserswerther Diakonissen – Krankenschwestern im stationären und ambulanten Bereich – aus dieser Zeit wird herausgearbeitet, wie bereits in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts mit der Lungenschwindsucht die Vorstellung von städtischer Armut verbunden wurde. Aus diesen Quellen lässt sich zudem ersehen, dass Lungenschwindsüchtige als »geborene Kranke« und infolge eines »unmäßigen« Lebenswandels als »geschwächte Kranke« charakterisiert wurden und somit als Gegenentwurf des Gesunden bzw. bürgerlich Normalen in Erscheinung traten. Quellen Konzeptionen und Wahrnehmungen von Schwindsucht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden aus publizierten und handschriftlich überlieferten Quellen herausgearbeitet. Neben der medizinischen Fachliteratur werden publizierte und unpublizierte Krankengeschichten analysiert, um Aufschluss über die Auswirkungen theoretischer Krankheitskonzeptionen in der ärztlichen Praxis zu gewinnen. Auch publizierte ärztliche Fallbeschreibungen geben detaillierten Einblick in die konkrete Behandlung von Schwindsüchtigen. Fallgeschichten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewähren zudem noch vielschichtige Einblicke in die alltäglichen Interaktionen zwischen Ärzten und Kranken. Zweifel des Arztes und abweichende Meinungen von anderen – zuweilen auch nicht studierten – Heilpersonen finden sich ebenso in diesen Fallbeschreibungen wie die Zweifel von Patienten und Patientinnen selbst.7 Die häusliche Therapie von armen Schwindsüchtigen ist in der handschriftlichen Sammlung von »Krankheitsgeschichten«8 von Conrad Heinrich Fuchs (1803-1855) überliefert, der als Professor für Pathologie die Polikliniken der Universitäten Würzburg und Göttingen leitete9. In den Jahren 1834 bis 1842 legte der zunächst in Würzburg und 7

Vgl. Nolte (2009).

8

HSD SUB Göttingen, HSD: 8 COD MS H NAT 61: I-IX, XI: Conrad Heinrich Fuchs (1803-1855), Krankengeschichten. Die Bände lagern in der Handschriftenabteilung der SUB Göttingen.

9

Zu den Schwindsüchtigen in der Würzburger und Göttinger Poliklinik vgl. auch Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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dann in Göttingen lehrende Professor Fuchs eine Sammlung von sogenannten »Krankheitsgeschichten« an, in denen er, seine Assistenten und Medizinstudenten exemplarische medizinische Fallbeschreibungen handschriftlich niederlegten. Die Fälle stammten aus der Praxis der Polikliniken in Würzburg und Göttingen: Hier besuchten Studenten unter Aufsicht zweier Assistenzärzte arme Kranke in ihren Wohnungen, um sie dort kostenlos medizinisch zu behandeln.10 Diese Fuchs’sche Sammlung diente Lehr- und Forschungszwecken und dokumentiert daher lediglich eine Auswahl der Krankenbesuche. Conrad Heinrich Fuchs war als Schüler Johann Lukas Schönleins ein Vertreter der Naturhistorischen Schule – d. h. die Krankengeschichten waren der Methode einer genauen Krankenbeobachtung verpflichtet, welche die körperliche Verfassung, Ausscheidungen, Beschwerden und Äußerungen der Kranken genauestens dokumentierte. Daher sind diese Krankengeschichten für die Rekonstruktion ärztlicher Praxis sehr aussagekräftige Quellen. Beschreibungen der Lebensverhältnisse schwindsüchtiger Kranker finden sich zudem in den Briefen der ersten Kaiserswerther Diakonissen, die seit den 1840er Jahren Theodor Fliedner und seiner Frau Caroline regelmäßig über ihre Erfahrungen in der Gemeindepflege berichteten.11 In diesen Briefen vermischen sich bürgerliche Konzepte von Armenpflege mit zeitgenössischen religiösen Vorstellungen von Armut und Krankheit protestantischer Schwestern. Krankheit und der Körper des Volkes Johann Peter Frank (1745-1821) hat in seinem einflussreichen mehrbändigen Werk zum »System einer vollstaendigen medicinischen Polizey« bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert sehr prägnant die nationalökonomische und bevölkerungspolitische Dimension von Gesundheit und Krankheit betont. Der Körper des Untertanen wurde demzufolge zu einer wirtschaftlichen Ressource von nationalem Interesse.12 Frank führte in diesem Sinne aus: daß, so wie die Gesundheit einzelner Glieder des Staates, die allgemeine Brauchbarkeit des großen Koerpers bestimmet […] überhaupt die gute physische Beschaffenheit der arbeitsamen Klasse und die Dauerhaftigkeit einzelner Buerger folglich den Werth der Bevölkerung eines Landes erhöhe.13

Schilling (2010). 10 Zu den Polikliniken vgl. Nolte (2007) und Nolte: Versorgung (2010). 11 FSAK, Bestand Wuppertal-Elberfeld, Gemeinde, Schwesternbriefe, 1846-1862, Sign.: 1787. 12 Zu Franks Bedeutung für die Entstehung des staatlichen Gesundheitswesens vgl. auch Göckenjahn (1985) und Labisch (1992). 13 Vgl. Frank (1783), S. IV, zit. n. Pieper (1998), S. 111. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Franks Konzeption des »großen Koerpers« des Volkes lässt sich durchaus in eine Kontinuitätslinie zu den späteren Konzepten des »Volkskörpers« und der »Volksgesundheit« im 20. Jahrhundert stellen.14 Im Zuge der Bestrebungen zur »medicinischen Polizey« sollten Ärzte zu Gesundheitsexperten werden, welche zentrale Positionen im staatlichen Medizinalwesen bekleiden und im direkten Kontakt ihre Patienten zu einem gesundheitsgemäßen Verhalten erziehen sollten. So betonte Frank in seinem Kapitel »Von der Mäßigkeit überhaupt«, wie entscheidend der Lebenswandel zur Entstehung von Krankheiten beitrage: Die billigsten Aerzte haben eingestanden, daß die Natur selbsten, an den vielen Zufällen, welchen wir uns jetzt ausgesetzet sehen, den wenigsten Antheil habe, und daß die mehrsten Krankheiten mehr nicht sind, als ein ewiges Geschäft unserer, ohne Unterlaß von übertriebenen Leidenschaften bestürmten, und gegen selbstige sich verteidigenden Natur. Man ziehe die Zufälle, welche von der Unmäßigkeit ihren ersten Ursprung nehmen, von der Summe aller menschlichen Gebrechen, unpartheiisch ab: so wird die Anzahl der noch übrigen Krankheiten auf wenige physische Uebel hinaus laufen, welche die Vergänglichkeit unseres Körpers, und seine Bestimmungen in der Natur, nöthig gemacht haben.15

Krankheitsursachen werden hier also in ökonomistischer Manier aufsummiert und letztlich die Vermeidbarkeit von Krankheit durch »gesundheitsgemäßes« Verhalten betont. Frank wollte jedoch nicht nur das Gesundheitshandeln der Untertanen staatlich lenken. In dem ersten Band seines »Systems einer vollstaendigen medicinischen Polizey« schlug er eine staatliche Reglementierung des Heiratsverhaltens der Bevölkerung und somit des Fortpflanzungsverhaltens vor. Er strebte an, »ungesunde Ehen« zu unterbinden, um zu verhindern, dass Erbkrankheiten von Generation zu Generation weitergegeben werden konnten. Denn diese kranken Kinder würden den Familien und »dem gemeinen Wesen zur Last fallen«.16 In seiner späteren, in Pavia gehaltenen »Akademischen Rede vom Volkselend als der Mutter der Krankheiten«17 wies Frank allerdings darauf hin, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse den Armen einen gesunden Lebenswandel unmöglich machten. Er klagte die Ausbeutung von Arbeitern und Arbeiterinnen an und rief die Reichen dazu auf, ihrer Pflicht nachzukommen, für die Armen zu sorgen: Wenn hingegen Art und Menge der Nahrung das nicht ersetzt, was durch die Arbeit von der menschlichen Maschine täglich abgenutzt und durch Schweiße verbraucht wird, da gibt es niemand, der sich nicht gezwungen sähe zuzugeben, daß diese Maschine selbst binnen kurzer Zeit zusammenbrechen werde. Ein Sklavenvolk ist ein kachektisches Volk. Der leere Name »freier Mensch« wird hier niemandem Eindruck 14 Vgl. hierzu auch Pieper (1998). 15 Frank (1783), S. 651. 16 Frank (1779), S. 311, zit. n. Pieper (1998), S. 115. Vgl. hierzu auch Stolberg (2009), S. 20-22. 17 Frank (1960). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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machen, der die Schwindsucht aus dem Antlitz der ganzen arbeitenden Klasse schon beim ersten Blick erkennt.18

Frank schlug ein staatliches Gesundheitswesen vor, in dem akademischen Ärzten eine zentrale Funktion zukommen sollte. Die Untertanen sollten nicht nur im Krankheitsfall von diesen statt von Laienheilern und -heilerinnen behandelt werden. Vielmehr sollten Ärzte zur Prävention von Krankheiten gesundheitserzieherisch tätig werden.19 Mit den Forschungen Göckenjahns und Sarasins wurde bereits herausgearbeitet, dass seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert die Vorstellung von »persönlicher Gesundheit«, für die es durch gesundheitsbewusstes Verhalten zu sorgen galt, wesentlich für ein bürgerliches Selbstverständnis wurde.20 Im Folgenden wird anhand von medizinischen Beschreibungen und Diakonissenbriefen gezeigt, wie sich diese neue ökonomistische und populationistische Dimension von Krankheit bzw. Gesundheit auf den medizinischen Diskurs sowie die ärztliche und pflegerische Praxis im Umgang mit Lungenschwindsucht und auf die daran Erkrankten im frühen 19. Jahrhundert auswirkte. »Schwindsüchtiger Habitus«: angeboren oder erworben? Zwar wurde um 1800 auch über die »Ansteckungskraft der Schwindsucht« nachgedacht und angenommen, dass Krankheitsstoffe der Schwindsucht über den ausgeworfenen Eiter oder Schweiß, insbesondere bei der gemeinsamen Benutzung eines Bettes, übertragen würden.21 Doch schienen andere Krankheitsursachen der Lungenschwindsucht für die Zeitgenossen eine größere Plausibilität und Relevanz zu haben.22 Im Folgenden wird herausgearbeitet, wie in dem Konzept des »schwindsüchtigen Habitus« um 1800 Vorstellungen von unmoralischem Lebenswandel und Vererbung verknüpft wurden. In der Regel gingen Ärzte davon aus, dass »Lungenschwindsüchtige« einen spezifischen angeborenen Körperbau hätten, der als häufigste Ursache der Krankheit angesehen wurde: Dieser wurde »Habitus phthisicus«, »schwind18 Frank (1960), S. 41. 19 Zu Franks Kritik an der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft vgl. auch Göckenjahn (1985), S. 49. 20 Vgl. Göckenjahn (1985), S. 74-93, und Sarasin (2001). 21 Vgl. Wienholt/Scherf (1807); auch in der Schrift eines Wiener Arztes wird darauf hingewiesen, dass besonders sorgfältig auf »größte Reinlichkeit« der Kleidung zu achten sei, »damit sich der Kranke nicht durch seinen eigenen Schweiß immer wieder aufs neue anstecke«. Anonymus (1805), S. 163. Zu den Ansteckungslehren vor der Entdeckung des Mycobakteriums durch Robert Koch vgl. auch Dietrich-Daum (2007), S. 78-81, und Barnes (1995), S. 1-22. 22 Zu den Krankheitsbegriffen Schwindsucht, Phthise und (Aus-)Zehrung vgl. besonders Dietrich-Daum (2007), S. 30-36. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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süchtiger Habitus« oder »Architectura phthisica« genannt. So beschrieb der österreichische Arzt Ignaz Bischoff (1784-1850) in seiner »Praktischen Abhandlung über die Lungenschwindsucht« von 1843 die Kennzeichen des »schwindsüchtigen Baues« wie folgt: schmächtiger schlanker Körperbau, blonde Haare, längliches Gesicht mit feiner weisser Haut, umschriebenen gerötheten Wangen, schönen, weissen Zähnen, dünnem langen Halse, flügelförmig hervorstehenden Schultern, engem flachen Brustkorb, langen, schmalen Extremitäten.23

Diese Beschreibung ruft die Assoziation eines zarten, ätherischen und engelhaften Wesens hervor. Dagegen deuten andere Charakterisierungen des »Habitus phthisicus« eher auf eine pejorative Perspektive bezüglich dieser Kranken hin. So spricht der Londoner Arzt Franz Hopkins Ramadge (1793-1867) 1836 in seiner einflussreichen Schrift zur Lungenschwindsucht von einer »unglücklichen Körperbildung«, einem »ungewöhnlich engen Bau der Brust«, einer letztlich »besondere[n] Missbildung der Brust«.24 Im Weiteren betont er die Erblichkeit der »Architectura phthisica«: Eine traurige Thatsache ist die Uebertragung dieser Krankheit von den Eltern auf die Kinder […]. Man findet die ursprünglichen Züge dieses unglücklichen Erbtheiles angedeutet in einer rothen und zugleich zarten Gesichtsfarbe, in einem ungewöhnlichen Glanz in den Augen, in einer schmalen, engen Taille, einem scharfen Vorsprung der Schulterblätter und der Schwachheit des Knochengebäudes, wozu nicht selten auch die Anlage zu einer ungesunden Aufgedunsenheit kommt.25

Zur angeborenen körperlichen Schwäche kamen, folgt man weiteren ärztlichen Beschreibungen, soziale Umstände und ein »ausschweifender« Lebenswandel des Kranken als Krankheitsursachen hinzu. Auch konnten eigentlich gesunde Menschen durch einen unmäßigen Lebenswandel und ungünstige klimatische Bedingungen eine schwache Konstitution »erwerben«, welche dann zu einer Lungenschwindsucht führen konnte. Diätetische Konzepte eines maßvollen Lebenswandels als Schutz gegen die Phthise wurden in den Beschreibungen der Ursachen dieser tödlichen Krankheit mit Vorstellungen eines im bürgerlichen Sinne tugendhaften Verhaltens verknüpft. »Ausschweifungen« wie der »Genuss geistiger Getränke« und »Tanzen« wurden als Hauptursachen der Schwindsucht genannt. So führte ein Wiener Arzt aus: Ferner geben große Städte auch durch die Manchfaltigkeit der Vergnügungen und Lustbarkeiten aller Art dem Jünglinge und dem Mädchen leider zu viele Gelegenheiten ihrer Gesundheit und vorzüglich ihrer Lungen einen tödlichen Stoß zu geben. Dahin gehören vor allem die Bälle und Redouten, wo man sich öfters die ganze Nacht hindurch durch das ausgelassene Tanzen, durch den Genuß erhitzender Speisen und Getränke auf das unmäßigste erhitzt, und dann nur sehr leicht bekleidet in der kühlen, 23 Bischoff (1843), S. 28. Vgl. zum »Habitus phthisicus« auch Buchoz (1770), S. 3f.; Kopp (1809); Hufeland (1810), 1. Stück, S. 8f.; Walther (1819). 24 Ramadge (1836), S. 6. 25 Ramadge (1836), S. 10. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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oft kalten Morgenluft nach Hause eilt. Von daher datiren sich nicht selten Katarrhe, die man nicht wieder los werden kann, und die nur der Patient Katarrh, der Arzt aber Lungenschwindsucht nennt.26

Auch »frühe physische Ausschweifungen«, womit kindliche Onanie gemeint war, erhöhten nach Ansicht der Ärzte die Wahrscheinlichkeit, an Schwindsucht zu erkranken. Der Pariser Arzt Jacques Louis DoussinDubreuil (1762-1831) legte in seiner Schrift »Über die Lungensucht«, die 1826 ins Deutsche übersetzt wurde, besonderes Augenmerk auf die gesundheitsschädigenden Auswirkungen der »Selbstbefleckung«. Er hatte sich dem Kampf gegen die Onanie verschrieben, zu dem er zwei Jahre zuvor ein »besonderes Werk« in deutscher Übersetzung publiziert hatte.27 DoussinDubreuil beginnt sein erstes Fallbeispiel mit einem vermeintlichen Ausspruch eines Schwindsüchtigen: »Wie war es doch möglich, dass ich mich selbst dem Grabe näher bringen, in meiner zartesten Kindheit dem verderblichsten aller Laster – dem der Selbstbefleckung – preis geben konnte!«28 Gleich fünf Fallgeschichten präsentierte der französische Arzt, um Onanie als Krankheitsursache für Lungenschwindsucht plausibel zu machen und die Notwendigkeit der konsequenten Unterbindung kindlicher Onanie zu betonen. Er konnte Bezug auf den omnipräsenten medizinischpädagogischen Diskurs zur Onanie nehmen, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts seinen Ausgang genommen und um 1800 seinen Höhepunkt erreicht hatte.29 Somit wies der Pariser Arzt nicht nur den Onanisten, sondern vielmehr ihren Eltern die Verantwortung für ihre Schwindsucht zu.30 Doch auch die gesellschaftlich legitime Sexualität, der Beischlaf in der Ehe, konnte nach Doussin-Dubreuil zur Ursache von Schwindsucht werden, wenn er »allzuhäufig« genossen werde. Ehepaaren, von denen einer bzw. eine die Anlage zu Lungenkrankheiten habe, empfahl der Arzt gar eine »völlige Verzichtsleistung« auf die »ehelichen Freuden«.31 Ärzte beobachteten zudem, dass bei Schwindsüchtigen, besonders im letzten Stadium der Krankheit, die geschlechtliche Lust gesteigert war.32 Diese das »Geschlechtsleben« betreffenden, moralisch aufgeladenen diätetischen Verhaltensanweisungen waren insbesondere an die bildungsbürgerliche Leserschaft adressiert. Ein Landarzt führte 1812 aus, dass Phthise zwar auch auf dem Land »auf Tanz, Trunk, große anhaltende Erkältungen« zurückzuführen sei, hingegen 26 Anonymus (1805), S. 3. 27 Doussin-Dubreuil (1824). 28 Doussin-Dubreuil (1826), S. 23f. 29 Vgl. hierzu insbesondere Hull (1996). Vgl. auch Eder (2002), S. 91-128, und Stolberg (2000). Speziell zur Verknüpfung von Schwindsucht und »Selbstbefleckung« um 1800 vgl. Dietrich-Daum (2007), S. 61-64. 30 Zu Onanie als Krankheitsursache für Schwindsucht vgl. auch Walther (1819), S. 80f. 31 Doussin-Dubreuil (1826), S. 33. Vgl. auch Dietrich-Daum (2007), S. 61-64. 32 Vgl. Ramadge (1836), S. 8. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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seien »Onanisten und große Ausschweiflinge« hier im Unterschied zur Stadt selten.33 Der Gegensatz von der Stadt als krankmachendes und dem Land als heilsames Umfeld wurde bereits um 1800 in den medizinischen Schriften zur Schwindsucht hervorgehoben, wie im Folgenden herausgearbeitet wird. Krankmachendes Umfeld – die Stadt Neben einer erblichen Anlage und einem im diätetischen und moralischen Sinne ausschweifenden Lebenswandel wurde bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Leben in einer großen Stadt als schwindsuchtfördernd angesehen. Johanna Bleker hat in ihrem Aufsatz »Stadt als Krankheitsfaktor«34 darauf hingewiesen, dass Ärzte bereits im 18. Jahrhundert die krankmachende Wirkung des städtischen Umfelds thematisierten. Auch gab es bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts statistische Erhebungen zur Übersterblichkeit der städtischen Bevölkerung.35 Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836) stellte 1810 den Lehrsatz auf, dass, je kleiner und ländlicher die Städte seien, »desto seltener, je größer, volkreicher, zusammengedrängter, enger gebaut sie«36 seien, desto häufiger sei die Lungenschwindsucht. Der krankmachenden engen Bebauung, den damit verbundenen ungünstigen Wohnverhältnissen und der staubigen Luft der großen Stadt wurde die gesunde reine Luft auf dem Land gegenübergestellt.37 Die krankmachende »enge Bebauung« in der großen Stadt fand in Hufelands Charakterisierung des schwindsüchtigen Habitus ihre Entsprechung in dem prädisponierenden engen »Brustgebäude« der »Architectura phthisica«.38 Da besonders die »Luftverderbniß« in der Stadt als Krankheitsursache angesehen wurde, sollten Lungenschwindsüchtige möglichst zu einer Luftkur aufs Land geschickt werden.39

33 Kausch (1812), S. 7. 34 Vgl. Bleker (1978). 35 Vgl. Süßmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts, aus der Geburt, Tod und Fortpflanzung desselben erwiesen. Berlin 1741, zit. n. Bleker (1978), S. 119. 36 Hufeland (1810), 2. Stück, S. 9. 37 Vgl. auch Clark (1836), S. 204; Anonymus (1805), S. 2f. In der Debatte um die »Luftverderbnis« in der Stadt wurden für die Schwindsucht eher Staub und Enge verantwortlich gemacht, während im Kontext der Cholera-Epidemie in den 1830er Jahren die unreine Luft durch Unrat und Unreinlichkeit der Menschen betont wurde, vgl. hierzu Bleker (1978), S. 122-127; Stolberg (1995), S. 96-116. 38 Vgl. Hufeland (1810), 1. Stück, S. 8f. 39 Zur heilsamen und präventiven Wirkung von gesunder, reiner Luft und dem Aufenthalt auf dem Land vgl. auch Clark (1836), S. 254. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Wie die Ursachen der Lungenschwindsucht mit einer Kritik an der voranschreitenden Verstädterung und Industrialisierung verknüpft wurden, lässt sich besonders deutlich aus den Beschreibungen des Londoner Arztes Franz Hopkins Ramadge ersehen. Seine Perspektive auf die Schwindsucht ist durch die Erfahrungen im bereits stärker industrialisierten England geprägt – London hatte mit 1 Million Einwohnern bereits um 1800 eine großstädtische Dimension, die deutsche Städte wie Berlin und Hamburg erst Ende des 19. Jahrhunderts erreichten. Hufeland nannte bereits 181040 London als Sinnbild der krankmachenden Großstadt, und Ramadges Schrift wurde in den 1840er Jahren mit Blick auf die sich auch in deutschen Städten bereits abzeichnenden Veränderungen mit großem Interesse wahrgenommen. Der Londoner Arzt stellte »die Muskelbildung, die gewölbte Brust und die robuste Constitution eines Seemannes oder eines Landmannes der abgemagerten Gestalt, der eingesunkenen Brust und der allgemeinen Körperschwäche eines Fabrikarbeiters« gegenüber.41 Mit Blick auf andere zeitgenössische Schriften zur Lungenschwindsucht lässt sich allerdings feststellen, dass sich in diesem schwindsüchtigen Habitus keineswegs nur die ungesunden Arbeits- und Wohnverhältnisse der Stadt manifestierten. Vielmehr wurden städtischen Proletariern besonders krankheitsverursachende »Ausschweifungen«, wie das übermäßige Trinken von Branntwein sowie ein unmäßiges und unsittliches Sexualverhalten, unterstellt. Diese stets betonten »Ausschweifungen« der Lungenschwindsüchtigen sind keineswegs nur im Kontext des alten Konzepts der Diätetik zu beurteilen, wie bereits die obigen Ausführungen zur Onanie als Krankheitsursache gezeigt haben. Betrachtet man sie vor dem Hintergrund der bevölkerungspolitischen und nationalökonomischen Bestrebungen dieser Zeit, wird stattdessen deutlich, dass sie moralisch aufgeladen waren: Denn den Kranken wurde implizit Verantwortung für ihre Krankheit und den damit verbundenen, von der Armenfürsorge finanzierten Aufwand zugewiesen. Der kausale Zusammenhang zwischen schlechten Wohnverhältnissen und Lebensbedingungen des städtischen Proletariats und der Entstehung von Schwindsucht wird eindringlich 1845 in »Die Lage der arbeitenden Klasse in England«, der berühmten Schrift von Friedrich Engels, dargelegt. Anders als Ramadge setzte Engels allerdings nicht bei dem individuellen gesundheitsschädigenden Verhalten der Arbeiter an, sondern machte vielmehr die äußeren, von den Proletariern nicht selbst beeinflussbaren Verhältnisse für ihr körperliches Elend verantwortlich42 – auffällig sind die passivischen Formulierungen bei Engels, welche die Arbeiter deutlich als Opfer der Verhältnisse erscheinen lassen. Engels rief alle krankheitsverursachenden Faktoren auf, die auch im zeitgenössischen medizinischen Diskurs thematisiert wurden: enge städtische Bebauung, beengte und unhygienische Wohnver40 Vgl. Hufeland (1810), 2. Stück, S. 9. 41 Ramadge (1836), S. 8. 42 Vgl. hier auch Frank (1960), der bereits ähnlich wie Engels argumentiert. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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hältnisse des Proletariats, sexuelle Ausschweifungen, der übermäßige Genuss von Alkohol und »Gemüthserschütterungen«. Dementsprechend sah er das Grundübel in der »Centralisation der Bevölkerung« und der »städtischen Bauart«, durch welche die »Lungen der Einwohner […] nicht das volle Quantum Sauerstoff« erhielten. Arbeiterfamilien würden »auf einen kleinen Raum zusammengedrängt« und ihnen »alle Mittel zur Reinlichkeit« entzogen. Zudem seien sie durch ihre soziale Not ständigen Stimmungswechseln zwischen Angst und Hoffnung ausgesetzt.43 Außer dem »Geschlechtsgenuß« und dem »Trunk« biete ihr Leben keinen Ausgleich zu der täglichen Misere. »Wie ist es möglich, daß unter solchen Umständen die ärmere Klasse gesund sein und lange leben kann?«, fragte Engels und beschrieb im Weiteren drastisch die Verhältnisse in London: Wenn man morgens früh um die Zeit, wo Alles zur Arbeit geht, ein wenig durch die Straßen streicht, so erstaunt man über die Menge halb oder ganz schwindsüchtig aussehender Leute, denen man begegnet. Selbst in Manchester sehen die Menschen so nicht aus; diese bleichen, hochaufgeschossenen, engbrüstigen und hohläugigen Gespenster, an denen man jeden Augenblick vorüber kommt, diese schlaffen, kraftlosen, aller Energie unfähigen Gesichter hab ich nur in London in so auffallender Menge gesehen – obwohl auch in den Fabrikstädten des Nordens Schwindsucht eine Menge Opfer jährlich hinwegrafft.44

Engels beschrieb das Elend der englischen Arbeiterklasse so drastisch, um dem deutschen Bürgertum vor Augen zu führen, welch verheerende soziale Auswirkungen die Industrielle Revolution auch in Deutschland haben könnte, wo Urbanisierung und Industrialisierung noch nicht so weit vorangeschritten waren wie in England. Anders als das philantropische Bürgertum sah Engels nicht die Erziehung der Arbeiterschaft zu gesundheitsbewusstem Verhalten als Lösung des sozialen Elends an, vielmehr rief er die Arbeiterschaft dazu auf, sich zu erheben und einen politischen Kampf gegen die krankmachenden Strukturen zu führen.45 Das »schwache Geschlecht« und Schwindsucht Neben den städtischen Proletariern galt auch das weibliche Geschlecht als besonders gefährdet, an Lungensucht zu erkranken: Aufgrund der »Zartheit der Constitution« und wegen ihres feineren »Nervenkostüms« wurde Frauen eine größere Empfänglichkeit für Lungenschwindsucht zugeschrieben.46 Störungen der Gebärmutterfunktionen galten im Kontext der humoralpathologischen Krankheitslehre zu Schwindsucht als wesentliche Krankheitsursachen. Ein Stocken der Monatsblutungen oder des »weißen Flusses« 43 Vgl. Engels (1845), S. 122. 44 Engels (1845), S. 124. 45 Zum Zusammenhang von Schwindsucht und Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts vgl. auch Göckenjahn (1985), S. 49f. 46 Ramadge (1836), S. 8f. Vgl. auch Dietrich-Daum (2007), S. 53-59. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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konnte dazu führen, dass diese vergleichsweise ungefährlichen Körperausscheidungen eine andere Richtung nahmen und sich über den Auswurf ableiteten und sich so zur gefährlichen Schwindsucht wandelten.47 Doch auch beim männlichen Geschlecht konnten die »Unterdrückung« von Hautausdünstungen oder eine Stockung des Flusses aus der »goldenen Ader« bzw. aus den Hämorrhoiden Ursachen von Schwindsucht sein.48 Beim weiblichen Geschlecht wurde in dem üblichen Einschnüren von Taille und Brustkorb durch das Korsett noch eine zusätzliche Gefahr gesehen, an einem Brustleiden zu erkranken.49 Inwieweit Schwangerschaften allerdings Lungenschwindsucht verhüten helfen würden oder zumindest einen heilsamen Einfluss auf eine bereits bestehende Schwindsucht haben könnten, war umstritten.50 Bei Frauen mit Schwindsucht – so die Beobachtung einiger Ärzte – traten während der Schwangerschaft die Symptome der Krankheit kaum mehr in Erscheinung, brachen jedoch unmittelbar nach der Geburt umso heftiger aus.51 War während der Schwangerschaft die Schwindsucht zurückgegangen oder gar ganz verschwunden, so wurde es als in höchstem Maße gefährlich angesehen, wenn eine »gerade niedergekommene Dame« sich weigerte, ihr Kind zu stillen.52 Die heilsame und präventive Wirkung des Schwangerseins findet sich auch in anderen zeitgenössischen Krankheitslehren – so z. B. in der Lehre zum Gebärmutterkrebs.53 Der medizinische Rat, sich durch regelmäßige Schwangerschaften gesund zu halten54, lässt dabei interessanterweise die Gefährlichkeit der Geburten außer Acht und knüpft an das zeitgenössische Ideal der domestizierten weiblichen Sexualität an. Im frühen 19. Jahrhundert war noch das Konzept der »Gemüthserschütterung« zentral in der humoralpathologisch geprägten Krankheitslehre: Demzufolge wirkten heftige »Gemüthsbewegungen« direkt auf körperliche Prozesse ein und konnten zu schweren Erkrankungen führen. Im ausgehenden 18. Jahrhundert formierten sich zudem Vorstellungen von einem weiblichen Geschlechtscharakter, demzufolge Frauen eine erhöhte Emotionalität 47 Vgl. Dietrich-Daum (2007), S. 55. Vgl. auch besonders Doussin-Dubreuil (1826), S. 52ff. und S. 56ff. 48 Vgl. Doussin-Dubreuil (1826), S. 46ff. und S. 54ff. Zur präventiven Wirkung einer reinen Leibwäsche vgl. Walther (1819), S. 135. 49 Vgl. Anonymus (1805), S. 4; Ramadge (1836), S. 9. 50 Vgl. Dietrich-Daum (2007), S. 57. Für die These, dass Schwangerschaft einen heilsamen Einfluss auf Schwindsucht habe, war Franz Hopkins Ramadge, vgl. Ramadge (1836), S. 42. 51 Vgl. Bischoff (1843), S. 37f.; Kopp (1809), S. 87. 52 Vgl. Dietrich-Daum (2007), S. 57. 53 Vgl. hierzu Nolte (2008). 54 Vgl. Ramadge (1836), S. 44. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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zugeschrieben wurde.55 So betonte auch Ramadge, dass die besondere »Empfänglichkeit ihres Gemüths« Frauen besonders gefährde, der Schwindsucht anheimzufallen.56 Liest man nun bei Doussin-Dubreuil die Fallbeschreibungen über »Kummer«, »Furcht« und »Schrecken«57 als Schwindsucht auslösende Affektionen und Gemütsbewegungen, so gewinnt man also nicht zufällig den Eindruck, dass überwiegend Frauen von diesen Gemütsbewegungen erfasst wurden und infolgedessen Schwindsucht bekamen58. So erkrankte ein »Frauenzimmer von zwey und dreyßig Jahren« an Schwindsucht, nachdem sie ihren Mann verloren hatte, »den sie innig liebte«. Der Ehemann war an einer schweren Krankheit gestorben und von seiner Frau bis zum Tod gepflegt worden. »Sie allein beschäftigte sich mit seiner Pflege, und jeder Tag war für sie ein neuer Quell des Kummers […].«59 Doussin-Dubreuil zitierte aus einem Brief der Witwe an ihn: Welche Aenderung hat sich aber mit mir ereignet, seit ich durch die Aerzte erfuhr, daß mein Mann von einer unheilbaren Krankheit ergriffen sey! Ich fühle seitdem Schauder und Frost durch den ganzen Körper, Brustbeklemmung und tagtäglich mehrendes Herzpochen. […] Dazu hat sich ein Husten gesellet, den ich keinem Diät- und Verhaltens-Fehler zurechnen darf […].60

Die erschöpfte, stark »abgezehrte« Frau hatte kaum Hoffnung auf Heilung und starb fünf Monate nach ihrem Mann. Ein anderes »Frauenzimmer« war ebenfalls aus Kummer – in diesem Falle infolge einer unglücklichen Liebe – an einer unheilbaren Schwindsucht erkrankt.61 Auch infolge von Furcht konnten empfindsame Frauen an Schwindsucht erkranken, wie der französische Arzt am Beispiel eines Mädchens aus gutem Hause darlegte, welches als Gesellschafterin ihren Lebensunterhalt verdiente: Ihr Wohnzimmer gränzte an das Gemach eines Verwandten vom Hause, der es sich bei dieser Gelegenheit einfallen ließ, dem jungen Frauenzimmer Ungebührliches zuzumuthen. Das sehr sittliche Mädchen war nicht im mindesten auf dergleichen Annäherung vorbereitet, und wieß voll Abscheu den Zudringlichen zurück. Leider war es aber einer von jenen Zügellosen, die keine Tugend achten, und sich nicht so leicht abweisen lassen. Er drohete ihr, sie zu überfallen, und, im Falle sie seinen Wünschen sich nicht fügen wolle, ihren Ruf zu schänden.62

55 Vgl. Hausen (1976). 56 Vgl. Ramadge (1836), S. 12, vgl. auch Dietrich-Daum (2007), S. 54. 57 Zu Schreck als Krankheitsursache für Schwindsucht vgl. auch Wolf (1814), S. 5ff. 58 Vgl. Doussin-Dubreuil (1826), S. 6-33; zu Kummer und Sorge als Krankheitsursachen für Schwindsucht vgl. auch Herholdt/Schoenberg (1814), S. 9. 59 Vgl. Doussin-Dubreuil (1826), S. 8. 60 Vgl. Doussin-Dubreuil (1826), S. 9. 61 Vgl. Doussin-Dubreuil (1826), S. 12f. 62 Vgl. Doussin-Dubreuil (1826), S. 21. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Diese ihre Ehre und Existenz bedrohende Situation begründete »in ihrem Gemüthe« eine Furcht, »die sich mit jedem Tage vermehrte, und sie zum bedauerungswürdigsten aller Geschöpfe machte«.63 Unter den fortgesetzten sexuellen Zudringlichkeiten entwickelte das Mädchen »Husten mit Brustschmerz«, der sie ohne Unterlass peinigte. Offenbar hatte sich das Mädchen dem Arzt anvertraut, der dafür sorgte, dass es von ihrem »Verführer« getrennt wurde. Auf diese Weise konnte verhindert werden, dass ihr schleimiger in einen eitrigen Auswurf überging und somit in eine tödliche Schwindsucht. Drei andere Mädchen erkrankten Doussin-Dubreuils Schilderung zufolge an einer gefährlichen Brustkrankheit, nachdem sie sich durch eine Begegnung mit einem Luchs im Wald fürchterlich erschrocken hatten.64 Auch aus der geschlechtsspezifischen Disposition von Frauen für Schwindsucht folgte eine Reihe von ärztlichen Ratschlägen zur »gesunden Lebensführung«, mit welcher das weibliche Geschlecht Verantwortung für die eigene Gesundheit übernehmen sollte: Alles war zu vermeiden, was gefährliche Affektionen, sogenannte »Schwärmereien«, auslöste. Dazu gehörten Vergnügungen wie Gesellschaften, Konzerte, Theater und Bälle und auch die Lektüre von Liebesromanen. Von dem Schnüren der Taille wurde ihnen dringend abgeraten und während einer Schwangerschaft eine strikte Diät angeraten. Nach der Geburt wurde den Müttern das Stillen empfohlen, da sie andernfalls der Gefahr, an einer Schwindsucht zu erkranken, ausgesetzt waren. Letztlich spiegeln die Empfehlungen zur Vermeidung von Schwindsucht zeitgenössische Konzepte von bürgerlicher Weiblichkeit wider, denen zufolge Frauen zunehmend domestiziert und auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter beschränkt werden sollten.65 Schwindsucht in den »Krankheitsgeschichten« bei Conrad Heinrich Fuchs Mit Blick auf die zeitgenössische Lehre zur Lungenschwindsucht zeigt sich in diesen Krankengeschichten neben der eingangs schon erwähnten detaillierten Beobachtung, dass begeistert die einige Jahre zuvor von Laënnec eingeführte diagnostische Methode der Auskultation und Perkussion angewendet wurde66 und auch das Konzept des »Habitus phthisicus« die Beobachtungen der Mediziner strukturierte. Die Krankengeschichten von Schwindsüchtigen machen entsprechend der weiten Verbreitung dieser unheilbaren Krankheit einen hohen Anteil aller in den Fuchs’schen Bänden dokumentierten Krankenbesuche aus. Diese medizinischen Fallbeschreibungen beginnen in der Regel mit einer gründlichen Familienanamnese, der häufig die Charakterisierung des »Habitus phthisicus« folgt. Lässt sich 63 Vgl. Doussin-Dubreuil (1826), S. 21. 64 Vgl. Doussin-Dubreuil (1826), S. 18. 65 Vgl. auch Dietrich-Daum (2007), S. 57-59. 66 Zum Siegeszug des Stethoskops in der klinischen Diagnostik vgl. Lachmund (1997). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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kein schwindsüchtiger Körperbau beobachten, wird in der Regel nach dem Lebenswandel der Kranken gefragt. So wird bei einem »robusten, früher gesunden« Maurergesellen die Krankheitsursache in seiner »anstrengenden Arbeit« gefunden.67 Eine junge Frau, die sich als Mädchen »einer guten Gesundheit« erfreut hatte, »scheint aber durch üppigen Lebenswandel [und] Tanzen sich ihre […] Krankheit zugezogen zu haben«. Als die Kranke mit »grazilem Körperbau« in ärztliche Behandlung kam, war für die Mediziner nicht mehr zu erkennen, ob sie einen angeborenen schwindsüchtigen Habitus hatte. Denn ihre Krankheit war »indeß schon so weit vorgediehen, u. es war nur schwer auf ihren früheren Habitus und Constitution zu schließen. Ihr ganzer Körper war so abgezehrt, so daß alle Knochen fast von Fleisch entblößt scheinen […].«68 Bei einem schwindsüchtigen Kind wurden der »durch vielerlei Ausschweifungen geschwächte Vater« und die »kräftige […] aber leidenschaftliche […] Mutter« in der Anamnese erwähnt – offenbar schrieb man den »Ausschweifungen« der Eltern eine krankmachende Wirkung auf das Kind zu. Letzteres wurde aus dem in sozialer und klimatischer Hinsicht gesundheitsschädigenden sozialen Umfeld entfernt und kehrte »heiler und gesünder« nach einem Aufenthalt auf dem Lande bei »frischer, freier Luft« und Bädern nach Hause zurück. »Allein bald traten wieder die […] vorigen Erscheinungen ein.«69 Bemerkenswert mit Blick auf die Erblichkeit der Lungenschwindsucht ist die Krankengeschichte des 20-jährigen Friseurgesellen Georg Grosch, der im Januar 1836 erstmals von einem Assistenzarzt der Würzburger Krankenbesuchsanstalt der Universität behandelt wurde. Die Krankengeschichte wird zum ersten Mal mit der Diagnose »Pneumophthisis tuberculosa« in den Fuchs’schen Bänden beschrieben. In der Anamnese wird eine familiäre Häufung der Lungenphthise erwähnt: Der Patient habe zwei seiner Brüder, einen im 31. und den anderen im 21. Jahr, durch diese Krankheit verloren, beide Eltern seien allerdings von ihr verschont geblieben. Georg Grosch, so wird im Weiteren betont, besitzt jedoch den Habitus phthisicus in vollem Grade: schlanker, schmaler, abgemagerter Körper; langer Hals, vorstechende Schultern, schmale, obgleich etwas gewölbte Brust, eingefallene Wangen, rubor genarum circumscriptus [Schwindsuchtsrose], matte, tiefliegende, mit einem blauen Ringe umgebene Augen.70

Das »jedoch« gleich zu Beginn dieser Passage verweist darauf, dass der für die Schwindsucht so typische Körperbau nach der Befragung des Kranken 67 HSD SUB Göttingen, HSD: 8 COD MS H NAT 61: I-IX, XI: Conrad Heinrich Fuchs (1803-1855), Krankengeschichten, Heft I, 1833, Nr. 11. 68 HSD SUB Göttingen, HSD: 8 COD MS H NAT 61: I-IX, XI: Conrad Heinrich Fuchs (1803-1855), Krankengeschichten, Heft I, 1834, Nr. 24. 69 HSD SUB Göttingen, HSD: 8 COD MS H NAT 61: I-IX, XI: Conrad Heinrich Fuchs (1803-1855), Krankengeschichten, Heft V, 1836, Nr. 41. 70 HSD SUB Göttingen, HSD: 8 COD MS H NAT 61: I-IX, XI: Conrad Heinrich Fuchs (1803-1855), Krankengeschichten, Heft VII, 1836, Nr. 14. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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offenbar nicht von seinen Eltern vererbt worden sein konnte. Weiter ist zu lesen, dass sich nach Genuss von Alkohol erste Symptome der Phthise eingestellt hatten71: Bluthusten, Stiche auf der Brust, auffälliges Abmagern. Mit einer »gelind nährende[n], dabei reizlose[n] Diät« und Arzneien gegen seine ziehenden Schmerzen in der Brust wurde der Patient zwei Wochen später auf »eigenes Verlangen« mit »gebessertem Zustand« aus der Behandlung entlassen. Im gleichen Band der Fuchs’schen Sammlung taucht Georg Grosch zum zweiten Mal auf. Der Patient wurde im Juli 1836 erneut von einem FuchsSchüler behandelt. – Doch ist diese zweite Krankengeschichte nicht als Fortsetzung angelegt, da sie keinerlei Bezüge und Rückverweise zu der ersten Fallbeschreibung enthält – vielmehr scheint diese Krankengeschichte neu angelegt worden zu sein. Aus der einfachen »Pneumophthisis tuberculosa« wurde nun eine »Phthisis pulmonalis tuberculosa hereditaria«. Wie schon in der erweiterten Diagnose angedeutet, arbeitete der zweite Schreiber den erblichen Charakter der Lungenschwindsucht stärker heraus. Auf die Beschreibung des »Habitus phthisicus« wurde weniger Sorgfalt verwandt, er wurde knapp als »sehr feiner, graciler Körperbau« charakterisiert. Im Weiteren wird zur Vorgeschichte der Lungenschwindsucht herausgearbeitet: Als Erbtheil mit bekommen, – hatte schon 2 ältere Brüder daran verloren – und zwar ergab das Examen, daß dieser Krankheitszweig von väterlicher Seite herstammte, denn Vater und Mutter des Vaters waren daran zu Grunde gegangen. Bei dem Vater soll sich nichts dergleichen gezeigt haben.72

In der ersten Krankengeschichte war lediglich erwähnt worden, dass nur die Brüder an Lungenphthise gestorben waren, die Eltern jedoch keinerlei Lungenkrankheiten gezeigt hätten. Der zweite Mediziner wollte sich offenbar mit der Aussage, dass die Eltern niemals an Schwindsucht erkrankt waren, nicht zufriedengeben. Beharrlich ging er der Frage nach, woher der Kranke seinen »Habitus phthisicus«, der ja als erblich übertragen galt, bekommen hatte. Während des »Examens« befragte er den Kranken zu seinen Großeltern und fand nun heraus, dass beide Großeltern väterlicherseits an Lungenschwindsucht gestorben waren. Somit hatte der zweite Mediziner entdeckt, von wem sein Patient die »Anlage« zur Phthise geerbt hatte. Außerdem stellte der junge Arzt fest, dass die Erbanlage zur Lungenschwindsucht eine Generation übersprungen hatte. War das Augenmerk in allen von Fuchs gesammelten Krankengeschichten auf die erblichen Faktoren der Phthise gerichtet, so zeigt sich in der zuletzt vorgestellten Krankengeschichte 71 Zur schwindsuchtsfördernden Wirkung von Alkohol vgl. Walther (1819), S. 144. Auch Barnes arbeitet heraus, wie in Frankreich bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Alkoholtrinken als Ursache für Lungenschwindsucht ausgemacht und dieses »unmäßige« Verhalten in erster Linie den Menschen der unteren sozialen Schicht zugeschrieben wurde, vgl. Barnes (1995), S. 148-162. 72 HSD SUB Göttingen, HSD: 8 COD MS H NAT 61: I-IX, XI: Conrad Heinrich Fuchs (1803-1855), Krankengeschichten, Heft VII, 1836, Nr. 61. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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ein besonderes Interesse an der Art der Vererbung dieser Krankheit. Georg Grosch starb schließlich nach einer palliativen Behandlung knapp einen Monat später an seiner Krankheit. Wie Rheinberger und Müller-Wille in ihrer jüngst erschienenen Studie zu Geschichte und Kultur von Vererbung feststellen, hat sich der »epistemische Raum der Vererbung« seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert rekonfiguriert, da sich das medizinische Interesse von den erblichen Krankheiten der Aristokratie zu den »degenerativen« Erkrankungen der besitzlosen und armen, vom Land in die Städte strömenden Massen verschob.73 Die armen Kranken, die von Fuchs und seinen Schülern in ihrem häuslichen Umfeld behandelt wurden, stellten für dieses medizinische Interesse an der Vererbung der »degenerativen« Erkrankung Lungenschwindsucht also ein ideales Forschungsfeld dar. Sowohl in der medizinischen Fachliteratur als auch in den handschriftlich überlieferten Fuchs’schen Krankengeschichten geraten jedoch gleichzeitig auch die sozialen Verhältnisse als krankheitsverursachende Faktoren in den Blick. Im Folgenden werde ich die Wahrnehmung von Lungenschwindsucht als Krankheit der städtischen Unterschicht anhand der Berichte der Kaiserswerther Diakonissen herausarbeiten. Schwindsucht als Folge von Ungläubigkeit und Sünde Im Jahre 1836 begann der protestantische Pfarrer Theodor Fliedner, in der von ihm gegründeten Diakonissenanstalt in Kaiserswerth bei Düsseldorf junge Frauen systematisch in der Krankenpflege auszubilden. Die Diakonissen stammten überwiegend aus dem ländlichen Raum und unterbürgerlichen Gesellschaftsschichten.74 Ihre Ausbildung zielte in erster Linie auf die Versorgung armer Kranker und hatte neben der Pflege des kranken Leibs auch die sogenannte »Seelenpflege« zum Ziel. Letztere ist im Kontext der in den 1830er Jahren aufkommenden neupietistischen Bewegung der »Inneren Mission« zu verstehen. Armut und Krankheit wurden als Folge von Ungläubigkeit und sündigem Lebenswandel angesehen. Daher hatte die religiöse Unterweisung der armen Kranken für die helfenden Diakonissen einen ebenso wichtigen Stellenwert wie die Leibespflege und die Bekämpfung der materiellen Armut.75 Die Diakonissen wurden nach ihrer Ausbildung im Mutterhaus in die Gemeindepflege, in die stationäre Krankenpflege in Krankenhäusern und in die Privatpflege entsandt. Das Vorsteherpaar des Mutterhauses verstand sich gemäß Fliedners paternalistisch-familiärem Führungsmodell als Eltern »ihrer« Diakonissen. Die christlichen Kranken73 Vgl. Rheinberger/Müller-Wille (2009), S. 83. Zur Erblichkeit von Schwindsucht vgl. Beddoes/Kühn (1810), S. 16; Herholdt/Schoenberg (1814); Hufeland (1810), 1. Stück, S. 7ff.; Ramadge (1836), S. 10. 74 Zur sozialen Herkunft der Kaiserswerther Diakonissen vgl. Schmidt (1998). 75 Zur Geschichte der Diakonissenanstalt in Kaiserswerth vgl. Köser (2006); Felgentreff (1998). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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schwestern berichteten den »Eltern« regelmäßig von ihrer Arbeit in Briefen, die nahezu vollständig im Archiv der Fliedner Kulturstiftung in Kaiserswerth überliefert sind. Eine Schwester der ersten Generation der Kaiserswerther Diakonissen beschrieb sehr eindrucksvoll die sozialen und geistlichen Zustände in den Armenbehausungen der Gemeinde in Elberfeld. So berichtete Schwester Elisabeth 1849: […] frägt mann warum schicken Sie nun ihre Kinder nicht zur Schule, dann bekommt mann zur Antwort, die müssen mir helfen spulen, wenn ich sonst meine Arbeit nicht zur rechten Zeit liefern, so wird sie mir ganz entzogen. Anstadt daß nun die Mutter spult läßt sies die Kinder thun und sie geht von einem […] zum anderen und hört Neuigkeiten während der Vater sitzt im Wirtshaus und läßt den Knaben Weben, so wird den Kinder schon früh der Keim des Todes eingeimpft ich habe schon Kinder elf zwölf Jahren alt getroffen, welche von Morgens bis Abends spät die schwerste Stuhl Arbeit machen müssen, wenn Sie nun noch ordentliche Nahrung bekämen, aber die kann der Vater nicht anschaffen weil Er ja sonst nicht seine quandität Schoppen trinken könnte, so müssen Sie denn 3 mal täglich Hafer und aus Wasser und Mehl Kuchen essen. So gehn Sie hinn bis Sie höchstens 25 Jahr alt sind, dann bekommen Sie die Schwinsucht [sic]. So sieht man dann gewiß hunderte herum Siecheln, und eines elenden Todes sterben.76

Die Diakonisse schilderte sehr plastisch, wie sie die sozialen Verhältnisse in dem Armenviertel wahrnahm. Als Problem sah sie nicht in erster Linie die materielle Armut der Familien, vielmehr charakterisierte sie die Eltern als faul und verschwenderisch, während sie ihre Kinder für sich die Heimarbeit verrichten ließen. Die Diakonisse bewertete auch das Alkoholtrinken des Vaters moralisch, indem sie es direkt mit der Mangelernährung der Kinder in Verbindung brachte. Wie bereits erwähnt, sah Engels zwar auch den Genuss von Alkohol als Tatsache, welche die soziale und gesundheitliche Situation der Arbeiter verschärfe, doch enthielt er sich bewusst einer moralischen Bewertung, indem er das Handeln des Arbeiters auf die gesellschaftlichen Strukturen zurückführte. In ihrem Brief wies die Diakonisse im Weiteren darauf hin, dass die meisten Kinder noch nie Religionsunterricht gehabt hätten und so zu geistlicher Armut verurteilt seien. Die Gesamtheit der beschriebenen Bedingungen in den armen Familien – daran lassen die Schilderungen der Schwester keinen Zweifel – führten schließlich zwangsläufig dazu, dass diese armen Kinder spätestens als junge Erwachsene an Schwindsucht erkrankten. Diese Krankheit wurde aus dieser Perspektive durch den sittlichen Verfall und den Unglauben der armen Menschen verursacht. Nur durch eine konsequente religiöse Unterweisung und Gesundheitserziehung der Kinder konnte nach Überzeugung der Akteure und Akteurinnen der »Inneren Mission« der Kreislauf, der zu Armut und so zu einer Verbreitung von Schwindsucht führte, durchbrochen werden.77 76 FSAK, Bestand Wuppertal-Elberfeld, Gemeinde, Schwesternbriefe, 1846-1862, Sign.: 1787. Elisabeth Born schreibt am 4.7.1849. Der Brief wird hier mit orthographischen und grammatikalischen Fehlern originalgetreu wiedergegeben. 77 Zur Bedeutung eines christlichen Lebenswandels für die Gesundheit vgl. auch Walther (1819), S. 268. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Auch andere Briefe von Diakonissen lassen keinen Zweifel daran, dass schwindsüchtige Kranke hinsichtlich der Seelenpflege als besondere Herausforderung wahrgenommen wurden. So klagte Schwester Beathe, die 1858 aus einem Bonner Krankenhaus von ihrer Arbeit berichtete: »[…] wir haben auch einige Schwindsüchtige, wo uns die Geduld nicht darf ausgehen oft müßten wir erfahren Undank ist der Welt Lohn.«78 Schwester Auguste schrieb aus dem Aachener Luisenhospital: Ich habe auf meiner Station recht elende Kranke, ein Schwindsüchtiger, der trotz täglich heftigen Schmerzen nichts von einem Heiland etwas wissen will, und seinem Ende so nahe entgegengeht, weiß so geschickt, das Gespräch abzulenken, sobald es einen ernsten Charakter annimmt und sagt einfach, er gehöre nicht zu denen die das glaubten. Von Morphium betäubt, scheint er auch auf das nicht zu achten, was ihn aus Gottes Wort gelesen wird. Ach wie ist es mir oft drückend ums Herz […].79

Die Diakonissen deuteten Krankheit generell als Strafe für einen sündigen Lebenswandel oder, bei den frommen Christen, als Prüfstein Gottes.80 Dass Diakonissen bei Schwindsüchtigen eher der ersten Deutung von Krankheit folgten, könnte auch durch die medizinischen Zuschreibungen bedingt gewesen sein, denen zufolge Schwindsüchtigen ein »unmäßiger« und »ausschweifender« Lebenswandel nachgesagt wurde – eine gründliche medizinische Unterweisung hatten sie in ihrer Ausbildung im »Medicinischen Cursus« erhalten.81 Die zitierten Briefe sollen hier exemplarisch für viele Klagen über die unbekehrbaren, sündigen Schwindsüchtigen in den Briefen der Diakonissen stehen. Bemerkenswert in ihren Schilderungen ist, dass die unheilbare Krankheit weniger auf die krankmachenden Arbeits- und Wohnverhältnisse der armen Menschen, sondern vielmehr auf den Mangel an Bildung und religiöser Unterweisung zurückgeführt wurde. So betonte Schwester Elisabeth, dass die Kinder nicht ausreichend Nahrung hätten, weil sich der Vater im Wirtshaus dem Trunk hingeben würde, und die Kinder körperlich erschöpft seien, weil sie die Arbeit ihrer Mutter erledigen müssten, die derweil mit den Nachbarn plaudere. In diesen Beschreibungen von Schwindsüchtigen tritt die moralische Beurteilung ihres Lebenswandels, der in den medizinischen Schriften durch den Begriff der »Ausschweifungen« lediglich angedeutet wird, sehr deutlich zutage. An anderer Stelle habe ich herausgearbeitet, dass die Gemeindediakonissen eine wesentliche Rolle bei der Einführung bürgerlicher Hygiene- und Gesundheitsstandards in den städtischen Unterschichten spielten und ihre Schilderungen in diesem Kon78 FSAK, Bestand Bonn Schwesternbriefe, 1854-1865, Sign.: 1151. Beathe Stukenholz schreibt am 16.10.1858. 79 FSAK, Bestand Aachen Luisenhospital, 1872-1881, Sign.: 116. Auguste Drebes schreibt am 21.1.1874. 80 Vgl. Nolte: Pflege (2010). 81 Vgl. FSAK, Medicinischer Cursus, Sign.: Rep. II: Fd. Es handelt sich hier um eine Mitschrift einer Diakonisse in der Ausbildung, die auch detaillierte Ausführungen zur zeitgenössischen Krankheitslehre enthält. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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text zu interpretieren sind. Aus den Briefen von Gemeindediakonissen lässt sich ersehen, dass Reinheit im religiösen Sinne und Reinlichkeit als wesentliche Faktoren für Gesundheit bzw. Schmutz, Unordnung und Sünde als Ursache für Krankheit und somit auch für die Armut der von den Diakonissen besuchten Menschen interpretiert wurden.82 Schlussbemerkungen Bereits um 1800 kam es zu einer bevölkerungspolitischen und ökonomischen Aufladung des zeitgenössischen Verständnisses von Krankheit und Gesundheit, welches im Wesentlichen durch die akademisch ausgebildeten Ärzte getragen und an die Bevölkerung vermittelt werden sollte. In diesem Kontext bekamen die aus der alten Diätetik stammenden Anweisungen zu einem maßvollen Lebenswandel eine gesellschaftspolitische Dimension. Das »unmäßige«, »ausschweifende« Verhalten, das Schwindsüchtigen immer dann unterstellt wurde, wenn sie nicht sichtbar einen erblich bedingten »Habitus phthisicus« zu haben schienen, wurde sittlich-moralisch beurteilt. Andererseits schienen sich dieses verwerfliche Verhalten und die »Ausschweifungen« in der nächsten Generation in einem schwindsüchtigen Habitus zu manifestieren. Am deutlichsten wird diese moralisierende Perspektive in den Schilderungen der Diakonissen, die, anknüpfend an den bürgerlich-protestantischen Pauperisierungsdiskurs, den sittlichen Verfall und die Ungläubigkeit der unterbürgerlichen, armen Familien konstatierten. Zwischen diesem im religiösen wie hygienischen Sinne unmäßigen Verhalten und der in den armen Familien grassierenden Schwindsucht wurde ein direkter Zusammenhang hergestellt. Aus dieser Erkenntnis der Ursachen von Schwindsucht folgte konsequenterweise weniger die materielle Unterstützung der armen kranken Familien, sondern vielmehr die Notwendigkeit einer religiösen Unterweisung und der Erziehung zu einem gesundheitsbewussten Verhalten. Ute Frevert hat eine solche Pädagogisierung und Medikalisierung der städtischen Unterschichten anhand der Arbeit der Aktivistinnen bürgerlicher Wohltätigkeitsvereine gezeigt.83 Des Weiteren lässt sich aus den medizinischen Schriften des frühen 19. Jahrhunderts deutlich das neue medizinische Interesse an »degenerativen« unheilbaren Krankheiten der städtischen Unterschichten erkennen. Lungenschwindsucht wird durch den »Habitus phthisicus« zum Schicksal, welches für Ärzte bereits auf den ersten Blick erkennbar war. Zwar lassen sich aus den Beschreibungen der »Architectura phthisica« auch noch Vorstellungen der Schwindsucht als »romantische Krankheit« herauslesen, wenn das Grazile, Zarte, Feine und die vornehme Blässe der Lungensüchtigen betont 82 Vgl. Nolte (2011). Vgl. zu der Auffassung, dass religiöse Reinheit eine präventive Wirkung haben könne, auch Walther (1819), S. 199. Walther betont, dass mit einer christlichen Lebensführung die »Herrschaft der Leidenschaften«, welche zu den wesentlichen Ursachen einer Schwindsucht zählten, gedämpft werden könne. 83 Vgl. Frevert (1985). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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werden. Doch könnte man diese Attribute auch als Ausdruck von »Degeneration« in einer bürgerlichen Gesellschaft interpretieren, in der dieser aristokratisch anmutende »Habitus« durchaus kritisch gesehen wurde. In vielen Charakterisierungen des schwindsüchtigen Habitus fällt jedoch die Betonung des Mageren, Knochigen und Schwachen auf, was die Assoziation des körperlich schwachen Fabrikarbeiters nahelegt. Somit bilden sich bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schicht- und geschlechtsspezifische Charakterisierungen des »Habitus phthisicus« heraus. Auch begannen Ärzte bereits in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in »medizinischen Topographien« damit, einen Zusammenhang zwischen Arbeits- und Lebensbedingungen und der Entstehung von Krankheiten herzustellen und statistisches Material zu sammeln.84 Die Ärzte Max Mosse (1873-1936) und Gustav Tugendreich (1876-1948) begründeten 1913 mit ihrem Buch »Krankheit und soziale Lage«85 die moderne Sozialmedizin und legten detaillierte statistische Erhebungen vor, welche als Beleg für den Zusammenhang von Beruf, Wohnverhältnissen und der Entstehung von Lungentuberkulose dienten. Eugenische Forderungen nach einer Reglementierung des Fortpflanzungsverhaltens von Menschen, die aus Familien mit einer Häufung der Lungenschwindsucht stammten, wie Frank sie schon um 1800 formuliert hatte, wurden jedoch erst in der Weimarer Republik mehrheitsfähig und in der Zeit des Nationalsozialismus in die Tat umgesetzt. Bibliographie Archivalien Archiv der Fliedner Kulturstiftung, Kaiserswerth (FSAK) Bestand Wuppertal-Elberfeld, Gemeinde, Schwesternbriefe, 1846-1862, Sign.: 1787 Bestand Bonn Schwesternbriefe, 1854-1865, Sign.: 1151 Bestand Aachen Luisenhospital, 1872-1881, Sign.: 116 Medicinischer Cursus, Sign.: Rep. II: Fd. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Abteilung Handschriften und seltene Drucke (HSD SUB Göttingen) HSD: 8 COD MS H NAT 61: I-IX, XI: Conrad Heinrich Fuchs (1803-1855), Krankengeschichten

Literatur Anonymus: Gründliche Heilart der Lungenschwindsucht, nebst Anweisung wie sich diese Kranken im Essen, Trinken, Schlafen, Kleidung, Reiten, Fahren, Reisen u.s.w. zu verhalten

84 Vgl. Brügelmann (1982). 85 Mosse/Tugendreich (1913); vgl. auch Hähner-Rombach (2000), S. 32ff. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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haben. Als auch eine Anleitung zu der Milchkur. Von einem praktischen Arzte in Wien. Wien 1805. Barnes, David S.: The making of a social disease. Tuberculosis in nineteenth-century France. Berkeley; Los Angeles 1995. Beddoes, Thomas; Kühn, Carl Gottlob: Die neuesten Methoden, die Schwindsucht zu heilen. Leipzig 1810. Bischoff, Ignaz Rudolph: Praktische Abhandlung über die Lungenschwindsucht. Mit Berücksichtigung der Auscultation und Percussion, so wie der Ansichten des Dr. Ramadge über diese Krankheit. Wien 1843. Bleker, Johanna: Die Stadt als Krankheitsfaktor. Eine Analyse ärztlicher Auffassungen im 19. Jahrhundert. In: Medizinhistorisches Journal 18 (1978), S. 118-136. Brügelmann, Jan: Der Blick des Arztes auf die Krankheit im Alltag 1779-1850. Medizinische Topographien als Quelle für die Sozialgeschichte des Gesundheitswesens. Diss. phil. FU Berlin 1982. Buchoz, [Pierre-Joseph]: Abhandlung von der Schwindsucht. Frankfurt/Main; Leipzig 1770. Clark, James: Die Lungenschwindsucht nebst einer Untersuchung über Ursachen, Wesen, Verhütung und Behandlung tuberculöser und skrophulöser Krankheiten im Allgemeinen. Leipzig 1836. Condrau, Flurin: Lungenheilanstalt und Patientenschicksal. Sozialgeschichte der Tuberkulose in Deutschland und England im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Göttingen 2000. Dietrich-Daum, Elisabeth: Die »Wiener Krankheit«. Sozialgeschichte der Tuberkulose in Österreich. (=Sozial- und wirtschaftshistorische Studien 32) Wien; München 2007. Doussin-Dubreuil, Jacques Louis: Das Selbstbeflecken, und die Mittel seine Folgen zu entfernen. Basel 1824. Doussin-Dubreuil, Jacques Louis: Über die Lungensucht, ihre gewöhnlichsten Veranlassungen, und was man zu thun habe, um ihr im Entstehen vorzubeugen, ihren gefahrdrohendsten Ausbruch zu verhüten und sie richtig zu behandeln. Für Ärzte und Nichtärzte. Ilmenau 1826. Eder, Franz X.: Kultur der Begierde. Eine Geschichte der Sexualität. München 2002. Engels, Friedrich: Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Nach eigener Anschauung und authentischen Quellen. Leipzig 1845. Felgentreff, Ruth: Das Diakoniewerk Kaiserswerth 1836-1998. Von der Diakonissenanstalt zum Diakoniewerk – ein Überblick. Düsseldorf-Kaiserswerth 1998. Frank, Johann Peter: System einer vollstaendigen medicinischen Polizey. Bd. 1. Mannheim 1779. Frank, Johann Peter: System einer vollstaendigen medicinischen Polizey. Bd. 3. Mannheim 1783. Frank, Johann Peter: Akademische Rede vom Volkselend als der Mutter der Krankheiten (Pavia 1790). Hg. von Erna Lesky. Leipzig 1960. Frevert, Ute: »Fürsorgliche Belagerung.« Hygienebewegung und Arbeiterfrauen im 19. und 20. Jahrhundert. In: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), S. 420-446.

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Karen Nolte

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Die Bedeutung der jüdischen Krankenpflege im Ersten Weltkrieg am Beispiel des Stuttgarter jüdischen Schwesternheims Susanne Rueß Summary The Importance of Jewish Nursing in World War I as shown by the Example of the Jewish Nurses’ Home in Stuttgart The history of Jewish nursing in World War I has so far not been central to medical history research. Rosa Bendit’s war diary is still the only source available on the voluntary service Jewish nurses provided during World War I. Their number was small compared to that of nurses in general. Jewish nursing in Germany has hardly been researched. Jewish nurses, like their Christian colleagues, took on wartime nursing tasks voluntarily. This paper will focus on the experiences of the nurses who were sent to various locations in East and West by the Stuttgart Jewish Nurses’ Home. Based on quotations from the war diary their position within the medical service will be described, compared and analyzed. The paper draws attention to special characteristics in the comparison of Jewish and Christian nurses and explores issues such as religious observance, religious discrimination, patriotism and differences in the evaluation of the nurses’ work. A brief outline of the history of the Stuttgart Jewish Nurses’ Home illustrates their working conditions. The Jewish nurses applied themselves with as much effort and devotion as their Christian counterparts. Although there were only few of them, the Jewish nurses managed to establish a recognized position for themselves within the medical service. The history of Jewish nursing in Stuttgart ended in 1941 when the Jewish Nurses’ Home was dissolved by the Nazis and four nurses were murdered in concentration camps.

Einführung […] um ¾ 7 versammelten sich alle Schwestern, Pfleger, Ärzte und Gäste im Priesterseminar, wo zuerst eine sehr hübsche Weihnachtsfeier für die dortigen Patienten und dann die für das Personal in der geschmückten Aula stattfand. Nach dem Absingen eines Liedes sprach Oberstabsarzt Jaspersen; er wies auf die reiche Arbeit des Kriegslazaretts 58 hin und dankte allen Mitgliedern desselben und ermahnte auszuharren usw. Dann sprach der Pfarrer, der ein Württemberger ist, zuletzt sang alles »Stille Nacht, Heilige Nacht«. –wir nicht –1

Den Mittelpunkt der folgenden Ausführungen zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege im Ersten Weltkrieg bilden die Erlebnisse im Kriegsdienst der Schwestern des Stuttgarter jüdischen Schwesternheims. Das Tagebuch der Rosa Bendit2 ist bislang die einzige vorhandene Quelle über den Einsatz jüdischer Schwestern im Ersten Weltkrieg. 1

CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit.

2

Rosa Bendit wurde am 15. Januar 1879 in Pinne (Posen) geboren. Im September 1903 stellte die Stuttgart-Loge sie ein, im Dezember 1903 ging sie zur Ausbildung als Krankenpflegeschülerin nach Berlin. Im Februar 1906 begann sie ihre Tätigkeit als Krankenschwester im Stuttgarter jüdischen Schwesternheim. Rosa Bendit verließ 1921 nach rund 16 Dienstjahren das Stuttgarter Schwesternheim. Nach dem Tod ihrer Mutter

MedGG 29 • 2010, S. 71-96 Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen © Franz Steiner Verlag Stuttgart

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Bei der Betrachtung der Rolle der »deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens« im Ersten Weltkrieg begegnet man zunächst dem Einsatz junger jüdischer Männer als Soldaten. Das Denken des deutschen Offizierskorps war geprägt vom Juden als »Drückeberger«, der sich dem Frontdienst entzog.3 Dies führte schließlich zu der 1916 erfolgten »Judenzählung« im Heer.4 Die Geheimhaltung der Ergebnisse dieser Zählung gab Raum für antijüdische Spekulationen und unterstützte nachhaltig die »Dolchstoßlegende«.5 Tatsächlich waren Juden proportional genauso häufig als Frontsoldaten im Einsatz wie Nichtjuden.6 Ihr Engagement, ihr Patriotismus und ihre Loyalität wurden jedoch weitgehend ignoriert. Der »Reichsbund jüdischer Frontsoldaten« versuchte bis 1937 erfolglos, auf die Bedeutung der jüdischen Frontsoldaten aufmerksam zu machen. In Stuttgart gab 1926 der »Württembergische Landesausschuß des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens« die Schrift »Jüdische Frontsoldaten aus Württemberg und Hohenzollern« heraus.7 Der Autor dieser Schrift, der Stuttgarter Arzt Dr. Gustav Feldmann (1872-1947)8, wollte damit den Anteil der jüdischen Soldaten am Krieg dokumentieren, um dem weitverbreiteten Vorurteil, Juden seien im Ersten Weltkrieg nicht solidarisch an der Seite der Kämpfenden gestanden, entgegenzutreten. Es hatten nämlich annähernd 700 Juden aus Württemberg und Hohenzollern an der Front gekämpft. Während die Rolle der jüdischen Frontsoldaten bei Kriegsende, in der Weimarer Republik und in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur das öffentliche Interesse bewegte, war der freiwillige Sanitätsdienst jüdischer Pflegender im Ersten Weltkrieg kein Thema. Bis heute ist im deutschsprachigen Raum zur Kriegskrankenpflege wenig publiziert.9 Auch die Geschichte der jüdischen Krankenschwestern in kehrte sie zu ihrer Familie zurück. Über das weitere Schicksal von Rosa Bendit ist nichts bekannt. Vgl. CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresberichte 1906 und 1921 sowie Personalbögen der Schwestern. 3

Ullrich (1999).

4

Rosenthal (2007).

5

Sammet (2003).

6

Segall (1922).

7

Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand E II f 92: Württembergischer Landesausschuß des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (Hg.): Jüdische Frontsoldaten aus Württemberg und Hohenzollern. Stuttgart 1926.

8

Zu Gustav Feldmann siehe Rueß (2009), S. 92-100.

9

Die Geschichte der Kriegskrankenpflege im Ersten Weltkrieg wurde bis jetzt nur wenig untersucht. Vgl. Panke-Kochinke (2001), Panke-Kochinke/Schaidhammer-Placke (2002), Panke-Kochinke (2004), Riesenberger (2002) und Bormann (1936). Astrid Stölzle arbeitet am Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung an einer Dissertation zur Kriegskrankenpflege im Ersten Weltkrieg. Darin wird auch die jüdische Krankenpflegegeschichte berücksichtigt. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Deutschland ist bislang nur selten Gegenstand der Forschung gewesen.10 Das wird nicht allein daran gelegen haben, dass die Anzahl der jüdischen Schwestern im Vergleich zur Gesamtschwesternzahl klein war.11 So gab es im Deutschen Reich insgesamt mehr jüdische Ärzte als jüdische Krankenschwestern.12 Jüdische Schwestern übernahmen wie ihre christlichen Kolleginnen Aufgaben in den Lazaretten, in der Heimat und an der Front. Mit dem Tagebuch der Krankenschwester Rosa Bendit liegt ein Dokument der jüdischen Pflegegeschichte vor, das Auskunft gibt über die Tätigkeiten, Erfahrungen und Gedanken einer Schwester während ihres Einsatzes im Krieg.13 Beginnend mit der Abreise einer Delegation des Stuttgarter jüdischen Schwesternheims am 6. August 1914 unter der Leitung von Dr. Gustav Feldmann an die deutsch-französische Grenze nach Breisach am Rhein, berichtete sie über ihre Kriegserlebnisse. Im Folgenden wird der Einsatz der jüdischen Schwestern im Ersten Weltkrieg analysiert. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, wie sich die Zusammenarbeit mit den Pflegenden anderer religiöser Herkunft gestaltete. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der gegenseitigen Wahrnehmung, auf Misstrauen, Anerkennung und Akzeptanz. Betrachtet wird auch die patriotische Haltung der jüdischen Schwestern. Ferner soll erörtert werden, ob sie mit den gleichen logistischen Problemen zurechtkommen und hinsichtlich der Einsatzorte die entsprechende Flexibilität wie ihre christlichen Kolleginnen zeigen mussten. Ein weiterer Abschnitt beleuchtet die Frage, welche Bedeutung die religiösen Riten für die jüdischen Schwestern hatten. Dabei konzentriert sich die Betrachtung auf die Möglichkeiten, die religiösen Lebensvorschriften, wie die jüdischen Speisegesetze, und das Feiern der jüdischen Festtage einzuhalten, aber auch auf den Umgang der jüdischen Pflegenden mit den christlichen Feiertagen. Erörtert werden daneben die Verhaltensweisen der christlichen Schwestern in Bezug auf die jüdischen Bräuche und der Umgang miteinander. Neben dem Vergleich der Anforderungen an die Schwestern sollen Ungleichheiten, insbesondere bei der Bewertung der Arbeit, offengelegt werden. Dazu gehört auch Anerkennung durch die Verleihung von Verdienstorden.

10 Steppe (1997), Benson (1995) und Malleier: Professionalisierungsbestrebungen (2008). 11 Rupprecht (1905) geht von ca. 60 jüdischen bei insgesamt ca. 7000 freiwilligen Krankenpflegerinnen im Deutschen Reich aus. Hinsichtlich der tatsächlichen Anzahl der freiwilligen Krankenpflegerinnen gibt es jedoch unterschiedliche Aussagen. Vgl. Panke-Kochinke/Schaidhammer-Placke (2002), S. 37ff. 12 Vgl. Schmelz (1982), S. 68. 13 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. Das Kriegstagebuch wird für die Beiheftreihe von »Medizin, Gesellschaft und Geschichte« mit einer Einführung und Kommentaren ediert. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Die Ausführungen beginnen mit einer kurzen Skizze zur Geschichte des Stuttgarter jüdischen Schwesternheims und zu seiner Rolle im Ersten Weltkrieg, um die Rahmenbedingungen der jüdischen Schwestern zu zeigen. Neben dem Kriegstagebuch von Rosa Bendit wurden sämtliche Unterlagen über das Stuttgarter jüdische Schwesternheim im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, im Staatsarchiv Ludwigsburg und in den Central Archives for the History of Jewish People in Jerusalem herangezogen und mit der Forschungsliteratur zur Krankenpflege im Ersten Weltkrieg verglichen. Das Stuttgarter jüdische Schwesternheim 1905 bis zur Auflösung 1941 Im September 1900 beschloss die Stuttgart-Loge des Ordens B’nai B’rith14 die Gründung eines jüdischen Schwesternheims mit dem Ziel, jungen jüdischen Frauen eine qualitativ hochwertige Ausbildung zu ermöglichen und Kranken unabhängig von religiöser Ausrichtung und finanziellen Möglichkeiten eine adäquate Pflege zu ermöglichen. Die Schwestern sollten »[…] in ebenso selbstloser Weise, wie dies von den christlichen Schwestern geschieht, der leidenden Menschheit ohne Ansehen des Standes und Glaubens ihre Dienste widmen«.15 Für die Vorbereitungen wurde ein »Ausschuß zur Ausbildung jüdischer Krankenschwestern« mit Dr. Gustav Feldmann als Vorsitzendem gebildet. Ein eigens für jüdische Krankenpflegerinnen gegründeter Krankenpflegeverein sammelte Spenden von Gemeindemitgliedern in ganz Württemberg. Durch die großzügige finanzielle Unterstützung der Logenmitglieder konnten bereits am 1. April 1905 drei vom Berliner Verein für jüdische Krankenpflegerinnen ausgebildete Schwestern und die Oberschwester Fanny Wallner16 ihre Arbeit in der Stuttgarter Heusteigstraße 43a beginnen17. 1907 kehrte Fanny Wallner in das Berliner Mutterhaus zurück, Rosa Bendit bekleidete anschließend das Amt der Ober14 B’nai B’rith (hebräisch für »Söhne des Bundes«), in Deutschland bis 1933 auch unter dem Namen »Unabhängiger Orden Bne Briss« (U. O. B. B.) bekannt, ist eine von deutsch-jüdischen Einwanderern in Amerika gegründete Vereinigung, die Spenden für wohltätige Zwecke sammelt, Bildungsveranstaltungen organisiert und sich der interkulturellen Verständigung widmet. 1885 wurde in Berlin die erste deutsche Niederlassung gegründet. Die Gründung der Stuttgart-Loge erfolgte am 17. Dezember 1899. Rabbiner Leo Baeck wurde 1924 als Großpräsident für den deutschen Distrikt gewählt, der zu dieser Zeit mehr als hundert Einzellogen betreute. 1938 mussten auf Anordnung der nationalsozialistischen Machthaber alle Logen geschlossen werden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der Orden in der Bundesrepublik neu gegründet. 15 CAHJP, Bestand D/ST3/6: 1905-1930 25 Jahre jüdisches Schwesternheim Stuttgart. 16 Fanny Wallner wurde am 28. September 1867 in Rielitz (Schlesien) geboren. Sie begann ihre Ausbildung als Krankenschwester 1898 in Berlin. Seit April 1905 arbeitete sie als Oberschwester für das Stuttgarter jüdische Schwesternheim. Vgl. CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresbericht 1905 und Personalbögen der Schwestern. 17 Zum Stuttgarter jüdischen Schwesternheim siehe auch Hähner-Rombach (2008). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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schwester bis 1921. Ihr Rücktritt erfolgte aufgrund einer Erkrankung in ihrer Familie und wurde von Seiten des Schwesternheims sehr bedauert. Nach dem Ausscheiden von Rosa Bendit gab es zunächst einige Vertreterinnen, bis Franziska Oppenheim18 zur Oberschwester ernannt wurde. 1914 waren bereits 12 Schwestern in Stuttgart tätig. Nachdem die Wohnung in der Heusteigstraße zu klein geworden war, erfolgte am 1. Juli 1910 ein Umzug in die Neckarstraße 15. Bereits beim Bezug war abzusehen, dass es sich aufgrund der geringen räumlichen Kapazität nur um eine Interimslösung handeln konnte. Deshalb richtete die Stuttgart-Loge im selben Jahr einen Fonds für den Bau eines eigenen Schwesternheims ein. Die Schaffung eines eigenen israelitischen Krankenhauses in Stuttgart wurde bereits bei der Gründung des Israelitischen Männervereins für Krankenpflege und Leichenbestattung (der Chevra Kadischa) 1875 diskutiert.19 1911 stellte dieser Verein 20.000 Mark für den Bau eines solchen Krankenhauses in Stuttgart zur Verfügung. Ein Jahr später, im Mai 1912, wurde der Bau von Mitgliedern der israelitischen Gemeinde erneut diskutiert, aus finanziellen Erwägungen jedoch vertagt.20 1922 debattierten die Mitglieder von Chevra Kadischa über die Einrichtung einer jüdischen Abteilung am Cannstatter Krankenhaus21, im Dezember 1931 erörterte ein »Aerztliches Gutachten über die Verwendbarkeit der Hoppenlauklinik als Kranken- bzw. Schwesternstation«22 die Möglichkeit, den Anfang eines Stuttgarter jüdischen Krankenhauses zu schaffen. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden diese Überlegungen endgültig unmöglich gemacht. Der Verwaltungsrat23 des jüdischen Schwesternheims erwarb im September 1913 in der Dillmannstraße 19 einen Bauplatz, die Architekten Oscar Bloch und Ernst Guggenheimer erhielten den Auftrag, das Schwesternheim zu 18 Franziska Oppenheim wurde 1883 im bayerischen Rödelsee geboren. Nach der Ausbildung zur Krankenschwester in Berlin trat sie am 15. August 1906 in den Dienst des Stuttgarter jüdischen Schwesternheims. 1942 wurde sie von Stuttgart nach Theresienstadt deportiert und am 12. Oktober 1944 in Auschwitz ermordet. 19 CAHJP, Bestand P 32/22: Aufruf zur Begründung eines israelitischen Krankenhauses in Stuttgart. 20 CAHJP, Bestand P 32/22: Aufruf zur Begründung eines israelitischen Krankenhauses in Stuttgart. 21 CAHJP, Bestand P 32/22: Israelitischer Männerverein für Krankenpflege und Leichenbestattung. Betreff Jüdische Abteilung im Krankenhaus Cannstatt vom 8. Februar 1922. 22 CAHJP, Bestand P 32/22: Aerztliches Gutachten über die Verwendbarkeit der Hoppenlauklinik als Kranken- bzw. Schwesternstation von Dr. Ries, Dr. Gideon und Dr. Cramer vom 30. Dezember 1931. 23 1913 setzte sich der Verwaltungsrat des jüdischen Schwesternheims aus folgenden Personen zusammen: Vorstand: Dr. Gustav Feldmann, Stellvertretender Vorstand: Max Wolf, Schriftführer: Rechtsanwalt Dr. Heinrich Wolf, Kassier: Siegfried Simon und andere. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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erstellen24. Im November 1913 wurde der Bau begonnen, die Fertigstellung war für den September 1914 geplant.25 Mit dem Ausbruch des Krieges wurde die vollständige Fertigstellung zunächst unmöglich. Der Verwaltungsrat beschloss, das Heim als Lazarett zur Verfügung zu stellen, während der Großteil der Schwestern in der Kriegskrankenpflege Dienst leisten sollte. Dieses Angebot wurde bereits im September 1914 angenommen, und das Schwesternheim wurde zum Hilfslazarett des Reservelazaretts 8. Die ärztliche Leitung des Hilfslazaretts erfolgte durch Dr. Max Hommel (18671943)26, Dr. Siegfried Thannhauser (1885-1963) und Dr. Hugo Levi (18771944)27. Bona Baruch28 wurde Oberschwester und stand drei Pflegerinnen und mehreren Helferinnen vor. Das Hilfslazarett wurde erst wieder am 30. April 1919 von der Militärregierung freigegeben. Im Mai 1919 erfolgte eine durch Spenden finanzierte Sanierung des Hauses, das durch den Lazarettbetrieb sehr gelitten hatte. Die wirtschaftlichen Probleme der Weimarer Republik machten sich auch beim Schwesternheim bemerkbar. Neben steigenden Kosten bei gleichbleibendem Spendenaufkommen führte insbesondere die inflationäre Geldentwertung29 zu einem Defizit, so dass es fast unmöglich wurde, die finanziellen Mittel zur Aufrechterhaltung des Pflegebetriebs aufzubringen. 1923 gab Dr. Gustav Feldmann sein Amt als Vorsitzender des Krankenpflegevereins ab. Über seine Gründe für diesen Schritt ist nichts bekannt. Im Bericht des Schwesternheims wurden seine »Organisationsgabe« und seine »nie versagende Hingabe« an das Heim gewürdigt. Sein Entschluss, das Amt niederzulegen, löste »das tiefste Bedauern des Verwaltungsrats«30 aus. Die Schwestern machten in einem Brief vom 30. August 1923 an den Verwaltungsrat Einsparvorschläge, um den Betrieb aufrechterhalten zu können. Sie äußerten darin aber auch ihren Unmut über die prekäre monetäre Lage.31 Der Nachfolger von Feldmann, Max Wolf, der von 1923 bis 1927 das Vorstandsamt übernahm, wurde nach seinem Ausscheiden insbesondere für

24 CAHJP, Bestand P 32/12: Baugesuch jüdisches Schwesternheim Stuttgart. 25 CAHJP, Bestand P 32/12: Baugesuch jüdisches Schwesternheim Stuttgart. 26 Zu Max Hommel siehe Rueß (2009), S. 152-154. 27 Zu Hugo Levi siehe Rueß (2009), S. 186-188. 28 Bona (Bianka) Baruch wurde am 26. August 1880 in Schlawe geboren. Die StuttgartLoge stellte sie 1902 ein, und sie begann im selben Jahr ihre Ausbildung als Krankenschwester beim Berliner Verein. Baruch wurde erstmals 1905 in Stuttgart als Krankenschwester tätig. 29 Vgl. Holtfrerich (1980); Krohn (1977). 30 CAHJP, Bestand D/ST3/6: 1905-1930 25 Jahre jüdisches Schwesternheim Stuttgart. 31 CAHJP, Bestand P 32/1: Brief der jüdischen Krankenschwestern an den Verwaltungsrat des Stuttgarter Schwesternheimes vom 30. August 1923. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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die »Überwindung der Schwierigkeiten der Inflationszeit«32 geehrt. Wolf trat aus gesundheitlichen Gründen von dem Vorstandsamt zurück, ihm folgte Dr. Alfred Gunzenhauser33 (1869-1961), der die Leitung des Schwesternheims bis zur Auflösung durch die Nationalsozialisten innehatte34. Die Zahl der Schwestern unterlag leichten Schwankungen, wobei Heirat der Hauptgrund für das Ausscheiden aus dem Dienst war. Bei Eröffnung des Heimes 1905 gab es drei Krankenschwestern und eine Oberschwester.35 Im Dezember 1907 waren es bereits fünf Schwestern36, ab 1908 gab es acht37, 1910 neun38, 1913 zehn39 und 1914 zwölf Schwestern40. Zwischen 1915 und 1927 schwankte die Anzahl der Schwestern zwischen zwölf und zehn41, 1928 sank sie auf elf42 und hielt sich bis zur Vertreibung durch die nationalsozialistischen Machthaber auf diesem Niveau. Auch die Zahl der Mitglieder des Krankenpflegevereins verzeichnete einen stetigen Zuwachs von 462 Personen 1905 auf 892 Personen 1930.43 Neben der häuslichen Betreuung von Kranken und der Durchführung von längeren Pflegetätigkeiten bei chronisch Kranken leiteten die Schwestern Kinder-Ferienkolonien im israelitischen Landesasyl Sontheim und im Schwarzwaldheim Mühringen. Für die Schwestern gab es regelmäßig Fortbildungen.44 Dabei wurde Wert auf medizinisch-fachliches Wissen, aber auch auf die »religiös-sittliche« Bildung der Schwestern gelegt. Die Ausbildung von Schwestern fand nach der Genehmigung der Stadtverwaltung Stuttgart um 1910 in verschiedenen

32 CAHJP, Bestand D/ST3/6: 1905-1930 25 Jahre jüdisches Schwesternheim Stuttgart. 33 Zu Alfred Gunzenhauser siehe Strauss (1982), S. 91-93. 34 Der letzte Jahresbericht des jüdischen Schwesternheims liegt für das Jahr 1936 vor. Anschließend wurde es als jüdisches Altenheim genutzt und 1941 von den Nationalsozialisten zwangsgeräumt. 35 CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresbericht 1905. 36 CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresbericht 1907. 37 CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresbericht 1908. 38 CAHJP, Bestand D/ST3/6: 1905-1930 25 Jahre jüdisches Schwesternheim Stuttgart. 39 CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresbericht 1913. 40 CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresbericht 1914. 41 CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresberichte 1915, 1916, 1917-1918, 1919, 1920, 1921, 1926 und 1927 sowie CAHJP, Bestand D/ST3/6: 1905-1930 25 Jahre jüdisches Schwesternheim Stuttgart. 42 CAHJP, Bestand D/ST3/6: 1905-1930 25 Jahre jüdisches Schwesternheim Stuttgart. 43 CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresberichte 1905 und 1930. 44 CAHJP, Bestand P 32/1: Vorträge Dr. Kroner/Dr. Feldmann 1907-1913. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Stuttgarter und Cannstatter Krankenhäusern statt45, daneben konnten die Schwestern auch in Berlin und Köln ausgebildet werden. 1905 wurde für die Schwestern ein Pensionsfonds eingerichtet und Vorsorge für den Fall der Arbeitsunfähigkeit getroffen. Nachdem diese Mittel 1923 aufgrund der Inflation wertlos geworden waren, gelang es dem Verwaltungsrat 1924, neue Versicherungsverträge abzuschließen und für die Renten der Schwestern Geld zurückzulegen. Zu diesen Budgets trugen maßgeblich Erbschaften und Spenden an das Schwesternheim bei.46 Die Zahl der geleisteten Pflegebesuche wuchs kontinuierlich. Im Jahre 1906 wurden insgesamt 1035 Pflegetage durchgeführt47, 1913 waren es bereits 199248 und 1927 insgesamt 2123 Pflegetage49. 1929 statteten die Schwestern 3403 Besuche bei 207 Kranken ab, davon fanden 3135 Besuche bei 178 Juden statt und 268 Besuche bei 29 Nichtjuden.50 1478 Besuche fielen auf 61 »arme Juden« und 129 Besuche auf 22 »arme Nichtjuden«. Für die erbrachten Pflegeleistungen wurden keine Rechnungen erstellt, von den wohlhabenden Familien jedoch großzügige Spenden für das Schwesternheim erwartet.51 Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten waren die Besuche der Schwestern in nichtjüdischen Haushalten verboten. Nach der Reichspogromnacht 1938 wurde das Schwesternheim als jüdisches Altenheim deklariert, bis es 1941 geräumt werden musste. Die Bewohner des Hauses wurden zunächst nach Dellmensingen52 gebracht und im August 1942 über das Sammellager auf dem Killesberg nach Theresienstadt deportiert. Unter ihnen waren vier Krankenschwestern, von denen zwei in Auschwitz und eine in Maly Trostinec ermordet wurden. Eine Krankenschwester überlebte Theresienstadt. Eine weitere Schwester war bereits im Dezember 1941 nach Riga deportiert und dort ermordet worden.53

45 CAHJP, Bestand D/ST3/6: 1905-1930 25 Jahre jüdisches Schwesternheim Stuttgart. 46 CAHJP, Bestand D/ST3/6: 1905-1930 25 Jahre jüdisches Schwesternheim Stuttgart. 47 CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresbericht 1906. 48 CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresbericht 1913. 49 CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresbericht 1927. 50 CAHJP, Bestand D/ST3/6: 1905-1930 25 Jahre jüdisches Schwesternheim Stuttgart. 51 CAHJP, Bestand D/ST3/6: 1905-1930 25 Jahre jüdisches Schwesternheim Stuttgart. 52 Ab 1940 wurden ältere Stuttgarter Juden in sogenannte jüdische »Altersheime« zwangsumgesiedelt. Auf engstem Raum wurden viele Personen in alte renovierungsbedürftige Schlösser wie in Dellmensingen bei Ulm einquartiert. Diese Zwangsumsiedlung war eine Zwischenstation bei der Deportation in verschiedene Konzentrationslager. 53 Vgl. Müller (1988), Zelzer (1964), Sauer (1969) und Stingele (2006). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Mit dem Beginn des Nationalsozialismus wurde sukzessive das Stuttgarter jüdische Schwesternheim aufgelöst. Diese Entwicklung reihte sich in die Vernichtung der gesamten jüdischen Krankenpflege in Deutschland ein.54 Das Stuttgarter jüdische Schwesternheim im Ersten Weltkrieg Der Jahresbericht des Stuttgarter jüdischen Schwesternheims von 1914 begann mit der Nennung des »in alle Lebensverhältnisse so tief eingreifende[n] Weltkrieg[s]«55 und den Folgen für den Krankenpflegeverein. Zu Beginn des Jahres 1914 stand noch die Vorfreude auf den baldigen Bezug des neuen Schwesternheims in der Dillmannstraße im Mittelpunkt. Mit dem Ausbruch des Krieges musste dieses Ziel auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Wie alle anderen Krankenpflegeorganisationen betrachtete auch der jüdische Krankenpflegeverein den »Dienst am Vaterland« als selbstverständliche, durch die Satzung festgelegte Pflicht. Mit Hilfe von Spendengeldern des israelitischen Frauenvereins konnten die Schwestern das Lazarett mit 30 Betten einrichten. Die in Stuttgart verbliebenen Schwestern bezogen die Dachkammern des Schwesternheims und pflegten bis Ende April 1919 verwundete Soldaten unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. Hilfe erhielten sie dabei von verschiedenen freiwilligen Helferinnen aus der jüdischen Gemeinde. Im Jahresbericht des jüdischen Schwesternheims von 1915 wurde die Situation des Lazaretts folgendermaßen beschrieben: Das Lazarett im Neubau in der Dillmannstraße dahier war fortdauernd gut besetzt. Die prächtige Lage des Heims, seine besondere Ausgestaltung für Lazarettzwecke, die vorzügliche Versorgung durch Aerzte und Pflegerinnen, die treffliche Führung des Haushalts, alles trug dazu bei, den leidenden Kranken den Aufenthalt im Hause zu einem angenehmen und heilsamen zu machen […].56

Trotz der Arbeit im Lazarett erfolgten, wenn auch in weitaus geringerem Umfang, Besuche der Kranken. Im Jahr 1915 waren dies 4057, 1916 wurden bereits wieder 144 Besuche58 durchgeführt. Der Betrieb des Lazaretts war äußerst kostenaufwendig59 und wurde von Spendengeldern, in erster Linie aus der jüdischen Gemeinde, aber auch von Anwohnern aus der Nachbarschaft des Schwesternheims, getragen60, die Zahlungen der Heeresverwaltung trugen nur in geringem Maß zur Deckung 54 Vgl. Steppe (1997). 55 CAHJP, Bestand D/ST3/6: 1905-1930 25 Jahre jüdisches Schwesternheim Stuttgart. 56 CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresbericht 1915. 57 CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresbericht 1915. 58 CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresbericht 1916. 59 CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresbericht 1919. 60 CAHJP, Bestand D/ST3/6: 1905-1930 25 Jahre jüdisches Schwesternheim Stuttgart. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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der tatsächlichen Kosten bei. Insbesondere die Teuerung der Nahrungsmittel, aber auch Zeiten mit Minderbelegung des Lazaretts waren für den Verein finanziell schwierig. Mit der Aufgabe des Lazarettbetriebs 1919 folgten erste Renovierungsarbeiten, die durch die Abnutzung während der Kriegsjahre erforderlich geworden waren, und die endgültige Einrichtung des Schwesternheims. Auch diese Ausgaben wurden durch Spenden finanziert. Im Jahresbericht 1917/1918 wird hervorgehoben, »wie sehr dieses Haus zur Hebung des jüdischen Namens beigetragen hat«61, in der Hoffnung, nun auch Kritiker, die den Bau des jüdischen Schwesternheims für unnötig gehalten hatten, zu Spenden anzuregen. Am 30. November 1918 konnten erstmals alle Schwestern gemeinsam das Chanukkafest62 in der Dillmannstraße feiern. Die jüdischen Schwestern im Kriegseinsatz an der Front Wie bereits erwähnt, wurden am 6. August 1914 neun Schwestern unter der Leitung der Oberschwester Rosa Bendit mit Dr. Gustav Feldmann als Kriegsfreiwillige in das Festungslazarett Breisach an die damalige »Reichsgrenze« gesandt. Dort versorgten sie eine Mannschaftsabteilung mit über 230 und ein Offizierslazarett mit 24 Betten. Der Besuch des Königs von Württemberg, Wilhelm II., und des Großherzogs von Baden, Friedrich II., im Lazarett stellte einen Höhepunkt der staatlichen Anerkennung für Dr. Gustav Feldmann und seine Mitarbeiterinnen dar. Im Herbst 1915 kehrten die Schwestern aus Breisach nach Stuttgart zurück und wurden gleich im November an den serbischen Kriegsschauplatz geschickt. Gustav Feldmann ließ sich nach seinem Einsatz in Breisach nach Montmedy versetzen.63 In Serbien waren die Schwestern dem Kriegslazarett 58 zugeteilt und pflegten einen Monat lang chirurgische und an Seuchen erkrankte Patienten in Arandjelowac.64 Rosa Bendit wurde im November 1915 auf Beschluss des Verwaltungsrats des jüdischen Schwesternheims wegen ihrer hervorragenden Leistungen von der Oberschwester zur Oberin65 ernannt66. Im Januar 61 CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresbericht 1917-1918. 62 Chanukka (hebräisch für Lichterfest/Weihung) erinnert an die Wiedereinweihung des zweiten jüdischen Tempels in Jerusalem 164 v. Chr. An Chanukka wird der erfolgreiche Makkabäeraufstand gegen die makedonischen Syrer gefeiert. Die Syrer hatten versucht, die Juden zunehmend zu hellenisieren, und einen Zeus-Altar im Tempel errichtet. Nach der Überlieferung reichte das Öl nach der Wiedereinnahme des Tempels durch die Juden in der Tempelmenora nur noch für einen Tag aus, die Menora im Tempel durfte aber nicht erlöschen. Das Menoralicht habe aber trotzdem acht Tage, bis neues Öl hergestellt werden konnte, gebrannt. 63 CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresbericht 1915. 64 Arandjelowac ist eine serbische Stadt im Norden des Okrugs Sumadija, circa 76 km südlich von Belgrad. 65 Als Oberin bezeichnet man üblicherweise die Vorsteherin einer klösterlichen Gemeinschaft oder Ordenskommunität in der katholischen Kirche. Diese ist durch das Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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1916 arbeiteten die Schwestern in Neusatz67, anschließend wurden sie für einen Monat nach Belgrad geschickt. Von dort aus ging es im März 1916 zurück in den Westen nach Longwy.68 Im Mai 1916 erfolgte die Abordnung in das Seuchenlazarett Inor an der Maas, wo die Schwestern vier Monate lang ihren Dienst leisteten. Ende August folgte die Versetzung nach Kronstadt in Siebenbürgen und kurze Zeit später nach Hermannstadt. Die Arbeit in Hermannstadt war besonders aufwendig, zeitweise waren »3600 Verwundete bei einem auch nicht annähernd zureichenden Heilpersonal dort untergebracht«.69 Im Mai 1917 wurden die jüdischen Schwestern nach Calimanesti70 geschickt, wo sie ein Seuchengenesungsheim betreuten. Rosa Bendit kehrte auf eigenen Wunsch am 30. November 1917 in das Schwesternheim in der Dillmannstraße zurück und übernahm erneut die Heimleitung. Die übrigen Schwestern blieben bis zum April 1918 in Calimanesti, wo sie in Verhältnissen, die »viel Geduld, Selbstbescheidung und Aufopferung erforderten«71, arbeiten mussten. Die letzte Versetzung folgte im Mai 1918 nach Morlanwelz in Belgien, wo sie noch bis zum November 1918 ihren Dienst absolvierten. Am 27. November 1918 kehrten sie nach Hause zurück. Der Stuttgarter jüdische Krankenpflegeverein war der einzige deutsche Verein, »der eine grössere Zahl jüdischer Schwestern geschlossen ins Feld führte und während des ganzen Krieges zusammenhalten konnte«.72 Pflegealltag Die Begeisterung der jüdischen Schwestern bei Ausbruch des Krieges unterschied sich nicht von der nichtjüdischer Krankenschwestern.73 Für alle Ordensgelübde dem Gehorsam verpflichtet und muss sich an das kirchliche Recht und das Recht ihres Ordens halten, ihr Amt wird als Dienst an der Gemeinschaft angesehen, sie soll den untergebenen Schwestern ein Beispiel für die gelungene Einhaltung der Ordensregeln sein. Die Verleihung des Titels »Oberin« ist eine wertschätzende Bezeichnung, die in Anlehnung an die katholischen Kolleginnen erfolgt. Tatsächlich waren die jüdischen Krankenschwestern frei angestellte Mitarbeiterinnen, die einem moralischen Kodex folgten, dies jedoch freiwillig ohne weitere Verpflichtung taten. 66 CAHJP, Bestand P 32/1: Jahresbericht 1917-1918. 67 Neusatz fiel nach Ende des Ersten Weltkriegs an das Königreich der Serben. Es heißt jetzt Novi Sad und ist die Hauptstadt der nördlichen serbischen Provinz Vojvodina. 68 Longwy ist eine französische Stadt in der Region Lothringen und liegt nahe der Grenze zu Belgien und Luxemburg. 69 CAHJP, Bestand P 32/19: Stuttgarter jüdisches Schwesternheim im Ersten Weltkrieg. 70 Calimanesti ist eine rumänische Stadt am Rand der Südkarpaten. 71 CAHJP, Bestand P 32/19: Stuttgarter jüdisches Schwesternheim im Ersten Weltkrieg. 72 CAHJP, Bestand P 32/19: Stuttgarter jüdisches Schwesternheim im Ersten Weltkrieg, Brief von Dr. Gustav Feldmann am 20. Mai 1933 an den DVJK Berlin als Antwort auf einen Fragebogen betreffend die »Liebestätigkeit während des Weltkrieges«. 73 Vgl. Steppe (1996), S. 36ff., und Steppe (1995/96). Laut Steppe (1997), S. 128, wurden einige der freiwilligen jüdischen Krankenpflegerinnen von dem für den Sanitätsdienst Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Krankenpflegeorganisationen stellten sich die gleichen Herausforderungen: die Aufrechterhaltung der Krankenpflege am Heimatort, das Ausbilden zusätzlicher freiwilliger Hilfskräfte, die Organisation des Einsatzes sowie die Entsendung der qualifizierten Schwestern an die Front und damit die organisatorische Unterstellung der Schwestern unter die Heeresleitung.74 Die Übernahme der Krankenpflege im Krieg war sowohl in den jüdischen als auch nichtjüdischen Organisationen in den Vereinssatzungen festgelegt.75 Die Tätigkeiten der Schwestern umfassten ein breites Spektrum. Sie waren dafür zuständig, Fabrikgebäude, leerstehende Häuser oder Hallen als Lazarett einzurichten. Dies setzte neben der Reinigung der Objekte die Organisation des Inventars voraus. Zur Aufrechterhaltung des Lazarettbetriebs kümmerten sie sich um die Herstellung der Verpflegung, die Versorgung mit Krankenwäsche und das Bestellen von Medikamenten und Verbandsmaterial, welches oft erst mit erheblicher Verspätung am Einsatzort eintraf. Ihre medizinische Tätigkeit schloss die Assistenz bei Operationen mit ein, insbesondere bei der offenen Wundbehandlung von schweren Schusswunden. Außerdem pflegten sie chirurgische und seuchenkranke Patienten. Bei der Pflege erhielten sie Unterstützung von Hilfskräften, oft jedoch in nicht annähernd ausreichender Anzahl. Der Einsatz dieser Hilfskräfte wurde von den jüdischen Schwestern koordiniert. Bei der Ankunft der Stuttgarter Schwestern an ihrem ersten Einsatzort in Breisach wurden sie vom israelitischen Kantor und den Vorstandsdamen des dortigen jüdischen Frauenvereins begrüßt.76 Nach gründlicher Reinigung, dem Aufbau der Betten und dem Entwanzen der Matratzen und Zimmer warteten die Schwestern auf ihre Patienten. Die »Langeweile«77, also ohne Arbeit zu sein, zermürbte die Schwestern schon bald. Hochmotiviert angereist, fiel es ihnen schwer, nicht tatkräftig mithelfen zu können. Dabei unterschieden sich die jüdischen Schwestern in keiner Weise von ihren Kolleginnen.78 Auch der Mangel an Betten, ungenügende Verpflegung, fehlende Steckbetten, schwierige hygienische Zustände und vieles mehr traf alle im Kriegsdienst tätigen Pflegenden. zuständigen Komitee des Deutschen Roten Kreuzes zurückgewiesen. Als Begründung der Ablehnung galt die Annahme, dass eine Einhaltung der jüdischen Speisegesetze nicht möglich war. Allerdings hatten auch nichtjüdische freie Krankenpflegeverbände es schwieriger, zum Kriegsdienst zugelassen zu werden. Vgl. Sticker (1977), S. 223, und Caemmerer (1915), S. 10ff. 74 Vgl. Steppe (1997). 75 CAHJP, Bestand TD 157: DVJK: Nr. 4 – Leitsätze, § 13. 76 Breisach verfügte bis 1938 über eine 700-jährige jüdische Geschichte mit einem regen jüdischen Leben und einer eigenen Synagoge. Vgl. Blum (1998). 77 Vgl. CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit, PankeKochinke (2004), S. 59, und Panke-Kochinke/Schaidhammer-Placke (2002). 78 Vgl. Panke-Kochinke/Schaidhammer-Placke (2002). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Eine zentrale Rolle bei allen Kriegsfreiwilligen spielte die Identifikation mit dem »Vaterland«. So äußerte sich Rosa Bendit über die Ereignisse am 14. August 1914 folgendermaßen: »[M]an hört hier allerhand von der großen Schlacht, die hier geschlagen wird, aber gewisses weiß man eben doch nicht. Wir werden es den Franzosen schon zeigen, was wir können […].«79 Es bleibt offen, ob das »wir« alle Deutschen, unabhängig von ihrer Religion, umfasste. Dass unter den Franzosen auch jüdische Glaubensbrüder waren, spielte wie bei den christlichen Schwestern in Bezug auf die christlichen französischen Gegner keine Rolle. Für den Kriegseinsatz stellten die Schwestern auch ihre persönlichen Bedürfnisse zurück, im August 1914 wünschte sich Rosa Bendit: »Wenn wir hier nur recht viel leisten könnten, es soll uns gewiss nichts zuviel werden.«80 Sie berichtete, wie Gustav Feldmann den Schwestern die politische Lage erklärte, und identifizierte sich dabei mit den Zielen der deutschen Heeresleitung: Nach dem Abendessen sassen [wir] mit den Köpfen über die Landkarte gebeugt und Papa Feldmann er[läuterte] alles. Wir machten Politik und Krieg und waren mit dem Finger und in Gedanken bereits in Paris und England. Wir wollen es ihnen allen zeigen, was wir können. Für unser Lazarett müssen wir unbedingt eine deutsche Fahne haben, um sie bei festlichen Gelegenheiten aufziehen zu können.81

Am ersten Jahrestag der Mobilmachung beschrieb sie die Ereignisse mit folgenden Worten: […] ein sehr bedeutender Tag. Es jährt sich die Anordnung der Mobilmachung im deutschen Reich. Was waren das für Tage und Stunden im Jahre 1914. Wie weit haben wir es gebracht. Wie herrlich steht unser Heer und Volk da, wahrlich man ist stolz ein Deutscher zu sein.82

Der Stolz darüber, Deutsche zu sein, nahm noch zu. Im Frühjahr 1917 berichtete sie, dass sie sich in Rumänien nicht wohl fühlte, […] weil ich hier die Leute nicht leiden kann. Diese selbstzufriedenen Gesichter, die so spiessig aussehen – man hat das Gefühl, als müsste man sie in Biedermeier-Anzüge stecken. Soviel junge kräftige Männer und Jünglinge laufen noch in Zivil herum. Und dann die Sprache und die leichtsinnig aufgetakelten Frauenzimmer; es ist mit einem Wort gesagt: widerwärtig. Deutschland über alles!83

Die Liebe zur und Verwurzelung in der Heimat wird an mehreren Stellen deutlich. So schrieb Rosa Bendit, wie sehr sie es genoss, die Stuttgarter Zeitung, wenn auch mit drei Tagen Verspätung, zu lesen. Für sie waren es »Heimatklänge«. Im Februar 1916 berichtete sie von einem Ausflug mit einer Schwester Franziska in die Natur und über ihre Sehnsucht nach Stutt79 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 80 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 81 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 82 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 83 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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gart: »Wir setzten uns ins Gras und träumten davon, in Degerloch zu sein.«84 Die Freude über das Treffen mit Stuttgartern oder Württembergern war groß, dennoch blieben die jüdischen Schwestern meist unter sich. Die Stellung zu den jeweiligen ärztlichen Vorgesetzten variierte zwischen einem sehr effizienten gemeinsamen Arbeiten und gegenseitigem Misstrauen. Größtenteils fühlte sich Rosa Bendit angemessen behandelt, an manchen Stellen im Tagebuch berichtete sie jedoch von eindeutiger Benachteiligung, die sie auf ihre Religionszugehörigkeit zurückführte. So schrieb sie am 3. März 1916 über den Oberstabsarzt Jungmann: Er [Jungmann] gibt sich überhaupt viel Mühe und will auch vielleicht etwas gut machen. Der edle Herr, der zu allen Schwestern so riesig liebenswürdig ist und von allen verehrt wird, war es auch zu uns, aber nur, wenn keine andere Schwester dabei war. Befand sich eine christliche Schwester der Abteilung in unserer Gesellschaft, so sprach er nur mit dieser und übersah uns vollständig. Es fiel uns allen auf, und wir beschlossen, nun unsererseits den Herrn zu übersehen und seinem Gruss auszuweichen.85

Nachdem Jungmann die jüdische Schwester Irma behandeln musste, nutzte sie die Gelegenheit und klärte ihn über das Stuttgarter jüdische Schwesternheim und den jüdischen Krankenpflegeverein auf. Schwester Irma gelang es auch, den Grund für sein Ressentiment herauszufinden. Es kam dann heraus, dass er zum Vorstand des Breslauer Vereins gehört hat und böse Erfahrungen mit den jüdischen Schwestern gemacht hat. Ausserdem hält er so geschlossene jüdische Gruppen nicht für wünschenswert und sucht sie auch bei den Aerzten zu vermeiden, na und noch mehr solch ein Zeug. Jedenfalls ist er riesig nett zu uns und wir ziemlich kühl.86

Die Religionszugehörigkeit spielte für die jüdischen Schwestern eine wichtige Rolle. Rosa Bendit bemerkte am 17. März 1915 über ihren Chefarzt, dessen Organisationstalent und Führungskraft sie sehr schätzte, dass dieser wohl »ein getaufter Jude sei«.87 In ihrem Tagebuch fügte sie manchmal hinter dem Namen einer Person den Verweis »Jude« in Klammern bei. Am 21. März 1915 beschrieb sie eine Situation, in der sie sich als Jüdin von dem Gruß des Kronprinzen Friedrich Wilhelm88 irritiert fühlte, weil sie sich diesen nur auf der Grundlage eines Irrtums erklären konnte: Der Kronprinz sei an ihr vorbeigelaufen und habe sie offensichtlich trotz ihrer Uniform nicht als jüdische Schwester erkannt, da er sie »sonst sicherlich nicht gegrüßt hätte«89. 84 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 85 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. Hervorhebungen im Original. 86 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 87 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 88 Kronprinz Friedrich Wilhelm Victor August Ernst von Preußen (1882-1951). 89 Vgl. CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Die Arbeit im Kriegsdienst erforderte von den jüdischen Schwestern die Zusammenarbeit mit Diakonissen, Rot-Kreuz- und katholischen Schwestern. Rosa Bendit beschrieb mehrfach das menschliche Miteinander zwischen den verschiedenen Gruppen. So hielt sie fest, dass sie bereits im August 1914 »genötigt« gewesen seien, Helferinnen vom Roten Kreuz einzustellen. Dies erfolgte der »Not gehorchend, weil viele unserer Kranken gewaschen und gefüttert werden mussten«. In ihrer Beurteilung der RotKreuz-Helferinnen wird deutlich, dass die Aufnahmebedingungen bei den jüdischen Krankenschwestern eine solide Vorbildung und ein großes Engagement voraussetzten. Die Rot-Kreuz-Helferinnen konnten diesem Niveau nicht standhalten. So notierte Rosa Bendit: Die jungen Damen hatten ja alle den besten Willen und unterzogen sich jeder Arbeit, aber es fehlte ihnen die rechte Art und vor allen Dingen der Umgang mit den Patienten. Soviel sagen kann man den jungen Damen nicht, aber alles durchgehen lassen kann man ihnen nicht. Gott sei Dank arbeiten wir wieder ohne Hülfe.90

Im November 1915 wurden die jüdischen Schwestern vom Roten Kreuz angefordert und mussten sich zu einem größeren Schwesterntransport nach Serbien einfinden. Während der Zugfahrt hatten sie ein eigenes Abteil, die Rot-Kreuz-Hilfsschwestern reisten in anderen Abteilen im selben Zug. Bei einem Treffen mit zwei Stuttgarter Diakonissen in Semlin kam es auf Einladung der jüdischen Schwestern zu einem gemeinsamen Besuch eines Cafés. Die Kontakte zwischen den Schwestern wurden als freundlich, aber meist distanziert beschrieben. Im Verlauf des Krieges kam es jedoch zu einer schrittweisen Annäherung unter den verschiedenen Schwesterngruppen. So begleiteten im Januar 1916 16 christliche Hilfsschwestern Rosa Bendit und zwei weitere jüdische Krankenschwestern zum Gottesdienst in die Synagoge. Anschließend wurden sie von den Frauen der jüdischen Gemeinde zum Kaffee eingeladen: »Schnell war für uns Schwestern der Kaffeetisch gedeckt; es gab guten Kaffee, Weissbrot und eingemachte Früchte als Nachtisch. Unsere christlichen Kolleginnen waren ganz begeistert.«91 Zu den Diakonissen entwickelte sich zunehmend eine bessere Beziehung, die übereinstimmende Vorstellung eines moralischen Verhaltenskodex einer Schwester erleichterte dies. Insbesondere in Bezug auf den Umgang mit männlichem Personal und Kranken wurde dies deutlich. Für die jüdischen und christlichen Schwestern waren zweideutige Bemerkungen oder intime Kontakte mit Männern unvorstellbar. Sie waren von dem Verhalten einiger Rot-Kreuz-Schwestern äußerst irritiert: »Die Diakonissen sind auch entsetzt über ihre Kolleginnen und sprechen sich uns gegenüber offen aus. Sie sagen aber doch, dass man sich bei ihnen in Acht nimmt […] und so ist es wohl auch bei uns.«92 90 Vgl. CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 91 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 92 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Für Rosa Bendit war es ein eindeutiger Vorteil, dass die jüdischen Schwestern wie Ordensschwestern bzw. Diakonissen behandelt wurden. Sie berichtete, dass sich bisher noch niemand »den Schwestern gegenüber unschön benommen« habe, womit sie das männliche Personal meinte. Das gelang nur dadurch, dass sie Distanz zu den männlichen Kollegen wahrten. Rosa Bendit begründete dies damit, dass »sie sich selbst genug« seien. Wenn jemand mit ihnen Kontakt aufnehmen wolle, so solle er die Schwestern aufsuchen, sie seien »nett gegen jedermann«. Einmal machte ein junger Assistenzarzt eine unsittliche Bemerkung gegenüber den Schwestern. Rosa Bendit ärgerte sich ganz besonders darüber, da dieser Arzt ein Jude war und sie von ihm mehr erwartet hatte. Die Begegnungen mit den katholischen Schwestern wurden als konfliktreicher beschrieben. Ein Problem war die Privatwäsche der Schwestern. Die katholischen Schwestern wuschen und bügelten ihre Wäsche selbst, während die anderen es gewohnt waren, dass ihre Kleidung auf Kosten ihres Vereins oder der Lazarettverwaltung gereinigt wurde. Da die Schwestern ihre Wäsche nicht mit der Krankenwäsche waschen wollten, mussten sie auf eigene Kosten eine Waschfrau engagieren. Die Schwestern diskutierten ausführlich darüber, und Rosa Bendit kommentierte dies mit Ironie: […] es wäre ja dann eine bedeutende Bevorzugung von uns, wenn man unsere »Faulheit« stärkt und uns die Wäsche zahlt, während den anderen, denen das Fortgeben aus Ordensgründen verboten ist, sich die ihrige selbst waschen müssen.93

Während eine Rot-Kreuz-Schwester von der »Nonnenwirtschaft« sprach, der sie sich unterwerfen müssten, fragte sich Rosa Bendit, woher die katholischen Kolleginnen die Zeit für das dauernde Waschen nahmen: »Die Schwestern sprechen nur vom Waschen und Bügeln und finden auch dazu Zeit; wie sie das machen, weiss ich nicht, aber immer hängt Wäsche draussen.«94 Die Lösung dieses Konflikts brachte ein Treffen aller nichtkatholischen Schwestern. Sie setzten bei der Lazarettverwaltung durch, dass diese die Kosten für das Waschen der Wäsche übernahm. Eine weitere Begegnung mit katholischen Schwestern wurde von Bendit folgendermaßen beschrieben: Nachmittags musste ich in die Nähstube der katholischen Kolleginnen. Die Mienen sind immer so sauer süß, dass man sich ganz unbehaglich fühlt. Wir spielen nämlich durch Herrn Dr. Feldmann die erste Geige, trotzdem wir in der Minderheit sind. Sie sind 42 Schwestern und seit dem 2. Mobilmachungstag schon anwesend, also schon vor uns. Da wir nicht zusammenarbeiten müssen, wird es schon gut gehen.95

93 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 94 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 95 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Als eine Oberin der Klosterfrauen ihre Krankenstation besichtigte, zeigte sich diese erstaunt über die Verwandlung einer ehemaligen Fabrik in ein Krankenhaus und die fleißige Arbeit der jüdischen Schwestern. Rosa Bendit beschrieb ihre christlichen Kolleginnen zwar als »ausserordentlich liebenswürdig, aber wie weit eine katholische Schwester es mit einer jüdischen ehrlich meint, weiss man nicht zu beurteilen«. An anderer Stelle berichtete sie von dem Bedürfnis der Menschen, »ein wenig Kleinkrieg unter sich zu machen«, aber auch von einem jüdischen Zusammengehörigkeitsgefühl: Da sind doch etliche Schwesterngruppen, die sich nicht ausstehen können, und da ist Oberstabsarzt Wöde und Dr. Kahn, die sich nichts zulieb tun können. Das ist nun mal so! – Dagegen gibt es hier Juden, Freund und Feind, die finden sich zusammen und fühlen sich eins. Unser rumänischer Dolmetscher ist ein Jude. Er ist eine bekannte und beliebte Persönlichkeit hier, denn man braucht ihn. Er hasst alle Christen und möchte sie aufgehängt sehen, aber auch Dr. Kahn, der ja keiner ist. Doch diese Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Dann ist hier ein türkischer Dolmetscher, ebenfalls Jude, ein zartes Männlein mit einem durchgeistigten Gesicht, und dann sind auch einige deutsche Juden hier, und einer kennt den anderen, und zu der jüdischen Schwester kommen sie alle gern. Es ist, als ob ein gemeinsames Band alle zusammenhält.96

Die zwischenmenschlichen Spannungen zwischen den unterschiedlichen Gruppen beschränkten sich also nicht nur auf die Schwestern. Neid und Eifersucht auf die unterschiedlichen Lazaretteinsätze spielen dabei eine nicht unbedeutende Rolle. Der Wunsch, das führende Lazarett zu sein, und das Gefühl, außerordentlich gute Arbeit geleistet zu haben, dafür aber nicht ausreichend anerkannt zu werden, kamen mehrfach zur Sprache. Rosa Bendit hielt sich mit ihrer Meinung darüber im Allgemeinen zurück, schrieb aber bereits am 17. August 1914: Das Offizierslazarett wird abgegeben. Dr. Feldmann hat es zur Verfügung gestellt. Die Aufzeichnung der Einzelheiten, die dazu geführt haben, will ich mir schenken, denn man braucht so etwas nicht zu verewigen, aber man könnte ein Buch darüber schreiben »in einer kleinen Garnison hinter der Front«. Liebliche Dinge wären da zu berichten über Kollegialität, Duldsamkeit, Eifersucht, Neid, Klatschsucht, Gehässigkeit usw. […]97

Trotzdem war es für die Schwestern wichtig, »durchzuhalten«, auch wenn es einen »anwiderte«. Am 20. August 1915 kam es zu einer Zurückstufung der Einheit. Das von Dr. Feldmann geleitete Lazarett war nicht mehr das Lazarett Nr. 1, sondern die Nr. 2. Für Rosa Bendit war dies ein klarer Fall von »kleiner Bosheit«. Sie betonte, dass es ihr eigentlich gleichgültig sein sollte, es ihr aber um Dr. Feldmann leidtue. Aus welchem Grund die Umbenennung der Lazarette geschah, war unklar. Im November 1915 erfolgte die Ablösung der Schwestern, die daraufhin nach Stuttgart zurückkehrten. Über die genauen Umstände ihrer Ablösung schrieb Rosa Bendit nichts, sie hielt lediglich fest, dass sie die Geschichte der Ablösung nicht verewigen 96 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 97 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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möchte. Es bleibt unausgesprochen, ob sie sich gegenüber den nichtjüdischen Sanitätsdienstleistenden benachteiligt fühlte. Nach einem kurzen Heimaturlaub wurden die Schwestern nach Serbien abgeordnet; zuvor erfolgte im Stuttgarter Königsbau die Verpflichtung aller Schwestern, unabhängig von ihrer Konfession, für die Dauer des Krieges. Am 19. November 1915 empfing König Wilhelm II. die jüdischen gemeinsam mit 24 anderen Schwestern im Wilhelmspalais. Bei der Abfahrt am Folgetag bekamen die jüdischen Schwestern erneut ein eigenes Abteil, in den anderen Abteilen waren Hilfsschwestern vom Roten Kreuz und Diakonissen. Sobald die jüdischen Schwestern vor Ort in Privatquartieren untergebracht werden mussten, versuchte die jüdische Gemeinde, sie in jüdischen Haushalten einzuquartieren. Ob dies möglicherweise aufgrund der jüdischen Speisegesetze geschah, ist unklar. Bendit beschrieb eine Situation der Einquartierung am Einsatzort folgendermaßen: »Oberschwester Else sagte mir, dass 3 Quartiere in den jüdischen Häusern vorhanden wären, ob ich sie für uns möchte, was ich gern annahm. Da wir alle einzeln waren, hatten wir auch 2 Quartiere in christlichen Häusern.«98 Der Umgang der jüdischen Schwestern und die Einstellung zur Kaschrut99 bleibt offen. Vermutlich war es unter den gegebenen Umständen sehr schwierig, die Speisegesetze einzuhalten. Ein Hinweis darauf findet sich bei der Beschreibung einer Einladung zum Sabbatausgang in Stenay am 21. März 1916: Nach dem Gottesdienst gingen wir und Dr. Lomnitz mit in die Wohnung des Herrn Rabbiner, wo der Tisch für ein kaltes Abendessen sehr nett gedeckt war; es gab Milchding und Fleischding und jeder ass was er wollte, vom gleichen Teller.100

Sobald sich die Gelegenheit ergab, versuchten die jüdischen Schwestern den Gottesdienst in der Synagoge zu besuchen. Dabei wird an mehreren Stellen deutlich, dass die Schwestern sich vorwiegend in den Kreisen des liberalen Judentums bewegten. Am 8. Januar 1916 berichtete Rosa Bendit von einem Synagogen-Besuch, beschrieb die Orgel als »herrlich« und freute sich über 98 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 99 Die Kaschrut (hebräisch für rituelle Unbedenklichkeit) umfasst religionsgesetzliche Vorschriften für die Zubereitung und Aufnahme von Nahrungsmitteln und Getränken. Lebensmittel gelten als »koscher«, wenn sie für den Verzehr erlaubt sind, oder als »treife«, wenn sie nicht gegessen werden dürfen. Die genauen Speisegesetze werden in der Thora (fünf Bücher Mose) beschrieben. Die Einteilung der Lebensmittel erfolgt in »fleischig«, »milchig« und »parve« (neutrale koschere Lebensmittel, die zusammen mit Milch- oder Fleischprodukten gekocht und gegessen werden können). Für das Kochen und Essen von »milchigen« und »fleischigen« Speisen müssen unterschiedliche Kochgeräte, Teller und Messer verwendet werden. Zwischen dem Verzehr von »milchigen« und »fleischigen« Speisen muss ein zeitlicher Abstand liegen. Je nach religiöser Ausrichtung liegt die Wartezeit zwischen drei und sechs Stunden. 100 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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den Chor. Eine Orgel wäre in einem orthodoxen jüdischen Gottesdienst undenkbar. Ein weiterer Hinweis auf die eher liberale Einstellung der Schwestern findet sich in einem Bericht im Frühjahr 1916 über einen jüdischen Gottesdienst, der in einer Kirche in Stenay stattfand. Der Gottesdienst in der Kirche machte einen tiefen Eindruck auf mich, sowohl die Predigt, als auch die für einen jüdischen Gottesdienst fremdartige Umgebung. Es sah merkwürdig aus, als man die Schmona Esra101 sagte und sich alles nach der grossen goldenen Muttergottesstatue verneigte.102

Ein weiterer Anhaltspunkt, dass sich Rosa Bendit eher dem liberalen Judentum verbunden fühlte, wurde in einer Begegnung mit der Ehefrau eines Synagogen-Verwalters offensichtlich. Diese Frau beschrieb sie als eine »echte, alte […] Jüdin mit Scheitel und Haube«.103 Im November 1916 besuchten Rosa Bendit und ihre Schwestern aus Interesse einen christlichen Gottesdienst in Hammerstein. Sie beschrieb ausführlich die Sonntagstracht der Kirchgänger und die Atmosphäre in der Kirche: »Die mit den fremdartig gekleideten Gestalten gefüllte Kirche machte auf uns einen merkwürdigen Eindruck. Wir waren Zuschauer im Theater […] Es war alles sehr schön und eigenartig für uns […].«104 Das Einhalten der jüdischen Feiertage, wenn auch unter improvisierten Bedingungen, war den jüdischen Schwestern sehr wichtig. Rosa Bendit berichtete über das Feiern eines Sederabends105 mit 500 Personen: Der Seder war weniger erbaulich. Der Saal fasste höchstens 130 Mann, und so musste alles geteilt werden. Das Essen war auch nur für etwa 250 Mann berechnet, und Herr Dr. Salzberger musste immer wiederholen, dass auch für die nächsten Sederteilnehmer etwas übrig bleiben müsse. Die ganze Geschichte hat mir wenig imponiert; nicht einmal genügend Mazzen waren vorhanden.106

Insbesondere bei den Kriegseinsätzen im Osten hatten die jüdischen Schwestern immer wieder Kontakt zu anderen Juden, die am Einsatzort lebten. Teilweise geschah dies durch die Initiative der Schwestern, die den Rabbiner oder die Gemeinde besuchten. Manchmal wurden die Schwestern auch von Fremden angesprochen, ob sie Juden seien; wenn sie dies bejahten, teilte ihnen meist die fragende Person mit, dass auch sie Jude sei. Rosa 101 Das Schmona Esre (hebräisch für 18) ist das Hauptgebet im jüdischen Gottesdienst, auf Deutsch heißt es Achtzehnbittengebet oder Achtzehngebet. Es wird im Stehen gesprochen. 102 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 103 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 104 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 105 Die Bezeichnung Seder (hebräisch für Ordnung) steht in der Regel als eine Kurzbezeichnung für den Sederabend, der als Vorabend den Auftakt des jüdischen PessachFestes bildet. An diesem Abend wird an den Auszug aus Ägypten erinnert. 106 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Bendit berichtete von einer Begegnung am 18. Dezember 1915 im Serbenlazarett mit zwei Ungarn: »Erst hielten uns zwei Ungarn an, denen es unsere Schwesternbrosche angetan hatte. Sie wollten wissen, ob wir jüdische Schwestern seien und da stellte es sich heraus, dass sie ebenfalls Juden waren.«107 An anderer Stelle berichtete sie, wie sie eine Straße entlangliefen, »in der unverkennbar Juden wohnten«. Auch dort wurden sie gefragt, ob sie »Israeliten« seien, anschließend bekannte sich die Fragende, selbst auch »Israelitin« zu sein. Rosa Bendit beschrieb, wie sie sich mit diesen Menschen schnell bekannt oder »fast verwandt« fühlte. Einmal berichtete sie, wie ihnen nach der Besichtigung einer Synagoge »jemand im Galopp nachsprang« und sich dann bei ihnen vorstellte: »Er war Oesterreicher; als er uns erreicht hatte, fragte er atemlos: ›Sind Sie Jehudim?‹ Wir nickten. ›Ich bin auch einer‹, stellte sich vor und schon waren wir bekannt oder fast verwandt.«108 Die jüdischen Schwestern konnten also aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit an den verschiedenen Einsatzorten leicht Kontakte zu anderen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde knüpfen. Neben der Bewahrung der eigenen Bräuche war es für die jüdischen Schwestern selbstverständlich, bei der Durchführung der christlichen Festtage behilflich zu sein. Rosa Bendit berichtete mehrfach, wie sie und ihre Kolleginnen bei den Vorbereitungen für das Weihnachtsfest halfen. So schrieb sie am 24. Dezember 1915: Hier wird fieberhaft für Weihnachten gearbeitet. Gestern wurde ich aufgefordert, im Priesterseminar, wo die Bescherung für das Personal stattfindet, mitzuhelfen, was ich gern tat. Eine Hilfsschwester […] und ich arbeiteten den ganzen Nachmittag und putzten noch den Baum. Heute Vormittag wurden dann noch die Päckchen für die Schwestern gerichtet. Es waren im ganzen für 191 Pfleger und 71 Schwestern Geschenke zu richten. […] Heute nun fand die grosse Weihnachtsfeier im Lazarett statt. Auf den einzelnen Abteilungen, die alle sehr schön geschmückt waren, versammelten sich der Sängerchor, die Aerzte und Schwestern. Der Pfarrer hielt eine kleine Ansprache, dann wurden 2 Weihnachtslieder gesungen und den Kranken ein frohes Fest gewünscht. Nachher bescherte jede Schwester ihren Patienten.109

Einladungen zu den privaten Weihnachtsfeiern der christlichen Kolleginnen lehnten die jüdischen Schwestern ab. An den Weihnachtsfeiern der Patienten nahmen sie jedoch teil, denn dies war für sie unmittelbar mit ihrer Tätigkeit als Pflegerinnen verknüpft und sollte dem Wohl des Patienten dienen. Auch im Lazarett mit jüdischen Schwestern und Ärzten gab es einen Weihnachtsbaum. Die jüdischen Schwestern beauftragten einen christlichen Pfarrer, um einen Lazarettgottesdienst am Weihnachtsabend veranstalten zu 107 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 108 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 109 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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können. Einmal verkleidete sich die jüdische Schwester Johanna als »Pelzmärtel«110 und überreichte den Festteilnehmern kleine Geschenke. Ungeachtet dessen hielten sie die Teilnahme an einer privaten Weihnachtsfeier mit den christlichen Schwestern für unangemessen und nicht mit ihrer religiösen Identität vereinbar. Dennoch beschrieb Rosa Bendit genau die Vorbereitungen und den Ablauf der Weihnachtsfestivitäten. Zwei Jahre nach Kriegsausbruch erhielten die jüdischen Schwestern als Auszeichnung für ihre Arbeit das Charlottenkreuz.111 Rosa Bendit kommentierte dies wie folgt: Gestern abend kam aus Longwy die Nachricht, dass wir nun auch mit dem Charlottenkreuz bedacht worden sind. Es freut uns nicht weiter; es ist etwas, was wir einfach bekommen mussten oder was man haben muss, um nicht aufzufallen.112

Die Verleihung des Charlottenkreuzes bedeutete ihr nichts, außer der Tatsache, dass sie damit den anderen gleichgestellt wurde. Im Mai 1917 berichtete sie folgendermaßen über die Verleihung der Rot-Kreuz-Medaille: »Nun ist die Dekoration vollständig«. Schwester Elsa erhielt noch die badische Medaille, für Rosa Bendit hatte sie damit »3 Bändchen«. Im November 1916 schrieb Rosa Bendit erstmals über Antisemitismus. Sie berichtete von Bemerkungen, in denen sich Menschen abfällig gegenüber Juden äußerten, wie »Budapest ist sehr schön, bis auf die Juden«, oder von einem Pfarrer, der in einem Vortrag erklärte, dass die Juden die sächsischen Bauern betrügen würden, wenn sie mit ihnen Geschäfte machten. Allerdings glaubte sie, dass dies vor allem die sächsischstämmigen Deutschen seien, die ihr Deutschtum hervorheben müssten und deshalb so handeln würden, zumal sie mit einer »Abneigung gegen die Juden gross gezogen« würden. Für Rosa Bendit war das jedoch keine Bedrohung, sie kommentierte dies mit den Worten »Ich will mal weiter beobachten«. Als ein Professor während einer Unterhaltungsrunde im Lazarett eine antisemitische Bemerkung machte, wünschte sich Rosa Bendit, ihn bei Gelegenheit zur Rede zu stellen: […] bei der Charakteristik der Donau konnte sich der Herr nicht enthalten, eine recht böse antisemitische Bemerkung zu machen vor einer Versammlung von Patienten, Pflegern, Schwestern und Aerzten. Wenn ich ihn mal treffen könnte, ich würde ihn mal ein wenig etwas fragen. Vielleicht begegnet er mir doch noch. Der Antisemitismus ist hier sehr ausgebreitet.113

110 Pelzmärtel: Weihnachtsmann. 111 König Wilhelm II. von Württemberg stiftete am 5. Januar 1916 das Charlottenkreuz. Es wurde allen Personen verliehen, die sich in der Heimat oder im Feld um die Pflege der Kriegsverletzten und Erkrankten gekümmert hatten oder in der allgemeinen Kriegsfürsorge tätig waren. 112 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 113 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Ähnlich wie die nichtjüdischen Schwestern berichtete auch Rosa Bendit mit zunehmendem Kriegsverlauf von einer körperlichen und psychischen Erschöpfung. Der nicht enden wollende Krieg, die schrecklichen Kriegsereignisse, das Ausgeliefertsein an die Heeresleitung und deren Befehle belasteten die Schwestern zunehmend und führten schließlich dazu, dass Rosa Bendit sich im August 1917 über den Bescheid ihrer baldigen Ablösung nach Stuttgart freute. Sie berichtete darüber am 25. August 1917: Ich soll nun für ganz nach Stuttgart, und ich gehe gern, wenn mir auch der Abschied von den Schwestern schwer fallen wird. Leider komme ich so bald nicht fort, denn Oberstabsarzt Wöde hat mich für unabkömmlich erklärt, und die Begründung meiner Reklamation war auch derartig, dass er es konnte. Nun muss die ganze Sache von neuem losgehen, und das kann einige Wochen dauern, bis ich so weit bin. Ich habe es ja nicht eilig, aber wenn man sich schon mit dem Gedanken abgefunden hat, fortzugehen, dann hat man auch zum Bleiben keine Geduld mehr. Ich bin auch mürbe und sehr nervös, und das Wandern, das Ein- und Auspacken, das Neuanfangen steht mir wie ein Berg vor Augen oder besser gesagt vor der Seele, und davor möchte ich heim nach Stuttgart flüchten. Warum hört aber auch der Krieg nicht auf?!114

Auch bei Rosa Bendit trat immer stärker der Friedenswunsch in den Vordergrund, während die Beschreibungen des Lazarettalltags deutlich geringer wurden. Stattdessen berichtete sie immer öfter über Begegnungen mit anderen Menschen, Ausflüge und Feste. Ihre Erfahrungen waren dabei vergleichbar mit denen der nichtjüdischen Schwesternschaft, für die mit fortschreitender Kriegsdauer ebenfalls »die Friedenssehnsucht in den Vordergrund«115 und die Berichte über den Lazaretteinsatz in den Hintergrund traten. Zusammenfassung Die jüdischen Schwestern fühlten sich dem Vaterland genauso verpflichtet wie ihre christlichen Kolleginnen. Ihre Arbeit in der Kriegskrankenpflege an der Front und in der Heimat unterschied sich nicht von der Tätigkeit ihrer nichtjüdischen Kolleginnen. Die Gruppierungen der verschiedenen Schwesternverbände blieben in der Regel unter sich. Fanden doch Kontakte statt, so waren diese im besten Falle freundlich, meist aber distanziert. Dabei zeigten sich die jüdischen Schwestern als überaus flexibel, neben dem Feiern ihrer eigenen Festtage organisierten sie Weihnachtsfeiern für die Kriegsverletzten und Hilfskräfte. Die jüdischen Schwestern wurden von den verletzten Soldaten und den Hilfskräften im Lazarett als »Ordensschwestern« angesehen und dementsprechend respektvoll behandelt. Sie fühlten sich, vergleichbar mit den Diakonissen und den katholischen Ordensschwestern, einem hohen moralischen Verhaltenskodex verpflichtet und nahmen ihre Arbeit im Sanitätsdienst sehr ernst; das Wohl des Patienten stand für sie an erster Stelle. 114 CAHJP, Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit. 115 Panke-Kochinke/Schaidhammer-Placke (2002), S. 17. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Offen bleiben die Fragen, wie die jüdischen Krankenschwestern von ihren christlichen Kolleginnen erlebt wurden und welche Rolle der christliche Antijudaismus z. B. bei den Diakonissen oder den katholischen Schwestern einnahm. Jüdische Schwestern arbeiteten wie die jüdischen Ärzte an der Schnittstelle zwischen den unterschiedlichen Religionen und gesellschaftlichen Schichten und trugen somit zu einer Erhöhung des Ansehens der Juden in der Gesellschaft bei. Trotzdem waren sie weitestgehend unter sich und erlebten sich immer wieder als Minorität und im Abseits der Gesellschaft stehend, obwohl sie mit ihrer Ausbildung und der Qualität ihrer Arbeit durchaus mit den christlichen Schwestern mithalten konnten. Die jüdischen Schwestern waren unter der Erhaltung ihrer religiösen Identität teilweise in die Gesellschaft integriert und passten sich an die Umstände an.116 Gleichzeitig schien es für sie leichter zu sein, an den Einsatzorten Kontakte zu knüpfen, da sie von den Mitgliedern der jeweiligen jüdischen Gemeinde aufgenommen und in deren Gemeindeleben integriert wurden. Wie erwähnt, endet die Geschichte des Stuttgarter jüdischen Schwesternheims mit der sukzessiven Ausschaltung und schließlich kompletten Vernichtung durch die nationalsozialistischen Machthaber. Nach 1945 konnte sich bis zum heutigen Tag keine neue jüdische Pflegekultur in Deutschland entwickeln. Das ehemalige Schwesternheim in der Stuttgarter Dillmannstraße 19 ist weitestgehend im Originalzustand erhalten geblieben. Heute dient es als Ärztehaus und beherbergt verschiedene medizinische Disziplinen. Die einzige Erinnerung an die Historie des Hauses als jüdisches Schwesternheim sind vier Stolpersteine, die am 10. November 2006 von der Stuttgarter Stolperstein-Initiative für die ermordeten Schwestern Elsa Erlebacher, Else Landsberger, Franziska Oppenheim und Erna Strauß auf dem Bürgersteig vor dem Haus verlegt wurden.

116 Vgl. Volkov (1983) und Kaplan (1991). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Bibliographie Archivalien Central Archives for the History of Jewish People, Jerusalem (CAHJP) Bestand P 32/1: Stuttgarter jüdisches Schwesternheim



Jahresberichte 1905, 1906, 1907, 1908, 1913, 1914, 1915, 1916, 1917-1918, 1919, 1920, 1921, 1926, 1927 und 1930



Personalbögen der Schwestern



Brief der jüdischen Krankenschwestern an den Verwaltungsrat des Stuttgarter Schwesternheimes vom 30. August 1923



Vorträge Dr. Kroner/Dr. Feldmann 1907-1913

Bestand P 32/12: Baugesuch jüdisches Schwesternheim Stuttgart Dillmannstraße 19 Bestand P 32/19: Stuttgarter jüdisches Schwesternheim im Ersten Weltkrieg



Brief von Dr. Gustav Feldmann am 20. Mai 1933 an den Deutschen Verband Jüdischer Krankenpflegerinnenvereine (DVJK) Berlin als Antwort auf einen Fragebogen betreffend die »Liebestätigkeit während des Weltkrieges«

Bestand P 32/20: Kriegstagebuch von Schwester Rosa Bendit Bestand P 32/22:



Aufruf zur Begründung eines israelitischen Krankenhauses in Stuttgart 1912



Israelitischer Männerverein für Krankenpflege und Leichenbestattung. Betreff Jüdische Abteilung im Krankenhaus Cannstatt vom 8. Februar 1922



Aerztliches Gutachten über die Verwendbarkeit der Hoppenlauklinik als Krankenbzw. Schwesternstation von Dr. Ries, Dr. Gideon und Dr. Cramer vom 30. Dezember 1931

Bestand D/ST3/6: 1905-1930 25 Jahre jüdisches Schwesternheim Stuttgart Bestand TD 157: Deutscher Verband Jüdischer Krankenpflegerinnenvereine (DVJK): Nr. 4 – Satzungen und Leitsätze 1906 (Berlin) Hauptstaatsarchiv Stuttgart Bestand E II f 92: Württembergischer Landesausschuß des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (Hg.): Jüdische Frontsoldaten aus Württemberg und Hohenzollern. Stuttgart 1926. Staatsarchiv Ludwigsburg Bestand E 191, Büschel 5542: Stuttgarter jüdisches Schwesternheim



Jahresberichte 1905, 1907, 1909, 1911, 1912, 1913, 1915, 1916, 1917-1918, 1919 und 1920

Literatur Benson, Evelyn: Nursing in Germany: The Jewish Presence. In: Nursing History Review 3 (1995), S. 189-200. Blum, Hans David: Juden in Breisach. Von den Anfängen bis zur Schoah. 12.-19. Jahrhundert. Konstanz 1998.

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Bormann, August: Die Diakonissen des Kaiserswerther Verbandes im Weltkriege. Gütersloh 1936. Caemmerer, Charlotte von: Berufskampf der Krankenpflegerin in Krieg und Frieden. München; Leipzig 1915. Hähner-Rombach, Sylvelyn: Kommentar Quelle 1,5 und Quelle 1,6. In: HähnerRombach, Sylvelyn (Hg.): Quellen zur Geschichte der Krankenpflege. Mit Einführung und Kommentaren. Frankfurt/Main 2008, S. 88-99. Holtfrerich, Carl Friedrich: Die Deutsche Inflation 1914-1923. Berlin; New York 1980. Kaplan, Marion: The Marking of the Jewish Middle Class. New York; Oxford 1991. Krohn, Claus-Dieter: Die große Inflation in Deutschland 1918-1923. Köln 1977. Malleier, Elisabeth: Professionalisierungsbestrebungen in der Krankenpflege in jüdischen Spitälern Österreich-Ungarns um 1900. In: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 27 (2008), S. 111-132. Malleier, Elisabeth: Kommentar Quelle 1,4. In: Hähner-Rombach, Sylvelyn (Hg.): Quellen zur Geschichte der Krankenpflege. Mit Einführung und Kommentaren. Frankfurt/Main 2008, S. 77-87. Müller, Roland: Stuttgart zur Zeit des Nationalsozialismus. Stuttgart 1988. Panke-Kochinke, Birgit: Die Geschichte der Krankenpflege (1679-2000). Ein Quellenbuch. Frankfurt/Main 2001. Panke-Kochinke, Birgit: Unterwegs und doch daheim. (Über-)Lebensstrategien von Kriegskrankenschwestern im Ersten Weltkrieg in der Etappe. Frankfurt/Main 2004. Panke-Kochinke, Birgit; Schaidhammer-Placke, Monika: Frontschwestern und Friedensengel. Kriegskrankenpflege im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Ein Quellen- und Fotoband. Frankfurt/Main 2002. Riesenberger, Dieter: Das Deutsche Rote Kreuz. Eine Geschichte 1864-1990. Paderborn 2002. Rosenthal, Jacob: Die Ehre des jüdischen Soldaten. Die Judenzählung im Ersten Weltkrieg und ihre Folgen. Frankfurt/Main; New York 2007. Rueß, Susanne: Stuttgarter jüdische Ärzte während des Nationalsozialismus. Würzburg 2009. Rupprecht, Paul: Die Krankenpflege im Frieden und im Kriege: zum Gebrauch für Jedermann, insbesondere für Pflegerinnen, Pfleger und Ärzte. 5. Aufl. Leipzig 1905. Sammet, Rainer: »Dolchstoss«. Deutschland und die Auseinandersetzung mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg (1918-1933). Berlin 2003. Sauer, Paul: Die Schicksale der jüdischen Bürger Baden-Württembergs während der nationalsozialistischen Verfolgungszeit 1933-1945. Stuttgart 1969. Schmelz, Usiel: Die demographische Entwicklung der Juden in Deutschland von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1933. In: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft 6 (1982), S. 3172. Segall, Jacob: Die deutschen Juden als Soldaten im Kriege 1914-1918. Berlin 1922. Steppe, Hilde: The war and nursing in Germany. In: International History of Nursing Journal 1 (1995/96), H. 4, S. 61-71. Steppe, Hilde: Krankenpflege im Nationalsozialismus. Frankfurt/Main 1996. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Steppe, Hilde: »... den Kranken zum Troste und dem Judenthum zur Ehre ...«. Zur Geschichte der jüdischen Krankenpflege in Deutschland. Frankfurt/Main 1997. Sticker, Anna: Agnes Karll – die Reformerin der deutschen Krankenpflege. Wuppertal 1977. Stingele, Harald: Stuttgarter Stolpersteine. Spuren vergessener Nachbarn. Ein Kunstprojekt füllt Gedächtnislücken. Filderstadt 2006. Strauss, Walter (Hg.): Lebenszeichen: Juden aus Württemberg nach 1933. Gerlingen 1982. Ullrich, Volker: Fünfzehntes Bild: Drückeberger. In: Schoeps, Julius H.; Schlör, Joachim (Hg.): Bilder der Judenfeindschaft. Antisemitismus – Vorurteile und Mythen. Augsburg 1999, S. 210-217. Volkov, Shulamit: Jüdische Assimilation und jüdische Eigenart im deutschen Kaiserreich. Ein Versuch. In: Geschichte und Gesellschaft 9 (1983), S. 331-348. Zelzer, Maria: Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden. Ein Gedenkbuch. Stuttgart 1964.

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Die Gesundheit von Jungen und männlichen Jugendlichen in historischer Perspektive (1780-2010) Martin Dinges Summary A Historical Perspective on the Health of Boys and Male Adolescents (1780-2010) In the discourse on health, boys are emerging as a problem group. In contrast to girls who tended to be seen as fragile if not sickly, boys used to be thought of as strong and healthy. Gender-specific concepts stipulated much more exercise for boys, the masturbation discourse prevented a relaxed relationship to the own body. The paper first describes specific problems in the biography (babies, child labour, tuberculosis, school, fitness for military service) and their solutions up to the time of the Weimar Republic. During and after the two world wars school boys tended to be of poorer health than girls. The consequences of war affect the mental health of (half-) orphans gender-non-specifically up to the third generation. After 1945, attention to health concerns is rather restricted to the professional aptitude of mining trainees, health-related risk behaviour tends to be interpreted in terms of gender. Mothers sought medical advice slightly more frequently on behalf of boys up to puberty. Concerning the time between 1780 and 2010 inferior health is often noticeable in boys and male adolescents. This used to, and still does, apply to babies, child labour, industrial work and occupational accidents, conscription and direct consequences of war. It was mostly due to gender-specific separation of labour, but partly also to a higher risk preference. The gender-specific wider scope for exercise and sports up to the 1960s, in contrast, had a health-promoting effect.

Gesundheitsdiskurse und -empfehlungen Erst seit kurzem gelten Jungen innerhalb des Gesundheitsdiskurses als Problemgruppe. Das war früher ganz anders: Jungen galten generell eher als stark und gesund – Mädchen als schwach oder gar kränklich. Die Aufklärungsanthropologie hatte solche Gegensätze zwischen Mann und Frau sehr akzentuiert und biologisch fundiert, indem sie den Frauen eine größere Naturnähe, Abhängigkeit vom Körper, damit aber auch Schwäche, den Männern eine größere Vernunftbegabung zuschrieb. Während des 19. Jahrhunderts arbeiteten die Mediziner dieses Bild weiter aus und erweiterten es um 1900 noch um passende psychische Komponenten.1 Allerdings gehörte zum Bild des Mannes als negativer Zug auch, dass er triebbedingt unbeherrscht sei und sich deshalb disziplinieren müsse.2 Zum Mann zu werden bedeutete eine doppelte Entwicklungsaufgabe, nämlich der zugeschriebenen kräftigen und selbstbeherrschten Körperlichkeit und Vernünftigkeit gerecht zu werden.

1

Fischer-Homberger (1984); Honegger (1991); Schmersahl (1998).

2

Kucklick (2008), S. 35-133.

MedGG 29 • 2010, S. 97-121 Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen © Franz Steiner Verlag Stuttgart

Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Den Jungen legte man dazu nahe, ihre körperlichen Fähigkeiten durch viel Bewegung zu entwickeln. Man empfahl ihnen seit 1800 Leibesübungen und später die Ertüchtigung durch den Sport. So heißt es in einem Gesundheitsratgeber 1892: »Die nützlichste Körperbewegung ist das Schwimmen, und darum sollte, wo es möglich ist, jeder gesunde Knabe zum Erlernen des Schwimmens veranlasst werden.« Ganz selbstverständlich ist hier nicht von Mädchen die Rede.3 Der Bedarf des Staates und der Wirtschaft stand im Vordergrund dieses Diskurses. Die Jungen sollten leistungsfähige Soldaten, allenfalls auch kräftige Arbeiter werden.4 Immerhin kamen besondere Gesundheitsgefährdungen in den Blick: Jungen galten als waghalsig. Schon 1780 meinte der Autor eines mehrbändigen Buches zur »medicinischen Polizey«, der Vorläuferin der Sozialhygiene, Johann Peter Frank (1745-1821), Jungen würden von Brücken in zu flaches Gewässer springen, beim Schwimmen ertrinken, zu brutal fechten, von der Baumschaukel fallen oder sich beim Klettern verletzen.5 Er meinte also, die »kleinen Wagehälse« spielten insgesamt zu risikoreich. Damit zeigt sich bereits eine gewisse Zwiespältigkeit, mit der über Jungen geredet wurde: Einerseits sollten sie sich viel bewegen und dadurch ertüchtigen, andererseits warnte man sie aber auch stets vor Gefahren und vor ihrer Neigung zum Leichtsinn. Zu erlernen hatten sie also die Balance zwischen Mut und Übermut. Individuelle Gesundheit stand jedenfalls nicht im Vordergrund der Überlegungen. Männlichkeit war auch das Erziehungsziel in der Turnerbewegung.6 Nach 1900 wanderten in der Jugendbewegung dann fast ausschließlich Jungen durch die Wälder, in der bündischen Jugend verstärkte sich dieser Zusammenhang von Körperertüchtigung und Männerbund weiter.7 Nicht überraschend ist, dass auch in den Selbstzeugnissen zum 20. Jahrhundert Erinnerungen an Unfälle wegen gefährlicher Kinderspiele bei Jungen doppelt so häufig sind wie bei Mädchen.8 Den Mädchen traute man weniger zu: Ärzte betonten immer wieder, dass junge Frauen durch die Menstruation regelmäßig geschwächt seien. Ihnen empfahl man allenfalls Spaziergänge. Erst ab ca. 1900 wurden ihnen auch einige Leibesübungen und leichtere, in der Zwischenkriegszeit dann weitere Sportarten empfohlen. Die Nationalsozialisten setzten auf die Ertüchtigung mit dem Ziel, die Gesundheit der späteren Mütter zu fördern, die kräftige Kinder für einen starken »Volkskörper« gewährleisten sollten. Insgesamt ist das ein natalistischer Diskurs, der seit ca. 1800 im Interesse an Bevölke3

Sepp (1999), S. 11.

4

Frevert (1997), S. 147-154; Hagemann (1996), S. 56ff.

5

Verwendet wurde Frank (1784), S. 627f., 661, 672.

6

Goltermann (1998), S. 131-140.

7

Speitkamp (1998), S. 145, 185; Berg (1991), S. 127ff.

8

Hoffmann (2009), S. 243. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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rungswachstum für einen mächtigeren Staat die Gebärfähigkeit der Frauen einseitig in den Vordergrund rückte. Bei den Jungen erreichte die geforderte Bereitschaft zum Soldatischen ebenfalls in der NS-Zeit den Höhepunkt.9 Dazu passt ein Leitbild von Männlichkeit, das schon bei Jungen eine vorrangige Festlegung auf Härte gegenüber sich selbst und anderen verlangte. Das Ausmaß an notwendiger »Abhärtung« von Kindern wurde zwar auch kritisch diskutiert, in einer ärztlichen Schrift von 1903 aber selbstverständlich fast ausschließlich mit dem Blick auf Jungen thematisiert.10 Bezeichnenderweise drängten im Zeitalter des Nationalismus besonders die Väter auf Abhärtung, später imitierten die Jüngeren dieses Modell.11 Schmerzverdrängung, Distanz zum eigenen Körper, Abwehr von Schwäche, die als weiblich galt, gehörten zu diesem Verhaltensmodell.12 Zärtlichkeit der Eltern war, besonders zwischen Vätern und Söhnen, bis in die 1960er Jahre verpönt.13 Traurigkeit oder schlechte Stimmungen sollten nicht artikuliert werden – ein Junge sollte funktionieren. Außerdem beobachten Forscher in der Gegenwart, dass in Erziehung und Alltag von Jungen ein höheres Maß an Toleranz gegenüber widerfahrener Gewalt als selbstverständlich vorausgesetzt wird.14 Der Onaniediskurs behinderte lange ein positives Verhältnis zum eigenen Körper.15 Seit dem 17. Jahrhundert bleuten Kleriker, Ärzte und Pädagogen den Jungen in einer Vielfalt von Schriften und Predigten ein, dass die Selbstbefriedigung eine höchst gesundheitsschädliche Praxis sei: Sie schwäche die örtliche Muskulatur, verbrauche die Kraft des männlichen Samens, den man sich als eine begrenzte Quantität vorstellte, ruiniere die Nerven, zerstöre das Rückenmark und generell die körperliche Leistungs- und spätere Zeugungsfähigkeit. Masturbation sei deshalb auch moralisch höchst verwerflich.16 Mit unterschiedlichen Akzentsetzungen wurde dieser medizinische Unsinn bis in die 1950er Jahre verbreitet und machte vielen Jungen und männlichen Jugendlichen erhebliche Schwierigkeiten, wie wir anhand von Selbstzeugnissen seit dem 18. Jahrhundert beobachten können.17 Ärzte empfahlen häufig, als Lösung des Problems eine Ehe einzugehen.18 So hieß 9

Werner (2008); zum Ersten Weltkrieg vgl. Reulecke (2001), S. 89-101.

10 Hecker (1903), S. 8, 20-27; vgl. Rutschky (1988), S. 260. 11 Reulecke (2001). 12 Vgl. schon Dinges (1997). 13 Rosenbaum (1992), S. 200f. 14 Jungnitz u. a. (2007), S. 4, 64. 15 Eder (2002), S. 91ff.; Dinges (2002). 16 Kucklick (2008), S. 288ff. 17 Piller (2007), S. 190f. 18 Dinges (2002), S. 117. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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es 1907: »Junge Männer erholen sich bei sonst verständiger Lebensweise in der Ehe meist rasch«, gemeint war von Scham, Reue und Nervenzerrüttung.19 Parallel zur wachsenden Körperfeindlichkeit während des 19. Jahrhunderts sollte der Bordellbesuch immer häufiger als Initiation in das Geschlechtsleben dienen. Wurde er vom Vater organisiert, konnte er als Enteignung einer eigenständigen Sexualität empfunden werden, in der peer group allerdings als kollektive Stärkung von Männlichkeit.20 Geschlechtskrankheiten waren jedenfalls besonders im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein vieldiskutiertes Gesundheitsproblem. Etwa 5 % der Rekruten in Preußen und Bayern waren in den 1860er Jahren betroffen, bis 1900 sank der Anteil auf 2 % – wegen Soldkürzungen und stärkerer Disziplinierung.21 Bei der Kaiserlichen Marine gingen in den 1870er Jahren die Geschlechtskrankheiten erst nach energischen Maßnahmen gegen Hafenbordelle auf – immerhin noch – 12 % aller Krankheitsfälle zurück.22 Die Kontrolle der Einberufenen auf Geschlechtskrankheiten im Rahmen der sogenannten »Schwengelparade« dürften manche jungen Männer als belastend empfunden haben.23 In der Gesamtbevölkerung waren um 1900 Männer dreimal so häufig von Geschlechtskrankheiten betroffen wie Frauen, 1919 nur noch doppelt so häufig. Während der Weimarer Zeit gingen diese Erkrankungen weiter zurück. Trotzdem diskutierte man weiter über Ehegesundheitszeugnisse, die auch SPD und Zentrum befürworteten, aber nicht durchsetzen konnten. Diese wurden erst 1935 durch die Nationalsozialisten verbindlich vorgeschrieben und betrafen neben den Geschlechtskrankheiten nun auch Erb- und Geisteskrankheiten. In den Folgejahren wurde etwa jedem 25. Paar die Eheeignung abgesprochen, allerdings mehr Frauen als Männern (bis 1943: 43.000 gegenüber 34.000).24 Nach dem Zweiten Weltkrieg stiegen die Geschlechtskrankheiten im Jugendalter u. a. wegen der Besatzung noch einmal an, bevor sie dann bis in die 1980er Jahre weiter an Bedeutung verloren.25 Positive Impulse für ein gesundheitsförderliches Verhalten bietet allenfalls eine Reihe von Regeln: Ernährungsempfehlungen sind zwar oft geschlechterneutral formuliert, beziehen sich aber implizit doch auf männliche Jugendliche. In der Tradition der Diätetikbücher seit der Antike richten sie 19 Schönenberger (1907), S. 21. 20 Vgl. Bordellbesuche auch als kollektive Männlichkeitserfahrung von Soldaten: Kühne (2010), S. 180. 21 Sauerteig (1999), S. 75-80. 22 Bennink (2008), S. 42. 23 Jütte (1998), S. 24-26. 24 Sauerteig (1999), S. 379. 25 Biener (1991), S. 109f. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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die Orientierung der Jungen darauf, Maß zu halten: »Der Jüngling weiß es nicht, wie sehr er sich durch Ausschweifungen mancherlei Art – durch einen Trunk in die [sic!] Hitze, durch Unmäßigkeit im Speisegenuß, verdirbt. Noch widerstehen seine muntern Kräfte.«26 Es wird also auf die langfristigen Folgen hingewiesen. Studierende werden besonders ermahnt, das rechte Maß zwischen »Speisegenuss« und Bewegung zu finden: »Wer sich fleißig Bewegung macht, kann reichlichere Mahlzeiten halten und verdauet besser.«27 Besonders um 1900 häufen sich Ernährungsempfehlungen, die aber geschlechterunspezifisch sind, auch wenn eine sehr fleischhaltige Nahrung als jungengerecht und »männlich« gilt, während die Mädchen besonders seit den 1920er Jahren mit Schlankheitsappellen traktiert werden.28 Auch deshalb bleibt die Anorexie bis in die 1980er Jahre fast ausschließlich eine Krankheit weiblicher Jugendlicher.29 Hinsichtlich der Sauberkeit finden sich im medizinischen Schrifttum keine Hinweise, dass man Jungen für problematischer hielt als Mädchen. Empfehlungen zur Mundreinigung werden ebenfalls geschlechterneutral formuliert.30 Ähnlich heißt es: »Die Ohren werden rein gehalten.«31 Erst beim Blick auf die Adressaten der Schrift – »gebildete Jünglinge« (und Lehrer) – wird klar, dass die männliche Jugend gemeint ist. Andere Empfehlungen betreffen die Kleidung. Sie soll sauber, dem Klima angepasst und locker sein, außerdem gewechselt werden, damit keine Hautkrankheiten entstehen können bzw. Ausdünstungen nicht behindert werden.32 Der reinliche Körper wird als Ausdruck der Sittlichkeit der Person gedeutet.33 Ansonsten wird auch 1852 weiter das Reisen zu Fuß als Abhärtung empfohlen.34 Vom Rauchen rät der Arzt Christian August Struve bei jungen Leuten ab, da diese Angewohnheit dem Körper Säfte entziehe, die er zum Wachsen brauche.35 Weiterhin gibt er Ratschläge, wie man Ansteckungen vermeiden kann.36 Bis auf die Bezugnahme auf das Rauchen und die Erwähnung von Studenten könnte das alles aber genauso auch in einer Schrift für junge Frauen stehen. Tatsächlich geschlechterspezifische Hygieneempfehlungen 26 Struve (1804), S. 49. 27 Struve (1804), S. 44. 28 Wirz (1993), S. 21f. 29 Habermas (1990), S. 15, 23-30, 201, 206-210. 30 Sepp (1999), S. 9; Struve (1804), S. 106. 31 Struve (1804), S. 115. 32 Struve (1804), S. 108. 33 Struve (1804), S. 112. 34 Rutschky (1988), S. 287. 35 Struve (1804), S. 151. 36 Struve (1804), S. 160. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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sind also eher selten. In Selbstzeugnissen des 20. Jahrhunderts erwähnen Mädchen jedoch häufiger ihre Bemühungen um Reinlichkeit, die sie z. T. sogar gegen den Widerstand der Eltern umsetzten; die Jungen durften allerdings erst nach den Mädchen – und vor den Männern – in das gemeinsam genutzte Badewasser.37 Allerdings fungierte das Militär bereits im 18. Jahrhundert als eine Art Schule der Reinlichkeit, was mit der praktischen Durchsetzung der allgemeinen Wehrpflicht vor 1900 immer bedeutsamer wird38: Dort sollten die jungen Männer aus allen Schichten gewisse Standards von Sauberkeit erlernen. Diese bezogen sich vorwiegend auf das äußere Erscheinungsbild, also die Kleidung (Uniform, Ausrüstung etc.), weniger auf den Körper selbst.39 Die Uniform konnte und sollte auch die Frauen beeindrucken.40 Während des 19. Jahrhunderts dürfte die Musterung viele junge Männer erstmals mit einer vergleichenden Bewertung ihres Gesundheitszustandes konfrontiert haben. Dabei wurde immerhin ein Drittel bis 45 % der jungen Männer als untauglich ausgemustert.41 Manche mögen sich darüber gefreut haben, für andere war dieses Musterungsergebnis eine Infragestellung ihres Selbstkonzeptes als Mann. Diese Selbstzweifel wegen attestierter Körpermängel scheinen im 19. Jahrhundert zu wachsen.42 Im Ersten Weltkrieg lernten manche Soldaten dann Entlausungskampagnen kennen.43 Für die grundlegende Gesundheitserziehung ist die Rolle der Familie viel wichtiger als das letztlich sehr eingeschränkte institutionelle Angebot von Schule, Ferienkolonie oder Militär. Im Vordergrund der bürgerlichen Medikalisierungskampagne stehen die Mütter. Sie dürften von den Söhnen mehr mit der Aufgabe des Ratgebers in Gesundheitsangelegenheiten assoziiert worden sein als die Väter.44 Allerdings spielten auch diese schon im 19. Jahrhundert eine größere Rolle, als es der bürgerliche Geschlechterdiskurs erwarten ließe. Väter beteiligen sich aktiv an der Kinderkrankenpflege und als Ratgeber.45 Von einer völligen »Feminisierung« des Themas Gesundheit kann also nicht die Rede sein. 37 Hoffmann (2009), S. 178f. 38 Im 19. Jahrhundert wurden selbst in Preußen nur 10-20 % aller Wehrpflichtigen eingezogen, s. Hardach (2006), S. 72. 39 Dinges (1996), S. 82-85. 40 Frevert (1997), S. 169f. 41 Kaup (1925), S. 62f., 64, 68. 42 Frevert (1997), S. 166; Hämmerle (2005), S. 111; Schweig (2009), S. 72f. 43 Schweig (2009), S. 76. 44 Dinges (2004), S. 105-107. 45 Schweig (2009), S. 49-54, 57f., 63-65, 68; Dinges: Hoffnungen (2011); Kessel (2001), S. 166. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Gesundheitsprobleme im Lebenslauf und ihre Lösung bis in die Weimarer Republik Der Gesundheitsstatus männlicher Kinder weist epidemiologisch einige Besonderheiten auf.46 Die Sterblichkeit männlicher Föten war und ist höher als die weiblicher. Das Gleiche gilt für Säuglinge, insbesondere bei Neugeborenen. Offenbar überstehen männliche Säuglinge pränatale Schädigungen weniger gut. Die Übersterblichkeit männlicher Säuglinge im ersten Lebensjahr stieg von 1881 bis 1949 von 117 auf 125 zu 100 Todesfällen bei weiblichen Babys und liegt seit 1980 ziemlich konstant bei 135.47 Übersterblichkeit der Jungen charakterisiert auch deren Kindheit.48 Bei den Säuglingen wirken sich offenbar biologische Vorteile des weiblichen Geschlechts aus. Eine bevorzugte Behandlung der männlichen Säuglinge – etwa durch längeres Stillen – ist schon für das 18. und 19. Jahrhundert nicht belegbar.49 Nicht gestillte Säuglinge starben bekanntlich signifikant früher, so dass entsprechende Stillkampagnen besonders vor dem Ersten Weltkrieg initiiert wurden.50 Seither sank die Säuglingssterblichkeit stetig, zunächst vor allem in den bessergestellten Schichten, insgesamt in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings etwas später als in vergleichbaren Ländern.51 Nach dem weitgehenden Wegfall von Atemwegs- und infektiösen Krankheiten seit den 1950er Jahren hatten Unfälle an der Übersterblichkeit von Jungen und männlichen Jugendlichen einen immer größeren Anteil. Kinderarbeit spielte schon während der Proto-Industrialisierung (ab 1770) eine Rolle; in der Hochindustrialisierung der 1870er Jahre arbeiteten dann regional 5 bis 10 % der 12- bis 14-Jährigen in je nach örtlicher Branchenstruktur unterschiedlichen Fabriken.52 Der Anteil der 15- bis 16-Jährigen war etwa dreimal so hoch. Sie verdienten doppelt so viel. Insgesamt entsprachen die arbeitenden Kinder etwa 10 % der Industriearbeiterschaft. Etwa 60 % dieser arbeitenden Kinder und Jugendlichen waren männlichen Geschlechts. Für 1898 weiß man, dass darüber hinaus etwa die Hälfte der in der staatlichen Enquête erfassten 532.000 Kinder außerhalb der Fabriken arbeitete. In den Städten waren viele als Laufburschen, in Gast- und Schankwirtschaften, die Mädchen als Austrägerinnen, auf dem Land vor allem in der Hausindustrie beschäftigt. Insgesamt stieg der Anteil arbeiten46 Umfassender dazu Schroll (2011). 47 Flaskämper (1962), S. 334, 339f.; Fortwengel (2002), S. 44, 46. 48 Zur Stadt-Land-Differenzierung s. Vögele (2001), S. 123f. 49 Knodel (1988), S. 76f., 84. 50 Stöckel (1996), S. 115f., 335. 51 Spree (1981), S. 59. 52 Boentert (2007), S. 121, 124, 320-325; Hardach (2006), S. 68-71; s. aber Knolz (1843), S. 15-18. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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der Jungen bis 1900 noch etwas an. Allerdings arbeiteten die meisten Kinder weniger als drei Stunden am Tag, so dass die Gesundheitseffekte schwer abschätzbar sind. Immerhin war aber knapp ein Viertel aller beschäftigten Kinder jünger als elf Jahre. In der Landwirtschaft arbeiteten 1904 wesentlich mehr Kinder mit. Auch hier überwog der Jungenanteil mit 60 %, außerdem wurden sie schon in jüngeren Jahren als die Mädchen eingesetzt.53 Arbeit in fremden Haushalten wurde dagegen zu zwei Dritteln von Mädchen geleistet. Der größte Teil der landwirtschaftlichen Arbeit fand in einem Monat im Sommer und bei der Kartoffelernte statt, so dass neben Belastungen durch schweres Heben sogar positive Gesundheitswirkungen denkbar sind. Die Kinderarbeit war in der Weimarer Zeit fast nur noch in der Landwirtschaft – mit immerhin 360.000 Kindern (1925) – bedeutsam und weckt bei den Betroffenen auch negative Erinnerungen.54 Von einem zwölfjährigen Bergbauernjungen wird noch für die 1950er Jahre überliefert, dass er trotz noch zu weicher Knochen das Melken übernehmen musste, was zu verwachsenen Händen führte. Wachstumsrückstände durch Nahrungsmangel wies er ebenfalls auf.55 Durch entsprechende Gesetze wurde die Kinderarbeit im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts weitgehend zurückgedrängt. Als klassische Krankheit der weiblichen Jugend und junger Frauen galt die »Bleichsucht« (Anämie), die mit der Menstruation in Verbindung gebracht wurde.56 Ebenfalls als typisch weiblich wurde die Schwindsucht der älteren Mädchen und jungen Frauen eingeschätzt. Diese nach Entdeckung des Erregers wissenschaftlich als Tuberkulose (TB) bezeichnete Krankheit war bis 1925 noch Ursache für ein Zehntel der Gesamtsterblichkeit. Die schlecht ernährten, ärmeren Teile der Bevölkerung steckten sich besonders häufig an. Im Ersten Weltkrieg erhöhte sich auch die TB-Kindersterblichkeit wieder erheblich.57 Allerdings waren die 15- bis 30-Jährigen die am stärksten betroffene Alterskohorte. Die Kindersterblichkeit an TB war nicht überproportional und ging durch bessere (Milch-)Ernährung vor 1914 besonders stark zurück, bei den Jungen bis in die 1920er Jahre schneller als bei den Mädchen. Mit der Ansteckungsgefahr kommen – etwas unerwartet – auch die Schulgebäude in den Blick. Man sollte sich nämlich die Schule um 1920 keineswegs nur als Ort von Gesundheitserziehung z. B. zu Mundhygiene und Zähneputzen oder von Reihenuntersuchungen vorstellen.58 Vielmehr mach53 Boentert (2007), S. 388f., 408f. 54 Langewiesche/Tenorth (1989), S. 80; Hoffmann (2009), S. 28. 55 Passrugger (1993), S. 35. 56 Hardach-Pinke (2000), S. 116-125; Stumm (1995), S. 61, 71. 57 Dietrich-Daum (2007), S. 249. 58 Hoffmann (2011). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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ten manche Lehrer ausgiebig von der Prügelstrafe Gebrauch, was zu Schülerselbstmorden in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg führte. Davon waren bei den unter 15-Jährigen viereinhalb mal mehr Jungen als Mädchen betroffen.59 Sie brachten sich großenteils aus Furcht vor Strafe um. Prügelstrafen spielten in den Schulen auch während der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik eine vieldiskutierte Rolle bei der »Erziehung«.60 Bereits um 1900 war die »Überbürdung« der Schuljugend, die als einer der Gründe für ihre »Nervosität« betrachtet wurde, ein großes Thema.61 Die Gebäude waren nach dem Urteil eines Schularztes während der 1920er Jahre in so schlechtem Zustand, »dass es keine Volksschule […] gibt, in der das Kind auch nur die elementarsten Reinlichkeitsvorschriften, das Händewaschen nach der Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse und vor dem Essen, befolgen kann. Weder die Zeit noch die Waschgelegenheit werden dafür zur Verfügung gestellt.«62 Systematische Untersuchungen dazu fehlen. Jedenfalls konnten sich auch in den zu engen Klassenräumen Schulkinder wieder z. B. mit TB anstecken. Das Problem entstand wegen der Bombenzerstörungen nach dem Zweiten Weltkrieg erneut. Insgesamt starben mehr Männer als Frauen an der TB. Allerdings waren bei den Kindern die Mädchen häufiger betroffen.63 Dies könnte mit der geschlechtsspezifischen Lebensführung zusammenhängen: Mädchen erhielten vielleicht gelegentlich etwas weniger (gutes) Essen als Jungen, sie blieben mehr im Haus und konnten sich bei der häuslichen Krankenpflege eher anstecken. Manchen Jungen kamen möglicherweise geschlechtsspezifische Privilegien bei der Ernährung – teilweise als Ausgleich, weil sie auf dem Feld oder in der Fabrik härter arbeiten mussten – zugute.64 Auch waren sie häufiger an der frischen Luft, was ihrer Gesundheit nutzte, und pflegten sehr selten Kranke. Man sieht, wie sich hier die größere Bewegungsfreiheit der Jungen, die als Geschlechterrolle zugeschrieben wird, indirekt gesundheitsförderlich auswirkt. Allerdings ist die romantische Stilisierung der TB als Krankheit von Mädchen oder jungen Frauen ein Beispiel für die Verstärkung geschlechtsspezifischer Stereotype von weiblicher Schwäche und langsamer Aufopferung. Sie werden durch die tatsächlich nur leicht höhere Mortalität nicht gedeckt, sondern entsprechen einem Bedarf an kontrastiven Geschlechterbildern.65 59 Eulenburg (1909), S. 170-172. Die Angaben zu den über 15-Jährigen sind weniger repräsentativ, da weniger weibliche Jugendliche die höhere Schule besuchten. 60 Schumann (2000), S. 34-43. 61 Schuschny (1895), S. 18. 62 Zadek (1948), S. 70. 63 Condrau (2000), S. 42. 64 Vorsichtig: Tanner (1999), S. 146; Willner (1999), S. 201f.; Hoffmann (2009), S. 166. 65 Hähner-Rombach (2000), S. 31f. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Im Ersten Weltkrieg verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Kinder ab 1916 massiv wegen der ungünstigen Ernährungslage. Die Gewichtsabnahme der Jungen auf dem Land war größer als die der Mädchen, denn Letztere mussten keine schwere landwirtschaftliche Arbeit leisten. Die Sterblichkeit der Kinder stieg 1917 und 1918, allerdings besonders grippebedingt, signifikant an – bei den Mädchen noch stärker als bei den Jungen.66 Parallel nahmen die »Aufsichtslosigkeit« der Jugendlichen und die Anzahl der verurteilten Straffälligen im Krieg schnell zu.67 Vorstellungen über den Gesundheitszustand sämtlicher Kinder und Jugendlicher in früheren Zeiten sind nicht leicht zu erhalten. Immerhin liegen für Jungen Angaben der Militärverwaltungen vor, die sich um die körperliche Verfassung ihrer Rekruten sorgten. Aufrechte Haltung und ein großer Brustumfang galten als Männlichkeitsindikatoren.68 Seit 1828 wurden in einer zeitweise aufgeheizten öffentlichen Debatte immer wieder Verschlechterungen des Gesundheitszustandes behauptet, die im 20. Jahrhundert dann als »Entartung« rassenbiologisch diskutiert wurden. Demgegenüber lässt sich zeigen, dass es allenfalls kurzfristige Schwankungen gab. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die 1920er Jahre galten durchgehend zwei Drittel bis 55 % aller Rekruten als tauglich. Immerhin fast die Hälfte der Jungen entsprach also nicht den Erwartungen des Militärs. Um den Jahrhundertwechsel diskutierte man die besseren Tauglichkeitsdaten der auf dem Land Geborenen, was mit Kritik an den Städten verbunden wurde. Aber auch diese Werte glichen sich später weitgehend aneinander an.69 Schweizer Erhebungen von 1913 belegen deutlich, dass Rekruten, die vorher geturnt hatten, wesentlich bessere Werte aufwiesen.70 Dementsprechend war eine Hauptforderung aus diesen Diskussionen, den Turnunterricht – sogar für beide Geschlechter – auszubauen, was auch geschah; Jungen turnten aber in den 1920er Jahren noch viermal so viel wie Mädchen.71 Der bayerische Generalstabsarzt Dr. v. Vogl wünschte, dass »beklagenswerte Geschöpfe […] gesunde und wehrfähige Männer werden«.72 Schulärzte setzten die ministeriell verfügte Teilnahme am Turnunterricht denn auch gegen Befreiungen von Privatärzten in den folgenden Jahren durch, indem sie ein schulärztliches Attest verlangten und ggf. besondere Übungen in der Sport-

66 Demm (2001), S. 80f. 67 Gräser (1995), S. 39f. 68 Rychner (1999), S. 40f. 69 Kaup (1925), S. 63, 68f.; Empter (1959), S. 598. 70 Kaup (1925), S. 86. 71 Kaup (1925), S. 94f.; Eisenberg (1993), S. 171. 72 Zit. n. Kaup (1925), S. 105. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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stunde statt Untätigkeit empfahlen. So hieß es: »Rückenschwächlinge bekommen zum Beispiel die Bemerkung ›viel Hang-, keine Stützübungen‹.«73 Von den Aktivisten der Wehrertüchtigung wurden für die 1920er Jahre Ergebnisse von Schulgesundheitsuntersuchungen zitiert. Danach hatten nur 40 % der Lehrlinge und 42 % der Schulkinder eine »gute Körperbeschaffenheit«, ohne dass man zu diesen selbst für die Nachkriegsjahre 1922/1924 etwas alarmistisch wirkenden Zahlen Genaueres erführe.74 Damals lastete man die Kriegsfolgen agitatorisch gern den Kriegsgegnern an. Jedenfalls wirkte sich die soziale Ungleichheit auch hier wieder in einem schlechteren Gesundheitszustand der Kinder aus den unteren Schichten aus.75 Diese soziale Differenzierung verschärfte sich während der Krisenjahre der Weimarer Republik nach 1922 weiter.76 Außerdem zeigte sich, dass in den beiden Lebensjahren nach dem Eintritt in eine Lehre mit 14 Jahren die angehenden Arbeiter gesundheitsmäßig gegenüber den Schülern weiter zurückfielen.77 Die von einem Kieler Stadtarzt veröffentlichten Befunde aus der zweiten Hälfte der 1920er Jahre über Lehrlinge, die über mehrere Jahre untersucht wurden, waren denn allerdings weniger dramatisch. Er resümierte, dass der Gesamtzustand der (männlichen) Jugendlichen keineswegs generell Halbtagsregelungen oder besondere Erholungsmaßnahmen verlange, auch wenn die Jungen gesundheitlich sehr ungleich entwickelt seien.78 Man konstatierte, dass die weniger kräftigen Jungen die nicht so anstrengenden Berufe wählten, wollte es aber nicht bei dieser beobachtbaren »Selbstselektion« bewenden lassen. Für die Berufsberatung wurde empfohlen, bei erkennbaren besonderen Krankheitsdispositionen bestimmte Berufe zu meiden. So sollte man z. B. Jungen mit Erkältungsneigung von einer Lehre als Schlachter oder Bäcker abraten; vor Haltungsgefährdungen wurde nicht nur bei einer Tischlerlehre gewarnt. Sport und Berufsarbeit seien in ein gegenseitig förderliches Gleichgewicht zu bringen. Für manche Jugendliche organisierte der Stadtarzt Milchzulagen, für wenige sogar die Verschickung in spezielle Jugenderholungsheime, die sie gleich auch noch vor dem schlechten Einfluss älterer Krankenkassenmitglieder in deren Erholungsstätten schützen sollte.79 Man sieht, wie ernst die Weimarer Republik die Aufgaben des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes von 1922 nahm.80

73 Büsing (1928), S. 453. 74 Kaup (1925), S. 74. 75 Gräser (1995), S. 69. 76 Schnell (1923), S. 26. 77 Teleky (1927), S. 20. 78 Büsing (1931), S. 348-351. 79 Büsing (1928), S. 453; Stralau (1959), S. 700. 80 Speitkamp (1998), S. 174. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Der lange Schatten der NS-Zeit Während des Zweiten Weltkrieges verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Gesamtbevölkerung durch Ernährungsmängel und schlechtere medizinische Versorgung vor allem für die älteren Jahrgänge. Für Säuglinge und Kinder, die besondere Zielgruppe gesundheitlicher Anstrengungen, galt das weniger. Allerdings stiegen besonders ab 1942 die Diphtheriefälle im Kindesalter stark an, wogegen schließlich massiv geimpft wurde.81 Bei den Jugendlichen verlangsamte sich das Größenwachstum deutlich. Chronisch Kranke wurden schlechter versorgt, geisteskranke Kinder ebenso wie die Erwachsenen ermordet. Die Hitlerjugend (HJ) und der Bund Deutscher Mädel förderten zwar Bewegung an der frischen Luft und Sportlichkeit – sogar im »Bann K« der Körperbehinderten der HJ –, allerdings mit dem kaum verhüllten Ziel, die jungen Männer dann im Krieg einzusetzen und schließlich zu »verheizen«. Die Musterungskriterien wurden so verändert, dass viel mehr Rekruten als früher als verwendungsfähig eingestuft wurden.82 In den Nachkriegsjahren beklagten die Ärzte unisono den kriegsbedingt sehr schlechten Gesundheitszustand der Schulkinder, der insbesondere die Flüchtlingskinder beträfe. Zeitnah beobachtete man in Untersuchungen zu einzelnen Landkreisen den deutlich schlechteren Zustand der 1948 Eingeschulten im Verhältnis zu den Schülern der 1930er Jahre. Das Ergebnis ist wenig erstaunlich für die direkte Nachkriegszeit, in der die Mädchen etwas bessere Werte aufweisen.83 Außerdem ist erkennbar, dass sich der Allgemeinzustand der Geburtsjahrgänge ab 1941 Jahr für Jahr verschlechterte.84 Die Ergebnisse werden in den 1950er Jahren langsam besser. Als »schlecht« wird nur noch der Gesundheitszustand von 8 bis 13 % der Schüler eingeschätzt. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede werden in größeren Untersuchungen an fast 4 Mio. Schülern bestätigt: Fußverkrümmungen, einfache Haltungsanomalien, fixierte Brustverbildungen und Wirbelsäulenverkrümmungen sind in dieser Rangfolge die wichtigsten Befunde, alle leicht erhöht bei den Knaben.85 Die »Bekämpfung der Haltungsschäden« steht entsprechend weit oben auf der Agenda der Jugendgesundheitspflege.86 Auch bei Schulanfängern und »Entlassschülern« weisen Mädchen durchgehend einige Prozent bessere Werte auf als die Knaben, was mit »hormonellen Steuerungsfaktoren der früheren Reife weiblicher Schulabgänger« be-

81 Süß (2003), S. 393, 399-401. 82 Neumann (2005), S. 157-168. 83 Schiedel (1949), S. 10; Jütte (1995), S. 401. 84 Meis/Sand (1957), S. 56. 85 Meis/Sand (1957), S. 75. 86 Thomsen (1960). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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gründet wird.87 Dies erklärt aber nicht die besseren Werte der Schulanfänger. Man gewinnt den Eindruck, dass die Ärzte selbst keine Antwort wissen. Immerhin nehmen sie den Unterschied überhaupt wahr und sind nicht mehr so geschlechterblind wie bei der Problematik der geringeren männlichen Lebenserwartung noch bis in die 1950er Jahre.88 Statt den Gründen für die Geschlechterdifferenz nachzugehen, beklagen sie Allgemeines: die »Auflösung der Familie«, »Überlastung mit Reizen«, die »Peitsche des Stadtlebens« und »Eltern ohne Zeit«89, den Verlust kindlichen Lebensraumes an den Verkehr und die Berufstätigkeit von Frauen. Allerdings sind weder die Werte für Kinder aus Haushalten mit Doppelberufstätigkeit noch diejenigen von Kindern Alleinerziehender schlechter als die der anderen – sie sind sogar besser als die Werte für Kinder aus »Alleinernährerfamilien«.90 Außerdem wird die »Entfremdung des Elternhauses« moniert, wodurch das »Schulkind unserer Tage in ungewöhnlicher Weise den extrafamilialen Einflüssen ausgesetzt« sei.91 Belastend sei die Suche nach »Ablenkung vor dem Fernsehschirm oder dem Radiogerät, der Schallplatte, dem Kinostreifen«.92 Es hieß, das Familiengespräch sei verstummt. Insgesamt enthalten diese Aussagen neben einigen Informationen vor allem Elemente der gängigen kulturpessimistischen Sicht vieler Ärzte auf Kindheit und Jugend, Urbanisierung, Frauenemanzipation und Moderne. Psychologen sahen die Lage schon 1960 viel weniger dramatisch.93 Bezeichnenderweise wird aber ein Thema gänzlich ausgespart, die psychischen Belastungen durch den Weltkrieg. Fliegeralarme, Ausbombungen, Evakuierung, Flucht, Vertreibung, Armut, langfristige Abwesenheit der Väter und anderer Bezugspersonen haben nach neueren Forschungsergebnissen langfristige psychische Folgen – bis in die dritte Generation.94 Es gab etwa 500.000 Kriegswaisen und ca. 20 Mio. Kriegshalbwaisen.95 Insgesamt muss man davon ausgehen, dass etwa 25 % der nach 1929 und bis 1948 Geborenen unter »lang anhaltenden« und ein weiteres knappes Viertel unter »dauerhaft beschädigenden Einflüssen Kindheit und Jugend erlebten«.96 87 Meis/Sand (1957), S. 48, 55. 88 Dinges (2008), S. 120. 89 Theopold (1959), S. 25, 27, 31, 35. 90 Walther (1954), S. 271; vgl. Sieder (2008), S. 61f. 91 Hellbrügge/Ruttenfranz/Graf (1960), S. 17f. 92 Stralau (1959), S. 699; zur Entwicklung des Medien- und Fernsehkonsums von Kindern s. Führ/Furck (1998), S. 184f. 93 Thomae (1960). 94 Franz/Hardt/Brähler (2007), S. 216, 225. 95 Dörr (2007), Bd. 1, S. 443. 96 Radebold (2005), S. 23. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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»30 % der Deutschen, die zwischen 1933 und 1945 geboren wurden, wuchsen kriegsbedingt ohne Vater auf.«97 Für die Geburtskohorte 1935 konnte exemplarisch gezeigt werden, dass die Vaterabwesenheit im weiteren Lebenslauf zu einer signifikant erhöhten Anfälligkeit für psychogene Erkrankungen bis heute führt.98 Für die Nachkriegszeit lässt sich außerdem belegen, dass die Jungen durch die Erfahrung der Ausbombung langfristig stärker traumatisiert waren als die Mädchen.99 Auch wiesen Jungen nach den Kohortensterbetafeln eine gegenüber den gleichaltrigen Mädchen geringere Lebenserwartung auf, weil sie offenbar durch die Kriegsereignisse stärker geschädigt wurden.100 Es muss ansonsten bisher dahingestellt bleiben, ob sie die Vaterlosigkeit stärker als die Mädchen belastete.101 Nach neueren Studien führt Vaterabwesenheit bei Jungen aber zu einer Verzögerung der körperlichen Entwicklung, während bei Mädchen das umgekehrte Phänomen beobachtet wurde.102 Jedenfalls liegen mittlerweile immer mehr Selbstzeugnisse zur Kriegserfahrung vor, die einer genderspezifischen Auswertung harren.103 Verfeinerte Bewertungskriterien und Betonung geschlechtsspezifischer Risikoneigung Die Mediziner bemängeln noch Ende der 1960er Jahre, dass die Gesundheit von Jugendlichen weiterhin völlig unzureichend erforscht sei. In einer Studie zur Berufseignung von Schulabgängern für die Schlüsselindustrie Bergbau werden dann aber sehr differenzierte Befunde vorgelegt, die die Voraussetzungen für eine Lehre, den besten Eintrittszeitpunkt sowie die – zunächst die körperliche Entwicklung verlangsamenden – Wirkungen der Bergbaulehre belegen. Als besonderes Problem wird herausgearbeitet, dass körperliche Schäden Jugendlicher zwar leichter entstehen, aber häufig erst sehr viel später zum Vorschein kommen.104 Gleichzeitig wird nun ein sehr viel differenzierteres Bild der körperlichen und psychischen Entwicklungsschübe und Labilitäten der Jugendlichen entworfen. Folgerichtig wird ein Arbeitsbeginn im Bergbau mit 16 statt 14 Jahren medizinisch befürwortet. Die Anzahl »ärztlicher Überwachungstermine« der Jugendlichen solle er97 Bode (2006), S. 53. 98 Franz/Lieberz/Schepank (2005), S. 53. 99 Brähler/Decker/Radebold (2005), S. 125. 100 Haudidier (1996), S. 149. 101 Schulz/Radebold/Reulecke (2004); Seegers (2009), S. 79. Eine Reanalyse der Daten lässt diese Annahme derzeit nicht zu. Mitteilung von Prof. Dr. Matthias Franz (Düsseldorf) vom September 2010. 102 Zinnecker/Silbereisen (1998), S. 359. 103 Dörr (2007), Bd. 2, S. 108ff. 104 Schwarz (1968), S. 6, 116, 131. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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höht werden. Die Gesundheitsforschung steht hier vor der Aufgabe, eine möglichst passgenaue Einfädelung der männlichen Jugendlichen in das besonders belastende Arbeitsleben des Bergbaus zu gewährleisten. Die Tradition einer Funktionalisierung der Jungmännerkörper – nun weniger für den Krieg als für die Produktivität – dauert an. Man muss hier daran erinnern, dass bis 1960 noch die Höchstarbeitszeiten von 48 Stunden für Jugendliche von 14 bis 18 Jahren galten und die Berufstätigenquoten sehr hoch waren.105 Jugendliche und junge Erwachsene sind bekanntlich besonders gefährdet, Opfer von Arbeitsunfällen zu werden, männliche Jugendliche dreieinhalb mal so häufig wie weibliche.106 Erklärt wird dies durch »Gefahrenblindheit«, »ungenügende Berufserfahrung« sowie »mangelnde Einsicht in die Forderungen des Unfallschutzes«, hinzu komme »Wettbewerbseifer und Expansionsdrang«, »gesteigerter Drang nach Gelderwerb, was nur durch hohe Akkordleistung verwirklicht werden kann«.107 Insgesamt ist das eine passgenaue Beschreibung eines expansiven Männlichkeitstyps, der in dieser Lebensphase besonders ausgeprägt sein dürfte. Allerdings wird dabei unzureichend beachtet, dass fast ausschließlich männliche Jugendliche die gefährlicheren Berufe ausüben. Gesundheitliches Risikoverhalten wird für den hier behandelten Zeitraum zu Recht ganz überwiegend den männlichen Jugendlichen zugeschrieben. Diese probieren in der Adoleszenz stärker auf diesem Weg ihre Möglichkeiten aus. Zwar wurde die Gesundheitsschädlichkeit des Rauchens erst seit der NS-Zeit breiteren Bevölkerungskreisen klar. Trotzdem ist hier der Tabakkonsum zu nennen, der während des 19. Jahrhunderts zu einer immer ausschließlicher männlichen Praxis und während der Weltkriege durch die Soldatenrationen noch enger mit Männlichkeit verbunden wurde.108 Auch wenn »die neue Frau« der 1920er Jahre in der Öffentlichkeit rauchte, um dieses Männerprivileg herauszufordern, griffen noch in der frühen Bundesrepublik sehr viel weniger Frauen zur Zigarette. Das war auch ein Ergebnis der stärker auf Frauen zielenden NS-Kampagnen gegen den Krebs.109 Erst seit den 1960er Jahren galten rauchende Ehefrauen und schließlich auch weibliche Jugendliche als akzeptabel. Als Initiationsritus scheint das Rauchen bei den Jungen langsam ausgedient zu haben. Bis 1984 rauchten bereits 40 % der weiblichen Jugendlichen gegenüber 48 % der männlichen.110 Seit Ende der 1990er Jahre beginnen mehr Mädchen als Jungen zu rauchen. 105 Kurme (2006), S. 96f. 106 Stumm (1995), S. 78. 107 Mutschler (1954), S. 52. 108 Dinges: Rauchen (2011). 109 Proctor (2002), S. 304. 110 Zinnecker (1987), S. 241. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Beim Alkohol sind die kulturelle Bedeutung des Konsums für die Männlichkeitsperformanz und die Chronologie ähnlich. Nach einem Höhepunkt um ca. 1900 sank der Alkoholkonsum langfristig und stieg dann bei Jugendlichen in den 1960er Jahren stark an – aber weit unter den Stand vom Anfang des Jahrhunderts.111 Durch Alkohol direkt oder indirekt ausgelöste Gesundheitsfolgen sind bei jungen Männern vielfach höher und wirkten (und wirken) sich sogar in einer erhöhten Sterblichkeit, insbesondere durch Unfälle und Verletzungen männlicher Jugendlicher, aus. Hier ist zu beachten, dass der Konsum hochprozentiger Alkoholika männertypisch ist und bleibt. Die Bedeutung des Drogenkonsums ist vor 1970 nicht hoch, allerdings ebenfalls eher ein »Privileg« der männlichen Jugend. Dass es die Geschlechtsrollenzuschreibung den männlichen Jugendlichen lange ausschließlich, dann immer noch ganz überwiegend erlaubte, ihre »negativen Freiheiten« rauchend und trinkend zu nutzen, zeigt gerade im Vergleich zur aktuellen Angleichung der Verhaltensweisen, wie stark sich hier kulturelle Faktoren auf das Gesundheitsverhalten auswirken. Das gilt etwa auch für die Sportbeteiligung, die sich nach einem starken Schub in den 1970er Jahren zwischen Mädchen und Jungen mittlerweile weitgehend angeglichen hat.112 Allerdings war die Selbsttötungshäufigkeit bei männlichen Jugendlichen und jungen Männern (15-25 Jahre) 1980 noch etwa drei- bis viermal so hoch wie bei weiblichen Jugendlichen und jungen Frauen.113 Gesundheitsangebote und Inanspruchnahmeverhalten Es gibt nur wenige Angaben über die Nutzung ärztlichen Rates durch Kinder und Jugendliche in früheren Zeiten. Kinder, vor allem unter fünf Jahren, sind schon im 18. Jahrhundert durchaus in den Arztpraxen vertreten.114 Schließt man die Jugendlichen bis 14 Jahre ein, dann sind Werte um und über 10 % Kinderanteil unter allen Patienten häufig. In der Regel wird in den wenigen Studien zur Arztnutzung aber lediglich der Anteil der »Kinder« angegeben, praktisch nie differenziert nach dem Geschlecht.115 Deshalb sind die Ergebnisse zu einem Südtiroler Landbezirk, dem Tauferer Ahrntal, wichtig: Dort werden männliche Säuglinge im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtpopulation in den 1860er Jahren etwas häufiger bei dem Arzt Ottenthal vorgestellt als weibliche.116 Das hat sich mittlerweile auch für die 1890er Jahre bestätigt. Es könnte tatsächlich auf eine höhere 111 Berger/Legnaro/Reuband (1980), S. 30; schon vor 1900 empfahlen die Zeitgenossen als Gegenmittel den Sport, vgl. Stumpf (1899), S. 13f. 112 Zinnecker (1987), S. 220; Zinnecker/Silbereisen (1998), S. 105f. 113 Gesundheitsberichterstattung des Bundes, gestaltbare Tabelle »Sterbefälle (19801997)«, Suchwort »Selbsttötung«: http://www.gbe-bund.de (letzter Zugriff: 2.3.2011). 114 Ritzmann: Sorgenkinder (2008), S. 114, 124. 115 Dinges (2007), S. 303. 116 Unterkircher (2007), S. 54, 70. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Inzidenz von Krankheiten verweisen, möglicherweise spiegelt es aber auch die Tendenz der Mütter wider, die Beschwerden von Jungen – als imaginierten »Stammhaltern« – etwas ernster zu nehmen. Zu den späteren Altersgruppen stehen die Untersuchungen noch aus. Interessant ist in diesem Zusammenhang, was ein Kieler Stadtarzt über das Inanspruchnahmeverhalten von männlichen Lehrlingen in den 1920er Jahren mitteilt: Die Sprechstunde sei seit ihrer Einrichtung im Jahr 1924 immer häufiger in Anspruch genommen worden, nachdem man durch Reihenuntersuchungen das Interesse geweckt habe (von 117 auf 979 Lehrlinge 1927). Offenbar wachse das Interesse der reiferen Jugendlichen an ihrer Gesundheit.117 Zweckmäßige Angebote werden also gern genutzt. Seit den 1960er Jahren werden weibliche Jugendliche ab der Pubertät häufiger dem Arzt bzw. dem Frauenarzt vorgestellt, männliche Jugendliche fast nur noch wegen (Sport-)Unfallfolgen. So erlernen junge Frauen, den Arzt regelmäßig zur Vorsorge aufzusuchen, junge Männer brauchen ihn nur zum Zweck der »Reparatur« bei Bedarf. Spezielle Kinderabteilungen in Krankenhäusern gibt es in Deutschland seit dem zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts. Wie auch sonst bildet sich die medizinische Fachdisziplin der Pädiatrie in diesem Rahmen weiter aus. Verdauungs- und Ernährungsbeschwerden der Säuglinge standen im Vordergrund der deutschen Forschungen.118 Über die geschlechterspezifische Inanspruchnahme der Kinderkliniken – wie etwa in Würzburg seit den 1840er Jahren – ist nichts bekannt. Unter den behandelten Krankheiten ließen sich dort keine signifikanten geschlechterspezifischen Differenzen ausmachen.119 Die Kinderpsychologie entstand schon vor der Jahrhundertwende, die Kinderpsychiatrie vor dem Ersten Weltkrieg.120 Das »Spitzbubengesicht« und der »Phantasielügner« sind nur zwei der fragwürdigen Erfindungen ihrer eugenisch desorientierten Forschungen, die manchen Jungen zum Kranken umdefinierten.121 Bis in die Gegenwart sind die Gesundheitsempfehlungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung allerdings viel seltener an Jungen als an Mädchen gerichtet. Immerhin wird bei Materialien zu Gesundheitsrisiken in der Pubertät geschlechterspezifisch »aufgeklärt«. Das liegt allerdings schon wegen der betroffenen Organe sehr nahe. Demgegenüber fehlte ein solcher Zugang noch bei den meisten anderen Kampagnen – wie z. B. gegen das Rauchen oder den Alkoholmissbrauch – bis vor wenigen Jahren.122 117 Büsing (1928), S. 451. 118 Neimann/Pierson (1986), S. 2460. 119 Tomsevic (2003), S. 103, 107. 120 Wiesbauer (1982), S. 139, 167; Neimann/Pierson (1986), S. 2464; Castell u. a. (2003). 121 Ritzmann: Ohren (2008), S. 77, 90. 122 Moses [in Vorbereitung]. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Rauchen hat für Jungen und Mädchen aber teilweise ganz unterschiedliche Funktionen, die gendersensibel in den Blick genommen werden müssten.123 Fazit Aufgrund des begrenzten Raumes konnten hier nicht die besonderen Problemlagen von Jungen vertieft werden, die durch Armut, Illegitimität, Kindesaussetzung, als Ziehkind, nach Kindesmisshandlung oder für behinderte Kinder, als Fürsorgezöglinge124, Psychiatrieinsassen – immerhin fast 10 % Kinder und Jugendliche im 19. Jahrhundert125 – oder bei anderen Anstaltsinsassen entstanden. Auch die Kriegspsychiatrie, die ja oft noch sehr junge Männer betraf, wurde ausgeklammert.126 Die genannten Problemlagen sind aber häufig gesundheitlich sehr belastend und würden besonders hinsichtlich ihrer geschlechterspezifischen Ausprägung grundlegender Forschung bedürfen. Für spezifische Belastungen durch die Entdeckung der eigenen Homosexualität gilt dies auch.127 Insgesamt zeigen sich bei einer geschlechterspezifischen Betrachtung von Gesundheit und Krankheit im Kindes- und Jugendalter neben Gemeinsamkeiten auch deutliche Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen. Viele Probleme haben sich zwar mittlerweile durch die wirtschaftliche, soziale und medizinische Entwicklung erledigt, aber immer wieder fällt für die Zeit von 1780 bis in die Gegenwart der schlechtere Gesundheitsstatus der Jungen und männlichen Jugendlichen auf. Das galt und gilt teilweise weiter für Säuglinge, bei der Kinderarbeit, bei der Industriearbeit und den Arbeitsunfällen, Wehrpflicht und Kriegseinwirkungen. Dieser schlechtere Gesundheitszustand hing teilweise mit größeren Belastungen aufgrund der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung, teilweise mit einer höheren Risikoneigung zusammen. Dem standen bis in die 1960er Jahre geschlechtsspezifisch größere Freiräume für Bewegung und Sport gegenüber, die sich gesundheitsförderlich auswirken konnten. Nur detailliertere Studien, die die jeweiligen Kontexte der sich verändernden Kindheiten – etwa generationenweise – von der Straßenkindheit der 1890er Jahre bis zur Fernseh- und GameboyKindheit unserer Tage in den Blick nähmen, könnten die geschlechterspezifischen Gesundheitswirkungen angemessen charakterisieren.128 Diese bleiben ein Forschungsdesiderat. 123 Dinges: Rauchen (2011). 124 Langewiesche/Tenorth (1989), S. 314: 59 % Jungen 1925; Anfang der 1930er Jahre liegt der Wert bei 55,5 %, s. Gräser (1995), S. 175. 125 Nissen (2005), S. 124. 126 Hofer (2003), bes. S. 171, 177, 254. 127 Plöderl (2004), S. 52. 128 Behnken/Du Bois-Reymond/Zinnecker (1989), S. 12f., bietet für die Konzeptualisierung Hinweise. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

Die Geschichte des Alters in der Moderne: Stand der deutschen Forschung Bettina Blessing Summary The History of Ageing in Modern Times according to Current German Research Historical research into ageing has gained importance since the end of the last century. While in the past ageing used to be mostly the object of historical demographics and historical family research, a number of branches within historical science are now interested in the topic. So far, research has focused on various pension systems, on demographic changes and old age poverty. Other points of interest are the care within or outside of the family and the resulting life conditions, for example in the “sick houses” (Siechenhäuser). The construction of age-related images also plays an important part. Medical discourses on the various concepts of age also represent a wide field of historical research.

Einführung Die Beschäftigung mit dem Alter hat in Deutschland seit den 1970er Jahren mehr und mehr an Bedeutung gewonnen.1 Das Interesse an dieser Thematik ist u. a. auf die zunehmende Überalterung der Gesellschaft zurückzuführen: Steigende Lebenserwartungen bei gleichzeitig sinkenden Geburtenraten führen zu einer Zunahme »älterer« Menschen und stellen die Gesellschaft vor neue Probleme.2 Zudem wird das Interesse am Alter durch die Erörterung in den Medien, etwa in Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehen, gefördert.3 Allgemein wird davon ausgegangen, dass öffentliche Altersbilder die Wahrnehmung und Beurteilung von älteren Menschen, die sozialen Interaktionen wie auch die Einstellungen gegenüber dem eigenen Alternsprozess und der persönlichen Lebenssituation beeinflussen und somit ein entsprechendes Problembewusstsein wecken. 1

Bis zum Ersten Weltkrieg war die »Überalterung« bzw. »Vergreisung« der Gesellschaft im Allgemeinen noch kein Thema. Erst als man sich während des Kriegs mit den Ursachen und Folgen des Geburtenrückgangs auseinandersetzte, wurde auch über den Zusammenhang von Altersstruktur und Bevölkerungsgröße diskutiert. Zu den Protagonisten gehörte der Bevölkerungsstatistiker Friedrich Burgdörfer (1890-1967), der 1932 das Buch »Volk ohne Jugend« herausgab, das auf große Resonanz stieß. Vgl. allgemein hierzu Bryant (2010), S. 50.

2

»Die Hälfte der Deutschen wird voraussichtlich im Jahre 2050 über 50 Jahre sein, die über 60-Jährigen ein Drittel der Bevölkerung ausmachen; d. h. ca. 37% […] der Gesamtbevölkerung wird über 60 Jahre und älter sein. Zurzeit sind es ca. 25%. Die Zahl der über 80-Jährigen wird sich verdreifachen. Man geht davon aus, dass nur noch 12 Millionen (heute 17 Millionen) jünger als 20 Jahre sein werden. Der Anteil an der Gesamtbevölkerung der 20-Jährigen beträgt nach dieser Prognose […] im Jahr 2050 lediglich ca. 16%.« Vgl. Sostmann (2008), S. 3.

3

Vgl. hierzu entsprechende empirische Untersuchungen bei Thimm (2009), S. 155. Zur Definition der Altersbilder s. weiter unten (S. 135).

MedGG 29 • 2010, S. 123-150 Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen © Franz Steiner Verlag Stuttgart

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Bettina Blessing

Das Alter in forschungsgeschichtlicher Perspektive Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die wissenschaftliche Erforschung des Alters lange Zeit fast ausschließlich in den Kompetenzbereich der Medizin fiel.4 Seit dem 18. und 19. Jahrhundert gibt es eine Reihe wissenschaftlicher Studien über Altersveränderungen und über spezifische Alterskrankheiten sowie allgemein über das Greisenalter. Aufgrund der Erkenntnis, dass es sich bei dem Alterungsprozess um einen sehr komplexen Vorgang handelt, wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Forderungen nach einem interdisziplinären Ansatz erhoben. Vor allem waren es die USA, die die Vorreiterrolle zur wissenschaftlichen Erforschung des Alters übernahmen.5 Allerdings wurde die Gerontologie auch in den Vereinigten Staaten noch lange von der biologischmedizinischen Sichtweise bestimmt, einige Konzessionen wurden lediglich der physiologisch orientierten Psychologie eingeräumt, während die Sozialwissenschaften grundsätzlich noch ausgeschlossen blieben.6 Erst in dem 1946 gegründeten Journal of Gerontology hob man den multidisziplinären Charakter explizit hervor; gefordert wurde, dass sowohl die Naturwissenschaften als auch die Sozialwissenschaften einen Beitrag leisten sollten.7 Auf dem ersten Kongress der 1945 gegründeten »Gerontological Society«, der im Jahr 1947 stattfand, beschloss man, nicht nur das Alter, sondern auch das Altern in den Fokus zu rücken.8 In Deutschland lassen sich vor der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, abgesehen von psychiatrischen Fragestellungen, nur vereinzelt Ansätze zur

4

Vgl. den historischen Abriss der medizinischen Studien des 18. und 19. Jahrhunderts bei Lehr (2000), S. 5, 12-15, und bei Daniel Schäfer (2004), S. 32-167.

5

1928 wurde in Kalifornien an der Stanford-Universität das erste größere Institut zur Erforschung des Alters gegründet. Lehr (2000), S. 16f.

6

Lehr (2000), S. 19. Einer der Gründe, warum sich beispielsweise die Soziologie erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Alter intensiver beschäftigte, wird darin gesehen, dass das Alter als demographischer Faktor und somit auch als gesellschaftliches Problem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erst nach und nach anfing, eine bedeutendere Rolle zu spielen. Nach 1950 wuchs die soziologische Altersforschung dann aber rasch; ab 1960 begann sich in Deutschland ein eigener Forschungsbereich, nämlich die Alterssoziologie, zu etablieren. Clemens (1999), S. 341-345; Prahl/Schroeter (1996), S. 23f.; Heinz (1993).

7

Karl (1999), S. 32f.

8

Unter Gerontologie wird die Altersforschung verstanden. Abgeleitet wird der Begriff von »Geron«, das bedeutet Alter bzw. Greis, und »Logos«, das heißt Lehre. Die Gerontologie ist die Wissenschaft, die sich mit den körperlichen, seelischen und sozialen Vorgängen des Alters auseinandersetzt. Geriatrie ist dagegen die Lehre von den Krankheiten des alternden Menschen (Altersheilkunde). http://www.medizinfo.de/ geriatrie/alter/gerontologie_geriatrie.shtml (letzter Zugriff: 25.2.2011); Lehr (2000), S. 20. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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gerontologischen Forschung aufzeigen.9 Zu den Ausnahmen gehört die im Jahre 1938 von dem Internisten Max Bürger in Leipzig gegründete »Deutsche Gesellschaft für Altersforschung«, die 1939 in »Deutsche Gesellschaft für Alternsforschung« umbenannt wurde.10 Diese erste gerontologische Gesellschaft war ein Zusammenschluss von Geriatern und somit eine medizinische Vereinigung. Die Teilung Deutschlands führte dazu, dass es auch zwei Gesellschaften zur Erforschung des Alters gab; d. h. die von Max Bürger begründete Tradition wurde sowohl in der DDR als auch in der BRD fortgeführt.11 Beide Gesellschaften zeichneten sich jedoch bis zum Ende der 1960er Jahre durch eine überwiegend biologisch-medizinische Orientierung aus.12 Eine fruchtbare Zusammenarbeit der unterschiedlichen Disziplinen ergab sich nach dem Urteil von Ursula Lehr in Westdeutschland erst nach 1967, als sich die Deutsche Gesellschaft für Alternsforschung neu konstituierte.13 9

Lehr (2000), S. 18, 20. Der Begriff »Geriatrie« wird auf Ignatius Leopold Nascher (1863-1944), den »Vater der medizinischen Altersforschung« und »Pionier der Sozialmedizin«, zurückgeführt. Nascher sah in alten Menschen nicht vorrangig Kranke, sondern eine besonders zu »betreuende Altersgruppe«. Bei seinem Konzept handelt es sich in einem gewissen Sinn um eine Gegenbewegung zur klinisch-pathologischen Medizin des 19. Jahrhunderts, die zunehmend den alten Menschen entdeckte und ihn unter dem Aspekt von Krankheit und Verfall betrachtete. »Nascher hingegen betonte die natürliche Involution bis hin zum Alterstod […].« Schäfer/Moog (2005), S. 2720. Der Begriff der Gerontologie, der vor dem Zweiten Weltkrieg nur selten gebraucht wurde, wird sowohl Elie (Ilja) Metschnikow (1845-1915), russischer Nobelpreisträger und Direktor des Pasteur-Instituts in Paris, als auch dem russischen Forscher Nikolai A. Rybinikow (Lebensdaten unbekannt) zugeschrieben. Vgl. hierzu Karl (1999), S. 32f.

10 Allerdings hatte sie schon einen Vorläufer in den von Josef Kluger herausgegebenen vier Heften Altersforschung. Untersuchungen und Berichte über Lebensdauer, Altern und Tod von 1935 bis 1937. Vgl. Conrad (1994), S. 433. 11 »Da die ›Keimzelle‹ der Deutschen Gesellschaft für Alternsforschung in Leipzig lag, und Leipzig jetzt zur DDR gehörte, wurde sie dort zunächst weitergeführt, und zwar bis 1964. 1966 wurde die ›Gesellschaft für Alternsforschung der DDR‹ ihre Nachfolgerin. Ihr erster Präsident wurde ein Schüler von Max Bürger, Werner Ries. Ries übernahm 1969 den ersten Lehrstuhl für Innere Medizin und Gerontologie an der Universität Leipzig. Er förderte, ebenso wie sein Kollege Friedrich-Horst Schulz in Berlin, trotz schwieriger Arbeitsbedingungen die gerontologische Forschung. Besonders der Gedanke der Interdisziplinarität der Gerontologie bestimmte die Arbeit der neuen Gerontologenvereinigung in der DDR. Im Jahr 1977 erfolgte dem internationalen Trend folgend die Umbenennung in ›Gesellschaft für Gerontologie der DDR‹.« http://www. dggg-online.de/wir/geschichte.php (letzter Zugriff: 25.2.2011). Hervorhebungen im Original. 12 Ausführlich hierzu Karl (1999), S. 33. 13 Angestoßen wurde die wissenschaftliche Alternsforschung auch durch Probleme der Praxis und durch die Sozialgesetzgebung, wie die Verabschiedung des Bundessozialhilfegesetzes 1961, in dem schon psychosoziale Aspekte in den Blickwinkel gerieten. Die Einrichtung des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA) in Köln im Jahr 1962, das unter der Schirmherrschaft des jeweiligen Bundespräsidenten steht, belegt zudem Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Bei dem ersten Kongress in Nürnberg wurde diese umbenannt in »Deutsche Gesellschaft für Gerontologie« (DGG) und schloss nun auch eine Sektion der Psychologie und eine der Soziologie mit ein.14 Deutschland war bei dieser Entwicklung allerdings im Rückstand. Schon 1950 war auf einem Kongress in Lüttich die »International Association of Gerontology« gegründet worden, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, mit Hilfe unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen den Alterungsprozess zu erforschen.15 Nach der Wiedervereinigung Deutschlands schlossen sich 1991 die beiden wis-

das Interesse, das dem Alter und den damit verbundenen Problemen entgegengebracht wurde. Im Kölner Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik unter Otto Blume (1919-1987) wurden empirische Bestandsaufnahmen zur Lebenssituation älterer Menschen und zur Altenhilfe erstellt. 1974 entstand das Deutsche Zentrum für Altersfragen (DZA) in Berlin mit Aufgaben der Aufbereitung, Verbreitung und kritischen Sichtung gerontologischen Wissens. Vgl. hierzu auch Karl (1999), S. 34-36. http://www.kda.de/geschichte.html (letzter Zugriff: 25.2.2011); http://www.dza.de (letzter Zugriff: 25.2.2011). 14 »Als Initiatoren der neuen Gesellschaft gelten weitere Kollegen von Max Bürger, nämlich der Pathologe Erich Letterer aus Tübingen, der Internist Adolf Störmer aus München und der Nürnberger Internist René Schubert, der auch der erste Präsident der DGG wurde und dieses Amt bis zu seinem Tod im Jahr 1977 innehatte. René Schubert war es auch, der den ersten Lehrstuhl für Geriatrie in der Bundesrepublik übernahm (1970). Entsprechend dem von der DGG vertretenen Verständnis von Gerontologie arbeiteten von Beginn an Nicht-Mediziner tatkräftig und erfolgreich in der Gesellschaft mit, etwa der Soziologe Karl Specht (Nürnberg) und der Psychologe Hans Thomae (Bonn) […].« http://www.dggg-online.de/wir/geschichte.php (letzter Zugriff: 25.2.2011) und Lehr (2000), S. 20f. Hervorhebungen im Original. Lang ist jedoch der Ansicht, dass die Gesellschaft unter dem Präsidenten Schubert weiterhin stark medizinisch ausgeprägt blieb und es erst Hans Thomae war, der als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie die Interdisziplinarität vorantrieb. Lang (1999), S. 258. 15 »Von diesem Gedanken waren die Themen der Kongresse geprägt, die von beiden deutschen gerontologischen Gesellschaften in der Folgezeit regelmäßig veranstaltet wurden. Als ein Höhepunkt sei hervorgehoben, daß die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie (DGG) im Jahr 1981 der Gastgeber des 12. Weltkongresses der International Association of Gerontology (IAG) in Hamburg gewesen ist. Der Vorsitzende dieses Kongresses, Hans Thomae, war von 1981-1983 Präsident der IAG, zuvor drei Jahre Präsident der DGG. Die jeweiligen Kongreßberichte belegen die Fülle der aufgegriffenen Themen und die hohe Qualität der sich entwickelnden interdisziplinären Gerontologie in Deutschland. Die DGG schuf sich im übrigen bald ein eigenes, regelmäßig erscheinendes Publikationsforum in der ›Zeitschrift für Gerontologie‹, die ab 1968 erschien, ferner ein Publikationsorgan zur Veröffentlichung ausgewählter Kongressreferate namens ›actuelle gerontologie‹. Auch wurde 1988 von Wolf D. Oswald und Siegfried Kanowski die interdisziplinäre ›Zeitschrift für Gerontopsychologie & -psychiatrie‹ gegründet. Es kann kein Zweifel bestehen, daß diese Zeitschriften eine erhebliche Verbesserung der Möglichkeiten zur Publikation gerontologischer Arbeiten darstellten und auf diese Weise ihren Beitrag zum Aufschwung der Gerontologie in Deutschland beigetragen haben und auch weiter beitragen.« http://www.dggg-online.de/wir/geschichte.php (letzter Zugriff: 25.2.2011). Hervorhebungen im Original. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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senschaftlichen Gesellschaften zusammen und nennen sich seitdem »Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie« (DGGG).16 Zu den Disziplinen, die einen Beitrag zur Sozialgerontologie leisten können, zählte 1978 der renommierte Wiener Soziologe Leopold Rosenmayr die Soziologie, die Sozialökonomie, die Politologie, die Psychologie, die Sozialökologie und die Psychiatrie. Dass er die Geschichtswissenschaft nicht nannte, beruhte jedoch keineswegs auf Vorurteilen, sondern spiegelte den damaligen Stand der deutschen Forschung zu dieser Thematik wider.17 Erst langsam begann sich die Historiographie zum Ende der 1970er und 1980er Jahre mit dem Alter auseinanderzusetzen.18 Es war in Deutschland vor allem die damals neue Sozialgeschichte − bzw. vorrangig waren es die Historische Demographie und die Historische Familienforschung −, die das Alter zwar nicht in den Mittelpunkt ihrer Forschung rückte, aber doch mit berücksichtigte. Die Vorreiterrolle gebührt allerdings Forschern aus Amerika und England; erwähnt seien hier z. B. die Studien von Tamara K. Hareven (»The last stage: historical adulthood and old age«), David Hackett Fischer (»Growing old in America«), Wilbert Andrew Achenbaum (»Old age in the new land: the American experience since 1790«), Michael Zimmerman (»Old age poverty in pre-industrial New York City«), Peter Laslett (»The history of aging and the aged«), John Demos (»Old age in early New England«), Keith Thomas (»Age and authority in early modern England«) und Peter N. Stearns (»Old age in European society«).19 Zu den Pionieren in Deutschland gehörten Arthur E. Imhof mit seinen demographischen Studien und Michael Mitterauer mit seinen Arbeiten zu Haushalt und Familie.20 Geweckt wurde das Interesse an der Geschichte des Alterns und des Alters aber auch durch die Beiträge anderer wissenschaftlicher Disziplinen, wie der Soziologie, Psychologie, Volkskunde, Kunst- und Literaturwissenschaft.21

16 Ihr Publikationsorgan heißt heute Zeitschrift für Gerontologie und http://www.dggg-online.de/wir/geschichte.php (letzter Zugriff: 25.2.2011).

Geriatrie.

17 Rosenmayr/Rosenmayr (1978), S. 25f.; Mitterauer (1982), S. 9. 18 An dieser Stelle sei auch auf die Beiträge aus der Volkskunde verwiesen; so war schon 1972 das Buch von Rudolf Schenda über »Das Elend der alten Leute« erschienen. In seinem Aufsatz »Bewertungen und Bewältigungen des Alters aufgrund volkskundlicher Materialien« von 1983 verweist Schenda darauf, dass ein führender Schweizer Volkskundler besagte Studie mit der Bemerkung zurückgeschickt hatte, er könne das Buch nicht rezensieren (lassen), da es sich nicht um ein Thema der Volkskunde handle. Vgl. Schenda (1972) und Schenda (1983), S. 59. 19 Fischer (1978); Laslett: History (1977); Hareven (1976); Hareven (1978); Achenbaum (1978); Zimmerman (1976); Demos (1978); Thomas (1976); Stearns (1977); Conrad: Altwerden (1982), S. 73. 20 Imhof (1977); Imhof (1981), S. 9-62; Mitterauer (1982). 21 Borscheid: Altersforschung (2004), S. 360; Conrad (1994), S. 41. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Das Alter in der Geschichtswissenschaft Bedeutend für die deutschsprachige Geschichtsforschung wurde der 1982 von Helmut Konrad herausgegebene Sammelband »Der alte Mensch in der Geschichte«. Dieses Buch war anlässlich des »Jahres der älteren Generationen« in Österreich erschienen und machte zugleich deutlich, dass der »alte Mensch« lange Zeit ein Forschungsobjekt der Medizin gewesen war. Die Beiträge in diesem Band behandeln das Alter unter politik- und sozialgeschichtlichen sowie unter medizinhistorischen Aspekten. Michael Mitterauer benannte in seinem Aufsatz »Problemfelder einer Sozialgeschichte des Alters« erstmals die Themenfelder einer Altersgeschichte und verwies darauf, welche Beiträge die Geschichte zur Erforschung des Alters leisten könne.22 Innerhalb der Geschichtswissenschaft haben sich neben der schon erwähnten Historischen Familienforschung und der Historischen Demographie weitere Teildisziplinen mit dem Alter beschäftigt. Allerdings begannen sich im Laufe der Zeit die Grenzen der unterschiedlichen Forschungsrichtungen, etwa zwischen der Ideen- und Mentalitätsgeschichte sowie der Diskursgeschichte, zunehmend zu verwischen, und die Begriffe wurden nahezu beliebig verwendet, was dazu führte, dass Forscher, wie Kenan H. Irmak in seiner Arbeit »Der Sieche« von 2002, ungeachtet »disziplinärer Revierabgrenzungen« auf die Demarkation von Institutionen-, Wissenschafts-, Sozial-, Kultur-, Alltags-, Mentalitäts-, Ideen- und Sozialgeschichte zu verzichten begannen.23 Jedoch gibt es in der jüngsten Vergangenheit Bemühungen – und hierfür stehen Josef Ehmer und Gerd Göckenjan −, die Sozial- und die Kulturgeschichte und ihre Subdisziplinen, wie noch zu zeigen sein wird, in der Historischen Altersgeschichte zu definieren und zu systematisieren.24 Sozialgeschichte des Alters Die Anfänge der sozialhistorischen Alterns- und Altersforschung sind in Deutschland auf den Beginn der 1980er Jahre zu datieren.25 Am Anfang stand u. a. die 1982 vom Deutschen Zentrum für Altersfragen veranstaltete Tagung zu dem Thema »Gerontologie und Sozialgeschichte – Wege zu einer historischen Betrachtung des Alters«.26 Vertreter ganz unterschiedlicher Disziplinen befassten sich unter sozialhistorischer Perspektive mit den »Alltagswirklichkeiten«. Als Vorbilder hatten interdisziplinäre Kolloquien und 22 Mitterauer (1982). 23 Vgl. z. B. zum unkritischen Umgang mit dem Begriff der Diskursanalyse in Deutschland Jütte (2002), S. 307; Irmak (2002), S. 12. 24 Göckenjan: Diskursgeschichte (2007), S. 126-129; Ehmer (2008); Brantl/Ehmer/ Höffe/Lausecker (2009), S. 236-241. 25 Borscheid: Altersforschung (2004), S. 361. 26 Conrad/Kondratowitz (1983), S. 4f. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Projekte, wie dasjenige des amerikanischen Historikers David Van Tassel, »Human Values and Aging« (1972), oder das 1977 gestartete schwedische Forschungsprogramm »The Elderly in Society – Past, Present and Future« gedient.27 Erwähnt seien auch die in der Maison des Sciences de l’homme von Arthur E. Imhof 1979 veranstaltete Tagung »Ursachen und Folgen der zunehmenden durchschnittlichen Lebenserwartungen seit dem 17. Jahrhundert« sowie die 1981 von Anne-Marie Guillemard geleitete Konferenz zu dem Thema »Old Age and Public Social Politics. The Development and Social Consequences of Policies on Ageing in Industrial Countries«.28 Einen Schwerpunkt der sozialhistorischen Alters- und Alternsforschung bildet die Historische Familienforschung, eine Subdisziplin der Sozialgeschichte, die sich seit den 1970er Jahren in Deutschland mit der Analyse von Familien- und Haushaltsstrukturen sowie mit sozialen und familialen Netzwerken beschäftigt. In diesem Kontext fand auch der alte Mensch Berücksichtigung.29 Die Historische Familienforschung wurde in einem hohen Maße von der angloamerikanischen und französischen Forschung beeinflusst: Genannt seien hier z. B. die Studien von Tamara K. Hareven (»Transitions. The family and the life course in historical perspective«), Peter Laslett (»Characteristics of the Western family considered over time«), John Demos (»Old age in early New England«), Jean Cuisenier (»Le cycle de la vie familiale dans les sociétés européennes«) und Jean-Louis Flandrin (»Familles – Parenté, maison, sexualité dans l’ancienne société«).30 Die Historische Familienforschung stellte Fragen nach Lebensformen und Lebenslagen sowie nach dem Rückgang und dem Erhalt von »Autorität und Autonomie« im Alter und thematisierte die Folgen einer reduzierten Teilnahme bzw. einer Nichtteilnahme an der Arbeitswelt und untersuchte darüber hinaus die Vielfalt historischer Familienformen und die familialen Generationsbeziehungen sowie die damit verbundenen Lebensstrategien.31 Beispielsweise analysieren die Beiträge in dem 2000 von Josef Ehmer und Peter Gutschner herausgegebenen Sammelband »Das Alter im Spiel der Generationen« u. a. auch die Positionen alter Menschen unterschiedlicher sozialer Milieus.32 Darüber hinaus richtete die Historische Familienfor27 Conrad/Kondratowitz (1983), S. 4f. Vgl. auch Van Tassel (1979). 28 Conrad/Kondratowitz (1983), S. 5. 29 Hareven (1994); Hareven (1995). Keineswegs bezieht die Historische Familienforschung das Alter aber stets mit ein. Vielfach streift sie es auch nur in Bezug auf das Ausgedinge bzw. den Austrag; vgl. hierzu z. B. die Überblicksdarstellung von Gestrich (1999); Gestrich (2003), S. 633-639. 30 Anderson (1971); Hareven (1978); Laslett: Characteristics (1977); Cuisenier (1977); Demos (1978); Flandrin (1976); Conrad: Altwerden (1982). 31 Ehmer (2008), S. 160. 32 Vgl. Ehmer/Gutschner (2000); Langer-Ostrawsky (2000); Borscheid (1990); Göckenjan (2009). Allgemein zu den Generationsverhältnissen Kondratowitz (2006). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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schung ihren Blick auf die städtischen und ländlichen Lebensbedingungen älterer Menschen; so verbreiteten sich seit dem 16. Jahrhundert in einigen Regionen bestimmte Formen des Altenteils und führten zu spezifischen Lebensformen.33 Zu den großen Verdiensten der Historischen Familienforschung gehört es u. a., das Bild der vorindustriellen Großfamilie revidiert und das Klischee der in Geborgenheit und Sicherheit bei ihren Familien lebenden Alten widerlegt zu haben; so führte die überwiegende Mehrheit der Alten während der Frühen Neuzeit in den größeren und kleineren Städten Mitteleuropas ihren eigenen Haushalt.34 Entscheidende Impulse gingen, wie schon erwähnt, auch von der in Frankreich entwickelten Historischen Demographie aus, die seit den 1970er Jahren zu einem bedeutenden Wissenschaftszweig der Geschichte wurde.35 Die Historische Demographie erforscht den Wandel von Altersstrukturen und die damit einhergehende Veränderung der Lebenserwartung; so stellte sie Fragen, wie viele Menschen in welchen Ländern wie alt wurden, wie sich das Sterbealter verteilte und welche Veränderungen sich im Lauf der Zeit abzeichneten.36 Hierbei stützte sie sich z. B. für die Frühe Neuzeit auf Kirchenbücher, anhand derer sie Lebensläufe rekonstruierte. Unter Zugrundelegung quantifizierbarer Quellen können so zuverlässige Aussagen über soziale und regionale Differenzierungen getroffen werden, wie etwa über eine 33 Vgl. z. B. Alisa Schäfer (1994); Fastenmayer (2009); Held (1983); Czerannowski (1988); Borscheid (1999), S. 127-131; Gestrich (2004), S. 66-69. 34 Vor allem der Soziologe Ernst W. Burgess (1886-1966) wird aufgrund seines Beitrags auf dem 5. Weltkongress der »International Association of Gerontology« im Jahr 1962 dafür verantwortlich gemacht, den Mythos vom »goldenen Zeitalter der Alten« geprägt zu haben. Den Statusverlust der Alten führte er auf die Industrialisierung zurück. In den 1970er Jahren wurde diese Aussage zuerst anhand nordamerikanischer Quellen widerlegt. Vgl. hierzu z. B. Mitterauer (1982), S. 43; Hareven (1997), S. 18; Ehmer (2008), S. 150. 35 Jean Meuvret (1901-1971) gilt als Begründer der Historischen Demographie. In seiner berühmt gewordenen Studie »Les crises de subsistances et la démographie de la France d’Ancien Régime« verweist er auf den Zusammenhang von hohen Weizenpreisen in Zeiten von Krisen und einer damit gleichzeitig einhergehenden erhöhten Sterblichkeit. Zur historischen Demographie in Deutschland vgl. Imhof (1977); Imhof (1981); Imhof (1983); Imhof (1984); Imhof (1995). Vgl. aber auch Ehmer (2004) sowie insbesondere die informative Übersicht bei Eckart/Jütte (2007), S. 230-242. 36 Zu den Kernbereichen der Historischen Demographie gehören Wachstum, Verteilung und Altersstruktur der Bevölkerung, Migration, Mortalität, Fertilität und Heiratsverhalten. Vgl. Ehmer (2004), S. XI. Die Historische Demographie unterscheidet sich von der Bevölkerungsgeschichte dadurch, dass sie »mikro-regionale«, also eine auf einen kleinen begrenzten Raum bezogene Forschung betreibt, während die Bevölkerungsgeschichte makrohistorisch ausgerichtet ist, d. h. diese analysiert größere Einheiten. Imhof (1977), S. 12. Die Bevölkerungsgeschichte beschäftigte sich allerdings im Rahmen der Analyse von Mortalität, Fertilität und Migration auch mit Altersstrukturen und somit auch mit dem Alter. Allgemein zur Historischen Demographie s. a. die von der »Société de Démographie Historique« herausgegebenen Annales de Démographie Historique. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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altersspezifische Mortalität.37 Standen zunächst noch statistische Auswertungen im Vordergrund, so hat die Historische Demographie inzwischen ihr Forschungsfeld erweitert und thematisiert auch die mentalen und sozialen Folgen der veränderten Lebenszeit.38 Zunehmend weitete die Sozialgeschichte ihre Themenfelder aus. Aber auch andere Zweige der Geschichtsforschung – wie die Wirtschafts- und Politikgeschichte – widmeten sich dem Alter.39 Zu einem Themenschwerpunkt der Sozialgeschichte des Alters entwickelten sich die Alters(ver)sicherungssysteme.40 So untersuchte 1990 der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Josef Ehmer in seiner »Sozialgeschichte des Alters« die sozialen Mechanismen, die die Voraussetzungen für Pensionssysteme im Staatsdienst sowie in der Privatwirtschaft schufen. Zudem beschäftigte er sich in Bezug auf das Alter unter Einschließung der Demographie mit den Veränderungen der Arbeitsprozesse und Krisen der Arbeitsmärkte und verglich diese mit dem angelsächsischen Raum.41 Die Pensionssysteme haben dem Alter nicht nur in »finanzieller Hinsicht ihr heutiges Gepräge gegeben«, sondern auch zur Konstituierung des Alters als eine eigenständige Lebensphase beigetragen.42 Da mit Einführung der Rentenversicherung nach und nach die sog. »Entberuflichung« eintrat, die sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts zu einer ausgeprägten Ruhestandsphase und in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu einem Massenphänomen entwickelte, schenkte die Geschichtsforschung auch dieser Lebensphase ihre Aufmerksamkeit.43 So zeichnete Christoph Conrad in einer grundlegenden Studie am Beispiel Kölns von 1830 bis 1930 die Entwicklung »vom Greis zum Rentner« nach und analysierte, seit wann das Alter als soziales Problem wahrgenommen wurde.44 Er untersuchte hierbei die demographischen 37 Vgl. z. B. Imhof (o. J.). 38 Grundlegend hierzu Imhof (1995), S. 25-28. 39 Vgl. hierzu die Struktur- und Gesellschaftsgeschichte als Disziplinen der Sozialgeschichte. Jordan (2009), S. 101-122; Scholtyseck (2005). 40 Das Alter spielte in der sozialpolitischen Thematisierung des 19. Jahrhunderts aber noch eine marginale Rolle. So auch Tennstedt (1999). Zum Stellenwert des Alters in der Sozialpolitik des 20. Jahrhunderts vgl. z. B. Gerling/Naegele (1999); Balluseck/Cremer/Kreimeyer/Räbiger/Tergeist (1988). 41 Ehmer (1990). Inzwischen befassen sich zahlreiche Arbeiten mit diesem Aspekt. Vgl. z. B. Wessel (1983); Kytir (1987); Fisch/Haerendel (2000); Kondratowitz (2000); Motel-Klingebiel (2000); Hardach (2003); Borscheid: Sicherheit (2004); Wehber (2004); Schlegel-Voß (2005); Glootz (2009). 42 Conrad (1994); Borscheid: Altersforschung (2004), S. 369; Laslett (1995). 43 Verwiesen sei hier auf die Einteilung »drittes und viertes« Alter. Vgl. hierzu Laslett (1995). Zur Verallgemeinerung des Ruhestandes vgl. z. B. Borscheid (1999), S. 138141. 44 Conrad (1994); Conrad (2004). Allgemein zu den sozialwissenschaftlichen statistischen Methoden und Versicherungskonzepten auch Borscheid (1988); Borscheid Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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und sozialstrukturellen Veränderungen der älteren Bevölkerung. Zudem analysierte er die öffentlich geführte Diskussion über das Alter und die damit verbundene Umsetzung sozialpolitischer Maßnahmen. Darüber hinaus erörterte er die Verknüpfung von Alter und »modernem« Ruhestand und stellte die öffentlichen Zuständigkeiten für die finanzielle, gesundheitliche und soziale Versorgung alter Menschen dar. Zu den Themenkomplexen der Historischen Altersforschung gehört außerdem die mit dem Alter u. U. verbundene Armut, die zwar auch in der bäuerlichen Welt und im Handwerk eine zentrale Rolle spielen konnte, im Bereich der Lohnarbeit aber zu einem großen Problem wurde.45 Seit Mitte der 1970er Jahre thematisierte die deutschsprachige Sozial- und Wirtschaftsgeschichte den Einfluss der Industrialisierung auf die Lebensbedingungen der Arbeiter im 19. und frühen 20. Jahrhundert; ein Jahrzehnt später bezog in Deutschland die Historische Altersforschung die soziale Lage der Arbeiter in ihre Untersuchungen mit ein.46 Einige Arbeiten widmen sich ausschließlich der weiblichen Altersarmut, etwa derjenigen der Witwen und Arbeiterinnen.47 Darüber hinaus galt das Interesse der Forschung – wenn auch noch in beschränktem Umfang − der institutionellen Unterbringung alter Menschen. Trotz einer fast schier unüberschaubaren Literatur zum Hospitalwesen ist noch wenig über den Alltag alter Menschen in frühneuzeitlichen Hospitälern, die sich durch eine Multifunktionalität auszeichneten, bekannt; d. h. vielfach (können bzw.) werden nur normative Quellen zugrunde gelegt und institutionelle Aspekte herausgearbeitet.48 Einige Arbeiten zeichnen die Veränderung vom Spital bzw. Armenhaus zum Altenheim nach49; so untersuchte Hans-Joachim von Kondratowitz die Institutionalisierung von Altenheimen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und setzte diese in Bezug zum veränderten gesellschaftlichen Umgang mit alten Menschen. Neben den vielen Neugründungen von Altenheimen zu Beginn des letzten Jahrhunderts verweist Kondratowitz u. a. auf die zahlreichen Umbenennungen städtischer Armenhäuser zum Ende des 19. Jahrhunderts und macht darauf (1983); Conrad (1988). 45 Borscheid (1983); Borscheid (1999), S. 134-138; Scholz (1983); Kaschke (2000); Führer (1990); Göckenjan (1988); Hermann Schäfer (1983); Hardach (2008). 46 Borscheid: Altersforschung (2004), S. 365. 47 Bereits Peter Borscheid beschrieb in seiner grundlegenden Studie zur Geschichte des Alters das schwere Los der Witwen. Vgl. Borscheid (1987), S. 67-79, 237-250; Steidl (2000); Kruse (2007); Ingendahl (2006). Unter der kulturhistorischen Perspektive vgl. auch Tölle (1996), S. 211-221; Hagemann (1990); Gutschner (2000). 48 Zu der umfangreichen Literatur zum Hospital- und Fürsorgewesen vgl. z. B. die Bibliographie von Hof (2000); Dirmeier (2010). 49 Kondratowitz (1988). Vgl. aber auch Kondratowitz (1990); Zadach-Buchmeier (1997); Conrad (1995). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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aufmerksam, dass durch das »Auslagern anderer Klientengruppen in andere separate Einrichtungen die Alten übrig« geblieben waren. Dieser Prozess führte zugleich aber auch zur Herauslösung des Altenheims aus der öffentlichen Armenfürsorge und leitete neue Strategien zur Versorgung älterer Menschen ein.50 Kenan H. Irmak beschäftigte sich in seiner Dissertation mit der sozialen Lage und der Hilfsbedürftigkeit alter Leute im 20. Jahrhundert und setzte diese in Bezug zu sozialpolitischen Maßnahmen; so untersuchte er das Engagement der öffentlichen Hand auf dem Gebiet der Wohnungspolitik.51 Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf den Leitbildern der geschlossenen Altersfürsorge und den damit verbundenen Ordnungsvorstellungen. Am Beispiel des Bedeutungswandels »Siecher« wird analysiert, wie alte Leute zu pflege- und behandlungsbedürftigen Menschen wurden und wie sich neue sozialpolitische und kulturelle Maßnahmen auf die Alten auswirkten. 2008 erschien eine Dissertation von Renate Sostmann, die sich mit den Institutionen und deren Initiativen für bedürftige ältere Menschen zur Zeit der Weimarer Republik in Köln auseinandersetzte.52 Neben der demographischen Entwicklung werden die sozialökonomischen Lebensbedingungen sowie das allgemeine Armenwesen thematisiert. Das Verdienst der Arbeit liegt vor allem darin, dass katholische, protestantische und jüdische Institutionen und deren Träger miteinander verglichen werden. Ziel der Sozialgeschichte des Alters ist es, wie es Michael Mitterauer 1982 formulierte, die Lebensformen und Lebenslagen sowie die Praktiken alter Menschen in Familie, Gesellschaft und Institutionen, die die Rahmenbedingungen für das Alter schufen, zu untersuchen.53 Paul Johnson und Pat Thane fassen das Spektrum der sozialgeschichtlichen Forschung in drei Themengruppen zusammen: »Participation«, »Well-being« und »Status«.54 Resümierend stellt Josef Ehmer hierzu fest, dass zur Partizipation die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an der Arbeitswelt bzw. am Arbeitsmarkt zählen, d. h. Beschäftigung bzw. Ruhestand und der damit verbundene Konsum sowie im Weiteren auch »die Teilhabe an Politik und Zivilgesellschaft«.55 Zum Wohlergehen gehören die ökonomische Sicherung des Alters durch eigene Mittel, durch die Familie und die verschiedensten historischen Formen der Sozialpolitik, aber auch soziale Integration, Betreuung und Pflege und nicht zuletzt das individuelle Befinden, etwa in Bezug auf Gesundheit und Krankheit.56 50 Vgl. zu dieser Thematik z. B. auch Zadach-Buchmeier (1997). 51 Irmak (2002). 52 Sostmann (2008). 53 Mitterauer (1982), S. 15. 54 Johnson/Thane (1998), S. 2. 55 Ehmer (2008), S. 161. 56 Ehmer (2008), S. 161. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Der Status, der durch soziale, rechtliche und politische Faktoren bestimmt wird, betrifft hingegen die soziale Position älterer Menschen. Kulturgeschichte des Alters Im Mittelpunkt der Historischen Alterns- und Altersforschung steht neben der Sozialgeschichte die Kulturgeschichte. Diese analysiert Wahrnehmungen und Bewertungen des Alters, der Altersrollen, der Altersstereotypen und zunehmend auch die individuelle biographische Verarbeitung des Alters.57 Zu den ersten umfangreicheren Arbeiten für den deutschsprachigen Raum zählt die Studie von Peter Borscheid, die zu einem großen Teil auf einem kulturgeschichtlichen Ansatz beruht; so beschäftigte er sich u. a. mit der Wertschätzung sowie mit der Diskriminierung, die alten Menschen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit widerfuhr. Sein Bestreben war es, eine Geschichte über das Alter und die Altersversorgung in vorindustrieller Zeit zu verfassen, in der auch die Betroffenen in ihrer alltäglichen Sprache zu Worte kommen, um einen Eindruck vom Denken und Fühlen, von den Freuden, den Ängsten und Nöten dieser Menschen zu vermitteln, deren Lebensabend in der Regel fernab jeder Idylle lag, denen die Nässe und Härte des Alltags schwer zusetzten, deren Leben alle romantischen Legenden von der Glückseligkeit vorindustriellen Lebens Lügen straft und jede Euphorie über das angeblich verlorene Paradies schnell dahinwelken läßt.58

Verwiesen sei hier auch auf die reichbebilderte und informative Studie »The long history of old age« von Pat Thane aus dem Jahr 2005, die den alten Menschen im Wandel der Zeiten vorstellt, nämlich von der Antike bis in die Gegenwart.59 Erwähnenswert ist zudem die Arbeit von Georges Minois (»Histoire de la vieillesse«), eine Kulturgeschichte des Alters, die sich überwiegend auf literarische Quellen beschränkt und das Zeitalter der Renaissance in den Mittelpunkt rückt.60 Die Analyse von Altersbildern, Altersstereotypen und Altersdiskursen nutzt die Alterskulturgeschichte als Instrumentarium, um den Umgang der Gesellschaft mit dem Prozess des Alterns zu verstehen. Ihr geht es darum, vorherrschende – zumeist unbewusste – gesellschaftliche Einstellungen zum 57 So die Definition bei Ehmer (2008), S. 149f. Allerdings gibt es bisher nur wenige Arbeiten zur Verarbeitung des Alters in Biographien. Erwähnt seien hier z. B. Ulbricht (2008); Wadauer (2000); Maurer (1996), S. 426-430; Jütte (1988). Zum Stellenwert des Alters in autobiographischen Selbstzeugnissen vgl. jetzt auch Hoffmann (2010), S. 9398, 312-324. 58 Borscheid (1987), S. 10. 59 Die Arbeit erschien auch auf Deutsch, vgl. Thane (2005). Ein kulturwissenschaftlicher Ansatz wird auch in dem von Heiner Fangerau herausgegebenen Sammelband von 2007 präsentiert, der aus dem interdisziplinären Forschungsprojekt »Kulturelle Variationen und Repräsentationen des Alter(n)s« hervorgegangen ist. Vgl. Fangerau (2007). 60 Minois (1987). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Alter bewusst zu machen.61 Zahlreiche Arbeiten beschäftigen sich mit dem inzwischen in der Wissenschaft etablierten Begriff der »Altersbilder«, die eine tiefgreifende Auswirkung auf die Lebenssituation älterer Menschen in der Gesellschaft haben.62 Unter Altersbildern versteht die Forschung sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Bilder vom Alter; d. h. Altersbilder werden auch als eine normative Orientierung definiert, indem sie Bewertungen bestimmter Altersstufen bzw. der zugehörigen Verhaltensweisen vornehmen.63 Als kulturelles Phänomen bieten Altersbilder »Diskussionsschablonen« für die jeweiligen Altersdiskurse.64 Eine Analyse von Altersbildern bietet z. B. die Arbeit von Birgit Baumgartl von 1997, die am Beispiel von verwaltungswissenschaftlichen und sozialpädagogischen Zeitschriften den Wandel der Altersbilder seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts untersuchte.65 Brigitte Michel machte es sich hingegen zur Aufgabe, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts erscheinenden Familienzeitschriften, wie die Gartenlaube, Neue Gartenlaube, Neue Berliner Illustrierte und Hörzu, bezüglich der dort vermittelten Altersbilder zu analysieren.66 Gerd Göckenjan erforschte, wie das Bild der Großmutter in Zeitschriften des 19. Jahrhunderts konstruiert wurde.67 Innerhalb der Kulturgeschichte kann wiederum zwischen der Ideen- und Geistesgeschichte differenziert werden.68 Neuere Arbeiten zur Altersgeschichte stützen sich jedoch auf die sog. Diskursgeschichte. »Diskurse werden dabei verstanden als Regeln, nach denen über ein bestimmtes Thema gedacht und gesprochen wird. Diskurse stecken den Rahmen des Denkbaren und Sagbaren ab.«69 Altersdarstellungen sind seit dem Altertum bekannt und sowohl positiv als auch negativ besetzt. Die neuere Forschung verweist ausdrücklich darauf, dass Epochendarstellungen, denen eine besondere Altenfeindlichkeit oder Altenbewunderung zugesprochen wird, sich auf unzureichend gesichtetes und analysiertes Quellenmaterial stützen.70 61 Brantl/Ehmer/Höffe/Lausecker (2009), S. 235. 62 Vgl. hierzu z. B. den Sammelband Ehmer/Höffe (2009). 63 Auch die Definition der »Altersstereotypen« beruht auf der Einteilung der Fremd- und Selbstwahrnehmung. Vgl. hierzu Brantl/Ehmer/Höffe/Lausecker (2009), S. 235, 239; Baumgartl (1997); Ehmer (2009); Filipp/Mayer (1999); Göckenjan: Wandlung (2007); Göckenjan: Altersbilder (2000); Göckenjan: Alter (2000). 64 Brantl/Ehmer/Höffe/Lausecker (2009), S. 239. 65 Baumgartl (1997). 66 Michel (2006); Thimm (2009), S. 155. 67 Göckenjan: Alter (2000), S. 179-216; Göckenjan (2009). Vgl. zum Thema »GrandsParents, Aïeux« auch Annales (1991). 68 Vgl. Boll (1913); Ehmer (2008), S. 152. 69 Ehmer (2008), S. 151. Zur Diskursanalyse aus medizinhistorischer Sicht vgl. z. B. Daniel Schäfer (2004). 70 Göckenjan: Diskursgeschichte (2007), S. 127. So sprach z. B. Peter Borscheid für den Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Gerd Göckenjan unterscheidet vier Diskurstypen, nämlich die Altersschelte, das Alterslob, die Altersklage und den Alterstrost.71 Diese vier Diskurstypen, die seit der Antike bekannt sind, wurden prägend für die abendländische Entwicklung; bis heute haben sie ihre Aktualität nicht verloren. Josef Ehmer unterscheidet im Rahmen der Altersdiskurse hingegen vier Themengruppen, nämlich »Das Alter als Repräsentant der Endlichkeit des Lebens«, »Alter als Teil des Lebenslaufes«, »Alter und Generationenbeziehungen« sowie »Altersdiskurse als Ordnungsdiskurse«.72 Das Alter in der Medizingeschichte Das Aufkommen der modernen Geriatrie um 1940 führte dazu, dass sich auch die Medizingeschichte mit den Alterskonzepten historischer Gesellschaften auseinandersetzte. Erwähnt seien z. B. die Arbeiten der Medizinhistoriker Johannes Steudel, Paul Lüth, Karl Müller und Erwin Heinz Ackerknecht.73 Diese Arbeiten befassen sich mit Alterskrankheiten und den darauf beruhenden Therapiekonzepten. Sie liefern eine Fülle an Daten und Fakten, beinhalten jedoch noch keine sozialwissenschaftlichen Fragestellungen und die damit verbundenen Analysen, wie sie heute auch in der Medizingeschichte üblich sind.74 In dem von Helmut Konrad herausgegebenen Sammelband von 1982, der – wie schon erwähnt – zahlreiche Ziele der Altersgeschichte formulierte, werden auch medizinhistorische Aspekte unter Zeitraum von 1350 bis 1648 bezüglich des Alters von einem »Tal der Verachtung«, für den Zeitraum von 1648 bis 1800 von der »Höhe des Ansehens«. Borscheid (1987), S. 11, 105. 71 Die Altersschelte schreibt alten Menschen Eigenschaften wie Bösartigkeit, Geldhörigkeit, Feigheit und Geschwätzigkeit zu, das Alterslob hingegen hebt Eigenschaften wie Erfahrenheit, Tugenden, Ehrwürdigkeit, Weisheit hervor; nach Platon sind die Alten die idealen Hüter der Gesetze und natürliche Oberhäupter aller Staaten. Die Altersklage beschäftigt sich mit Themen wie der Vergänglichkeit und beklagt den Verlust. Der Alterstrost besteht im Wesentlichen darin, dass Altersmängel nicht auf das Alter alleine reduziert werden dürfen; Beschwerlichkeiten des Alters müssen nicht bestritten werden, sondern sie sind Anlass, sich in guter Lebensführung zu üben; Alterslasten können nach Cicero durch Anstrengung und Moral bekämpft werden. 72 Ehmer (2008), S. 156-159. Der erste Altersdiskurs bezieht sich auf Darlegungen, in denen das Alter als eine Vorstufe des Todes gesehen wird. Altersdiskurse, die den Lebenslauf betreffen bzw. denen Altersstufenmodelle zugrunde liegen, ordnet Josef Ehmer dem zweiten Themenbereich zu. Altersdiskurse, die sich auf Verhaltensnormen und wechselseitige Verpflichtungen der Generationen, sei es in der Familie oder der Gesellschaft, beziehen, werden unter den dritten Komplex subsumiert. Unter die vierte Rubrik fallen die Diskurse, die sich durch Gesellschaftskritiken und Disziplinierungsmaßnahmen auszeichnen. 73 Steudel: Geschichte (1942); Steudel: Marasmus senilis (1942); Steudel (1956); Ackerknecht (1961); Lüth (1965); Müller (1966). Zur Entwicklung der Geriatrie vgl. auch den Abriss bei Lang (1999). 74 Vgl. zu Aufgaben und Aspekten der modernen Medizingeschichte Eckart/Jütte (2007), S. 9-20. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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sozialwissenschaftlichen Gesichtspunkten diskutiert; so wurde unter der historischen Perspektive auf den Zusammenhang von Ernährung und Alter sowie auf den von Alter und Todesursachen eingegangen.75 Erste differenziertere Sichtweisen zur Entwicklung der Geschichte der Geriatrie, die auch gesellschaftliche Veränderungen mit einbeziehen, stammen von Hans Schadewaldt und Stefan Schmorrte.76 Zu Beginn des 21. Jahrhunderts intensivierte die historische Forschung ihr Interesse in Bezug auf Alter und Gesundheit. In der 2001 von Daniel Schäfer vorgelegten Habilitationsschrift zeichnete er im Rahmen einer Diskursanalyse die Bewertung des Alters aus medizinischer Sicht in der Frühen Neuzeit nach und beschrieb zugleich die Möglichkeiten und Grenzen damaliger Therapien unter dem Gesichtspunkt von Kontinuität und Weiterentwicklung.77 Er belegte, dass Darstellungen und Erklärungen zur Geriatrie ein breites Spektrum in den frühneuzeitlichen Schriften einnahmen. Darüber hinaus zeigt seine Analyse, dass es im frühneuzeitlichen Europa umfassende medizinische Konzepte für das Greisenalter gab, z. B. die Greisendiätetik. Zugleich belegt Schäfer, dass das Alter an den Universitäten schon eine Thematisierung erfuhr. Eine Pionierarbeit ist die Studie von Simone Moses, die die historische Entwicklung der stationären Altersmedizin am Beispiel der Tübinger medizinischen Universitätsklinik um 1900 nachzeichnet.78 Sie weist u. a. nach, dass nicht nur nach und nach die Patientenzahl zunahm, sondern auch die Zahl alter Patienten, vor allem die der Männer, und von diesen wiederum die Verheirateten. Sie belegt zugleich, wie sich Stereotypen über alte Menschen, in einer Zeit, in der Werte wie Unabhängigkeit, Selbstdisziplin und Körperkontrolle an gesellschaftlichem Einfluss gewannen, entwickelten. Zudem wirft sie die Frage auf, ob und inwiefern Medizin und Gesundheitswesen die sozialen Strukturen beeinflussten. Erwähnt sei auch die Studie von Heiko Stoff, der Motive und Konzepte zur Bekämpfung des Alters bzw. Konzepte der Verjüngung im späten 19. und beginnenden 20. Jahrhundert vorstellte.79 Um die Jahrhundertwende, als Langlebigkeit zu einem gravierenden gesellschaftlichen Problem wurde, gewann die Jugend immer mehr an Attraktivität; »niemand wollte mehr alt sein«. Das Alter wurde zu einem pathologischen Zustand erklärt, der als »aufhebbar« galt.80 Zur Beseitigung der Alterserscheinungen bediente man 75 Kropf/Rauter (1982); Conrad: Sterblichkeit (1982). 76 Vgl. Schadewaldt (1979); Schmorrte (1990). 77 Daniel Schäfer (2004). Zur medikamentösen Behandlung der Lebensverlängerung vgl. z. B. Dilg (2008). 78 Moses (2005). 79 Stoff (2004). 80 Zur Beschreibung des Jugendkults und der Bewertung des Alters um 1900 vgl. z. B. auch Göckenjan: Alter (2000), S. 222-297. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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sich zahlreicher »natürlicher« wie auch »künstlicher« Verjüngungspraktiken. Ausblick Trotz der unterschiedlichen Fragestellungen und Forschungsansätze der letzten Jahre zeichnet sich die Historische Altersforschung insgesamt gesehen auch durch gemeinsame Ergebnisse aus; so besteht darüber Einigkeit, dass das Alter sowohl eine kulturelle als auch eine soziale Konstruktion ist und dass es »das goldene Zeitalter der Alten« nie gegeben hat.81 Die neuere Forschung interessiert sich vor allem für die Frage, »wo, wie und auf welche Weise Differenzen konstruiert werden«.82 Zunehmend wird die Historische Altersforschung auch unter dem Aspekt der »Ambivalenz« betrachtet; d. h. »Ambivalenz bezeichnet die Koexistenz von gegensätzlichen Gefühlen, Einstellungen, Handlungen und sozialen Beziehungen und ebenso die Gleichzeitigkeit von polaren psychischen, sozialen oder kulturellen Strukturen«.83 Die Untergliederung der Historischen Altersforschung in eine Kultur-, Sozial- und Medizingeschichte und die entsprechenden Subdisziplinen hilft der Forschung, Strukturen sichtbar zu machen; in der Realität sind die Ansätze jedoch vielfach miteinander verknüpft.84 Wenn auch schon zahlreiche Forschungsfelder in der Historischen Altersforschung eine Thematisierung erfuhren, darf das aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Aspekte noch einer gründlichen Vertiefung bedürfen bzw. bisher nur oberflächlich gestreift wurden. Dies hängt u. a. damit zusammen, dass es zwar eine Reihe von Sammelbänden zur Geschichte des Alters gibt, hingegen aber immer noch wenige Monographien.85 Während wir inzwischen umfassendere Kenntnisse über die Sozialversicherungssysteme und die Konstruktion von Altersbildern haben, wissen wir noch relativ wenig über die »Alltagswirklichkeit« alter Menschen; dies gilt insbesondere auch für die Zeit nach 1945.86 Ziel sollte es daher u. a. sein, die alten Menschen selbst in den Mittelpunkt zu rücken; so gilt es, das soziale Klima, in dem sie sich bewegten, zu analysieren und zu fragen, welche Maßnahmen sie zur Gestaltung ihres Alters ergriffen.87 Um Erkenntnisse über die 81 Vgl. hierzu Pott (2007). 82 Ehmer (2008), S. 168. 83 Ehmer (2008), S. 151. 84 Vgl. z. B. die Arbeit von Borscheid (1987). 85 Zu den grundlegenden Monographien gehören die Arbeiten von Borscheid (1987); Ehmer (1990); Conrad (1994); Göckenjan: Alter (2000); Irmak (2002); Schlegel-Voß (2005); Brinker (2005); Sostmann (2008). 86 Zu den Altersbildern vgl z. B. den Sammelband Ehmer/Höffe (2009). 87 Erwähnt seien die Selbstorganisationen der Senioren in den 1970er Jahren, wie die Bundesarbeitsgemeinschaft für Senioren (BAGSO). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Lebenswelt und Wahrnehmung alter Menschen zu gewinnen, empfiehlt es sich zudem, ihren Selbstzeugnissen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.88 Als defizitär ist ebenfalls die Forschungslage zur Situation alter Menschen im Nationalsozialismus zu bezeichnen. Zwar liegen inzwischen Untersuchungen zur Rentenpolitik und den Sozialversicherungssystemen sowie zu der »Umsetzung« in Altersheimen vor, über die »Alltagswirklichkeit« wissen wir aber noch relativ wenig.89 Zudem ist der Fokus auch auf die ehemalige Deutsche Demokratische Republik zu richten, wo Rentner und alte, pflegebedürftige Menschen eine ganz andere Behandlung erfuhren als die Leistungsträger.90 Auch bei der Professionalisierung der Altenpflege handelt es sich noch um eine terra incognita. Die sich mehr und mehr etablierende Historische Pflegeforschung hat bisher die Pflege Kranker in den Mittelpunkt gerückt, die Pflege alter Menschen fand in diesem noch jungen Forschungszweig hingegen kaum Berücksichtigung.91 Einen weiten Raum in der Altenpflege nimmt außerdem die soziale Arbeit ein, die unter der historischen Perspektive so gut wie noch keine Thematisierung erfuhr.92 Zu den zentralen Themen des Alters gehört ferner die Wohnsituation, die als alterskonstituierend zu bewerten ist und über die immerhin schon erste Teilergebnisse vorliegen.93 Dennoch wissen wir über die stationäre sowie über die ambulante und offene Versorgung, an der auch die veränderte Einstellung der Gesellschaft zum Alter ablesbar ist, noch relativ wenig. Im Umgang mit alten Menschen spielt zudem das bürgerschaftliche Engagement eine zentrale Rolle.94 Die Ziele der Vereine, Stiftungen, Bürgerinitiativen etc. müssen erforscht werden; von besonderer Wichtigkeit ist in diesem Kontext ebenfalls das Ehrenamt. Auch die seit den 1960er Jahren gegründeten Institutionen, wie das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA), das Deutsche Zentrum für Altersfragen (DZA) sowie das Institut für Geron-

88 Hoffmann (2010), S. 93-98, 312-324. 89 Schlegel-Voß (2005); Hahn (2001); Süß (2009), S. 292-310, 399-404; Irmak (2002), S. 345-378; Brinker (2005), S. 126-147; Kondratowitz (1987). 90 Brinker (2005), S. 226-273. 91 Zur Historischen Pflegeforschung Eckart/Jütte (2007), S. 286-295. 92 Arbeiten zur Geschichte der sozialen Arbeit befassen sich vor allem mit der Jugend. Vgl. z. B. Hering/Münchmeier (2007). 93 Wenig bekannt ist bisher etwa über die Lebenssituation alter Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg; so wurden alte Flüchtlinge z. B. in Lagern und Psychiatrien untergebracht. Vgl. z. B. Schwoch (1999). 94 Vgl. z. B. das von der Robert Bosch Stiftung geförderte Projekt zu Motiven und Handlungsweisen des bürgerschaftlichen Engagements. Im Vordergrund stehen hier die Senioren. Köstler/Schulz-Nieswandt (2010). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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tologie (IfG), sind von Interesse, trugen sie doch maßgeblich zum Umgang mit alten Menschen bei.95 So macht es sich das DZA zur Aufgabe, Erkenntnisse über die Lebenslage alternder und alter Menschen zu erweitern, zu sammeln, auszuwerten, aufzubereiten und zu verbreiten, damit dieses Wissen mit Blick auf die mit dem Altern der Bevölkerung einhergehenden gesellschaftlichen und sozialpolitischen Herausforderungen im Sinne einer wissenschaftlich unabhängigen Politikberatung nutzbar gemacht werden kann.96

Überdies wäre es wichtig zu wissen, welche Konzepte die Interessenvertreter entwarfen, wie ihre politischen Einflussmöglichkeiten und Vermittlungsstrategien aussahen und wie diese in der Praxis umgesetzt wurden. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie die soziale Arbeit der freien und öffentlichen Träger in Bezug auf alte Menschen konkret aussah. Untersucht werden sollte, welche Diskurse die Wohlfahrtsverbände führten und wie ihre politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten aussahen; d. h. beispielsweise, welche Rolle sie bei der Entwicklung der Altenpolitik spielten und welche Sachleistungen sie erbrachten. Zudem ist bis heute noch ein Mangel an komparatistischen Studien zu beklagen; so wurden in der deutschsprachigen Historischen Alterns- und Altersforschung einerseits die Ergebnisse des Auslands − im Gegensatz zur Familiengeschichte − kaum rezipiert, andererseits gibt es bisher noch keine umfassende, themenübergreifende Überblicksdarstellung der bisherigen Erkenntnisse zum deutschsprachigen Raum.97 Bibliographie Internetquellen http://www.medizinfo.de/geriatrie/alter/gerontologie_geriatrie.shtml (letzter Zugriff: 25.2. 2011) http://www.dggg-online.de/wir/geschichte.php (letzter Zugriff: 25.2.2011) http://www.kda.de/geschichte.html (letzter Zugriff: 25.2.2011) http://www.dza.de (letzter Zugriff: 25.2.2011)

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95 Vgl. hierzu auch Anm. 13. 96 http://www.dza.de (letzter Zugriff: 25.2.2011). 97 Ausgenommen sind hiervon allein die Lebenslaufkonzepte. Borscheid: Altersforschung (2004), S. 360. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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II.

Zur Geschichte der Homöopathie und alternativer Heilweisen

Samuel Hahnemann und das Ähnlichkeitsprinzip Josef M. Schmidt Summary Samuel Hahnemann and the Principle of Similars The principle of similars (treat likes by likes) is generally considered to be one of the pillars of the homeopathic doctrine established by Samuel Hahnemann (1755-1843). Nevertheless, its status and relevance with regard to the practice of homeopathy can be challenged by semantic, conceptual, and epistemological objections. 1. Contrary to its literal meaning, “similia similibus curentur” is commonly used in the sense of “all diseases should be treated by similar drug diseases”, thus transgressing its original field of indication. 2. From 1796, when Hahnemann published his first definition of the principle of similars, he gradually raised his claims from merely suggesting a heuristic principle for finding new curative remedies to insisting on having discovered a law of nature and the only true way of healing, in 1807/1808. To substantiate his ambitious tenets, Hahnemann had to introduce a variety of theories which in turn were to become the main battleground in the ensuing controversy about homeopathy. 3. From the perspective of epistemology of science, science can never consist of a final set of absolute truths or the like but must rather be described as a continuous social process that retains a methodological cycle of abduction, deduction, and induction. From the perspective of theory of medicine, however, medicine is to be considered as a practical rather than a cognitive science in its own right. Its first concern ought to be the development of practical directions for treating patients, while the value of competing theories can only be judged from their usefulness in practice. Hence, even though Hahnemann’s theories, including his conception of the principle of similars, may be untenable or outdated, the genuine method of homeopathic treatment he founded remains independent of and unaffected by criticism at the level of theory and concepts.

Die Bedeutung von »Similia similibus curentur« Die Homöopathie beruht – nach allgemeinem Konsens – auf einigen für sie konstitutiven Grundsäulen, wie etwa der Arzneimittelprüfung an Gesunden, der Verabreichung von Einzelmitteln in kleinsten Gaben sowie dem Ähnlichkeitsprinzip. Letzteres wird häufig auch als Simile-Prinzip bezeichnet (lat. simile = ähnlich). Die lateinische Formel, die Samuel Hahnemann (1755-1843) dafür verwendet hat, lautet abgekürzt »Similia similibus« und in ihrer vollständigen Form »Similia similibus curentur«. Die komplette Form des Ausdrucks findet sich in Hahnemanns gesamtem literarischen Werk, das immerhin 27.000 Seiten umfasst1, nur an einer einzigen Stelle: in der Einleitung des »Organon«, dessen 1. Auflage unter dem 1

Josef M. Schmidt (1989), S. 7.

MedGG 29 • 2010, S. 151-184 Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen © Franz Steiner Verlag Stuttgart

Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Titel »Organon der rationellen Heilkunde« 1810 – vor 200 Jahren – erschienen ist2. Dieser Eintrag wurde auch in den Folgeauflagen, unter dem Titel »Organon der Heilkunst«, beibehalten, doch bleibt es verwunderlich, dass die seither zum geflügelten Wort gewordene Redewendung weder im Hauptteil des »Organon« noch in den »Chronischen Krankheiten« noch in irgendeiner anderen theoretischen oder praktischen Schrift Hahnemanns auftaucht. Nur fehlerhaft kopierten, falschen Zitaten verdankt sich der Ausdruck »Similia similibus curantur«, der sich nirgendwo in Hahnemanns Schriften nachweisen lässt. Erst in jüngerer Zeit scheint sich die Einsicht durchzusetzen, dass »curare« hier nicht »heilen«, sondern nur »behandeln« heißen kann (vgl. »medicus curat, natura sanat«).3 So ist die Formel wie folgt zu übersetzen: »Ähnliches soll/möge mit Ähnlichem behandelt werden«.4 Grammatikalisch als Jussiv aufgefasst, kann der Konjunktiv in »curentur« auch als Imperativ übersetzt werden, also: »Behandle Ähnliches mit Ähnlichem!« Doch was soll das bedeuten: Ähnliches mit Ähnlichem zu behandeln? – zumal »ähnlich« doch ein Relationsbegriff ist, der, alleinstehend, ohne Kontext, keinen Sinn ergibt. Was ist das zu behandelnde Ähnliche (»Similia«: ähnlich zu was?), und was ist das behandelnde Ähnliche (»similibus«: ähnlich zu was?)? An der erwähnten Stelle in der Einleitung des »Organon« findet sich dazu nur folgende Erklärung: »Wähle […] in jedem Krankheitsfall eine Arznei, welche ein ähnliches Leiden (hómoion páthos) vor/für sich erregen kann, als sie heilen soll (similia similibus curentur)!«5 Wird ein gegebener Krankheitsfall durch eine Arznei behandelt, die ein ähnliches Leiden erregen kann, so ist mit »similibus« offenbar die Arznei, die ein ähnliches Leiden erregen kann, gemeint. Für den zu behandelnden Krankheitsfall bliebe dann das »similia«. Wieso heißt es aber nicht einfach »morbi similibus curentur« – wie die Formel sowieso meist (falsch) übersetzt wird: »Krankheiten mögen durch Ähnliches behandelt/geheilt werden«? Der weitere Kontext der zitierten Stelle gibt folgenden Aufschluss: Der mit der genannten Formel gemeinte »homöopathische Heilweg« soll das »Gegenteil« dessen sein, wie man »bisher« »kurierte«, nämlich »unter andern 2

Das 200-jährige Jubiläum des »Organon« war im Jahr 2010 Anlass für zahlreiche Kongresse, Seminare und Ausstellungen, etwa im Deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt, s. Ruisinger (2010). Der vorliegende Beitrag entstand aus einem Vortrag, gehalten am 13. Mai 2010 auf dem Homöopathie-Kongress »Similia Similibus Curentur. Analogien und andere Ähnlichkeiten« anlässlich der 160. Jahrestagung des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte, im Veranstaltungszentrum Schloss Köthen (Anhalt).

3

Vgl. dazu Johann Adam Schmidt (1800).

4

Josef M. Schmidt (1990), S. 315, 383; Wischner (2001), S. 153; Wischner (2004), S. 7, 43, 195; Jütte (2005), S. 49.

5

Hahnemann (1810), S. V; Hahnemann (1819), S. 29; Hahnemann (1824), S. 1; Hahnemann (1829), S. 51; Hahnemann (1833), S. 62; Hahnemann (1999), S. 54. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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auch nach der palliativen Regel: contraria contrariis curentur«6, bzw. das »Gegenteil« der Allöopathie, die »teils« auch »Palliative« nach der »Curart« »contraria contrariis«7 bzw. dem »Wahlspruche: contraria contrariis curentur« verwende8. Es soll sich also um das Gegenteil von Palliation bzw. des Prinzips »Contraria contrariis curentur« handeln. Dieses wäre folgendermaßen zu übersetzen: »Entgegengesetztes soll/möge durch Entgegengesetztes behandelt werden«. Obwohl auch »entgegengesetzt« ein Relationsbegriff ist, lässt sich hier – unter Berücksichtigung der traditionellen Humoralpathologie sowie der klassischen Grundqualitäten heiß, kalt, trocken und feucht – die Bedeutung relativ klar rekonstruieren: Wo immer es Gegensätze gibt, zum Beispiel zwischen heiß und kalt oder trocken und feucht, sei der jeweils vorliegende Zustand durch sein Gegenteil zu behandeln, also Hitze durch Abkühlung, Frieren durch Erwärmung usw. »Contraria« bezöge sich also auf den Indikationsbereich der Regel, auf die Fälle oder den Bereich der Medizin, wo entgegengesetzte Zustände vorkommen bzw. wo es um polare Qualitäten wie Hitze und Kälte, Trockenheit und Feuchtigkeit usw. geht. Mit »contrariis« wären dann die jeweils anzuwendenden Gegenmaßnahmen gemeint (Abb. 1).

Abb. 1: Contraria contrariis curentur

Was aber wäre das »Gegenteil« des Prinzips »contraria contrariis curentur« als Ganzes? Hahnemann verwirft das Verfahren nach dem ContrariumPrinzip als palliativ (bemäntelnd) und damit als schädlich. Dabei bezieht er »contraria« nicht mehr nur auf die seit Galen damit gemeinten humoralpathologischen Qualitäten (heiß, kalt, trocken, feucht), sondern ebenso auf konträre physiologische Zustände wie Obstipation und Diarrhoe, Stärke und Schwäche oder Ähnliches. Eine Verstopfung sei nach Hahnemann nicht mit einem abführenden (also entgegengesetzten), sondern mit einem verstopfenden (ähnlichen) Mittel zu behandeln, das heißt eben homöopathisch. Die Formel, entgegengesetzte Zustände (denn nur darum handelt es sich hier) gleichsinnig statt gegenteilig zu behandeln, müsste also lauten: 6

Hahnemann (1810), S. V; Hahnemann (1819), S. 29; Hahnemann (1824), S. 1.

7

Hahnemann (1829), S. 51.

8

Hahnemann (1833), S. 61f.; Hahnemann (1999), S. 54. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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»Contraria similibus curentur«. »Contraria« wäre wieder der Indikationsbereich, also polare Zustände bzw. Symptome, von denen es jeweils ein Gegenteil gibt, und »similibus« bezöge sich auf die anzuwendenden homöopathischen Heilmittel – im Gegensatz zu palliativen Mitteln, für die »contrariis« stünde (Abb. 2).

Abb. 2: Contraria similibus curentur

Wieso beginnt die Formel aber mit »Similia«? Da dies so nicht zu klären ist, müssen auch die anderen Stellen von Hahnemanns Werk herangezogen werden, an denen sich die abgekürzte Formel »Similia similibus« findet. Erstaunlicherweise taucht auch diese Wendung höchst selten in Hahnemanns gesamtem Oeuvre auf: lediglich in drei Aufsätzen (1796, 1807, 1808)9 sowie in der Einleitung bzw. Vorrede des »Organon« (1810-1842). In seinem Artikel »Versuch über ein neues Prinzip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen« von 1796 nennt Hahnemann das »Similia similibus« zum ersten Mal, in folgendem Kontext: »Man ahme der Natur nach, welche zuweilen eine chronische Krankheit durch eine andre hinzukommende heilt, und wende in der zu heilenden (vorzüglich chronischen) Krankheit dasjenige Arzneimittel an, welches eine andre möglichst ähnliche, künstliche Krankheit zu erregen im Stande ist, und jene wird geheilet werden; Similia similibus.«10 In dieser Begründungsschrift der Homöopathie hatte Hahnemann eingangs allerdings zugestanden, dass die Behebung der Grundursache einer Krankheit, etwa die »Tötung« eines »Bandwurms«, die »königliche Straße« der Arzneitherapie darstelle und die »Unterdrück[ung]« von Symptomen durch entgegenwirkende Arzneien, zum Beispiel die Behandlung einer »Verstopfung« durch »Abführmittel«, »richtig, zweckmäßig« und »hinreichend« sei – solange es sich um akute Krankheiten handle und die Mittel nur »temporell«, also vorübergehend, eingesetzt werden.11 Lediglich bei chronischen Krankheiten nennt er die »Heilmethode«, Beschwerden durch entgegenwirkende Mittel zu behandeln, »palliativ« 9

Hahnemann: Versuch (2001); Hahnemann: Fingerzeige (2001); Hahnemann: Auszug (2001).

10 Hahnemann: Versuch (2001), S. 223. 11 Hahnemann: Versuch (2001), S. 220, 223. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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und warnt vor »diesem Weg (Contraria contrariis)«, weil er langfristig schade. Stattdessen sollten chronische Krankheiten durch ähnlich wirkende Mittel behandelt werden. In diesem Zusammenhang lässt sich das »Similia« folgendermaßen verstehen: Zum einen wird festgestellt, dass die Natur zuweilen »eine chronische Krankheit durch eine andre hinzukommende heilt«. Dass es sich bei der hinzukommenden Krankheit um eine der vorliegenden Krankheit ähnliche handelt, wird hier nicht gesagt, aber ab 1805 (in der »Heilkunde der Erfahrung« sowie in allen »Organon«-Auflagen) ausführlich erläutert.12 Zum anderen soll die vom Arzt »zu heilende (vorzüglich) chronische Krankheit« durch ein Mittel behandelt werden, das »eine andre möglichst ähnliche, künstliche Krankheit zu erregen im Stande« sei. In beiden Fällen wird also mit »similibus« operiert, einmal mit einer natürlichen und einmal mit einer künstlich erzeugten Krankheit, die jeweils der ursprünglichen Krankheit ähnlich ist. Der erste Fall, die Naturheilung, kann als bereits beobachtetes Faktum vorausgesetzt werden. Damit der zweite Fall, die künstlich intendierte Heilung, genauso funktioniert, muss nur sichergestellt sein, dass es sich um einen ähnlichen Fall, das heißt um eine vergleichbare chronische Krankheit bzw. einen ähnlichen Sachverhalt, eben eine Heilbarkeit mittels dieses Mechanismus, handelt (Abb. 3).

Abb. 3: Similia similibus curentur (Hahnemann)

Die beiden Gruppen von chronischen Krankheiten – diejenigen, die die Natur geheilt hat, und diejenigen, die der Arzt mit ähnlichen Mitteln heilen möchte – müssen also einander ähnlich sein, daher: »Similia«. Man könnte auch sagen: Die intendierte Kunstheilung der zu behandelnden Krankheit sollte in Analogie bzw. nach dem Paradigma der zitierten Naturheilung erfolgen. Mit dieser Interpretation von »Similia« wäre gleichzeitig der Indikationsbereich der Behandlung nach dem Simile-Prinzip bestimmt. 1796 bestand dieser für Hahnemann in »(vorzüglich chronischen) Krankheiten« mit entgegengesetzten Symptomen, die man ansonsten palliativ behandeln

12 Hahnemann: Heilkunde (2001), S. 396-398; Hahnemann (1810), §§ 28-32; Hahnemann (1819), §§ 72-81; Hahnemann (1824), §§ 72-81; Hahnemann (1829), §§ 57-66; Hahnemann (1833), §§ 61-70; Hahnemann (1999), §§ 61-70. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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würde und die eine Ähnlichkeit mit solchen Krankheiten haben, für die Naturheilungen durch »andre hinzukommende« Krankheiten bekannt sind. Bei diesem Stand der Auffassung von »Similia similibus« ist es elf Jahre lang geblieben. Sogar die »Heilkunde der Erfahrung« (1805)13, die bereits fast den gesamten Inhalt des »Organon« enthält, kam noch ganz ohne den Begriff »homöopathisch« sowie die Formel »Similia similibus« aus. Erst 1807, in dem Aufsatz »Fingerzeige auf den homöopathischen Gebrauch der Arzneien in der bisherigen Praxis«, führte Hahnemann den Begriff »homöopathisch« ein. In diesem Zusammenhang wird die Maxime »Similia similibus« als das Gegenteil des »Grunddogmas« »Behandle Krankheiten blos durch gegentheilige Mittel, (durch Palliative)« bezeichnet.14 Diese Stelle fällt insofern aus dem bisherigen Rahmen, als hier »contraria contrariis curentur« zwar (als »greiser Dogmatismus«) zitiert, dessen Sinn bzw. Indikationsbereich aber nicht mehr bedacht wird. Bezog sich der Satz ursprünglich – auch bei Hahnemann – nur auf Krankheitszustände mit polaren Symptomen, eben auf »contraria«, so wird er jetzt verallgemeinert zu der Unterstellung, alle Krankheiten (nicht nur »contraria«) würden von der alten Schule ausschließlich (»blos«) palliativ behandelt werden. In seinem 1808 veröffentlichten offenen Brief an Hufeland schien Hahnemann noch einmal an seine ursprüngliche Definition von 1796 anzuknüpfen, wenn er sagt, »vorzüglich« »in langwierigen Krankheiten« leiste bloß die »curative Anwendung der Arzneien (similia similibus)« eine dauerhafte Hilfe, während der gewöhnliche Arzt – »in Fällen, wo er nur irgend contraria hat« – auf »palliative Art« bzw. nach dem Verfahren »contraria contrariis curentur« behandelt.15 Während sich der Indikationsbereich der Palliation weiterhin auf »Contraria« beschränkt (»in Fällen, wo er nur irgend contraria hat«), hat sich die »curative Anwendung der Arzneien (similia similibus)« offenbar verselbständigt zu einer Maxime zur Behandlung aller »vorzüglich« »langwierigen Krankheiten«. Als konkrete Beispiele für Heilungen, die »nur nach [s]einem Prinzip, similia similibus« erfolgen, nannte Hahnemann hier Krankheiten, die »aus einem stets sich gleichbleibenden Miasma entspringen«, wie »Sumpfwechselfieber«, »Venusseuche« und die »Krätze«.16 Diese Krankheiten sind jedoch weder untereinander ähnlich (similia) noch beruhen sie durchgehend – mit Ausnahme vielleicht des Wechselfiebers – auf konträren Zuständen, dem eigentlichen Indikationsbereich der Palliation im engeren Sinn. Bezieht man den Begriff Palliation allerdings auf jede Unterdrückung jedes Symptoms, erweitert sich deren Indikationsbereich – ebenso wie der der homöopathischen Behandlung, die als deren Opposition angetreten ist – nach unendlich. Der erste Teil der 13 Hahnemann: Heilkunde (2001). 14 Hahnemann: Fingerzeige (2001), S. 460. 15 Hahnemann: Auszug (2001), S. 496. 16 Hahnemann: Auszug (2001), S. 497. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Formel »Similia similibus« ist dann aber sinnlos geworden. Gemeint wurde fortan: »Omnes morbi similibus curentur«, als Gegensatz zu »Omnes morbi contrariis curentur« (Abb. 4).

Abb. 4: Omnes morbi similibus curentur

Diese Überstrapazierung der Maxime »Similia similibus« von Seiten Hahnemanns über ihren begrifflichen Geltungsbereich hinaus mag vielleicht der Grund sein, warum er sie so auffallend selten verwendet hat. Auch im »Organon« kommt die Kurzformel »Similia similibus« nur an wenigen Stellen vor, stets nur in der Einleitung bzw. in der Vorrede und nie durchgängig in allen sechs Auflagen. Einmal wird als Beispiel für die »Macht des analogen Arzneireizes (similia similibus)« die Heilung eines fieberhaften Deliriums durch Weintrinken angeführt17, ein andermal bei Verbrennungen »eine ähnliche Erhitzung (similia similibus)« als das Heilsamste befunden18. Weitere Beispiele für Krankheiten, die »durch ein ähnliches Leiden erzeugendes Mittel (similia similibus)« geheilt werden, stellen erfrorene Glieder, Entzündungen und Quetschungen sowie Neigung zu Magensäure dar.19 Nur in der 2. Auflage des »Organon« wird ein Thomas Erastus zitiert, der 1595 behauptet haben soll, »daß nur die Heilart similia similibus die vorzüglichste sei«.20 Und nur in der Vorrede der letzten beiden Auflagen wird erklärt, dass die Homöopathie – im »Gegensatz« zur »Allöopathie« – sich »bloß solcher Arzneien« bedient, »deren Befinden verändernde Kräfte (Arzneikrankheit) die vorliegende natürliche Krankheit durch Ähnlichkeit (similia similibus) aufzuheben im Stande ist«.21 Schließlich wird das »similia simili-

17 Hahnemann (1810), S. XXX; Hahnemann (1819), S. 55; Hahnemann (1824), S. 23; Hahnemann (1829), S. 74. 18 Hahnemann (1819), S. 83; Hahnemann (1824), S. 46; Hahnemann (1829), S. 99; Hahnemann (1833), S. 71; Hahnemann (1999), S. 59. 19 Hahnemann (1819), S. 89; Hahnemann (1824), S. 51; Hahnemann (1829), S. 104; Hahnemann (1833), S. 76; Hahnemann (1999), S. 63. 20 Hahnemann (1819), S. 88. Möglicherweise nahm Hahnemann hier einen Hinweis Wilhelm Gottfried Ploucquets (1744-1814) auf, Thomas Erastus habe das SimilePrinzip bereits vor Hahnemann erwähnt. Vgl. Ploucquet (1806). Die Stelle findet sich auszugsweise im Wortlaut zitiert in: Josef M. Schmidt (1990), S. 109, Anm. 21. 21 Hahnemann (1833), S. VIII; Hahnemann (1999), S. 3. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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bus« auch gegenüber der Isopathie verteidigt, der wiederum der Grundsatz »aequalia aequalibus« unterstellt wird.22 Als Kontrast zu Hahnemanns neuer Interpretation des Simile- wie auch des Contrarium-Prinzips sei noch ein kurzer Blick auf das Ähnlichkeitsprinzip bei Paracelsus (1493-1541) geworfen, in dessen Werk sowohl die Formel »Similia similibus curantur« als auch »Contraria a contrariis curantur« zu finden sind – ebenfalls je nur einmal, beide Male aber im Indikativ. Den Contrarium-Satz zitierte Paracelsus – wie Hahnemann – lediglich, um ihn abzulehnen, wenn auch aus anderen Gründen. Contraria a contrariis curantur, das ist, heiß vertreibt kaltes, das ist falsch, in der arznei nie war gewesen, sonder also: arcanum und krankheit das sind contraria. Arcanum ist die gesuntheit und die krankheit ist der gesuntheit widerwertig; diese vertreiben einander, iedweders das ander.23

Im Gegensatz zu Hahnemann, der aufgrund seiner Theorie von Erst- und Nachwirkungen den Contrarium-Satz als Grunddogma der Palliation deutete und damit in toto verwarf, wurde von Paracelsus die strukturelle Logik der Formel nicht verneint, sondern lediglich deren traditionelle inhaltliche Ausdeutung berichtigt: Bei den spekulativen Qualitäten heiß und kalt funktioniere der Mechanismus nicht, wohl aber, wenn man als Gegensatzpaare Krankheit und Gesundheit oder Krankheit und Arcanum einsetze. Krankheit werde durch Gesundheit bzw. durch Arcana vertrieben, und zwar dauerhaft (Abb. 5).

Abb. 5: Contraria a contrariis curantur (Paracelsus)

Auch der Satz »Similia similibus curantur« hat – trotz des ähnlichen Klangs – bei Paracelsus eine andere Struktur und Bedeutung. In seiner Tartarusvorlesung stellt Paracelsus bezüglich der Behandlung der Verstopfung (constipatio) fest, dass hier »Leinsamen, Flohsamen, Bockshornsamen etc. und schleimhaltige Mittel« wirksam seien, »weil der Darminhalt lehmartig sei, das heißt weil jene Samen schleimhaltig seien und der Darminhalt lehmartig und schleimartig sei und so Ähnliches zu Ähnlichem [etwas] hinzugefügt hat und Ähnliches durch Ähnliches behandelt wird«. Im lateinischen Original heißt es: 22 Hahnemann (1833), S. 70; Hahnemann (1999), S. 59. 23 Paracelsus (1924), S. 88f.; vgl. Schadewaldt (1973), S. 13. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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[…] ex seminibus lini, psillii, foenugraeci etc et mucilaginosis, quia in intestinis plus est de bolo quam lapillis, ideo quia illa semina sunt mucilaginosa et materia in intestinis est de bolo, et mucilaginosa et sic similia ad similia addiderunt et similia similibus curantur.24

Hier gibt es also ein tertium comparationis, nämlich die Gattung der Mucilaginosa (schleimhaltige Substanzen). Sowohl Darminhalt als auch Leinsamen sind darunter zu subsumieren, weil eben beide in einer Ähnlichkeitsbeziehung zum Schleimigen als solchen stehen. Der dem Schleimigen ähnliche Darminhalt (similia) wird durch die dem Schleimigen ähnlichen Leinsamen (similibus) behandelt bzw. geheilt (curantur), indem die dem Schleimigen ähnlichen Leinsamen (similia) der dem Schleimigen ähnlichen Darmmaterie (ad similia) etwas hinzufügten (addiderunt). Weit entfernt von Hahnemanns Arzneimittelprüfungen an Gesunden, seinem Vergleich der Symptomatik, der Unterscheidung von Erst- und Nachwirkungen usw. besteht hier, bei Paracelsus, die Korrespondenz zwischen Darminhalt und Leinsamen (und damit der Grund der Wirksamkeit der Letzteren) schlicht darin, dass sie beide einem gemeinsamen Dritten ähnlich sind (Abb. 6 und 7).

Abb. 6: Similia similibus curantur (Paracelsus)

Abb. 7: Similia ad similia addiderunt (Paracelsus)

Als Zusammenfassung dieses ersten (begriffsgeschichtlichen) Teils lässt sich festhalten, dass die Kurzformel »Similia similibus« in Hahnemanns gesamtem Werk nur in drei Aufsätzen (an insgesamt vier Stellen) sowie fünfmal in 24 Paracelsus (1931), S. 16; vgl. Schadewaldt (1973), S. 13. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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der Einleitung und einmal in der Vorrede des »Organon« vorkommt. Die komplette Form »Similia similibus curentur« taucht sogar nur an einer einzigen Stelle in der Einleitung des »Organon« auf. Lediglich in der ersten Publikation von 1796 ist der erste Teil der Formel (similia) beziehbar auf ähnliche andere Krankheiten bzw. Krankheitsheilungen, während ab 1807 die Formel zwar in ihrem Wortlaut beibehalten, aber im verallgemeinerten Sinn von »Omnes morbi similibus curentur« gebraucht wird. Hahnemanns Begründung und Dogmatisierung des Simile-Prinzips Um nachzuvollziehen, wie es zu dieser Neufassung und BedeutungsAusweitung des Ähnlichkeitsprinzips kam, sollen im Folgenden kurz die Hintergründe von Hahnemanns Schaffen und die Entwicklung seines neuen medizinischen Konzeptes betrachtet werden. Die Zeit, in der Hahnemann die Homöopathie begründete und ausarbeitete, war zum einen geprägt von tiefgreifenden politischen, sozialen und ökonomischen Veränderungen, wie der Französischen Revolution, der Emanzipation des Bürgertums und der Frühindustrialisierung, zum anderen von geistigen Bewegungen wie der Aufklärung, dem Deutschen Idealismus und der Deutschen Romantik. Speziell in den deutschen Landen entwickelte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine beachtliche Kultur kritischer und tiefgründiger Reflexion, auf die bis heute der (mittlerweile verblassende) Ruf der Deutschen als »Volk der Dichter und Denker« zurückgeht. Parallel zu einer massiven Bedeutungszunahme ökonomischen Denkens und des davon geprägten Rationalismus25 versuchten nicht nur Vertreter der Wissenschaften, sondern auch Philosophen und Theologen, den Bereich der Rationalität in ihren Fächern so weit wie möglich auszudehnen. Während Immanuel Kant (1724-1804) beanspruchte, die Metaphysik in den Rang einer (rationalen) Wissenschaft erhoben zu haben, versuchten Ärzte, aber auch heilkundlich interessierte Philosophen und Künstler, dasselbe für die Medizin zu erreichen.26 Als Beginn dieser neuen Ära mag das Jahr 1795 gelten, in dem unter anderem Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836) sein Journal der practischen Arzneykunde und Wundarzneykunst begründete, Andreas Röschlaub (17681835) mit seiner Dissertation die deutsche Rezeption des Brownianismus einleitete27 und Johann Benjamin Erhard (1766-1826) einen richtungsweisenden Aufsatz publizierte, der die theoretischen und praktischen Mängel der damaligen Medizin auf den Punkt brachte28. Ausgehend von der kritischen Philosophie Kants, führte Erhard im Neuen Teutschen Merkur 1795 25 Brodbeck (2009). 26 Josef M. Schmidt (2007), S. 45-48. 27 Tsouyopoulos (1982). 28 Wiesing (1995), S. 56-66. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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einer breiten Öffentlichkeit vor Augen, dass die Medizin – gemessen an einem geläuterten Erfahrungsbegriff – weder eine Kunst noch eine Wissenschaft sei. Sie verfüge über keinen tragfähigen Begriff von Gesundheit, Krankheit und Heilung, keine Kriterien für die Indikation von Heilmitteln, keine richtige Methode der Induktion, keine belastbare Semiotik oder Diätetik, keine sicheren Instrumente für die Praxis usw.29 Der Artikel erschien zunächst anonym, unter dem Titel »Ueber die Medicin. Arkesilas an Ekdemus«, und wirkte wie der Startschuss für eine ganze Generation von Ärzten und Philosophen, sich um die Vervollkommnung der Heilkunde bzw. Heilkunst zu bemühen. Auch Hahnemann hat sich bei seiner Kritik der Arzneikunde 1800 und 1805 auf den anonymen »Arkesilas« als den Herausforderer seiner Argumentation bezogen.30 Hahnemanns Streben und Wirken lässt sich in der Tat wie ein Abarbeiten dieses der ganzen Epoche aufgegebenen Programms begreifen. Was er diesbezüglich – vor allem in den Jahren bis 1805 – leistete, ist erstaunlich und an Rationalität und Praxisrelevanz schwer zu überbieten. Nicht zuletzt liegt dies an dem sittlichen Ernst, mit dem Hahnemann bei seinem Reformversuch der Medizin zu Werke ging, und an seinem erhabenen Menschenbild, das seine Kritik fortwährend inspirierte.31 Das Ethos des Arztes und seine Aufgabe, kranke Menschen zu heilen, verboten es für Hahnemann sowohl, die Medizin nach primär ökonomischen Gesichtspunkten zu betreiben32, als auch den Schlendrian der Ärzte und Apotheker unwidersprochen hinzunehmen, der in der Verordnung von Gemischen weitgehend unbekannter Substanzen für abstrakte Krankheitsbezeichnungen bestand. Ebenso wenig mit der Würde der Medizin vereinbar sei es, die ärztliche Praxis auf Aberglauben, Zufallsbefunde, rohen Empirismus, naturphilosophische Spekulationen, romantische Schwärmereien oder mechanisch-materiellen Reduktionismus zu stützen. In Abgrenzung gegenüber all den konkurrierenden Richtungen und in ständigem Rückbezug auf die Praxis empfahl Hahnemann vielmehr einfache, pragmatische Maßnahmen, wie die Verwendung von Einzelmitteln, Arzneimittelprüfungen an gesunden Menschen, eine an den Symptomen orientierte Differenzierung der verschiedenen Krankheitszustände und Arzneiwirkungen, die eigene Herstellung von Arzneien usw.33 Nur durch die damit geschaffene Transparenz war es ihm in der Folge möglich, Dinge zu entdecken, die er »sonst nie gesehen hätte«34, etwa die systemische Wirkung kleinster Gaben von Arzneien, für die er ab 1797 den 29 Anonymus (1795). 30 Hahnemann: Vorrede (2001), S. 288f., 291; Hahnemann: Aeskulap (2001), S. 373. 31 Josef M. Schmidt (2008). 32 Hahnemann: Monita (2001), S. 325, 331; Hahnemann: Aeskulap (2001), S. 383-386. 33 Josef M. Schmidt (1990); Josef M. Schmidt (2001). 34 Hahnemann: Hindernisse (2001), S. 264. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Begriff »dynamisch« gebrauchte35, oder die Ähnlichkeit bestimmter Arzneimittel-Symptome mit bestimmten Krankheits-Symptomen. Nachdem aus der Beobachtung einer gewissen Korrelation zwischen Arzneimittelprüfungs-Symptomen und geheilten Krankheits-Symptomen die Idee eines praktisch verwertbaren Zusammenhangs entsprungen war, fühlte sich Hahnemann 1796 berechtigt, ein neues »Prinzip« bzw. einen »Schlüssel« anzugeben, nach dem »allmählig für jedes, vorzüglich chronische Uebel ein passendes spezifisches Heilmittel« zu »finden« wäre.36 Um seine neue »Formel« auch theoretisch plausibel zu machen, glaubte Hahnemann, »fast als Axiom annehmen« zu können, dass bei den »meisten Arzneien« auf eine »direkte anfängliche« eine »indirekte Nachwirkung« folge und sich beide »gerade entgegengesetzt« seien.37 Damit wäre erklärt, warum kurative Arzneimittel, deren Erstwirkung mit dem Krankheitsbild übereinstimmt, heilsam seien, während für palliative Mittel im Falle chronischer Krankheiten das Gegenteil zutreffe. Der kausalen Therapie beließ Hahnemann, wo immer sie möglich sei, alle Rechte und akzeptierte auch die temporäre palliative Behandlung akuter Krankheiten.38 1801 beschrieb Hahnemann, wie er bereits im Jahr 1799 sein »neues, synthetisches Prinzip« auch auf die Behandlung und sogar Vorbeugung einer akuten Krankheit, nämlich Scharlachfieber, anwandte.39 Offenbar ermutigt durch Edward Jenners (1749-1823) Veröffentlichung über die Vakzination gegen Pocken im Jahr 179840, schloss Hahnemann nun folgendermaßen: Wenn die Kuhpocken – gemäß Hahnemanns neuem Prinzip – ein »Verhütungs-Mittel« der Menschenpocken wurden, so sollte Belladonna, die »den Symptomen des Scharlach-Fieber-Ausbruchs so ähnliche Zufälle erregt«, »eins der besten Verhütungs-Mittel« dieser Kinderkrankheit werden. Nachdem sich das Mittel zwar in seiner Praxis, nicht aber in der seiner Subskribenten bewährt hatte, kam Hahnemann offensichtlich in Erklärungsnot. So mutmaßte er, der Belladonna-Saft könne »auf den weiten Wegen und durch die Zeit an Kraft verloren haben« bzw. »eine sehr rauhe Luft« oder »andre äußere Umstände« könnten seine Kraft verhindert haben.41 Fünf Jahre später (1806) ergänzte er als weitere ad hoc-Hypothese, der Misserfolg der Kollegen könnte darauf beruht haben, dass sie Scharlachfieber mit »Purpurfrie-

35 Hahnemann: Gegenmittel (2001), S. 265; Hahnemann: Vorrede (2001), S. 289, 291f.; Hahnemann: Kraft (2001), S. 349; Hahnemann: Heilkunde (2001), S. 401, 409, 411. 36 Hahnemann: Versuch (2001), S. 223. 37 Hahnemann: Versuch (2001), S. 224. 38 Hahnemann: Versuch (2001), S. 220. 39 Hahnemann: Heilung (2001), S. 305-307. 40 Jenner (1798). 41 Hahnemann: Heilung (2001), S. 299f. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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sel« verwechselt hätten.42 Im Jahr 1801 war für Hahnemann sein »neues Prinzip« jedenfalls noch immer bloß ein Fingerzeig, die Krankheiten aus demjenigen Gesichtspuncte ansehn zu lernen, welcher auf das jedesmahlig passende Arzneymittel fast unzweideutig hinzeigt – ein Fingerzeig, nach der positiven Natur der Arzneymittel die Krankheiten aufzufinden, denen jene Gnüge leisten müssen.43

Im selben Jahr, 1801, unterschied Hahnemann – ganz in der Tradition der klassischen Empiriker44 – Krankheiten von »festständigem Gepräge«, »deutlicher Ursache« oder »Ansteckung von sich ziemlich gleichbleibenden Miasmen« (wie »Lustseuche« oder »Krätze«) einerseits und »alle übrigen Krankheiten«, die »so unendlich mannigfaltig in ihren […] Symptomen von einander abweichen, daß jeder einzelne Krankheitsfall […] für ein eignes Individuum angesehen werden muß«, andererseits.45 Des Weiteren unterschied er »Krankheiten von merkbarer, einfacher materieller Ursache«, deren Behandlung in »Entfernung der materiellen Ursache« bestehe, auf der einen und »das unzählige Heer aller übrigen« »akute[n], semiakute[n] und chronische[n]« Krankheiten von »unmaterieller, dynamischer Ursache« auf der anderen Seite, deren Wesen und »Entstehungsursache« nie zu ergründen sei.46 Für letztere Klasse von Krankheiten gebe es zwar keine direkte Kausaltherapie, wohl aber einen »kürzern, naturgemäßern Weg«, ein Heilmittel für die jeweiligen Zufälle zu finden.47 Der Anwendungsbereich der damit angedeuteten Ähnlichkeits-Therapie schien sich hier, 1801, bereits auf alle Krankheiten unbekannter Ursache auszudehnen. 1803, in einer Monographie über die Wirkungen des Kaffees, formulierte Hahnemann sein bisheriges Findungsprinzip erstmals in Form einer Tatsachenbehauptung, wenn er schreibt: »Wendet [man] [ein] Medikament in Krankheitsfällen an, die eine fast übereinstimmende Aehnlichkeit mit den Veränderungen haben, die die Arznei vor sich selbst (im gesunden Körper) zu erzeugen im Stande ist, so erfolgt gründliche Heilung.«48 Hahnemann akzeptierte hier nur die kurative Anwendung des Kaffees bei »langwierigen Beschwerden, die mit seiner Anfangswirkung große Aehnlichkeit haben«, sowie »seine[n] palliativen Gebrauch[ ]« in Notfällen und bedrohlichen »Krankheiten, die mit der Nachwirkung des Kaffees große Aehnlichkeit haben«.49 42 Hahnemann: Rüge (2001); Hahnemann: Scharlachfieber (2001); Schwanitz (1983). 43 Hahnemann: Ansicht (2001), S. 314. 44 Deichgräber (1965); Coulter (1975). 45 Hahnemann: Monita (2001), S. 321. 46 Hahnemann: Monita (2001), S. 326. 47 Hahnemann: Monita (2001), S. 327f. 48 Hahnemann: Kaffee (2001), S. 362. 49 Hahnemann: Kaffee (2001), S. 363f. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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1805 hatte Hahnemann seine neue Lehre so weit ausgearbeitet und systematisiert, dass er sie in einer Monographie (»Heilkunde der Erfahrung«) darstellen und eine erste Materia medica (»Fragmenta de viribus medicamentorum positivis«)50 präsentieren konnte. In einer Schrift an das breite Publikum (»Aeskulap auf der Wagschale«) nannte er als Desiderat seiner Epoche eine »gewisse, nie fehlende« Arzneikunde, die »erlernt« und »gelehrt« werden könne und »zur Wissenschaft gedeihen« müsse.51 Hier stellte er fest, dass »die Mehrzahl der Krankheiten, um derentwillen ein Arzt gerufen wird«, »akute Krankheiten« seien, die nach Ablauf einer bestimmten Zeit von selbst heilen. Bei der Behandlung chronischer Krankheiten wiederum sei von den Naturwissenschaften, speziell der Chemie, keine große Hilfe zu erwarten, da »das eigentlich Heilsame oder Schädliche in den Arzneien gar nicht in ihren Gesichtskreis« gelange, zumal die Funktionen des Körpers von der »Vitalität« »übermeistert« würden.52 Die »Heilkunde der Erfahrung« (1805) beanspruchte nun, eine Lösung für die Schwierigkeiten der damaligen Medizin zu bieten. Wie schon 1801, wurde zwischen den wenigen »eigenartigen Krankheiten«, die von einer »sich immer gleich bleibenden Ursache« herrühren und sich daher mit »einzelnen Namen« bezeichnen lassen, und »allen übrigen unzähligen Krankheiten«, die »ungleichartig« seien und als »individuelle Krankheit[en] angesehen und behandelt werden« müssen, unterschieden.53 Um aber zu begründen, warum seine neue Lehre für die Behandlung all dieser undurchschaubaren Krankheiten zuständig sei, führte Hahnemann hier mehrere theoretische Postulate in seinen bisher überwiegend empirischen Ansatz ein. So sollte sich »das innere Wesen jeder Krankheit« in ihren »vorhandenen Zeichen« aussprechen, das heißt mit den »bemerkbaren Zeichen« sei »die Krankheit selbst gefunden«.54 Dass dem Arzt nichts weiter »zum Behufe der Heilung zu wissen nötig« sei, garantiere Hahnemann »der weise und gütige Schöpfer«, der »seine Kinder nicht hülflos lassen oder nicht mehr von ihnen verlangen wollte, als sie leisten können«.55 Und dass Heilungen von Krankheiten immer nur durch kurative, nie durch palliative Arzneimittel geschehen können56, versuchte er durch eine Theorie zu begründen, wonach »im menschlichen Körper« keine zwei Reize »neben einander und zu gleicher Zeit bestehen können«. Sind beide Reize ungleichartig, suspendie-

50 Hahnemann: Heilkunde (2001); Hahnemann: Fragmenta (2001). 51 Hahnemann: Aeskulap (2001), S. 374f. 52 Hahnemann: Aeskulap (2001), S. 371, 378, 380. 53 Hahnemann: Heilkunde (2001), S. 390-392. 54 Hahnemann: Heilkunde (2001), S. 392, 395. 55 Hahnemann: Heilkunde (2001), S. 390, 392. 56 Hahnemann: Heilkunde (2001), S. 405f. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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ren sie sich. Sind sie von ähnlicher Art, werde der schwächere durch den stärkeren »aufgehoben« bzw. »vernichtet«.57 Unter diesen theoretischen Voraussetzungen verallgemeinerte Hahnemann nun sein ursprüngliches Findungsprinzip zu der These: »Um also heilen zu können, werden wir blos nöthig haben, dem vorhandenen widernatürlichen Reize der Krankheit eine passende Arzenei, das ist, eine andere krankhafte Potenz von sehr ähnlicher Wirkung, als die Krankheit äußert, entgegen zu setzen.«58 Oder anders formuliert: »Blos jene Eigenschaft der Arzeneien, eine Reihe spezifischer Krankheitssymptomen im gesunden Körper zu erzeugen, ist es, wodurch sie Krankheiten heilen, das ist, den Krankheitsreiz durch einen angemessenen Gegenreiz aufheben und verlöschen können.«59 Auch bei der Einschätzung des Geltungsbereichs seiner neuen Methode kannte Hahnemann von nun an keine Grenzen mehr: »Der Erfolg von einem solchen naturgemäßen Verfahren ist so zuversichtlich, so ganz ohne Ausnahme gewiß, so über alle Erwartung schnell, daß keine Art, Krankheiten zu heilen, etwas ähnliches aufzuweisen hat.«60 Der Indikationsbereich kurativer Mittel wurde jetzt ausdrücklich auch auf akute Krankheiten ausgedehnt, während der von palliativen Mitteln auf Notfälle beschränkt wurde.61 Um seine Behauptung der Allgültigkeit und Ausschließlichkeit von Heilungen durch kurative Mittel zu stützen, begann Hahnemann bezeichnenderweise zu diesem Zeitpunkt, auch Belege aus der Literatur oder aus dem Alltag anzuführen, die von einem Hippokrates-Zitat bis zu dem Beispiel einer Behandlung von Überhitzung durch einen »Schluck[ ] Branntwein« reichen.62 Einige Hintertürchen hat sich Hahnemann in seinem nun weitgehend geschlossenen System allerdings offengehalten: So können die Symptome einer Arznei nicht nur in Arzneimittelprüfungen an Gesunden, sondern »selbst in Krankheiten« aufgefunden werden, doch sei dies »ein Gegenstand höherer Betrachtung und blos den Meistern in der Beobachtungskunst zu überlassen«. Auf diese (gemischte) »Art« seien auch seine »Fragmenta« zustande gekommen.63 Und nach wie vor gehört »zur Begründung der Heilung« – neben dem »Bild der Krankheit in ihren Zeichen« – auch »die Kenntniß ihrer Veranlassung und Entstehungsursache, um, nächst der Heilung durch Arzneien, auch diese hinweg räumen zu können«.64 57 Hahnemann: Heilkunde (2001), S. 395-398. 58 Hahnemann: Heilkunde (2001), S. 398. 59 Hahnemann: Heilkunde (2001), S. 399. 60 Hahnemann: Heilkunde (2001), S. 400. 61 Hahnemann: Heilkunde (2001), S. 404f. 62 Hahnemann: Heilkunde (2001), S. 405-408. 63 Hahnemann: Heilkunde (2001), S. 400. 64 Hahnemann: Heilkunde (2001), S. 393, 395. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Damit war 1805 die Homöopathie als eigenständige Doktrin bzw. als Heilsystem begründet, entbehrte aber noch eines Markennamens. Diesen prägte Hahnemann im Jahr 1807, als er definierte: »Homöopathisch ist, was ein hómoion páthos, ein ähnliches Leiden zu erzeugen Tendenz hat.«65 Erst in diesem Zusammenhang, also bei der Suche nach einer Identitätsformel, tauchte – nach elf Jahren – erstmals wieder das »Similia similibus« auf66, jetzt allerdings unter erheblich veränderten Rahmenbedingungen. Im Gegensatz zu 1796 war Hahnemanns ehemaliges Findungsprinzip jetzt zur alleinigen »Wahrheit«, zum »einzige[n] Weg, Krankheiten leicht, schnell und mit Bestand zu heilen«, bzw. zum »rationellesten und vollkommensten aller Heilwege« avanciert.67 Als literarische Belege wurden nun sogar über 400 Autoren zitiert, deren Angaben die Richtigkeit von Hahnemanns Behauptung an knapp 50 Mitteln demonstrieren sollten.68 In seinem 1808 publizierten offenen Brief an Hufeland, in dem das »Similia similibus« erneut erwähnt wird, sprach Hahnemann ebenfalls vom »einzig heilbringenden Weg«, vom »einzig mit Sicherheit und Gewißheit zu Heil und Gesundheit führende[n] Weg« sowie von »Wahrheit« und darüber hinaus zum ersten Mal auch von einem »Naturgesetz«.69 Mindestens fünfmal betonte er, dass »bloß« sein Weg der »richtige und zur Heilung taugliche« sei, und hielt jetzt »den Satz für unumstößlich«, dass »jede Krankheit« allein anhand ihrer »erscheinen[den]« »Zufälle und Empfindungen« homöopathisch »geheilt« werden könne.70 Im »Organon der rationellen Heilkunde«, das 1810 erschienen ist, benannte Hahnemann seine neue Methode endgültig mit dem Substantiv »Homöopathie« und pries sie als »heilbringende Wahrheit«71 bzw. als »rationelle Heilkunde«72, die auf dem »homöopathischen Heilgesetze«73, dem »homöopathischen Naturgesetze«74, dem »ewigen, ausnahmelosen Gesetze der Homöopathie«75 sowie einigen »speciellern Gesetzen der rationellen Heilkunde« beruhe76. Damit hatte die Dogmatisierung und Verabsolutierung der 65 Hahnemann: Fingerzeige (2001), S. 461. 66 Hahnemann: Fingerzeige (2001), S. 460. 67 Hahnemann: Fingerzeige (2001), S. 460f., 471f. 68 Hahnemann: Fingerzeige (2001), S. 461-471; Josef M. Schmidt (1988). 69 Hahnemann: Auszug (2001), S. 495, 498. 70 Hahnemann: Auszug (2001), S. 494-496. 71 Hahnemann (1810), S. III. 72 Hahnemann (1810), §§ 2, 33, 45, 126, 200. 73 Hahnemann (1810), S. VII, XXXI. 74 Hahnemann (1810), S. XVIII, § 19. 75 Hahnemann (1810), § 199. 76 Hahnemann (1810), § 200. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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neuen Lehre ihren Höhepunkt erreicht, der in den künftigen Schriften und »Organon«-Ausgaben nicht mehr zu überbieten war. Rhetorische Steigerungen finden sich allenfalls noch 1819, als Hahnemann seine Überzeugung aussprach, dass mit einer künftigen Verbesserung der Materia medica das homöopathische »Heilgeschäft den mathematischen Wissenschaften an Gewißheit nahe kommen« werde77, oder 1833, als er erklärte, die Homöopathie sei der »einzig richtige«, »einzig mögliche« und »wahre, beste« Heilweg – ebenso »gewiß« wie »zwischen zwei gegebenen Punkten nur eine einzige gerade Linie zu ziehen möglich ist«78. Nicht einmal die Herausforderung durch offensichtlich therapieresistente chronische Krankheiten konnte Hahnemann in seiner Überzeugung verunsichern, dass »die Lehre selbst auf die unumstößlichsten Pfeiler der Wahrheit gestützt [sei] und […] es ewig seyn« werde.79 Mit seiner 1828 veröffentlichten Psora-Theorie behauptete er vielmehr, nun auch die »Grundursache[n]«80 aller chronischen Krankheiten homöopathisch heilen zu können, womit sich das Anwendungsspektrum des Ähnlichkeitsprinzips von einer Maxime zur phänomenologischen Behandlung komplexer Krankheitszustände, deren Ursache nicht erkennbar sei, bis hin zum Anspruch einer (dynamischen) Kausaltherapie ausgedehnt hatte. Als Fazit dieses zweiten (konzeptionsgeschichtlichen) Teils ergibt sich, dass Hahnemann – geprägt und getrieben durch das kulturelle und intellektuelle Umfeld seiner Zeit – bei seinem Streben nach einer wissenschaftlichen Grundlegung der Medizin auf das Ähnlichkeitsprinzip gestoßen war. Im Einklang mit seiner neuen rationalen Fassung desselben fasste er dieses 1796 zunächst nur als Findungsprinzip auf, um (vorwiegend) chronischen Krankheiten ein jeweils spezifisches Arzneimittel anpassen zu können. 1799/1801 erweiterte er dessen Indikationsbereich auch auf akute Krankheiten (wie Scharlach) sowie letztlich alle Krankheiten, deren Entstehungsursache nicht zu ergründen sei. 1803 war für Hahnemann Heilung nach dem von ihm definierten Ähnlichkeitsprinzip bereits eine Tatsache. 1805 führte er zur wissenschaftlichen Erklärung seiner jetzt verabsolutierten praktischen Lehre mehrere Theorien ein. Ab 1807 war die »homöopathische« Heilart für ihn die »Wahrheit« bzw. der »einzige«, »rationellste[ ] und vollkommenste[ ] aller Heilwege«, ab 1808 ein »Naturgesetz«. Spätestens 1810 war mit der Prägung des Begriffs »Homöopathie« ein geschlossenes System entstanden, das den Anspruch erhob, bis auf wenige Ausnahmen alle Krankheiten nach Hahnemanns Ähnlichkeitsprinzip heilen zu können, ab 1828

77 Hahnemann (1819), § 152; Hahnemann (1824), § 152; Hahnemann (1829), § 139; Hahnemann (1833), § 145; Hahnemann (1999), § 145. 78 Hahnemann (1833), §§ 54, 109; Hahnemann (1999), §§ 53, 109. 79 Hahnemann (1828-1830), Bd. 1, S. 6; Hahnemann (1835-1839), Bd. 1, S. 5. 80 Hahnemann (1829), § 7; Hahnemann (1833), § 5; Hahnemann (1999), § 5. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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sogar mit dem Anspruch, dabei die Grundursache chronischer Krankheiten zu beheben. Der epistemologische Status von Hahnemanns Ähnlichkeitsprinzip Hahnemanns Anspruch, den einzig wahren und einzig möglichen Weg zur Heilung praktisch aller Krankheiten (mit Ausnahme sogenannter chirurgischer oder lebensbedrohlicher Notfall-Situationen) gefunden zu haben, blieb nicht unwidersprochen. Bereits in den 1820er und 1830er Jahren war es vor allem die Frage des Geltungsbereiches seines Ähnlichkeitsprinzips, die zu den ersten Spaltungs- bzw. Emanzipierungs-Bewegungen innerhalb der sich konstituierenden homöopathischen Gemeinde führte.81 Moritz Müller (1784-1849), Traugott Kretzschmar (1786-1838), Ludwig Griesselich (1804-1848) und andere verwahrten sich – bei aller Wertschätzung des Simile-Prinzips als solchem – dagegen, auf sämtliche nichthomöopathische Methoden verzichten zu sollen, um von Hahnemann als »echte Schüler«82 anerkannt zu werden. Klassisch-eklektisch mutet in diesem Zusammenhang die Einschätzung Hufelands an, der 1830 erklärte: »Keine Homöopathie, aber wohl eine homöopathische Methode in der rationellen Medizin!«83 In der Tat besteht bis heute das Kernproblem in der Auseinandersetzung zwischen der Homöopathie und der sich seitdem mächtig weiterentwickelnden naturwissenschaftlich orientierten Hochschulmedizin darin, keinen Konsens über den Indikationsbereich einer Behandlung nach dem Ähnlichkeitsprinzip erzielen zu können.84 Wissenschaftstheoretisch gesehen dominierten zu Hahnemanns Zeit vor allem zwei damals als fortschrittlich angesehene methodische Ansätze, von denen man sich die Beförderung der Medizin in den Rang einer Wissenschaft erhoffte: 1. die schon von Francis Bacon (1561-1626) propagierte Methode der Induktion, die von empirischen Einzelbeobachtungen zu gesetzmäßigen Allgemeinaussagen aufzusteigen beansprucht, und 2. die vor allem von Philosophen des Deutschen Idealismus favorisierte Methode der Deduktion, die versuchte, sämtliche Lebenserscheinungen und damit auch die Medizin aus möglichst wenigen selbstevidenten Grundsätzen bzw. Axiomen abzuleiten. Innerhalb dieser zeitbedingten Optionen bediente sich Hahnemann – um sich und sein eigenes Vorgehen zu rechtfertigen – der ersteren Argumentationsstruktur und beteuerte bis zuletzt, allein durch »Beobachtung, Nachdenken und Erfahrung«85 zu seinen »Erfahrungs81 Wittern (1984). 82 Hahnemann: Schüler (2001), S. 837; Hahnemann: Einladung (2001). 83 Hufeland (1830), S. 25; Hufeland (1831), S. 40. 84 Josef M. Schmidt (2009). 85 Hahnemann (1829), S. 51; Hahnemann (1833), S. 62; Hahnemann (1999), S. 54; vgl. Hahnemann (1828-1830), Bd. 1, S. 7; Hahnemann (1835-1839), Bd. 1, S. 6. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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s[ä]tz[en]«86 und »Lehrs[ä]tz[en]«87 gekommen zu sein. Weil sich diese immer wieder bewährt hätten, würden sie eben die »Wahrheit« bzw. »Naturgesetze« darstellen. Da es für den Umgang mit Misserfolgen oder Anomalien innerhalb dieses Denkrahmens kaum weiterführende Kategorien gab, konnten diese nur ignoriert, verdrängt oder auf verschiedene Weise rationalisiert oder abgewehrt werden, etwa durch Rhetorik, Polemik, Immunisierungs-Argumente, den Vorwurf der Häresie, die Unterstellung von »Verhunzungen« durch die »Allöopathie«88 und anderes – was einer sachlichen Diskussionskultur nicht gerade zuträglich war. Diese Patt-Situation der Kommunikations-Unfähigkeit und strukturellen Intoleranz gegenüber konkurrierenden Methoden, in der die Homöopathie seitdem feststeckt, ließe sich unter Berücksichtigung neuerer wissenschaftstheoretischer und medizintheoretischer Ansätze auflösen. Nachdem sich weder der Positivismus des Wiener Kreises um Moritz Schlick (18821936)89 noch der kritische Rationalismus von Karl Popper (1902-1994)90 halten ließen, hat sich – über die Befreiung der Erkenntnistheorie von jeder Art von Methodenzwang durch Paul Feyerabend (1924-1994)91 und die Ideologiekritik an Herrschaftswissen durch die Frankfurter Schule92 – als Konsens herauskristallisiert, dass Wissenschaft niemals so etwas wie absolutes Wissen generieren könne, sondern vielmehr als ein sozialer Prozess zu begreifen sei93. Kurt Gödel (1906-1978) hatte bereits 1930 mathematisch das Unabschließbarkeits-Theorem jedes axiomatischen Systems bewiesen94, Ludwik Fleck (1896-1961) 1935 auf die Wichtigkeit der jeweiligen Ausbildungs- und Wahrnehmungs-Tradition für den »Denkstil« eines »Denkkollektivs« hingewiesen95 und Robin Collingwood (1889-1943) 1940 gezeigt, dass jede Wissenschaft »absolute Voraussetzungen« enthalte, die aus ihr selbst rational nicht herleitbar seien96. Thomas Kuhn (1922-1996) erklärte schließlich 1962, dass der Wissenschaftsprozess allenfalls innerhalb bestimmter »Plateau-Phasen«, in denen sich Wissenschaftler an einem gemeinsam anerkannten Paradigma orientieren, linear und rational verlaufe, da86 Hahnemann: Heilkunde (2001), S. 396. 87 Hahnemann (1835-1839), Bd. 1, S. 100. 88 Hahnemann (1833), § 75; Hahnemann (1999), § 75. 89 Schlick (1938). 90 Popper (1976). 91 Feyerabend (1975). 92 Habermas (1973). 93 Walach (2005), S. 261-283. 94 Gödel (1931). Der 1931 publizierte Aufsatz war am 17.11.1930 eingereicht worden. 95 Fleck (1980). 96 Collingwood (1998). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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zwischen aber auch disruptiv bzw. revolutionär, woraus sich radikale Neuentwürfe mit einer Entwertung alles Bisherigen ergeben können.97 Aus der Perspektive dieser eher dekonstruktivistischen Seite der modernen Wissenschaftstheorie erscheint Hahnemanns Absolutheitsanspruch (ab 1805) – systematisch betrachtet – als unhaltbare Vermessenheit und – historisch gesehen – als typisches Geistesprodukt seiner Zeit, in der eben das Paradigma bzw. der Denkstil vorherrschte, möglichst alles aus einem Prinzip zu erklären, um dieses dann als »die Wahrheit« auszugeben und gegen konkurrierende Wahrheitsansprüche zu verteidigen. Um aber auch positiv Hahnemanns Leistung angemessen würdigen zu können bzw. diese begrifflich klarer herauszustellen, als er selbst und seine Zeitgenossen dies verbalisieren konnten, bietet sich an, auf Charles Sanders Peirce (1839-1914) und sein vor etwa 100 Jahren entwickeltes Konzept der Abduktion zurückzugreifen.98 Im Gegensatz zur Induktion, die immer nur zu Wahrscheinlichkeits-Aussagen, nie aber zu einer endgültigen Gesetzmäßigkeit kommt, und zur Deduktion, die zwar logisch stringent und unanfechtbar ist, aber keine neuen Erkenntnisse hervorbringt, besteht Abduktion in dem kreativen Akt, der von der Beobachtung relevanter Einzelheiten zum Einfall einer Theorie führt, die jene in einer sinnvollen Weise miteinander verknüpft. Da eine neue Theorie aber in keiner Weise in den vorgefundenen Daten bereits vorhanden ist, lässt sich ihre Auffindung (per Abduktion) nicht systematisch rekonstruieren, algorithmieren, operationalisieren oder simulieren – weshalb dieser Begriff und dieser Prozess (im Gegensatz zu Induktion und Deduktion) in der herkömmlichen Wissenschaftstheorie stark vernachlässigt wurde.99 Obwohl es keine Regel gibt, nach der man Abduktion, also das Finden einer zufriedenstellenden Struktur für die Erklärung oder die Verbindung einzelner Datenpunkte, lernen kann, spielt sie im Wissenschaftsprozess, aber auch in der ärztlichen Praxis eine elementare Rolle. Um verschiedene disparate Symptome eines Patienten auf einen Nenner, sprich unter eine Diagnose zu bringen, braucht der Arzt des Öfteren ebenso einen zündenden Einfall wie der Forscher, dem – wie Newton vor dem legendären Apfel – plötzlich die Idee kommt, zahlreiche bisher unzusammenhängende Beobachtungen unter einem neuen einheitlichen Gesichtspunkt zu verstehen. Was Hahnemann zuwege brachte, als er das Ähnlichkeitsprinzip (in der neuen Fassung, die er ihm gab) als »Schlüssel« bzw. »neues Prinzip« aufstellte, um – innerhalb des Kenntnisstandes der Medizin seiner Zeit – die Behandlung 97 Kuhn (1962). 98 Peirce (1931-1958), Bd. II, S. 773-779; Bd. V, S. 170-198; Bd. VIII, S. 207-210. Die Abduktion als Schlussform wurde bereits von Aristoteles unter dem Begriff »apagogé« im Kapitel 25 seiner Schrift »Lehre vom Schluss oder Erste Analytik« aufgeführt. Aristoteles (1995), Bd. 1, S. 142f. 99 Walach (2005), S. 30-34. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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von Krankheiten an einer bis dahin unerhörten rationalen Leitlinie auszurichten, lässt sich weder hinreichend durch Induktion noch durch Deduktion begreifen, sondern vielmehr durch eine Art von genialer Abduktion.100 Nach neuerem wissenschaftstheoretischen Verständnis müssen abduktive Schlüsse aber immer rekursiv, durch Ableitung weiterer Einzelfälle, überprüft werden. Aufgrund der Fehleranfälligkeit der Schlussform Abduktion sind aus der jeweiligen so zustande gekommenen Theorie per Deduktion konkrete Erwartungen zu formulieren, deren Übereinstimmung mit den Einzelbeobachtungen wiederum per Induktion zu überprüfen ist, so dass sich idealerweise ein Zirkel ergibt, der den wissenschaftlichen Prozess in Gang hält.101 An keiner Stelle ist es gerechtfertigt – und das ist der Unterschied zur Mentalität zu Hahnemanns Zeit –, den Prozess abzubrechen und von »ewiger Wahrheit« oder dergleichen zu sprechen. Nichtsdestotrotz mag es unter Wissenschaftlern Persönlichkeitstypen geben, die einer der drei (sich ergänzenden) Schlussformen in besonderem Maße zugeneigt sind. Hahnemanns Stärke lag zweifellos in seiner Kreativität und Künstlernatur und damit im Bereich der Abduktion. Bereits als Schüler und Student brachte er sich den Lernstoff mehr oder weniger autodidaktisch bei, als junger Arzt machte er mehrere chemische und medizinische Entdeckungen, und in seiner Leipziger Zeit, als er die 2. Auflage des »Organon« in »Organon der Heilkunst« umbenannte, bezeichnete er seine Frau Henriette als »edle Gefährtin seines Künstlerlebens«.102 Natürlich leistete Hahnemann auch in den anderen beiden Bereichen, Induktion und Deduktion, Bedeutendes, vor allem in seiner rationalistischsten Phase (1805-1810), als er versuchte, seine Vision bzw. Idee in die Begriffe und Denkformen seiner Zeitgenossen zu übersetzen und als »rationelle Heilkunde« theoretisch zu begründen. So bemerkenswert seine semiotischen, reiztheoretischen und teleologischen Theorien und Erklärungen – im Kontext des damaligen wissenschaftlichen Diskurses – gewesen sein mögen: Für die Homöopathie als Praxis, die noch heute weltweit therapeutische Relevanz besitzt103, haben sie sich als sekundär oder sogar als entbehrlich erwiesen. Was blieb, was sich verbreitete und weiterhin Früchte trägt, muss – wissenschaftlich bis heute unerkannt – weniger durch seine Theorien als vielmehr durch seine praktischen Anweisungen weitergegeben worden sein. Ein näherer Blick etwa auf die Materia medica homoeopathica lehrt schnell, dass bereits Hahnemann selbst – entgegen seinen rationalen AußenDarstellungen – nicht nur reine Arzneimittelprüfungs-Symptome, sondern auch sogenannte Heilwirkungen und Beobachtungen an Kranken mit Er100 Vgl. Lochbrunner (2007), S. 189-191, 198; Walach (2005), S. 29-38. 101 Walach (2005), S. 33-37. 102 Jütte (2005), S. 38. 103 Vgl. Dinges (1996). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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folg benutzte, was – strenggenommen – bereits seine eigene Theorie relativierte.104 Hahnemanns Theorie der Erst- und Nachwirkungen wurde von späteren Homöopathen teils übernommen, teils verworfen, ohne dass sich wesentliche Auswirkungen auf die Praxis gezeigt hätten.105 Auch das von Hahnemann in einem spezifischen Sinn gebrauchte »Wort Miasma wird mittlerweile innerhalb der Homöopathie in so unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht, dass man es ohne wesentlichen Verständigungsverlust aus dem homöopathischen Wortschatz streichen könnte«.106 Offensichtlich ist eine erfolgreiche Praxis der Homöopathie weitgehend unabhängig von der von Hahnemann und seinen Nachfolgern gelehrten Theorie. Constantin Hering (1800-1880), der Patriarch der Homöopathie in Amerika und zeitlebens strenger Hahnemannianer, bekannte 1836 in seinem Vorwort zur ersten amerikanischen Übersetzung des »Organon«, dass er »niemals, auch keine einzige der Theorien im Organon so angenommen habe, wie sie da gegeben werden«107, und erklärte 1861, um Hahnemann zu verstehen, müsse man dessen »Richtung« »als die eines Künstlers betrachte[n]« und ihn als »ganz[ ] gewaltigen Künstlergeist[ ]« anerkennen108. Zum Verhältnis von Kunst und Wissenschaft sagte er an dieser Stelle: »In der Geschichte kommt Wissenschaft stets später als Kunst, sie bringt nichts Ganzes hervor, als in sich Vollendete, sondern schneidet mit ihren anatomischen Messern entzwei; […] Alles das ist ganz in Ordnung, nur soll man den Künstler, der eine andere Aufgabe hatte, auch als einen solchen beurtheilen.«109 Weit entfernt von ignoranter Wissenschaftsfeindlichkeit, verwies Hering dennoch auf ihre Grenzen: »Ist auch das Streben nach Sicherheit, nach Wissenschaft immer ein löbliches, ja unabweisliches, darf es doch die Kunst nicht zerstören.«110 Wenn Hering hier eine Lanze für die »Kunst« des Arzneiprüfens, des Beobachtens, des Krankheitsbilder Aufnehmens und des Heilens brach111, so erweist sich diese Position als gut anschlussfähig an neuere Entwicklungen in der Medizintheorie112, die seit einigen Jahrzehnten den Status der Medi104 Wischner (2004); Josef M. Schmidt (2010). 105 Josef M. Schmidt (2001), S. 72-95. 106 So der 1. Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte, Curt Kösters, in einem Vortrag in Hamburg 2010; zit. n. Deutscher Zentralverein homöopathischer Ärzte (2010), S. 4. 107 Hering (1836), S. XV. In deutscher Übersetzung abgedruckt in Hering (1837/38), S. 92; vgl. Josef M. Schmidt (2001), S. 75. 108 Hering (1988), S. 1182, 1231. 109 Hering (1988), S. 1183. 110 Hering (1988), S. 1233. 111 Hering (1988), S. 1183, 1229f. 112 Wieland (1975); Wiesing (2004). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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zin nicht mehr – wie in den vorangegangenen 150 Jahren – als eine angewandte Naturwissenschaft sieht, sondern als praktische Wissenschaft sui generis. Aufgrund des strukturellen Unterschieds zwischen Wissen und Handeln könne zweckfreie Wissenschaft, der es um reine Erkenntnis gehe, niemals die Basis eines reflektierten Selbstverständnisses der Medizin abgeben. Diese habe nämlich eine klare Aufgabe: kranken Menschen zu helfen. Ihre Wissenschaftlichkeit könne daher nur darin bestehen, praktisch umsetzbare Kriterien für zielgerichtetes Handeln zu entwickeln. Noch bevor sich die Medizin ab Mitte des 19. Jahrhunderts – unter Verkennung ihres genuin praktischen Wesens – anschickte, sich als Naturwissenschaft zu begreifen, hatte Hahnemann das heute aktuelle Programm der Medizintheorie bereits mustergültig erfüllt. Als »echter Heilkünstler« hatte er – in seinem Streben nach Vervollkommnung der Heilkunst, durch eine glückliche Abduktion – einen Weg entdeckt, wie Krankheiten schnell, sanft und dauerhaft geheilt werden können, und eine konkrete Anleitung dazu gegeben. Inwieweit dieser Weg rational, »nach deutlich einzusehenden Gründen«, nachvollziehbar sei, ob er lehr- und lernbar sei, ob er der einzige, kürzeste, zuverlässigste, unnachteiligste Weg sei: Diese und ähnliche Fragen konnten sich naturgemäß erst im Anschluss an den primär kreativen Akt der Eröffnung dieses neuen Forschungsfeldes stellen. Sie betreffen an sich weniger den praktischen zielorientierten Künstler als den Rationalisten, der versucht oder auch gezwungen ist, sich im zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskurs gegen Anfechtungen durch Vertreter konkurrierender Systeme auf der Ebene von Begriffen und zweiwertiger Logik zu behaupten. Die Schwierigkeit, in die Hahnemann bei seinem Spagat zwischen vorwärtseilender experimenteller Praxis und nachhinkender rationalisierender Theorie geriet, kommen in aller Schärfe in einem weiteren Zitat Constantin Herings von 1861 zum Ausdruck: Contraria contrariis ist in der Theorie das einzig Richtige, aber ermangelt in der Praxis der guten Werke. Similia similibus ist zwar praktisch oder künstlerisch die beste Regel, aber in der Theorie taugt sie nichts und ermangelt aller wissenschaftlichen Bestimmtheit.113

Bereits 1834 habe Hering – wohlgemerkt als strikter Hahnemannianer – daher gefordert: »Beide durchdrungen als Eins, machen erst, wie die rechte und linke Seite miteinander einen Menschen; wodurch sich dann auch, aber nur dann, alles Mögliche ausrichten lässt.«114 113 Hering (1988), S. 1181. 114 Hering (1988), S. 1181. Hering verweist hier, indem er schreibt »es steht geschrieben Mai 1834 in Stapf’s Archiv 15, 1. 16«, offensichtlich auf seine Schrift »Das Schlangengift als Heilmittel«, publiziert in Stapfs Archiv für die homöopathische Heilkunst 15 (1835), H. 1, S. 1-93, in deren erstem Teil er sich mit dem wissenschaftlichen Status des Ähnlichkeitsprinzips befasst und die mit der Unterschrift endet: »Geschrieben zu Philadelphia im Mai 1834«. Vgl. Hering (1835). Das 1861 beanspruchte Zitat ist dort in dieser Form allerdings nicht zu finden. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Eine derart abgeklärte und souveräne Distanz gegenüber Theorien, wie sie Hering – von Amerika aus – an den Tag legte, konnte von Hahnemann, dessen »erste[ ] kühne[ ] That« laut Hering gar nicht hoch genug geschätzt werden könne, allerdings nicht erwartet werden, schon aufgrund der Angespanntheit der zeitgenössischen deutschen Streitkultur. Für Hahnemann beruhten seine und die Heilungen seiner Schüler, die seinen Anweisungen folgten, bis zuletzt auf seiner Theorie, der zufolge die geheilten Patienten Symptome hatten, die den Symptomen, die das verabreichte Arzneimittel in einer Prüfung an Gesunden hervorgebracht hat, ähnlich waren. Um das so gefasste Ähnlichkeitsprinzip theoretisch zu stützen, gebrauchte Hahnemann von Anfang an Hilfs-Hypothesen wie das Konzept von Erst- und Nachwirkungen, von palliativer und kurativer Wirkung sowie ab 1805 Postulate wie die Einheit des Organismus, in dem keine zwei Reize auf einmal bestehen können, die Identität von innerem Wesen einer Krankheit mit dem Inbegriff der Symptome, die vom weisen und gütigen Schöpfer garantierte Unnötigkeit der Ursachenkenntnis von Krankheiten, die ausnahmslose Überlegenheit jedes Arzneimittelreizes über jeden Krankheitsreiz sowie ab 1829 – im Zusammenhang mit der Psora-Theorie – sogar die Unterstellung, die Lebenskraft bringe, ohne Unterstützung durch die Homöopathie, an Heilbestrebungen selbst nur »eine Art Allöopathie« zustande115 usw. Diese und viele andere theoretische Erklärungen Hahnemanns sorgten – indem sie nicht als das erkannt und aufgelöst wurden, was sie sind – für hitzige akademische Auseinandersetzungen und letztlich für eine 200-jährige literarische Tradition von Kritiken und Apologien. Wie durch die neueren Entwicklungen der Medizintheorie nahegelegt, wäre die Medizin und damit auch die Homöopathie gut beraten, sich hinsichtlich ihres Selbstverständnisses primär nicht auf kontingente Theorien, sondern auf ihre praktische Aufgabe und die ihr zur Verfügung stehenden konkreten Hilfsmittel zu besinnen. Diese bestehen für Homöopathen in den Anweisungen Hahnemanns und seiner genuinen Nachfolger zu einer detaillierten, individualisierenden Anamnese mit Schwerpunkt auf subjektive Befindensveränderungen, einem differenzierenden Arzneimittelstudium nach Lokalisationen, Sensationen, Modalitäten und Begleitumständen sowie einer Hierarchisierung der sonderlichen, eigenheitlichen bzw. charakteristischen Zeichen und Symptome. Dies ist – aus einer pragmatischen Perspektive – der gemeinsame Nenner der Homöopathen seit 200 Jahren. Diese praktischen Leitlinien gefunden, entwickelt und verteidigt zu haben, lässt sich gleichwohl als das Werk eines »empirischen Genies« werten, wie Hahnemann etwa von Rudolf Flury (1903-1977) bezeichnet worden ist.116 Auf ihnen, und bisher nur auf ihnen, scheint auch der damit erzielbare Erfolg in der ärztlichen Praxis zu beruhen.

115 Hahnemann (1829), S. 27; Hahnemann (1833), S. 32; Hahnemann (1999), S. 35. 116 Flury (1979). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Ob sich tatsächlich – wie nach Hahnemanns Theorie des Ähnlichkeitsprinzips gefordert – für alle bzw. zumindest die wichtigsten Symptome eines geheilten Patienten ähnliche Symptome in den ArzneimittelprüfungsProtokollen der verabreichten Substanz finden, mag eine interessante akademische Fragestellung sein. Entscheidend für den Therapieerfolg scheint dies aber eher weniger zu sein. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (Timothy Field Allen, Julius Mezger u. a.)117 haben Homöopathen, einschließlich Hahnemann selbst, durchaus gemischte Arzneimittellehren verwendet, die zwar sogenannte reine Prüfungssymptome, daneben aber auch Heilwirkungen und klinische Beobachtungen enthielten. Konstitutionsmerkmale von Patienten, wie blonde Frauen (Pulsatilla) oder große schlanke Frauen (Sepia), werden in der Praxis nach James Tyler Kent (1849-1916)118 ebenso erfolgreich verwendet wie zerlegte und rekombinierte Symptome aus dem »Therapeutischen Taschenbuch« nach Clemens von Bönninghausen (17851864)119, für die es keine Prüfung gegeben haben kann, oder polare Symptome, die samt ihrem Gegenteil in Arzneimittelprüfungen aufgetreten sind. Dass eine Arzneisubstanz bestimmte Symptome sowohl erzeugen als auch lindern bzw. heilen kann (wie die Küchenzwiebel Augentränen und Fließschnupfen), mag in einigen, möglicherweise auch in vielen Fällen zutreffen. In wie vielen genau und unter welchen Umständen, wäre aber erst noch exakt zu prüfen. Zu welchem quantitativen Ergebnis die Untersuchung auch immer gelangen würde, fest stünde auf jeden Fall: Einen Allsatz kann es – aus wissenschaftstheoretischen Gründen wie dem Induktionsproblem – nicht geben, selbst wenn er lauten sollte: Alle Krankheiten können nur durch ein Arzneimittel geheilt werden, das in Arzneimittelprüfungen an Gesunden ähnliche Symptome hervorgerufen hat. Niemand kann alle Krankheitsfälle und -verläufe überblicken, geschweige denn alle künftigen voraussagen. Aus der Innenperspektive eines Heilkünstlers, dessen selektierte Klientel sich den Kriterien und Eigenarten ihres Arztes immer mehr anpasst, mag die eigene Praxis zwar wie eine einzige Erfolgsgeschichte erscheinen. Ein Recht, wissenschaftlich über andere Heilmethoden zu urteilen, hätte er dennoch erst, nachdem er diese mit gleichem Eifer studiert und praktiziert oder sich einem Vergleich unter fairen Bedingungen unterworfen hat. Auch ein Meister des japanischen Teewegs (Chado) mag vollständig davon überzeugt sein, dass dieser zur Wahrheit bzw. zur Erleuchtung führt. Würde er seinen Weg allerdings als »einzig« wahren und zielführenden bezeichnen oder gar andere Wege, wie den des Bogenschießens (Kyudo) oder Ähnliches, kategorisch ausschließen, wären Zweifel an seiner Seriosität angebracht.

117 Allen (1874-1879); Mezger (1951). 118 Kent (1905), S. 857, 916. 119 Bönninghausen (1846). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Aus praktisch-therapeutischer Sicht besteht das Wesen der Homöopathie in einem praktisch bewährten Entsprechungssystem zwischen kunstvoll differenzierten Befindensstörungen von Kranken einerseits und mit gleicher Akribie empirisch erkundeten Arzneimittelwirkungen auf das menschliche Befinden andererseits – seien es Gesunde oder Kranke. Geht es letztlich aber um Beziehungen bzw. Korrespondenzen zwischen Krankheitszeichen und Arzneimittelwirkungs-Tendenzen – ob an Gesunden oder Kranken ermittelt –, so liegt der eigentliche praktische Unterschied zwischen Hahnemanns Homöopathie und dem klassischen Analogiedenken etwa zur Zeit der Renaissance weniger in der grundsätzlichen Annahme eines universalen Entsprechungs-Zusammenhangs als solchem als vielmehr in der je eigenen Begrifflichkeit und Methode, wie die jeweiligen Zuordnungen codiert werden. War zum Beispiel für Paracelsus eine Ähnlichkeitsbeziehung dann gegeben, wenn er – durch eine Art geistiger Schau – in Krankheit und Heilmittel die gleiche »Signatur«, »Anatomie« oder denselben Einfluss des »Gestirns« wahrnahm, so ging Hahnemann – dem Zeitalter der Aufklärung entsprechend – rationaler zu Werke und anerkannte als Kriterium des Vergleichs ausschließlich die sinnlich wahrnehmbaren und empirisch überprüfbaren Zeichen und Symptome, die eine Krankheit oder eine Arzneisubstanz am Menschen hervorrufen könne.120 Während der Heilkünstler – sei er nun Homöopath oder Paracelsist – primär daran interessiert ist, durch Befolgung praktisch bewährter Regeln kranke Menschen zu heilen, muss dem Wissenschaftler vor allem daran gelegen sein, die Möglichkeiten und Grenzen des jeweiligen Verfahrens zu bestimmen – was über die damit verbundene Theoriebildung und Präzisierung des Indikationsbereichs wiederum dem Heilkünstler und seinen Patienten zugutekommen kann. Da ein Wissenschaftler die Möglichkeiten und Grenzen einer Heilmethode aber nur dann wirklich erfahren kann, wenn er selbst zum entsprechenden Heilkünstler wird, das heißt die untersuchte Kunst selbst bis zur Perfektion beherrscht, stößt auch ein solches Unterfangen stets an strukturelle und kategoriale Grenzen.121 Historisch eine der ersten philosophischen Auseinandersetzungen mit dieser medizintheoretischen Aporie ist aus dem Umkreis des Hippokrates (ca. 460370 v. Chr.), des Ahnherrn der abendländischen wissenschaftlichen Medizin, überliefert. So werden in der hippokratischen Schrift »Über die Stellen des Menschen« (Perì tópon tón kát’ ánthropon, De locis in homine) drei verschiedene Behandlungs-Prinzipien (das Simile-Prinzip, das ContrariumPrinzip sowie das Prinzip des »mal dies, mal das«) auf ihre Verallgemeinerbarkeit hin untersucht. Im Gegensatz zu Hahnemann, der dieses Buch – allerdings selektiv – in der »Heilkunde der Erfahrung« sowie in der Einleitung des »Organon« zitierte122, kommt der hippokratische Autor zu dem 120 Tischner (1932), S. 43-66; Jütte (1997), S. 6-8; Josef M. Schmidt (2007), S. 50f. 121 Vgl. dazu Stolberg (1996); Josef M. Schmidt (1990), S. 386-388. 122 Hahnemann: Heilkunde (2001), S. 405f.; Hahnemann (1810), S. XLVIIf.; HahneUrheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Schluss, dass es in der Medizin überhaupt keine feste Regel geben könne, die immer ohne Ausnahme gelte. Alles komme vielmehr auf den Einzelfall und den jeweiligen Kontext an, ja sogar auf den einmaligen Moment, griechisch »kairós«.123 Prinzipien und Theorien haben demnach stets nur instrumentellen Charakter, und ihre kunstgemäße Auswahl und Anwendung beim individuellen Patienten obliege der Beurteilung durch den Heilkünstler.124 Der Heilkünstler – und damit auch Hahnemann – hätte somit zwar ein gewisses Recht, sich an bestimmte Prinzipien zu halten, gleichzeitig aber auch die Pflicht, sich darüber hinwegzusetzen, sofern die konkreten, nie auf ein einfaches Schema reduzierbaren individuellen Umstände es erfordern. Die Anerkennung des letzteren Aspekts, der Komplexität und Unberechenbarkeit »unser[es] innigst mit allen Theilen des Universums in Verbindung und in Conflict stehenden Organismus«125, war auch der Ausgangspunkt von Hahnemanns Praxis gewesen. Nur so konnte er zu der Einschätzung kommen, dass unter diesen Bedingungen weder spekulative KrankheitsKlassifikationen noch roher Empirismus noch naturwissenschaftlicher Reduktionismus weiterhelfen könnten, sondern dass das therapeutisch Relevante einzig die Zeichen und Symptome seien, auf die sich sowohl Krankheitsäußerungen als auch Arzneimittelwirkungen beziehen und so einander zuordnen ließen.126 Hätte Hippokrates sich aber das Recht vorbehalten, das daraus ableitbare Ähnlichkeitsprinzip als Findungsregel für eine entsprechende Behandlung – je nach Einzelfall – einmal anzuwenden, ein andermal nicht anzuwenden, versteifte sich Hahnemann – als Kind einer Zeit des Rationalismus und der romantischen Suche nach dem Absoluten – darauf, mit seiner Neufassung des Ähnlichkeitsprinzips den einzig wahren Heilweg gefunden zu haben. Mag andererseits die hippokratische Schrift zwar den ausgewogenen, zeitlosen Standpunkt klassischer Heilkunst repräsentieren – sie wäre heute, hätte Hahnemann sie nicht zitiert, bei Praktikern so gut wie vergessen, während Hahnemanns »Organon« noch immer – und zu seinem 200-jährigen Jubiläum mehr denn je – im Rampenlicht einer globalen Aufmerksamkeit steht. Die Ironie der Geschichte scheint hier einmal mehr darin zu bestehen, dass – obwohl weder Hahnemanns Theorie noch deren Absolutheitsanspruch wissenschaftstheoretisch haltbar sind – gerade dadurch die Homöopathie seit 200 Jahren die Geister und Gemüter polarisiert und entzündet hat, um auf diese Weise – wie durch eine List der Vernunft – die Tradierung und mann (1819), S. 89; Hahnemann (1824), S. 50; Hahnemann (1829), S. 102f.; Hahnemann (1833), S. 74; Hahnemann (1999), S. 62. 123 Müller (1965). 124 Josef M. Schmidt (2010). 125 Hahnemann: Heilkunde (2001), S. 392. 126 Josef M. Schmidt (1992). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Weiterverbreitung ihres auf den ersten Blick eher unscheinbaren, praktischtherapeutisch jedoch umso einzigartigeren Kerns dauerhaft zu sichern. Nach einer fast 200-jährigen diskursiven Fixierung der Medizin auf kognitive und theoretische Aspekte der Heilkunde bietet erst die neuere Medizintheorie wieder die Chance, das konstitutiv praktische Wesen jeder Art von Heilkunst zu betonen und begrifflich und argumentativ zu unterstützen. Auf die Homöopathie angewandt würde das bedeuten, die von Hahnemann abduktiv gefundenen praktischen Anweisungen und Maximen zur Behandlung kranker Menschen, die sich in der Praxis bei jedem Patienten aufs Neue rekursiv bestätigen, hinterfragen, modifizieren oder verwerfen lassen, kategorisch zu unterscheiden von den theoretischen Modellen, die Hahnemann seinerzeit aufstellen zu müssen glaubte, um die Medizin dem damals als progressiv empfundenen Ideal einer a priori gewissen Kognitionswissenschaft anzunähern. Als Kind seiner Zeit und im Bann der überhitzten Diskussionslage war Hahnemann nicht dagegen gefeit, eben diese beiden Bereiche zu vermischen bzw. zu verwechseln, so dass er – obwohl die Homöopathie als Methodik und Praxis bereits weitgehend in sich begründet und empirisch überprüfbar war – schließlich die unbedingte Anerkennung gerade derjenigen seiner Theorien und Dogmen forderte, die für die homöopathische Behandlung im Einzelfall weder zwingend noch besonders hilfreich waren. Medizintheoretisch gilt es festzuhalten, dass Hahnemanns Verdienst um die Medizin weit mehr in der pragmatischen Begründung einer heilsamen Praxis als in seiner versuchten Neudefinition oder Neukombination zum Teil längst bekannter theoretischer Prinzipien und Theorien bestand. So wie die gelebte Praxis des Christentums auf einigen unwiderlegbaren Grundmaximen (Liebesgebot, Brüderlichkeit, Barmherzigkeit u. Ä.) beruht, die unabhängig vom Ausgang akademisch-theologischer Kontroversen um später eingeführte Glaubenssätze und Dogmen (Wesensgleichheit vs. Wesensähnlichkeit, Abendmahlstreit, unbefleckte Empfängnis usw.) ihre pragmatische Gültigkeit behalten, so sollte auch die gelebte Praxis der Homöopathie nicht mit Hahnemanns theoretischen Modellen von ihr (Kunstkrankheit, zweiphasige Wirkung der Arzneien, Simile-Prinzip etc.) gleichgesetzt werden. Erst eine systematisch gesonderte Analyse und Würdigung der beiden Bereiche kann ihren jeweiligen Stärken und Schwächen gerecht werden und darüber hinaus eine medizintheoretisch fundierte Basis für ein immer wieder neu zu erarbeitendes zeitgemäßes Verständnis ihrer gegenseitigen Verknüpfung und Wechselwirkung liefern.127 127 In der vom Autor dieses Beitrags herausgegebenen sprachlichen Neufassung von Hahnemanns »Organon« wird im 2. Teil (Systematik) der gesamte Inhalt des »Organon« nach drei Kategorien differenziert wiedergegeben: 1. Praktische Anweisungen und Maximen; 2. Theoretische Erklärungen und Hypothesen; 3. Konzeptuelle Grundlagen und Voraussetzungen. Josef M. Schmidt (2006), S. 223-293; vgl. Josef M. Schmidt (2005). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Als Resümee des dritten (wissenschaftstheoretischen) Teils lässt sich sagen, dass Hahnemanns Absolutheitsanspruch hinsichtlich der auf sein Ähnlichkeitsprinzip gegründeten Theorie so lange unaufgelöst und ein Hindernis der wissenschaftlichen Weiterentwicklung der Homöopathie bleiben wird, als nicht Hahnemanns praktisch-innovative Leistung der Begründung einer neuen Behandlungsmethode gesondert von seinen theoretischen Versuchen ihrer rationalen Erklärung gewürdigt wird. Vor dem Hintergrund der neueren Wissenschaftstheorie erscheinen Hahnemanns Entdeckungen als kreative Abduktionen, die allerdings fortlaufend rekursiv, durch anschließende Deduktionen und Induktionen, zu überprüfen sind. Dass Hahnemanns Stärke vor allem in seinem »Künstlergeist« lag, wurde bereits von Constantin Hering erkannt und praktisch umgesetzt. Im Einklang mit der neueren Medizintheorie sollte die Homöopathie ihr Selbstverständnis nur unter Vorbehalt aus Hahnemanns zeitbedingten Theorien, primär jedoch aus der für sie therapeutisch relevanten Methodik schöpfen. Der seit 200 Jahren währende Streit um Hahnemanns überzogene theoretische Ansprüche hatte indes auch eine wichtige historische Funktion, bewirkte er doch, dass – vermittelt über eine ununterbrochene Kette von Polemik, Apologetik und Missverständnissen – auch der wesentlich unspektakulärere praktische Kern der Lehre von Generation zu Generation über alle Erdteile und Kulturkreise zuverlässig weitergereicht wurde. Solange die Welt gegen Hahnemanns theoretischen Stachel löckt, braucht sich auch weiterhin die Praxis der Homöopathie um ihre Verbreitung keine Sorgen zu machen. Bibliographie Allen, Timothy Field: The Encyclopedia of pure Materia medica. 10 Bde. New York; Philadelphia 1874-1879. Anonymus [d. i. Johann Benjamin Erhard]: Ueber die Medicin. Arkesilas an Ekdemus. In: Der Neue Teutsche Merkur (1795), Bd. 2, 8. Stück, S. 337-378. Aristoteles: Philosophische Schriften in sechs Bänden. Hamburg 1995. Bönninghausen, Clemens von: Therapeutisches Taschenbuch für homöopathische Ärzte. Münster 1846. Brodbeck, Karl-Heinz: Die Herrschaft des Geldes. Geschichte und Systematik. Darmstadt 2009. Collingwood, Robin: An Essay on Metaphysics [1940]. Oxford 1998. Coulter, Harris L.: Divided Legacy. A History of the Schism in medical Thought. Bd. 1. Washington, D.C. 1975. Deichgräber, Karl: Die griechische Empirikerschule. Sammlung der Fragmente und Darstellung der Lehre [1930]. Berlin; Zürich 1965. Deutscher Zentralverein homöopathischer Ärzte: Epidemien und Miasmen – ein gelungener Auftakt in Hamburg. In: Homöopathische Nachrichten. Elektronischer Newsletter des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (April 2010), S. 4, URL: http://www. dzvhae.com/portal/pics/abschnitte/300410102802_hn168april10.pdf (letzter Zugriff: 15. 12.2010).

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Wiesing, Urban: Wer heilt, hat Recht? Über Pragmatik und Pluralität in der Medizin. Stuttgart 2004. Wischner, Matthias: Fortschritt oder Sackgasse? Die Konzeption der Homöopathie in Samuel Hahnemanns Spätwerk (1824-1842). Essen 2001. Wischner, Matthias: Ähnlichkeit in der Medizin. Über die Wissenschaftlichkeit von Homöopathie und Schulmedizin. Essen 2004. Wittern, Renate (Hg.): Frühzeit der Homöopathie. Ausgewählte Aufsätze aus dem »Archiv für die homöopathische Heilkunst« aus den Jahren 1822 bis 1838. Stuttgart 1984.

Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

»Bald mußte ich den allopathischen Sanitätsoffizier spielen, bald durfte ich homöopathischer Arzt sein.«1 Homöopathie und Krieg vom Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) bis zum Ersten Weltkrieg (1914-1918) Philipp Eisele Summary »At times I had to be an allopathic medical officer and then again I was allowed to be a homoeopathic physician.« Homoeopathy and War from the Franco-German War (1870/71) to World War I (1914-1918) With its focus on the Franco-German War and World War I the present paper constitutes a first approach to the comprehensive topic of “homoeopathy and war”. Sources used include articles from homoeopathic magazines, homoeopathic specialist literature, material from the estate of the homoeopathic lay organization “Hahnemannia” and individual testimonies from non-homoeopaths. The paper begins by examining the importance of the two wars for research into the history of homoeopathy compared to previous conflicts and demonstrates the value of the sources used. A brief outline of homoeopathy and the military forces in the decades before 1870 provides insight into the historical context. This is followed by the investigation of homoeopathic war hospitals at home with an analysis of the attitude of the homoeopathic physicians and lay-healers involved. The paper also describes the difficult relationship between homoeopathy and conventional medicine during the two conflicts.

Ein unerschlossenes Themenfeld Im März 1917 wurde der durch Maschinengewehrfeuer verwundete deutsche Unteroffizier Karl M., nachdem er sich noch aus eigener Kraft zum nächsten Unterstand begeben hatte, auf einer Tragbahre zum Truppenverbandsplatz gebracht.2 Dort kam er schwerverletzt in die Obhut des Regimentsarztes und Homöopathen Dr. Martin Baltzer, der nach erfolgreicher Behandlung Folgendes berichtete: Innerlich erhielt er [Karl M. – P. E.] Arnica Montana, eine Arznei, die bei mechanischen Verletzungen und Blutungen sehr gute Dienste leistete. Gegen den störenden Husten wurde zunächst Bryonia Alba verordnet, […] später wegen des bitteren Geschmacks Pulsatilla. Um den Eiterungsprozess abzukürzen und eine schnellere Entleerung und Reinigung des Abszesses herbeizuführen, erhielt Patient Silicia, ein Mittel, das auch angezeigt ist, wenn der Eiter einen stinkenden Geruch hat.3

Für die Geschichte der Homöopathie in Deutschland bedeutet dieser Bericht Baltzers zwar, dass im Ersten Weltkrieg mindestens ein Militärarzt existierte, der einen verwundeten Soldaten homöopathisch behandelte. Die 1

Junghans: Ruhrepidemie (1919), S. 142.

2

Vgl. Baltzer (1919), S. 37.

3

Baltzer (1919), S. 47-49.

MedGG 29 • 2010, S. 185-227 Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen © Franz Steiner Verlag Stuttgart

Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume im Einfluss- und Wirkungsbereich des Militärs jedoch, in denen sich dieser Homöopath während des Krieges bewegte, liegen für den Historiker im Dunkeln. Fragt man nahezu ein Jahrhundert später nach der Haltung des deutschen Militärs gegenüber der Homöopathie, ergibt sich folgendes Bild: Das Bundeswehrkrankenhaus Westerstede bezeichnet sich selbst als eine Einrichtung, die alternativen medizinischen Methoden gegenüber aufgeschlossen ist4; der Leiter der Ambulanz der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Bundeswehrkrankenhaus in Ulm trägt die Zusatzbezeichnung Homöopath5, und das dortige Leistungsangebot in der Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde umfasst neben Naturheilverfahren und Phytotherapie auch Homöopathie6. Mit Sicherheit kann man dem deutschen Militärsanitätswesen heutzutage eine gewisse methodische Offenheit und Akzeptanz gegenüber alternativen Behandlungsmethoden und folglich auch gegenüber der Homöopathie bescheinigen.7 Diese Offenheit ist jedoch nicht das Produkt eines langfristigen Prozesses, sondern entspricht eher dem jüngeren Trend im zivilen Gesundheitsmarkt, in welchem alternative Heilmethoden immer beliebter werden.8 Dieser Entwicklung kann sich die Bundeswehr, die sich im Kern ihres Selbstverständnisses noch immer als »Spiegelbild der Gesellschaft«9 begreift, schon aus ökonomischer Sicht nicht verschließen, wenn sie im Wettbewerb mit dem zivilen Gesundheitsmarkt um Fachpersonal und Patienten bestehen will10. So wechselhaft die Geschichte der Homöopathie im Allgemeinen ist, so wechselseitig ist ihr Verhältnis zum Militär im Besonderen. Die histo4

Vgl. http://www.bundeswehrkrankenhaus-westerstede.de/portal/a/westerstede (letzter Zugriff: 9.3.2011).

5

Vgl. http://www.bundeswehrkrankenhaus-ulm.de/portal/poc/ulm?uri=ci%3Abw. zsan_bwk_ulm.einrichtung.medizin.unfall.personal.aerzte&de.conet.contentintegrator. portlet.current.id=01DB081000000001|82PKYJ270INFO (letzter Zugriff: 9.3.2011).

6

Vgl. Bundeswehrkrankenhaus Ulm (Hg.): Qualitätsbericht für das Betriebsjahr 2008, S. 55, URL: http://www.kliniken.de/qualitaetsberichte/download/89081-UlmBundeswehrkrankenhaus-260841143-00-2008.pdf (letzter Zugriff: 9.3.2011).

7

Diese Einschätzung beruht auf einer Vorrecherche. Genaue Untersuchungen über den Einsatz von Homöopathie bei der Bundeswehr stehen noch aus. Weder das Militärgeschichtliche Forschungsamt in Potsdam noch die Bundessanitätsakademie in München konnten zu diesem Sachverhalt umfassend Auskunft erteilen.

8

So hat sich der Verwenderkreis der Homöopathie in den letzten Jahren stark ausgeweitet. Die Zahl der Deutschen, die die homöopathische Heilmethode schon einmal angewandt haben, hat sich zwischen 1970 und 2009 mehr als verdoppelt. Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach (2009), URL: http://www.ifd-allensbach.de/news/ prd_0914.html (letzter Zugriff: 17.2.2011).

9

Nakath (2009), S. 8.

10 Zum Wandel des Sanitätsdienstes und dessen Orientierung am zivilen Gesundheitswesen vgl. Nakath (2009). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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rischen Gegebenheiten, welche die Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume der Homöopathen während des Deutsch-Französischen Krieges und des Ersten Weltkrieges bestimmten, können demnach mit der heutigen Situation schwerlich gleichgesetzt werden. Trotz des Erkenntniszuwachses, den die Forschung auf dem Gebiet der Homöopathiegeschichte11 bereits erreicht hat, wurden nicht nur diese beiden Kriege, sondern der Krieg im Allgemeinen als eine wichtige Bezugsgröße im Kontext dieser Heilmethode bisher entweder gänzlich ausgespart oder – wenn überhaupt – nur peripher behandelt. Das Themenfeld »Krieg und Medizin« ist zwar in Bezug auf die Entstehung und Herausbildung der modernen Kriegsführung im Zusammenhang mit der Etablierung und Konsolidierung der naturwissenschaftlich ausgerichteten Medizin ab etwa der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Seiten der historischen Forschung relativ gut erschlossen, in Bezug auf die Homöopathie ist es jedoch nach wie vor ein Forschungsdesiderat.12 Der Krieg ist zwar weder »aller Dinge Vater«13 noch »aller Dinge König«14, aber dennoch über die Zeiten hinweg ein gesellschaftsbildendes und strukturierendes Element, das im jeweiligen gesamtgesellschaftlichen Kontext verankert ist und diesen beeinflusst bzw. von ihm beeinflusst wird15. Der Krieg umfasst folglich nicht nur die reinen Kampfhandlungen, sondern stets auch die Interaktion zwischen Politik, Militär, Gesellschaft, Wirtschaft und Mentalitäten.16 Die Annahme, dass der Krieg die geschichtliche Entwicklung der Homöopathie ausgespart hätte, erscheint demnach wenig wahrscheinlich. Der Grund, weshalb dieses Themenfeld von der Forschung bisher vernachlässigt wurde, hat seine Ursache keineswegs im mangelnden Interesse der Historiker, sondern vielmehr in der schwierigen Quellenlage. Das betrifft nicht nur das Verhältnis der Homöopathie zum Phänomen Krieg im Spe11 Einen Forschungsschwerpunkt bildet die Homöopathiegeschichte seit Anfang der 1980er Jahre am Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart. Dort sind inzwischen eine ganze Reihe von Forschungsarbeiten über die einzelnen Akteure – Ärzte, Laienpraktiker, Patienten, Unternehmen etc. – innerhalb des homöopathischen Milieus sowie deren Handlungs- und Rahmenbedingungen entstanden. Eine Übersicht der von diesem Institut herausgegebenen Publikationen ist auf dessen Internetseite zu finden. Vgl. http://www.igm-bosch.de/content/language1/ html/10331.asp (letzter Zugriff: 17.2.2011). 12 Für das Themenfeld »Krieg und Medizin« vgl. beispielsweise Ring (1962); Fischer (1982-1991); Bleker/Schmiedebach (1987); Eckart/Gradmann (1996); Kolmsee (1997); Eckart/Neumann (2006); Larner/Peto/Schmitz (2009). 13 Heraklit (1989), B 53, S. 19. 14 Heraklit (1989), B 53, S. 19. 15 Vgl. Funck (2000), S. 163f.; Kühne/Ziemann (2000), S. 36f. 16 Förster (2000), S. 266. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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ziellen, sondern auch deren Beziehung zum weiten Feld des Militärs im Allgemeinen, denn ein Großteil der militärischen Bestände ist im Verlauf des Zweiten Weltkriegs verlorengegangen. In diesem Zusammenhang sind vor allem die am 14. April 1945 durch einen Bombenangriff nahezu vollständig zerstörten Magazine des Heeresarchivs in Potsdam zu erwähnen.17 Dabei wurde die Masse der schriftlichen Überlieferungen der preußischen Armee vernichtet.18 Die militärischen Bestände der übrigen deutschen Einzelstaaten sind indes weitestgehend erhalten geblieben.19 Dort verbergen sich relevante Inhalte jedoch hinter eher allgemein gehaltenen Quellentiteln, und damit ist eine umfassende und themenspezifische Recherche von vornherein mit Schwierigkeiten verbunden. Diese Tatsachen bedeuten indes nicht, dass zum Forschungsfeld »Homöopathie und Krieg« keine Quellen existieren. So unergiebig die Suche nach Quellen von militärischer Seite auch erscheinen mag, so nützlich sind die Überlieferungen aus dem homöopathischen Milieu. Denn während sich die Sanitätsoffiziere in Schweigen hüllten, entfalteten – wie noch zu zeigen sein wird – vor allem die Redakteure und Autoren der homöopathischen Zeitschriften in diese Richtung wortgewaltig eine rege publizistische Aktivität. Obgleich häufig aggressiv und polemisch, sind diese Artikel eine brauchbare Basis für eine erste Annäherung an das Forschungsgebiet. Mit dem Fokus auf dem Deutsch-Französischen Krieg und dem Ersten Weltkrieg versteht sich dieser Aufsatz als eine ebensolche erste Annäherung an das weite Themenfeld »Homöopathie und Krieg«. Betrachtet werden kann hier nur die deutsche Perspektive. Um das Quellenmaterial zu erweitern und abzurunden, wurden nicht nur homöopathische Zeitschriftenliteratur, sondern auch homöopathische Fachliteratur, Materialien aus dem Nachlass des homöopathischen Laienvereins Hahnemannia20 und die wenigen Zeugnisse aus der Feder von Nichthomöopathen, die zu finden waren, hinzugezogen. Die im Folgenden dargestellten Ausführungen sollen dabei helfen, eine günstigere Ausgangssituation für zukünftige Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet zu schaffen. Dabei gilt es, zuerst die Bedeutung des DeutschFranzösischen Krieges und des Ersten Weltkrieges für die homöopathiegeschichtliche Forschung im Vergleich zu früheren Konflikten sowie den Wert der verwendeten Quellen aufzuzeigen. Zum besseren Verständnis des historischen Kontextes wird danach ein kurzer Überblick über das Zusammenspiel von Homöopathie und Militär in den Jahrzehnten vor 1870 gege17 Vgl. Ruppert (1950), S. 178. 18 Vgl. Poll (1953), S. 74. 19 Das Hauptstaatsarchiv Stuttgart, das Generallandesarchiv Karlsruhe sowie das Bayerische Kriegsarchiv beispielsweise besitzen umfangreiche Materialien, welche das Sanitätswesen der württembergischen, badischen und bayerischen Armeen betreffen. 20 Zur Geschichte der Hahnemannia vgl. Staudt (1998). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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ben. Im Anschluss daran soll der Bedeutung der Heimatlazarette unter homöopathischer Leitung nachgegangen sowie nach der Einstellung der beteiligten homöopathischen Ärzte und Laien zum Krieg gefragt werden. Darüber hinaus soll auch das schwierige Verhältnis zwischen Homöopathie und Schulmedizin21 im Kontext dieser beiden Kriege dargestellt werden. Die aus diesen Fragekomplexen gewonnenen Erkenntnisse sollen und können jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Eine in sich geschlossene und quellenmäßig fundierte Gesamtdarstellung würde nicht nur den hier gebotenen Rahmen sprengen, sondern ist schon aufgrund der desolaten Quellenlage nicht realisierbar. Da sowohl die Anzahl als auch die Qualität der Quellen für die Untersuchungszeiträume variiert, konnten auch die historischen Gegebenheiten während beider Kriege nicht in gleichem Maße berücksichtigt werden. Die Bedeutung der beiden Kriege für die Homöopathiegeschichte Der Erkenntniszuwachs der Schulmedizin zwischen dem DeutschFranzösischen Krieg und dem Ersten Weltkrieg war gewaltig. So unterschied sich 1870/71 die Wundbehandlung im Wesentlichen kaum von der in vorangegangenen Kriegen, und Wundinfektionen waren ein zentrales Problem. Auch bei Seuchen war man nahezu machtlos, da die Rolle der bakteriellen Krankheitserreger noch nicht bekannt war. Unter den Seuchen waren es vor allem die typhösen Krankheiten und die Ruhr, die unter den Soldaten die meisten Todesopfer forderten.22 Im Ersten Weltkrieg hatte die Chirurgie deutlich an Effizienz gewonnen. Durch die moderne Asepsis konnten Wundinfektionen meist verhindert, Amputationen vermieden und Kriegsseuchen durch Erkenntnisse über Seuchenentstehung und -verbreitung weitgehend kontrolliert werden.23 Allerdings gab es auch während dieses Krieges in den deutschen Heeren Problemkrankheiten, zu denen nach Lungenentzündungen auch Typhus und Ruhr zählten.24 Trotz der Unterschiede in ihrem Leistungspotential wird ein Zeitraum in den Blick genommen, in dem sich die Schulmedizin vor allem mit ihren Paradigmen der Zellularpathologie und – wenn auch erst nach 1871 – der Bakteriologie sowohl theoretisch als auch methodisch und therapeutisch 21 Nach Wolfgang U. Eckart und Robert Jütte lässt sich der Begriff »Schulmedizin« folgendermaßen definieren: »Der Begriff Schulmedizin wird umgangssprachlich und wenig präzise zur Bezeichnung einer Medizin, die an Universitäten und Hochschulen […] nach (natur-) wissenschaftlichen Grundsätzen gelehrt und entwickelt wird, als Abgrenzung von solchen medizinischen bzw. heilkundlichen Lehren und Praktiken verwendet, die eben nicht zum Lehrkanon der akademischen Medizin gehören.« Eckart/Jütte (2007), S. 338. 22 Vgl. Walser (1967), S. 109. 23 Vgl. Bleker (1987), S. 16f. 24 Vgl. Kolmsee (1997), S. 206. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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gegenüber anderen medizinischen Systemen und folglich auch gegenüber der Homöopathie klar durchzusetzen begann.25 Dieser Prozess und die Weiterentwicklung der Kriegsführung fanden auf vielen Gebieten gleichzeitig statt. Für den Krimkrieg, den Deutsch-Französischen Krieg, die beiden Weltkriege, für die späteren Korea- oder auch Vietnamkriege lässt sich nicht nur konstatieren, dass der Krieg jeweils auf seine eigene Weise die Medizin mitprägte, sondern auch, dass die Entwicklung immer modernerer und effizienterer Mittel sowohl zur Rettung als auch zur Vernichtung von Menschenleben nahezu kongruent verlief.26 Das militärische Sanitätswesen hatte ein großes Interesse daran, die vornehmlich außerhalb des Militärs gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse möglichst rasch für verwundete und erkrankte Soldaten nutzbar zu machen.27 Mit Sicherheit hat die Anwendung neuer Erkenntnisse der Naturwissenschaften zu einer Dominanz der Schulmedizin bereits in Ansätzen während des Deutsch-Französischen Krieges und dann verstärkt im Ersten Weltkrieg dazu geführt, die Homöopathie zumindest im Wirkungsbereich des Militärs ins Abseits zu drängen. So äußerte sich 1893 ein Teilnehmer des »World Congress of Homeopathic Physicians and Surgeons« in Chicago hinsichtlich der Situation der Homöopathie in Deutschland folgendermaßen: A few years ago I made the acquaintance of a physician of our school, who told me that the greatest trouble they had in Germany […] has been the control of the surgical staff of the army. They like to dominate and they do dominate, and so Homeopathy has a poor chance to progress compared with what it has in America.28

Unter diesen Bedingungen scheint eine aussagekräftige und weitreichende Quellenbasis zur Homöopathie im Kontext dieser beiden Kriege auf den ersten Blick wenig wahrscheinlich. Die Auflösung von »Front« und »Heimat« Paradoxerweise wirkt sich der Charakter beider Kriege auf die Quellenlage keinesfalls so nachteilig aus, wie es die geringe Stellung der Homöopathie in der Militärführung zunächst vermuten lässt. Im Rahmen der Industriellen Revolution wurde nicht nur die Kriegsführung zunehmend komplexer, sondern auch ihr Einfluss auf Staat und Gesellschaft im Allgemeinen und auf das Leben und Überleben der Bürger im Besonderen immer stärker.29 Da bereits frühere Konflikte unter dem Zei25 Vgl. Schott (1996), S. 33. 26 Vgl. Schlich (1996), S. 110. 27 Vgl. Neuner (2009), S. 37f. 28 Diese Aussage eines Teilnehmers des Kongresses entstammt der Diskussion, welche auf einen Vortrag über die Geschichte der Homöopathie in Deutschland folgte. Vgl. Villers (1894), S. 123. 29 Vgl. Gersdorff (1974), S. 9. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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chen eines modernen Krieges gestanden hatten, waren in Europa die Erscheinungsformen des Deutsch-Französischen Kriegs und des Ersten Weltkriegs historisch betrachtet kein Novum; gemessen an ihrem Ausmaß jedoch übertrafen sie den Charakter früherer Konflikte bei weitem. Verglichen mit früheren bewaffneten Konflikten standen der Krieg von 1870/71 und vor allem der Erste Weltkrieg weitaus mehr im Zeichen eines »Totalen Krieges«.30 Kämpften zuvor noch meist kleine Berufsarmeen auf entlegenen Schlachtfeldern um die Durchsetzung dynastischer Interessen, waren es im Deutsch-Französischen Krieg bereits Massenarmeen, die, aus leidenschaftlich kämpfenden, ideologisierten Bürgern in Uniform bestehend, aufeinandertrafen.31 Deutlich manifestierten sich in ihm zum ersten Mal in Europa Tendenzen der totalen Kriegsführung des 20. Jahrhunderts, indem die vollständige Mobilisierung aller Kräfte eines Volkes – vor allem seiner Menschen, unabhängig, ob Soldaten oder Zivilisten –, seiner technischen Möglichkeiten und wirtschaftlichen Ressourcen angestrebt wurde.32 So hat die Forschung hinsichtlich dieses Konflikts jüngst folgendes Fazit gezogen: »Einen solchen Krieg, in dem beide Seiten alle zur Verfügung stehenden Ressourcen aufboten und mit riesigen Heeren gegeneinander kämpften, hatte es bis dahin nicht gegeben.«33 Im Ersten Weltkrieg entfalteten diese Tendenzen schließlich ihre brutale Breitenwirkung und ließen den Konflikt zu jenem globalen, kostspieligen und Menschen verschlingenden Krieg werden, der häufig als der erste »Totale Krieg« bezeichnet wurde und über 20 Millionen Menschenleben forderte.34 Mit der wachsenden Totalisierung der Kriegsführung wurden auch die Grenzen zwischen Militär und ziviler Bevölkerung – vor allem mit der Durchsetzung der allgemeinen Wehrpflicht und der Auflösung von »Front« und »Heimat« als separate Sphären – zwar nicht vollständig erodiert, aber doch zunehmend obsolet.35 Demzufolge blieb auch ein Großteil der Ärzte und Laien des homöopathischen Milieus, anders als in früheren Konflikten, von den Auswirkungen dieser beiden Kriege nicht unberührt. Viele von ihnen nahmen entweder selbst als kämpfende Soldaten oder behandelnde Mediziner aktiv am Kriegsgeschehen teil oder setzten sich zumindest theore-

30 Für eine umfassende Darstellung und Diskussion des nicht unproblematischen Begriffs des »Totalen Krieges« vgl. die Beiträge in Boemeke/Chickering/Förster (1999) sowie Förster/Nagler (1999). 31 Vgl. Chickering (2000), S. 305f. 32 Vgl. Moltmann (1995), S. 44. 33 Vgl. Ganschow/Haselhorst/Ohnezeit (2009), S. 11. 34 Vgl. Berghahn (2002), S. 60. 35 Vgl. Funck (2000), S. 164. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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tisch in der Heimat damit auseinander, was sich auch in ihren schriftlichen Zeugnissen niederschlug. Die homöopathischen Ärzte und der Krieg In der Versorgung verwundeter und erkrankter Soldaten waren zahlreiche berühmte und weniger berühmte Homöopathen tätig, von denen einige im »Lexikon deutschsprachiger Homöopathen« aufgeführt sind.36 Die Frage allerdings, wie viele homöopathische Ärzte an der Front oder in der Heimat verwundete oder erkrankte Soldaten – gegebenenfalls homöopathisch – behandelten, bleibt schwierig zu beantworten. Für die Gesamtzahl der beteiligten Ärzte – Homöopathen und Allopathen gleichermaßen – liegen allgemeine Schätzungen vor. Für die deutsche Ärzteschaft im DeutschFranzösischen Krieg kommt Hans Walser zu dem Schluss, dass »das Erlebnis des Krieges nicht vielen Ärzten erspart blieb«.37 Damals kümmerten sich 1500 Militärärzte und zwischen 5500 und 7000 Zivilärzte um mehr als 1.100.000 Soldaten.38 Für die Ärzte des Ersten Weltkriegs hat die Aussage Walsers nichts von ihrer Gültigkeit verloren, wenn man bedenkt, dass zwischen 1914 und 1918 von den etwas mehr als 30.000 Medizinern des Deutschen Reiches, abzüglich der Medizinstudenten, welche als Feldhilfsärzte und Feldunterärzte ihren Dienst versahen, über 20.000 für die Wiederherstellung und Versorgung der verwundeten und erkrankten Soldaten verantwortlich waren.39 Solche Schätzungen liegen für homöopathische Ärzte bedauerlicherweise nicht vor. Angaben, wie beispielsweise in der Homöopathischen Rundschau, dass »die Zahl der im Feld stehenden homöopathischen Ärzte verhältnismäßig sehr groß«40 sei, sind zwar häufig zu finden, jedoch wenig hilfreich. Thomas Schlich und Reinhart Schüppel, die die Verbreitung der homöopathischen Ärzte in Deutschland untersucht haben, kommen zu dem Ergebnis, dass sich der Anteil der homöopathischen Ärzte unter den Medizinern bis in die Gegenwart mit leichten Schwankungen stets in einer Größenordnung von ungefähr einem Prozent bewegte.41 Vorausgesetzt, diese Schätzung ließe sich ohne Einschränkung auf die im Kriege tätigen Mediziner anwenden, wären 1870/71 zwischen 70 und 85 und 1914 bis 1918 etwas mehr als 200 homöopathische Ärzte in die Behandlung von verwundeten oder erkrankten Soldaten involviert gewesen. Wenn diese Schätzung einer genauen Prüfung auch kaum standhalten dürfte, so verdeutlicht sie zumin36 Vgl. Schroers (2006). 37 Walser (1967), S. 105. 38 Vgl. Die großen europäischen Kriege in Daten und Zahlen (1987), S. 259f. 39 Vgl. Die großen europäischen Kriege in Daten und Zahlen (1987), S. 262. 40 Zum neuen Jahre (1916), S. 2. 41 Vgl. Schlich/Schüppel (1996), S. 223f. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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dest, dass die quantitative Beteiligung der Homöopathen am Sanitätswesen in seiner Gesamtheit in beiden Kriegen zwar marginal, aber – für die Quellensituation nicht unerheblich – bedeutend größer war als während früherer Konflikte. Dennoch geben diese Zahlen über die beiden zentralen Aspekte dieses Themenfeldes keine Auskunft. Zum einen sagen sie nichts darüber aus, inwieweit diese Ärzte überhaupt homöopathisch behandelt haben, und zum anderen wird der Wirkungsbereich homöopathischer Laienheilkundiger42 gänzlich vernachlässigt. Wenn man diese Aspekte mit erfassen will, so ist es geboten, sich von der Fixierung auf Zahlen zu lösen und auf qualitative Informationen zu stützen. Das Quellenmaterial Qualitative Informationen sind gerade seitens der homöopathischen Presse, in der sowohl Mediziner als auch Laien zu Wort kamen, für den Historiker leicht zugänglich. Deren Artikel bilden auch die Grundlage dieser Untersuchung. Die Möglichkeit, nach weiteren relevanten Artikeln für das hier zu behandelnde Themengebiet in nichthomöopathischen medizinischen Zeitschriften zu suchen, wurde zwar erwogen, aufgrund des erwartbar sehr geringen Ertrages jedoch wieder verworfen. So untersuchte bereits 1966 Horst Neumann das Verhältnis der Homöopathie zur naturwissenschaftlichen Medizin im Spiegel der Münchner Medizinischen Wochenschrift, der Deutschen Medizinischen Wochenschrift, der Berliner Klinischen Wochenschrift und der Klinischen Wochenschrift. Dabei zog er für den Ersten Weltkrieg folgendes Fazit: Kennzeichnend für die tatsächliche Bedeutung der Homöopathie innerhalb der Gesamtmedizin ist allerdings die Beobachtung, daß in den Kriegs- und Nachkriegsjahren von 1915-1921 gar keine […] Veröffentlichungen homöopathischen Inhalts in den hier besprochenen Zeitschriften zu finden sind.43

Fast 40 Jahre später kommt Elisabeth Geigenberger bei einer erneuten Durchsicht der Münchner Medizinischen Wochenschrift zum gleichen Ergebnis: [Es] finden sich in der Zeit des Ersten Weltkriegs und den unmittelbar daran anschließenden Jahren keine Beiträge zum Thema Homöopathie in der MMW. Die Ausgaben sind dünn, die Themen der Kriegsmedizin beherrschen das (Schlacht-) Feld.44

Auch Artikel zum Thema Homöopathie im Kontext des DeutschFranzösischen Krieges konnten von beiden Autoren im Rahmen ihrer Untersuchungen nicht ausfindig gemacht werden. Dies lässt darauf schließen, 42 Neben der Naturheilkunde war vor allem die Homöopathie eine Heilmethode, hinter welcher eine ausdifferenzierte und quantitativ bedeutende Laienbewegung stand. Vgl. ausführlich Faltin (2000), bes. S. 204-211. 43 Neumann (1966), S. 6. 44 Geigenberger (2004), S. 66. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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dass sowohl 1870/71 als auch 1914-1918 die Homöopathie im Kontext des Krieges keine Relevanz für die nichthomöopathische medizinische Fachpresse besaß. Anhand der homöopathischen Zeitschriftenliteratur wird deutlich, dass der Prozess der allgemeinen Fundamentalpolitisierung der Medienöffentlichkeiten im 19. und 20. Jahrhundert, in denen das Phänomen Krieg zunehmend ein Kommunikations- und Medienereignis ersten Ranges war, auch das homöopathische Milieu erfasste. So trug auch diese Zeitschriftenliteratur dazu bei, den Homöopathen im Kontext ihrer Heilmethode einen kollektiv verfügbaren Vorstellungsraum zu schaffen, der in der Lage war, die lokal und regional begrenzten Lebenswelten aufzubrechen und den Krieg »erfahrbar« zu machen.45 Im Repertoire dieser Zeitschriften befinden sich nicht nur allgemeine Abhandlungen über Kriegsmedizin, Kriegshygiene und Verwundetenfürsorge, Aufrufe zum Zeichnen von Kriegsanleihen und Spenden für die teilweise in Lazarette umgewandelten homöopathischen Krankenhäuser, sondern auch Ehrentafeln für gefallene Homöopathen und Mitteilungen über die Vergabe militärischer Auszeichnungen an verdiente Homöopathen. Von besonderem Interesse aber sind die Beiträge solcher Autoren, die sich, entweder auf theoretischen Vorstellungen oder auf praktischer Erfahrung als Soldaten im Kontext des Deutsch-Französischen Krieges und des Ersten Weltkrieges beruhend, über die Rolle, Handlungsspielräume und Rahmenbedingungen der Homöopathie äußerten. Auch das als Ergänzung herangezogene Quellenmaterial – die homöopathische Fachliteratur und Materialien aus dem Nachlass des Laienvereins Hahnemannia – lässt erkennen, dass die beiden Kriege ein zentrales Thema in der Lebenswelt vieler Homöopathen waren, und hilft so dabei, das von den Zeitschriften vermittelte Bild zu schärfen. Die Aussagekraft der für diese Untersuchung verwendeten Quellen unterliegt jedoch gewissen Einschränkungen. Denn eine gebotene Objektivität und Distanz bei der Beurteilung und Einschätzung der Homöopathie im Kontext des Krieges kann den beteiligten Autoren sicherlich nur bedingt attestiert werden, kämpften sie doch leidenschaftlich mit statistischen Ergebnissen, gesammelten Beweisen und gerne auch mit propagandistischer Polemik für die öffentliche Anerkennung der Wirksamkeit ihrer Heilmethode und um deren staatliche Anerkennung und medizinische Gleichberechtigung. Beachtet werden muss allerdings auch, dass die homöopathische Zeitschriftenliteratur wie die deutsche Presse im Allgemeinen sowohl im DeutschFranzösischen Krieg als auch im Ersten Weltkrieg der Militärzensur unterlag. Für den Krieg 1870/71 war die Rechtslage in den deutschen Einzelstaa45 Vgl. allgemein: Buschmann (2001), bes. S. 122. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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ten höchst unterschiedlich. In Preußen beispielsweise gab es zwar im eigentlichen Sinne des Wortes keine staatliche Zensur, gleichwohl aber ein relativ ausdifferenziertes System der amtlichen Pressebeeinflussung.46 Für den Kriegsfall kam das Gesetz vom 4. Juni 1851 zur Anwendung, das besagte, dass die Pressefreiheit nach Ankündigung suspendiert werden könne und die vollziehende Gewalt an die Militärbefehlshaber übergehe.47 Seit dem Beginn des Ersten Weltkriegs stand die Presse im Deutschen Reich unter strengster Militärzensur, die von inhaltlichen Presseanweisungen und Veröffentlichungsverboten regen Gebrauch machte, was zu heftiger parlamentarischer Kritik führte, und die nach Kriegsende schließlich wieder aufgehoben wurde.48 Von dieser Zensur waren auch Publikationen betroffen, die medizinische Aspekte behandelten. So besagte ein Zensurbuch aus dem Jahre 1917: Medizinische Abhandlungen, welche die Bevölkerung beunruhigen und im feindlichen Ausland zu unserem Nachteil ausgebeutet werden können, dürfen nicht veröffentlicht werden. Aufsätze, die […] nicht streng wissenschaftlich-medizinische Fragen behandeln, sind vor Veröffentlichung der militärischen Zensurstelle vorzulegen.49

Inwieweit diese Maßnahmen die homöopathische Zeitschriftenliteratur betrafen, ist schwer nachzuvollziehen. Es bleibt lediglich festzuhalten, dass die Autoren vor allem während der umfassenden Meinungskontrolle im Ersten Weltkrieg den Inhalt ihrer Beiträge nicht nach Belieben selbst bestimmen konnten. Dass die Beschränkungen jedoch keinesfalls mit Gleichmut hingenommen wurden, belegt folgendes Beispiel aus der Homöopathischen Rundschau: Diese Zensur war so kleinlich, so kränkend und verbitternd, daß man kaum die richtigen Worte für ein solches Verhalten von Behörden, die während des Krieges gegen die eigenen Landsleute wüteten, finden kann. […] Von der Wiedergabe zahlreicher Artikel mußten wir […] Abstand nehmen, weil wir die Gewißheit hatten, daß die Genehmigung zur Veröffentlichung nicht erteilt werden würde.50

Gerade jene Artikel, die nicht den herrschenden Ansichten des damaligen Militärs entsprachen, hätten sicherlich wichtige Informationen über die homöopathische Heilmethode im Kontext des Krieges ergeben. Da sie allerdings nur in entschärfter Version oder überhaupt nicht zum Druck gelangten, bleiben sie für die historische Forschung verloren. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Quellen über Homöopathie im Kontext des Deutsch-Französischen Krieges und des Ersten Weltkrieges zwar vorhanden sind, das von ihnen vermittelte Bild jedoch nicht nur 46 Vgl. Mommsen (2005), S. 16f. 47 Vgl. Galli (1914), Sp. 572. 48 Vgl. Pürer/Raabe (1994), S. 54. 49 Oberzensurstelle des Kriegspresseamtes (1917), S. 53. 50 Die Aufhebung der Zensur (1918), S. 97. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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durch die einseitige Berichterstattung verzerrt, sondern auch durch Zensurmaßnahmen unvollständig ist. Diese Defizite, die durch die wenigen vorhandenen Quellen aus dem nichthomöopathischen Milieu nicht ausreichend ausgeglichen werden können, gilt es zu akzeptieren und bei der Analyse und Interpretation des Materials zu berücksichtigen. Homöopathie und Krieg vor 1870 Zunächst gilt es das Verhältnis von Homöopathie und Krieg in den Jahrzehnten vor Ausbruch des Deutsch-Französischen Kriegs zu betrachten, in denen die Homöopathie noch eine ernstzunehmende Konkurrentin der in langsamem Aufschwung befindlichen Schulmedizin war. Die Anfänge Vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weckte Hahnemanns Heilmethode das Interesse des Militärs, das von der Aussicht auf die besondere Einfachheit der Mittel, deren geringe Kosten und die leichte Anwendbarkeit der Homöopathie fasziniert war.51 So verwundert es nicht, dass schon wenige Jahre nach dem Erscheinen des »Organon« das Militär Versuche durchführen ließ, um die Wirksamkeit der Homöopathie zu überprüfen.52 Zwei dieser Versuche des deutschen Militärs wurden bis jetzt seitens der homöopathiegeschichtlichen Forschung aufgearbeitet. Im Zeitraum zwischen 1820 und 1821 führte zunächst der Homöopath und Mitbegründer der ersten periodisch erscheinenden homöopathischen Zeitschrift, des Archivs für die homöopathische Heilkunde, Johannes Stapf (1788-1860)53, in Zusammenarbeit mit dem preußischen Kriegsministerium in Mainz und Berlin Versuche mit homöopathischen Mitteln an erkrankten preußischen Soldaten durch54. Das zweite Experiment fand im Jahre 1834 statt, als der Schorndorfer Drechsler und Missionar David Steinestel (1808-1849) am Stuttgarter Katharinenhospital unter Aufsicht des württembergischen Militärs die homöopathische Heilmethode an krätze- und krebskranken Soldaten zu beweisen versuchte.55 Es ist nicht nur möglich, sondern auch sehr wahrscheinlich, 51 So waren die Erwartungen des preußischen Kriegsministers anlässlich der Versuche des Homöopathen Johannes Stapf beim preußischen Militär. Vgl. Thoms (2002), S. 173-202, bes. S. 177-196 (hier S. 182). 52 Allgemein über Versuche mit der homöopathischen Heilmethode: Dean (2004). 53 Für eine Kurzbiographie vgl. Schroers (2006), S. 137. 54 Zu den klinischen Versuchen beim preußischen Militär s. Thoms (2002), S. 173-202, bes. S. 177-196. 55 Die homöopathische Behandlung der Soldaten der württembergischen Armee wurde seitens der historischen Forschung bereits aufgearbeitet. Vgl. Häcker-Strobusch (1996), Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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dass es in den verschiedenen deutschen Einzelstaaten vor allem während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weitere Versuche gegeben hat.56 Auch interessierte sich nicht nur das deutsche Militär für die homöopathische Heilmethode. So erprobte beispielsweise der österreichische Stabsarzt Mathias Marenzeller (1765-1854)57 im Jahre 1828 am Garnisonshospital in Wien die Homöopathie an erkrankten Soldaten58. Ohne auf die genauen Umstände und Rahmenbedingungen dieser drei Versuche eingehen zu können, bleibt trotz Widersprüchlichkeiten innerhalb der einzelnen Quellen festzuhalten, dass sie hinsichtlich ihrer Durchführung und ihrer Ergebnisse eine gewisse Ähnlichkeit aufwiesen: Die Resultate der Versuche waren sowohl für Marenzeller als auch für Stapf und Steinestel und damit für die Anerkennung der Wirksamkeit der Homöopathie in den Kreisen des Militärs alles andere als positiv. Denn keiner dieser Homöopathen war in der Lage, die jeweils zuständigen Militärbehörden von der Effektivität seiner Heilmethode zu überzeugen. Viel wichtiger ist aber, dass die Quellen zu Recht oder zu Unrecht den Anschein erwecken, dass die drei Homöopathen bei der Durchführung der Versuche seitens der beteiligten akademischen Experten auf unterschiedlichste Weise behindert worden wären. Es soll nicht spekuliert werden, ob nun die Schuld für den Fehlschlag dieser Versuche allein bei den involvierten Allopathen oder im Versagen der Homöopathie zu suchen ist. Fest steht allerdings, dass die von den beteiligten akademischen Experten festgesetzten Rahmenbedingungen und deren kritische Einstellungen gegenüber der Durchführung der homöopathischen Versuche für die Homöopathen mit Sicherheit alles andere als ein optimales Arbeitsfeld waren. Wie die Beispiele Marenzeller, Stapf und Steinestel zeigen, war das Verhältnis zwischen Militär und Homöopathie bereits wenige Jahre nach ihrer Einführung keineswegs harmonisch. Stattdessen war es von Misstrauen geprägt und barg somit von Anfang an erhebliches Konfliktpotential. Eine einheitliche Grundhaltung gegenüber der homöopathischen Heilmethode existierte innerhalb des militärischen Apparates indes nicht. Denn unter den Militärangehörigen gab es – wie auch der Fall Marenzeller zeigt – sehr wohl Anhänger dieser Heilmethode. S. 145-147; Faltin (2002), S. 22f. 56 Nach Thoms wurde im Anschluss an die Versuche in Berlin der Homöopath Wilhelm Eduard Wislicenus beauftragt, in den preußischen Militärlazaretten Versuche zur Heilung der Syphilis ohne Merkur durchzuführen. Vgl. Thoms (2002), S. 187f. Thoms bezieht sich dabei auf einen von Wislicenus verfassten Aufsatz, der allerdings keine genauen Anhaltspunkte liefert. Vgl. Wislicenus (1823), S. 2f., Anm., und S. 17, Anm. 57 Für eine Kurzbiographie vgl. Schroers (2006), S. 92. 58 Für die Versuche Marenzellers mit der homöopathischen Heilmethode vgl. Lesky (1954), S. 114f.; Drexler/Bayr (1996), S. 79. Zum Kontext s. Horn (2003). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Homöopathie und Krieg nach 1850 Die Anwendung der Homöopathie innerhalb des Militärs scheint – trotz Befürwortern in den eigenen Reihen – aufgrund der nicht erwiesenen Wirksamkeit nie über das Versuchsstadium hinausgekommen zu sein. Zumindest existieren von offizieller Seite keine gegenteiligen Anhaltspunkte. Dies schließt natürlich nicht aus, dass in den Kriegen vor 1870 dennoch homöopathisch behandelt wurde. Allerdings bleibt es aufgrund der schlechten Quellenlage nahezu unmöglich, ein detailliertes Bild von diesen Vorgängen zu bekommen. Über die Tätigkeit des homöopathischen Arztes und Reserveoffiziers Bruno Gisevius (1839-1910)59 während des DeutschÖsterreichischen Krieges (1866) beispielsweise berichtet die Berliner Homöopathische Zeitschrift Folgendes: »Als Anhänger der Homöopathie war es ihm eine große Genugtuung, in der Behandlung der Cholera mit homöopathischen Mitteln große Erfolge zu erzielen.«60 Somit hat Gisevius zwar an der Cholera erkrankte Soldaten homöopathisch behandelt, über seine Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume schweigt dieser Artikel jedoch. Als ähnlich unpräzise erweist sich ein Quellenfund über den österreichischen Homöopathen Adolph Gerstel (1805-1890).61 Auch er hatte im DeutschÖsterreichischen Krieg, allerdings auf der Gegenseite, Angehörige des Militärs behandelt und dafür vom »Wiener medicinischen DoctorenCollegium« ein Dankschreiben erhalten. In diesem heißt es: Euer Wohlgeboren waren nicht blos am Nordbahnhof beim Empfangen der Verwundeten zur ärztlichen Hilfeleistung bereit, sondern Sie haben auch als Spender eines namhaften Geldbetrages sowie durch ärztliche Behandlung von 14 in Privatpflege befindlichen verwundeten Officieren die lobenswertheste Thätigkeit entfaltet […].62

Wenn dieses Schreiben auch einen Eindruck von der allgemeinen Tätigkeit der Homöopathen sowie deren Anerkennung von offizieller Seite vermittelt, so bleibt doch ungewiss, ob Gerstel im Rahmen seiner Behandlungen überhaupt homöopathische Therapieformen eingesetzt hatte. Die Voraussetzungen für Ärzte, homöopathisch zu behandeln, waren alles andere als günstig, woran sich auch in den Jahren nach 1870 nichts änderte. Die Frage, inwieweit das Praktizieren dieser Heilmethode innerhalb des Militärs der verschiedenen deutschen Einzelstaaten jeweils geregelt worden war, kann an dieser Stelle nicht erörtert werden. Am Beispiel Bayerns und Preußens wird allerdings deutlich, dass es den Homöopathen beim Militär vor allem an einem mangelte: an der Legitimation ihrer Heilweise. So schilderte ein unbekannter Autor in einer Regensburger Zeitung am 30. Juli 1866 die Lage in Bayern folgendermaßen: »Vor etwa 15-20 Jahren erschien 59 Für eine Kurzbiographie vgl. Schroers (2006), S. 40. 60 Dr. med. Bruno Gisevius (1910), S. 495. 61 Für eine Kurzbiographie vgl. Schroers (2006), S. 38. 62 IGM, Bestand V 212: Belobigungsschreiben der med. Fakultät für Adolph H. Gerstel über unentgeltliche Hilfeleistungen für die zurückkehrenden Truppen. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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in Bayern eine Kriegsministerialverordnung, wonach den Militärärzten in den Militärspitälern […] die Anwendung der homöopathischen Heilmethode untersagt wurde.«63 Obwohl das bayerische Innenministerium 1848 das Verbot der Homöopathie an Krankenanstalten aufgehoben hatte, waren die Militärspitäler knapp 20 Jahre später offensichtlich immer noch davon betroffen.64 Ähnlich gestaltete sich die Situation in Preußen. Die Ausführungen von Peter Meinolf Bolle (1812-1885)65 über seine Dienstzeit als Militärarzt und Homöopath während des Schleswig-Holsteinischen Krieges (1848-1851) zeigen deutlich, in welcher Position sich die Homöopathen im Dienste des Militärs befanden66. Beim preußischen Heer war die Homöopathie, wenn auch nicht gesetzlich, so doch faktisch verboten. Bolle allerdings unternahm schon bei Dienstantritt keinerlei Versuche, seine homöopathischen Ambitionen zu verschleiern. Stattdessen ging er in die Offensive und schlug dem Generalarzt vor, jene Soldaten, welche sich homöopathisch behandeln lassen wollten, und jene, die sich gegenüber dieser Heilmethode indifferent zeigten, auf eigene Kosten mit homöopathischen Medikamenten zu versorgen. Diejenigen Soldaten aber, die nach allopathischen Regeln versorgt werden wollten, würde er entweder in die Obhut seiner Assistenzärzte übergeben oder ihnen die Medikamente aus dem Vorrat des Militärs nach homöopathischen Grundsätzen verabreichen. Dieser Vorschlag wurde von Seiten des Generalarztes nicht nur abgelehnt, sondern er drohte Bolle auch mit Degradierung – entlassen wollte man ihn nicht –, falls er gegen die im preußischen Heere geltenden Grundsätze verstoßen sollte. Bolle jedenfalls schien sich wenig um diese Dienstvorschriften gekümmert zu haben, denn nach Ende seiner Dienstzeit berichtete er: Als die Demobilisierung der Armee begann, lieferte ich […] fast den ganzen Inhalt des schweren Bataillons-Arznei-Kastens wieder ab. [Ich hatte] daraus, wenn ich nicht irre, noch einige homöopathische Dosen arnica, Zinc. sulph. und tart. stib. entnommen, so daß ich also in der ganzen Dienst-Zeit fast nichts von dem großen Arzneivorrathe verbraucht, und alle von mir kurierten Kranken aus meiner kleinen homöopathischen Hand-Apotheke behandelt hatte.67

Wie das Beispiel dieses Homöopathen zeigt, wurde im Krieg – wenn auch inoffiziell und unter dem Mantel der Verschwiegenheit – sehr wohl homöopathisch behandelt. Die Frage allerdings, inwieweit und in welcher Form sich potentielle Sanktionen gegen homöopathisch behandelnde Ärzte in den militärischen Überlieferungen niederschlugen, müsste im Einzelnen genauer untersucht werden. 63 Eingesandt (1866), S. 72. 64 Für die Geschichte der Homöopathie in Bayern vgl. Stolberg (1999). 65 Für eine Kurzbiographie vgl. Schroers (2006), S. 15. 66 Für folgende Ausführungen vgl. Bolle (1864). 67 Bolle (1864), S. 126f. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Den Ausführungen Bolles können wir auch entnehmen, dass den Offizieren seitens der Militärführung offenbar größere Freiheiten in der Behandlungswahl eingeräumt wurden als den Mannschaftsdienstgraden.68 Dies erklärt auch die Tatsache, dass sich ein im Jahre 1862 erschienener medizinischer Ratgeber eines Homöopathen und Militärarztes der bayerischen Armee, Eduard von Grauvogl (1811-1877)69, explizit nur an den Offiziersstand richtete70. Die Ablehnung der Homöopathie durch die Militärbehörden erklärt auch den Mangel an offiziellen Quellen, denn es ist anzunehmen, dass sich die Militärärzte der homöopathischen Richtung aus Angst vor Repressionen eher zurückhielten und ihren Vorgesetzten und Fachkollegen ihre Erfahrungen nicht mitteilten. Dieser Tatsache war sich bereits der österreichische Stabsfeldarzt Joseph von Zlatarovich (1807-1874)71 bewusst: Ich glaube nicht, dass von den vielen Homöopathen unter den Feldärzten, es bisher noch Einer gewagt hat, einen förmlichen Bericht über seine Leistungen im Felde der Homöopathie an die oberstfeldärztliche Direktion einzusenden.72

Zlatarovich setzte sich auch dafür ein, dass die Feldärzte neben ihren gewöhnlich einzusendenden Krankenrapporten ebenfalls Berichte über ihre Erfahrungen mit der Homöopathie verfassen sollten.73 Es ist indes zu bezweifeln, dass dieser Vorschlag, dessen Realisierung eine vielversprechende Quelle im Rahmen der Homöopathiegeschichte dargestellt hätte, auch berücksichtigt wurde. Denn in einer Denkschrift, welche Zlatarovich im Jahre 1870 im Selbstverlag herausgab, fasste der Stabsarzt das Resultat seiner langjährigen Bemühungen um die Anerkennung der homöopathischen Lehre im österreichischen Militär wie folgt zusammen: Diese und ähnliche Ratschläge [zur Berücksichtigung der Homöopathie – P. E.], die ich schon seit Jahren gegeben, sind ungeachtet geblieben und es ging mir wie dem Erfinder der Hinterlader, der Dampfschraube – beide österreichischen Ursprungs – dass ich abgewiesen oder missachtet und keiner Antwort gewürdigt wurde!!74

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sowohl die Rahmenbedingungen als auch die Handlungsspielräume der Homöopathen, die sowohl im Deutsch-Französischen Krieg als auch im Ersten Weltkrieg im Wirkungsbereich des Militärs tätig waren, zu großen Teilen bereits in den Jahrzehnten vor 1870 festgelegt worden waren. 68 Vgl. Bolle (1864), S. 126. 69 Für eine Kurzbiographie vgl. Schroers (2006), S. 43. 70 Vgl. Grauvogl (1862). Eine Kurzfassung dieses Ratgebers erschien bereits 1859, vgl. Grauvogl (1859). 71 Für eine Kurzbiographie vgl. Schroers (2006), S. 170. 72 Zlatarovich (1848), S. 639. 73 Zlatarovich (1848), S. 637. 74 Zlatarovich (1870), S. 39. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Das anfängliche Interesse des Militärs an der homöopathischen Heilmethode wurde vor allem ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch eine wachsende Skepsis und später mehrheitlich durch Ablehnung ersetzt. Im Zuge der Modernisierung der Kriegsführung und der damit verbundenen Re- und Neuorganisation des Sanitätsdienstes wurde offensichtlich relativ bald der Schulmedizin der Vorrang gewährt. Da diese im Gegensatz zur Homöopathie darauf aus war, Kausalzusammenhänge auf der Basis von pathologischen Prinzipien und Strukturen aufzudecken und Therapien zu entwickeln, deren Erfolge messbar und nachvollziehbar waren, besaß sie für das Militär eine weitaus größere Attraktivität. Der Homöopathie dagegen, die mit ihrem Fokus auf das Individuum sowie auf Semiotik und Diätetik trotz des geringen Preises ihrer Arzneimittel dem militärischen Drang nach Effizienz und Wirtschaftlichkeit widersprach, wurde wenig Verständnis entgegengebracht.75 In den Kriegen von 1870/71 und 1914-1918 hat sich an diesem Verhältnis grundsätzlich nichts geändert. Lazarette unter homöopathischer Leitung Trotz der Widerstände, denen sich die Homöopathie in den Kreisen des Militärs über die Zeiten hinweg ausgesetzt sah, existierten sowohl im Deutsch-Französischen Krieg als auch im Ersten Weltkrieg Heimatlazarette, die unter homöopathischer Leitung standen. Heinz Eppenich, der die Geschichte der homöopathischen Krankenhäuser untersucht hat, nennt insgesamt vier homöopathische Einrichtungen, in denen verwundete oder erkrankte Soldaten betreut wurden: Während des Deutsch-Französischen Krieges waren diese das Vereinslazarett der Marienanstalt in München76 sowie das Diakonissenhaus in Stuttgart77 und während des Ersten Weltkrieges das Kriegslazarett des homöopathischen Krankenhauses in Berlin-Lichterfelde78 sowie das homöopathische Vereinslazarett in der Stuttgarter Friedrichstraße79. Laut der Vereinsnachrichten des Landesverbands für Homöopathie in Baden e. V. sollte ein homöopathisches Lazarett auch in Pforzheim entstehen. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte sich dort ein Arzt namens Kirn80 bereit erklärt, die Leitung eines Lazaretts mit homöopathischer Behandlung zu übernehmen, wenn 75 Vgl. Thoms (2002), S. 210. 76 Vgl. Eppenich (1995), S. 96. 77 Vgl. Eppenich (1995), S. 108-110. 78 Vgl. Eppenich (1995), S. 88-90. 79 Vgl. Eppenich (1995), S. 118. Ausführlicher: Faltin (2002), S. 26-28. 80 Laut Aussage des Stadtarchivs Pforzheim handelte es sich hier um den Arzt Immanuel Kirn, der während des Ersten Weltkriegs im dortigen Reservelazarett tätig war. Kirn, dessen Geburtsdatum nicht bekannt ist, verstarb 1927 in Pforzheim. Vgl. Schroers (2006), S. 75. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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ihm die nötigen Arzneimittel vom Verein zur Verfügung gestellt würden, was ihm auch einstimmig zugesagt wurde81. Der homöopathische Laienverein Hahnemannia berichtete ebenfalls über das Pforzheimer Lazarett. So referierte der Geschäftsführer Immanuel Wolf auf dessen Hauptversammlung im Jahre 1915: »In einem der Reservelazarette in Pforzheim ist eine ganze Abteilung dem Herrn Kirn übertragen, mit 80 Betten.«82 In homöopathischen Kreisen besaß der Wunsch nach der Leitung von Lazaretten einen hohen Stellenwert. Dabei waren die Hoffnungen, die damit verbunden waren, deckungsgleich mit den Erwartungen, die an die Eröffnungen von homöopathischen Krankenhäusern im Allgemeinen gerichtet wurden. So stand an oberster Stelle nicht etwa die Möglichkeit, den Patienten eine effiziente Heilung zu gewährleisten, sondern den Nachweis der Wirksamkeit zu erbringen und die öffentliche Anerkennung der Homöopathie zu erreichen.83 Programmatisch dafür steht die Äußerung von Victor Schwarz (18671915)84 anlässlich der Eröffnung des Rot-Kreuz-Lazaretts in Berlin im Jahre 1914: Das [Berliner homöopathische – P. E.] Krankenhaus hat sich sofort nach Eröffnung des Krieges in den Dienst des Vaterlandes gestellt, um denen, die für uns in schweren Kämpfen bluten […] die Segnung homöopathischer Behandlung zu Teil werden zu lassen. Es ist eine Freude gewesen, das Erstaunen unserer wissenschaftlichen Gegner zu sehen, wie gut wir für alles gerüstet waren, eine friedliche, gewaltige Propaganda für unsere Sache.85

Mit der Übernahme von Lazaretten konnten sich die Homöopathen nicht nur des Interesses der Öffentlichkeit sicher sein, sondern auch davon ausgehen, dass die große Anzahl der verwundeten und erkrankten Soldaten beider Kriege ihnen die Chance bieten würde, ihre Heilmethode innerhalb eines breiten Behandlungsspektrums zu erproben. Daneben erwarteten sie, dass ihre Patientenklientel meist aus jungen und kräftigen – im Idealfall der Homöopathie indifferent gegenüberstehenden – Männern bestehen würde, die nicht an chronischen, sondern an akuten Krankheiten litten und somit die idealen Vorausetzungen besaßen, um die Wirksamkeit der homöopathischen Heilmethode an ihnen demonstrieren zu können.86 Außerdem waren 81 Vgl. Häußer (1915). 82 IGM, Bestand V 8: Protokoll der 46. Hauptversammlung der Hahnemannia am 4. Juli 1915, S. 10. 83 Vgl. Faltin (2002), S. 10-12. 84 Für eine Kurzbiographie vgl. Schroers (2006), S. 132. 85 Schwarz (1914), S. 257-259. 86 So formuliert auch der Feldstabsarzt Zlatarovich die Vorteile, welche die homöopathische Behandlung von Soldaten gegenüber Zivilpersonen für den Therapeuten mit sich bringt. Vgl. Zlatarovich (1848), S. 640f. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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die von den Militärbehörden bezahlten Pflegesätze87 für die untergebrachten Soldaten eine garantierte und konstante Einnahmequelle88. München (1870/71) Im Vereinsspital in der Marienanstalt in München wurden nach Angaben zweier Berichte in der Allgemeinen Homöopathischen Zeitung (AHZ)89 während des Deutsch-Französischen Krieges im Vergleich mit anderen Privatspitälern die meisten Soldaten – insgesamt etwa 16090 – versorgt. Dabei wurden die benötigten homöopathischen Arzneien in großen Quantitäten unentgeltlich verabreicht. Leitender Arzt war Hieronymus Herold (1812-1894).91 Dem Lazarett wären allerdings meist nur schwerverwundete Soldaten zugewiesen worden, welche rein chirurgisch behandelt werden mussten. Dadurch hätten die Homöopathen kaum die Gelegenheit gehabt, ihre Heilmethode bei inneren Erkrankungen wie Ruhr, Typhus oder Cholera anzuwenden, um so deren im Vergleich zur Schulmedizin angenehmere, schnellere und sicherere Wirkungsweise sowie deren geringe Kosten zu demonstrieren. Die für diese Zuteilung Verantwortlichen waren in den Augen der Homöopathen die »maasgebenden, hochgestellten allopathischen Ärzte«.92 Stuttgart (1870/71) Im selben Zeitraum diente auch das Diakonissenhaus in Stuttgart93, das unter der Leitung des auch in nichthomöopathischen Kreisen geachteten

87 Das Vereinslazarett im Berliner homöopathischen Krankenhaus beispielsweise erhielt im Zeitraum 1914-1917 seitens der Militärbehörde etwa 170.000 Mark für die Versorgung von Soldaten. Vgl. Das Vereinslazarett im Berliner Homöopathischen Krankenhaus in Lichterfelde (1917), S. 113. 88 Homöopathische Krankenhäuser waren stets mit dem Problem der Finanzierung konfrontiert. Da die homöopathischen Ärzte immer Anfeindungen von Seiten der hochschulmedizinischen Ärzteschaft und der Behörden ausgesetzt waren, blieben alle Versuche erfolglos, eine für den Krankenhausbetrieb ausreichende staatliche Unterstützung zu erhalten. Vgl. Eppenich (1995), S. 222. 89 Vgl. Tagesangelegenheiten (1871); Quaglio/Buchner (1872). 90 Die AHZ nennt für das Jahr 1870 46 und für das Jahr 1871 114 Soldaten, die im Vereinslazarett behandelt wurden. Bei der hier angegebenen Gesamtzahl der während des Deutsch-Französischen Krieges behandelten Militärangehörigen konnten jene, die über die Jahreswende 1870/71 im Lazarett untergebracht waren und demnach doppelt gezählt wurden, nicht berücksichtigt werden. Vgl. Anm. 89. 91 Für eine Kurzbiographie vgl. Schroers (2006), S. 62. 92 Tagesangelegenheiten (1871), S. 184. 93 Zur Geschichte des Diakonissenhauses Stuttgart, welches von 1866 bis 1900 als homöopathisches Krankenhaus diente, vgl. Eppenich (1995), S. 108-114; Faltin (2002), S. 23f. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Homöopathen Paul von Sick (1836-1900)94 stand, als Militärlazarett. Durch einen Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg wurde die direkte Überlieferung zerstört, weshalb über die tatsächliche Behandlung der Soldaten nichts bekannt ist. Sick selbst jedoch berichtete später relativ ausführlich über die Behandlung der dem Lazarett zugewiesenen Soldaten.95 Im Diakonissenhaus wurden während des Krieges 1870/71 insgesamt 90 Angehörige96 des deutschen Heeres versorgt. Ähnlich wie in München war der Anteil der Patienten, die an innerlichen Krankheiten litten, verschwindend gering. Nur neun der 90 Soldaten waren nicht aufgrund von Verwundungen ins Lazarett eingewiesen worden. Durch die Kombination einer inneren homöopathischen und einer äußeren chirurgischen Wundbehandlung konnte Sick bei den verletzten Soldaten gute Resultate erzielen. Von diesen 81 Patienten fanden lediglich sechs den Tod, wobei dieser bei dreien wohl schon in den Sanitätszügen erwartet worden war. In den meisten Fällen konnte die Gesundheit der Militärangehörigen wiederhergestellt werden, wie beispielsweise die Behandlung des 21jährigen Musketiers C. Paul, der bei Weißenburg (Wissembourg) verwundet worden war, demonstriert. Über dessen Krankengeschichte berichtet Sick wie folgt: Schuss durch das Gesicht, von der rechten Wange bis unter das linke Ohr […]. Mehrfache, sehr starke, den Tod durch Erschöpfung drohende Blutungen aus Mund und Nase vom 15. bis 17. August. Als Tamponade mit Charpie und Eisenchlorid nichts mehr halfen, an letzterem Tage Unterbindung der rechten Halsschlagader. Sofort stand die Blutung, kehrte nicht wieder. Patient am 29. September geheilt und gekräftigt entlassen. Gegen das Wundfieber war nur Arnica 3 und Aconit 3 zur Anwendung gekommen.97

Berlin (1914-1917) Gute Erfolge mit der Anwendung der inneren homöopathischen und äußeren chirurgischen Wundbehandlung erzielte man laut Quellenangaben auch während des Ersten Weltkriegs im homöopathischen Lazarett in BerlinLichterfelde.98 Deshalb hätten nicht wenige Soldaten das Spital mit dem erklärten Ziel verlassen, den »Ruhm homöopathischer Behandlung in alle Gaue Deutschlands zu tragen«.99 In Wirklichkeit allerdings scheint die Öffentlichkeit kaum Notiz von den Leistungen des Lazaretts genommen zu haben. So wurde beispielsweise eine Mitteilung des Direktoriums anlässlich 94 Für eine Kurzbiographie vgl. Schroers (2006), S. 135. Ausführlicher: Mossa (1901). 95 Vgl. Sick (1879), S. 212-221. 96 Diese Angabe steht im Widerspruch zu einer Aussage in der AHZ, welche von 89 behandelten Soldaten berichtet. Vgl. Feierabend (1871), S. 51. 97 Sick (1879), S. 212. 98 Vgl. Das Kriegslazarett im Berliner homöopathischen Krankenhause (1915), S. 40. 99 Das Kriegslazarett im Berliner homöopathischen Krankenhause (1915), S. 40. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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einer beträchtlichen Spende des Homöopathischen Zentralvereins Deutschlands in Höhe von 10.000 Mark, die an zahlreiche Zeitungen des Deutschen Reiches versandt worden war, allenthalben ignoriert.100 Großen Zuspruch fand das Lazarett hingegen unter den Anhängern der Homöopathie, deren freiwillige Geld- und Sachspenden maßgeblich dazu beitrugen, dass der Betrieb zunächst aufrechterhalten werden konnte.101 Auf Dauer konnten die Kosten allerdings nicht mehr durch freiwillige Leistungen und die Verpflegungssätze der Militärbehörde gedeckt werden, und das Lazarett musste am 31. Juli 1917 seine Pforten schließen.102 In den Augen der Homöopathen lag der Grund für den wirtschaftlichen Misserfolg darin, dass mit zunehmender Kriegsdauer die Zahl der eingelieferten Soldaten mehr und mehr abnahm und dem Lazarett zudem meist nur chronische Fälle überstellt wurden, die eine lange und aufwendige Therapie erforderten. Interessanterweise sah man die Schuld nicht etwa – wie so oft – in den Machenschaften der homöopathiekritischen Behörden, sondern vielmehr in der Tatsache, dass das Militär seine verwundeten und erkrankten Soldaten bevorzugt in den Etappenlazaretten behandeln ließ.103 Der Artikel, dem diese Informationen entnommen wurden, stammt allerdings aus dem Jahre 1917. Der Krieg dauerte noch an, und das Militär besaß großen Einfluss auf die deutsche Presse. Ein Jahr später hätten die Homöopathen möglicherweise anders argumentiert. Stuttgart (1914-1919) Das homöopathische Vereinslazarett in der Stuttgarter Friedrichstraße hingegen war finanziell abgesichert. Dort sorgten der Industrielle Robert Bosch (1861-1942)104, die Laienvereinigung Hahnemannia und der Deutsche Zentralverein Homöopathischer Ärzte für die notwendigen Geldmittel. Durch das Zusammenwirken von Laien, Ärzten und Mäzen besaß das Lazarett zudem eine moderne Einrichtung und hatte zunächst 50, dann 70 und zuletzt 85 Betten.105 Laut Angaben der Hahnemannia nahm das Lazarett während seines 54-monatigen Bestehens etwa 1000 verwundete und er100 Die Mitteilung wurde an alle Leipziger Tagesblätter, an die Berliner Zeitung, Vossische Zeitung, Allgemeine Königsberger Zeitung, Hamburger Nachrichten, Schlesische Zeitung, Magdeburgische Zeitung, Frankfurter Zeitung, Kölnische Zeitung und den Dresdner Anzeiger verschickt. Vgl. Pfuel (1915), S. 93. 101 Bis zur Schließung im Jahre 1917 flossen dem Lazarett knapp 70.000 Mark an Spenden zu. Vgl. Das Vereinslazarett im Berliner Homöopathischen Krankenhaus in Lichterfelde (1917), S. 113. 102 Vgl. Eppenich (1995), S. 89. 103 Vgl. Das Vereinslazarett im Berliner Homöopathischen Krankenhaus in Lichterfelde (1917), S. 113. 104 Für eine Biographie vgl. Heuss (2008). 105 Vgl. Faltin (2002), S. 26f. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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krankte Soldaten auf.106 Die Medikamente wurden von den ortsansässigen Apotheken zumeist kostenlos zur Verfügung gestellt.107 Quellen, die die homöopathische Behandlung von Verwundeten schildern, liegen bis jetzt nicht vor. Von den Widrigkeiten allerdings, denen das Lazarett seitens der Behörden ausgesetzt war, berichten sowohl der leitende Arzt Adolf Lorenz (18521923)108 als auch dessen Assistent Richard Haehl (1873-1932)109. Haehl bezeichnete die Maßnahmen der Behörden gegen das Lazarett zusammenfassend als »oft fast unerträgliche Widrigkeiten«.110 Den Ausführungen von Lorenz können wir entnehmen, dass die zuständigen Behörden das Lazarett erst dann genehmigten, als neben den homöopathischen Ärzten, die von der geschlossenen Stuttgarter homöopathischen Poliklinik aus ihrer »vaterländischen« Pflicht heraus in die Friedrichstraße folgten, ein Facharzt für Chirurgie eingestellt wurde. Auch hätte das Sanitätsamt durch unterschiedliche Maßnahmen versucht, den Lazarettbetrieb zu behindern. So mussten sich die Betreiber verpflichten, jeden Kranken, der sich mit der Homöopathie nicht zufrieden zeigte, an die Schulmedizin zu übergeben. Als sich viele Kranke jedoch von den Vorzügen der homöopathischen Behandlung hatten überzeugen lassen, so berichtete Lorenz weiter, hätte das Sanitätsamt schließlich verfügt, dass dem Lazarett nur noch chirurgische Kranke zugewiesen wurden. Auch bei diesen seien allerdings homöopathische Mittel erfolgreich angewendet worden.111 Der Mangel an Patienten mit inneren Krankheiten führte ebenfalls in Stuttgart dazu, dass die Homöopathie nur sehr bedingt zur Anwendung kam und primär chirurgische Fähigkeiten – wie auch in den homöopathischen Lazaretten während des Deutsch-Französischen Krieges – notwendig waren.112 Demzufolge zeitigten auch die Bemühungen in der württembergischen Landeshauptstadt kaum den Erfolg, zur öffentlichen oder gar wissenschaftlichen Anerkennung der Homöopathie während des Krieges beizutragen.

106 Vgl. Die 47. Jahresversammlung der Hahnemannia (1920), S. 69. 107 Vgl. IGM, Bestand V 8: Protokoll der 46. Hauptversammlung der Hahnemannia am 4. Juli 1915, S. 54. 108 Für eine Kurzbiographie vgl. Schroers (2006), S. 89. 109 Für eine Kurzbiographie vgl. Schroers (2006), S. 48f. 110 Haehl (1922), S. 59. 111 Vgl. Lorenz (1922), S. 350f. 112 Vgl. Faltin (2002), S. 27. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Pforzheim Über die Geschichte des Lazaretts Pforzheim ist aus Mangel an Quellen wenig bekannt.113 Den Äußerungen des Vorsitzenden der Hahnemannia 1915 in Pforzheim können wir entnehmen, dass der Verein sowohl die Finanzierung als auch die Medikamentenversorgung übernommen hatte und dort bis Juli 1915 73 oder 74 Soldaten behandelt worden waren. Es sei im Lazarett auch gelungen, einen vollständig gelähmten Soldaten zu heilen, und die Patienten seien im Allgemeinen »außerordentlich dankbar für die homöopathische Behandlung«.114 Wann das Lazarett seine Pforten öffnete, inwieweit dort homöopathisch behandelt wurde und wie sich das Verhältnis zwischen Homöopathen und den zuständigen Behörden gestaltete, bleibt unklar. Da seine Existenz kaum Spuren innerhalb der homöopathischen Presse hinterlassen hat, ist davon auszugehen, dass seine Bedeutung eher marginal war. Der Krieg als Hoffnungsträger Am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts stand die Homöopathie allgemein im Schatten der Schulmedizin. Wie am Beispiel der Lazarette demonstriert wurde, war sowohl der Deutsch-Französische als auch der Erste Weltkrieg für viele Homöopathen eine Möglichkeit, ihre Heilmethode der Öffentlichkeit zu präsentieren, um so publikumswirksam zu beweisen, dass die Homöopathie im Zeichen der Humanität und auch des Patriotismus ihren Beitrag zur Versorgung verwundeter und erkrankter Soldaten leisten könne. Mit diesem Ziel standen sie ihren schulmedizinischen Kollegen in nichts nach. Denn zumindest zu Beginn beider Kriege war die Kriegsbegeisterung in der deutschen Ärzteschaft enorm. Viele hegten dabei die Hoffnung, sowohl dem medizinischen Fortschritt als auch ihrer eigenen beruflichen Karriere und der wissenschaftlichen Anerkennung der Medizin zu dienen.115 Viele Homöopathen bildeten in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Für sie galt es, die Kampfkraft der Soldaten zu erhalten oder wiederherzustellen, aber auch, der Homöopathie auf der durch den Krieg entstandenen Bühne zur wissenschaftlichen Anerkennung zu verhelfen. So waren jedenfalls ihre Erwartungen. Dabei galt das Hauptaugenmerk der Heilung von Verwun113 Akten zum Reservelazarett Pforzheim befinden sich im Generallandesarchiv in Karlsruhe unter der Signatur GLA 456 F 118, Nr. 607-622. Es handelt sich laut Aussage des Archivs lediglich um Unterlagen über Organisation, Ausrüstung, Personal und Kassenangelegenheiten. Zwar sind allgemeine Kriegssanitätsberichte (Nr. 609-610) vorhanden, nicht jedoch Behandlungsakten. 114 IGM, Bestand V 8: Protokoll der 46. Hauptversammlung der Hahnemannia am 4. Juli 1915, S. 12. 115 Vgl. Walser (1967), S. 106f.; Wolff (1997), S. 100. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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dungen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie den inneren Krankheiten keine Bedeutung zugemessen hätten. Im Gegenteil: Zahlreiche Artikel innerhalb der homöopathischen Zeitschriftenliteratur zeugen davon, wie dezidiert und durchaus kritisch sie ihre Heilmethode gerade bei den Kriegsseuchen des Ersten Weltkriegs, vor allem der Ruhr, betrachteten.116 Auch setzten homöopathische Ärzte ihre eigenen Heilmittel ein, um erkrankten Soldaten zu helfen, oder führten gar aktiv Versuche an Erkrankten in den Lazaretten durch.117 Der Deutsch-Französische Krieg Die Hoffnungen der Homöopathen, die sie in Bezug auf ihre Heilmethode mit dem Krieg verbanden, werden besonders bei ihren Bemühungen um den Einsatz der homöopathischen Wundbehandlungen, vor allem des Bolle’schen Wundverbands, deutlich. Es ist erstaunlich, dass dieser Verband während des Krieges nicht zur Anwendung kam, da er, verglichen mit der damaligen Wundbehandlung, offensichtlich einen Fortschritt darstellte. Durch die Entdeckung zuverlässiger Narkosemittel – wie Lachgas, Äther oder Chloroform – waren die Chirurgen zwar in der Lage, längere, für den Patienten schmerzfreie Operationen durchzuführen, doch selbst die besten Ergebnisse wurden durch die häufig auftretenden Wundinfektionen zunichtegemacht. Die antiseptische Wundbehandlung begann zwar gerade in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu erregen, faktisch befand man sich jedoch noch in der vorantiseptischen Ära.118 Wunden wurden so versorgt, dass man kalte Überschläge und Berieselungen gegen potentielle Entzündungen anwandte und der Verband möglichst häufig gewechselt wurde. Das Prinzip des Bolle’schen Wundverbands beruhte nun darauf, dass die Wunden zunächst mit frischem Blut gereinigt wurden, wobei man die Wundränder bedeckt ließ und danach mit einem mit Arnikatinktur getränkten Wattebausch anstatt mit der sonst üblichen Charpie verband. Dabei sollte der Verband möglichst lange auf der Wunde bleiben.119 Peter Meinolf Bolle hatte das Verfahren Anfang der 1850er Jahre entwickelt, 1864 in der Populären Homöopathi-

116 Vgl. beispielsweise Moeser (1915); Die Ruhr als Kriegsseuche (1914); Kröner (1917); Ueber Typhus und typhöse Erkrankungen (1915). 117 Paul Junghans beispielsweise behandelte deutsche Soldaten während einer Ruhrepidemie homöopathisch. Vgl. Junghans: Ruhrepidemie (1919). Martin Schlegel führte Versuche mit homöopathischen Mitteln an Soldaten durch, welche an Diarrhöen erkrankt waren, und erzielte damit gute Erfolge. Vgl. Schlegel (1914), S. 330. 118 Zu Lister und zur Antiseptik vgl. Genschorek (1984). 119 Vgl. Tischner (1932-1939), S. 622f. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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schen Zeitung veröffentlicht und dafür auch aus nichthomöopathischen Kreisen Anerkennung erhalten.120 Unter den homöopathischen Ärzten fand diese Behandlungsmethode allgemeine Akzeptanz und wurde beispielsweise von Bruno Gisevius im Krieg 1870/71 »häufig und mit glänzendem Erfolg«121 verwendet. Auch Paul von Sick war von der positiven Wirkung des Verbands überzeugt und wandte ihn während seiner Zeit als leitender Arzt im Diakonissenhaus in Stuttgart vielfach mit Erfolg an, wobei er anstatt der Arnikatinktur deren erste Dezimalverdünnung verwendete. In seiner Abhandlung »Antiseptik und Homöopathie« ließ er jedoch offen, ob die antiseptische Wirkung der Arnikaverdünnung oder dem verwendeten Alkohol zuzuschreiben war.122 Während des Deutsch-Französischen Kriegs ergab sich für Sick allerdings kaum die Möglichkeit, »jenen Verband […] umfassender zu prüfen und zur Anwendung zu bringen, weil er [Sick – P. E.] die Verwundeten meistens mit schon stark eiternden Wunden, vielfach schon fiebernd in seine Behandlung bekam«.123 In der Kriegsmedizin fand dieses Verfahren dagegen keine Beachtung, und auch sein Entdecker Bolle sollte zeit seines Lebens vergebens um die wissenschaftliche Anerkennung kämpfen. Schon bei Kriegsausbruch schrieb er an den Generalarzt des 8. Rheinischen Armeekorps nach Koblenz mit der Bitte, ihm ein Lazarett in der Nähe des Kriegsschauplatzes zu überlassen, wo er dann unter Aufsicht seine Methode demonstrieren könnte. Falls die Ergebnisse dann nicht zur Zufriedenheit des Generalarztes ausfallen sollten, würde Bolle darüber hinaus auf jegliche Bezahlung verzichten. Auf eine Erwiderung im positiven oder negativen Sinne wartete Bolle allerdings vergebens, denn der Generalarzt ignorierte das Gesuch.124 Über die Gründe der Nichtbeachtung kann nur spekuliert werden. Vielleicht waren die Militärbehörden nicht von Bolles Methode überzeugt oder sie standen der Homöopathie prinzipiell feindlich gegenüber. In den Jahren 1870/71 setzten sich deutsche Homöopathen allerdings weiter für die Akkreditierung des Bolle’schen Verfahrens im Besonderen und für die Wundbehandlung mit homöopathischen Mitteln im Allgemeinen ein. So waren es vor allem der homöopathische Laienverein Hahnemannia und dessen Sekretär August Zöppritz, die in Württemberg massiv Propaganda für die Effizienz der homöopathischen Wundbehandlung beim Militär be120 Vgl. Eppenich (1995), S. 166. 121 Dr. med. Bruno Gisevius (1910), S. 495. 122 Vgl. Sick (1889), S. 6-10. 123 Vgl. Sick (1879), S. 200f. 124 Vgl. Bolle (1895), S. III-VIII. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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trieben. Zöppritz stellte zunächst dem infolge des Krieges gebildeten Sanitätsverein in Stuttgart 500 Gulden zur Verfügung, damit dieser Versuche mit Arnika und Symphytum an Verwundeten durchführte.125 Der Vorstand des Vereins, Medizinalrat Dr. Landsberger, stimmte der unparteilichen Prüfung dieser Mittel, welche von Willmar Schwabe (1839-1917)126 aus Leipzig bezogen wurden, angeblich auch zu. Mit welchem Ergebnis die Untersuchung abgeschlossen wurde, ist unbekannt. Dies sollte indes nicht die einzige Bemühung bleiben. Denn laut des Rechenschaftsberichts des Ausschusses der Hahnemannia ließ Zöppritz auf eigene Rechnung ein Flugblatt drucken, das die genaue Anleitung zur homöopathischen Wundbehandlung zum Inhalt hatte. Auch die Hahnemannia selbst wurde aktiv und scheute nach eigenen Angaben keine Kosten, um in zahlreichen Zeitungen, von denen bekannt war, dass sie auch in den Spitälern gelesen wurden, diese Heilmethode massiv überregional zu propagieren.127 Des Weiteren verschickte der Verein große Mengen an Arnika- und Calendulatinkturen, die ihm unentgeltlich von den homöopathischen »Centralapotheken« Schwabe in Leipzig und Zennegg in Bad Cannstatt zur Verfügung gestellt worden waren, an größere Lazarette mit der Bitte um versuchsweise Anwendung.128 Als die Hahnemannia allerdings keinerlei Rückmeldungen erhielt, wandte sich Zöppritz direkt an den württembergischen Kriegsminister, um diesen von der Notwendigkeit einer Prüfung des homöopathischen Wundheilverfahrens zu überzeugen. Im Gegensatz zu Bolles Begehr wurde Zöppritz’ Schreiben – wenn auch nicht vom Minister persönlich – am 21. Oktober 1870 beantwortet. Die Entscheidung des Kriegsministeriums lautete wie folgt: Nach von verschiedenen Seiten eingeholter gutächtlicher Äußerung über Ihren Vorschlag sind möglichst frische Fälle Haupterfordernis für die Beurtheilung eines neuen Heilverfahrens. Diese Bedingung fehlt zur Zeit für die inländischen Spitäler vollständig […]. Da unter diesen Umständen nicht zu hoffen ist, daß die praktische Ausführung des – übrigens durchaus nicht ganz unbeachtet gebliebenen – Bolle’schen Wundverbands geeignetes Material zu Beurtheilung desselben liefern werde und der Einrichtung eines Spitals für diese Zwecke Schwierigkeiten manchfacher Art entgegen stehen, so ist das Kriegsministerium zu seinem Bedauern nicht in der Lage, Ihrem sehr dankenswerthen Vorschlag eine entsprechende Folge zu geben.129

125 Vgl. Lorbacher (1870), S. 140. 126 Zur Biographie Schwabes sowie zur Geschichte seiner Firma siehe Jäger (1991), Michalak (1991) und Willfahrt (1996). 127 Vgl. IGM, Bestand V 8: Rechenschaftsbericht des Ausschusses der Hahnemannia vom 1. Mai 1871. 128 Vgl. Ausschuss der Hahnemannia (1893), S. 7. 129 IGM, Bestand V 9: Schreiben des Kriegsministeriums an August Zöppritz vom 21. Oktober 1870. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Den Äußerungen des Kriegsministeriums können wir zweierlei entnehmen: Zum einen war das Bolle’sche Wundverfahren in den Kreisen des Militärs keinesfalls unbekannt, und es ist möglicherweise tatsächlich den äußeren Umständen zuzuschreiben, dass es keiner wissenschaftlichen Untersuchung – auch in Anbetracht der Kürze der Kampfhandlungen – unterzogen wurde. Zum anderen aber führt das Antwortschreiben Schwierigkeiten an, die bei der Einrichtung eines Spitals entstehen würden. Ob diese Schwierigkeiten allerdings finanzieller oder logistischer Natur waren oder ob man den Homöopathen kein »Forum« für die Demonstration ihrer Heilmethode geben wollte, wird nicht präzisiert. Es ist auch anzunehmen, dass mit der Existenz des homöopathischen Lazaretts im Diakonissenhaus Stuttgart die Toleranz der Schulmediziner innerhalb der Behörden erschöpft war. Zu einem weiteren, möglicherweise öffentlichkeitswirksamen Zugeständnis gegenüber den Homöopathen war man nicht bereit. So hatten sich alle diese Bemühungen als vergebens erwiesen, denn zu einer Überprüfung der homöopathischen Wundheilmethode durch das Militär kam es nach der heutigen Quellenlage im Krieg 1870/71 nicht. Wenn auch die deutschen Truppen den Feldzug gegen Frankreich siegreich beenden konnten, so hatten die Homöopathen ihren Kampf verloren – und dies nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch in der Heimat. Der gemeinsame Einsatz der homöopathischen Ärzte, Apotheker und Laien für die Überprüfung und die mögliche Anerkennung ihrer Wundheilmethode zeigt jedoch, wie geschlossen die »homöopathische Front« gegenüber dem Militär auftrat. Die Erwartungen, die die Homöopathen im Rahmen einer wissenschaftlichen Überprüfung der homöopathischen Wundbehandlung im Allgemeinen hegten, waren groß, verbanden sie doch damit die Hoffnung, endlich die Wirksamkeit ihrer Heilmethode in einem Bereich demonstrieren zu können, in dem die Schulmedizin nicht nur unzureichende, sondern darüber hinaus auch nachteilige Therapien anzubieten hatte. Somit ist die folgende pathetisch anmutende Aufforderung aus der Perspektive der Homöopathen in gewisser Weise nachzuvollziehen: »Tausende unserer braven Krieger haben die feindlichen Kugeln bereits hinweggerafft, sollen etwa noch eben so viele Tausende dem ärztlichen Vorurtheile zum Opfer fallen.«130 Wäre es den Homöopathen gelungen, das Militär von ihrer Heilmethode zu überzeugen, wäre die Homöopathie oder wenigstens eine von einem Homöopathen entwickelte Verbandsmethode nicht nur flächendeckend bei der Wundbehandlung auf den Schlachtfeldern und in den Lazaretten des Deutsch-Französischen Krieges eingesetzt worden, sondern sie wäre vielmehr noch vor Joseph Lister aus ihrem Schattendasein heraus in den Fokus des wissenschaftlichen und öffentlichen Interesses gerückt. 130 Ein zeitgemäßes Wort im Interesse unserer Verwundeten (1870), S. 190. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Der Erste Weltkrieg Mit der bald nach Ende des Deutsch-Französischen Krieges eingeführten Antiseptik brach die Chirurgie jedoch in ein neues Zeitalter auf, und zu Beginn des Ersten Weltkriegs war das mögliche Potential der homöopathischen Wundbehandlung – im Speziellen der Bolle’sche Wundverband – Geschichte. Das galt allerdings nicht für die Homöopathen. Denn die homöopathische Zeitschriftenliteratur zwischen 1914 und 1918 belegt, dass die mögliche Anwendung der homöopathischen Wundbehandlung innerhalb der Militärmedizin nie ganz aus dem Fokus der Anhänger dieser Heilmethode verschwand.131 Die Frage allerdings, inwieweit sie bei den homöopathischen Ärzten im Dienste des Militärs angewendet wurde, bleibt schwierig zu beantworten. So bemerkte der an der Westfront eingesetzte Oberarzt Martin Schlegel (1882-1961)132: Im Großen habe ich die Arnica bei Verwundungen in Form unseres Bolle’schen Verbandes nicht verwendet, da die Verletzten ja sofort in andere Hände übergehen […]. Der geeignete Ort für systematische Versuche damit wären die Etappenlazarette, wo die Verletzten längere Zeit verbleiben.133

Charakteristisch im Verhalten der Homöopathen während des Ersten Weltkriegs ist aber, dass sie das Potential ihrer Heilmethode für die Kriegsmedizin weitaus nüchterner einschätzten als noch 1870/71. Vor allem während der letzten Kriegsjahre erkannten sie die Effizienz der standardisierten Behandlungsmethoden der Schulmedizin bei der Masse der verwundeten Soldaten durchaus an, wie beispielsweise der im Felde stehende Arzt Buschmann: »Was gerade die Chirurgie und ihre Hilfswissenschaften in diesem Kriege leisten, ist oft bewundernswert.«134 Besonders deutlich wird dies bei jenen Ärzten, die mit Massen von Verwundeten oder Kranken konfrontiert waren. Martin Schlegel, der als Frontarzt viele Verwundete unter Zeitdruck behandeln musste, zieht daher das nüchterne Fazit, dass die Durchführung einer spezifischen Arzneimitteltherapie beim Truppendienst nahezu unmöglich sei.135 Ernst Bastanier (1870-1953)136, der während einer Fleckfieberepidemie in einem Kriegsgefangenenlager deutsche, russische und französische Soldaten behandelte, schildert seine Eindrücke wie folgt: Bei der Massenerkrankung der Gefangenen konnte von einer feineren Individualisierung der Behandlung, wie vor Ausbruch der Seuche, keine Rede sein. Da konnte ich nur schematisch ein Mittel verzapfen, das ich mir nicht nach den Feinheiten der sub131 Vgl. beispielsweise Haehl (1914/15); Weil (1914); Moll (1916); Kluge (1914). 132 Für eine Kurzbiographie vgl. Schroers (2006), S. 125. 133 Schlegel (1914), S. 330f. 134 Buschmann (1916), S. 34. 135 Vgl. Schlegel (1914), S. 330. 136 Für eine Kurzbiographie vgl. Schroers (2006), S. 9f. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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jektiven Beschwerden, sondern nach den objektiven Erscheinungen am Krankenbett und Seziertisch ausgesucht habe.137

Gerade bei den Frontärzten war es offensichtlich der Pragmatismus und nicht die persönliche Überzeugung, die die Behandlungsmethode bestimmte: Sowohl Martin Baltzer als auch Martin Schlegel scheuten nicht davor zurück, ihren Patienten vor der Behandlung Morphium zu spritzen.138 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die Hoffnungen der Homöopathen weder im Deutsch-Französischen Krieg noch im Ersten Weltkrieg erfüllten. Vor allem während des Ersten Weltkriegs mussten die im Militärdienst aktiven Ärzte erkennen, dass Schlachtfelder kaum der geeignete Ort waren, um ihre Kämpfe um wissenschaftliche Anerkennung und Gleichstellung ihrer Heilmethode auszutragen. Eine einheitliche Meinung innerhalb des homöopathischen Milieus hinsichtlich dieses Scheiterns gab es nicht. Viele Anhänger sahen die Gründe vor allem während der ersten Kriegsjahre nicht in der Unzweckmäßigkeit ihrer Heilmethode, sondern in der fehlenden Akzeptanz einer von der Schulmedizin dominierten Gesellschaft. So schrieb die Homöopathische Rundschau im Jahre 1916: Es kommt hinzu, daß, wie die Dinge liegen, die Homöopathie gerade in Kriegszeiten in den Hintergrund gedrängt wird, da ihr in Deutschland nicht die Gelegenheit gewährt wird, sich in so umfangreicher Weise, wie es wünschenswert wäre, der Heeresangehörigen anzunehmen.139

Der Handlungsspielraum der Homöopathen Wenn es der homöopathischen Heilmethode im Wirkungsbereich des Militärs auch an Anerkennung mangelte, war es den homöopathischen Ärzten nicht grundsätzlich verboten, als Mediziner im Militärdienst tätig zu sein. Es wurde vielmehr von ihnen verlangt, nach den beim Militär geltenden Grundsätzen zu behandeln, innerhalb derer die Homöopathie offenbar nicht vorgesehen war. Ein einheitliches Vorgehen der Militärbehörden gab es allerdings nicht. Dem würde allein schon die Tatsache widersprechen, dass es in beiden Kriegen Lazarette unter homöopathischer Leitung gegeben hat. Inwieweit ein Arzt homöopathisch behandeln durfte und konnte, war offensichtlich in erster Linie von der Einstellung seiner Vorgesetzten und Kollegen sowie den jeweils zuständigen Behörden abhängig.140 137 Bastanier (1916), S. 5. 138 Vgl. Baltzer (1919), S. 37; Schlegel (1914), S. 328. 139 Zum neuen Jahre (1916), S. 2. 140 In diesem Zusammenhang berichtet die Homöopathische Rundschau: »Nur kurz erwähnen wollen wir, daß auch homöopathischen Ärzten, die sich freiwillig der Militärbehörde zur Verfügung stellten, ernste Schwierigkeiten bereitet wurden, so dass sie schließlich ihren Plan aufgaben. Ein einheitliches Vorgehen in dieser Beziehung liegt allerdings nicht vor.« Burgfriede (1915), S. 16. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Einschränkungen Die Homöopathen hatten im Dienste des Militärs in der Regel keine Behandlungsfreiheit. Demzufolge beklagte sich der Homöopath Arnold Lorbacher (1818-1899)141 im Jahre 1870 mit den Worten: »Die Thüren der Lazarette sind uns verschlossen, es sei denn, daß wir gegen unsere bessere Überzeugung handeln oder heimlicherweise unsere Heilmethode anwenden wollen.«142 Damit sind die damaligen Möglichkeiten der Homöopathen bereits aufgezeigt. Entweder sie blieben dem Sanitätsdienst fern oder behandelten gegen ihre Überzeugung schulmedizinisch, oder sie führten ihre homöopathischen Therapien heimlich durch. Bei Zuwiderhandlungen war mit Repressionen zu rechnen, wie der Fall des homöopathischen Arztes Jacob Baumann (1818-1879)143 zeigt: Baumann behandelte im Januar 1871 einen verwundeten Soldaten, der in der Schlacht bei Gravelotte einen Schuss durch den Oberschenkel erhalten hatte, im Spital Memmingen erfolgreich nicht nur chirurgisch, sondern auch homöopathisch144. Als Letzteres bekannt wurde, verwies man Baumann zwar nicht öffentlich aus dem Spital, aber teilte ihm keine weiteren Patienten zu.145 Die Handlungsspielräume der homöopathischen Ärzte in den verschiedenen Staaten des Deutschen Reiches änderten sich während des Ersten Weltkriegs nicht. Ein Jahr vor Kriegsausbruch stellten die homöopathischen Ärzte Bayerns auf der Generalversammlung des Homöopathischen Zentralvereins Deutschlands den Antrag, »Schritte zu tun, um den homöopathischen Ärzten im Kriegsfalle ihre homöopathische Tätigkeit als freiwillige Militärärzte zu gewährleisten«.146 Dieser Vorschlag wurde allerdings mit der Begründung abgelehnt, dass es momentan unmöglich sei, in den Gang der Dinge einzugreifen, wobei die Hoffnung ausgesprochen wurde, es später nochmals zu versuchen, da im Kriegsfall die Militärbehörden eher zu Konzessionen bereit seien.147 Der homöopathischen Zeitschriftenliteratur zufolge blieben jedwede Zugeständnisse des Militärs in Bezug auf die Homöopathie während des Krieges weitestgehend aus. Dies betraf offenbar vor allem jene Ärzte, welche sich 141 Für eine Kurzbiographie vgl. Schroers (2006), S. 88f. 142 Lorbacher (1870), S. 139. 143 Für eine Kurzbiographie vgl. Schroers (2006), S. 10. 144 Vgl. Baumann (1872). 145 Schwabe (1872), S. 22. 146 Protokoll der Geschäftssitzung der 81. Generalversammlung des Homöopathischen Centralvereins Deutschlands (1913), S. 231. 147 Protokoll der Geschäftssitzung der 81. Generalversammlung des Homöopathischen Centralvereins Deutschlands (1913), S. 231. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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freiwillig zum Militär meldeten und nicht bereit waren, ihre homöopathischen Ambitionen zumindest offiziell ruhen zu lassen. So berichtete im ersten Kriegsjahr Dr. Kluge aus Meiningen, dass er, obwohl er in früheren Zeiten in einem Garnisonslazarett auf der chirurgischen Abteilung Patienten behandelt hatte, aufgrund seiner homöopathischen Profession als freiwilliger Arzt abgelehnt wurde.148 Besonders schwierig gestaltete sich die Situation für die direkt im Kriegsgebiet tätigen Ärzte, waren sie doch eher mit dem militärischen Gebot von Befehl und Gehorsam konfrontiert als ihre Kollegen, die in vielen Fällen freiwillig die Versorgung von verwundeten und erkrankten Soldaten in den Heimatlazaretten übernahmen. Der Homöopath Paul Junghans schilderte seine Situation als Sanitätsoffizier, als er im Kriegsgebiet eine Ruhrepidemie miterlebte: Zwei Seelen wohnten damals – auch leider notgedrungen in meiner Brust, eine homöopathische und auch eine allopathische. Mußte ich doch als Hahnemannscher Anhänger unser Militär auf Dienstbefehl nach der »Schuldisziplin« behandeln, während ich bezüglich der ärztlichen Versorgung der Zivilbevölkerung keine direkten Vorschriften erhalten hatte. […] Die medikamentöse Behandlung war mein ständiges Schmerzenskind. Bald mußte ich den allopathischen Sanitätsoffizier spielen, bald durfte ich homöopathischer Arzt sein. […] Alle möglichen so genannten astringierenden Mittel habe ich ausprobiert, vom Tannin bis Bolus alba […]. Wenn ich einem Vertrauteren mal eins unserer Medikamente gab, so lohnte mich Dank für den dienstlichen Verstoß. Aber es allgemein so zu machen, fand ich nicht den Mut. Dafür war es Militärdienst.149

Die in den Quellen selten zu findende Offenheit und Ausführlichkeit, mit der Junghans seine Erlebnisse schilderte, ist wohl nur möglich gewesen, weil dieser Artikel nach Kriegsende und Aufhebung der Militärzensur erschien. Wenn seine Ausführungen auch die häufig anzutreffende Propaganda in Bezug auf die Überlegenheit der Homöopathie gegenüber der Schulmedizin enthalten, so ist doch anzunehmen, dass die Darstellung der Fakten exemplarisch für das Schicksal zahlreicher im Militärdienst befindlicher Homöopathen stehen kann. Freiräume Junghans’ Ausführungen kann man darüber hinaus entnehmen, dass die Einschränkungen bezüglich der Behandlungsmethode nur für das Militär galten. Dieser homöopathische Arzt berichtete in einem weiteren Beitrag, ebenfalls aus dem Jahr 1919, dass er um die Wende des dritten Kriegsjahres in Rumänien im Austausch gegen Lebensmittel zahlreiche Bewohner eines Dorfes homöopathisch behandelt hatte.150 In diesem Bericht verzichtete Junghans vollständig auf Kritik gegenüber der Schulmedizin und dem Mili148 Vgl. Kluge (1914), S. 303. 149 Junghans: Ruhrepidemie (1919), S. 142. 150 Vgl. Junghans: Kriegserinnerungen (1919). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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tär. Die Tatsache, dass das Militär offenbar keine Regelungen hinsichtlich des therapeutischen Verhaltens gegenüber der Zivilbevölkerung besetzter Gebiete getroffen hatte, wirft auch die Frage auf, ob und inwieweit die Behandlung von Kriegsgefangenen geregelt war. Einer Chronik über die Stadt Burghausen kann entnommen werden, dass ein Chirurg namens Michael Heß (1808-1885)151 während des DeutschFranzösischen Krieges 26 kriegsgefangene Franzosen, die an Typhus erkrankt waren, mit Erfolg homöopathisch behandelte152. Nähere Informationen lieferte der Autor der Chronik, Max Heidinger (1824-1902)153, der ein Zeitgenosse von Heß war, allerdings nicht. Dem Schweigen der Burghauser Presse nach zu urteilen, hatte auch die Öffentlichkeit keine Notiz von diesem Vorgang genommen. Repressionen seitens des Militärs blieben ebenfalls aus. Im Jahre 1874 wurde Heß sogar für seine Tätigkeit in der Krankenpflege während des Krieges vom Deutschen Kaiser mit der Kriegsgedenkmünze für Nichtkombattanten nebst Band ausgezeichnet.154 Ob dabei allerdings die homöopathische Behandlung der Kriegsgefangenen ausschlaggebend war, bleibt fraglich. Eine weitere homöopathische Behandlung Kriegsgefangener während des Deutsch-Französischen Krieges schildert Ernst Groos (1846-1921).155 Im Zeitraum zwischen dem 11. November 1870 und dem 22. Mai 1871 behandelte Groos insgesamt 600 Pockenkranke im Militärlazarett zu Wesel mit Variolin und Aconit.156 Dass es sich bei den Erkrankten um Franzosen handelte, wird zwar nicht explizit erwähnt, da jedoch die deutschen Soldaten größtenteils zwangsgeimpft waren und die Pocken besonders in der nicht geimpften französischen Armee auftraten, kann davon ausgegangen werden, dass der Großteil der Patienten aus Kriegsgefangenen bestand.157 Aufgrund der großen Anzahl der Behandlungsfälle und des langen Behandlungszeitraums ist es sehr wahrscheinlich, dass Groos den Einsatz homöopathischer Mittel vor seinen Kollegen und Vorgesetzten nicht verbergen konnte. Auch bei dieser Quelle bleibt offen, ob die homöopathische Behandlung von Soldaten und Kriegsgefangenen unterschiedlich geregelt war. 151 Vgl. Schmid (1999), S. 75. 152 Vgl. Stadtarchiv Burghausen, Bestand H 3860: Heidinger, Max: Materialien zur Fortsetzung der Burghauser Chronik. Vom Jahre 1861 bis 1890, S. 105. Siehe auch: Schmid (1999), S. 52f. 153 Zu Max Heidinger vgl. Heimatverein Burghausen (1992), S. 156-159. 154 Vgl. Aus Nah und Fern (1874). 155 Für eine Kurzbiographie vgl. Schroers (2006), S. 45. 156 Vgl. Bericht über die am 27. Juli 1871 zu Dortmund abgehaltene Versammlung des Vereins der homöopathischen Aerzte Rheinlands und Westphalens (1871), S. 144. 157 Für die Ausbreitung der Pocken in der französischen Armee vgl. Walser (1967), S. 109. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Den einzigen Anhaltspunkt bieten die Schilderungen des bereits erwähnten Ernst Bastanier, der Soldaten unterschiedlicher Nationalitäten in einem Kriegsgefangenenlager behandelte. Obwohl er bei den deutschen Armeeangehörigen homöopathische Mittel anwandte, gab er ihnen zusätzlich auf Anweisung des verantwortlichen Stabsarztes intravenöse Kochsalzlösungen. In seinen Schilderungen über die Behandlung der russischen Kriegsgefangenen jedoch fand eine solche von seinem Vorgesetzten bestimmte Therapie keine Berücksichtigung.158 Möglicherweise hielt Bastanier die diesbezüglichen Anordnungen für nicht erwähnenswert oder aber, was wahrscheinlicher ist, er hatte bei der Therapie der Kriegsgefangenen keine besonderen Vorgaben erhalten. Die Frage allerdings, inwieweit diese Tatsache in den Dienstvorschriften festgelegt war oder ob es von der Entscheidungsgewalt des jeweiligen Vorgesetzten abhing, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden, da eine entsprechende Dienstanweisung bisher nicht nachweisbar ist. Die Medikamentenversorgung In Anbetracht der fehlenden Legitimation der Homöopathie beim Militär stellt sich die Frage, wie sich homöopathische Ärzte, die trotz der ihnen entgegenstehenden Widrigkeiten ihre Heilmethode anwandten, mit Arzneimitteln versorgten. In den homöopathischen Heimatlazaretten bestand dieses Problem zwar nicht, da man die Heilmittel bei den zahlreichen homöopathischen Apotheken bestellen konnte, die Ärzte an der Front allerdings genossen dieses Privileg nicht, da sie ihre besonderen Arzneien schwerlich aus den Sanitätsdepots beziehen konnten. Die einfachste Möglichkeit bestand für sie darin, sich selbst mit den benötigten Mitteln auszurüsten. So griff Paul Junghans während der Behandlung eines Patienten in seine Reiseapotheke und entnahm ihr die gewünschten homöopathischen Arzneien.159 Dabei konnte der Vorrat nach Belieben durch Bezugsquellen in der Heimat wieder aufgefrischt werden. Wenn nun allerdings diese Bestellungen auf sich warten ließen oder die Homöopathen Medikamente in größeren Quantitäten benötigten, erwies sich diese Methode als nicht praktikabel. Den Quellen kann man entnehmen, dass die Homöopathen durchaus zu improvisieren in der Lage waren. Martin Schlegel berichtete beispielsweise von der Westfront, dass er seinen hohen Verbrauch von Arnika hauptsächlich durch die in den französischen »Pharmacies«, Hausapotheken und Verbandskästen erbeuteten Vorräte kompensieren konnte.160 Ansonsten wurden die benötigten Mittel auch aus den in den militärischen Beständen vorhandenen Arzneien selbst hergestellt. Wie dies im Einzelnen vonstatten

158 Vgl. Bastanier (1916), S. 4-6. 159 Vgl. Junghans: Kriegserinnerungen (1919). 160 Vgl. Schlegel (1914), S. 330. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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ging, berichtete der homöopathische Arzt Buschmann, der, nachdem er bei einem Soldaten »Durchfall« diagnostiziert hatte, folgendermaßen vorging: Durchfall nach dem Essen. Also: China! Aber woher nehmen? Da war leicht Rat zu schaffen. China-Tinktur gehört zu den »vorgeschriebenen Arzneien«: also einige Tropfen davon etwa 500mal verdünnt mit Spiritus, und – am anderen Morgen war schon die Besserung da.161

Mit ihrem Verhalten, die Arzneien privat zu beschaffen, zu requirieren oder selbst zu dispensieren, unterschieden sich homöopathische Ärzte nicht grundsätzlich von ihren schulmedizinischen Kollegen, denn auch diese waren darauf angewiesen, mit jenen Mitteln auszukommen, die ihnen im Krieg zur Verfügung standen.162 Besondere Erwähnung bei der Erörterung der Medikamentenversorgung verdient abschließend noch die Bedeutung der homöopathischen Kriegstaschenapotheke für die nichtakademischen Anhänger der Homöopathie. Eine genaue Schilderung und Analyse des Themas der homöopathischen Laien in Bezug auf ihre Heilmethode im Kontext des Krieges würde jedoch eine separate Untersuchung erfordern. Folgende Ausführungen hinsichtlich ihrer Versorgung mit Medikamenten sollen hier genügen: Unter den Soldaten des Deutsch-Französischen Krieges und des Ersten Weltkrieges befanden sich auch zahlreiche Laien, welche der Schulmedizin kritisch gegenüberstanden und demzufolge versuchten, sich deren Therapieangeboten zu entziehen: Sie zogen es vor, sich nach den eigenen Grundsätzen medizinisch zu versorgen.163 Für diese Klientel stellten die homöopathischen Apotheken Kriegstaschenapotheken zusammen, die die wichtigsten Mittel für den Einsatz enthielten. Im Deutsch-Französischen Krieg spielten sie offenbar kaum eine Rolle, da die Feldpost keine privaten Päckchen beförderte.164 In welchem Umfang sich die der Homöopathie zugeneigten Soldaten selbst in der Heimat ausstatteten, ist unklar. Im Gegensatz dazu schien der Handel mit den Kriegsapotheken während des Ersten Weltkriegs zu florieren. Die Angebote waren vielseitig, und die Zusammenstellung konnte je nach Hersteller variieren.165 Vor allem die »Homöopathische Centralapotheke« von Willmar Schwabe in Leipzig und die Hahnemannia warben massiv für ihre Kriegsapotheken.166 Über die genauen Absatzzahlen ist jedoch wenig bekannt. Den Angaben der Hahnemannia zufolge wurden bis Mitte 1915 etwa 12.000 Stück

161 Buschmann (1915), S. 131. 162 Vgl. Müller (1993), S. 107. 163 Vgl. Anm. 42. 164 Vgl. Lorbacher (1870), S. 139. 165 Vgl. Kriegsapotheken (1915), S. 5. 166 Vgl. beispielsweise Werbeanzeige der Homöopathischen Centralapotheke Dr. Willmar Schwabe, Leipzig (1914); Werbeanzeige der Hahnemannia (1915). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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ihrer Kriegsapotheken meist für den Versand an die Front verkauft.167 Die in ihr enthaltenen homöopathischen Arzneien sollten allerdings eher den alltäglichen, kleineren Leiden des Soldaten Abhilfe schaffen statt den Gang zum Arzt verhindern. So enthielt die Kriegsapotheke der Hahnemannia beispielsweise Mittel gegen Insektenstiche, Erkältungen, Husten, Rheumatismus, Zahnweh, Magenbeschwerden und Durchfall.168 Den Bemühungen um die Verbreitung der Kriegstaschenapotheken lagen keine finanziellen Interessen zugrunde, denn viele Bezugsquellen gaben sie verbilligt oder zum Selbstkostenpreis an die Soldaten im Feld ab. Auch das Interesse an dem gesundheitlichen Wohlergehen ihrer Anhänger beim Militär spielte offenbar eine untergeordnete Rolle. Vielmehr verbanden die Homöopathen auch mit der Verbreitung der homöopathischen Kriegsapotheke den Wunsch, ihrer Heilmethode in der Öffentlichkeit und in den akademischen Kreisen Geltung zu verschaffen. Während des Ersten Weltkriegs schien sich diese Hoffnung durch die Verbreitung der Kriegstaschenapotheke, folgt man den Worten des Vorsitzenden der Hahnemannia auf deren Hauptversammlung im Jahre 1915, zunächst noch zu erfüllen: Hunderte und Tausende draussen im Felde haben, auch wenn sie die Homöopathie nicht gekannt haben, einen Begriff von dem Wert und der Wirksamkeit der kleinen verachteten Kügelchen bekommen, und dieser Begriff vom Wert der Homöopathie ist nicht bloss beschränkt geblieben auf die Mannschaften und Unteroffiziere unseres Heeres, sondern er ist höchst wahrscheinlich auch zu manchem Offizier und wahrscheinlich auch manchem Sanitätsoffizier gedrungen […].169

Schlussbetrachtung Wie anfangs angekündigt, bleibt das von den Quellen vermittelte Bild über die Homöopathie während des Deutsch-Französischen Kriegs und des Ersten Weltkriegs unscharf und verzerrt. Für viele Aspekte fehlen die Quellen, auch um die Informationen des homöopathischen Milieus kritisch zu hin167 Hinsichtlich der Absatzzahlen sind die Quellenangaben widersprüchlich. Laut der Vereinsnachrichten der Hahnemannia wurden bis Januar 1916 1200 Kriegstaschenapotheken verkauft, vgl. Vereinsnachrichten (1916). Das Protokoll der Hauptversammlung der Hahnemannia vom Juli 1915 hingegen nennt eine Absatzzahl von insgesamt 12.000 Stück, vgl. IGM, Bestand V 8: Protokoll der 46. Hauptversammlung der Hahnemannia am 4. Juli 1915, S. 12a. Die Frage, ob die unterschiedlichen Angaben auf den Protokollführer, den Autor des Artikels oder den Schriftsetzer zurückzuführen sind, kann nicht abschließend beantwortet werden. Unter der Annahme jedoch, dass sich die etwa 10.000 Mitglieder der Hahnemannia nicht nur im Falle ihrer Kriegsorder selbst mit einer Kriegstaschenapotheke ausrüsteten, sondern auch im Feld stehende Soldaten aus ihrem sozialen Umfeld damit versorgten, erscheint eine Zahl von 12.000 verkauften Kriegstaschenapotheken als durchaus plausibel. Für die Mitgliederzahl der Hahnemannia vgl. Die 44. Generalversammlung der Hahnemannia (1912), S. 107. 168 Vgl. Unsere homöopathische Kriegsapotheke (1914). 169 IGM, Bestand V 8: Protokoll der 46. Hauptversammlung der Hahnemannia am 4. Juli 1915, S. 7. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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terfragen und zu ergänzen. Das Fehlen der schulmedizinischen Perspektive ist dabei von besonderem Nachteil. In Anbetracht dieser Einschränkungen können Schlussfolgerungen lediglich vorläufigen Charakter haben. Für die Militärmedizin besaß die Homöopathie sowohl im DeutschFranzösischen Krieg als auch im Ersten Weltkrieg keinerlei Bedeutung. Für die Homöopathen allerdings spielten diese Kriege eine wichtige Rolle in ihren Bestrebungen um Anerkennung und Gleichberechtigung ihrer Heilmethode in Wissenschaft und Öffentlichkeit, für die sie sich in der Heimat und an der Front nach Kräften einsetzten. Die Handlungsspielräume und Rahmenbedingungen, die ihnen dabei zur Verfügung standen, waren jedoch von einem schulmedizinisch geprägten Militärapparat festgelegt, der etwaige Erfolge zu verhindern wusste. Ungeachtet dessen wurde während beider Kriege homöopathisch behandelt. Dies geschah nicht nur in leichten, sondern auch in schweren Fällen und offenbar – schenkt man den Quellen Glauben – durchaus mit Erfolg. Es gab innerhalb des Militärs weder ein gesetzliches Verbot der Homöopathie noch ein einheitliches Vorgehen der Schulmediziner. Ob und inwieweit ein Arzt homöopathisch behandeln konnte, hing in erster Linie vom Verhalten seiner Kollegen und Vorgesetzten und den zuständigen Behörden, aber auch von seinen Patienten und den besonderen Behandlungsbedingungen im Krieg ab. Die Homöopathen – Laien und Ärzte gleichermaßen – mussten sich am Ende damit abfinden, dass sich ihre Erwartungen in beiden Kriegen nicht erfüllt hatten. Sie waren nicht imstande gewesen, das Potential, das in ihren Augen sowohl der Deutsch-Französische Krieg als auch der Erste Weltkrieg boten, ihrer Heilmethode zunutze zu machen. Die Ursache nur in den Behinderungen durch die Schulmedizin zu suchen, welche mit Sicherheit ihren Beitrag dazu leistete, wird der historischen Realität indes nicht gerecht. Zwar teilten viele Homöopathen die Meinung, es wären die akademischen Kreise gewesen, die einen Durchbruch der Homöopathie verhindert hätten, aber gerade die nahe an der Front tätigen Ärzte vertraten die differenziertere Ansicht, dass bei den Massen an verwundeten und erkrankten Soldaten eine individualisierte Behandlung dem Verschreiben nach bekannten Indikationen weichen musste. In dieser Hinsicht hatte die Schulmedizin vor allem während des Ersten Weltkriegs offenbar die besseren Therapieformen anzubieten. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass, wenn auch die Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume zumindest ansatzweise skizziert werden konnten, wichtige Aspekte nur unzureichend oder überhaupt nicht mit einbezogen werden konnten. Weitere Quellenfunde und Forschungsarbeiten können mit Sicherheit dazu beitragen, das hier vermittelte Bild zu schärfen oder zu modifizieren.

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»[…] und war ein Stück Grümpel mehr im Lande«.1 Die gescheiterten Versuche einer homöopathischen Ausbildung für Missionare der Basler Mission Marion Baschin Summary “And thus there was another pointless thing in the country […]”. The failed homoeopathic training of missionaries at the Basle Mission This article deals with the unsuccessful attempts to allow missionaries of the Basle Mission to undergo homoeopathic training. Before the Mission undertook systematic medical missionary work in society in the 1880s, there were various requests and suggestions to train the missionaries in homoeopathy. Here, these attempts are put into a greater context of the research into “Homoeopathy and Mission”. It becomes clear that Hahnemann’s teachings were certainly used in the Mission, even if finding this out is sometimes arduous.

Einleitung In den letzten Versen des Evangeliums nach Matthäus gibt Jesus seinen Jüngern einen Auftrag: »Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.«2 Diesem sogenannten »Missionsbefehl« kommen die christlichen Kirchen und Missionsgesellschaften in der ganzen Welt bis heute nach.3 Der medizinische Aspekt dieser Tätigkeit wurde im 19. Jahrhundert zunehmend professionalisiert und im Rahmen des missionsärztlichen Dienstes organisiert.4 Dabei stand nicht nur das gesundheitliche Wohl der Ausgesandten im Mittelpunkt, sondern die Medizin war im Sinne der christlichen Nächstenliebe Hilfsdienst und Werkzeug der Verkündigung. Im Hinblick auf den Heilsauftrag Christi kann die medizinische Hilfe außerdem als integraler Bestandteil einer christlichen Heilung zum Zeichen des kommenden Reichs Gottes verstanden werden. Denn »Wortverkündigung und die Sorge um die leibliche Gesundheit« bilden eine Einheit in der Missionstätigkeit.5 Die erste 1

Sic! Zitat aus dem Brief des Missionars Locher vom 9. Juni 1865, ABM, Bestand D-1, 17-Abokobi-Nr. 11a. Das Zitat bezieht sich darauf, dass homöopathische Mittel zwar vorhanden waren, aber niemand wusste, wie damit umzugehen war. Daher waren sie in den Augen des Missionars wertlos. Näheres hierzu im dritten Teil des Aufsatzes (»Ende: ›Die Homöopathie statt der Allopathie […] einzuführen, gehe nicht an […]‹«).

2

Matthäus-Evangelium, Kapitel 28, Verse 19f. Bibel (1999).

3

Ein knapper Überblick zu den Missionswerken und -gesellschaften bei Gensichen (2000).

4

Zum Aufkommen der Begriffe »Missionsarzt« und »ärztliche Mission« Grundmann (1992), S. 76-95.

5

Eckart (2000), S. 73. Ausführlich zu Begründung und Rechtfertigung der missionsärzt-

MedGG 29 • 2010, S. 229-274 Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen © Franz Steiner Verlag Stuttgart

Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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europäische ärztliche Missionsgesellschaft wurde 1841 in Edinburgh gegründet.6 Doch schon vorher gab es Versuche, einzelne Missionare medizinisch für ihren Dienst zu rüsten.7 In diesem Zusammenhang kam auch der Homöopathie eine seither nicht weiter beachtete Rolle zu. Der Herrnhuter Apotheker Theodor Lappe (1802-1882) verschickte seine homöopathischen Medikamente weltweit, unter anderem auch an verschiedene Missionsstationen.8 Constantin Hering machte in Paramaribo/Surinam die Bekanntschaft des Herrnhuter Missionars Georg Heinrich Bute, der sein erster Schüler wurde.9 Der zunächst zum Lehrer ausgebildete Georg Heinrich Gottlob Jahr studierte später, unterstützt von der Herrnhuter Brüdergemeine, Medizin und wurde Homöopath.10 Der Laie Johann Steinestel erhielt in Basel eine Ausbildung zum Missionar und erfuhr dort auch eine Erweiterung seiner homöopathischen Kenntnisse.11 All diese Anhaltspunkte boten Grund zu der Annahme, dass ein Zusammenhang zwischen Mission und Homöopathie bestand. Doch entgegen der auch in der biolichen Tätigkeit Grundmann (1992), S. 287-311, und Grundmann (2002). Zur zeitgenössischen Rechtfertigung und entsprechenden Überlegungen bezüglich der Aufgaben einer ärztlichen Mission auch Feldmann (1904), S. 10-22. Derartige Ansichten lassen sich durch Stellen im Neuen Testament untermauern, in denen Christus von sich selbst als Arzt spricht, der gekommen sei, um zu heilen, und dies nicht nur auf das körperliche Gebrechen, sondern auch auf die Sünden der Menschen bezieht, beispielsweise im Markus-Evangelium, Kapitel 2, Vers 17. Bibel (1999). Auf die zahlreichen Berichte über Krankenheilungen in den Evangelien sei hier ohne genaue Angabe hingewiesen. 6

Eckart (2000), S. 74. Zu deren Tätigkeit ausführlicher Feldmann (1904), S. 26-33.

7

Grundlegende Übersicht zur Entwicklung der ärztlichen Mission im 19. Jahrhundert mit Nennung der Quellen und Literatur: Grundmann (1992) sowie Eckart (2000) und Eckart (2004). Zu der Entwicklung in einzelnen Missionsgesellschaften Bechler (1932); Davies (2007); Essen (1991); Feldmann (1904); Friedrich Fischer (1991); Grundmann (1989); Olpp (1914); Schulte (1998); Schulze (1932); Trapp (2004); Valiaparampil (1996); Verband der Vereine für Ärztliche Mission (1935); Verein für ärztlichen Dienst in Übersee (1997). Diese und die im Folgenden genannten Werke charakterisieren den gegenwärtigen deutschsprachigen Forschungsstand. International beispielsweise Hardiman (2006) und Hardiman (2008).

8

Philipp (2003) und Philipp (2005) sowie zur Person Lappes die knappen Angaben in Schroers (2006), S. 83, und Michalak (1991), S. 152f. Über dessen Apotheke gibt Griesselich (1832), S. 26f., Auskunft.

9

Schüppel (1996). Zu Bute (auch Büte) nennt das UHB, Bestand Dienerblätter, folgende Details: 1792 geboren, vermutlich in Brommershob, ging nach Philadelphia, um der Anwerbung der französischen Armee zu entgehen, Lehrer in Nazareth-Hall, ab Juni 1828 in Paramaribo/Surinam, betätigte sich seit 1832 als homöopathischer Arzt erfolgreich in Philadelphia; 1838 zog er nach Nazareth, dort starb er 1876. Zu Bute und Hering die Angaben in Schroers (2006), S. 22 und S. 61f.

10 Sommer (2007) sowie Schroers (2006), S. 68f. 11 Häcker-Strobusch (1996) und Häcker-Strobusch (1994). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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graphischen Skizze über Johann Steinestel geäußerten Vermutung12 gab es offenbar nie eine systematische homöopathische Ausbildung deutscher Missionare in Basel13. Das bedeutet jedoch nicht, dass keinerlei Versuche in diese Richtung unternommen worden wären oder die Homöopathie von Seiten der Missionsgesellschaften und Missionare gänzlich ignoriert worden wäre. Das beste Beispiel hierfür bietet die Basler Mission. Die Basler Mission wurde als Ausdruck der Missionsbestrebungen württembergischer und Schweizer Pietisten 1815 gegründet.14 Den Anstoß hierfür hatte das Vorbild englischer Missionsgesellschaften gegeben. Die Idee, den Einzelnen »aus dem Zustand der religiösen Trägheit und des Sündenschlafs zum geheiligten geistlichen Leben« zu bewegen, führte zu neuartigen Formen religiöser Verkündigung und intensiven Bemühungen um die Verbreitung der christlichen Lehre.15 Dabei erhielt die praktische und aktive Tätigkeit als Ausdruck des Glaubens einen neuen Stellenwert.16 Gerade die Kritik der Christen an dem herrschenden Sklavenhandel führte zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu einer erneuten Belebung des Missionsgedankens. Dabei schien den Gläubigen die »Mission, das heißt das Evangelium der Liebe und des Friedens zu den Völkern zu bringen, deren Leben durch die Habgier der eigenen Landsleute zerstört worden war, als ein angemessener Versuch der Wiedergutmachung«.17 Zunächst waren die in Basel ausgebildeten Zöglinge im Dienst anderer Gesellschaften unterwegs, bevor die Mission im Kaukasus ab 1821 ein erstes eigenes Unternehmen verwirklichte.18 Nach einem gescheiterten Versuch, die Arbeit nach Liberia auszudehnen, wurden ab 1828 erste Missionare an die Goldküste, das heutige Ghana, entsandt. Dort arbeitete man zu Beginn mit einer dänischen Gesellschaft zusammen.19 Diese Pioniere hatten noch in Kopenhagen eine medizinische 12 Diese Vermutung äußert Häcker-Strobusch (1996). 13 Zu diesem Ergebnis kam eine Vorstudie mit dem Thema »Homöopathie und Mission«, die zwischen November 2009 und Januar 2010 am Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung Stuttgart durchgeführt wurde. Aus ihr entstand der Aufsatz. Auf weitere Resultate und Forschungsmöglichkeiten wird im Folgenden verwiesen. 14 Ausführlich zur Geschichte der Basler Mission Eppler (1900); Schlatter: Heimatgeschichte (1916); Schlatter: Indien und China (1916); Schlatter: Afrika (1916); Steiner (1915); zu den Hintergründen Bieder (1991), S. 18-26, und Schweizer (2002), S. 19-24. 15 Dies wird auch als »Erweckungsbewegung« bezeichnet. Hierzu Benrath (2000), das Zitat dort auf S. 205. 16 Ausführlicher zu der Verbindung von Pietismus und Missionsbewegung auch Schweizer (2002), S. 13-19. 17 Jenkins (1989), S. 4. Hervorhebung im Original. Hierzu mit Nennung weiterer Literatur Friedrich Fischer (1991), S. 106. Einen kurzen Überblick zu der Entwicklung der Mission in der Neuzeit bietet Walls (2000), S. 48-50. 18 Eingehende Beschreibung dieses Missionsfeldes bei Groß (1998). 19 Zu dieser Zusammenarbeit Schweizer (2002), S. 27f., sowie zur Beschreibung der TäUrheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Grundlagenausbildung erhalten und waren mit einer kleinen Apotheke und chirurgischen Instrumenten ausgestattet.20 Den gesundheitlichen Gefahren, in erster Linie Fieber- und Durchfallerkrankungen, standen die Ausgesandten, ebenso wie ein dortiger dänischer Arzt, aber nahezu machtlos gegenüber.21 Das eigentliche Anliegen der Missionare war, in den Gebieten eine christliche Dorfkultur aufzubauen, die Landwirtschaft und das Handwerk zu fördern und, wenn möglich, das kirchliche Leben und Schulen in den »Eingeborenensprachen« zu führen, um so die christliche Botschaft sprachlich und praktisch zu verkündigen.22 Weitere Missionsgebiete der Basler Gesellschaft waren ab 1834 Indien, später China und seit 1886 Kamerun.23 Ein erster Arzt traf 1832 in Afrika ein, starb aber bereits nach kurzer Zeit. Eine ausgeprägte ärztliche Mission betrieb die Organisation ab Mitte der 1880er Jahre, womit sie allerdings eine der ersten deutschsprachigen Gesellschaften mit einer kontinuierlichen derartigen Arbeit war. Die Missionare erhielten aber vor ihrer Aussendung eine medizinische Grundlagenausbildung durch den Arzt Carl Streckeisen, der auch als »Hausarzt« der Gesellschaft tätig war.24 Bis heute kommt die Basler Mission ihrem Auftrag nach, wobei nach dem Zweiten Weltkrieg keine eigene Ausbildung mehr erfolgt. Vielmehr liegen die Schwerpunkte ihrer Arbeit im Bereich der Ökumene, der Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern besonders bei der Bekämp-

tigkeit der Basler Mission an der Goldküste Steiner (1909) und Schweizer (2002). 20 Friedrich Fischer (1991), S. 18; Schlatter: Afrika (1916), S. 23: Die Brüder sollten »einfachste medizinische Kenntnisse und chirurgische Operationen sich aneignen (Aderlassen, Wundbehandlung, Einrichten eines gebrochenen Beins)«. Die Ausstattung sollte möglichst einfach sein. 21 Friedrich Fischer (1991), S. 19-26, beschreibt ausführlich anhand mehrerer Briefe den Leidensweg der Missionare. Die Behandlung erfolgte aber durchweg schulmedizinisch mit Brech- und Abführmitteln. Von den vier ausgesandten Missionaren der Basler Mission starben drei innerhalb von neun Monaten nach ihrer Ankunft im Dezember 1828, und der dänische Arzt selbst erlag 1830 einer Fiebererkrankung. Der letzte der vier Missionare verstarb 1831. Ansonsten wurden die Missionare auch durch »Negerärzte« mit einheimischen Mitteln versorgt. Schlatter: Afrika (1916), S. 24. 22 Jenkins (1989), S. 6, und Steiner (1915), S. 1, sprechen von der Ausbildung junger Männer zu »Lehrern und Verkündigern des Evangeliums« in der Missionsanstalt. Daher spielte das Erlernen, Erforschen und die Dokumentation der fremden Sprache eine bedeutende Rolle. 23 Ausführlich Schlatter: Indien und China (1916) und Schlatter: Afrika (1916); knapp Jenkins (1989) sowie zu der speziellen Problematik der Basler Mission in Kamerun, wo deren Bestrebungen in Konflikt mit der deutschen Kolonialpolitik gerieten: Gründer/Jenkins/Njikam (1986). 24 Zum Aufbau der ärztlichen Mission in der Basler Gesellschaft Eppler (1900), S. 365374; Feldmann (1904), S. 158-164; Friedrich Fischer (1991); Schlatter: Heimatgeschichte (1916), S. 372-381; Trapp (2004); Valiaparampil (1996). Zu dem ersten ausgesandten Arzt Christian Friedrich Heinze die Ausführungen im folgenden Teil des Aufsatzes. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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fung der Armut, der Friedensarbeit, der Gesundheits- und Frauenförderung sowie der Öffentlichkeitsarbeit für den Missionsdienst im Allgemeinen.25 Das Archiv der Basler Mission bietet die relevanten Quellen, um die Entwicklung des missionsärztlichen Dienstes in der Gesellschaft und die Rolle, die die Homöopathie dabei spielte, nachzuzeichnen.26 Aber es ist nicht leicht, innerhalb der umfangreichen und vielfältigen Dokumente die für die Fragestellung wichtigen Informationen zu finden.27 Dies liegt unter anderem daran, dass eine medizinische Ausbildung oder Tätigkeit im Bereich der eigentlichen Aufgaben der Missionare eine untergeordnete Rolle spielte.28 Derartige Fragen wurden in der zentralistisch organisierten Gesellschaft in den Sitzungen des Komitees in Basel besprochen. Diesem oblag die Leitung, und es berief zur Führung des Unternehmens einen Inspektor. Die Protokolle dieser Sitzungen sind durch ein Register am Ende jedes Bandes erschlossen. Das Schlagwort »(missions-)ärztliche Arbeit« spielt jedoch erst ab der Aussendung des Arztes Rudolf Fisch im Jahr 1885 eine größere Rolle, und nach dem Stichwort »Homöopathie« Aussicht zu halten, wird nur in wenigen Bänden belohnt.29 Die zahlreichen Briefe und Berichte von den verschiedenen Stationen und von ausgesandten Missionaren oder deren Tagebücher und private Briefe einzeln durchzusehen, um einen Hinweis auf eine medizinische oder homöopathische Anwendung zu finden, ist ebenfalls ein kaum zu bewältigendes Vorhaben mit ungewissem Erfolg.30 In erster 25 Seit 2001 ist die Basler Mission gemeinsam mit drei weiteren Missionsgesellschaften Träger der Mission 21 Evangelisches Missionswerk Basel. Zum Tätigkeitsfeld siehe den Internetauftritt unter http://www.mission-21.org/deutsch/index.php (letzter Zugriff: 3.2.2011). Für das Selbstverständnis siehe das Kurzportrait der Organisation unter http://www.mission-21.org/deutsch/files/Kurzportrait-deu-2008.pdf (letzter Zugriff: 3.2.2011) und Schweizer (2002), S. 32f. 26 Die einschlägigen Quellen wurden in den Arbeiten von Friedrich Fischer (1991) und Grundmann (1989) herangezogen und sind darin genannt. Diese beiden Werke waren, zusammen mit dem Aufsatz von Häcker-Strobusch (1996), Ausgangspunkt dieses Aufsatzes. 27 Friedrich Fischer (1991), S. 530, beschreibt die zur Verfügung stehenden Dokumente knapp. 28 Zur Entwicklung des missionsärztlichen Gedankens Grundmann (1992). Er erwähnt auf S. 298, dass auch bei den ausgesandten Missionaren die Sorge um die eigene Gesundheit »nur von untergeordneter Bedeutung« war, da die Missionstätigkeit »als eines der verheißungsvollsten Werke galt, die ›Palme des Martyriums‹ zu erringen«. Dennoch wurden Ratgeber genutzt, letztendlich aber darauf verwiesen, dass allein Gott der rechte Arzt sei und die Missionare auf ihn und seinen Segen vertrauen sollten. 29 Da Johann Steinestel als Missionar und Homöopath bekannt war, konnte nach dessen Namen in den Registern gesucht werden. Er wird in ABM, Bestand Protokollbücher, Bde. 12 (1830-1834) und 13 (1835-1836), erwähnt. Das Stichwort »Homöopathie« fand sich in den Registern von Bd. 12 (1830-1834), 18 (1845-1846 I) und 36 (1865). Zu Fisch und seiner Tätigkeit sowie allgemein zur ärztlichen Mission bei der Basler Mission Friedrich Fischer (1991), Valiaparampil (1996) und Trapp (2004). 30 Man bleibt bei diesen Quellen auf Zufallsfunde angewiesen, die sich aber durchaus Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Linie geben diese Schreiben Aufschluss über das Leben und die Tätigkeit der Missionare, ihre Bemühungen beim Aufbau der christlichen Gemeinden, der Schulen und der Landwirtschaft. Zudem wurden Statistiken über die vorgenommenen Taufen geführt, schließlich war die Verbreitung des Evangeliums die Hauptaufgabe der Ausgesandten. Zwar wurden gelegentlich gesundheitliche Probleme angesprochen, doch muss man derartige Stellen ohne vorherige Anhaltspunkte finden.31 Oft genug wird lediglich erwähnt, dass ein Krankheitsfall aufgetreten sei. Entweder halfen dann die verwendeten Mittel, ohne dass diese genannt wurden, und der Kranke genas durch die Gnade Gottes, oder er wurde, im Falle einer nicht erfolgreichen Behandlung, von seinem irdischen Dasein erlöst.32 Hinzu kommt, dass in den meisten Fällen, in denen Gesundheit und Krankheit bzw. medizinische Maßnahmen überhaupt thematisiert wurden, doch auf die üblichen Mittel der Schulmedizin zurückgegriffen wurde.33 Letztendlich war, zumindest hat ergeben, beispielsweise im Tagebuch des Basler Missionars Sessing, ABM, Bestand FA-10.1,4, oder im Fall der Herrnhuter Mission in den Dokumenten der Missionarsehefrau Dobler, publiziert in Thiemer-Sachse (1971), S. 29f., oder in einem Reisebericht in UHB, Bestand R.15.M.a.13.a.10, Reise Diarium nach Afrika von Kunicke, S. 5. Die Briefe und Tagebücher sind im Fall der Basler Mission meist in den Personenfaszikeln (BV) enthalten. Die Missionare wurden bei ihrem Eintritt in die Gemeinschaft in das Brüderverzeichnis eingetragen und erhielten eine Nummer. Nach dieser Nummer wurden dann die Personenfaszikel mit der Signatur BV für Brüderverzeichnis geführt. 31 In den ersten Briefen der Missionare und dem Tagebuch eines der Beteiligten, die man nach Afrika aussandte, wurde ausführlich auf den Gesundheitszustand und die Probleme sowie zum Teil Behandlungen eingegangen. Hierzu Friedrich Fischer (1991), S. 16-26, 44-47. Auch in den Berichten, die die Brüder sich untereinander im Correspondenz-Blatt der Basler Missionare in Indien zukommen ließen, wurden Krankheiten und Todesfälle erwähnt. Dennoch ist die Ausführlichkeit, in der die Brüder aus Afrika besonders auch über die Therapie berichteten, eher die Ausnahme. Dieses Problem bietet sich prinzipiell bei der Arbeit mit Egodokumenten. Um zu entsprechenden Ergebnissen zu gelangen, bedarf man einer Vielzahl von Dokumenten, die gesichtet werden müssen, und nicht immer geben alle in Betracht gezogenen Briefe oder anderweitigen biographischen Zeugnisse gleichermaßen Auskunft zu dem interessierenden Gebiet. Hierzu: Lachmund/Stollberg (1995), S. 16f., Schweig (2009) oder Hoffmann (2010). 32 Der Verweis auf das letztendliche Vertrauen auf die heilende Kraft Gottes wurde auch bei der Basler Mission verwendet. Friedrich Fischer (1991), S. 113, sowie die Originale in ABM, Bestand D-2, 5, S. 70-72, oder Bestand D-1, 17-Abokobi-Nr. 11a vom 9. Juni 1865. Besonders eindrücklich ist dies auch der Fall bei den durchgesehenen entsprechenden Dokumenten aus dem UHB, beispielsweise die Diarien von Paramaribo, Bestände R.15.L.b.8.e und R.15.L.b.8.f, oder der Briefwechsel Süd-Afrika West u. Ost 1855-62, Bestand R.15.M.b.37 e. Allgemein zur Krankheitswahrnehmung in pietistischen Kreisen: Ernst (2004) und Ernst (2003) sowie Helm (2006), besonders S. 14-28. 33 Hierzu ebenfalls die Briefe der an die Goldküste ausgesandten Missionare, die in Friedrich Fischer (1991) zitiert werden. Von Ärzten, die später ausgesandt wurden, war in den meisten Fällen eine schulmedizinische Ausbildung bekannt. Dies gilt im Fall der Basler Mission unter anderem für den sehr früh ausgesandten Missionar Hofacker (ABM, Bestand BV 19 a) – so man diesen als Arzt sehen kann, hierzu Friedrich Fischer (1991), S. 27, Anm. 1 – sowie für die Ärzte Nüssli (Bestand BV 580), Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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dies den Anschein, auch bei entsprechenden Tätigkeiten unter Missionaren und in Missionsgesellschaften die Homöopathie eine »Außenseitermethode«. Dennoch ergeben die fassbaren Hinweise auf eine Anwendung der Homöopathie in der Basler Missionsgesellschaft ein Gesamtbild, das im Folgenden dargestellt wird. Wie bereits im Titel des Aufsatzes deutlich wird, gelang es nie, eine entsprechende systematische Ausbildung zu etablieren. Die dahingehenden Versuche werden in den nächsten beiden Teilen beschrieben. Den Endpunkt in der offiziellen Diskussion um die Homöopathie in der Organisation bildet die Antwort des Komitees auf einen Brief des Missionars Locher.34 Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst und Perspektiven der künftigen Forschungsmöglichkeiten im Bereich »Homöopathie und Mission« aufgezeigt. Der erste Versuch: Der Kreis um den Homöopathen Siegrist Im Jahr 1810 hatte Samuel Hahnemann sein »Organon der rationellen Heilkunde« veröffentlicht und damit die Grundlage für die von ihm begründete Homöopathie gelegt.35 Von Deutschland aus verbreitete sich die neue Heilweise zunächst vor allem in Frankreich und den USA.36 Gegen Ende der 1820er Jahre hatte Hahnemanns Lehre auch die Schweiz erreicht, und die homöopathisch praktizierenden Ärzte lassen sich um 1827/28 in den Kantonen Basel, St. Gallen, Zürich, Bern, Glarus und Genf nachweisen. Franz Josef Siegrist war einer, wenn nicht sogar der erste, von ihnen.37 Im Mähly (zu Mähly gibt es kein Personenfaszikel unter der Signatur BV, seine Schriften in Bestand D.Sch-2,27-29) und Fisch (Bestand BV 985). Zu den beiden Letztgenannten auch Friedrich Fischer (1991). 34 Zumindest wurde in der Vorstudie davon ausgegangen, dass dieses Antwortschreiben für den Standpunkt des Komitees zur Homöopathie das »letzte« Wort war. Ob die Diskussion später erneut aufflammte, wurde nicht näher untersucht. In den weiteren Protokollbüchern bis 1914 konnte jedoch kein entsprechender Hinweis gefunden werden, und da die ärztliche Tätigkeit von Schulmedizinern ausgeübt wurde, ist eine positive Haltung zur Homöopathie von dieser Seite eher nicht zu erwarten. Hierzu vor allem Friedrich Fischer (1991). Der Arzt, der ab 1845 medizinische Kurse durchführte und seit 1846 »Hausarzt« der Gesellschaft war, gehörte ebenfalls zu den Schulmedizinern. Zu Streckeisen siehe ABM, Bestand LV 122. Er gründete später das Kinderspital in Basel. Zu seiner Tätigkeit Schlatter: Heimatgeschichte (1916), S. 375; Friedrich Fischer (1991), S. 110f. 35 Zu Leben und Werk Samuel Hahnemanns die neueste Biographie: Jütte (2007). Das »Organon« erfuhr fünf weitere Auflagen. Heute im Gebrauch ist die 6. Auflage, die erstmals 1921 erschien. Hahnemann (1999). 36 Zur Geschichte der Homöopathie in einzelnen Ländern und ihrer Ausbreitung Dinges (1996). 37 Zur Geschichte der Homöopathie in der Schweiz Erlach (2009). Die folgenden Angaben finden sich auf S. 4-8. Der Arzt war 1795 geboren worden. Das Buch von Erlach löst alle vorangegangenen, oft fehlerhaften Darstellungen zur Geschichte der HomöoUrheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Jahr 1829 hatte er die »Vereinigung Leipziger Homöopathen« mit gegründet und war im selben Jahr zur Feier des 50. Doktorjubiläums Hahnemanns nach Köthen gereist. Bis 1832 war er einer von nur vier Ärzten, die in der Allgemeinen Homöopathischen Zeitung als praktizierende Homöopathen in der Schweiz genannt wurden. Über das Leben Siegrists und dessen Praxis ist kaum etwas bekannt. Seit 1819 war er in Basel als Arzt tätig und geriet dort mit dem Sanitätskollegium in Konflikt, weil er die homöopathischen Mittel selbst dispensierte, also zubereitete und verkaufte, sowie verabreichte. Dies widersprach einer 1815 erlassenen Verordnung und stieß besonders bei den niedergelassenen Apothekern auf Gegenwehr.38 Ferner bereicherte Siegrist mit einem Artikel über »Praktische Notizen« den allgemeinen Austausch in der Zeitschrift Hygea. Dabei hob er die ausgezeichnete Wirkung von Phosphor bei »acuten und chronischen Entzündungen des weichen Gaumens« hervor. Zudem verwies er auf die erfolgreiche Anwendung von Aconit bei Podagra.39 Er starb bereits in jungen Jahren 1840, als sein Sohn, der später ebenfalls homöopathischer Arzt wurde, gerade einmal fünf Jahre alt war.40 Aber Siegrist war an der Ausbildung Johann David Steinestels beteiligt. Dieser war ein Zögling des Basler Missionshauses.41 Steinestel war 1808 in Schorndorf geboren worden und dort aufgewachsen. Zunächst hatte er das Drechslerhandwerk erlernt. Bereits in seinem Elternhaus war er mit der Missionsbewegung in Kontakt gekommen. Nach der Ausbildung begab sich Steinestel 1829 nach Basel, um sich dort auf einen Missionseinsatz vorzubereiten.42 Neben der theologischen Ausbildung vertiefte er dort seine medizinischen und homöopathischen Interessen.43 Außerdem wurden seine pathie in der Schweiz ab. Hierzu deren Besprechung in Erlach (2009), S. 1-3. 38 Morgenthaler (1987), S. 89. Siegrist stammte aus Sarnen und hatte zunächst die Ausbildung zum Landchirurgen abgeschlossen, ehe er in einem zweiten Studiengang zum Doktor promovierte. Samuel Hahnemann hatte im Zusammenhang mit dem Dispensierrecht ebenfalls immer wieder Konflikte mit den niedergelassenen Ärzten und Apothekern auszutragen. Beispielsweise: Jütte (2007), S. 133-137, Schreiber (2002), S. 118126, sowie Michalak (1991). 39 Siegrist (1836). Der Artikel ist Erlach (2009) wohl entgangen. Podagra ist »Gicht am Fuß«. Medizinalabteilung des Ministeriums der geistlichen-, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten (1905), S. 78. 40 Erlach (2009), S. 5, zu dem Sohn S. 6f. 41 Zu Steinestel Haehl (1921) und Häcker-Strobusch (1996). Zu den folgenden Angaben siehe dort. Ein BV zu seiner Person gibt es im ABM nicht. Das dort existierende BV 132 enthält nur den Aufsatz von Frau Häcker-Strobusch. 42 ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 11 (1827-1829), S. 105, Sitzung vom 13. März 1829. Zu seiner Ausbildung: Bd. 12 (1830-1834), S. 4, 9, 78, 94 (Ausbildung in Medizin vorgeschlagen), S. 101, 116 (Bewilligung, dass Steinestel medizinische Vorlesungen hören darf), S. 124. Zu Steinestels Jugend Häcker-Strobusch (1994). 43 Näheres zu dieser theologischen Ausbildung: Häcker-Strobusch (1996), S. 139, zur medizinischen Ausbildung S. 142f. Allgemein zu den Möglichkeiten einer medizinischen Ausbildung im 19. Jahrhundert Huerkamp (1985) und Sander (1989). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Fähigkeiten als so gut eingestuft, dass man ihn von Seiten des Komitees für eine Ausbildung zum Arzt in Betracht zog.44 Nach eigenen Aussagen war Steinestel schon zuvor mit der Lehre Hahnemanns vertraut, und in seiner Bibliothek war die erste Auflage des »Organon« enthalten.45 Aus den Protokollbüchern des Komitees geht hervor, dass die Initiative für die zusätzlichen Kurse von den Missionsschülern ausgegangen war. Denn neben Steinestel wünschte auch Bruder Schneider, »bei H. Dr. Sigrist homöopathischen Unterricht zu erhalten«. Der Arzt war bereit, ihnen denselben »Abends von 8 – 9 zu ertheilen«.46 Das Komitee stimmte dieser Anfrage im November 1832 zu.47 Ob und wie bzw. wie häufig und wie lange die Brüder diese Lehrstunden in Anspruch genommen haben, ist nicht überliefert. Der zweite Schüler, der für die Homöopathie eintrat, war der 1805 in Leipzig geborene Eduard Friedrich Schneider.48 Im Missionshaus erhielt er zwischen 1832 und 1833 eine entsprechende Zurüstung für seine künftigen Aufgaben.49 Bereits in einem Schreiben an den Inspektor im März 1832, mit dem er sich um die Aufnahme in das Basler Institut bewarb, verwies Schneider auf sein Interesse an der Medizin und der Homöopathie im Besonderen.50 Im April 1832, sozusagen im Rahmen der Aufnahmeprozedur, 44 Hahnemannia (1889), S. 6. 45 Haehl (1921), S. 46, zitiert einen Brief, den Steinestel selbst an Hahnemann geschrieben hat und in dem er knappe Angaben zu seiner Biographie machte. Zu den Tätigkeiten Steinestels auf diesem Gebiet und seinen Notizen Häcker-Strobusch (1996), S. 140. Dass Steinestel das »Organon« besaß: S. 143. 46 ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 12 (1830-1834), S. 101, Sitzung vom 14. November 1832. Die Passage liest sich wie folgt: »Der H. Inspektor zeigt an, daß die Br. Schneider & Steinestel nebst den ihnen in lonige [Lesung unsicher] Stiftung gemachte Gestattung noch bei H. Dr. Sigrist homöopathischen Unterricht zu erhalten wünschen, den ihnen derselbe Abends von 8 – 9 zu ertheilen bereit sey.« 47 Die Antwort des Komitees lautete: »Wird ihnen dieses Ansuchen bewilligt, mit der Bemerkung, daß dieselben, wenn H. Doct. Siegrist je durch Geschäfte gehindert sey, sogleich Zurückkehren u. jedenfalls durch Anschellen ihre Rückkehr anzeigen sollen.« ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 12 (1830-1834), S. 101, Sitzung vom 14. November 1832. 48 ABM, Bestand BV 166. Zur weiteren Ausbildung Bestand Protokollbücher, Bd. 12 (1830-1834), S. 108, Sitzung vom 30. Januar 1833 (medizinische Studien), die Aussendung in den Sitzungen vom 26. April 1833 und 8. Mai 1833 (S. 116) und in der Sitzung vom 11. Mai 1833 (S. 117). 49 ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 12 (1830-1834), S. 92, Sitzung vom 11. April 1832, sowie S. 93, Sitzung vom 25. April 1832. Schneider wurde als »Cand. der Theol. von Leipzig« aufgenommen, »um mit dem Missionswesen, dessen Sinn u. Geist sich bekannt zu machen od. sich für seine Aussendung zu befähigen«. 50 ABM, Bestand BV 166, Fasz. 2, Schreiben Schneiders vom 24. März 1832. Offenbar war er durch seine eigene erfolgreiche Behandlung im Jahr 1825 auf die Methode Hahnemanns aufmerksam geworden. Hierzu BV 166, Fasz. 1, nicht paginiert, Blatt 3. Es heißt dort: »Meine damalige Drücklichkeit, die unter der Behandlung eines angesehenen allopathischen Arztes immer bedenklicher wurde, bewog mich dem Rathe einiUrheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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kam das Komitee auch Schneiders Wunsch nach, Vorlesungen bei Samuel Hahnemann hören zu dürfen. Dafür gestand man ihm zu, erst im Juni nach Basel zu kommen.51 Zwar ist im Protokollbuch von Vorlesungen in Leipzig die Rede, allerdings wohnte Samuel Hahnemann 1832 schon lange in Köthen. Da der Student aus Leipzig stammte, mag eine Verwechslung der Orte vorliegen. In Köthen führte der Homöopathiebegründer aber ein sehr gastfreundliches Haus. Dabei famulierten vor allem junge Mediziner bei ihm, ließen sich, teilweise auch gegen Bezahlung, in seine Lehre einweisen und profitierten von den Beobachtungen in den Sprechstunden sowie Gesprächen mit dem »großen Meister«. Möglicherweise beabsichtigte Schneider einen solchen Besuch.52 Sowohl Steinestel als auch Schneider erhielten zudem im Oktober 1832 die Erlaubnis, auch anatomische Vorlesungen in Basel zu hören.53 Zwischen 1833 und 1853 war Bruder Schneider in Russland und anschließend in Ostindien tätig. Er starb 1879.54 Steinestel behauptete ferner in einem späteren Schreiben an Hahnemann, er habe zusammen mit weiteren Schülern »einige homöopathische Apotheken« hergestellt, welche die Missionare »mit viel Glück bei ihrem Missionsgeschäfte in Anwendung bringen«.55 Auch in einem Brief an den Herausgeber der homöopathischen Zeitschrift Hygea berichtete er von erfolgreichen Anwendungen der Homöopathie durch Missionare auf ihren Einsätzen, besonders in Indien. Bei dieser Gelegenheit verwies er darauf, dass die Mittel, trotz Vernachlässigung der Diätvorschriften, gewirkt hätten. Gleichzeitig stellte er weitere Nachrichten in Aussicht, die er aber nie lieferte.56 ger Freunde zu folgen und einen homöopathischen Arzt anzunehmen, der auch mit glücklichem Erfolge unter dem Segen Gottes eine wohlthätige Veränderung meines Körperzustandes hervorgebracht hatte und mir zur vollständigen Heilung eine Fußreise anrieth.« Schneider reiste daraufhin mit einem Freund nach Berlin. 51 ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 12 (1830-1834), S. 93, Sitzung vom 25. April 1832. Nach der Aufnahme heißt es: »Zugleich wird ihm gestattet, die homöopathische Vorlesung des Prof. Hahnemann, sowie auch Anatomie, in Leipzig [sic!] zu hören, um etwa bis Juni selbst hier einzutreten; während dieser Zeit soll er etwa alle 4 Wochen hierher schreiben, od. sich einen Studienplan machen, in den er auch das Theologische mit aufnehmen sollte.« 52 Hahnemann hatte von 1811 bis 1822 in Leipzig gewohnt und hielt dort von 1814 bis 1820/21 Vorlesungen. Dann übersiedelte er nach Köthen. Von weiteren Vorlesungen in Leipzig ist nichts bekannt. Ausführlich dazu Jütte (2007), S. 99-137 (die Zeit in Leipzig) und S. 138 bzw. S. 148f. 53 ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 12 (1830-1834), S. 101, Sitzung vom 31. Oktober 1832. 54 Hierzu ABM, Bestand BV 166. In den darin überlieferten Briefen war bisher kein Hinweis auf eine medizinische oder homöopathische Tätigkeit zu finden. 55 Haehl (1921), S. 46. Hierzu auch Häcker-Strobusch (1996), S. 144. Zumindest in späteren Jahren bezogen einige bedeutende württembergische Homöopathen, wie Eschenmayer in Tübingen, Mittel von Steinestel. Hahnemannia (1889), S. 8. 56 Griesselich (1834). Zu Griesselich Schroers (2006), S. 44. Zu der Zeitschrift und GriesUrheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Zusätzlich zu den Kursen bei Siegrist war Steinestel offenbar auch in der Lehre des Berner Homöopathen Jakob Emanuel Niehans.57 Den erhaltenen Informationen nach muss das Zeugnis, das er bekommen hatte, »glänzend« gewesen sein.58 Da aber die Bitte des Arztes, Steinestel zu den »Belehrungen« nach Bern kommen zu lassen, vom Komitee im Mai 1833 abschlägig beschieden wurde, kann der angehende Missionar die Ausbildung bei Niehans erst nach seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft im November 1833 angetreten haben – außer er handelte einem ausdrücklichen Verbot des Komitees zuwider. Auch den ebenfalls in Bern praktizierenden homöopathischen Arzt Gottlieb Fischer nannte er als Freund.59 Steinestel schied 1833, nachdem er wohl selbst in Basel noch einige Zeit eine homöopathische Praxis betrieben hatte60, aus der Anstalt aus und wurde nie als Missionar ausgesandt61. Anscheinend kam es im Zusammenhang mit seinem selichs Rolle bei ihrer Herausgabe Faber (1996). Zumindest findet sich in den folgenden Jahren kein Beitrag Steinestels mehr in der Hygea. Gleiches bestätigt Hahnemannia (1889), S. 8. Die in dem Artikel erwähnten »Brüder« meinen vermutlich die ausgesandten Missionare, die Steinestel als Brüder bezeichnete. Doch hatte Steinestel offenbar auch einen Vetter, der als Missionar in Indien tätig war. Hierzu Hahnemannia (1889), S. 8. 57 Darüber wurde auch in einer Sitzung berichtet. ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 12 (1830-1834), S. 116, Sitzung vom 8. Mai 1833: »Herr Doct. Niehans von Bern bittet wiederholt darum, daß Br. Steinestel zu ihm nach Bern kommen möchte, um ihm Belehrungen über die Homöopathie zu geben.« Die Antwort lautete: »Kann wegen der Störungen, die eine solche Abwesenheit in Steinestels Studien machen würde, dieser Bitte nicht entsprochen werden.« 58 Haehl (1921), S. 38, erwähnt dieses Zeugnis. Das Original ist aber nicht überliefert. Häcker-Strobusch (1996) beruft sich beim Verweis auf dieses Dokument ebenfalls auf Haehl (1921), ferner Hahnemannia (1889), S. 6. Jakob Emanuel Niehans war 1801 geboren worden und starb 1871. Er richtete 1839 in der Nähe von Bern eine Heilund Pflegeanstalt für Geisteskranke ein. Näheres bei Erlach (2009), S. 134f. Steinestel muss daher in der privaten Praxis mitgearbeitet haben, da die »Irrenanstalt« erst später gegründet wurde. Die Ausführungen bei Häcker-Strobusch (1996), S. 140, und ebenso bei Erlach (2009), S. 22, sind hier unklar bzw. irreführend. Steinestel selbst war 1839 schon lang wieder in Württemberg. 59 Haehl (1921), S. 46. Zu Gottlieb Fischer (1796-1853), der gemeinsam mit Jakob Emanuel Niehans zu den ersten homöopathischen Ärzten in Bern gehörte: Erlach (2009), S. 21f. Zu beiden Ärzten ist aber nicht sehr viel bekannt. 60 Hahnemannia (1889), S. 6. 61 Dennoch behauptete er offenbar gegenüber dem Herausgeber der Zeitschrift Hygea etwas anderes. Griesselich (1834), S. 211. Dort heißt es: »Herr Steinestel lebte als Missionär in Afrika und Asien und ist jetzt auf einer Erholungsreise in Europa begriffen. Er hat Gelegenheit gehabt, im Gebiete der Homöopathie zahlreiche Beobachtungen anzustellen. Es steht zu erwarten, er werde uns, nahe oder ferne – da er sein Amt als Missionär wieder antreten wird – Mittheilungen machen.« Diese Darstellung entspricht schlicht nicht der Wahrheit. Offenbar hatte aber Steinestel bereits in Basler Zeiten die Behauptung verbreitet, er würde nach Abessinien als Missionar gehen. Das Komitee war darüber sehr verärgert. Hierzu ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 12 (1830-1834), S. 124, Sitzung vom 16. Oktober 1833. Zum Ausscheiden Steinestels, Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Weggang zu Unstimmigkeiten mit dem Komitee der Basler Mission. Als Steinestel Zeugnisse wünschte und anbot, nach abgeschlossenem »Examen in der Homöopathie« nach Basel zu kommen, wurde dies abgelehnt.62 Doch kam es im Zusammenhang mit den gewünschten Dokumenten zu Verzögerungen, so dass Steinestel erneut um deren Zusendung bat. Die Antwort des Komitees verwies eindrücklich darauf, dass das Interesse des angehenden Missionars sich bereits seit geraumer Zeit, sehr zum Leidwesen der Gesellschaft, auf die Homöopathie verlagert hatte.63 Steinestel folgte letztendlich dieser Berufung und unterhielt in Stuttgart eine eigene Praxis. Dort geriet er mit den Behörden in Konflikt.64 Er zog sich nach Schorndorf zurück, wo er zwar hauptberuflich wieder als Drechsler arbeitete, aber weiterhin Kranke betreute. 1846 wanderte er mit seiner Familie nach Amerika aus. In St. Louis/Missouri praktizierte Steinestel erneut als Homöopath. Dort starb er 1849 infolge einer Cholera-Erkrankung. Ein weiterer Missionar kam mit Siegrist und der Homöopathie in Berührung. Jakob Friedrich Sessing war 1802 in Hessen-Darmstadt geboren und als Zögling der Basler Mission zunächst im Dienst der Christian Missionary Society nach Liberia ausgesandt worden. Er kehrte bereits nach einem Jahr 1828 nach Europa zurück, weil er einen nervenkranken Bruder begleiten musste. Der Missionar führte ein Tagebuch, in dem er von gelegentlichen Kopf- und Zahnschmerzen berichtete. Letztere plagten ihn auch 1829.65 Der wobei auf die »Unzuverlässigkeit seines Charakters« hingewiesen wurde, Bd. 12 (18301834), S. 126 und S. 127, Sitzungen vom 13. und 27. November 1833. 62 Zumindest forderte Steinestel 1834 von dem Komitee in Basel Zeugnisse, die er für sein bevorstehendes Examen in der Homöopathie benötigte. ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 13 (1835-1836), S. 14, Sitzung vom 12. November 1834. Es heißt dort: »Steinestel schreibt: er werde in 14 Tagen das Examen für die Homöopathie machen u. verlangt Zeugnisse, sowohl des H. Inspektor, als des Herren Arztes allhier, über angehörte Colloquien; nach dem Examen will er selbst hierher heraus und sich vertheidigen.« Die Antwort lautete: »Man sende ihm die Zeugnisse u. ersuche ihn nicht hierher zu kommen.« Zu den näheren Umständen der Prüfung, wofür Hahnemann selbst Aufgaben stellte, Häcker-Strobusch (1996), S. 147-149. 63 ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 13 (1835-1836), S. 18, Sitzung vom 10. Dezember 1834. Dort heißt es: »Auch Steinestel hält nochmals um ein Zeugniß an, das man ihm nicht länger verweigern will. Dasselbe soll aber die ganze Wahrheit enthalten, näml.: Steinestel habe Anfangs Hoffnung der Brauchbarkeit gegeben, sey aber nach u. nach leichtsinnig und welthlich geworden, habe mehr Neigung zu Homöopathie als für den Missionsberuf gezeigt, und habe als unbrauchbar für unsere Zwecke umso mehr entfernt werden müßen, nachdem sein lügenhaftes Wesen ein weiterer Grund zur Klage gegen ihn geworden.« Hervorhebung im Original. 64 Ausführlich hierzu Häcker-Strobusch (1996), S. 143-156; Hahnemannia (1889), S. 6-9. 65 Das Tagebuch Sessings von 1829 in ABM, Bestand FA-10.1,4. Die Notizen vom 2. Juli 1829, S. 472, vom 4. Juli 1829, S. 475f., sowie vom 7. Juli 1829, S. 477. Ich danke Herrn Huppenbauer, Affoltern/Basel, der das Buch derzeit liest, dass er mich auf diese sowie die folgenden Stellen hingewiesen hat und mir die Auszüge für den Aufsatz zur Verfügung stellte. Diese Belege zeigen aber, wie schwierig es ist, Hinweise auf die HoUrheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Versuch, die Schmerzen mit Tropfen zu lindern, schlug fehl, weswegen er bei Doktor Siegrist Rat und Hilfe suchte. Mit dem homöopathischen Arzt unterhielt sich der Missionar auch über das »afrikanische Fieber«. Siegrist gab ihm ein Mittel gegen das Zahnweh und versprach ihm ein Buch, in dem er nach den Symptomen des Fiebers suchen sollte. Wohl vermerkte Sessing: »Ersteres Mittel half nichts, aber bei der Pflanze Pulsatille [sic!] fand ich beinahe alle Symptome des Fiebers. Werde morgen wieder zu ihm gehen.« Gegen das Zahnleiden griff der Missionar später wieder auf die hergebrachten allopathischen Mittel zurück. Wie er es mit seiner neuen Kenntnis über die mögliche Wirksamkeit von Pulsatilla hielt, ist leider nicht überliefert.66 Nachdem Sessing 1829 geheiratet hatte, zog er mit seiner Frau und drei weiteren Missionaren nach Liberia aus. Die Weggefährten starben aber innerhalb kurzer Zeit nach der Ankunft im Januar 1830. Das Tagebuch Sessings weist jedoch in einem weiteren Zusammenhang auf die Verwendung homöopathischer Mittel durch die Missionare. Im Jahr 1830 wurden sowohl Sessing als auch seine Frau von Krankheiten geplagt. Ein deutscher Arzt, der auf einem dänischen Schiff in Richtung der westindischen Inseln unterwegs war, versprach den beiden Hilfe. Die Mittel sollten aber erst am Morgen eingenommen werden, »wenn keine andern medizinischen Kräfte und Substanzen mehr im Körper wirken«.67 Bei Sessing selbst scheinen die Medikamente angeschlagen zu haben, da es ihm daraufhin besser ging. Seine Frau allerdings wurde weiterhin von Fieber geplagt. Als die Gattin Sessings einige Zeit später an heftigen Zahnschmerzen litt, versuchte der Missionar auch hier zu helfen, unter anderem mit den Pulvern, die der deutsche homöopathische Arzt hinterlassen hatte. In diesem Fall hatte das Ehepaar Glück, und die Zahnschmerzen verflüchtigten sich rasch.68 Sessing selbst ging nach Sierra Leone weiter, wo er sich der engli-

möopathie in den umfangreichen Egodokumenten zu finden. Sessings Tagebuch ist in sehr kleiner Handschrift geschrieben und umfasst mehrere 100 Seiten. Zu Sessings Person auch Huppenbauer (2009) sowie ABM, Bestand BV 60. 66 Zu der Tatsache, dass Patienten keinerlei Schwierigkeiten hatten, nach erfolgloser Verwendung von homöopathischen Mitteln wieder auf die schulmedizinischen zurückzugreifen, Baschin (2009); allgemein zu dem Verhalten von Patienten im medizinischen Markt Lachmund/Stollberg (1995); Loetz (1993); Ruisinger (2008). 67 ABM, Bestand FA-10.1,4, S. 593 am 28. September 1830 und S. 595 am 30. September 1830. 68 ABM, Bestand FA-10.1,4, S. 613 am 28. November 1830. Erst an dieser Stelle wird deutlich, dass der deutsche Arzt, dessen Namen nicht erwähnt wird, tatsächlich homöopathische Mittel im Gepäck hatte. Die verwendeten Mittel werden nicht genannt. Auch in den Tagebüchern des Missionars Gundert sind nach Aussagen von Herrn Dr. Frenz Hinweise auf homöopathische Anwendungen enthalten. Die Tagebücher sind im Archiv der Stadt Calw überliefert. Zu Gundert gibt es im ABM den Bestand BV 235 mit umfangreichen Dokumenten. Ich danke Herrn Dr. Frenz, Stuttgart, für diese Auskunft. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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schen Mission anschloss.69 Später wurde er nach Jamaika geschickt. Dort starb er 1856.70 Der erste Arzt, den die Basler Mission an die Goldküste aussandte, war Christian Friedrich Heinze.71 Dieser wurde 1804 in Kunewalde bei Bautzen in Sachsen geboren. Er hatte den Beruf des Seilers erlernt und in Basel zwischen 1824 und 1828 eine theologische Ausbildung erhalten. Da sein Einsatz in Liberia geplant war, sah man auch eine medizinische Schulung für den angehenden Missionar in London vor. Um darauf wiederum besser vorbereitet zu sein, besuchte Heinze auch entsprechende Kurse an der Universität in Basel. Die dortigen Professoren legten der Missionsgesellschaft nahe, Heinze aufgrund seiner Fähigkeiten auch als Arzt promovieren zu lassen. So schloss der Zögling 1831 mit dem Titel »Doktor der Medicin und Chirurgie« seine Ausbildung ab.72 Der Missionar Heinze war zusammen mit zwei weiteren Brüdern für die Arbeit an der Goldküste bestimmt worden. Während die beiden anderen Teilnehmer des Einsatzes über Kopenhagen reisten, um dort eine dänische Approbation für die Tätigkeit Heinzes zu erhalten, traf dieser erst in London auf die Weggefährten.73 Während des fünfmonatigen Aufenthalts dort, bis das Schiff ablegen sollte, behandelte er einige Patienten und nutzte die Zeit für seine Weiterbildung in Medizin, englischer und dänischer Sprache, Theologie und verschiedenen Naturwissenschaften.74 69 Die Angaben zu Sessing nach Schlatter: Afrika (1916), S. 2 und S. 12-15. 70 Steiner (1909), S. 22f. Außerdem zu dessen Person und Wirken ABM, Bestand BV 60. 71 Ein anderer Missionar hatte vor seiner Aussendung den Beruf des Wundarztes erlernt. Dies ist Wilhelm Heinrich Schemel, geboren 1799 in Vaihingen, seit 1818 im Missionshaus und 1822 in Stuttgart ordiniert. Er reiste 1821 im Dienst der Christian Missionary Society nach Sierra Leone. Dort starb er 1823. ABM, Bestand BV 21, sowie Schlatter: Heimatgeschichte (1916), S. 65. Schemel wurde jedoch nicht als Arzt ausgesandt, und im BV deutet nichts auf eine medizinische Ausrüstung hin. 72 Friedrich Fischer (1991), S. 27, sowie die Protokolle ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 11 (1827-1829), S. 89, Sitzung vom 19. November 1828, S. 104, Sitzung vom 13. März 1829, und Bd. 12 (1830-1834), S. 62, Sitzung vom 6. April 1831; Schlatter: Afrika (1916), S. 26f. 73 Friedrich Fischer (1991), S. 28, zitiert auch den Wortlaut der Genehmigung. 74 Friedrich Fischer (1991), S. 28, die Briefe aus Heinzes Unterlagen, ABM, Bestand BV 85, 13. Juli 1831 (Bitte, ein naturhistorisches Buch kaufen zu dürfen), 27. Juli 1831 (Absicht, einen Destillier-Apparat zu kaufen, um Branntwein, Weingeist und besonders Wasser destillieren zu können, denn Heinze »will nicht solch ungesundes fauliges Wasser trinken«). Ein Schreiben berichtet von Studien in Englisch, Medizin, Theologie, Naturgeschichte, Physik, Chemie, Mechanik, Optik, Hydrostatik, Hydraulik und Pneumatik. Hierzu die Briefe vom 22. und 25. August, 7. September sowie 19./20. Oktober 1831. Heinze äußerte im letzten Schreiben, dass das Medizinstudium für einen Zögling der Missionsschule in London nicht zu empfehlen sei, da sehr teuer. Laut ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 11 (1827-1829), S. 89, Sitzung vom 19. November 1828, beschloss das Komitee, »daß Br Heinze ein Jahr in London in medicinischer Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Inwieweit Heinze während seiner Ausbildung mit dem Arzt Siegrist in Kontakt gekommen war, ist nicht bekannt.75 Allerdings führte er in seinem Gepäck auch eine bereits in Basel zusammengestellte homöopathische Apotheke mit sich, als er 1831 nach London aufbrach.76 Diese Apotheke war zwar nach seiner eigenen Aussage »nicht ganz vollständig«, doch hoffte er, dass keine »Hauptmittel« fehlen würden.77 Diese und weitere Mittel erbat sich Heinze von einem anderen Bruder und empfahl außerdem, einige der Sache sich etwas umsehen soll, zum besten der Mission auf Liberia«. Die Abreise wurde zu Ostern 1829 festgesetzt, sofern Heinze nicht zuvor noch eine medizinische Grundlagenausbildung in Basel erhalten könnte. ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 11 (1827-1829), S. 104, Sitzung vom 13. März 1829. Zu den Weiterbildungsmöglichkeiten durch die London Medical Missionary Association auch Feldmann (1904), S. 33-36. Heinze reiste im Juni und Juli 1831 durch deutsches Gebiet, immer in Furcht vor der Cholera. Gegen diese sah er jedoch lediglich »Buße & Glaube« als rechte Medizin und meinte, »daß alles andere wenig helfen wird«. ABM, Bestand BV 85, Brief vom 2. Juli 1831. 75 Als die Frage der homöopathischen Lehrstunden diskutiert wurde, war Heinze bereits in Afrika verstorben. Siegrist hätte ihn aber durchaus vor seinem Aufbruch unterrichten können, ohne dass dies in den Protokollen Niederschlag fand. 76 Hierzu ABM, Bestand BV 85, Brief vom 28. Juli 1831. In diesem Brief an Bruder Bücheler heißt es: »Die homöopathische Apotheke ist zwar nicht ganz vollständig, aber ich hoffe, es fehlen doch keine Hauptmittel. Für mehre die fehlten, und im Hausu. Reise-Arzt vorkommen, gab ich d. Br. Knorpp Gläschen, und hat mir versprochen sie zu machen. Einige, die sehr leicht zu machen sind, und wovon man niedrige Verdünnungen anwendet sollte Br. Steinestel machen zur eigenen Uebung. Die meisten sind da, und auch die wirksamsten – nur möchte ich wünschen, daß sie recht passend angewendet würden. Du selbst weißt, wie gedrängt ich mit der Zeit war, und wirst dich noch selbst erinnern können, daß ich mit Dir sprach, da zu bleiben bis die Louise [Lesung unsicher] käme, und du mir sagtest es sei unmöglich, und als ich dann erfuhr, daß ich bleiben sollte, war es zu spät die Apotheke noch zu vervollständgen, weil ich dann meine schon gepackt hatte. Es fehlte gewiß nicht mir und meinem guten Willen, sondern an der Zeit. Kauf Du nur dem Br. Steinestel die hom. Pharmacie, und im Winter, wenn er nichts mehr im Garten zu thun hat, kann er die fehlenden Mittel gar wohl machen in den Freistunden.« Die folgenden Angaben aus diesem Brief. 77 Die Mittel selbst werden nicht genannt. Zumindest für die Herrnhuter Brüdergemeine liegt ein Angebot für Hausapotheken aus der Marggrafschen Offizin in Leipzig vor. Die Apotheken wurden offenbar nach den Anweisungen der Herren Hering und Hirschel zusammengestellt. Hierzu UHB, Bestand R.15.A.12.5, Die homöopathischen Apotheken betreffend 1865-1875. Zu Constantin Hering und Bernhard Hirschel die Angaben in Schroers (2006), S. 61f. und S. 64. Der Missionar Kunicke erwähnte, er habe seine Apotheke von einem Doktor Heuser aus Gnadenburg (Schlesien) erhalten. UHB, Bestand R.15.M.a.13.a.10, Reise Diarium nach Afrika, S. 5. Welche Mittel die Herrnhuter Apotheke an wen versandte, ist Philipp (2003), S. 132-136, sowie dem Bestellbuch Lappes, das in der Sammlung des Heimatmuseums Ingersleben überliefert ist, zu entnehmen. Der Missionar Konrad Meier empfahl zwei verschiedene Hausapotheken zu acht oder zwölf Mitteln in den Potenzen von D2 bis D3, die drei oder vier Mark kosteten. UHB, Bestand MD 189, Missionsdirektion Missionsschule Niesky: Ärztliche Ausbildung der Missionsschüler, Empfehlungen von Mitteln gegen tropische Krankheiten u. a., das Schreiben Konrad Meiers, nicht paginiert. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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leichteren Verdünnungen durch Steinestel zu dessen Übung herstellen zu lassen. Diese Bemerkungen weisen darauf hin, dass Heinze offenbar keine fundierte homöopathische Ausbildung erhalten hatte. Zumindest schien er nur über Grundkenntnisse zu verfügen, und eine eigene Herstellung der Mittel traute er sich nicht zu. Andererseits bestätigt das Schreiben damit, dass Steinestel tatsächlich selbst homöopathische Mittel herstellte und dies den Brüdern der Basler Mission bekannt war. Im Juli 1831 traf Heinze in Leipzig nicht nur auf den künftigen Bruder Schneider, sondern machte ebenso die Bekanntschaft weiterer homöopathischer Ärzte.78 Daneben bestand Heinzes ärztliche Ausrüstung aus einigen chirurgischen Instrumenten, medizinischen Lehrbüchern und einem in London erworbenen Destillierapparat.79 Er und seine beiden Kollegen trafen am 8. März 1832 an der Goldküste ein. Keinen Monat später litten alle am »Klimafieber«. Der Arzt Heinze konnte seine Mitbrüder noch eine gewisse Zeit pflegen, bevor er selbst am 26. April ein Opfer der Krankheit wurde. Die homöopathischen Mittel kamen dabei offenbar nicht zum Einsatz.80 Der einzige verbliebene Missionar Riis wandte sich aber bei nachfolgenden Erkrankungen nicht der europäischen Schulmedizin oder der Homöopathie zu, sondern ließ sich von einem afrikanischen Heiler therapieren. Dieser hatte mit kalten Bädern Erfolg und rettete ihm das Leben.81 In den nächsten Jahren wurden noch 78 ABM, Bestand BV 85, Brief vom 11. August 1831. Heinze erwähnt »Dr. Hahn, und Dr. Schubert ein homöopathischer Arzt und einige christliche Freunde, besonders einen sehr lieben Candidaten, Fried. Eduard Schneider, geb. d. 8. Mai 1805 in Leipzig. Er meldete mir zugleich, daß er im Sinn habe, sich im Basler Missionshaus für die Aufnahme zu melden.« Bevor er dies tat, wollte er jedoch sein Examen ablegen. Die Namen beider Ärzte sind nicht in Schroers (2006) aufgeführt. 79 Friedrich Fischer (1991), S. 29, verweist auf den Brief vom 27. Juli 1831 (ABM, Bestand BV 85; hierin äußert Heinze die Absicht, den Destillierapparat und die chirurgischen Instrumente, besonders solche für Augenoperationen, zu kaufen); ABM, Bestand D-1, 1-Christiansborg-1832-Nr. 10 (Brief Jägers vom 8. Mai 1832, der die Nachricht vom Tod Heinzes enthält; danach war unklar, was mit den Geräten und der Apotheke zu tun sei; Jäger schlug deren Verkauf vor) und Bestand D-1, 1-Christiansborg-1833-35-Nr. 2 (Brief Riis’ vom 9. Juli 1833: Die Apotheke wurde verkauft, wobei Riis einige Mittel zurückbehielt, die Instrumente wurden zurück nach Kopenhagen geschickt; es fehlten Riis für seine eigene »Hausapotheke« aber noch wichtige Medikamente wie »Sulphae chinini, Oleum ricini, Sulphus magnesicus und Opodeldoc«, die er aus Basel erhalten wollte). Eine Ausrüstungsliste vom 9. Januar 1832 in ABM, Bestand BV 85, nennt den »Destillir-Apparat«, ein Thermometer, Geschirr sowie verschiedene Nahrungsmittel und Schreibutensilien. Weitere Medikamentenbestellungen verschiedener Missionare nennt Friedrich Fischer (1991), S. 525. Die Verwendung war aber überwiegend schulmedizinischer Art, hierzu Friedrich Fischer (1991), S. 53-57. 80 Friedrich Fischer (1991), S. 29f. Die Therapie erfolgte nach dem Schreiben des überlebenden Missionars Riis mit allopathischen Mitteln, wie kalten Waschungen, Zugpflastern und »die eine Mixtur nach der anderen, wozu unsere eigene Apotheke die meisten Medicamente hergab«. 81 Ausführlich hierzu Friedrich Fischer (1991), S. 31-34, mit Verweis auf die Quellen. Zur Therapie heißt es auf S. 31: »Dieser Neger verordnete nichts anderes als kalte Bäder, die ich 6-8 mal täglich brauchen mußte. Mit Seife und Limone wusch er mich jeUrheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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mehrere Missionare ausgesandt, doch die überwiegende Mehrheit wurde rasch von verschiedenen Krankheiten dahingerafft, so dass sie ihre eigentliche Aufgabe nicht erfüllen konnten.82 Dennoch wurde die Absicht, an der Goldküste eine Station aufzubauen, nicht aufgegeben. Die Frage nach einer medizinischen Betreuung aber blieb. In dieser Zeit trat außerdem ein Außenstehender mit dem Vorschlag an das Basler Komitee heran, doch die homöopathische Kur auszuprobieren. In der Sitzung vom 27. April 1831 wurde »ein Brief von Prof. Eschemaier in Tübingen verlesen, worin er auseinandersetzt wie die Anwendung der homöopathischen Cur keinen Schaden bringen könne, u. von unseren Brüdern wohl geübt werden könne«.83 Es handelt sich dabei um Adolph Carl August Eschenmayer. Er war 1768 in Neuenbürg in Württemberg geboren worden und hatte in Stuttgart an der Karlsschule und in Tübingen studiert. Ab 1797 war er als praktischer Arzt in Kirchheim tätig, bevor er von 1800 bis 1811 als Oberarzt in Sulz am Neckar praktizierte und gleichzeitig Leibarzt der Herzogin von Württemberg war. Zusätzlich zur Medizin widmete er sich philosophischen Studien. Ab 1816 war er Professor in Tübingen. Neben der Homöopathie beschäftigte er sich auch eingehend mit dem »thierischen Magnetismus« und der Psychologie. Er starb 1852 in Kirchheim unter Teck.84 Seine Bemühungen und Werbungen für den Einsatz der Homöopathie in den Reihen der Basler Mission verhallten jedoch, was das Komitee und eine offizielle Entscheidung angeht, weitgehend ungehört. Im Zusammenhang mit den gesundheitlichen Problemen, die die an die Goldküste entsandten Missionare hatten, war man gegenüber der Frage einer medizinischen Betreuung innerhalb der Basler Mission in den 1820er und Anfang der 1830er Jahre durchaus aufgeschlossen, wie zu sehen war. Doch die Bemühungen, eine entsprechende Ausbildung auch im Bereich der Homöopathie zu erhalten, waren sporadischer Art und gingen auf die Initiative einzelner Brüder zurück, die offenbar schon vor ihrem Eintritt in desmal zuerst und dann mit bloßem kalten Wasser, immer über den ganzen Leib und darin bestand dann die ganze Kur.« 82 Von zehn ausgesandten Missionaren waren acht in Afrika innerhalb ihres ersten Aufenthaltsjahres gestorben. Friedrich Fischer (1991), S. 37-39. Ähnlich verheerend waren bereits die Bilanzen anderer Missionsgesellschaften gewesen, die versucht hatten, an der Goldküste eine Station aufzubauen. 83 ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 12 (1830-1834), S. 64, Sitzung vom 27. April 1831. Eine weitere Bemerkung hierzu ist nicht notiert. Die Schreibweise des Namens folgt hier dem Original. In Schroers (2006), S. 30, wird der Name als Eschenmayer geführt. Leider ist in den gemischten Briefen der Jahre kein Schreiben Professor Eschenmayers überliefert. ABM, Bestand Q-3-4, 16, Gemischte Briefe (1831-1835), AF. 84 Schroers (2006), S. 30f.; Hahnemannia (1889), S. 11; Dinzinger (1999), S. 33-37. Zum »thierischen Magnetismus« Jütte (1996), S. 103-114, und Schott (1985) mit weiterführender Literatur. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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die Organisation ein gewisses Interesse für die Lehre Hahnemanns hegten. Letztendlich konnte aber wohl keiner der durch den Arzt Siegrist ausgebildeten Zöglinge seine Kenntnisse im Dienst der Missionsgesellschaft und des christlichen Verkündigungsauftrags erfolgreich einsetzen. Nach diesen ersten Versuchen, überhaupt einen Arzt, gleich welcher Ausbildung, nach Afrika zu entsenden, schliefen die Pläne für eine ärztliche Mission bzw. medizinische Betreuung der Ausgesandten weitgehend ein.85 Einerseits wurden die Erkrankungen auf die »ungünstigen« klimatischen Verhältnisse zurückgeführt, denen man am besten durch die Verlegung der Missionsstation begegnen sollte. Andererseits verwiesen überlebende Missionare auch immer wieder auf das vermeintliche »Fehlverhalten« ihrer Mitbrüder, das eine Erkrankung entscheidend begünstigt habe. Dazu zählten sie große körperliche Anstrengungen und Reisen in der tropischen Hitze sowie den Verzehr einheimischer Früchte.86 Somit wurde letztendlich auch den einzelnen Betroffenen eine große Verantwortung bezüglich ihres eigenen Überlebens zugeschrieben.87 Hinzu kam die vorherrschende Einstellung der Basler Mission, dass derartig gehäufte Krankheits- und Todesfälle kein Hinweis darauf seien, die Arbeit in Afrika einzustellen. Vielmehr wurde die Bereitschaft zum Tod als notwendiger Bestandteil einer christlichen Mission gesehen.88 Der zweite Versuch: Georg Friedrich Müller und das »medicinische Missions-Institut« Der zweite Versuch, eine medizinische Ausbildung der Basler Missionszöglinge zu erreichen, wurde ebenfalls von außen an das Komitee der Gesellschaft herangetragen. Die Initiative ging von dem 1804 in Simmozheim bei Calw geborenen homöopathischen Arzt Georg Friedrich Müller aus. Er hatte in Tübingen Theologie und später Medizin studiert und war seit 1830 als Arzt zugelassen. Müller ließ sich zunächst in Metzingen nieder, übersiedelte aber 1836 nach Tübingen.89 Dort war er auch als homöopathischer 85 Dies hängt mit dem Tod Inspektor Blumhardts zusammen, der sich offenbar noch stärker dafür eingesetzt hatte. Seine Nachfolger widmeten der medizinischen Betreuung der Missionare weniger Aufmerksamkeit. Friedrich Fischer (1991), S. 105-117. 86 Hierzu die Überlegungen des Bruders Henke von 1830 nach Friedrich Fischer (1991), S. 23, sowie von Riis von 1838 nach Friedrich Fischer (1991), S. 36, oder von Locher in seinem Brief vom 9. Juni 1865, ABM, Bestand D-1, 17-Abokobi-Nr. 11a. 87 Friedrich Fischer (1991), S. 24-26. 88 Zu dieser »Theologie des Leidens« und ihrer zum Teil starken Ausprägung in der Basler Mission ausführlich Friedrich Fischer (1991), S. 48-52. Zumindest in einer extremen Ausformung widerspricht diese jedoch den Einstellungen des Pietismus Hallescher Prägung, dem zufolge die Missionare durchaus dazu aufgefordert waren, alle zur Verfügung stehenden medizinischen Mittel zu nutzen. Medikamente und ärztliche Hilfe waren nach dieser Auffassung Werkzeuge Gottes. Helm (2006), S. 28. 89 Grundmann (1989), S. 42-45, mit dem Verweis auf die entsprechenden Quellen. Die Personalakte Müllers befindet sich im StALB, Bestand E 162 II Bü. 537, darin finden sich auch die Nachweise über die medizinische Ausbildung und Tätigkeit Müllers. EiUrheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Arzt tätig, nachdem er sich selbst die notwendigen Kenntnisse angeeignet hatte. Die entsprechende Erlaubnis und das Recht, die Mittel selbst herzustellen, hatte er kurz zuvor erhalten.90 Müller selbst war von einer tiefen Frömmigkeit geprägt. Er pflegte intensive Kontakte zu bedeutenden Personen in der Missionsbewegung und hielt in seinem Haus wöchentliche Missionsstunden ab.91 Das »medicinische Missions-Institut zu Tübingen« wurde 1841 von Georg Friedrich Müller und weiteren neun Mitgliedern eines »Committees« ins Leben gerufen.92 Dabei war nicht die unmittelbare ärztliche Versorgung der Ausgesandten der Anlass zu diesem Schritt, sondern die Erfahrung, »daß diejenigen Missionare, welche ärztliche Kenntnisse besaßen, in einzelnen heidnischen Ländern leichter Eingang und in ihrer Wirksamkeit als Boten des Evangeliums bedeutende Erleichterung fanden«.93 Müller hatte von Anfang an eine Zusammenarbeit des geplanten Instituts mit der Basler Mission beabsichtigt.94 Offenbar war aber von Seiten der Gesellschaft ein erster Vorstoß, den Müller 1839 in Bezug auf eine mögliche medizinische Ausbildung von Basler Schülern unternommen hatte, abschlägig beschieden worden. Deswegen ließ er die Idee auf sich beruhen. Wie dem erneuten Schreiben vom Januar 1840 zu entnehmen ist, befürchtete man von Seiten der Missionsgesellschaft einen Interessenskonflikt oder gar eine Konkurrenz, »indem die Interessen der Zöglinge hierdurch [durch den Unterricht von medizinischen Kenntnissen in Tübingen – M. B.] leicht ne der Übersichten, die Müller zu seiner homöopathischen Praxis beim Medizinalkollegium einreichen musste, ist transkribiert und publiziert in Müller (2001), S. 9-22, wo auch die Archivalien genannt sind, die weitere Aufschlüsse zur Tätigkeit Müllers geben und sich im StALB und dem Hauptstaatsarchiv Stuttgart befinden. Zur Person außerdem Göhrum (1892), Hahnemannia (1889), S. 13, Schroers (2006), S. 100, und Grundmann (1993); ausführlicher Dinzinger (1999). 90 Laut StALB, Bestand E 162 II Bü. 537, Fasz. 11, hatte Müller am 21. Juni 1836 die Erlaubnis für das Selbstdispensieren und Herstellen homöopathischer Mittel erhalten. Dieses Recht wurde nach seiner Niederlassung in Rieth und der Gründung der Heilanstalt dort 1849 erneuert. 91 Zu diesen Verbindungen Grundmann (1989), S. 46 und S. 47 sowie S. 60-67. Sein eigenes missionarisches Streben fand auch Ausdruck in einem Buch über Ostindien: Müller (1841). 92 Allgemein zum Entstehen und zur Geschichte dieses Instituts Grundmann (1989) und Olpp (1914). Die Tätigkeit Müllers für das Institut wird auch dargestellt bei Müller (2001), S. 47-62. 93 Grundmann (1989), S. 39, aus der Abbildung des »Prospectus«, in dem für die Gründung des Instituts geworben wird. 94 Entsprechendes geht aus einem Schreiben hervor, das der Geschäftsführer des Tübinger Missionsvereins, Sarwey, an den Inspektor der Basler Mission 1841 verfasste, sowie aus dem Brief, den Müller selbst an den Inspektor richtete. Eine Transkription des Briefs in Grundmann (1989), S. 48-50. Zu dem Vorgang auch Schlatter: Indien und China (1916), S. 372f. Zu dem Institut knapp Friedrich Fischer (1991), S. 106-112. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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getheilt werden könnten«.95 Insbesondere aus den Reihen des Tübinger Missionsvereins wurde eine intensive Kooperation mit der Organisation gefordert, die so weit gehen sollte, »daß ein solches Institut von Basel abhängig sein müsse« und als »Filial der dortigen Anstalt betrachtet würde, sodaß Basel vom dortigen Institut Leute und aber auch Geldmittel herbeischafft«. Die Furcht vor einer Konkurrenzeinrichtung versuchte Müller zu zerstreuen, indem er beteuerte, dass eine Beeinträchtigung nicht in der Absicht des Tübinger »Committees« liegen würde – im Gegenteil würden mehr »Anstalten der Art […] desto mehr Lust und Liebe« für die Missionssache wecken.96 Aber auch der zweite Vorstoß Müllers fand kein Gehör. Er wurde mit der Begründung abgelehnt, dass »höchstens alle 10 Jahre« ein solcher Arzt benötigt würde.97 Inspektor Hoffmann präzisierte in einem Schreiben, dass zum einen nach Indien ausgesandte Brüder teilweise an der Universität von Basel medizinische Kenntnisse erworben hätten und zum anderen die dort vertretenen britischen Militärärzte zu einer unentgeltlichen Versorgung aller Kranken verpflichtet seien. Ein besonderes Unbehagen bereitete dem Basler Komitee offenbar, dass junge Männer ausgesandt werden sollten, »die sie nicht selbst und längere Zeit unter ihren Augen gehabt« hätten. Ferner führte Inspektor Hoffmann an, dass Tübingen als Ort der Ausbildung nicht geeignet schien und diese zu lange dauern würde. Und selbst wenn man die Ausbildung durchführen würde, wären möglicherweise noch immer nicht ausreichend Geldmittel vorhanden, um die Missionare tatsächlich auszusenden.98 In einer weiteren Ausführung, die von Basel an den Sekretär des Stuttgarter Hilfsvereins der Mission geschickt wurde, führte man zusätzlich zu diesen Gründen aus, dass man nicht überzeugt sei, »daß die Homöopathie (H[err] M[üller] ist ausschließlich Homöopath) für die Krankheiten der tropischen Klimata hinreicht«.99 Insofern stieß das Ansinnen Müllers nicht nur wegen 95 Dies ergibt sich aus den Hinweisen, die Müller in seinem Schreiben vom 25. Januar 1840 gibt. Das erste Schriftstück ist offenbar nicht erhalten geblieben. Der Brief von Müller an die Basler Mission in ABM, Bestand Q-3-4, 34, Gemischte Briefe (18361840), I-O. 96 Brief Müllers an Hoffmann, nach Grundmann (1989), S. 50. 97 ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 15 (1840-1841), S. 98, Sitzung vom 10. Februar 1841. Das Vorhaben wurde auch in den Sitzungen vom 17. März 1841 und vom 23. Juni 1841 thematisiert. Diese sind auf S. 108 und S. 122 zu finden. 98 Der ganze Brief ist transkribiert in Grundmann (1989), S. 53-56, und befindet sich ursprünglich in ABM, Bestand Q-3,12, Copier-Buch XII, S. 216-219, sowie ein weiteres Schreiben S. 244f. 99 Zitiert nach Grundmann (1989), S. 58. Das Original in ABM, Bestand Q-3,12, Copier-Buch XII, S. 244. Ähnliche Bedenken wurden auch von dem Herrnhuter Bruder geäußert, den letztendlich aber die Wirksamkeit einer niedrigen Potenz bei Krankheiten überzeugt hatte und der daher die Verwendung der Mittel empfahl, da sie zumindest weniger Schaden anrichten könnten als die allopathischen. »Da das eine Mittel Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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finanzieller und personeller Bedenken auf taube Ohren, vielmehr waren der Ort, die Art und Weise der Ausbildung und besonders die Skepsis gegenüber der Wirksamkeit der Homöopathie ausschlaggebende Gründe für die Ablehnung. Eine Unterstützung der Einrichtung durch die Basler Mission erfolgte also nicht.100 Georg Friedrich Müller verwirklichte seine Idee trotzdem.101 Das »Medicinische Missions-Institut zu Tübingen« nahm 1841 seine Lehrtätigkeit auf. Und obwohl die Basler Mission ihre Zweifel an dem Projekt deutlich gemacht hatte, war einer ihrer Zöglinge dort.102 Der Schorndorfer Johann gegen Schwarzwasser auf das Du mich in Deinem letzten Briefe gütigst aufmerksam machtest wohl nicht in einer Apotheke zu haben sein wird, so habe ich noch meine Methode angeführt. Sie ist zwar homöopathisch, aber ganz abgesehen davon, dass Phosph. 2 D. noch ziemlich substantiell ist, so hat sich die Methode mir doch schon in sehr vielen Fällen bewährt. […] Ich könnte M. D. [das ist die Missionsdirektion – M. B.] nur empfehlen den Geschwistern auch einige homöopath. Mittel mitzugeben, denn es giebt doch auch welche [gemeint sind die Brüder und Schwestern – M. B.], die sich beinah vor Vergiftung fürchten wann sie einmal ohne ärztl. Verordnung etwas allopath. zu nehmen haben. Das bezieht sich auch auf ganz unschuldige Mittel, weil eben doch die meisten nie wissen, was es ist.« UHB, Bestand MD 189, Missionsdirektion Missionsschule Niesky: Ärztliche Ausbildung der Missionsschüler, Empfehlungen von Mitteln gegen tropische Krankheiten u. a., das Schreiben Konrad Meiers, nicht paginiert. Hervorhebung im Original. Ebenfalls werden in anderen Dokumenten praktische Probleme bei der Verwendung homöopathischer Mittel deutlich. Aus der Mission in Surinam beispielsweise wurde geklagt, dass die Tinkturen in der Hitze zu schnell verdunsten und die Streukügelchen zusammenbacken würden. UHB, Bestand R.15.A.12.5, Die homöopathischen Apotheken betreffend 1865-1875, Schreiben vom August 1865. 100 Dabei gab es offenbar in dem Institut keine rein homöopathische Ausbildung. Vielmehr war es das Ziel, die Zöglinge »zu wissenschaftlichen Aerzten heranzubilden«. Die Schüler sollten daher ihr Studium mit einem Examen an der Universität abschließen und zugleich theologischen Unterricht erhalten. Eine Übersicht zu dem vollen Stundenplan verweist auf Vorlesungen in Osteologie, Anthropologie, Psychologie, Chemie, Anatomie und Pflanzenphysiologie sowie Chirurgie. Grundmann (1989), S. 73-75. Obwohl dabei die Homöopathie nicht erwähnt wird, liegt nahe, dass die Schüler durch die private Praxis und entsprechende Tätigkeit Müllers auf die Methode Hahnemanns aufmerksam geworden sind. Müller hielt eine solide Ausbildung, die sicherlich den Hinweis auf die Homöopathie mit einschloss, für nötig, weil den Zöglingen »im Heidengebiete alle und jede Hilfsmittel abgeschnitten sind«. Zudem wohnten die Zöglinge bei Müller, so dass sie von seiner Tätigkeit Kenntnis hatten. Ferner verweist auch das spätere Schreiben Lochers darauf, dass eine entsprechende schulmedizinische Ausbildung dennoch die Grundlage für eine homöopathische Tätigkeit sein konnte. Siehe den letzten Teil dieses Aufsatzes. Hinweise auf das Institut und seine Tätigkeit finden sich unter anderem in ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 16 (18421843 I), S. 63, Sitzung vom 15. Juni 1842, sowie Bd. 17 (1843 II-1844), S. 107, Sitzung vom 2. April 1844. 101 Hierzu auch die entsprechende Meldung in ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 15 (1840-1841), S. 186, Sitzung vom 15. Dezember 1841. 102 Zu der Frage, ob und, wenn ja, wie viele in Tübingen ausgebildete Zöglinge von Basel übernommen würden, wandte sich Müller erneut an das Komitee. ABM, Bestand ProUrheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Jakob Dehlinger war 1835 in die Gemeinschaft eingetreten und 1838 nach Indien ausgesandt worden.103 Gesundheitlich angeschlagen kehrte er jedoch 1840 nach Württemberg zurück und nahm in Tübingen ein Medizinstudium auf.104 Dabei hörte er unter anderem Vorlesungen der Professoren W. von Rapp, Bruns und Wunderlich.105 Zwar schloss Dehlinger seine Ausbildung in Tübingen ab. Aus gesundheitlichen Gründen ging er jedoch nicht wieder nach Indien.106 Auch einer der beiden anderen Absolventen stand in Verbindung mit der Basler Mission. Josias Sperschneider ist aber nicht im tokollbücher, Bd. 16 (1842-1843 I), S. 38, Sitzung vom 30. März 1842, sowie S. 53, Sitzung vom 11. Mai 1842. Hierauf antwortete der Inspektor, dass die Übernahme von Schülern aus Tübingen von den »Umständen und den Personen« abhängen würde und daher keine bestimmte Zahl im Voraus genannt werden könne. Außerdem wird das Institut erwähnt auf S. 63, Sitzung vom 15. Juni 1842. 103 Johann Jakob Dehlinger war der Sohn eines Chirurgen und 1809 geboren worden. Olpp (1914), S. 20f. Details zu Dehlinger auch in ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 14 (1837-1839), S. 43, Sitzung vom 11. Oktober 1837 (Bestimmung für Indien); dort und in weiteren Sitzungen werden Auskünfte zu seiner Ankunft gegeben, unter anderem in Bd. 16 (1842-1843 I), besonders S. 38 und S. 40, Sitzung vom 30. März 1842, S. 129, Sitzung vom 28. Dezember 1842, Bd. 17 (1843 II-1844), S. 59, Sitzung vom 7. Dezember 1843, S. 61, Sitzung vom 13. Dezember 1843, S. 78, Sitzung vom 31. Januar 1844, S. 200, Sitzung vom 26. Dezember 1844. Außerdem ABM, Bestand BV 189. 104 ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 15 (1840-1841), unter anderem S. 12, Sitzung vom 26. Februar 1840, S. 27, Sitzung vom 6. Mai 1840 (die Rückreise), S. 53, Sitzung vom 2. September 1840 (Aufenthalt in Schorndorf), S. 67, Sitzung vom 14. Oktober 1840; S. 71 und S. 74 gibt Dehlinger vor dem Komitee einen Bericht über seinen Aufenthalt in Indien; S. 110f., Sitzung vom 24. März 1841 (Plan, Dehlinger Medizin studieren zu lassen, so dass er gegebenenfalls als Arzt nach Indien zurückkehren kann). 105 Zu Johann Jakob Dehlinger ABM, Bestand BV 189 – darin sind auch die Zeugnisse enthalten –, sowie Schlatter: Heimatgeschichte (1916), S. 373f., und Schlatter: Indien und China (1916), S. 21 und S. 42; Grundmann (1989), S. 52. W. von Rapp bescheinigte Dehlinger nicht nur »Fleiß im Studium der Naturwissenschaften und der Medizin«, sondern auch, dass er »wiederholt an Leberkrankheit und an dysenterischen Leiden« litt und von ihm behandelt wurde. Auch im Nachruf auf Müller, Göhrum (1892), S. 193, ist von den Vorlesungen eines Professors W. von Rapp in Tübingen die Rede. Es kann sich dabei aber nicht um Georg Rapp, den späteren Verfechter der Homöopathie, handeln, da dieser in den 1840er Jahren noch in Würzburg und Paris studierte. Georg Rapp wurde 1850 zum Professor in Tübingen ernannt, 1854 aber wieder entlassen. Ab 1882 war er Leibarzt der württembergischen Königin Olga. Zu Georg Rapp und seiner Tätigkeit Held (1999) sowie Schroers (2006), S. 111. 106 Friedrich Fischer (1991), S. 109. Nach Olpp (1914), S. 22, war Dehlinger dann als Arzt in Schorndorf und Brackenheim tätig, wo er 1864 starb. Zur ärztlichen Mission der Basler Gesellschaft in Indien Trapp (2004) und Valiaparampil (1996). Dehlinger beantragte beim Komitee eine Verlängerung seiner Studienzeit in Tübingen und gab über seinen Gesundheitszustand – er litt an Durchfall und Krämpfen – Auskunft. Hierzu ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 18 (1845-1846 I), S. 19, Sitzung vom 29. Januar 1845, S. 50, Sitzung vom 16. April 1845, S. 59, Sitzung vom 14. Mai 1845, und S. 113, Sitzung vom 8. Oktober 1845 (Dehlinger bittet um Heiratserlaubnis und erklärt, nicht nach Indien zurückkehren zu können). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Brüderverzeichnis geführt, da er offenbar nie in die Gesellschaft eingetreten war.107 Sperschneider wurde als Sohn eines lutherischen Missionars 1824 in Indien geboren.108 Er kam aus der Brüdergemeine Korntal und wurde durch Basler Hilfe an eine Privatschule in Bönnigheim verwiesen, von wo aus er für ein kostenloses Medizinstudium nach Tübingen gelangte.109 Später wurde er als Missionar nach Indien entsandt, nachdem er seine Ausbildung auch in München fortgesetzt hatte.110 Bei dem Schüler Philippe Liaudet schlug eine Aussendung im Dienst einer französischen Missionsgesellschaft fehl111, während der Missionar Rudolf Ferdinand Roser, der nur von 1842 bis 1844 in Müllers Einrichtung gewesen war, seine Ausbildung in Marburg abschloss und später im Dienst der Herrnhuter Brüdergemeine in Südafrika tätig wurde112. Letztendlich scheiterte das Tübinger Institut jedoch an der mangelnden Unterstützung und Nachfrage der Missionsgesellschaften und besonders an der 107 Es gibt keinen Eintrag zu einem Josias Sperschneider im Brüderverzeichnis der Missionsgesellschaft. Zu Sperschneider auch ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 14 (1837-1839), S. 187, Sitzung vom 2. Oktober 1839, und S. 199, Sitzung vom 6. November 1839. 108 Zu Josias Sperschneider nähere Informationen in Olpp (1914), S. 18f. 109 In Korntal gab es seit 1819 eine evangelisch-pietistische Brüdergemeine, die mit Basel in regem Kontakt stand. Zeitweise wurde überlegt, eine Vorschule für die Ausbildung künftiger Zöglinge in Korntal einzurichten. Hierzu Schlatter: Heimatgeschichte (1916), S. 153-156. Die weiteren Informationen nach Grundmann (1989), S. 68, und einer Publikation Müllers in Der Christen-Bote, die auf S. 81 zitiert wird. Hierzu auch ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 15 (1840-1841), S. 85, Sitzung vom 6. Januar 1841, S. 136f., Sitzung vom 7. Juli 1841, und S. 186, Sitzung vom 15. Dezember 1841. Es heißt dort: »Josias Sperschneider ist im Herbst 1841 als der Erstling in dieses Institut [gemeint ist Müllers Einrichtung – M. B.] eingetreten. Auch Dehlinger befindet sich an Dr. Müllers Tisch.« 110 Grundmann (1989), S. 70, und Olpp (1914), S. 19. Offenbar war Sperschneider ab 1847 in Indien, heiratete dort und kehrte mit seinen Kindern 1874 nach Deutschland zurück. Bereits zwei Jahre später reiste er wieder nach Indien, wo er 1882 starb. In Indien war er bei einem Radscha angestellt. Hierzu Schlatter: Heimatgeschichte (1916), S. 374. 111 Philippe Liaudet stammte aus der Westschweiz und war im Dienst der Pariser Missionsgesellschaft für die Ausbildung nach Tübingen gelangt. Seine Aussendung nach Südafrika war wegen finanzieller Probleme nicht möglich. 1850 starb Liaudet in Tübingen, ohne je auf einem Missionseinsatz gewesen zu sein. Ausführlicher mit den Angaben der Quellen Grundmann (1989), S. 70f.; Olpp (1914), S. 19f. 112 Müller (2001), S. 60 und S. 62. Zu Roser und seiner medizinischen wie homöopathischen Tätigkeit in Südafrika Bechler (1932), S. 128-131. In UHB, Bestand Dienerblätter, S. 358, finden sich folgende Angaben zu seiner Person: Rudolf Ferdinand Roser, geboren 1819 in Stuttgart, gestorben 1883, ab 1848 examinierter Apotheker in Stuttgart, dann 2 1/2 Jahre Medizinstudium in Tübingen, Stuttgart und London, Dienst in Gnadenthal in Südafrika. Auch Grundmann (1989), S. 72. Roser ist damit einer der Ärzte in der Herrnhuter Brüdergemeine, die in Verbindung mit der Homöopathie standen. Hierzu die Ausführungen in der Einleitung und am Ende dieses Aufsatzes. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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fehlenden finanziellen Basis. Da Müller zudem berufliche Probleme wegen des Vorwurfs der unerlaubten medizinischen Tätigkeit bekam, verließ er 1848 Tübingen.113 Seine Interessen hatten sich außerdem schon seit einiger Zeit verlagert, und er widmete sich in der Folge der Pflege und Betreuung geistig Behinderter.114 Dennoch waren mit diesem erfolglosen Vorstoß Müllers bei der Basler Mission nicht alle Versuche verebbt, für die Homöopathie im Dienst der Missionstätigkeit einzutreten. Im Jahr 1845 erreichte das Komitee, zusammen mit der Bitte der »Direction der Ostfriesländischen Missionsgesellschaft« um finanzielle Unterstützung, das Schreiben eines »Conrectors« Bär, der das Studium der Homöopathie empfahl.115 In einer späteren Sitzung wurde diese Anregung präzisiert. Offenbar legte Herr Bär aus Leer in Ostfriesland nahe, »Hahnemanns Buch über d. chronischen Krankheiten zu lehren«.116 Gemeint ist Hahnemanns Spätwerk über »Die chronischen Krankheiten«, das dieser in einer ersten Auflage 1828 publiziert hatte. Mit der darin formulierten »Psoralehre« rief der Homöopathiebegründer allerdings sogar bei seinen Anhängern zum Teil heftige Kritik hervor.117 Ob den Mitgliedern des Komitees diese Debatte zu Ohren gekommen war, ist unbekannt. Im Verlauf des Protokolls ist jedoch weder von einer Diskussion dieses Vor113 Zum Ende des Instituts Grundmann (1989), S. 79-84; Olpp (1914), S. 23. 114 Zu dieser Tätigkeit ausführlich Müller (2001) und Göhrum (1892), der das Institut in Tübingen gar nicht erwähnt. Müller gründete zunächst in Rieth eine »Heil- und Pflegeanstalt für schwachsinnige Kinder«, die später nach Winterbach umzog und 1863 das Schloss in Stetten erwarb, wo die Einrichtung noch heute unter dem Namen Diakonie Stetten besteht. Müller schied 1860 aus der Anstalt aus und praktizierte in Schwäbisch Gmünd als homöopathischer Arzt. 115 Um wen es sich dabei handelte, ist unklar. In der Frühzeit der Basler Mission gab es einen Missionar namens Johann Jakob Bär, der im Dienst einer Rotterdamer Gesellschaft auf verschiedenen Inseln in Holländisch-Indien unterwegs war. Dieser starb allerdings 1851 auf einer Insel der Molukken und kann daher kaum der fragliche Briefschreiber sein. Schlatter: Heimatgeschichte (1916), S. 60f.; Eppler (1900), S. 21. Zu dieser dennoch interessanten Person ABM, Bestand BV 8, und ein Lebensbild: Steiner (1920). Außerdem kann es sich auch nicht um den späteren Autor des Werkes handeln, das Bruder Locher in Afrika nutzte. Hierzu die Ausführungen im folgenden Teil des Aufsatzes. 116 ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 18 (1845-1846 I), S. 12, Sitzung vom 15. Januar 1845 (»Ein beiliegendes Schreiben von H. Conrector Bär empfiehlt das Studium der Homöopathie.«), und S. 15, Sitzung vom 22. Januar 1845 (»Conrector Beer in Leer (Ostfriesland) empfiehlt das Studium der Homöopathie & räth an, Hahnemanns Buch über d. chronischen Krankheiten zu lehren (cf. Pg. 12).«). Allerdings ist in den gemischten Briefen in den Jahren von 1841 bis 1845 und 1846 bis 1850 kein Brief eines »Conrectors« Bär erhalten geblieben. ABM, Bestand Q-3-4, 26 und 29. 117 Hahnemanns Werk »Die chronischen Krankheiten« war 1835 bis 1839 in einer zweiten Auflage erschienen. Mittlerweile ist es bearbeitet und neu aufgelegt worden: Hahnemann (2006); zu Inhalt und Rezeption des Buches Schmidt (2001), S. 153, Ulrich Fischer (2002) und Klunker (1990). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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schlags die Rede noch wurde ein Beschluss positiver wie negativer Art gefasst. Vielmehr steht zu vermuten, dass die Anregung Bärs zur Kenntnis genommen wurde, ohne dass darauf eine weitere Reaktion erfolgte. Seit 1845 erhielten die Brüder dann allerdings eine schulmedizinische Ausbildung durch den Arzt Carl Streckeisen. Auch von Seiten der in Afrika stationierten Missionare war vielfach der Wunsch zu hören, dass man den nachzusendenden Brüdern Kenntnisse im Aderlassen und Schröpfen vermitteln und ihnen die dafür nötigen Instrumente mitgeben solle. Außerdem erhielten die ausgesandten Missionare »Medizinkisten«, in denen sich für die Tropen ausgewählte trockene Arzneien und medizinische Instrumente, wie Aderlasslanzetten und Schröpfköpfe, befanden.118 Die Homöopathie schien in Vergessenheit zu geraten. Ende: »Die Homöopathie statt der Allopathie […] einzuführen, gehe nicht an […]« Die gesundheitlichen Probleme der nach Afrika ausgesandten Missionare ließen in ihrer Dringlichkeit jedoch nicht nach.119 So bemühten sich die Einzelnen, die dort tätig waren, immer wieder darum, doch einen Arzt aus Basel geschickt zu bekommen.120 In diesem Zusammenhang steht das Schreiben des Bruders Locher, das das Komitee im September 1865 zu besprechen hatte.121 Eindringlich legte Christoph Locher den Verantwortli118 Hierzu Friedrich Fischer (1991), S. 55-57. Zu den verlangten Medikamenten S. 525. Daneben griffen die Missionare auch auf die »einheimischen« Mittel zurück, die bereits Riis geholfen hatten. Friedrich Fischer (1991), S. 98; Schlatter: Afrika (1916), S. 40. Da auch die »Medizinkisten« von Streckeisen eingerichtet wurden, ist nicht anzunehmen, dass darin homöopathische Mittel enthalten waren. Die mitgegebenen Mittel werden nicht detailliert genannt. Zur Ausbildung durch Streckeisen siehe ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 18 (1845-1846 I), S. 26, Sitzung vom 26. Februar 1845, sowie Bd. 19 (1846 II-1848), S. 14f., Sitzung vom 29. Juli 1846. Zu Streckeisens Tätigkeit Friedrich Fischer (1991), S. 110f. Demgegenüber wurden zumindest einige der Hermannsburger Missionare auch mit homöopathischen Mitteln ausgestattet. Hierzu Schulte (1998), S. 74 und S. 121. Doch vertrauten die Brüder auch weiterhin auf »einheimische« Mittel, wie beispielsweise das Schreiben des Missionars Stanger zeigt. ABM, Bestand D-1, 2-Christiansborg-1847-Nr. 17. 119 Friedrich Fischer (1991), besonders S. 99-104, sowie allgemein zur Tätigkeit der Basler Mission in Ghana Schweizer (2002) und Steiner (1909). 120 Hierzu Friedrich Fischer (1991), S. 99-104. 121 Christoph Wilhelm Locher war in Abokobi tätig, eine Beschreibung der Siedlung bei Schweizer (2002), S. 79-81. Zur Person Lochers Friedrich Fischer (1991), S. 100f., sowie ABM, Bestand BV 308. Locher war 1819 geboren worden und seit 1845 im Missionshaus gewesen. 1849 wurde er an die Goldküste ausgesandt, wo er bis 1867 tätig war. 1869 übersiedelte er als Pastor nach Amerika, wo er in Ohio 1888 starb. Im Protokoll selbst wurde sein Anliegen mit den folgenden Worten umschrieben: »Br. Locher, Abokobi, Jun. 9. übersendet zur Einsicht & Beherzigung einen Brief, welchen Dr. Gunn an ihn geschrieben, betreffend die Wünschbarkeit eines Missionsarztes für unsere Afrikanische Stationierung. Locher redet bei diesem Anlaß der Homöopathie Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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chen ans Herz, einen ausgebildeten Mediziner nach Afrika zu entsenden. Unterstützung erfuhr er dabei von einem englischen Arzt, der seither die Betreuung der erkrankten Missionare übernommen hatte. Der Therapeut namens Gunn hatte die Behandlung der Basler Missionare sogar zum Teil kostenlos durchgeführt. Nun stand er kurz vor seiner Abreise und sah es als seine Pflicht an, das Komitee eindringlich um einen ausgebildeten ärztlichen Fachmann für die in Afrika tätigen Missionare zu bitten.122 Am Ende des Schreibens äußerte Locher eine ganz eigene Ansicht und schlug vor: »Sie sollten für [die] Missionare Unterricht in der Homöopathie für den in der Allopathie aufnehmen.« Offenbar beschäftigte Locher dieser Gedanke schon geraume Zeit, doch er hatte – zu Recht, wie sich an der Reaktion auf sein Schreiben zeigen sollte – gefürchtet, auf Ablehnung zu stoßen.123 Locher selbst wurde bereits 1853, wie er schrieb, auf die Homöopathie aufmerksam. Er fand, »daß diese Wissenschaft es viel genauer nimmt mit den Symptomen einer Krankheit, als ihre ältere Schwester«. Insbesondere kritisierte er an der herkömmlichen Medizin, dass diese die Medikamente, die sie anwenden würde, »nicht genügend« kenne. Bei Krankheiten werde eine Reihe Mittel gegeben nach dem Verfahren: »erst das & hilft das nicht dann das etc.« Locher selbst bezeichnete sich als Laie und hatte lediglich zwei Monate Unterricht durch den Arzt Streckeisen in Basel erfahren.124 Wie er schrieb, »zum Glück aber gerade den Unterricht, der mir auch für die Homoeopathie am meisten nützt, nemlich Erkennen der Krankheit«. Seither habe er »viel homoeop. Medizin verabreicht, mit mehr od. weniger Erfolg, je nachdem ich genau erkannte & die rechte Medizin wählte. Aber erst seit mir ein Handbuch zugekommen ist, das noch nicht einmal vollständig ist, nemlich Bähr’s Therapie nach homoeop. Grundsätzen, habe ich mehr Erfolg mit der Homoeopathie.« Neben seinen eigenen Kindern hatte er auch Kranke aus der Gemeinde behandelt und betonte, dass er die Mittel selbst besorgt habe und nicht auf Kosten der Mission. Das Buch, das Locher erwähnte, ist das Werk Bernhard Bährs, das dieser in drei Bänden mit dem Titel »Die Therapie nach den Grundsätzen der Hodas Wort, die statt der Allopathie im Haus gelehrt werden sollte.« ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 36 (1865), S. 94, Sitzung vom 13. September 1865. 122 Das englische Schreiben ist in dem Brief Lochers vom 9. Juni 1865 enthalten. ABM, Bestand D-1, 17-Abokobi-Nr. 11a, eine Übersetzung und Teiltranskription in Friedrich Fischer (1991), S. 100f., zu den Vorgängen auch Schlatter: Afrika (1916), S. 187. Auch von einer Generalkonferenz, die zu diesem Thema getagt hatte, wurde der Vorschlag unterstützt. Für einen Arzt sah man ein vielfaches Betätigungsfeld als Missionar, Hausarzt, Forscher und Ausbilder. Hierzu mit den Zitaten Friedrich Fischer (1991), S. 101f. 123 Das Schreiben Lochers vom 9. Juni 1865: ABM, Bestand D-1, 17-Abokobi-Nr. 11a. Für den Gesamtzusammenhang siehe den Auszug des Briefs im Anhang. Diese Passage wird in Friedrich Fischer (1991) nicht erwähnt. Alle weiteren Zitate aus diesem Schreiben. 124 Zu dem Arzt Streckeisen die Ausführungen in Anm. 34. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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möopathie« zwischen 1862 und 1866 herausgegeben hatte.125 Zwar kann dem Missionar nur der erste Teil aus dem Jahr 1862 vorgelegen haben, aber bei einem Blick in das etwa 700 Seiten starke Buch kann man nachvollziehen, weshalb Bruder Locher diese Schrift so aufschlussreich fand. In der Vorrede betonte der Autor, dass es den Anschein haben mag, dass »der pathologische Theil gegen den therapeutischen sehr bevorzugt« sei.126 Dies liege daran, dass er »es für einen sehr fühlbaren Mangel der homöopathischen Literatur [halte – M. B.], dass der Diagnose so gar wenig Aufmerksamkeit und Sorgfalt geschenkt wird«. Doch sei diese »das erste, nothwendigste Bedingniss einer vollständigen und brauchbaren Krankengeschichte«. Zwar habe er die therapeutischen Angaben »möglichst kurz gehalten, um auf keine Weise der Meinung Grund zu geben, als sollte dies Buch die Einsicht der Arzneimittellehre überflüssig machen«. Doch bedeutete dies letztendlich, dass so einem Leser, der keinen entsprechenden Überblick zu der Wirksamkeit einzelner Medikamente hatte und dem keine Arzneimittellehren zur Verfügung standen, in einem Buch gängige Diagnosen und Krankheitsbilder gemeinsam mit den passendsten Mitteln genannt wurden. Bähr verwies ausdrücklich darauf, dass eine vollständigere Aufzählung aller in Frage kommenden Arzneien eher zu Verwirrung denn zum Nutzen gereichen würde.127 Dabei war der Autor sich bewusst, dass »ueber die Zulässigkeit einer auf die pathologischen Genera und Species basirten Therapie« viel gestritten werden könne. Allerdings schätzte er die Brauchbarkeit einer Herangehensweise, welche »allein in der Arzneimittellehre« liege, für den »practischen Zweck« gering ein. Das Anliegen des von Bähr vorgelegten Buches war, »Anfängern in der Homöopathie als Leitfaden zu dienen bei Behandlung von Krankheiten«. Deswegen schloss er sich »ganz und gar an die Pathologie« an, um »den von dieser aufgestellten Kategorien eine Anzahl von Mitteln gegenüberzustellen, die vorzüglich bei der Behandlung« gewesen waren und daher nach den seitherigen Ergebnissen und der Meinung Bährs »zuerst in Frage kommen müssen«.128 Bähr beschrieb in einer 125 Bernhard Bähr war 1828 in Hannover geboren worden. Er war Leibarzt König Georgs V. und führte eine Praxis in Hannover. Bähr starb 1884 in Österreich. Weitere Angaben bei Schroers (2006), S. 6. Allgemein zu der zur Verfügung stehenden homöopathischen Hausarztliteratur in dieser Zeit: Willfahrt (1991/92). 126 Dies und die folgenden Zitate aus Bähr (1862), S. V-VII. Bähr folgte damit den Ausführungen, die Franz Hartmann in seinem Werk über die »Therapie akuter Krankheitsformen« formulierte: Hartmann (1834). Bähr hätte eigentlich eine vierte, überarbeitete Auflage des Hartmannschen Buches herausgeben sollen. Er hatte sich jedoch entschieden, »eine ganz neue, wenn auch ähnliche Bearbeitung zu versuchen«, wobei viele Stellen Hartmanns Werk entlehnt sind, ohne dass »die Quelle speciell angegeben wurde«. Bähr (1862), S. V-VII. 127 Er vermerkte dazu in der Einleitung, Bähr (1862), S. VI: »Man kann sehr leicht für ein praktisch brauchbares therapeutisches Werk zu viel Mittel für den concreten Fall anführen, und thut besser, die wesentlichsten hervorzuheben.« 128 Bähr (1862), S. 44. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Einleitung die Grundprinzipien der Homöopathie, bestehend aus der Prüfung der Arznei am gesunden Organismus, dem Ähnlichkeitsgesetz, der Krankheitsdiagnose, der Einfachheit der Arznei, der Gabengröße, der Bereitung und Wiederholung der Arznei sowie der Diät.129 Er betonte in Bezug auf die Erhebung des Krankheitsbildes jedoch, dass die seitherige Entwicklung der Medizin einige Punkte Hahnemanns revidiert habe.130 Insbesondere über die Forschung nach dem Entstehen der Krankheiten und dem Zusammenhang einzelner Symptome solle man nachdenken. Bähr verwies hier auf die »Psoralehre« Hahnemanns, mit der dieser ebenfalls eine gemeinsame Ursache für eigentlich unabhängig voneinander zu sehende Symptome benannte.131 Zu diesen nach außen wahrnehmbaren Symptomen zählte Bähr auch die Ergebnisse physikalischer und chemischer Diagnosen. Ferner forderte er, die inneren Vorgänge, die nachweislich den äußeren Kennzeichen zugrunde liegen würden, zu bestimmen. Es folgte die Besprechung einzelner Krankheitsbilder entsprechend den pathologischen Entstehungszusammenhängen.132 Bei den Erkrankungen des Darmkanals, die den Missionar Locher sicher aus naheliegenden Gründen interessiert haben dürften, beschrieb Bähr neben dem einfachen »Darmkatarrh« auch »Cholerine«.133 Die Ursache für das Auftreten derartiger Erkrankungen sah er einerseits in den atmosphärischen Verhältnissen, andererseits könne auch Obst sehr häufig hierfür verantwortlich sein.134 Es folgt eine Beschreibung der gängigsten Symptome und Zeichen, wobei nach einem kurzen »Vorläuferstadium« in heftigeren Anfällen das Leiden selbst »mit reichlichen durchfälligen und mit vielen Gasen gemischten Oeffnungen« eintrete.135 Bähr verwies dann zwar darauf, dass bei Durchfallerkrankungen »eine ziemlich grosse Anzahl von Arzneien wählbar« sei, weswegen man auf jeden Fall die Arzneimittellehre zu Rate ziehen solle. Dennoch empfahl er beispielsweise bei »Darmkatarrh« infolge 129 Bähr (1862), S. 1-64. 130 Hierzu die Ausführungen Bährs (1862) zur Krankheitsdiagnose, S. 32-45. 131 Zur »Psoralehre« Hahnemann (2006) und Ulrich Fischer (2002). 132 Bähr (1862). Die Überschriften des ersten Bandes sind: Krankheiten des Gehirns, des Rückenmarks und des Nervensystems im Allgemeinen, Krankheiten des Kopfes (einschließlich der Augen, Ohren und Nase), Krankheiten des Mundes, Rachens und Oesophagus, Krankheiten des Magens, Darmkanals und des Peritonäum, Krankheiten der Leber, der Milz und des Pankreas, Krankheiten des uropoëtischen Systems (darunter fasste er Erkrankungen der Nieren und der Blase). 133 Fiebererkrankungen und Infektionskrankheiten, wie Scharlach, Masern und Pocken, wurden, ebenso wie Erkrankungen der Haut, der Atemorgane und der Sexualorgane, im zweiten Band, Bähr (1866), beschrieben. 134 Bähr (1862), S. 445f. 135 Das Vorläuferstadium sei gekennzeichnet durch »ein unangenehmes, unbehagliches Gefühl, Widerwillen gegen Speisen, allgemeine Frostigkeit, auch wohl Schwindel und Kopfeingenommenheit«. Bähr (1862), S. 446. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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einer Erkältung bei Erwachsenen, dessen Ausleerung »stets aber dunkel« sei, Rheum. Für ähnliche Erkrankungen im Sommer, die »mit kolikartigen Schmerzen in der Umgebung des Nabels« einhergehen, legte Bähr Dulcamara nahe, wohingegen bei Katarrhen, die nach »Gemüthsbewegung« »vorzüglich in der Nacht« auftreten, eher Chamomilla zu wählen sei. Bei dem Durchfall, den zahnende Kinder hatten, verwies er auf Mercurius solubilis. In ähnlicher Weise stellte er die Medikamente Ipecacuanha, Colocynthis, Colchium und Pulsatilla vor bzw. beschrieb, bei welchen Formen der Ausleerungen und Schmerzen diese besonders geeignet seien.136 Gegen »Cholerine«, die durch »ein sehr reichliches Erbrechen, welches sich ausserordentlich oft wiederholt«, und Durchfall gekennzeichnet werden, legte Bähr den Gebrauch von Ipecacuanha, Veratrum album und Arsenicum album als Hauptmittel in niedrigen Verdünnungen nahe.137 Insofern zeigt sich deutlich, dass ein Laie, wie es Bruder Locher war, mit einem solchen Buch viel bewirken konnte. Die Feststellung, um welche Krankheit bzw. Symptome es sich handelte, hatte der Missionar sogar noch in dem Kurs von Streckeisen in Ansätzen erlernt. Daher wurden ihm durch Bährs Werk zumindest die gängigen homöopathischen Mittel gegen die Leiden empfohlen, ohne dass er über eine intensive Kenntnis der Materia medica verfügen geschweige denn die entsprechenden Arzneimittellehren zur Hand haben musste. Damit entsprach Bährs Buch den Anforderungen der Praxis vor Ort, besonders in einer Umgebung, die durch das Fehlen von Bibliotheken, Ausbildungsstätten oder Buchhandlungen bestimmt war. Christoph Locher war davon überzeugt, dass für alle Krankheiten, auch das »hiesige Fieber«, für das er bisher noch keine brauchbare Medizin gefunden habe, ein entsprechendes homöopathisches Heilmittel vorhanden wäre.138 Doch vermerkte er: »Aber dazu gehört ein Arzt, & nicht ein Pfuscher wie ich bin, diese Mittel zu finden.«139 Abschließend wies er auf die Vorteile der Homöopathie hin. Dies wäre zum einen, dass die Gefahr beseitigt wäre, »daß Leute, die nicht sachverständig sind, gefährlichen Medicinen [sic!] verabreichen, aber wie man zu Hause so gern sagt von der Homoeopathie: ›Hilfts nichts, so schadets nicht‹.«140 Ganz davon abgesehen, dass Locher 136 Bähr (1862), S. 447-449. Zumindest Chamomilla und Ipecacuanha befanden sich auch auf den Listen der Medikamentenbestellungen der afrikanischen Missionare. Friedrich Fischer (1991), S. 525. Eine mögliche homöopathische Verdünnung hätten die Betroffenen selbst herstellen müssen. Zur Erläuterung der einzelnen Mittel knapp Schmidt (2001), S. 238-240. 137 Bähr (1862), S. 449-455. 138 Da die Fiebererkrankungen erst in dem zweiten Teil, Bähr (1866), besprochen wurden, konnte Locher hier noch keinen Rat aus dem ihm vorliegenden Teil erwarten. 139 ABM, Bestand D-1, 17-Abokobi-Nr. 11a, vom 9. Juni 1865. Der gesamte Zusammenhang ist dem Auszug des Briefs im Anhang zu entnehmen. Die folgenden Zitate siehe dort. Hervorhebungen im Original. 140 In dieselbe Richtung zielt auch die Begründung, die der Missionar Konrad Meier der Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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eine homöopathische Ausbildung für sehr viel hilfreicher hielt als diejenige in der Schulmedizin, wobei er allgemein den Eindruck hatte, »daß die Brüder im Missionshaus sehr wenig von der allop. Arzneimittellehre lernen«, betonte er zum anderen, dass die homöopathischen Mittel im Ganzen gesehen sehr viel preiswerter seien. Dies gelte selbst dann, wenn man berücksichtigen würde, dass eine Erstanschaffung der benötigten Tinkturen in »gut geschliffenen Glastöpfchen« etwas teurer sei. Denn mit den Streukügelchen käme man hier nicht aus.141 Bisher hätten bereits etliche Brüder homöopathische Medizin mitgebracht, aber da diese »bald verdarben & die Brüder eben von Homoeopathie nicht viel verstanden, & keine Zeit hatten, in Anfang ihres hiesigen Aufenthaltes, sich hineinzuarbeiten, so blieb die Sache wieder liegen & und war ein Stück Grümpel mehr im Lande«. Locher schloss seinen Brief mit dem Hinweis, dass sein eigenes Kind mit einer entsprechenden homöopathischen Kur innerhalb von acht Tagen von einer Brechruhr geheilt worden sei, während andere Kinder drei bis vier Wochen daran litten und manche sogar gestorben waren. Er drückte seine Hoffnung auf eine positive Entscheidung mit dem Verweis auf die höchststehende Instanz aus: »Der Herr unser Meister & Arzt wolle Ihnen Seinen Willen auch in dieser Sache zeigen.« Die Reaktion des Komitees war aber, ähnlich wie es Locher bereits befürchtet hatte, ablehnend. Dies betraf beide von ihm angesprochenen Punkte – wobei der Bruder in Bezug auf die Aussendung eines Arztes vertröstet wurde, da »bis dahin ein Missionsarzt nicht habe gefunden werden können & wir [gemeint ist vermutlich sowohl das Komitee als auch Locher – M. B.] demnach aufs Warten gewiesen seien«.142 Im Zusammenhang mit dem vorgeschlagenen Unterricht der Homöopathie fanden die Verantwortlichen hingegen eindeutigere Worte und formulierten: »Die Homöopathie statt der Allopathie oder neben derselben als Doctrin im Hause einzuführen, gehe nicht an, doch bleibe es, wie bisher, einzelnen Zöglingen unbenommen, Herrnhuter Brüdergemeine nannte. UHB, Bestand MD 189, Missionsdirektion Missionsschule Niesky: Ärztliche Ausbildung der Missionsschüler, Empfehlungen von Mitteln gegen tropische Krankheiten u. a, das Schreiben Konrad Meiers, nicht paginiert. 141 Die mangelnde Qualität bzw. Verwendbarkeit von schlechten Streukügelchen wurde auch bei den Herrnhutern deutlich. UHB, Bestand R.15.A.12.5, Die homöopathischen Apotheken betreffend 1865-1875. Allerdings verwies man im selben Schreiben darauf, dass die flüssigen Tinkturen zu schnell verdunsten würden, und gab daher den Streukügelchen aus Milchzucker dennoch den Vorzug. Eine ähnliche Argumentation auch bei Hey (1930), S. 313f. Er nannte dort neben den wirtschaftlichen Argumenten auch die Nichtschädlichkeit der homöopathischen Mittel. Ferner verwies er auf die besondere Eignung der geruchslosen und geschmacksneutralen Medikamente für Kinder und die Möglichkeit, bei rechtzeitiger Anwendung der Homöopathika eine Operation vermeiden zu können. Eine Lösung hierfür schlug der Apotheker Schwabe einem anderen Missionar vor. Hierzu die Ausführungen in Anm. 153 und 154. 142 ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 36 (1865), S. 94, Sitzung vom 13. September 1865. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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homöopathische Bücher zu lesen.«143 Die Meinung zur Homöopathie präzisierte Inspektor Josenhans in einem Schreiben dahingehend, dass der aktuelle Unterricht ausreichend sei und gewisse Grundkenntnisse besonders in Anatomie, Physiologie und Pathologie für beiderlei medizinische Praktiken hilfreich seien.144 Ferner ging er davon aus, dass die »neuste Medicin durch die Lehre der Homöopathie bereits so modificiert sei, daß kein Lehrer der Med. die Principien der Homöopathie ignorieren« könne. Daher glaubte er, dass »unsere Lehrer der Med. auch unseren Brüdern das Nötigste in der Homöopathie u. Allopathie sagen werden«. Das Komitee könne sich jedoch nicht dazu entschließen, eine der beiden Methoden ausschließlich zu lehren, geschweige denn »unseren Lehrern zu befehlen, daß sie die Homöopathie« adaptieren müssten. Dies hätte sonst zur Folge, dass die entsprechend beschäftigten Herren ihre Stellen niederlegen würden.145 Die drei Homöopathen aus Basel seien jedoch aus verschiedenen Gründen nicht akzeptabel. Der eine käme wegen seines Charakters, der zweite wegen seiner mangelnden Kenntnisse nicht in Frage, und der dritte würde wegen fehlender Zeit eine Absage erteilen.146 Ferner würden die momentan beschäftigten Herren zugleich als Hausärzte fungieren. Sollten sie also ihr Amt niederlegen und stattdessen Homöopathen die Aufgabe übernehmen, würde das vielen im Institut sehr missfallen. Josenhans verwies dabei auf den Todesfall eines Bruders, der nach Überzeugung einiger Angehöriger der Missionsgesellschaft vermeidbar gewesen wäre, wenn der Verstorbene »statt v. einem Homöopathen v. einem Allop[athen] behandelt worden wäre«. Wenn aber, so fuhr er fort, die Brüder »privatim Homöopathie studieren, so hat niemand v. uns was dagegen«.147 Gleichermaßen wurde der Missionar auch bezüglich der Bitte um die Heimreiseerlaubnis »zur Geduld« gewiesen. Eine Unterstützung bei seiner Arbeit in der örtlichen Schule wurde ihm durch einen weiteren Missionar in Aussicht gestellt.148 143 ABM, Bestand Protokollbücher, Bd. 36 (1865), S. 94, Sitzung vom 13. September 1865. 144 ABM, Bestand D-2, 5, S. 72, Antwortschreiben von Inspektor Josenhans an Bruder Locher. 145 Der Inspektor verwies dabei auf zwei Herren namens Busch sowie den Spitalarzt. 146 In dem Schreiben werden keine Namen genannt. Um 1865 gab es in Basel drei praktizierende homöopathische Ärzte, die Basel eine »Blütezeit« in der Homöopathie bescherten. Erlach (2009), S. 6. 147 ABM, Bestand D-2, 5, S. 72, Antwortschreiben von Inspektor Josenhans an Bruder Locher. 148 ABM, Bestand D-2, 5, S. 71, Antwortschreiben von Inspektor Josenhans an Bruder Locher, sowie Bestand Protokollbücher, Bd. 36 (1865), S. 94, Sitzung vom 13. September 1865. Hierzu auch Friedrich Fischer (1991), S. 113. Den Missionaren war es nicht gestattet, ohne eine Erlaubnis aus Basel nach Hause zurückzukehren. Hierzu ebenfalls Friedrich Fischer (1991), S. 50-53. Wenigstens wurde Locher die »Anschaffung eines Pferdes« erlaubt, »das ihm zur Heidenpredigt« bisher fehlte. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Was jedoch die einzelnen Missionare der Gesellschaft sozusagen freiwillig und aus eigenem Interesse gelesen haben, ist in den vorliegenden Quellen kaum oder nur nach mühevoller Durchsicht aller überlieferten Schreiben nachzuweisen. Daher bleibt letztendlich unbekannt, wie viele der Basler Missionare sich selbständig über die Lehre Hahnemanns informierten oder diese sogar praktizierten. Trotzdem blieb zumindest in Indien das Interesse der Ausgesandten an der Lehre Hahnemanns erhalten.149 Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Basler Mission in Indien verlas ein Lehrer sogar eine Dankesrede, in der er die bedeutenden Leistungen der Missionare für die Inder hervorhob. Interessanterweise wurde dabei »die Einführung eines besonderen Zweiges der Heilkunst […], nämlich der Homöopathie«, »mit aufrichtigem Danke« anerkannt. Wie jedoch zu sehen war, konnte diese »wirklich unerschöpfliche[ ] Segensquelle« zumindest nicht von leitender Stelle der Gesellschaft stammen.150 Vielmehr müssen einige Missionare auf eigene Faust entsprechend tätig geworden sein. Die durchaus vorhandene Nachfrage nach homöopathischer Literatur und Medikamenten wurde für die in Indien Tätigen in den verschiedenen Anzeigen des Correspondenz-Blattes der Basler Missionare in Indien dokumentiert.151 Besonders offen trat ein Bruder namens Schoch für 149 Auch in Afrika musste der Arzt Fisch bei seinem Versuch, die Chininprophylaxe einzuführen, gegen Widerstände seitens der Missionare ankämpfen, die als Anhänger der Homöopathie oder Naturheilkunde auftraten. Über diese pauschale Angabe hinaus ist zu dem Widerstand jedoch kaum etwas bekannt. Hierzu Friedrich Fischer (1991), S. 191 sowie S. 356f. Zu der Entwicklung der Homöopathie in Indien Poldas (2010). Offenbar spielten vor allem englische Missionsgesellschaften bei der Einführung und Ausbreitung der Homöopathie in Indien eine Rolle. Hierzu besonders das Kapitel 3.2, insbesondere Teil 3.2.1.12. 150 Unter Verweis auf einen Artikel im Evangelischen Heidenboten zitiert der Autor eines homöopathischen Ratgebers namens Puhlmann daraus. Puhlmann (1886), S. 43f. Die Passage liest sich im Original wie folgt: »Und dann haben wir mit aufrichtigem Danke anzuerkennen, daß durch Sie die Einführung eines besonderen Zweiges der Heilkunst geschah, nämlich der Homöopathie! Werte Herren! Das ist wahrhaftig ein großes Geschenk: die angenehme Methode der Behandlung, die wohlfeilen Arzneien, die dazuhin auf der Stelle gegen Schmerz und Leiden helfen, die Schnelligkeit, mit der die hartnäckigsten Krankheiten denselben weichen, haben dieses Heilverfahren unter uns zu einer wirklich unerschöpflichen Segensquelle für die leidende Menschheit gemacht.« Anonym (1885), S. 19. In der Antwort auf diese Dankesrede zeigten sich die Missionare auch entsprechend enttäuscht, dass zwar ihre Tätigkeit gelobt und dankend angenommen wurde, die »Heiden« sich jedoch offenbar nicht dem christlichen Glauben zugewandt hatten. Auch Poldas (2010), Kapitel 3.2.1.3, geht auf diesen Artikel ein. Es liegt jedoch die Vermutung nahe, dass es sich hier nicht nur um Missionare der Basler Mission, sondern vor allem auch diejenigen englischer Missionsgesellschaften gehandelt hat. 151 Beispielsweise die Anzeige für ein »Lehrbuch der homöopathischen Therapie« im Correspondenz-Blatt 12 (1878), S. 34. Es handelt sich hierbei vermutlich um das von C. Gustav Puhlmann verfasste Werk, das 1878 in zweiter Auflage erschienen war: Puhlmann (1878). Die gesamte Ausgabe sollte 16 Mark kosten. Ähnlich beim Verkauf von Büchern aus einem Nachlass in Correspondenz-Blatt 25 (1891), S. 157-160. Das CorUrheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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die Homöopathie ein, der auch mit Willmar Schwabe in direktem Briefkontakt stand.152 Der Missionar hatte den Apotheker gezielt um Rat gebeten zu dem Problem der »verschiedenen Gefahren, welchen die homöopathischen Mittel in den Tropengegenden ausgesetzt sind«.153 Schwabe verwies als Ausweg auf die Verwendung von Verreibungen, die auch Hahnemann in der Spätzeit seiner Praxis in Paris gebraucht habe. Dieselben hätte seine Firma »von den gebräuchlichsten Mitteln« in der »1-30 Potenz hergestellt« und seien nach Schwabes Meinung »den Einflüssen der tropischen Atmosphäre, der Hitze wie der Nässe, weniger unterworfen, wenn sie, wie ich bemerke, gut aufbewahrt werden«.154 Der Missionar Schoch hatte sich bereits eine stattliche Anzahl von Apotheken und Handbüchern zugelegt und offerierte diese in seinem Bericht. Er stellte in Aussicht, falls »die Nachfrage dazu Veranlassung« gebe, später eine größere Auswahl folgen zu lassen.155 Neben Bährs Werk, das Bruder Locher verwendet hatte, wurde unter anderem auch der »Homöopathische Hausarzt« von Hering außerordentlich gelobt. Dabei vergaß der Autor des Artikels nicht, darauf hinzuweisen, dass respondenz-Blatt der Basler Missionare in Indien (ab 1886 Correspondenz-Blatt der Basler Missionare in Indien, China und Afrika) wurde von 1866 bis 1907 durchgesehen. Die vorliegende Serie war jedoch nicht vollständig. Es fehlten einzelne Hefte und die Bände der Jahre 1869 bis 1872. Ich danke Herrn und Frau Jenkins, Basel, dass sie mich auf die Quelle aufmerksam gemacht haben und meine Recherchen so gastfreundlich unterstützten. 152 Die Werbung für Hausapotheken durch den Missionar Schoch im Correspondenz-Blatt 10 (1875), S. 67-70, und 11 (1877), S. 96 (Letztere offenbar nach seinem Tod aufgegeben), sowie der Vermerk, dass die homöopathischen Mittel ab sofort durch den Mercantile Mission-Branch, Mangalore, verkauft würden, im Correspondenz-Blatt 16 (1881), S. 42. Zu Samuel Gottlieb Schoch ABM, Bestand BV 515. Er stammte aus Henau im Amt St. Gallen, war 1835 geboren worden und 1876 in Indien gestorben. Die, allerdings erfolglose, Anwendung homöopathischer Mittel im Correspondenz-Blatt 8 (1874), S. 112. Zu den Apothekern Schwabe Schroers (2006), S. 131f., Willfahrt (1996) und Michalak (1991), besonders S. 101-134. 153 Correspondenz-Blatt 10 (1875), S. 67. Zu den Klagen, dass die Mittel verdunsteten oder ungeeignet waren, die in Anm. 99 und 141 gemachten Angaben. 154 Ausführlicher heißt es dort: Die Mittel »können nicht verdunsten, würden aber, wenn sie nass werden, allerdings auch zusammenfliessen, wie dies ja bei allen Zuckerpräparaten der Fall ist. - Würde man nun eine solche Apotheke mit guten Korken anfertigen und diese noch extra mit einem gut schliessenden Blechkasten umgeben, so glaube ich, dass den darin aufbewahrten Potenzen nichts widerfahren könnte.« CorrespondenzBlatt 10 (1875), S. 67f. Außerdem verwies Schwabe auf die Möglichkeit, neuartige »Glycerin-Potenzen« anfertigen zu können. 155 Correspondenz-Blatt 10 (1875), S. 69f. Die Apotheken umfassten zwischen 25 und 66 Fläschchen flüssiger Medikamente, in Verreibungen und Glycerin. Sie sollten zwischen acht und 20 Rupien kosten. Die angebotene Literatur umfasste sowohl englischals auch deutschsprachige Titel, unter anderem zur Tierheilkunde. Die Nachfrage war offenbar vorhanden, wie der erneuten Anzeige, die erst nach dem Tod Schochs im Correspondenz-Blatt erschien, zu entnehmen ist. In dieser Anzeige gibt es auch französischsprachige Literatur. Correspondenz-Blatt 11 (1877), S. 96. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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das Buch ursprünglich sogar für Missionare geschrieben worden sei. Allerdings betonte er auch, dass das Werk selbst für »Nicht-Homöopathen« von großem Nutzen wäre.156 In einem anderen Nachlass wurde der »Homöopathische Hausarzt« von Theophil Bruckner aus dem Jahr 1873 verkauft. Theophil Bruckner (1821-1896) war einer der Ärzte, die der Homöopathie in Basel zu erneutem Ansehen verholfen hatten. Er hatte ebenfalls bei Constantin Hering gelernt.157 Der Missionar Sikemeier veröffentlichte sogar eine Mitteilung, dass er mit Arsenik in homöopathischen Dosen erfolgreich Fieberkrankheiten behandelt habe. Außerdem legte er insbesondere den »Afrikan. Geschwistern« nahe, den Mitteln »Podophyllum, Nux vomica und Bryonia ihre Aufmerksamkeit zu schenken«, um gegen das Gallenfieber vorzugehen.158 Doch auch diese Hinweise wurden in den 1880er Jahren seltener. Möglicherweise wagten die Missionare nach dem Eintreffen der ersten ausgebildeten Mediziner und dem Aufbau der systematischen ärztlichen Mission nicht mehr, offen über die Homöopathie zu sprechen.159

156 Auch hier ging es um die Behandlung von Fieber und Cholera-Erkrankungen, die mit homöopathischen Arzneien therapiert wurden. Correspondenz-Blatt 1 (1866), S. 82. Genau heißt es in den Ausführungen: »Apropos ›Hering’s Homöopathischer Hausarzt‹ ist ein Buch, das wohl verdient darauf aufmerksam zu machen. Dasselbe wurde ursprünglich für Missionare geschrieben. Es enthält auf 470 Octavseiten eine sehr fassliche Darlegung der wichtigsten und häufigsten Krankheitsformen nebst Heilung nach der homöopathischen Methode, gibt dabei aber auch eine ganze Reihe von gewöhnlichen und Haus-Mitteln, so wie sehr gute Belehrungen über Verkältungen, Erhitzungen, Verbrennungen, Verwundungen, Vergiftungen u. s. w., dass auch ein NichtHomöopath das Buch nützlich finden wird; Daneben ist der Styl durchgängig so humoristisch dass es als Lectüre sehr zur Aufheiterung dienen kann.« Der »Hausarzt« erschien 1844 bereits in der vierten Auflage, die Erstauflage hatte Hering 1835 veröffentlicht. Hering (1844) sowie Schroers (2006), S. 62, und die Angaben aus dem ersten Teil des Aufsatzes. 157 Correspondenz-Blatt 25 (1891), S. 157; Bruckner (1873). Zu Bruckner Schroers (2006), S. 18, Morgenthaler (1987), S. 90, sowie Erlach (2009), S. 6 und S. 61-64. Seit 1856 war der Arzt in Basel tätig. Der »Homöopathische Hausarzt« Bruckners erschien 1870 erstmals. Bis 1922 erlebte er elf Auflagen und wurde sogar ins Französische übersetzt. 158 Correspondenz-Blatt 20 (1885), S. 42f. Zu Wilhelm Sikemeier ABM, Bestand BV 696. Er war 1843 in Amsterdam geboren worden und hatte zwischen 1864 und 1870 im Missionshaus seine Ausbildung erhalten. Dann wurde er nach Indien ausgesandt, wo er bis 1906 mit Urlaubsunterbrechungen tätig war. 1910 starb Sikemeier in Basel. »Gallenfieber« wurde als Bezeichnung für Gelbsucht verwendet. Medizinalabteilung des Ministeriums der geistlichen-, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten (1905), S. XXI. 159 Der offizielle erste Arzt der Basler Mission in Indien, Eugen Liebendörfer (1852-1902), traf 1886 dort ein. Er war, bevor er in die Dienste der Missionsgesellschaft eintrat, zum Wundarzt ausgebildet worden und hatte seine Kenntnisse bereits bei seinem ersten Aufenthalt ab 1875 eingesetzt. Valiaparampil (1996), S. 75-92. Auch eine offenbar geplante homöopathische Einrichtung oder Apotheke wurde nie gebaut. Der Hinweis darauf in Correspondenz-Blatt 34 (1900), S. 182f. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Der Bitte des Missionars Locher, einen Mediziner an die Goldküste zu entsenden, kam man von Seiten der Basler Mission erst in den 1880er Jahren nach.160 Zunächst brach der Arzt Ernst Mähly nach Afrika auf, um die gesundheitlichen Risiken und deren Ursachen zu untersuchen.161 Im Vordergrund stand die Erforschung der Fiebererkrankungen, denen die Missionare in den meisten Fällen zum Opfer fielen. Mähly empfahl schließlich 1883 den Bau eines Sanatoriums und die Stationierung eines Missionsarztes. Zwei Jahre später landete Rudolf Fisch an der Goldküste und nahm seine Tätigkeit auf, wobei er ausdrücklich den Auftrag erhalten hatte, »in erster Linie für das Sanatorium und die Brüder und in zweiter Linie erst für die Heiden da« zu sein.162 Fisch war in Basel schulmedizinisch ausgebildet worden und hatte chirurgische Kurse belegt. Er wird in der Biographie außerdem als Vertreter der naturwissenschaftlichen Medizin charakterisiert, der von der Aufbruchstimmung des bakteriologischen Zeitalters und den Erfolgen der Chirurgie geprägt war und lieber »in das Mikroskop als auf die afrikanische Kräutermedizin« sah. Fisch stand also auch dem »traditionellen« afrikanischen Heilsystem ablehnend gegenüber und empfand dieses als Konkurrenz und Quacksalberei.163 Die später nach Indien ausgesandten Missionsärzte standen diesen »alternativen« Systemen ebenso ablehnend gegenüber.164 Damit war zwar der Wunsch Lochers nach einem Missionsarzt erfüllt, doch für die Homöopathie, wie für andere »alternative« Heilmethoden, war in der medizinischen Tätigkeit kein Platz mehr.165 160 Auf die Gründe, weshalb die Basler Mission in der Zeit von 1850 bis 1879 eine ärztliche Arbeit nicht entschieden förderte, geht Friedrich Fischer (1991), S. 114-117, ein. Auch aus Indien erreichte das Komitee die Bitte, einen Arzt dorthin zu entsenden, der ebenfalls nicht entsprochen wurde. Das Gesuch Liebendörfers, das dieser 1882 einreichte, wurde erst ein Jahr später diskutiert. Valiaparampil (1996), S. 74 und S. 82-86. 161 Zu Mähly und seiner Tätigkeit ausführlich mit der Nennung der Quellen und Literatur Schweizer (2002), S. 126-130; Friedrich Fischer (1991), S. 127-150 und S. 537. Zu Mählys Schriften ABM, Bestand D.Sch-2,27-29. 162 1883 hatte man dem Antrag Mählys auf den Bau eines Sanatoriums noch entgegengehalten, dass eine derartige Einrichtung den Arzt von seiner Hilfe für die Eingeborenen abhalten würde und man von Seiten des Komitees eher an ein Spital für diese denke. Hierzu Friedrich Fischer (1991), S. 149f. Zu Fisch und seiner Tätigkeit S. 151459. 163 Friedrich Fischer (1991), S. 281-287, außerdem auch seine kritische Sicht bezüglich der Naturheilkunde und Homöopathie im Zusammenhang mit der Malariabekämpfung. Offenbar lehnten einige Missionare die Chininprophylaxe ab oder versuchten, sie durch homöopathische Dosen abzumildern. Dazu Friedrich Fischer (1991), S. 356f. 164 Zur missionsärztlichen Arbeit der Basler Mission in Indien und den dort tätigen Ärzten Valiaparampil (1996) und Trapp (2004). Auch die Ärzte Liebendörfer, Stokes, Zerweck, Schneiter sowie Voland waren allesamt schulmedizinisch ausgebildet worden. Zur Ablehnung der »homöopathischen Kurpfuscherei« Valiaparampil (1996), S. 158, oder die ablehnende Haltung im Correspondenz-Blatt 15 (1880), S. 51. 165 Fisch wurde weder entsprechend ausgebildet noch gibt es Hinweise auf die VerwenUrheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Zusammenfassung und Ausblick Die medizinische Arbeit in der Basler Mission wurde unter Inspektor Blumhardt unterstützt und gefördert.166 In diese Zeit fallen die Ausbildung und Entsendung des ersten Missionsarztes Heinze und die anderen Bemühungen um eine Vermittlung medizinischer Grundlagen an die übrigen Zöglinge, die sich auch für die Homöopathie interessierten. Nachdem Blumhardt 1838 gestorben war, standen seine Nachfolger Hoffmann und Josenhans einer medizinischen Missionsarbeit zurückhaltender gegenüber. Dies hing mit der nun verstärkt vertretenen »Theologie des Leidens« zusammen.167 Immerhin erhielten die Zöglinge ab der Mitte der 1840er Jahre eine medizinische Grundlagenausbildung. Erst mit dem neuen Inspektor Schott, der dieses Amt 1879 übernahm, wurden die dringenden Bitten der in Afrika stationierten Missionare erhört und die medizinische Mission forciert. Alle Versuche, neben einer schulmedizinischen Ausbildung auch die Homöopathie zu berücksichtigen, wurden von außen an die Missionsgesellschaft herangetragen, wie im Fall der Anfragen der Herren Eschenmayer, Müller und Bär, bzw. gehen auf Initiativen einzelner Zöglinge, wie der Brüder Steinestel, Schneider oder Locher, zurück. Zumindest in den ersten Jahren hatten die angehenden Missionare Erfolg. Ihnen wurde eine entsprechende Ausbildung bewilligt, ohne dass dies jedoch für alle Übrigen verpflichtend wurde. Als dann aber Bruder Locher seinen Wunsch äußerte, neben der Allopathie auch der Homöopathie eine Chance zu geben, musste er nicht nur gegen ein Komitee antreten, das der medizinischen Ausbildung prinzipiell wenig Interesse entgegenbrachte, sondern darüber hinaus der dung homöopathischer Mittel in seiner Tätigkeit. Gerade die Verbindung von traditioneller Medizin und heidnischer Religion sorgte dafür, dass er energisch gegen diese Form der medizinischen Praxis vorging. Friedrich Fischer (1991), S. 281-287 sowie S. 472. Daher wird sich wohl ebenso die Aufgeschlossenheit Fischs gegenüber der Homöopathie in Grenzen gehalten haben. Gleichwohl wurden, zumindest zu Beginn der missionarischen Tätigkeit, therapeutische Maßnahmen der afrikanischen Medizin in das eigene Repertorium übernommen, wenn die herkömmlichen Mittel versagt hatten. Dies war besonders bei Durchfallerkrankungen der Fall. Pfarrer und einfache Missionare griffen auch weiterhin auf die einheimischen Methoden zurück, erwähnten dies aber in den Briefen immer seltener, da sie wussten, dass eine derartige Nutzung ungern gesehen wurde. Zum Wissenstransfer in dieser Hinsicht ausführlicher Friedrich Fischer (1991), S. 466-474. Zumindest aber der Arzt Friedrich Hey, der Fisch seit 1895 zunächst in Afrika vertreten hatte und dann als zweiter Missionsarzt im Land blieb, gab nach seinem Dienst bei der Basler Mission einen Gesundheitsratgeber heraus, in dem er sowohl auf Naturheilkunde als auch Homöopathie einging. Hey (1930), besonders S. 311-322. Zur Person und Tätigkeit Heys Friedrich Fischer (1991), S. 177-180 sowie S. 191. Offenbar war Hey nach dem Ende seiner Dienstzeit zu einem »entschiedenen Verfechter« der Naturheilkunde geworden. 166 Zu den Inspektoraten der einzelnen genannten Herren ausführlich Schlatter: Heimatgeschichte (1916). 167 Friedrich Fischer (1991), S. 106 und S. 114-117. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Homöopathie gegenüber wenig positiv eingestellt war. Eine systematische Ausbildung der Basler Zöglinge im Bereich der Homöopathie erfolgte daher nie, und den in diese Richtung weisenden Versuchen war kein Erfolg beschieden. Bei den Basler Missionaren war so die Verwendung von homöopathischen Mitteln einzelnen Brüdern und Schwestern überlassen. Gezielt gefördert oder unterstützt wurde eine derartige Tätigkeit durch das Komitee nicht. Im Gegenteil, die ausgesandten Ärzte waren zunehmend naturwissenschaftlich ausgebildet und durch die Euphorie des sogenannten bakteriologischen Zeitalters geprägt. Sie standen nicht nur der Homöopathie, sondern auch der »einheimischen« Medizin mit Ablehnung gegenüber. Ob und inwieweit einzelne Missionare dennoch selbst homöopathisch oder allgemein »alternativ« tätig waren, lässt sich nur schwer nachweisen. Die Suche nach den verstreuten Hinweisen in den zahlreichen Briefen oder Tagebüchern belegt lediglich für Einzelpersonen einen Zusammenhang von Homöopathie und Mission. In anderen Missionsgesellschaften hingegen ließen sich bisher mehr Ärzte bzw. Missionare mit einem homöopathischen Interesse nachweisen. Die Apotheker der Herrnhuter waren in dieser Hinsicht aktiv, und es bleibt zu hoffen, dass sich in einzelnen Egodokumenten oder Berichten, dieser wie anderer Missionsgesellschaften, neue Hinweise ergeben, wenn durch weitere Forschungen mehr derartige Quellen erschlossen werden. Ansonsten bleibt auch in diesem Fall die Suche nach den entsprechenden Nachweisen eine aufwendige Angelegenheit.168 Insbesondere in den Reihen der Hermannsburger Mission waren mehrere homöopathisch ausgebildete und interessierte Ärzte vertreten. Offenbar unterhielt die Gesellschaft in Indien sogar eine eigene entsprechende Apotheke.169 Ferner war der Arzt Franz Hübotter im Dienst der Deutschen Ostasien Gesellschaft unterwegs. Seine vielfältigen 168 Vgl. die bereits erwähnten Quellen und Dokumente aus dem UHB. Neben den genannten Herren Jahr, Hering, Bute und Roser waren die Brüder Joseph Romig, Konrad Meier, Heinrich Meyer und Peter Edmund Dahl der Homöopathie nicht abgeneigt. Für einen seither noch nicht näher bestimmten Bruder Kögel in Grönland wird eine derartige Tätigkeit in Bechler (1932), S. 147, berichtet. Zu den zuvor Genannten knapp S. 128-131, 136-140 und S. 160 sowie Feldmann (1904), S. 154-158. Das UHB, Bestand Dienerblätter, gibt zu den einzelnen Personen weitere biographische Hinweise, teilweise sind Personalakten erhalten geblieben. Leider ist beispielsweise im Falle Romigs bisher nichts über seine Behandlungen bekannt, auch wenn es medizinische Berichte aus der Station in Alaska, wo er tätig war, gibt. 169 Hinweise finden sich in Schulte (1998), S. 54, 74, 82 und S. 121. Die entsprechenden Personen sind: Johannes Rohwer (1869-1963), Johannes Nikolaus Wittmann (18661934), Dietrich Wassmann (1897-1954), Wilhelm Kochendorf (Arzt, 1836-1876), Martha Wassmann (1903-1987) sowie Wilhelm Behrens sen. (1827-1900); zu Letzterem auch Bammann (2004), S. 158-160. Kurze Portraits der genannten Personen in Pape (1986). Näheres zur Tätigkeit der Hermannsburger Mission in Afrika in Bauerochse (2006). Dennoch bleibt die Suche nach Details zur Anwendung der Homöopathie in den umfangreichen Dokumenten zeitaufwendig. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Interessen, unter anderem für die Homöopathie, aber auch für die chinesische Medizin, wären einen eigenen Artikel wert.170 Dennoch bleibt diesen genannten Anfängen gemeinsam, dass allem Anschein nach keine gezielte Ausbildung in der Homöopathie bei deutschen Missionsgesellschaften erfolgte. Vielmehr waren Einzelpersonen gegenüber der »alternativen« Methode aufgeschlossen und praktizierten sie. Ganz anders stellt sich dies in England dar. Dort hat von 1903 bis 1996 eine Ausbildung von Missionsschülern in der Lehre Hahnemanns an der Missionary School of Medicine in London stattgefunden.171 Doch diese Dokumente harren noch ihrer eingehenden Untersuchung. Anhang Auszug aus dem Brief Christoph Lochers (ABM, Bestand D-1, 17-AbokobiNr. 11a, 9. Juni 1865) »Sie werden sagen: Was willst du denn eigentlich? Glaubst Du wir werden nun auf jede Station einen Doctor schicken? – Keineswegs. Aber ich hege die Hoffnung, daß Sie der africanischen Mission wenigstens Einen Arzt senden werden. Daran möchte ich aber einen weiteren Vorschlag knüpfen, der glaube ich Zeitgemäß ist, den ich Ihnen vor 7 Jahren schon gemacht hätte, wenn ich nicht gefürchtet hätte, damit rund abgewiesen zu werden. Ich meine, Sie sollten für Ihre Missionare Unterricht in der Homöopathie für den in der Allopathie aufnehmen. Ich will Ihnen offen sagen, wie ich zu diesem Vorschlag komme, den allerdings Gunn nicht im Sinne gehabt hat. Ich wurde schon 1853 auf die Homöopathie aufmerksam, weil ich fand, daß diese Wissenschaft es viel genauer nimmt mit den Symptomen einer Krankheit, als ihre ältere Schwester. Erstere individualisirt, ihr kommts auf den Namen der Krankheit nicht an, wenn sie nur Heilung erzielen kann, während die alte Schule allen Nachdruck auf den Namen der Krankheit legt, u. dann eine Reihe Mittel an gibt, erst das & hilft das nicht dann das etc. Ich meine nicht die Diagnose denn die alte Schule ist in neuer Zeit sehr genau damit, sondern die Mittel die sie anordnet, kennt sie nicht genügend. 170 Zu Hübotter Schroers (2006), S. 66. Dokumente zu seiner Tätigkeit finden sich im Archiv der Deutschen Ostasienmission im Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz in Speyer, Bestand Abt. 180.01. 171 Einen ersten Überblick bietet Davies (2007). Die Dokumente der Schule sind an The School of Oriental and African Studies, University of London (http://www.soas.ac. uk, letzter Zugriff: 4.2.2011) abgegeben worden. Über deren Katalog (http://squirrel. soas.ac.uk/dserve, letzter Zugriff: 4.2.2011) kann man die Quellenbestände abfragen. Aus dieser Institution sind auch die beiden Publikationen Neatby (1948) und Male (o. J.) hervorgegangen, die sich mit der Homöopathie und der Bibel bzw. Tropenkrankheiten befassen. Zu dem Arzt Neatby, der sich sehr an dieser Schule einsetzte, gibt es einen Nachruf in der Allgemeinen Homöopathischen Zeitung: Donner (1934). Die Schule und die Tätigkeit englischer Missionare in Indien erwähnt auch Poldas (2010), Kapitel 3.2.1.12. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Ich bin ein Laie, habe nur 2 Monate Unterricht bei Dr. Streckeisen gehabt, zum Glück aber gerade den Unterricht, der mir auch für die Homoeopathie am meisten nützt, nemlich Erkennen der Krankheit. – Seither habe ich viel homoeop. Medizin verabreicht, mit mehr od. weniger Erfolg, je nachdem ich genau erkannte & die rechte Medizin wählte. Aber erst seit mir ein Handbuch zugekommen ist, das noch nicht einmal vollständig ist, nemlich Bähr’s Therapie nach homoeop. Grundsätzen, habe ich mehr Erfolg mit der Homoeopathie. In der Anstalt, sowie den meisten Kranken der Gemeinde verabreiche ich meistens nur homoeop. Mittel (die ich mir aber aus meiner Verwilligung anschaffe, nicht auf ›Medizinen‹). Meine eigenen Kinder habe ich, mit Ausnahme des hiesigen Fiebers, für das ich noch keine Medicin kenne, nur homoeopathisch behandelt. Im Jahr 1860 wurde Elise sehr krank & ich bat Gunn, sie zu behandeln. Er thats, aber das Kind wurde schlimmer & er erklärte mir, daß er ihr nicht helfen könne. Ich gab homoeop. Mittel & der Herr hat sie gesegnet. - daß es auch Mittel gebe für das hiesige Fieber, dessen bin ich überzeugt. Aber dazu gehört ein Arzt, & nicht ein Pfuscher wie ich bin, diese Mittel zu finden. Es wären nun folgende Vortheile beim Homoeop. Verfahren: 1) Die Gefahr wäre beseitigt, daß Leute, die nicht sachverständig sind, [gestrichen: keine] gefährlichen Medicinen verabreichen, aber wie man zu Hause so gern sagt von der Homoeopathie: ›Hilfts nichts, so schadets nicht‹. 2. Wenn die Hälfte der Zeit die jetzt auf Medicin verwendet wird im Missionshaus auf Erlernen der homoeop. Arzneimittellehre verwendet würde so kämen die Brüder viel weiter. Die andere Hälfte müßte allerdings wie bisher auf Studium der Anatomie & der Krankheiten verwendet werden (obschon ich mich des Verdachtes nicht erwehren kann, daß die Brüder im Missionshaus sehr wenig von der allop. Arzneimittellehre lernen, was jedenfalls tadelnswerth ist). 3. Würde Ihnen eine bedeutende Ersparniß verschaffen in Anschaffung der Medicinen, die erstmalige Anschaffung ist allerdings theuer indem man hier mit den Streukügelchen nicht auskommt, sondern die Tincturen in [gestrichen: gut geschliffenen] Gläschen mit gut geschliffenen Glastöpfchen haben muß. Aber die Nachschaffungen sind nicht sehr theuer. Es sind in der letzten Zeit etliche Brüder herausgekommen, die homoeop. Medicinen mitgebracht haben. Da diese aber bald verdarben & die Brüder eben von Homoeopathie nicht viel verstanden, & keine Zeit hatten, in Anfang ihres hiesigen Aufenthaltes, sich hineinzuarbeiten, so blieb die Sache wieder liegen & und war ein Stück Grümpel mehr im Lande. Fragen Sie aber unter den Brüdern nach so werden Sie finden, daß jetzt mehr Liebhaber sind als anno 57, als Br Simon es mir aufs Gewissen legte, als ich ihn bat, mir einen homoeopatischen Arzt für mein Kind zu rufen, das damals an der Brechruhr im Missionshaus krank lag, & Gottlob in 8 Tagen heil war, während andere 3-4 Wochen daran litten & manche starben. Somit habe ich meinem Gewissen Genüge gethan. Der Herr unser Meister & Arzt wolle Ihnen Seinen Willen auch in dieser Sache zeigen.« Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Es folgen Grußformel und Unterschrift Lochers. Hervorhebungen im Original. Bibliographie Archivalien Archiv der Basler Mission (ABM) Bestand Brüderverzeichnis (BV)



Bär (BV 8), Dehlinger (BV 189), Fisch (BV 985), Gundert (BV 235), Heinze (BV 85), Hofacker (BV 19 a), Locher (BV 308), Nüssli (BV 580), Sessing (BV 60), Schemel (BV 21), Schneider (BV 166), Schoch (BV 515), Sikemeier (BV 696), Steinestel (BV 132)

Bestand D.Sch-2,27-29 (Schriften von Mähly) Bestand D-1, 1-Christiansborg-1832-Nr. 10 Bestand D-1, 1-Christiansborg-1833-35-Nr. 2 Bestand D-1, 2-Christiansborg-1847-Nr. 17 Bestand D-1, 17-Abokobi-Nr. 11a Bestand D-2, 5 (Abokobi, Odumase, Ada. Abokobi IV, Nov. 1856 – Dez. 1876) Bestand FA-10.1,4 (Tagebücher Sessing) Bestand Lehrerverzeichnis (LV)



Streckeisen (LV 122)

Bestand Protokollbücher der Sitzungen des Comitees



Bd. 11 (1827-1829), Bd. 12 (1830-1834), Bd. 13 (1835-1836), Bd. 14 (1837-1839), Bd. 15 (1840-1841), Bd. 16 (1842-1843 I), Bd. 17 (1843 II-1844), Bd. 18 (18451846 I), Bd. 19 (1846 II-1848), Bd. 36 (1865)

Bestand Q-3,12 (Copier-Buch XII) Bestand Q-3-4 (Gemischte Briefe) Staatsarchiv Ludwigsburg (StALB) Bestand E 162 II Bü. 537 (Personalakte Müller, Georg Friedrich) Unitätsarchiv der Herrnhuter Brüdergemeine (UHB) Bestand Dienerblätter Bestand MD 189 (Missionsdirektion Missionsschule Niesky: Ärztliche Ausbildung der Missionsschüler, Empfehlungen von Mitteln gegen tropische Krankheiten u. a.) Bestand R.15.A.12.5 (Die homöopathischen Apotheken betreffend 1865-1875) Bestände R.15.L.b.8.e und R.15.L.b.8.f (Diarien von Paramaribo) Bestand R.15.M.a.13.a.10 (Reise Diarium nach Afrika von Kunicke) Bestand R.15.M.b.37 e (Briefwechsel Süd-Afrika West u. Ost 1855-62) Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz, Speyer Bestand Abt. 180.01 (Deutsche Ostasienmission, Laufzeit 1826-1983) Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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(letzter

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Marion Baschin

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Potency and Provenance: An Inter-Generational Study of Homeopathic Practice in Ontario Douglas W. Smith Zusammenfassung Potenzierung und Herkunft: Eine generationsübergreifende Studie zur homöopathischen Praxis in Ontario Der Fund von vier vollständig erhaltenen Arzneimittelbeständen ermöglicht eine quantitative Untersuchung des Rückgangs der Homöopathie im kanadischen Ontario. Geht man davon aus, dass sich in der Häufigkeit der Abgabe von Heilmitteln das Verschreibungsverhalten widerspiegelt, so lassen sich bestimmte Besonderheiten früherer Praxis rekonstruieren. Alle vier Sammlungen erlauben Rückschlüsse auf Potenzierung und Herkunft von Arzneimitteln. Nach der Jahrhundertwende fällt generell eine Umstellung von hohen auf mittlere Potenzen auf, während sich die Beschaffung auf einen einzigen Vertreiber reduziert. Diese Tendenz ist besonders ausgeprägt bei den Beständen, die von einem Vater und seinem Sohn, beide bedeutende in der Stadt praktizierende Ärzte, hinterlassen wurden. Die zwei anderen Bestände, die von einem Vater und seiner Tochter stammen, beide im Hinterland praktizierende Laien, setzen eher den Stil des 19. Jahrhunderts fort. Die kontinuierliche Verbindung zweier Generationen spricht jedoch in beiden Fällen gegen eine auf binärer Opposition begründete Analyse.

Introduction The medical historian J.T.H. Connor marks the year 1902 as a critical, if negative, threshold for the practice of homeopathy in Ontario.1 In that year Toronto’s Grace Hospital, the only institution dedicated exclusively to homeopathic care in Ontario, was obliged for financial reasons to revise its charter to allow regular physicians to serve on staff. Thereafter its homeopathic commitments were progressively diluted, until Grace was formally amalgamated with Wellesley Hospital in 1926. In the interval most homeopaths in Ontario lost any hope that they could build upon this or a similar institution in the direction of creating their own accredited College. Unable to reproduce their own ranks, homeopathic physicians in Ontario retreated into an insular, club-like form of collegiality. Laggard in research and publication while endowed with loyal clienteles, they allowed history to pass them by. In the succeeding years, although it obviously failed to flourish, the profession of homeopathy never quite died out. Several score of practitioners, some of whom were unlicensed, maintained a presence in Ontario, their patient catchment areas expanding as their overall numbers declined. In this situation there were inevitable accommodations to mainstream practice, not all of which were necessarily detrimental. 1

Connor (1989), p. 450. A useful overview of homeopathy in Victorian Canada is to be found in Connor (1998).

MedGG 29 • 2010, S. 275-315 Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen © Franz Steiner Verlag Stuttgart

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In this paper we will chart some of these accommodations in connection with two families of homeopathic practitioners who straddled the historic threshold which Connor identified. The first family consists of a father and son, who as licensed physicians enjoyed urban careers with full honours and entitlements. David Cummings McLaren, the father, practised as a high-potency homeopath in the full-flush of a profession that envisaged itself as the central healing art of the new century. His son, Kenneth Arthur, was obliged to practise in an atmosphere of diminished expectations, consequently flattening out his potency range and resorting to other than homeopathic means to restore health. The second family consists of a father and daughter who practised as unlicensed or lay homeopaths, perennially fearful of persecution by the Ontario College of Physicians and Surgeons. John Hardinge and his daughter, Mattie, resided in a hinterland hamlet which so greatly valued their medical contribution that for almost a century it cloaked their work in collective secrecy. In this encapsulated community both father and daughter were able to practise an anachronistic, 19th-century style of homeopathy that routinely employed highly attenuated remedies deriving from a wide range of sources. In the potency and provenance of their remedy stocks, as well as in their style of prescribing, the Hardinge homeopaths harkened back to the halcyon days of Ernest Farrington and Adolph Lippe. This is not, however, an account of two disjunct worlds, the one central, the other peripheral, which maintained a rigid separation in terms of geography, professional culture and social networks. In fact the two families, the Hardinges and the McLarens, were linked over the decades through a web of informal ties that blended centre and periphery together in ways that could easily escape the attention of medical historians pursuing a broadgauge institutional analysis. At the focus of this discussion are four homeopathic remedy stocks consisting altogether of several thousand vials. Stemming from four practices carried on over two generations, these old stocks with their immense sentimental value have been kept intact by the Hardinge and McLaren families down through the years. As far as can be determined, it would seem that in the North American context these are the only such remedy collections remaining extant from a pre-1950 homeopathic practice.2 The retrieval of these stocks for research purposes has made it possible to trace in considerable detail the shifts in potency and provenance that took place in the modes of homeopathic dispensing in the period from 1900 to 1965.3 2

My judgment is based upon a review of the literature, as well as personal communication with Anne Taylor Kirschmann, author of “A Vital Force”.

3

I am deeply grateful to Verna and Helen Hardinge and to Iris McLaren and Heather McLaren for entrusting me with the task of chronicling the lives and times of the homeopathic practitioners in their two families. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Father and Son D.C. McLaren was born in 1859 near Greenfield, Massachusetts. A few years later his parents moved to Montreal, where he passed his childhood. David McLaren proved a brilliant student, graduating from high school at the age of fifteen and entering McGill University a year later. Taking a combined course of arts and medicine, he graduated with a B.A., M.D., C.M. at the age of twenty-one, thereafter attending the post graduate course in homeopathy at Hahnemann College in Philadelphia, where he developed a friendship with Adolph Lippe. Returning to Canada in 1884 or 1885, in the following year he read a paper on “The Potency Question” before the Canadian Institute of Homoeopathy, which had convened for its 11th annual meeting in Toronto. With considerable audacity for someone just entering the field, McLaren advocated “from the standpoint of his own experience the use of the Higher [sic] potencies”. Attending that same meeting was Dr. John Hall, of Toronto. Likewise counting himself a disciple of Adolph Lippe, Dr. Hall lent McLaren support by giving in that same session “a verbal report of several interesting cases occurring in his practice, when a single dose in a high potency of the indicated remedy had cured troubles often considered incurable by internal means alone”.4 McLaren practised in Galt and Brantford, before moving to Ottawa, where, according to one obituary, he practised “the purest form of homoeopathy until his death”. In a retrospective article published in the Homoeopathic Recorder McLaren recalls that in 1894 or 1895 James Tyler Kent invited him “to come to Philadelphia as his assistant in establishing a postgraduate school there, but as I had my hands full nursing an infant practice in Ottawa, nothing came of it”.5 During his long career David McLaren held various offices in the Canadian Institute of Homoeopathy and the International Hahnemannian Association (I.H.A.), becoming president of the latter organization in 1928. At the time of his death in 1935 D.C. McLaren was the I.H.A.’s oldest living member. From McLaren’s few published writings we encounter a keen diagnostician committed, like other I.H.A. members, to the use of high potency remedies. In one instructive case published in 1898, the homeopath was called upon to treat a laboring man, whose arm had been badly crushed but with no bones broken. To his chagrin the obvious remedies, Arnica and Rhus, both met with utter failure, and it wasn’t until “one raw zero day” in the depths of winter that the solution finally presented itself. “It was,” McLaren notes, the old story of prescribing for a local condition instead of the patient. Here he was: Face, ears, everything blue, not with cold, but with asthma. The depressed and deadened vitality which failed to respond to the right remedy, the utter painlessness and deadness of the injured member, and lastly, the marked cyanosis, composed a group 4

Smith (2007), p. 72.

5

David C. McLaren (1928), pp. 455-456. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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for which there was only one remedy, and that remedy, Opium c.m., entirely cured 6 the case, so that the man uses his shovel as well as ever he did.

Four years later, in 1902, David McLaren was challenged by the case of a woman who had been acutely insane for three weeks, her situation greatly aggravated “by allopathic mismanagement and heroic drugging”. McLaren first prescribed Stramonium to moderate the delirium, “so that the real curative remedy” could manifest. Noting among other things how she thrust her feet outside the bedclothes, the homeopath followed with Sulphur, “which virtually saved her life”. Yet after a week the case came to a standstill. McLaren “eagerly watched for symptoms” over the next three weeks. His “[p]atience was finally rewarded” by a slight cyanotic presentation which, coupled with her acute aural perception and obstinate constipation, pointed (as in the previous case) to Opium as the indicated remedy. Administered in the CM potency, the healing effect was so profound that a few months later the woman could be transferred to McLaren’s rural hospice, “and though far from sane was able to sit at table and eat like other people”.7 David’s son, Kenneth Arthur McLaren, was born in Brantford in June 1887. Proceeding in his father’s footsteps, he graduated in 1910 from the Faculty of Medicine at the University of Toronto, becoming registered with the College of Physicians and Surgeons on July 18, 1911. Presumably it was in the following year, while doing postgraduate work at the Metropolitan and St. John’s Hospital, New York, that he received formal homeopathic training. In any event K.A. McLaren began his Toronto practice in 1912. From the family account it seems that Kenneth McLaren gained a clientele from amongst a wide circle of artists and government officials. Some sense of his social prominence can be gained from the fact that he was appointed by Buckingham Palace to serve as royal Physician during King George’s visit to Canada in 1939. Kenneth had joined the I.H.A. in 1915; and like his father before him, he too served a term as President of the I.H.A., meaning at a minimum that he was esteemed as a “high potency man”. In 1939 he conducted the summer postgraduate school of the American Institute of Homeopathy, and he continued to teach at its Putnam, Connecticut, campus at least into the 1950s.8 This second-generation homeopath died at the age of 87, on September 28, 1974. He left a son, also named David, who took medicine at McGill University, practising both as an M.D. and as a homeopath until his death in 1982. Though a dedicated homeopath, Kenneth McLaren was unwilling to blinker himself against mainstream medical research. His attempts to inte6

David C. McLaren (1898), p. 255.

7

David C. McLaren (1903), pp. 626, 628.

8

Postgraduate School for Physicians (1952). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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grate current developments placed some strain upon his homeopathic understanding, however. This becomes poignantly clear in his discussion of the pharmacodynamics of Glonoinum, written in 1946. Abandoning any reference to the vital force as the site of action, McLaren conjectured that this particular remedy (which he himself employed in potencies ranging from 200C to the ultrahigh CM) “acts upon the vasomotor system, which by its very nature, is constantly changing and regulating the blood flow to the various organs”. “A slave to circumstances,” this is a system “assailed from within and without by rapidly altering conditions,” which were never more aggravated than in the modern world. “Mother Nature,” he opined, “did not expect her sons to toil miles deep in the bowels of the earth, nor to explore the stratosphere in balloons, or make extended voyages in submarines, or fly and dive at speeds which rival light.”9 Here McLaren is giving uncritical assent to the view that the human organism prefers homeostatic routine to the lures of excitement and adventure. Despite his conservative disposition, Kenneth McLaren could not bring himself to make common cause with the self-satisfied obscurantists who began filling the ranks of American homeopathy in the period of its decline.10 Relying upon the Old Testament as much than their own clinical experience, these doctrinaire homeopaths were adamantly opposed to the practice of vaccination, among other innovations. The conflict came to a head in 1929, at the annual session of the International Hahnemannian Association, which was held that year in Montreal. Eugene Underhill, Jr., had just read an empty tirade, predicting that “in a hundred years, more or less, this scar, this mark of the beast, will become a curiosity, and vaccination will take its proper place in the discard of obsolete practices.”11 Standing up amongst his sectarian colleagues, Kenneth McLaren begged to differ. Pointing out that as far as the city of Toronto was concerned, [t]o drop in three years from an average of eight cases every year to six cases of diphtheria altogether in three years is somewhat of a proof that the immunization has been of some service to the community. In addition to that, I will say that I have not observed any bad effects in any of the children that have been immunized. I haven’t heard any mothers report any bad ef-

9

Kenneth A. McLaren (1946), p. 90.

10 In a caustic assessment of the I.H.A. purists of this period, Richard Grossinger observes that, “[t]hey maintained Hahnemann’s dated politics, allying themselves with the most conservative positions in American thought, often taking racist and ultracapitalist positions that reflected more the cultural conventions of Hahnemann’s time than their own world. Homoeopathy, unfortunately, was identified with these positions.” See Grossinger (1986), p. 234. This reactionary tendency runs counter to the emancipatory vigor of 19th-century American homeopathy, as described by Anne Taylor Kirschmann (2004). 11 Underhill (1929), p. 715. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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fects, and practically 90 per cent of the school children in Toronto were immunized 12 during those three years.

Their ensuing exchange warmed to the point where Dr. Underhill declared patly, “I am on one side of the fence and you are on the other.” With a professional rupture threatening, Kenneth McLaren immediately took the high road. “No, I am not on the other,” he replied. “I am a good homoeopath, but if the other fellow brings over anything that is any good, I want to know about it [...] and give him credit for it.”13 Even going this far, McLaren was risking professional ostracism. What he chose not to disclose was the fact that he had already been supplied with Diphtheria Antitoxin produced by Connaught Laboratories and distributed free of charge by the Department of Health of Ontario. Following his death, one 10,000-unit package bearing an expiry date of December 7, 1928, remained unopened in his apothecary. Whether Kenneth McLaren kept it there as a curiosity or as a kind of momento mori is a moot point. But it is equally possible that back in the 1920s he was dispensing “the other fellow’s” medicine, concluding perhaps that prophylaxis was preferable to Diphtherinum c.m., a nosode which his father had on hand in the event of a mortal crisis. True to his university motto, “A useful life must needs be one / That lives to help its fellow man,” Kenneth McLaren reached out to Toronto’s unfortunates by striking up a liaison with Sister Teresa Brush (1891-1988), a fellow Anglican and a determined anti-poverty activist. Refusing to submit to the “militaristic rules” of the Anglican religious order, Sr. Teresa had become an “independent religious” attached to the diocese which included the slum-ridden Regent Park district. Knowing of her good work, Dr. McLaren proposed that they do something to assist the mothers of downtown families at a time when “there was very little welfare, particularly in the area of health, and few of the wives of the labouring man would spend any money on themselves for the services of a doctor.”14 In May 1942, Sr. Teresa and Dr. McLaren opened a homeopathic clinic in the basement of St. Bartholomew’s Church, located in Sr. Teresa’s diocese. By 1945 there were some 500 patients registered and 2,500 prescriptions had been issued. Since the clinic was staffed by volunteer doctors, a fee of 35 cents per patient was enough to make it self-supporting. The clinic was open two days a week, until the introduction of government health insurance in 1965 helped relieve the financial burden on the poor. St. Bartholomew’s Homoeopathic Medical Clinic was officially closed in 1967.15 A few remedy vials bearing the Clinic label survive from this compassionate venture.

12 Kenneth A. McLaren (1929), p. 717. 13 Kenneth A. McLaren (1929), p. 719. 14 Brush (1967), p. 16. 15 Walker/Watts (1998), pp. 37-39. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Apart from his St. Bartholomew’s stock, Kenneth McLaren’s entire remedy collection, along with a major portion of David McLaren’s, was kept by their descendants undisturbed right down to the present day. Including the anomalies and discards, the two collections consist of more than one thousand vials and bottles. The corks worn from much use, the handwriting barely legible – by inspecting these relics, by handling them, one is drawn sensuously into the homeopaths’ bygone world. Most of David McLaren’s remedies eventually came to rest in Kenneth’s apothecary desk, but there are obvious differences between father and son in the way these were originally bottled. In David’s case there are actually two separate lots of remedies. The first of these lots consists of 88 little rectangular, clear-glass bottles, 1.5 cm square by 5 cm high. These bottles are necked, lipped, and corked. On the top of the cork the name of the remedy is handwritten in ink, along with its potency, and in some cases also its provenance. Otherwise there is no other labeling. Except in two or three instances the remedy is present only as a residue consisting of No. 8 Lactosum globules.16 All of these bottles were stored with some semblance of alphabetic order in an open cardboard box. There were cardboard row dividers placed in the box as well, but these were left to one side, unused. What all this suggests is that these little bottles were gathered together to be shelved, yet with some respect for their original array. The second lot is more elegant in its presentation. The container in this instance was a hinged jewelry box joined with polished cherrywood, 34 cm by 18 cm in its exterior dimensions. The interior is fitted with a cedar insert, also of cherry, having twenty rows of 10 circular apertures each, these being designed to accommodate 200 cylindrical vials one centimetre in diameter. These vials, of which 158 remain in good condition, measure five centimetres high. Most of them are at least one-third filled with No. 8 Lactosum globules. Again, the name and potency of the remedy are handwritten on the top of the cork. Generally the inscriptions are darker and more legible than those of the previous lot. Judging from the appearance of the box and from the fact that the vials were still at least partially filled, it seems reasonable to assume that this lot of remedies remained in use up until the time David McLaren quit practice. Kenneth McLaren adopted a different approach to the problem of storage, emphasizing orderliness at the expense of portability. His remedies were all kept in the six side-drawers of his bulky apothecary desk. In three of these drawers the remedies were simply tiered up in cardboard boxes. But the three other drawers had been fitted with a two-tier copper grid-work, which was soldered together in such a way that its crossed wires formed squared 16 “The number given to any size of globules is determined by laying ten of equal size in a line and in close contact with each other; the space so occupied, given in millimetres, is the number by which that particular size is designated.” The American Homoeopathic Pharmacopoeia (1928), p. 14. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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spaces slightly less than 2 cm wide. Measuring 24 cm by 31 cm, this gridwork could accommodate 160 vials altogether, while allowing an open area on all four sides for finger access. In varying degrees all six drawers were organized alphabetically and by potency. The topmost, with its grid-work insert, contained remedies solely in the 30C potency, running from Abies nigra to Opium. The remaining 30Cs, Oxalic acid to Zincum sulphuratum, were contained in a cardboard box with cardboard dividers, as if further acquisitions had exceeded the space available. McLaren’s higher potencies, 200C to CM, were intermixed, with some effort to alphabetize, in two further drawers, also with grid-work inserts. The two remaining drawers, originally designed as card files, contained his 3X and 6X potencies respectively. These were also tiered up in ordinary cardboard boxes. Although the grid-work inserts were an ingenious device, it would seem that McLaren’s expanding stock simply overwhelmed his original design, which at maximum could accommodate 480 remedies; yet he was unable for some reason to obtain further inserts at a later date. With only a few exceptions, where his remedies were labeled personally, all of Kenneth McLaren’s remedy vials, from 3X to CM, stemmed from a single source, namely D.L. Thompson, the homeopathic pharmacist, who maintained premises at 844 Yonge Street in Toronto. These vials, approximately 1.6 cm in diameter by 6.5 cm in height, were labelled with two bands, each about 1.5 cm wide. The band nearest the neck bore the name of the remedy in typeface, while that at the bottom bore the name of the firm, along with its address. The vials were all corked, the material still appearing fresh and sharp-edged today. On the top of each cork the remedy and its potency were written once again by hand, which must have helped McLaren identify them once they were racked up vertically in his apothecary. All of the vials were partly filled with No. 10 globules. In no case was there any evidence of grafting, where different-sized globules might be present in the same container. For all its neatness, in terms of the profession’s overarching destiny there is something dispiriting about the uniform and standardized appearance of Kenneth McLaren’s remedy stock. This is best grasped in relation to his father’s own stock, which is richly variegated as to its provenance. But once again, there is a need to distinguish between David McLaren’s first and second lots, between the collection of squat bottles on the one hand, and the jewelry box with its slim vials on the other. To indicate the provenance or source of a remedy graft, the homeopath would write the initials of the originator either on the cork or on the label itself. Thus, the Boericke and Tafel firm might be represented as “B&T”; Samuel Swan as “Sw”; Bernhardt Fincke as “F”, and so on. The remedies were valued for the personal energy that their creator imbued. In this there

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was at least a kind of connoisseurship; at most, an expression of subdued shamanism. In this pre-pharmaceutical era one could hold strong opinions as to the efficacy of remedies produced by one or another experimental process. James Tyler Kent might very well mock the Swan potencies, which were worked up without succussion; but John Hall, the doyen of 19th-century Canadian homeopathy, could just as well declare from the heights of his podium that it was a Swan potency that helped turn a case. Thus, in a lecture delivered before the Canadian Institute of Homoeopathy in June, 1895, Hall mentions explicitly that it was a dose of “Syphillinum c m m Swan”, followed by “Medorrhia m.m. Swan” which resolved a stubborn syphilitic leucorrhea. In this same case, in addition to these Swan potencies, he had employed four others identified by provenance, i.e., “Merc v. Fincke 10 m”, “Thuya 5m. F[incke]”, “Sep[ia] 10 m F.”, and “Sep. 50 F”. In concluding his lecture Dr. Hall added that “it being among my first trials of these remedies, they were often given empirically. The frequent repetition of the dose may be accounted for by insufficient knowledge and the late writings of many on these means, such as the Rochester Society, Dr Kent, and others.” John Hall, in other words, was judging not the remedies, but himself as wanting.17 In a world where medicinal power was still transmitted through personal channels, homeopaths would customarily exchange grafts of esteemed potencies amongst themselves. Sometimes this was done as a professional courtesy; at other times it took place in the teaching context. David McLaren, for instance, writes of one such transmission that took place at 17 Smith (2007), p. 120. J. Hall’s typewritten lecture entitled “Syphilitic Leucorrhea” is appended to the Minutes of the Canadian Institute of Homoeopathy, 1895. The breakaway “Rochester Society”, to which Hall alludes, consisted of between eight and twenty doctors who as advocates of high-potency medicine formed the Rochester Hahnemannian Society under the leadership of Dr. Joseph A. Biegler. Viewing themselves as “legitimate Hahnemannian homoeopathists”, they opened their own hospital in April, 1889, claiming this institution was “the only one in the world [their italics] where Hahnemann’s teachings are faithfully observed”. Atwater (1977), pp. 99-100. “An Appeal for Hahnemann’s Homoeopathy”, the address delivered by Dr. Clarence Willard Butler at the opening of Rochester’s Hahnemann Hospital, is held in the Bradford Collection, Volume 4, at Buhr Library, University of Michigan. Grandiloquently, Butler claimed that the opening of this hospital marked an epoch, “not alone in the history of hospital work, but in the history of medicine”. Butler (1889), p. 4. But almost immediately these breakaway, high-potency practitioners encountered resistance on the part of their scientifically-oriented colleagues. The Canadian-born D.A. McLachlan, as editor of the Detroit-based publication, The Medical Counselor, looked upon “the hospital difficulty in Rochester, N.Y.” with a cold and critical eye. “If this were the only instance,” he wrote, “in which this mischievous and anarchistic spirit has been displayed, it might be passed over in silence. But it is not. Some years since, a few like spirits fired the first gun in forming what they called the International Hahnemannian Association, and ever since the ill-omened work has gone on.” McLachlan (1889), p. 124. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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the outset of his career. Whilst a student in Philadelphia he befriended a teacher, who over the course of several evenings filled a pocket case for me with Jenichen’s potencies, which remains in good order to this day. Doing so he explained he was only passing on the good work begun by Ad. Lippe, who, years before, when teaching materia medica in the college, used to tell the graduating class to come around to his office, and he would give them enough reme18 dies to make them “independent of the shops.”

In another instance Adolph Lippe himself19 recommended McLaren use Natrum sulphuricum for an epidemic of morning diarrhoea that was plaguing Philadelphia. “He gave me a graft of the CM potency,” McLaren writes, “which cured the case and the potency is still in my pocket case.”20 Although the specific circumstances of transmission are for the most part lost to time, in David McLaren’s first lot of remedies, nineteen of the 88 which remain legible, or 21% altogether, were identified as to their provenance. Thus, from Swan he records one 1M and 3 CM potencies; and from Fincke, one 10M and one CM potency. From Skinner, whose “Fluxion Centesimals” are abbreviated as “F.C.”, he notes 10 remedies of intermediate potency. The remaining three remedies are credited to “S.S.”, “Tyl”, and “T”. It is possible that the “Tyl” and “T” potencies, the one a 3M, the other a CM, both stem from Dr. Tyrrell of Toronto, who was a close colleague and a fellow member of the Canadian Institute of Homoeopathy. Likely “S.S.” refers to Samuel Swan. In addition, although it was not initialed, there can be little doubt that McLaren’s Arsenicum MMM stemmed from the firm of Erhardt and Karl, who altogether produced 250 polychrests at this most extreme attenuation.21 18 David C. McLaren (1928), pp. 452-453. The practice of grafting did not escape criticism from homeopaths who identified themselves with scientific medicine, and at times their language became quite as vitriolic as that of their “sectarian” colleagues. In one of his Editorial Chats for the Medical Counselor, Hugo Arndt, for example, denounced grafting as part of the grand effort “to get rid of matter in any form” [his italics], judging it “a startling fact that the great majority of the monstrous excrescences which in those earlier days developed on the fair form of homoeopathia – unsightly warts on the bosom of a fair maiden – were begotten by the blind enthusiasm of some ‘halfread’ layman [i.e., Julius Jenichen], and at once greedily accepted as wonderful discoveries by men often of the highest standing in the profession. Nothing so absurd but that it would find an able champion in some brilliant writer or teacher.” See Arndt (1886), p. 149. 19 That David McLaren had personal contact with Adolph Lippe (1812-1888) is of some significance for this discussion. A long-term colleague of Constantin Hering (who was himself one of Hahnemann’s early students), Lippe was “the most forceful polemicist of the period on the advantages of high-potency prescribing”. Gaier (1991), p. 328. With his thunderous delivery and encyclopaedic knowledge, Lippe was no doubt influential in imprinting the high-potency doctrine on David McLaren’s young mind. 20 David C. McLaren (1928), p. 453. 21 Winston (1999), p. 101. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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However, when it comes to McLaren’s second lot of remedies, those 158 intact vials contained in the cherrywood box, only two, or 1% of the total, are identified as to provenance. Specifically, Arum triphyllum 16M and Cactus grandiflorus 34M are both initialed with an “F”, indicating they were prepared by Bernhardt Fincke. This drop in initialed remedies from 21% in the first lot to 1% in the second is best explained by the changing times. Plausibly, the second lot was prepared some years subsequent to the first, during the period when mechanization was phasing out the personal element in homeopathic pharmaceutics. Samuel Swan, it might be noted, died in 1893, while Bernhardt Fincke and Thomas Skinner both died in 1906.22 With these losses fresh in his mind, David McLaren may have grudgingly brought his practice more into line with the modern world around the time that his son Kenneth entered medical school. By recording the provenance of their remedies these 19th-century homeopaths reveal something about the way in which they construed their professional world. On the question of homeopathic potency their personal preferences are likewise meaningful; but now it is more the way in which they perceived the ontological world – being itself – that stands revealed. At issue is the question as to whether a non-material cause can exert a medicinal effect, or in Hahnemann’s terms, whether a “spirit-like dynamis” can effect a cure. In this regard there is a threshold value that can be taken as separating the material from the non-material worlds. Known as Avogadro’s Number, it denotes a fixed ratio of medicine to diluent, beyond which one can no longer expect statistically to locate an atom of the principle present in a defined volume. In homeopathic terms this threshold value is taken as the 12C potency. Beyond 12C one would not expect to find any medicinal presence in a homeopathic globule sampled at random. Any effect that it may exert must therefore be attributed to some imperceptible “spirit-like dynamis”. This threshold then leads to the distinction between high- and low-potency practitioners, between those who typically exceed 12C in their prescriptions, and those who do not. In North American homeopathy the high-potency practitioners tended to group together with sectarian zeal in tight-knit organizations such as the I.H.A., while low-potency practitioners felt more comfortable merging with the world of medicine at large, “becoming literally indistinguishable from standard doctors”.23

22 Winston (1999), pp. 89, 92, 98. 23 Robins (2005), p. 178. According to one source, even before the turn of the century most American homeopaths prescribed near-physical dilutions of 2X or 3X, meaning that the remedy had been attenuated at a ratio of 1:10 two or three times. Haller/Mason (1997), p. 39. There is a growing medical-historical literature on the dilution controversy, including Atwater (1977), Brierley-Jones (2005), Jütte/Riley (2005), Robins (2005), and Winston (1999). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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As the new century dawned the gains made by scientific medicine were already considerable, while its research model, pertaining solely to physical interactions, seemed promising as a working hypothesis. To the homeopaths, whose worldview posited a spirit-like energy component, the medical breakthroughs that were happening all around them must have seemed at once encouraging and threatening. As doctors, they could not deny the evidence before their eyes, of patients treated by “regular” physicians who quickly recovered from life-threatening conditions; yet as healers, they must have known that something subtle, yet intrinsic to life, was being overlooked in the full flush of the scientific age. At this juncture the obscurantists among their ranks tried to save the phenomenon – the vitalist worldview – by contending bluffly that the new medicines, the vaccines and the anti-bacterials, tended to suppress the lifeforce in ways that were not immediately apparent, but which were doubtless detrimental in the long run. Another reactive measure was to retreat beneath Avogadro’s threshold, proposing that the homeopathic potencies did no more than exercise a minute stimulation akin to humoral secretions. This finally was the strategy chosen by most American homeopaths, who were satisfied to prescribe such low dilutions that their medical effects could be explained in terms of the contemporary scientific paradigm.24 From this cosy niche, cozened up to “regular” medicine, they could dismiss highpotency cures as daft chimeras. Because David McLaren had a long-established Ottawa practice, there was little need for him to become swept up in the scientific currents of his day. To judge from his papers published only a few years before his death, he remained a “high-potency man” to the end. Only just graduated, his son was unlikely to feel quite as secure; nor, as a University of Toronto man, would he have wished to remain oblivious to the upsurge of medical research that so inspired his mainstream colleagues. In spite of his affiliation with the I.H.A., like it or not, Kenneth McLaren had to pursue his profession in the modern world, which meant that he had to take a considered position with regard to the potency question. His eventual solution to the issue is conveyed numerically in Table 1, which contrasts Kenneth’s remedy stock with that of his father. Where David kept only one single decimal potency in his own stock, in Kenneth’s case the decimals comprised a full 32% of the total. In contrast, where David McLaren had 23% of his stock in CM potencies, Kenneth had only 24 Royal S. Copeland, the chairman of the American Institute of Homeopathy’s Bureau of Homeopathy, read a paper on the potency question at a meeting of the AIH, held in Niagara Falls on June 23, 1904. In his speech, Copeland referred to the chemical phenomenon of ionization which progresses with higher dilutions, such that “complete ionization is possible only in infinitesimal doses.” From this perspective, “all bodily process can be explained in chemical terms,” thus rendering the vital force superfluous as an explanatory variable. See Robins (2005), pp. 78-80. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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1%. In fact Kenneth’s preferred potency seems to have been the 30C, which comprised almost 31% of his entire stock. Again, this contrasts markedly with his father, for whom the 30C, at 1%, was evidently little used. For Kenneth, next in order of incidence is the 200C potency, which constitutes 21% of his stock. Here there is some overlap with his father, whose stock consisted of almost 7% of that potency. Overall, however, the one profile is virtually the inverse of the other; that is, 84% of Kenneth’s remedies fall between the 3X and 200C potencies, whereas 92% of David’s remedies (including the “Other” category) range above the 200th. There is another point of contrast, which has to do with the strain towards standardization. Although it is masked by the aggregated category of “Other”, nearly 28% of David’s stock consisted of potencies with odd integers, such as 3M, 43M, 81M, and so on, up to MMM. These stem from a world in which standardization was not yet a paramount value, but where the homeopathic pharmacists could determine personally at what point they could go no further in drawing forth latent medicinal powers. They were governed less by the clock or by the counter, and it was for them alone to judge when the medicine was fully ripe. Yet it would seem that idiosyncratic involvements of this kind were no longer considered trustworthy or exemplary in Kenneth’s day, for his own stock consisted of less than 1% of such anomalies. His father’s custom of exchanging grafts had become an anachronism, symbolizing, if anything, a lack of purchasing power. What mattered now was consistency and reproducibility, which are of course central canons in the world of scientific research and mass production. Kenneth McLaren, in short, tended towards low- to intermediate-potency prescriptions, in spite of his affiliation with the I.H.A. Perhaps father and son at some point began to look at each other across a cognitive divide, the one no longer able to articulate his wonderment, the other impatient with old-fashioned attitudes. Even as members of a marginal profession, sitting side by side at the annual session of the I.H.A., they may no longer have been able to communicate to each other their innermost thoughts. Father and Daughter Born on October 31, 1856 in London, England, John Hardinge was raised as a single child by a rather indulgent schoolmaster, who sent him on to Guy’s College for training in medicine. Hardinge, however, abandoned his studies in his final year, and in 1879 he sailed to Canada to establish a new life, hoping that in backwoods Ontario he could practise medicine without need of a qualifying licence. Taking up residence in Coe Hill, a railhead and mining town 90 kilometres north of Belleville, Ontario, Hardinge enjoyed some prosperity as a yoeman physician until the depression of the mid-1890s forced him to seek work back in Belleville. During this impecunious period he met the homeopath Dr. Arnley Quackenbush, who had Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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graduated from Hahnemann Medical College in 1891.25 Perhaps on account of a familial link with Hardinge’s wife, Quackenbush agreed to mentor Hardinge in the homeopathic art. It would seem that the Belleville homeopath also introduced him to his colleague, Dr. David McLaren, at this time.26 John Hardinge returned to Coe Hill on a permanent basis after economic conditions improved around 1900, only a year or two before the profession as a whole entered upon its sharp decline. Through the mediation of his mentors, Drs. McLaren and Quackenbush, John Hardinge was only one step removed from such eminent practitioners as Lippe, Farrington and Kent. While their mode of perception would be almost entirely swept away in the full tide of scientific advance, far from the beaten path around the little town of Coe Hill it was kept alive. John Hardinge (and later his daughter, Mattie) perpetuated not only the 19th-century dispensing regimens, but also, through the practice of grafting, the original medicines themselves. Because it would not have been in his interest, as an unlicensed physician, to keep incriminating clinical records, it is only from some few scraps of paper, used as bookmarks, that we can appreciate John Hardinge’s style of homeopathic prescribing. On the evidence of these ephemera, several of which cite page numbers, it appears that Hardinge relied heavily upon the third edition of E.A. Farrington’s “Clinical Materia Medica”, published posthumously in 1897, as a key reference work. A homeopath “of some consequence”27, Ernest Albert Farrington (18471885) graduated from the Homeopathic Medical College of Philadelphia in 1866. He then took further studies at the newly-chartered Hahnemann Medical College under Constantin Hering and Adolph Lippe, graduating at the top of his class in 1868.28 Within a few years Farrington became profes25 Biographical data for Arnley Quackenbush has been compiled from David C. McLaren (1928) and Quackenbush (1987); from scattered advertisements and social columns in the Belleville Intelligencer; and from phone interviews with family descendants. The circumstances of his tragic death are recorded in The Ottawa Journal, August 18, 1920. I am deeply grateful to Ms. Rhoda Quackenbush of Rochester, New York, for sending me Dr. Quackenbush’s impressive diploma, granted by the Hahnemann Medical College in 1891. 26 In his presidential address before the International Hahnemannian Association in 1928, David McLaren recalled, among other things, the times which he spent with his “old confrère”, Dr. Arnley Quackenbush. In his younger years Arnley Quackenbush had suffered almost to the point of despair from the itch. Directed to Dr. J.D. Tyrrell, a homeopath practising in Toronto, Arnley was cured so completely that, according to McLaren, he chose right then and there to study homeopathy. See David C. McLaren (1928), p. 456. 27 Gaier (1991), p. 196. 28 It will be recalled that Arnley Quackenbush graduated from this same institution in 1891. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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sor of Materia Medica at this same College, a prestigious posting for one so young. His career was cut short, however, by an intractable pneumonia that began late in 1884. A Swedenborgian like Hering and Lippe, Farrington refused allopathic treatment, believing that if homeopathy could not return him to health, then he was clearly meant to be taken from this earth. Ernest Farrington left the profession his “Clinical Materia Medica”, a compilation of seventy-two lectures delivered at the Hahnemann Medical College. For its succinct remedy pictures, along with its adroit differential diagnoses, many passages of his work remain relevant today. On the other hand, much of the text is concerned with conditions such as cholera, diphtheria, malaria, and smallpox, which public health measures have since eradicated in the developed world. On the potency question Farrington reveals something of his spiritual convictions. Towards the end of his text, in Lecture XLVII, he clearly distances himself from those homeopaths like Royal S. Copeland, who likened the homeopathic effect to a minute enzymatic stimulus. To the contrary, Farrington writes that “when you potentize a drug you will find that you no longer have to depend upon the ordinary laws of dietetics, hygiene or chemistry, but you step into a realm which is distinct from the laws of chemistry and of physics. Medicines are then no longer subject to the coarser laws.”29 Nevertheless, when it came to prescribing, on this same subject of potency, which tended to polarize homeopaths into “high” and “low” camps, Farrington was not dogmatic. His general position seems to have been that with most remedies “the high potencies act best.”30 Judging from scattered references in the text, what he means by “high potency” seems to locate around the 200th attenuation. Farrington nevertheless recounts at least a dozen instances in which remedies in low potency served to resolve a case. At several points he also recommends the Schüssler salts, which hover on the border between homeopathicity and mineral supplementation. Finally, he urges his students to bear in mind that remedies in the tincture form may be no less efficacious than those in potency.31 In this regard he cites a case of a gentleman who had a tendency to catarrhal asthma, with thickening of the bronchial tubes and constant oppression of breathing. Treated for a year with potentized Sulphur, he obtained only partial relief. Farrington at last gave his patient Yerba santa in the crude tincture form. This was a remedy favoured by the eclectics32, who used herbal preparations on the basis of folk and native tradition without bothering to prove them on healthy subjects. Farrington 29 Farrington (1897), p. 659. 30 Farrington (1897), p. 610. 31 On this question, which even today concerns the profession, see Jütte/Riley (2005). 32 For an account of eclecticism in the United States, see Haller (1994); for Canada, see Connor (1991). Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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notes that the tincture “so far relieved him that every morning he coughed up a quantity of sputum, and there then followed a freedom of breathing he had not had for years”.33 On the development frontier, far to the north of Philadelphia, John Hardinge seems to have followed Farrington’s nosological model in oscillating between near-material doses and those of the highest attenuation. This is an assessment that must be hedged with caution, however, as only three of Hardinge’s prescriptions have survived.34 The first of these, dated January 22, 1914, records on a 20 cm by 12 cm page the presenting symptoms of a patient from a village north of Bancroft. Below these symptoms, the doctor writes the indicated remedies in staggered order. 7 years: Pain aching l. side near hips running up to shoulder. When resting aching between shoulders, < continued motion Aching starting under l. breast through to R. lumbar region. Feet generally warm, but burning soles - sticks feet out of bed. Hunger 10 11 am. (O.S.) A few mouthfuls fills him up. Heat on top of head. Sul. 200 Calc. 10M Lyc. 200 12 - 1 - 4

A homeopath would recognize in the symptoms “sticks feet out of bed”, a key-note for Sulphur. This is further reinforced by the sensation of “Heat on top of head”.35 On the other hand, the peculiar chest and back pains, together with “burning soles” and “aching between shoulders”, point to Calcarea carbonica. Finally, “a few mouthfuls fills him up” is a characteristic symptom of Lycopodium. From Hahnemann’s time it was, moreover, an accepted protocol to prescribe these three remedies in the very sequence indicated here. Hardinge alone employs Calcarea in the high, 10M po33 Farrington (1897), p. 679. 34 John Hardinge’s prescriptions are located in the Hardinge family archive. 35 Hardinge has underlined the passage in Farrington which states, “If there is heat on the top of the head alone [that is, in the absence of hot feet], you must think of Calcarea or Phosphorus.” See Farrington (1897), p. 439. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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tency, because it is meant to address the principal pathological symptoms, the chest and back pains, which could be either rheumatic or tubercular in origin. This is a potency which Lippe, but not Farrington, would use on a daily basis. The second prescription, recorded in pencil on a rectangular piece of paper, cut to 6.5 cm by 9 cm, is dated February 11, 1920. Following the prescribing style of E.A. Farrington, Hardinge here is calling for an alteration between Calcarea phosphorica in the form of a low-potency Schüssler cell salt, and Natrum muriaticum in medium potency: Calc Phos 4x (12 -1- 4) Natr. mur 200 6 - 6 alt. One each night as necessary !

A third prescription, dated March 1, 1930, is also recorded in pencil on a piece of paper identical in size to the previous one. It is meant for a patient who, judging from the remedies chosen, likely suffered from venereal disease. Hardinge calls for Medorrhinum, a nosode prepared from gonorrheal pus, in ultrahigh potency, again much as Lippe would have done. With Thuja in medium potency he evidently intended to resolve the case by dispelling the underlying miasm, or dyscrasia. Medorrh. 50M S.S. 15. 1. tid vj Thuja 30. only after 1 week

This prescription is also of interest in the fact that beneath “Medorrh. 50M”, Hardinge has written the letters “S.S.”. As with an instance in the McLaren collection noted above, one might conjecture that these initials refer to Samuel Swan, the New York homeopath who marketed hundreds of remedies in high potency, all prepared by the passive fluxion method.36 Regarding the process of repertorization, by which a remedy is chosen on the basis of discrete symptoms, Farrington had urged his readers always to keep the “grand effect of the drug” in mind. “You may express this as you choose,” he wrote. “Some call it the genius of the drug; others speak of it as the general action of the drug. This you must have in your mind or the other symptoms are worthless. Did you not do this, you would be a mere 36 Hardinge kept a vial of Medorrhinum 50M in his apothecary, but it was not labeled as to source. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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symptomist, certainly a term of reproach.” Elsewhere in the text, he makes mention of those “hurried and careless practitioners” who prescribe Belladonna, on the basis of symptoms which have a “quite superficial and partial” resemblance to the overall picture of the drug. They do so at their peril, he warns, because of all drugs, Belladonna “has most marked the power of producing opposite effects”.37 Considering what little evidence remains, it is not possible to determine whether John Hardinge was a homeopathic adept in Farrington’s exacting sense. In fact, there exists but one complete repertorization in his hand, and this again is preserved on a neglected slip of paper. Whether or not it is representative of his work as a whole, this one item demonstrates that John Hardinge was at least professionally competent in his prescribing. In a systematic manner Hardinge has listed the presenting symptoms, together with the indicated remedies. Here the doctor also follows standard practice in grading the remedies which he has listed. In other words, where certain remedies have been found repeatedly to cause such symptoms (in provings) or to cure them (in the clinical setting), these are underlined to accord them greater weight. Leucorrhea Milky Am. c. Calc, Carb v. Coff. Con. Creos. [sic] Ferr. Kali iod. Laur. Lyc. Natr. m. Phos. Puls. Sabin. Sep. Sil. Sulph. Sul ac. Burning Am c. Calc. Con. Creos. [sic] Phos. Puls. Sul. Sul ac. < lying Con, Puls, Sul < sitting Con. Puls

Only two remedies, Conium and Pulsatilla are present in all four rubrics. Conium, however, is found in the second grade under the rubric “burning”, while Pulsatilla is not. Therefore, on a numerical basis Hardinge was entitled to choose Conium as the remedy best suiting to the case; and indeed he has written “Con.” at the very bottom of the sheet. However, because only one degree of grade separated the two, it is likely that he followed Farrington here in considering the overall “genius of the drug” before making his final determination. John Hardinge kept in excess of 800 vials stored in his apothecary cabinet. In addition, he also kept a remedy kit, which he took with him on housecalls or for when he was out on the circuit. Certainly in the case of this kit the potency range is dramatically tilted to the high end. Thus, of the 48 37 Farrington (1897), pp. 20-21, 379. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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remedies stored there, a full 26, or 54%, are CM’s, which is to say that they had been attenuated 100,000 times. Likely it was the homeopath’s view that these ultrahigh potencies could resolve even a desperate case with a single dose. If there was always the hazard of a sudden aggravation, hastening death, that was a risk he had to take in the backwoods, where he could only hope to see the sick at infrequent intervals. In Hardinge’s kit a further four remedies were of the MM potency, having been attenuated one million times. One of these, Agaricus muscarius, with its sensations of tingling and numbness at the extremities points to its use homeopathically in cases of frostbite. Employing it in the MM potency, John Hardinge may have had some success in staving off gangrene in cases of severe exposure. A second remedy, Pulsatilla, in high potency is used in instances of pulmonary distress, including tuberculosis and emphysema, when there is a sensation of smothering upon lying down. The remedies which Hardinge kept in his apothecary were stored in uniform, corked vials about seven centimetres high. The base of the vial was rectangular, being about two centimetres on the face, while the neck was cylindrical, flaring at the top. The vials were all labeled with gummed strips only 0.5 cm wide. In some cases Hardinge himself had penned the name of the remedy in his own elegant hand; otherwise, the name of the remedy was machine printed. Some of these remedies have since fallen out of use, since the conditions calling for them are no longer encountered. One such remedy is “Crawley”, which John Hardinge kept in a number of potencies. Known formally as Corallorhiza, the remedy was employed in malarial fevers, accompanied by intense nervousness, its period of aggravation beginning between 9 and 10 a.m. and lasting through until midnight. Another remedy rarely prescribed today is Ailanthus glandulosa, the symptoms of which are “remarkably alike to malignant scarlatina”.38 Because no systematic records were kept, it cannot be determined with any confidence which remedies Hardinge employed most frequently. It is reasonable to suppose, however, that there is a correlation between frequency of use and the number of potencies which Hardinge kept of a certain remedy. If that is so, then Lachesis, which Hardinge stocked in twelve different potencies, was a much used remedy indeed. Prepared from bushmaster venom, Lachesis is indicated in a wide variety of conditions, including diphtheria, septicemia and climacteric difficulties. Ranking next in the number of potencies are three remedies, Calcarea phosphorica, Silicea, and Sulphur. The first of these, Calc. phos., was used in Hardinge’s time, among other things, for persistent anemia following upon a disease episode. Another widely used remedy, Silicea had earned a reputation among timbermen for expelling splinters or fragments from the hands and feet. Finally, as “the king of remedies”, Sulphur would rank high in any homeopath’s dispensary, regardless of the socioeconomic status of their clientele. 38 Boericke (1927), pp. 25, 236. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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In this profile of potencies there are several surprises.39 One of these is the remedy Abrotanum, or Southernwood, which is represented by six discrete potencies. Rarely used nowadays, Abrotanum was once the remedy of choice for rickets, and for a general failure to thrive, when the appetite remained unimpaired. Another unusual remedy is Bufo sahytiensis, of which Hardinge stocked seven potencies. While this species of toad is not included in the standard Materia Medica, it can be found listed in Samuel Swan’s catalogue of high potencies.40 If B. sahytiensis bears any resemblance to the remedy B. rana, with which homeopaths today are more familiar, then there is a strong possibility that Hardinge was using it, given the fact that it “arouses the lowest passions; causes a desire for intoxicating drink; produces impotence”41, to treat the stumbling drunks in his community. The great majority of the remedies in Hardinge’s remedy kit are labeled as to their provenance. This is especially so with the CM potencies, all but three of which identify their manufacturer with handwritten abbreviations. Seventeen of these, labeled “Fk”, were prepared by Bernhardt Fincke, sometime before 1906, the year of his death. A further five, labeled “FC”, are likely “Fluxion Centesimals” made by Thomas Skinner, who also died in 1906. Finally, one of these CM potencies is labeled “Q”, which very likely stood for Arnley Quackenbush, Hardinge’s mentor. When the remedies in Hardinge’s kit are cumulated with those in his apothecary, as in Table 2, almost exactly one-third of these, or 298 out of 875, are labeled as to source. Fincke accounts for 82 of these, most of which are CM’s. Nearly matching Fincke, Boericke & Tafel contribute 78 remedies, of which 41 are 200C potencies and another 25, 1M’s. A further 52 remedies, mostly CM’s, derive from Samuel Swan. Only 6 remedies are labeled “Thomp”, meaning they were obtained from D.L. Thompson, the homeopathic pharmacy in Toronto. These, moreover, are in the lowest potency range. Whether it was because of aggressive marketing, or whether it had more to do with Hardinge’s collegial contacts, it is clear, where these labeled remedies are concerned, that by far the greatest number stemmed from the American side of the border.

39 The contemporary homeopath Massimo Mangialavori records a similar experience. “I was extremely fortunate to find an acute homeopathic remedy kit from 1886 in a flea market. In it I was surprised and delighted to find remedies such as Angustura, Asparagus, Cannabis sativa, Clematis recta, Gelsemium nitricum, Mezereum and Viburnum opulus [his italics removed]. Even if only used for acutes, it demonstrates that these remedies were well known enough to be depended upon alongside the usual polycrests.” See Mangialavori (2010), p. 85. 40 Boericke & Tafel [1894?]. This catalogue was published within a few years of Swan’s death in 1893. I am most grateful to the late Mr. Julian Winston for furnishing me with a copy. Boericke’s catalogue can also be found amongst the Bradford Pamphlets at Buhr Library, University of Michigan. 41 Boericke (1927), p. 135. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Born on July 29, 1890, the third of seven children, Mattie Hardinge lived through the years of privation and uncertainty, during which her family verged on destitution. Others in the region had suffered through hard times, yet rarely did this result in the kind of bitterness which Mattie’s developed towards her father. From family accounts, what she most resented was his abrupt nonchalance in taking leave of his family for unknown parts, for as an itinerant physician he would sometimes be gone for weeks at a time, obliging his wife and children to fend for themselves or else beg from the neighbours. Around 1912 John Hardinge managed to reduce his time on the circuit by building a telephone system that linked up the local communities with his home as the hub, and it was here that Mattie gained her first experience as a telephone operator. This served her well in securing work in Toronto, where she lived for four years; but in 1916, following the death of her mother, she returned to Coe Hill to assume family responsibilities and to practise homeopathy, her only other viable source of income. By this time Coe Hill had become encapsulated socially and economically. The region had been timbered and the few iron deposits not contaminated with arsenic were by then exhausted. To the plus side, the townsfolk could take justifiable pride in their self-reliant ways. With the outside world becoming ever more complex and hurried, they were able in large measure to pursue the old round, haying, laying up preserves, bringing in wood, and tending the stable. Through church associations, fraternal orders, or simply as neighbours, the people of Coe Hill managed to support one another through hard times. Resisting a general urbanizing trend, the ties of kin and friendship became, if anything, tighter across the community. In a bounded society such as this John and Mattie Hardinge could practise as irregulars without drawing the attention of outsiders. They could trust the townspeople, many of whom were patients, to keep their medicinal powders a secret. For a woman of her time living in a depressed rural community, Mattie’s accomplishments were every bit as impressive as those of the regular female homeopaths who practised in more lucrative settings.42 As a lay practitioner earning a steady source of income, she was able to purchase her own house and maintain a vehicle. As a dedicated homeopath she had earned the respect of the entire community; and as a single woman she was dependant upon no man. In public Mattie was always seen impeccably dressed, yet without ostentation. Apart from a wrist-watch she wore no jewelry, and even the frames of her glasses were unadorned. Wherever she went, she took along her black purse with its packets of powders inside. With her proper, upright bearing and general heftiness, there was something regal about Mattie, and people would sometimes liken her to the Queen Mother.

42 See Kirschmann (2004) for some profiles of prominent female homeopaths in the United States. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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As a devout Anglican, Mattie regarded her own healing mission as a true Christian commitment. If the appropriate remedy did not present itself, she would pray for divine guidance. She was never heard to be critical of a household that had let its standards slide due to unremitting poverty. Instead of taking fees from the poor, she would just as soon leave a dollar or two behind. Though Mattie’s services were in constant demand, for all her involvement in the community, she must often have felt alone and misunderstood. By 1921 she had become thoroughly alienated from her father; but what she knew about healing she could not impart to her neighbours. Beyond her tightly knit community Mattie kept few friends with whom she could safely unburden herself or enjoy collegial exchanges. Except for Drs. Kenneth and David McLaren, whom she saw infrequently, Mattie dared not maintain close links with persons outside, for fear that her clandestine practice would come to the attention of the authorities. During her home-based consultations Mattie sat at a round pedestal table in the corner of her wainscoted living-room. The table had a circular glass cover with a linen cloth spread out underneath. In front of her there was a blotter, and behind the blotter in the centre of the table sat her remedy case, its lid open. A broken hinge had been replaced with a piece of string. Within her case there were in excess of one hundred corked vials, most of them about 1.7 cm in diameter and 6.4 cm in height. Mattie kept a few well-thumbed reference books beside her. Likely William Boericke’s standard Materia Medica was one of these. In the old days, on dark winter mornings, and then again late in the evening, Mattie would pump up the coal oil lamp, for it wasn’t until 1948 that hydroelectricity reached Coe Hill. Originally designed to store jewelry, Mattie’s remedy case had a compartment at the front left corner just large enough to accommodate the papers, each about 5 cm by 7.5 cm, which she used for wrapping powders. Once she had decided upon a remedy, Mattie would take out some of these papers and array them on the blotter before her like a fan of playing cards. From a rectangular bottle she would pour a generous portion of Lactosum, or milk sugar, onto each of the papers in turn. This had no function other than to prevent the little pellets from rolling away. Although her medicine case never showed more than a slight tendency towards alphabetic order, Mattie was so familiar with the positioning and the feel of the vials that she scarcely had to look for the one she wanted. She would confirm her selection with a glance at the name of the remedy written on the top of the cork. Removing the cork, she used the corner of the vial to draw a groove through the little mound of sugar. Then, with a practised turn of the wrist she would pour a few pellets of the selected remedy into the groove. Next, Mattie folded each paper around the milk sugar and pellets, tucking one end into the other, so that the little bundle would not spring apart. The resulting package tended to be about 2.5 cm in length, a third of that in width. If there was more than one package (as was usually the case), Mattie Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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would number them on the outside to indicate the order in which they were to be taken. Finally, she would place all the numbered packages in a little envelope, about 9 cm by 5 cm, which she personally cut to size. For a chronic or deep-seated case, Mattie used a rather complicated treatment protocol, derived either from her father or from Dr. Kenneth McLaren. Whether by mail or in direct consultation, she would provide her patient with three numbered envelopes. Typically, the first envelope, labeled #1, held six packages, only three of which contained the indicated remedy. Usually the remedy was in a 200C potency, but sometimes Mattie would choose a 1M, and even more seldom a higher potency yet. On the envelope Mattie would invariably write that the six powders were to be taken “two hours apart for three doses, then four hours apart as numbered”. Only the first three doses were actually the remedy of choice; the other three were simply placebos, or what Mattie called “blanks”. From her father Mattie had learned that it ordinarily took three powders to effect a cure. The first dose was meant to stir up the case, the second started the cure, and the third would resolve it. It also seems to have been her father’s belief that remedies should be taken in odd- rather than even-numbered sequences. Thus the packets would be clustered in groups of three, or seven, or nine. Envelope #2 contained a tissue salt. It was to be used concurrently with envelopes #1 and #3. Of the twelve Schüssler salts, Mattie’s general preference was for Calcarea phosphorica in the 3X or 6X potency. Originally Mattie included only one powder in this envelope, with the instruction that the patient was to dissolve it in 12 teaspoons of water. For the rest of the treatment they were to take one teaspoon, three times a day. However, in an era when typhoid was still prevalent, many people distrusted drinking water that had been sitting exposed for several days. Thus, Mattie began dispensing pellets in twelve separate doses. To differentiate these tissue salts from the homeopathic remedies proper, she used 25-gauge globules in this instance. Envelope #2 thus consisted of twelve wrapped powders. Envelope #3 was to be used three days after finishing envelope #1. Again, three of the powders were medicinal, the other three placebo. The patient was to take one powder each night in accordance with the numbered sequence, for six nights altogether. It was left to Mattie’s judgment, whether to repeat the first remedy, or introduce a different one. Finally, Mattie would seal three envelopes inside a regular mailing envelope, with the patient’s name underlined on the outside. If the envelope was to be mailed, usually Mattie would include a personal note, as a heartfelt statement of concern. Mattie referred to such an envelope, with all its contents, as one “treatment”. For a treatment envelope she generally charged $2, while a single packet of powders, suitable for an acute condition, might cost between 25 and 50 cents.43 43 Mattie’s fee schedule begs comparison with that of Dr. Mahlon Locke, the famous Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Though Mattie enjoyed relaxing upstairs listening to her phonograph, she never took the trouble to install a telephone in her house. Even into the 1960s, when it came to dealing with patients at a distance, she remained less equipped than her father had been fifty years earlier. Her reluctance to do so stemmed from concerns about legal entrapment, as well as from the fact that a telephone would have made her accessible day and night to patients from miles around. With that channel denied her, Mattie each day would receive at least four or five letters through the mail requesting powders. Usually the letters came with a dollar or two placed inside as payment. In responding to these letters Mattie, like her father, often had to contend with complaints that were only vaguely defined. For example, a Mrs. S. in an undated note asks Mattie, “Would you give me some more powders for my baby. He is a quite a bit better, he eats some better now and he sleeps good.”44 With her clinical experience extending across five decades, Mattie Hardinge naturally hit upon various shortcuts to expedite her homeopathic prescribing. The evidence for this consists, first, in several terse notations which she made on the labels of her remedy vials. For Dulcamara she wrote “rash like flea bite”; for Cicuta virosa, she added, “for blows on head and vomiting”; and for Chamomilla, she noted “restlessness, peevishness”. Mattie furthermore seems to have used several composite remedies, to scattergun a complex case in which there was no clearly indicated remedy. One of these was a tri-miasmatic concoction, consisting of Medorrhinum 10M, Syphilinum 50M, and Psorinum 200C. Presumably, if a patient had a history of venereal disease, together with intractable skin problems and a tendency to selfdestruction, this would be a remedy to consider. Although it is no longer to be found in either remedy case, another of Mattie’s composite remedies was known to the Hardinge clan as “Bellpul”. A combination of Belladonna and Pulsatilla, this remedy was meant to relieve the common cold, when both fever and coryza were exhibited. In the 1880s the American pharmacist Samuel Swan himself had marketed “Bellpul”, a remedy consisting of Belladonna and Pulsatilla, “[w]here each are indicated but do not cure”. No “Toe-Twister”, who practised in Williamsburg, one-half day’s drive to the southeast of Coe Hill. In the depths of the depression Dr. Locke was treating between 1,500 and 2,000 patients a day, using a simple foot manipulation. A rather skeptical observer, E.A. McCulloch described the monetary side of Locke’s practice in these terms: “Five times a minute his hand goes out, encircles a dollar bill, and finds its way to his hip pocket (his side pocket if the bill is $2.00 or $5.00) [...].” McCulloch (1936), pp. 73-74. Like Mattie, Dr. Locke kept no accounts, nor did he send out bills; and as Barbara Clow, a more sympathetic commentator, noted, even when he could have commanded higher fees, “Locke continued to charge only 25 cents for local calls and anyone who could not afford to pay was treated free of charge.” Clow (1992), pp. 22-23. Among the Hardinge family papers there are two black-and-white postcards, one of which is dated September 17, 1934, showing Locke busy at work twisting toes. 44 Hardinge family archive. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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doubt it was for the sake of the purists, who would never consider using more than one remedy at a time, that the editor added, “It has been found very efficacious.”45 According to the family account Mattie used her reserve case to store remedies which she seldom prescribed. Yet Mattie’s reserve case is quite similar to her primary case in terms of the distribution of potencies. Of the 117 identifiable remedies in Mattie’s primary case, 18, or 15%, were of the 1M potency. Percentage-wise, this is nearly identical to the reserve case, where 17 of the 105 remedies were in the 1M potency, constituting 16% of the total. The distribution of the 200C, 10M and CM potencies is also nearly identical, varying by only one percent in each instance. In fact, corroborating the family account, the only significant difference between the two collections consists in an assortment of 37 anomalous vials which are scattered through the reserve case. Lacking either a remedy name or a potency rating, or otherwise labeled illegibly, these vials are not included in the “Miscellaneous” tally under the Mattie Hardinge column in Table 3. Indeed, from a medical perspective most of these vials are worthless; but rather than dispose of them, it appears that Mattie, a pack-rat by reputation, chose simply to store them in the reserve box, where they would be out of the way. Four of these anomalous vials are wrapped with beige labels bearing the name of Dr. K.A. McLaren in print at the bottom. A further vial “for rash” has “Dr. McLaren” handwritten on a perforated strip of masking tape. These McLaren remedies are labeled as to their function, rather than their homeopathic ingredient. Thus, Mattie’s reserve case contains vials for “Rash”, for “Tension”, for “Neuralgic Pain”, for “Nerves”, and for “Aching Limbs”. Furthermore, Kenneth McLaren made it a practice to write his patient’s name at the top of the label, something that Mattie as an illicit practitioner would never think of doing. Two of these remedies, those for Tension and “Aching Limbs”, were prescribed for Mattie herself, who was referred to as “Miss Mattie” or “Miss Hardinge”. The other two remedies were intended for her two brothers. On the basis of these four little vials there can be little doubt that Kenneth McLaren was the Hardinges’ chosen homeopath, their bond symbolized by Mattie’s practice of merging his remedies with her own. In its style of homeopathy Mattie’s practice must have had many points of identity with that of her father. But like her father, she too avoided incriminating herself by keeping patient records. Nevertheless, tucked into one of Mattie’s tattered reference books is a single, unlined 7 cm by 12 cm file card. Dated October 11, 1939, it lists a patient as having the following symptoms: “Loss of appetite. Tongue dry & cracked. Dryness of mouth & throat. Chilliness if covers lifted. Restlessness. Lumps in umbilical region. 45 Boericke & Tafel [1894?], p. 6. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Bowels loose.”46 On the basis of these indications Mattie prescribed Rhus toxicodendron 200C every 2 hours, together with Kali and Calc. phosphoricum 6X at more frequent intervals. In the follow-up a week later, she prescribed Rhus CM along with a placebo. Her use of this ultrahigh potency does not accord at all with the modest picture of her practice which she left behind as family lore. In any event, a week later she rounded off the case with Sulphur 200C. In its general format, this card closely resembles the way Kenneth McLaren himself kept patient records, suggesting that he may have exerted some influence here. However, all that came to a sudden end in June of 1940, when the College of Physicians and Surgeons charged Mattie with practising medicine without a licence. Utterly mortified, Mattie appears to have destroyed her file system right then and there, for there are no subsequent clinical records to be found.47 According to family lore, there were certain remedies which Mattie fell back upon, time and again. For one thing, Mattie often used Sulphur 200C to open a case. If the sickness pattern did not strongly suggest a suitable remedy, then Sulphur, the “homeopathic centrifuge”, was expected to initiate a clearing-out process that would help bring a dormant pathology to the surface. Another remedy which Mattie kept in her purse at all times was Baptisia tinctora. With its symptoms of dysentery, fever and delirium, Baptisia was to be thought of in typhoid-like cases. In the vicinity of Coe Hill, many poor people flirted with botulism, feeling that they could ill afford to discard food that was only slightly “turned”. Among the 220-odd remedies which Mattie kept in her two remedy cases, there were at least 56 that were unquestionably of 19th-century vintage. Many of these in addition were labeled in her father’s own hand. It may be that he gave her these remedies sometime during the period between 1917 and 1921, when father and daughter were working closely together. But if in subsequent years Mattie ever wished to procure or even graft remedies from her father’s comprehensive stock, this opportunity was denied her following his death in 1938. By the terms of his will, his entire dispensary was left to his third wife, who moved away soon after his death. If she were to replenish her high potency stock, Mattie had to resort to the vaguely transgressive technique known as grafting. The practice of grafting is based on the assumption that a vital essence can be progressively diluted with no loss of medicinal power. In practical terms homeopaths recognized, however, that the process could not go on forever. Sooner or later a remedy which had been repeatedly dispensed and replenished would cease to be curative. At some point in her career Mattie herself 46 Hardinge family archive. 47 Though beyond the scope of this paper, a detailed account of the Hardinges’ legal difficulties is to be found in Smith (2010). It might be noted that John Hardinge was himself charged with this offence on three separate occasions, in 1894, 1900 and 1906. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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must have faced this very problem. Having no contact with contemporary homeopaths other than the McLarens, Mattie had to provision herself with fresh remedies from Thompson’s Pharmacy in Toronto. In this modern era the ultrahigh potencies were no longer commercially available, so Mattie had to rest content purchasing remedies in the range from 30C upwards to 10M. For this reason it is all the more remarkable how similar are the potency profiles, when Mattie’s stock is compared with that of her father, as in Table 3. It appears that the only significant points of divergence involve the 200C, 1M and CM potencies. Of these, the discrepancy at the 200C level is most pronounced, with Mattie having 42.3% of her remedies in this potency, her father only 20.7%. The close match between the potency profiles of father and daughter seems that much more striking in light of Table 1, which compares the profiles of David and Kenneth McLaren, father and son. As was discussed above, in their case the one stock was virtually the inverse of the other, David’s being that of a high-potency homeopath, Kenneth’s that of someone favouring potencies in the middle range. For Kenneth McLaren, pursuing a career in Toronto required that he stay abreast of mainstream medicine and that he make certain concessions to the scientific worldview. But for Mattie Hardinge, encapsulated in Coe Hill, there was no collegial inducement to bevel her potency range, except when the ultrahigh potencies became unavailable. Professionally she was very much in limbo, which meant that she could in good conscience perpetuate most aspects of her father’s 19thcentury practice. Conclusion In August 1962 Mattie Hardinge suffered a slight stroke, which led inexorably into dementia. A year later, after suffering a series of falls and feeling “swimmy” with vertigo48, Mattie called Dr. David McLaren, Kenneth’s son, for assistance. It was at this time that the two homeopaths made an extraordinary arrangement. Dr. McLaren offered to attend Mattie personally, if she or one of her family members could arrange enough patient visits to make his trip up from Toronto worthwhile. Mattie for her part understood that, while patients continued to line up at her door, she could no longer handle anything approaching a full case-load. Such an arrangement would thus benefit them both. The first such clinic was held in a friend’s home in September 1963 and the arrangement continued for more than a year, before petering out. On August 25, 1970 Mattie passed away. Her death occasioned a contrary flow southward from Coe Hill, as a number of her former patients began making the long trek to Toronto to seek homeopathic care with Kenneth 48 The diary of Helen “Nell” Hardinge, entry for September 8, 1963. Hardinge family archive. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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McLaren. Their visits are recorded in the doctor’s two extant appointment books for 1971 and 1972, which list not only his patients’ names, but also their place of residence. Interspersed among the Toronto elite are found the names of Mattie’s lifelong neighbours. Then in his eighties, with more than fifty years of practice behind him, Kenneth McLaren was verging on retirement. In 1971 he made 717 appointments for the entire year, whereas in 1972 he booked only 525. Yet the actual number of appointments for persons residing in Hastings, Mattie’s home territory, scarcely varied in that two-year period. There were 147 such bookings in the first year as opposed to 150 in the next. Significantly, however, the proportion of Hastings’ appointments markedly increased in that short period of time, due to the fact that McLaren’s total caseload had declined. Thus, in 1971 they comprised 20.5% of his appointments, while in 1972 that number rose to 28.5%. This would seem to suggest that the elderly homeopath felt some special responsibility or even fondness for these patients who stemmed from Mattie’s part of the world. In 1979, after she took possession of the Hardinge house, Mattie’s niece, Verna, prevailed upon David, Kenneth McLaren’s son, to resume practising in Mattie’s former consultation room. Verna herself volunteered to arrange the appointments. Dr. McLaren moved his patients through in fifteen-minute intervals, as he was now operating within the constraints of the provincial insurance plan.49 Under these circumstances, the doctor could hardly have taken a new case in any depth. But as it was, the majority of his patients were familiar faces. In his first return visit, from May 31 to June 1, 1979, Dr. McLaren saw 70 patients altogether. A full 25 of these were from Coe Hill, while another 15 came down from Bancroft, the nearest marketing centre. The other 30 were spread out over a radius of 20 miles, with three exceptions. Ontario’s only registered homeopath held six further clinics in Coe Hill, the last in September 1981. That same year he developed an esophageal cancer, and on August 8, 1982, he met his death from insulin shock. He had suffered from mature onset diabetes for many years, and he had chosen what his father termed “the other man’s” medicine to manage the condition. There is much to contemplate in the complex intertwining of these two families over a 90-year span. Methodologically, this study will hopefully encourage medical historians to range further afield, venturing beyond archive and library to secure artifacts and obtain interviews from persons immersed in the homeopathic world. In such circumstances one should be aware, however, that some communities prefer to hold their secrets close, so 49 In his charming account of a rural practice, the homeopath R.A.F. Jack discusses some prescribing shortcuts that helped him contend with the British Health Service time schedule, which allowed only five to seven minutes per patient. See Jack (1971), p. 285. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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that time and patience are required for a curious stranger to gain acceptance. Sociologically, the McLaren/Hardinge saga commends a dynamic, multileveled approach to core/periphery relations, for as much as one might expect to discern a firm and frosty boundary between the licensed and lay practitioner, in fact what one encounters are numerous instances of reciprocity that served to bind these apparent opposites together. Records of an institutional character typically fail to capture this informal level of exchange, which falls into the province of social and feminist history, so once again in order to do the phenomenon justice one must search in broader circles and along unfamiliar byways. Homeopathically, this case is instructive for the way that it documents in numerical terms the great fin-de-siècle crisis in North American homeopathy, whereby the vitalistic worldview crumbled almost overnight, taking with it the audacious high-potency prescribing style of its most vigorous proponents. About this twilit era perhaps the most profound observations were made by Dr. J.B.S. King, who edited The Medical Advance in its final days. King recognized that the rapid gains made by homeopathy in the previous century were due as much to its novelty as to the parlous state of medicine at that time. In the interval these conditions had been partly reversed, with the “old school” rightly claiming the most exciting breakthroughs and innovations. To the masses it was simply wonderful that hardly a drug in current use had even existed twenty years before. To the more reflective, those who had been brushed aside by scientific medicine, this process whereby all that went before was rendered useless, might seem more “a confession of weakness, and of the absence of true principles”. Still, this rush of discovery was having an unsettling, if not demoralizing impact on homeopaths of the current era, who were no longer capable of the highest degree of concentration needed for successful prescribing.50 In King’s benign view, it was natural for all things to undergo cycles of ebb and flow. Insofar as it belonged to the realm of Nature, homeopathy was not to escape the phase of stagnation and decay. Yet because it was at the same time firmly rooted in Truth, it also possessed the quality of imperishability. King foresaw a time when every institution devoted to homeopathy – every society, association, organization and college – would disappear from the earth. Yet homeopathy itself would not perish. Writing in 1912, the year in which Mattie Hardinge left Coe Hill for Toronto, King envisioned his beloved medicine as a form of perennial wisdom. In the rush of new discoveries, in the hubbub of meretricious novelties, it may be suffocated for a period, it may apparently perish for a time, it may lie quiescent in the dust of libraries, or be embalmed in the archives of science; but inevitably at some time the truth of Homoeopathy will prove its immortal strain, and, like the fertilizing

50 King (1913), pp. 1185, 1187. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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pollen of plants, it will inseminate, it will bud, it will flower, bear fruit and seed from 51 generation to generation and from age to age.

Establishing himself in a fairly relegated part of Ontario, John Hardinge, an “irregular”, went into practice only a year or two before the profession as a whole entered upon its sharp decline. Through the mediation of his two mentors, Drs. McLaren and Quackenbush, Hardinge was but one step removed from such eminent practitioners as Lippe, Farrington and Kent. But while their mode of perception would be mostly swept away in the full tide of scientific advance, astonishingly, in the little town of Coe Hill it was kept alive, as if time and fashion had stood still. John and Mattie Hardinge perpetuated not only the 19th-century dispensing regimens, but also, through the practice of grafting, the very medicines themselves. And for the homeopath of today it is a moving experience indeed to hold in one’s hands the same impalpable, indivisible pneuma-like dynamis which the likes of Adolph Lippe administered 150 years ago.

Table 1: Distribution of remedies by potency: D.C. McLaren and K.A. McLaren D.C. McLaren

Decimals 3X 6X Other Centesimals 30C 200C 500C 1M 3M 5M 10M 20M 50M CM MM Other TOTAL

K.A. McLaren

N

%

N

%

00 00 01

00.0 00.0 00.4

148 082 005

20.4 11.3 00.7

03 16 01 11 16 05 41 13 09 57 05 68 246

01.2 06.7 00.4 04.5 06.5 02.0 16.7 05.3 03.6 23.1 02.0 27.6 100.0

223 154 005 071 000 004 017 001 000 010 000 005 725

30.7 21.3 00.7 09.8 00.0 00.6 02.3 00.1 00.0 01.4 00.0 00.7 100.0

51 King (1912), p. 570. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Potency and Provenance

Table 2: The remedies of J.R. Hardinge labeled for both potency and provenance Thomp

B&T

Boer

FC

Fincke

Liep

Q

SFC

Swan

Other

Total N

%

Decim

1

01 00

30C

3

03 01

200C

2

41

500C

9

1M

25

8

3

3

57 19 09 03

2

3

2

20

3

10M

3

3

1

5

1

20M

2

3

2

07 02

16

1

17 06

45M 50M

1

CM

1

5

DM MM

3

Misc Total

1

2 N

%

N

06 02

38

2

1

1

4

1

78 26

N

%

03 01

N

%

13 04

N

%

82 28

N

%

08 03

4

6

37

13 04

07 02 89 30

N

%

07 02

1

2

3

5

N

%

43 14

N

12 04 2 %

52 18

Table 3: Distribution of remedies by potency: John Hardinge & Mattie A. Hardinge John R. Hardinge

Mattie A. Hardinge

N

%

Decimals

028

03.2

30C

028

200C

56 19

02 01

13 %

2

1

N

%

Decimals

008

03.6

03.2

30C

002

00.9

181

20.7

200C

094

42.3

500C

019

02.2

500C

006

02.7

1M

180

20.6

1M

035

15.7

10M

073

08.3

10M

020

09.0

20M

013

01.5

20M

001

00.5

45M

023

02.6

45M

003

01.4

50M

055

06.3

50M

010

04.5

CM

172

19.7

CM

033

14.8

DM

020

02.3

DM

001

00.5

MM

025

02.8

MM

002

00.9

Misc

058

06.6

Misc

007

03.2

TOTAL

875

100

TOTAL

222

100

Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

N

25 09 %

06 02

298/100

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Douglas W. Smith

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Potency and Provenance

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Potency and Provenance

Fig. 1: David C. McLaren, c. 1920. Courtesy of Heather McLaren. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015

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Fig. 2: David C. McLaren’s remedy box. Courtesy of Heather McLaren.

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Potency and Provenance

Fig. 3: Kenneth A. McLaren with son, David, c. 1916. Courtesy of Heather McLaren.

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311

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Fig. 4: John R. Hardinge, c. 1930. Courtesy of Helen Hardinge.

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Potency and Provenance

Fig. 5: Drawer from J.R. Hardinge’s remedy cabinet (detail). Courtesy of Helen Hardinge.

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Fig. 6: Mattie A. Hardinge, c. 1915. Courtesy of Helen Hardinge.

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Potency and Provenance

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Fig. 7: Adolph Lippe, steelpoint engraving, from: Cincinnati Medical Advance 5 (1878), p. 161 (opposite). Courtesy of the University of Michigan Library. Urheberrechtlich geschütztes Material. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015