Medien als Heimat. Dausacker, Alena Prof. Dr. Astrid Deuber-Mankowsky Prof. Dr. Eva Warth

Medien als Heimat Schriftliche Hausarbeit für die Masterprüfung der Fakultät für Philologie an der Ruhr-Universität Bochum (Gemeinsame Prüfungsordnung...
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Medien als Heimat Schriftliche Hausarbeit für die Masterprüfung der Fakultät für Philologie an der Ruhr-Universität Bochum (Gemeinsame Prüfungsordnung für das Bachelor-/Master-Studium im Rahmen des 2-Fach-Modells an der RUB vom 7.1.2002)

Vorgelegt von

Dausacker, Alena 28.07.2015

Prof. Dr. Astrid Deuber-Mankowsky Prof. Dr. Eva Warth

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung

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2 Identität 2.1 Die Frage nach dem Ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Faktoren der Identitätsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Identität und technische Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3 Raum 3.1 Ontologie und Begrifflichkeiten von Lokalität . . . . . . . . . . . 3.2 Mediale Orte und Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Das räumliche Subjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 19 27 32

4 Heimat 4.1 Begriff und Kulturgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Erfahrung von Heimat als Sehnsucht . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Heimat in der Postmoderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5 Parapatria – Medien als Heimat 5.1 Begriffsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Individuell-technologische Parapatrialität . 5.3 Infrastrukturelle Parapatrialität . . . . . . 5.4 Transmedia als diegetische Parapatrialität 5.5 Metamediale Parapatrialität . . . . . . . .

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6 Schlussbetrachtung

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Literatur- und Quellenverzeichnis

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Weitere Online-Plattformen, -Dienste und Apps

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Tweets

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Film- und Serienverzeichnis

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Spieleverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis 1 2

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Die Startseite von Welcome Dahoam. (Quelle: Screenshot von http://www.welcomedahoam.de) . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Durch das Ausnutzen von Layoutfehlern produziert der Twitteraccount Glitchr destruktive Effekte. (Quelle: Screenshot von https://twitter.com/glitchr_) . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Das Footer-Menü von GMX zeigt die Vielfalt von Diensten, die das Portal abdecken will. (Quelle: Screenshot von http://www. gmx.net/) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Tumblr versucht mit humorvollen Hilfetexten die Reaktionen von Nutzerinnen auf Änderungen der Bedienung relativieren. (Quelle: Screenshot von https://www.tumblr.com/dashboard) . . . . . 71 Die Karte von Westeros ahmt die User Experience von Google Maps nach. (Quelle: Screenshots von http://viewers-guide. hbo.com/game-of-thrones/season-5/episode-10/map/location/ 31/meereen und https://www.google.de/maps) . . . . . . . . 73 Im Menü wird die Karte von dem gleichen Location-Marker repräsentiert, den die Nutzerinnen aus Google Maps kennen. (Quelle: Screenshot von http://viewers-guide.hbo.com/) . . . . . . . 73 Ein Auszug aus dem GOT-Kochubuch. (Quelle: Screenshot von http://www.lehmanns.de/media/29686835) . . . . . . . . . . . 76 Die Tour durch die Alexandria Safe Zone ahmt die Erkundung eines physischen Orts durch Google Streetview nach. (Quelle: Screenshots von http://www.amc.com/TWD360/alexandria-tour/ und https://www.google.de/maps) . . . . . . . . . . . . . . . 79 Spielen und teilhaben: Die transmedialen Erweiterungen von TWD will die Diegese für die Rezipientin zugänglich machen. (Quelle: Screenshot von http://www.amc.com/shows/the-walking-dead) 80 Die Diegese von TWD wird über die Dead Yourself App auf den gesamten Planeten ausgeweitet. (Quelle: Screenshots von http:// www.amc.com/shows/the-walking-dead/exclusives/dead-yourself) 80

Medien als Heimat

1 Einleitung

„Some states or experiences can merge simply because they share certain attributes.“ – Rosi Braidotti, Nomadic Subjects, S. 7

1 Einleitung Um die Veränderung bestimmter Mediennutzungsverhalten zwischen Generationen zu beschreiben, wird im populären und wissenschaftlichen Diskurs häufig auf den Begriff der Digital Natives zurückgegriffen, der durch Prensky in einem Artikel im Jahre 2001 popularisiert wurde (vgl. Prensky 2001, Zugriff am 16.05.2015). Die Bezeichnung der ‚digitalen Eingeborenen‘ soll dabei eine Generation benennen, die mit der alltäglichen Nutzung digitaler Medien aufgewachsen ist, für die der Umgang mit der entsprechenden Technologie nicht mühsam zu erlernen ist, die der Durchdringung aller Lebensbereiche durch diese Medien unkritisch gegenübersteht – kurz gesagt: die sich in den digitalen Medien zuhause fühlt. Sich zuhause zu fühlen beinhaltet jedoch mehr als das bloße Zurechtfinden an einem Ort. Ein Zuhause bzw. eine Heimat bezeichnet einen Ort, der aufs Engste mit der Identität einer Person verknüpft ist. Inwiefern nicht nur geografische Regionen sondern auch Medien als Heimat wahrgenommen werden können und wie diese Perspektive analytisch fruchtbar gemacht werden kann, ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Eine mediale Konfiguration als betret- und bewohnbar zu analysieren, soll jedoch nicht zu einer Theorie des (Neo-)Eskapismus im Zeitalter der ubiquitären digitalen Medien führen, sondern komplexe Wechselwirkungen zwischen Mediennutzerinnen,1 ihren medialen Umgebungen und den Produzentinnen dieser medialen Umgebungen im Hinblick auf Identitätsbildung beschreibbar machen. Hierfür möchte ich Diskurse der Medien als Raum und Medien in ihrer identitätsstiftenden Funktion zusammenführen. Ausgangs-, Dreh- und Angelpunkt dieser Arbeit ist die Frage der Identität, welche sich in der Postmoderne in einer Spannung zwischen Auflösung und Bestärkung befindet. Anhand entsprechender soziologischer Diskurse soll zunächst geklärt werden, was Identität und Subjekt sind und warum sie noch immer so eine wichtige Rolle spielen. Hierbei ist zu beachten, dass die Soziologie noch stark von einem inneren Subjekt ausgeht, wie ich an den entsprechenden Stellen kritisch anmerken werde. Auch die unterschiedlichen Felder der Identitätsbildung sowie deren aktuelle historische Verfasstheit sollen dargestellt werden, bevor ich schließlich erläutere, 1

Die vorliegende Arbeit ist im generischen Femininum geschrieben. Von einer Angleichung in wörtlichen Zitaten wird zur Bewahrung des Originaltextes jedoch abgesehen.

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1 Einleitung

wie der Zusammenhang von technischen Medien und Identität bisher theoretisiert wird. Das anschließende Kapitel widmet sich der Theorie von Raum und Lokalität. Die im Zuge des spatial turn revidierte Raumauffassung in Philosophie und Gesellschaftstheorie bildet die Basis der Überlegung, inwiefern Medien als Räume betrachtet werden können. In diesem Zuge wird eine Betrachtung unterschiedlicher Konzepte der Nicht-Orte nach Augé sowie der Utopien und Heterotopien nach Foucault erste Ansätze zur subjektiven Räumlichkeit liefern. Veränderungen der Raumwahrnehmung in der Postmoderne werden im Zuge der Raumsozialisation besprochen, welche bereits nahelegt, dass die darauf folgende Aufarbeitung des Heimatbegriffs in einer Problematisierung und Revision desselben münden muss. Die weitestgehend gesellschaftswissenschaftlich hergeleiteten Raum- und Identitätsbegriffe sind dabei immer kritisch im Hinblick auf neuere Konzepte von Subjektivität und Medialität zu lesen. Dabei bereite ich den Heimatbegriff in Anbetracht seiner linguistischen Partikularität zunächst anhand des deutschprachigen Diskurses auf, worauf ich an entsprechender Stelle näher eingehe. Gesondert ist hier die Ausbildung von Heimatgefühlen in den Sehnsuchtserfahrungen der Nostalgie und des Heimwehs zu betrachten, da dies einen wichtigen Aspekt meiner eigenen Theoriebildung darstellt. Die Problematisierung des tradierten Heimatbegriffs einer geopolitischen Herkunft und Verbundenheit führt schließlich Veränderungen der räumlichen Subjektivität mit der Pluralisierung der Identität zusammen. Anhand philosophischer Annäherungen an die Themen des Wohnens und der Heimat durch Walter Benjamin, Astrid Deuber-Mankowsky und Gilles Deleuze und Félix Guattari zeige ich die Revisionsbedürftigkeit des Heimatbegriffs, von der aus ich zu meiner These der Heimat in medialen Räumen gelange. In Analogie zum Begriff der parasozialen Interaktion möchte ich schließlich Medien als Quelle von Heimatgefühlen in Form einer parapatriotischen Bindung analysieren. Diesen Begriff möchte ich eingehend diskutieren und seine Anwendbarkeit anhand von Beispielanalysen unterschiedlicher Arten heimatlicher Bindung an Medien demonstrieren. Die Beispiele werden in die vier Kategorien individuell-technologische, infrastrukturelle, diegetische und metamediale Parapatrialität gegliedert, dennoch bieten die Analysen immer wieder Punkte, an denen sich allgemeine Thesen, Forschungsdesiderate und theoretische Anknüpfungspunkte formulieren lassen. Aufgrund des Umfangs der zu untersuchenden Theoriekomplexe kann in dieser Arbeit keine Aufarbeitung der Begriffe Identität, Raum und Heimat geleistet werden, die einen Anspruch auf Vollständigkeit hätte. Vielmehr soll auf Autorin-

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1 Einleitung

nen zurückgegriffen werden, die bereits einen breiten Überblick der Begriffs- und Theoriegeschichte geben. Das theoretische Fundament bleibt damit kursorisch und bietet noch viel Potenzial, in weiterführenden Arbeiten detaillierter und aus unterschiedlichen Perspektiven aufgearbeitet zu werden. Die Heranführung über allgemeine gesellschaftstheoretische Ansätze soll vor allem deutlich machen, dass die These der heimatlichen Bindung an Medien vor unterschiedlichen Hintergründen epistemologisch nutzbar gemacht werden kann. Ein weiterer Fokus der vorliegenden Untersuchung ist die Rückbindung an die konkreten technischen Umgebungen, die zu einer notwendigen Revision des Heimatbegriffs drängen. Ziel ist dabei auch, affektiv-identitätsbildende Verbindungen zwischen Menschen und Medien neu zu beschreiben, und durch diese Perspektive neue Fragen und Erkenntnisse zu generieren, wie ich in der Analyse demonstriere. Diese Arbeit ist dabei als ein umfassender und verschiedene Teilaspekte berücksichtigender Theorieentwurf zu sehen, nicht als vollständig ausgearbeitete Programmatik von Medien als Heimat. In erster Linie sollen dadurch Probleme adressiert werden, die sich durch die Ubiquität und Diversität digitaler Medien ergeben, was eine kohärente Theoriebildung abseits von Technologiedeterminismus erschwert. Die Herangehensweise der Diskurszusammenführung von Identität und Raum ist dabei nur ein möglicher Weg, dieses Thema zu erarbeiten. Wie in Kapitel 4.3 deutlich wird, ist die Arbeit an den Begriffen von Wohnen und Heimat gerade im medien- und technikphilosophischen Diskurs noch immer aktuell.2 Die Annäherung über die sozial- und gesellschaftswissenschaftliche Literatur soll hier herausstellen, dass der Begriff der medialen Heimat keine abstrakte Denkfigur ist, sondern ein Analyseinstrumentarium für konkrete technosoziale Konfigurationen darstellt. Die Gesellschaftstheorie verlangt bei genauer Betrachtung ebenso wie Positionen der postmodernen Philosophie nach Revisionen von Begriffen und Verhältnissen. Durch dieses Vorgehen soll gewährleistet werden, dass die hier ausgearbeitete Theorie dem medienwissenschaftlichen Anspruch auf Polydisziplinarität gerecht wird. Somit möchte ich eine Perspektive erarbeiten, die sowohl in philosophischen wie auch in soziologischen und kulturwissenschaftlichen Annäherungen an mediale Gegenstände produktiv gemacht werden kann. Dabei sehe ich die Verbindung der unterschiedlichen Diskurse als genau die vermittelnde Funktion, die die Medienwissenschaft auszeichnet.

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Der hier zentrale Text von Astrid Deuber-Mankowsky ist 2015 erschienen.

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2 Identität

2 Identität 2.1 Die Frage nach dem Ich „Heimat ist die Identitätskategorie par excellence“ (Huber 1999, S. 29), deswegen steht die Frage nach der Identität zu Beginn dieser Arbeit und wird auch bis zum Schluss der Betrachtungen immer wieder von zentraler Bedeutung sein. Das Thema der Identität geht in der Philosophie dabei nach Böhme zurück bis zu Plato und wurde schließlich auch in der Sozialwissenschaft als Problemfeld erkannt. Identität ist deshalb problematisch, weil „dem einzelnen Menschen Identität, seine Identität, keineswegs gegeben ist, sondern aufgegeben: Identität muß geleistet werden. [. . . ] Es geht für den Einzelnen um die Aufgabe, selbst zu sein und stets derselbe zu sein3 “ (Böhme 1999, S. 322). Ausgehend von Platons Symposion fasst er zusammen: Identität ist eigentlich nur für einen Gott gemacht, menschliches Dasein ist charakterisiert durch Nichtidentiät. [. . . ] Es gibt nichts Identisches, es gibt nichts – so können wir rückblickend auch formulieren – Substantielles im menschlichen Leben. Und wie die generische Identität in der Geschlechterfolge durch Reproduktion hergestellt werden muß, so auch die numerische oder persönliche Identität des einzelnen Menschen. [. . . ] Durch Erinnerungsarbeit wird wenigstens der Schein von Identität im Wissen erreicht (ebd., S. 324 f.).

‚Dieselbe sein‘ ist eine Anforderung der sozialen Interaktion, da nur in der Identität des Angesprochenen eine verbindlichkeits- und somit gesellschaftsbildende Kommunikation möglich ist, auch wenn sich der einzelne Mensch im Laufe seines Lebens sowohl körperlich als auch charakterlich radikal verändert. Böhme bezeichnet dies als „kontrafaktische Zumutung“ (vgl. ebd., S. 325). Jenseits der juristisch-sozialen Verbindlichkeit bezeichnet der Begriff der Identität jedoch noch ein weiteres Problem, nämlich jenes der Selbst-Identifikation, die Antwort auf die Frage: ‚Wer bin ich?‘ oder ausführlicher: Diese Frage kann man in Bezug auf die Inhalte beantworten: Was nennen Menschen für Themen, Merkmale, Eigenschaften, Gefühle oder Handlungen, über die sie erkennbar werden in ihrer unverwechselbaren Eigenart. Oder man kann die Frage über den Herstellungsvollzug beantworten: Mit welchen psychischen Vollzügen oder Strategien werden Themen, Emotionen und Handeln so in eine Form gebracht, dass Subjekte sagen können: „das bin ich“ im Augenblick und „das bin ich“ über verschiedene Lebenssituationen hinweg (Keupp 2009, S. 53). 3

Hervorhebungen im Original.

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2.1 Die Frage nach dem Ich

Identität ist dabei von den Begriffen des Subjekts und der Individualität zu unterscheiden. Das Subjekt bezeichnet nach Reckwitz eine soziokulturelle Form, ein „kontingentes Produkt symbolischer Ordnungen, welche [. . . ] modellieren, was ein Subjekt ist, als was es sich versteht, wie es zu handeln, zu reden, sich zu bewegen hat, was es wollen kann“ (Reckwitz 2010, S. 34). Er trennt das Subjekt von der Idee einer inneren transzendentalen Reflexionsfähigkeit und versteht es als Bündel von Praktiken und Codes, die in einer bestimmten historischen Epoche ein Idealmodell von Identifikationsmöglichkeiten bieten (vgl. ebd., S. 40-43). Die Identität ist im Vergleich hierzu die Auslegung und Verhandlung dieser Subjektform durch das einzelne Individuum, das Elemente aus diesem Bündel annimmt oder verwirft und sich so sozial positioniert. Diesen Prozess nennt Reckwitz nach Judith Butler ‚passionate attachement‘ (leidenschaftliche Verhaftetheit), dem er jedoch auch das Konzept einer ‚leidenschaftlichen Verwerfung‘ eines jeweiligen Anti-Subjekts entgegenstellt. Reckwitz sieht jede Subjektkultur in der Differenz zu einer vorhergehenden, die in der aktuellen abgelehnt oder zumindest neu verhandelt, in jedem Fall aber affektiv aufgeladen wird. Identität wird so zu einem hermeneutischen Prozess der Auseinandersetzung mit der jeweiligen Subjektkultur und zwar „jenseits aller Konnotation einer inneren Konstanz des Subjekts“ (ebd., S. 45). Beschreibt Keupp die Identität also als „selbstreflexives Scharnier zwischen der inneren und der äußeren Welt“ und in der Doppelfunktion der Darstellung des „unverwechselbar Individuelle[n], aber auch [des] sozia[l] Akzeptable[n]“ (Keupp 2009, S. 54), sieht Reckwitz Identität als rein interpretatorische Positionierung zu Subjekt und Anti-Subjekt, in denen Individualität eine mögliche Komponente sein kann (vgl. Reckwitz 2010, S. 45 ff.). Nach Reckwitz wäre demnach eine Identität möglich, die sich vollständig über Gruppenzugehörigkeit definiert und Individualität bewusst ausschließt. Tatsächlich sieht er Individualität in der Postmoderne als kulturellen Code, der „paradoxerweise Besonderheiten des Einzelnen als kollektives Muster [produziert]“ (ebd., S. 48). Das Konzept der selbstreflexiven Identität findet sich auch bei Giddens, der die Selbsterkundung mit der generellen Reflexivität der Moderne im ausgehenden 20. Jahrhundert in Verbindung bringt. Eine Bewertung dieser Hinwendung zum Selbst hinsichtlich der gesellschaftlichen Konsequenzen oder Bedingtheit ist dabei jedoch kaum möglich, da man dies einerseits als Reaktion auf die Diskontinuität traditioneller Gesellschaftsordnungen zurückführen und andererseits als Bewältigungsstrategie angesichts des Ausschlusses der Mehrheit von gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen analysieren kann. Ob es sich also um einen kollektiven Narzissmus oder subversive Abwendung von unzugänglichen Syste-

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2.1 Die Frage nach dem Ich

men handelt, kann nicht verallgemeinert festgestellt werden (vgl. Giddens 1996, S. 153 ff.). Als hermeneutischer Prozess ist Identität, wie bei Böhme schon erwähnt, eine Leistung des Individuums, die als Identitätsarbeit bezeichnet wird. Diese „hat als Bedingung und als Ziel die Schaffung von Lebenskohärenz“ (Keupp 2009, S. 63). Diese Prozesshaftigkeit und Unabgeschlossenheit bei gleichzeitigem Ziel von Kohärenz und Stabilität ist eine ständige Quelle von Spannungen innerhalb einer individuellen Identität. Ein weiteres Ziel der Identitätsarbeit ist es nach Castells, Sinn zu produzieren und zwar „auf der Grundlage eines kulturellen Attributes oder einer entsprechenden Reihe von kulturellen Attributen, denen gegenüber anderen Quellen von Sinn Priorität zugesprochen wird“ (Castells 2003, S. 8). Obwohl ein Individuum mehrere Identitäten haben kann, sieht er in der Netzwerkgesellschaft eine Tendenz zum Bezug auf eine „primäre Identität – also eine Identität, die den anderen den Rahmen vorgibt –, die über Zeit und Raum hinweg selbsterhaltend ist“ (ebd., S. 9). Es gilt also im weiteren Verlauf zwischen individuellen und kollektiven Identitäten zu unterscheiden und insbesondere ihre spezifischen Verhältnisse zu Zeit und Raum zu berücksichtigen: Während kollektive Identitäten Angebote von Kontinuität, Stabilität und Rückhalt bieten, kann die individuelle Identität nur retrospektiv im Sinne einer Biografie konstruiert werden, in der sich notwendigerweise unterschiedliche kollektive Identitäten und soziale Rollen – Teilidentitäten – überlappen. In der Biografie schreibt das Individuum den fragmentierten Erfahrungen eine Teleologie und Kohärenz ein, die mit den Subjektkulturen bestimmter legitimierender Identitäten, Widerstandsidentitäten oder Projektidentitäten4 zusammenfallen können, aber insgesamt durch einen Patchworkcharakter gekennzeichnet sind (vgl. Eickelpasch und Rademacher 2004, S. 26 f.). Außerdem ist hinzuzufügen, dass hier nicht von einem stabilen inneren Subjekt ausgegangen werden kann, welches sich selbst im Zuge der Identitätsarbeit ‚erkennt‘. Vielmehr ergibt sich das Subjekt, es wird durch Handlungen wie z.B. die Identitätsarbeit erst hervorgebracht. Zusammenfassend ließe sich sagen, dass Identität ein Prozess ist, der im menschlichen Bewusstsein ein Sprechen über ein ‚Ich‘ befähigt, welches jenseits dieser Zuschreibungen nicht existiert. 4

Nach Castells werden Legitimierende Identitäten über hegemoniale Institutionen reproduziert. Widerstandsidentitäten sind solche Identitäten, die sich in Abgrenzung zur Logik der Herrschaft konstruieren. Jene Form der Identität, die Subjekte hervorbringt, bezeichnet Castells als Projektidentität, die darauf ausgelegt ist, Gesellschaftsstrukturen zu transformieren. Als Beispiel hierfür nennt er das feministische oder aber auch das religiösfundamentalistische Subjekt (vgl. Castells 2003, S. 10 ff.). Reckwitz’ ästhetische Subjekte der Romantik, der Avantgarde und der counter culture sind als solche Projektidenitäten zu verstehen.

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2.2 Faktoren der Identitätsbildung

2.2 Faktoren der Identitätsbildung Castells (2003) nennt als exemplarische Identitäten die religiöse, die nationale und die territoriale Identität. Reckwitz (2010) nennt insbesondere die Praktiken der Arbeit, der Intimbeziehung und der Selbsttechnologien als konstitutiv für die jeweilige Subjektkultur und somit – affirmativ oder defensiv – als Bezugspunkte der Identitätskonstruktion. Somit ließen sich folgende primären Felder der Individuation unterscheiden: • Soziale Beziehungen (Verwandtschaftsbeziehungen, Freundschaften, Intimbeziehungen) • Kultur (Sprache, Brauchtum, Religion, geografische Verortung) • Ökonomie (Beruf, Bildung, sozioökonomische Klasse, finanzielle Mittel) • Gesellschaftliches Werte- und Handlungsbewusstsein (Moral- und Wertevorstellung, Politik, Ideologie, Verantwortungsbewusstsein, zivilgesellschaftliches Bewusstsein) • Ästhetisierung des Selbst (Mode, Hobbys/Freizeitgestaltung, Konsum, mediale Selbstreflexion) Folgt man Castells in der These einer Primäridentität, so werden in der jeweiligen Identität die anderen Felder dieser untergeordnet. So inkludiert eine religiöse Identität z.B. spezifische Praktiken der sozialen Beziehungen, der Moral, der Ökonomie, der territorialen Verortung, der Selbstinszenierung usw., während eine politische Identität (z.B. eine feministische) ökonomische, soziale, kulturelle und weitere Faktoren mit sich bringt. Von herausragender Bedeutung ist in der Postmoderne5 immer noch das Feld der Erwerbsarbeit, die jedoch im Zuge der Globalisierung und zunehmender Mobilitätsansprüche des kapitalistischen Wirtschaftssystems6 sowie der immer kürzeren Planungs- und Anstellungszeiten hochgradig prekär geworden ist und kaum mehr Kontinuität bieten kann. Trotzdem bleiben die meisten Lebensentwürfe auf das Ziel der erfüllenden Erwerbsarbeit ausgerichtet und viele andere Felder der Individuation bleiben von ihr 5

Obwohl der Begriff der Postmoderne von vielen Autorinnen zurecht umstritten in seiner Implikation eines Bruchs gegenüber der Moderne ist und dementsprechend auch unter den Begriffen der „hoch- bzw. spätmodernen (oder auch post-industriellen oder postfordistischen) Gesellschaft“ (Reckwitz 2010, S. 24 f.) verhandelt wird, übernehme ich ihn in Anlehnung an Reckwitz, um die spezifischen sozialen Praktiken und Subjektkulturen nach 1980 in der Differenz zur bürgerlichen und organisierten Moderne zu benennen (vgl. ebd., S. 15-26). 6 Vgl. hierzu auch Giddens (1996, S. 21).

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2.2 Faktoren der Identitätsbildung

abhängig (Verfügbarkeit finanzieller und materieller Güter, Bildung etc.) oder im Bezug auf sie definiert (Freizeit und Hobbys als Ausgleich zur Arbeit, Bildung als Weg in die Erwerbsarbeit). Die Erwerbsarbeit ist daher häufig der rote Faden, der sich durch die Biografie als erzähltes Selbst zieht. Durch die Veränderungen des Arbeitsmarktes gilt aktuell jedoch weniger das Ideal einer gefestigten, stabilen Identität, sondern im Gegenteil anpassungswillig und wandelbar zu sein und auf neue Möglichkeiten schnell reagieren zu können. Diese Form des ‚Neuen‘ oder kybernetischen Kapitalismus mit seinen Netzwerkstrukturen und kurzen Zeitzyklen hat daher in hohem Maße zu der Pluralisierung der Lebensentwürfe und Destabilisierung identitätsstiftender Bezugspunkte beigetragen (vgl. Eickelpasch und Rademacher 2004, S. 29-37). Die Soziologie sieht diese Entwicklungen als ambivalent: Einerseits stellt die Loslösung von einer festen Normbiografie einen enormen Freiheitszugewinn dar, der Personen mit der entsprechenden Disposition ermöglicht, kreativ und selbstbestimmt zu leben. Andererseits führt sie zu einer Orientierungslosigkeit, die Sennet Drift nennt (vgl. Keupp 2009, S. 61) und Individuen empfänglich für vorgefertigte Identitätsangebote macht: Das Bedürfnis der aus hergebrachten Gewissheiten und Sinnwelten ›entbetteten‹, ›mental obdachlosen‹ Individuen der Postmoderne nach Orientierung und Lebenssinn trifft in der Konsumgesellschaft auf gesellschaftlich vorgefertigte, von ›Experten‹ entworfene Lösungen aller Art und jeglicher Preislage. Es entsteht ein Sinn-Markt, eine Art kultureller Supermarkt für Sinnangebote und »Identitätbausätze zur Zusammensetzung des Selbst«7 . In der Illusion, für sich selbst frei zu entscheiden, scheinen die verunsicherten Subjekte nur allzu bereit, sich von der anstrengenden Identitätsarbeit und dem permanenten Entscheidungsdruck zu entlasten, indem sie sich kommerziellen, politischen oder religiösen Sinnlieferanten, den allgegenwärtigen ›Händlern in Sachen Gewissheit‹, anvertrauen8 (Eickelpasch und Rademacher 2004, S. 44 f.).

Die radikale Verflüssigung von vormals festen Grenzen (z.B. von Nationalidentitäten, Geschlechterrollen, Kultur/Natur, Stadt/Land etc.) erschwert die Identitätsarbeit im Sinne der Herstellung von Kohärenz und Stabilität, die weiterhin für viele Menschen ein Grundbedürfnis ist – auch wenn die Subjektkultur sie nicht mehr als Ideal voraussetzt. Die autonome Grenzziehung im Sinne eines „boundary managements“ (Keupp 2009, S. 66 f.) wird so zur neuen Herausforderung der Identitätsarbeit. Traditionelle, vormals fest umrissene Sinnträgerinnen 7 8

Zitat Zygmund Baumann, Hervorhebung im Original. Hier ließe sich mit Deleuze und Guattari über eine Reterritorialisierung von Identitäten in vorgegebene Muster sprechen. Mehr zur (De-)Territorialisierung in Kapitel 4.3.

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2.2 Faktoren der Identitätsbildung

„wie Herkunft oder Heimat würden für die Cyberspace-Generation kaum etwas bedeuten“ (Keupp 2009, S. 74). Diese Pluralisierung der Lebenswelten kann als Chance oder als Bedrohung wahrgenommen werden.9 Bauman bezeichnet die unterschiedlichen Formen der ‚Lebenswege‘ als Touristinnen und Vagabundinnen. Während die Biografie in der klassischen Moderne als zielgerichtete Pilgerreise gedacht werden kann, ist sie in der Postmoderne im Fall einer privilegierten gesellschaftlichen Teilhabe (d.h. insbesondere mit ausreichenden finanziellen Mitteln) eher mit Tourismus zu vergleichen: Kurze Aufenthalte ohne feste Bindungen, die vor allem das individuelle Begehren befriedigen sollen. Migrantinnen, Arme, Obdachlose und andere benachteiligten Bevölkerungsgruppen können an dieser prestigeträchtigen Form der Lustreise nicht teilhaben, da ihre primäre Ausdrucksform der Konsum ist. Ausgeschlossen von diesem Feld der Individuation sind sie mit demselben Zwang zur Mobilität wie die Touristinnen konfrontiert, können aber nicht die damit einhergehenden Gratifikationen beanspruchen. Bauman spricht hier von Vagabundinnen, wobei die Bewegungsrhetorik als metaphorisch zu verstehen ist: Sie verbildlichen nicht die physische Mobilität des postmodernen Menschen, sondern seine existenzielle und moralische Situation: seine Weigerung bzw. Unfähigkeit, ›feste Bindungen‹ und langfristige Verpflichtungen einzugehen. Tourist und Vagabund bilden die Pole eines Kontinuums zwischen freiwilliger und unfreiwilliger ›Nichtsesshaftigkeit‹ im Sinne moralischer Bindungslosigkeit, auf dem wir alle angesiedelt sind10 (Eickelpasch und Rademacher 2004, S. 49).

Für die Fragestellung dieser Arbeit ist hervorzuheben, dass Heimat im Identitätsdiskurs bereits ein zentraler Begriff ist: Herausforderungen und Praktiken der Identitätsarbeit werden metaphorisch im semantischen Feld von Verortung, Wohnung, Reisen, Unterwegssein und Sesshaftigkeit – das heißt des Raumes und der Orientierung – diskutiert. Wenn Eickelpasch und Rademacher von der Desorientierung im Individuationsprozess als mentale Obdachlosigkeit (s.o.) sprechen, kann extrapoliert werden, dass Identität im Sinne von stabilisierenden Faktoren der Ich-Wahrnehmung als eine mentale Heimat gesehen werden kann. Näheres zum Begriff der Heimat und unterschiedliche Sichtweisen auf ihn werde ich weiter unten in Kapitel 4 darstellen.

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Vgl. auch Braidotti: „[. . . ] one must respect the complexity, not drown in it“ (Braidotti 1994, S. 15). 10 Hervorhebungen im Original.

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2.3 Identität und technische Medien

Zunächst ist hier jedoch eine Kritik am soziologischen Identitätsdiskurs angebracht, denn so klar man diese Felder der Individuation in der Soziologie trennen kann, so klar ist aus medienwissenschaftlicher Perspektive, dass Identität medial verfasst ist. Identität ist in all ihren Formen an die Eigen- und Fremd-Wahrnehmung gekoppelt und von daher immer an Akte der Artikulation gebunden.11 Der Medienbegriff der Sozialwissenschaften ist in den meisten Quellen auf die technischen Medien reduziert, was in den Texten zu Medien und Identität das veraltete Konzept einer genuinen Innerlichkeit von Identität und einem diese Identität tragenden Subjekt impliziert. Die Annäherung über das Subjekt, welches Reckwitz von jeder Kohärenz und Permanenz losgelöst sieht, macht einen Schritt in die richtige Richtung, jedoch trennt er immer noch mediale Praktiken von anderen. Die Verbindungen zwischen innen und außen, die Identität ausmachen, sind allerdings in allen Formen – in der Gestaltung des Körpers, in der Partizipation an Kultur, in der Formulierung einer Gruppenzugehörigkeit, ja bereits in der Aussage „Ich bin . . . “ stets vermittelt und daher medial. Eine nicht artikulierbare Identität ist nicht möglich, da Identität als kommunikativer Akt der sozialen Verortung zwischen Mensch und Welt, d.h. auch nicht innerhalb eines kantianischen Subjekts, sondern zwischen Bewusstsein und Welt stattfindet. Im Interesse einer schlussendlichen Zusammenführung zu einem Konzept der medialen Heimat möchte ich in einem nächsten Schritt untersuchen, wie die Verknüpfung von technischen Medien und Identität bisher verhandelt wird.

2.3 Identität und technische Medien Medien finden Eingang in den soziologischen Identitätsdiskurs aufgrund ihrer Übermittlung von Inhalten als Identifikationsangebote, ihrer Herstellung von Kommunikation und ihrer Anwendung im Feld der Selbstpraktiken. Insbesondere ihre Rolle in der Gestaltung und Ermöglichung zwischenmenschlicher Kommunikation wird immer wieder thematisiert, da durch die Vernetzung unterschiedlichster Akteurinnen über große Distanzen hinweg Identifikationsressourcen losgelöst von geografischer Position oder ortsspezifischen Kollektiven wie Nation oder Wohnort zur Verfügung stehen. Sie verbinden dabei nicht nur direkt durch interpersonale Kommunikation, sondern liefern auch durch die internationale Verbreitung kulturindustrieller Produkte einen gemeinsamen Erfahrungshinter11

Walter Benjamin begreift sogar die Wahrnehmung selbst als Medium (vgl. Benjamin 1991, S. 354).

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Medien als Heimat

2.3 Identität und technische Medien

grund, auf den Menschen mit unterschiedlichsten Lebensrealitäten wie zum Beispiel eine Büroangestellte und eine international tätige Künstlerin zurückgreifen können. Die These, dass kulturelle Identität hierdurch vereinheitlicht würde, lässt sich vor dem Hintergrund unterschiedlicher Aneignungspraktiken jedoch nicht halten. Zudem sind die Medienangebote in sich so vielfältig, dass Rezipientinnen nicht vermeiden können, aus diesen Angeboten auszuwählen, was heißt, dass die medialen Inhalte zwar als potenziell verfügbar, aber nicht als notwendigerweise tatsächlich kollektiv vorausgesetzt gesehen werden dürfen (vgl. Hepp, Thomas und Winter 2003, S. 12 f.). Geht man mit Krotz (2003) davon aus, dass Identität hauptsächlich in kommunikativen Situationen relevant ist und dort in einem Zusammenspiel von Selbstdarstellung und Zuschreibung durch die Kommunikationspartnerin überhaupt erst entsteht, lassen sich abgesehen von der Präsentation möglicher Lebensstile noch weitere mediale Bedingungen für Identität benennen: Zum einen bieten sie neue Handlungs- und Rollenmuster an, die Eingang in die Identität finden können. Krotz’ Beispiel ist das Tagebuchschreiben, welches auch von Reckwitz als dominante Technologie des Selbst in der bürgerlichen Moderne vorgestellt wird (vgl. Reckwitz 2010, S. 155-171). Darüber hinaus kann Identität auch reflexiv auf dem Mediengebrauch an sich aufbauen, so könnten hier solche Identitäten wie die des Bücherwurms, der Cineastin oder auch der Gamerin genannt werden. Auch die Vorbildfunktion medialer Figuren können identitässtiftend wirken. Die klassischen Beispiele, die noch immer relevant sind, sind vor allem Film- und Fernsehstars, die von ihnen gespielten Charaktere, aber auch z.B. neue Personenkulte wie die Begeisterung für YouTube-Stars (vgl. Krotz 2003, S. 41). Die Selbstdarstellung über Medien, wie über das oben genannte Beispiel des Tagebuchschreibens, konfiguriert auch die Sichtbarkeit des Individuums als solches, welche die dafür genutzten Medien als Selbsttechnologien in den Diskurs von Disziplin und Gouvernementalität nach Foucault einbinden. Im Gegensatz zur souveränen Macht, die das Individuum der Herrscherin der undifferenzierten Masse der Beherrschten gegenüberstellt, funktioniert die Disziplinarmacht über Individualisierung, wodurch einzelne Individuen gegenüber gestellt und beurteilt werden können. D.h. während der autoritäre Bezugspunkt der souveränen Macht die Herrscherin ist, bezieht die Disziplinarmacht gleichgestellte Individuen aufeinander oder aber auf ein abstraktes Ideal. Die Techniken der Prüfung und ihre dokumentarische Aufarbeitung produzieren Fälle, die zugleich Gegenstand des Wissens und der Macht sind. Das Individuum zeigt sich hier in seiner genuin disziplinären Charakteri-

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2.3 Identität und technische Medien

sierung: Es ist jenes Individuum, das man beschreibt, vermisst und mit anderen aufgrund seiner eigenen Individualität vergleicht, und es ist auch jenes Individuum, das abgerichtet, klassifiziert, normalisiert oder ausgeschlossen werden muss (Muhle 2008, S. 173).

Diese prüfenden Praktiken des Messens, der Aufschreibung, der Erzählung und des Vergleichs sind im Grunde technomediale Praktiken, deren Möglichkeiten, Formen und Wirksamkeit medial verfasst sind. Im Bezug auf Identität wird die Disziplinarmacht insofern wirksam, als sie das Verhalten des Individuums reguliert und somit vorschreibt, welche Identitäten artikuliert werden und welche als anormal und korrekturbedürftig gelten. Anders als die Logik des souveränen Gesetzes, welches zwischen erlaubt und verboten unterscheidet, die Feinheiten der erlaubten Handlungen aber nicht weiter kontrolliert, durchdringen die disziplinären Normen alle Lebensbereiche. Die Disziplinen beurteilen alltägliche Verhaltensweisen und minimale Abweichungen von diesen Verhaltensweisen; dadurch wird ihnen eine globale bestrafende Funktion zugeschrieben: Alles wird strafbar und alles wird strafend (ebd., S. 170).

Primäres Bezugsobjekt ist dabei der Körper, der gezüchtigt und gelenkt werden soll, wohingegen das Leben selbst von den Techniken der Biopolitik reguliert wird (vgl. ebd., S. 178). Biopolitik bezeichnet zunächst die Kontrolle des biologisch-medizinischen Lebens der Gesellschaft und nimmt die Form von Systemen „der Krankenversicherung und Alterssicherung, [der] Organisation des urbanen Raums und [der] Hygieneregeln“ an (ebd., S. 262). Hierbei handelt es sich also nicht um Disziplinen, sondern um Instrumentarien, die einer Gesamtbevölkerung die Selbstregulierung nach Beispiel eines lebenden Organismus ermöglicht. In Foucaults weiteren Arbeiten findet nach Maria Muhle eine Umorientierung statt, bei der er von den Analysen der Biopolitik zu jenen der Gouvernementalität wechselt, wobei Muhle hierin keinen Bruch oder etwa eine Politisierung in seinem Denken sieht, sondern vielmehr die Formulierung eines „Begriff[s] post-souveränen Regierens [. . . ], der dazu dient, eine Art der Regierung einer Bevölkerung zu denken, die wie deren eigene Selbstregulierung funktioniert“ (ebd., S. 269). Damit bezeichnet Gouvernementalität eine neoliberale Regierung, die einem dezentralisierten, selbstregulierenden und -erhaltenden (homöostatischen) System entspricht, also einer kybernetischen Logik folgt. Diese neoliberale Form von Führung beruht in hohem Maße darauf, dass

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2.3 Identität und technische Medien

die Verantwortung für gesellschaftliche Risiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Armut, etc. und das (Über-)Leben in Gesellschaft in den Zuständigkeitsbereich von kollektiven und individuellen Subjekten (Individuen, Familie, Vereine etc.) [verlagert wird] und zu einem Problem der Selbstsorge [transformiert wird]. Das Spezifikum der neoliberalen Rationalität liegt in der anvisierten Kongruenz zwischen einem verantwortlich-moralischen und einem rational-kalkulierenden Subjekt (Lemke 2008, S. 55).

Diese Subjektkultur postuliert ein Ideal der Selbstführung und der ökonomischen Effizienz, die Einzug in alle Lebensbereiche hält, diese zu ökonomischen Unternehmungen macht und als Optimierung das Ziel von Identitätsarbeit wird (vgl. ebd., S. 57 f.). Diese Selbstkontrolle und -optimierung ist Ziel vieler medialer Praktiken im Digitalen. Als vermittelnde mediale Praktik soll hier beispielhaft die des Teilens (sharing) genannt werden. Über die Anbindung an einen Nutzerinnenaccount bieten diverse Webdienste die Möglichkeit, dort Gesehenes, Gekauftes, Erledigtes oder anderweitig Wahrgenommenes in die Sozialen Netzwerke der Nutzerin zu übertragen und so mit ihren Freundinnen, Verwandten und Abonenntinnen zu ‚teilen‘. So ermöglichen Smartphone-Apps wie Runtastic 12 die Messung, Bewertung und Veröffentlichung sportlicher Aktivitäten. Selbst das Mediennutzungsverhalten wird aufgezeichnet, ausgewertet und zum Vergleich mit anderen bereitgestellt, wie z.B. in den Netzwerken von Spieleplattformen. In Steam13 können Spielfortschritt, Achievements14 und Freundinnen, die dasselbe Spiel spielen, eingesehen werden. Auch Einkäufe auf Amazon können der Twitter- oder Facebook-Timeline mitgeteilt werden. So schafft das Teilen nicht nur eine öffentliche Sichtbarkeit sowohl digitaler als auch physischer Aktivitäten, es sammelt sie auch an der zentralen Stelle des Social-Media-Profils, wo sie der Nutzerin als Akkumulation ihrer Handlungen als Gegenstand zur Reflexion und Überprüfung bereitstehen. Auch nichtmaterielle und schwer sinnlich zu vermittelnde Erfahrungen und Erwerbungen können so zugänglich und zur expressiven Performance des Selbst nutzbar gemacht werden. Diese Dokumentation des Alltags, die spätestens seit der hohen Verfügbarkeit von digitalen Bildern durch die in Smartphones enthaltenen Kameras auch und in Fällen wie Instagram15 hauptsächlich durch entsprechende bildliche Inszenierungen geschieht, ermöglicht eine Zusammenführung der drei Felder der Selbstpraktiken, die Reckwitz für die Postmoderne identifiziert: Individualästhetischer Konsum, körperorientierte und digitale Praktiken (vgl. Reckwitz 2010, S. 555-584). Das heißt, dass über das Teilen in Sozialen Netzwerken 12

https://www.runtastic.com/de http://store.steampowered.com/?l=german 14 Im Spiel freigeschaltete Erfolge. 15 https://instagram.com/ 13

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2.3 Identität und technische Medien

eine zentrale mediale Basis für reflexive Identitätsartikulation hergestellt wird. So kann die Nutzerin ihre eigene Lebensführung aufzeichnen, mit ihrem Ideal-Ich abgleichen und gegebenenfalls optimieren. Nach Reckwitz ist in jedem Falle herauszustellen, dass die Notwendigkeit der Navigation und der Wahl von Identitätsangeboten weitestgehend in den Praktiken des Konsums und der Form der medialen Angebote kommerziell erschlossen wurde. Die postmoderne Subjektkultur ziele darauf ab, dass sich das Subjekt als ausprobierend und auswählend erlebe: Das Computer-Subjekt trainiert sich nicht in einer Entscheidung zwischen mental-imaginativ vorgestellten Alternativen, die es ›vor seinem inneren Auge‹ anhand seiner ›eigenen‹ Wünsche oder normativen Überlegungen entwickelt und anschließend zielstrebig in die Tat umsetzt – dies wäre eine kognitivistische Entscheidungshaltung, in der sich das reflexionsorientierte bürgerliche Subjekt übt. Die Praktik des Wählens besteht im Kontext der Subjektkultur des Computers vielmehr darin, zwischen bereits vorhandenen, angebotenen und sich selbst aktiv in ihrer Wählbarkeit anbietenden Alternativen eine Entscheidung, mithin eine ›Auswahl‹ zwischen material-semiotisch präsenten Optionen [. . . ] zu treffen, eine AuswahlKonstellation, wie sie aus dem Bereich des Konsums vertraut ist16 (Reckwitz 2010, S. 579).

Die bisherige Theoretisierung von Identität und Medien zielt im soziologischen Diskurs größtenteils auf die inhaltlichen Ebenen, wobei Potenziale der Identifikation mit medialen Personen, interpersonaler Kommunikation und reflexiven Selbstdarstellung die mediale Identitätsarbeit bestimmen. Dies beschränkt sie allerdings auf die Praktiken der sozialen oder parasozialen Interaktion und die Selbstdarstellung auf medialen Plattformen. Reckwitz erweitert diese Perspektive mit der medialen Praxis an sich, die das Handeln der Nutzerin selbst als Faktor der Subjektkultur positioniert. Die Annäherung über die medialen Praktiken scheint mir im Lichte der unüberschaubaren Fülle von angebotenen Medieninhalten für die Medienwissenschaft der produktivere Ansatz im Identitätsdiskurs zu sein, da so übergeordnete Tendenzen im identitätsstiftenden Medienverhalten benannt und analysiert werden können. Die praxeologische Perspektive eignet sich auch besonders für eine Verbindung mit den Cultural Studies und der Analyse der in technosozialen Konfigurationen verfassten Machtstrukturen. Zu bedenken gilt, dass Identität sich nicht in einem verinnerlichten Selbstbild erschöpft, sondern dass das Verlangen nach Identität das alltägliche Handeln auf allen Ebenen durchdringt und somit eine wirkmächtige Kategorie der Kontrolle 16

Hervorhebungen im Original.

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2.3 Identität und technische Medien

darstellt: Die Subjektkultur stellt einen Horizont des Begehrens zur Verfügung, vor welchem Individuen sich wahrnehmen und ihr Handeln positionieren. Andererseits entbehrt Reckwitz’ Darstellung medialer Praktiken einer zeitlichen Dimension: Das Subjekt konstruiert sich im Handeln selbst. Identität stellt sich, wie in Abschnitt 2.1 geschildert, jedoch erst reflexiv in der retrospektiven Beurteilung dieser von Begehren induzierten Handlungen her, also zu einem Zeitpunkt, zu dem das Begehren seine Aktualität verloren hat. Mit Braidotti gesprochen: Our desires are that which evades us in the very act of propelling us forth, leaving as the only indicator of who we are, the traces of where we have already been – that is to say, of what we have already ceased to be. Identity is a retrospective notion (Braidotti 1994, S. 14).

Auch Braidotti bedient sich hier wiederum einer räumlichen Metapher. Die Dichte dieser semantischen Entlehnungen ist nicht nur augenfällig, sie legt auch eine besondere Verbindung zwischen Identität und Raum nahe, welche ich in den nächsten Kapiteln untersuchen möchte. Ich möchte dabei überprüfen, ob der mediale Identitätsdiskurs von einer Zusammenführung mit räumlichen Konzepten profitieren kann.

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3 Raum

3 Raum Um ein Konzept von Medien als Heimat zu entwickeln, stellt sich zunächst die Frage, ob und inwiefern Medien als Orte oder allgemeiner als Räume gesehen werden können. Das Vokabular der digitalen Medien lässt darauf schließen, dass im Denken über das Digitale eine gewissen Raumartigkeit zumindest als Metapher ins Auge springt: Ihre Bedienung beinhaltet Speicherplatz, Websites, Speicher- und E-Mail-Adressen, Chatrooms und Plattformen. Die digitale Infrastruktur wird immer wieder als Datenautobahn beschrieben, die Urheberrechtsdebatte postuliert gerne, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sei.17 Die Vorstellung digitaler Medien als digitale Welten, die betreten werden können, ist in Fiktionen des Cyberspace vertreten, wie sie besonders im Genre der Science Fiction dargestellt werden. Der Roman Neuromancer (1984) von William Gibson und The Matrix (USA/AUS, 1999, Andy & Lana Wachowski) seien hier als Beispiele genannt. Allerdings soll es hier nicht um medialen Raum im Sinne einer Simulation von Raum gehen, sondern vielmehr um einen räumlichen Modus von Medien, insbesondere von digitalen Medien. Um dies angemessen zu theoretisieren, soll hier eine kurze Betrachtung relevanter Raumkonzepte aus der Gesellschaftstheorie stattfinden.

3.1 Ontologie und Begrifflichkeiten von Lokalität Raum ist eine eigentümliche Wahrnehmungskategorie, die so obskur wie offensichtlich zu sein scheint, versucht man sie theoretisch greifbar zu machen. Soja (1989, S. 122-126) bezeichnet sowohl die Perspektive des unhintergehbar materiellen Raums als auch jene des bloßen Containers als Illusionen von Opazität bzw. Transparenz. Dabei konzeptioniert erstere Räumlichkeit als collection of things, as substantive appearances which may ultimately be linked to social causation but are knowable only as things-in-themselves (ebd., S. 122).

Raum wird hier naturalisiert und von allen sozialen Komponenten getrennt. Am anderen Ende des Spektrums wird Räumlichkeit zu „a mental construct alone, a way of thinking, an ideational process in which the ‚image‘ of reality takes epistemological precedence over the tangible substance and appearance of the 17

Vgl. hierzu beispielsweise Ahrens (2003) und Beck (2003). Über entsprechende Suchbegriffe lässt sich in Suchmaschinen schnell einen Überblick über die Häufigkeit der Verwendung im journalistischen Bereich erlangen.

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3.1 Ontologie und Begrifflichkeiten von Lokalität

real world“ (Soja 1989, S. 125). Auf Seiten der Opazität steht also ein naiver Naturalismus, der Raum als objektiv mess- und eindeutig beschreibbares Merkmal sieht; auf Seiten der Transparenz bezeichnet Raum ein reines Denkmuster. Beide Sichtweisen eignen sich nicht dafür, die sozialen Dimensionen und die Materialität von Raum zu beschreiben. Diese radikal gegensätzlichen Positionen legen jedoch nahe, dass Raum keinesfalls als triviales Phänomen gesehen werden kann. Vielmehr verweist Soja auf die von Buber, Sartre, Heidegger und anderen als existenziell herausgearbeitete Rolle von Raum bzw. der Erfahrung von Distanz als konstitutive Grundlage menschlicher Erfahrung im Allgemeinen: This original existential capacity to separate the individuated Human Being from the whole of Nature, the world of things, revolves around what Buber calls ‚the primal setting at a distance‘. Human beings alone are able to objectify the world by setting themselves apart. And they do so by creating a gap, a distance, a space. This process of objectification defines the human situation and predicates it upon spatiality, on the capacity for detachment made possible by distancing, by being spatial to begin with (ebd., S. 132).

Allerdings sei nicht nur diese primäre Feststellung von Distanz, von Nicht-einsSein mit der Welt der Objekte Grundvoraussetzung des menschlichen Bewusstseins, sondern auch der Impuls, diese Distanz zu überwinden und eine Verbundenheit mit der Umwelt zu erreichen. Dabei entsteht das menschliche Individuum in der dialektischen Spannung zwischen Objektivität und Subjektivität, zwischen der Entfremdung (alienation) und dem Willen, diese zu überwinden. Dieses Sich-in-Beziehung-Setzen ist wiederum ein zeitlicher Prozess, wodurch Raum und Zeit sich in einem ontologischen Zusammenhang jenseits physikalischer Modelle in der menschlichen Erfahrung und Wahrnehmung selbst manifestieren (vgl. ebd., S. 133). In den Sozialwissenschaften wurde Raum im Gegensatz zur Zeit – genauer gesagt zur Geschichte – lange vernachlässigt.18 Angesichts des Fortschrittsgedankens, der die Moderne geprägt hat, liegt dies in der Vorstellung der linearen Kausalität und damit der Sequenzialität (also Abfolgelogik) der Ereignisse begründet. Dem gegenüber steht nach dem Ende der ‚großen Erzählungen‘ eine 18

Die gesamte Theoriegeschichte kann hier nicht wiedergegeben werden, allerdings bietet Soja eine gute Zusammenfassung der Entwicklung von Geografie und Raumverständnis insbesondere in der marxistischen Tradition (vgl. Soja 1989, S. 10-42). Zusammenfassend rekurriert er jedoch häufiger mit einem Aufgriff von einer Beobachtung Foucaults aus Questions on Geography (1980) auf folgende Formulierung: „Geography [like other disciplines] thus also treated space as the domain of the dead, the fixed, the undialectical, the immobile – a world of passivity and measurement rather than action and meaning“ (ebd., S. 37).

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3.1 Ontologie und Begrifflichkeiten von Lokalität

räumliche Logik des Nebeneinander, der Simultanität und der polyvalenten Relationen (vgl. Foucault 1999, S. 145). Erst Mitte des 20. Jahrhunderts fand Raum wieder Eingang in die Gesellschaftstheorie, was Soja insbesondere auf die Arbeit von Lefebvre zurückführt, der Raum als sozialen Raum und damit als produziert versteht (Soja 1989, S. 41). Sozialer Raum als Analysekategorie kann in den Kulturwissenschaften inzwischen auf eine mehrere Jahrzehnte umfassende Tradition zurückblicken. Ausgehend von Henri Lefebvres Werk La production de l’espace. kam es in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer regelrechten Wiederentdeckung des Raums, dem spatial turn, in dessen Zuge sich die Kulturgeografie als eine Leitdisziplin der Kulturwissenschaften positionieren konnte (vgl. Bachmann-Medick 2010, S. 284 f.). Hierbei ist wichtig, dass Raum sich als Kategorie von seinem physikalisch-abstrakten Modell des zu füllenden leeren Raums löst und ein relationaler Begriff wird. Raum meint soziale Produktion von Raum als einem vielschichtigen und oft widersprüchlichen gesellschaftlichen Prozess, eine spezifische Verortung kultureller Praktiken, eine Dynamik sozialer Beziehungen, die auf die Veränderbarkeit von Raum hindeuten. Besonders die Veränderung der Städte und Landschaften im Zuge der weltweit ungleichen Entwicklungen auf der Grundlage räumlicher Arbeitsteilung hat diese Einsicht in die Gestaltbarkeit des Raums durch Kapital, Arbeit, ökonomische Restrukturierung sowie durch soziale Beziehungen und Konflikte bestärkt (ebd., S. 289).

Raum ist hier also Ausgangs- und Bezugspunkt sozialer Praktiken und sozialer Beziehungen, zu denen er sich in einem reziproken Verhältnis befindet: Die sozialen Praktiken und Beziehungen strukturieren den Raum und der Raum strukturiert soziale Beziehungen und Praktiken. Was den spatial turn dabei auszeichnet, ist eine Rückkehr zu einer materialistischeren Analysepraxis als der des linguistic turns (vgl. ebd., S. 33-36). Lefebvre positioniert sich gegen die abstrakt-neutrale Wahrnehmung des Raums als leer oder als Träger potenzieller Materialität und Energie. Raum ist jedoch durch eine unbestreitbare Realität gekennzeichnet: Space considered in isolation is an empty abstraction; likewise energy and time. Although in one sense this „substance“ is hard to conceive of, most of all at the cosmic level, it is also true to say that evidence of its existence stares us in the face: our senses and our thoughts apprehend nothing else (Lefebvre 1991, S. 12).

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3.1 Ontologie und Begrifflichkeiten von Lokalität

Das heißt, dass man – will man von einer abstrakten zu einer konkreten oder zumindest konkretisierbaren Vorstellung von Raum gelangen – die Objekte im Raum, seine Grenzen, seine Funktion und seine Benutzung mitberücksichtigen muss. Lefebvre spricht in der marxistischen Tradition von der Produktion des Raums und konzipiert ihn dadurch als sozialen Raum, der ein komplexes Verhältnis zu den Strukturen hat, die ihn hervorgebracht haben: Space is never produced in the sense that a kilogram of sugar or a yard of cloth is produced. Nor is it an aggregate of the places or locations of such products as sugar, wheat or cloth. Does it then come into being after the fashion of a superstructure? Again, no. It would be more accurate to say that it is at once precondition and a result of social superstructures. [. . . ] Is space a social relationship? Certainly – but one which is inherent to property relationships (especially the ownership of the earth, of land) and also closely bound up with the forces of production (which impose a form on that earth or land); here we see the polyvalence of social space, its „reality“ at once formal and material. Though a product to be used, to be consumed, it is also a means of production; networks of exchange and flows of raw materials and energy fashion space and are deteremined by it. Thus this means of production, produced as such, cannot be separated either from the productive forces, including technology and knowledge, or from the social division of labour which shapes it, or from the state and the superstructures of society19 (Lefebvre 1991, S. 85).

Sieht man Raum in dieser Form als produziert, so liegt die Schlussfolgerung nahe, dass seine Wahrnehmung ungeachtet seiner Materialität aufgrund sozialer Rahmenbedingungen variieren kann. Auch Bourdieu konzipierte soziale Räume, jedoch sind diese nicht mehr auf materiell-physische Gegebenheiten zu reduzieren. So schlussfolgert Werlen in einem „ontologischen Slumclearing“: Ein sozialer Raum ist [. . . ] für die Positionierung physisch-materieller Gegebenheiten ebenso ungeeignet wie Raumkonzeptionen für physischmaterielle Wirklichkeiten zur Lokalisierung sozialer Tatsachen. Entsprechend fruchtlos sind Versuche, sozial-kulturelle oder mentale Gegebenheiten unmittelbar erdräumlich abzubilden. Daraus folgt aber immer noch nicht, dass es gerechtfertigt ist, von einem physisch-materiellen Raum im Sinne einer materiellen Entität zu sprechen, die als aristotelischer Erdraum neben allen dinglichen Gegebenheiten an sich existiert. Raum existiert in diesem Sinne nicht auf materiell-physischer oder biologischer Basis, sondern ist kognitiver Art (Werlen 2009, S. 152).

Dabei ist nach Werlen zu problematisieren, wie sich der Bezug zum Raum für die raumzeitlich entankerte Gesellschaft der Spätmoderne verändert. Kein gegebener, unabhängiger Raum sei Zentrum des Weltbildes, sondern Subjekte, 19

Hervorhebungen im Original.

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3.1 Ontologie und Begrifflichkeiten von Lokalität

die durch „performative Akte der Konstitution der Geographien des Alltags und der Weltbildformierung“ Weltbindungen realisieren, und dies „häufig durch Transzendierung der körperlichen Gebundenheit der Erfahrung durch technische Medien der Kommunikation“ (Werlen 2009, S. 153). Raum kann „kein empirischer Begriff sein, da der Gegenstand nicht nachweisbar ist; und er kann kein apriorischer Begriff sein, da er tatsächlich auf Erfahrung beruht“ (ebd., S. 154). Hier wird deutlich, dass Raum nur schwer jenseits des menschlichen Bewusstseins gedacht werden kann, weswegen der Rückgriff auf die Idee eines inneren stabilen Subjekts nahezu allgegenwärtig in diesem Diskurs ist: Verliert der Raum seine stabile Materialität, wird stattdessen eine Stabilität des Subjekts deklariert. Das Distanz- bzw. Innen-Außen-Verhältnis, welches als primäre Erfahrung von Räumlichkeit positioniert wird, verführt zwar hierzu, jedoch habe ich in Kapitel 2 bereits herausgestellt, dass auch das Subjekt prozesshaft verfasst ist. Statt das apriori des Raums mit einem apriori des Subjekts zu ersetzen, ist hier besser von einer gemeinsamen Prozesshaftigkeit von Raum und Subjekt zu sprechen – dem Prozess der Territorialisierung bei Deleuze und Guattari, der eng mit dem Heimatlichen verbunden ist und daher in Kapitel 4.3 Eingang findet. Dass Raum in seiner abstrakten Singularität nicht spezifischer denn als eine kognitive Kategorie zu beschreiben ist, bestätigt auch Köster, wenn er über die unterschiedlichen Raumbegriffe in verschiedenen Disziplinen sagt, dass „Erkenntnisobjekte der Einzelwissenschaften [. . . ] deren irreduzibel verschiedenartige Materialitätsformen mit jeweils eigener Räumlichkeit [sind]“ (Köster 2005, S. 31). Versucht man also, von abstraktem zu konkretem Raum zu kommen, muss der Begriff in jedem Fall eine Pluralisierung erfahren.20 Als Abstraktum bezeichnet Raum eine konstitutive Differenzbeziehung, die über Wahrnehmung und Kommunikation zugänglich und kollektiv erfahrbar gemacht wird: Es geht bei Raum offensichtlich um die Notwendigkeit von Externalisierung, um ein Innen-Außen-Verhältnis und um die mit der Grenzziehung für ein Innen zu bewältigenden Probleme. Diese werden, aufgrund der perspektivischen Gebundenheit des Innen, quasi durch das Außen gestellt. Denn dieses erweist sich als unerreichbar, also ‚nur‘ als konstruiertes InnenAußen [sic] möglich. Bei diesem Außen handelt sich dann augenscheinlich immer irgendwie um ein Außen von Sprache, Kommunikation, Sozialem oder Gesellschaft (Wirths 2003, S. 163). 20

Vgl. hierzu auch Daniela Ahrens: „Der Raum verliert seine bisherigen festen, geografisch verankerten Markierungen. Ebensowenig reicht ein Raumverständnis, das sich abstrakt auf den verflüssigten und homogenen – und damit auf keinen – Raum bezieht, aus. Es wird vielmehr notwendig, den Raum im Plural zu denken und auf die verschiedenen Praktiken der Verräumlichung abzustellen“ (Ahrens 2003, S. 183).

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Hier wird bereits deutlich, dass auch im Konzept des Raums ähnlich wie bei der Identität immer schon eine gewisse Medialität mitgedacht wird.21 Nach Doreen Massey kann man auch von Raum als „simultane Koexistenz der sozialen Beziehungen und Interaktionen“ (Hipfl 2004, S. 28) sprechen, die allerdings untrennbar mit ihrer sinnlich-materiellen kollektiven Wahrnehmbarkeit verbunden ist. Zwar ist diese Dynamisierung des Raumbegriffs notwendig, um ihn für mediale Räume nutzbar zu machen, jedoch erschöpft er sich in dieser Form in einer ungreifbaren Beliebigkeit, die nahe an jene des überholten Container-Modells herankommt. Die Pluralisierung des Raums bedarf deswegen einer Herausarbeitung der konkreten Erscheinungsformen, in denen sich Räumlichkeit artikuliert. Zur Ausformung eines produktiven Begriffs bedarf es darum einer Konkretisierung und Kontrastierung des Raumbegriffs in dem des Ortes. Ort (engl. place, frz. lieu) wird häufig synonym oder in einem Atemzug mit Raum benutzt, beschreibt allerdings eine Konkretisierung. Maßgeblich für die Verwendung des Begriffs in den Kulturwissenschaften war Augé (2011) mit seinem 1992 veröffentlichten Text Non-Lieux, zu Deutsch Nicht-Orte. Zu den Nicht-Orten gehören die für den beschleunigten Verkehr von Personen und Gütern erforderlichen Einrichtungen (Schnellstraßen, Autobahnkreuze, Flughäfen) ebenso wie die Verkehrsmittel selbst oder die großen Einkaufszentren oder die Durchgangslager, in denen man die Flüchtlinge kaserniert (ebd., S. 42).

Nicht-Orte haben ihren Gegenpart im anthropologischen Ort, der durch Identität, Relationalität und Historizität gekennzeichnet ist. Das heißt, dass durch das Geborenwerden an einem Ort eine Individualität und damit Identität in der Verknüpfung des Selbst mit einer konkreten Stelle des Raums entsteht, eine regelrechte Ver-Ortung des Selbst. Allerdings schlagen sich im anthropologischen Ort auch soziale Beziehungen nieder, die die Rolle des Selbst in einem Geflecht von Relationen und eine gemeinsame Identität vermitteln. Die Historizität des anthropologischen Ortes ergibt sich durch seine materielle Stabilität, die den vorhergenannten Kategorien eine Kontinuität verleiht. In griechischen Mythen werden die Selbstbeziehung und die Verhältnisse nach außen durch Hestia und Hermes, den Herd und die Schwelle/Tür,22 personifiziert (vgl. ebd., S. 59-64). 21

Man könnte in gewisser Weise sagen, dass Raum immer schon Gegenstand von Medien ist. Die zeitliche Komponente muss hier natürlich auch immer mitgedacht werden, denn Raum ist, wie noch deutlicher werden wird, immer schon zeitlich verfasst. 22 In dieser Aufteilung schlägt sich die klassisch westliche Trennung von Öffentlichkeit als Sphäre des Männlichen und das Privat-Häusliche als Sphäre des Weiblichen nieder. Vergleiche

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3.1 Ontologie und Begrifflichkeiten von Lokalität

Seine materielle Zeitlichkeit erhält der anthropologische Ort einerseits durch die Festlegung von Orten des zyklisch wiederkehrenden Ritus, andererseits durch Monumente, die „der greifbare Ausdruck des Bleibenden oder zumindest der Dauer“ (Augé 2011, S. 65) sind, ohne welche „die Geschichte in den Augen der Lebenden nichts als eine Abstraktion“ (ebd., S. 66) wäre. Orte, so ließe sich vereinfachend sagen, sind Räume mit kultureller Identität. Im Gegensatz dazu sind Nicht-Orte funktionale Räume, die weder Geschichte noch Soziales verkörpern. An Stelle der sozialen Relationen tritt eine „solitäre Vertraglichkeit“, die hauptsächlich durch anonyme Kommunikation über Text hergestellt wird, deren Urheberinnen nur vage als juristische Personen oder Institutionen identifiziert werden können (ebd., S. 96 ff.). Genauso anonym wie die Kommunikation gestalten Nicht-Orte auch die Identitäten, die sie ihren Besucherinnen23 zur Verfügung stellen. Zwar sind diese auch geteilte Identitäten, nämlich die Rollenidentitäten der Kundinnen, der Reisenden, der (Fahr-)Gäste usw., innerhalb der Gruppe ist die Identität der Einzelnen jedoch nicht mehr für die Nutzung des Nicht-Ortes relevant. Im Sinne des Vertragsverhältnisses, das eine Besucherin – oder besser gesagt eine Benutzerin 24 mit dem Nicht-Ort eingeht, muss diese ihre Identität im Sinne einer juristisch verfolgbaren Haftbarkeit (vgl. Kapitel 2.1) an Ein- oder Austrittspunkten wie z.B. der Supermarktkasse oder dem Check-In am Flughafen bestätigen (vgl. ebd., S.102 f.). Augé sieht hierin ein maßgebliches Merkmal des modernen Konsums, es gibt „[k]eine Individualisierung (kein Recht auf Anonymität) ohne Identitätskontrolle“ (ebd., S. 103). Als Beispiel aus den digitalen Medien wäre als solch ein Kontrollpunkt der Login einer Webseite zu nennen, der über eine E-Mailadresse, Nutzerinnenname und Passwort die Identität einer Nutzerin überprüft, auch wenn die Nutzung selbst anonymisiert oder pseudonymisiert ist. Wenn Augé von den „passiven Freuden der Anonymität und [den] aktiven Freuden des Rollenspiels“ (ebd., S. 103) oder auch der „magische[n] Wirkung der Konstruktion des Raums“ spricht, so drängt sich eine weitere kulturwissenschaftliche Beschreibung von räumlicher Konkretisierung auf, die einen ersten Brückenschlag zur Medienwissenschaft, genauer gesagt den Game Studies erlaubt. Gemeint ist das Konzept des Zauberkreises, auch gängig unter der englischen Übersetzung magic circle, das Huizinga (2009) in seinem viel rezipierhierzu auch Brigitte Hipfl (2004, S. 32). Und je mehr Nicht-Orte man betrachtet, desto mehr fällt ihre Aversion gegen das Bleiben und Verharren auf. Man kann diese Nicht-Orte stets nur besuchen. Man kann nicht an ihnen ver-ortet sein. 24 Bereits Lefebvre spricht von Nutzerinnen (users) von Raum. 23

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3.1 Ontologie und Begrifflichkeiten von Lokalität

ten Werk Homo Ludens geprägt hat. Nach Raczkowski (2015, unveröffentlicht) schlägt sich in der Debatte um die Anwendbarkeit des Begriffs ein Kernproblem der Game Studies nieder – nämlich die Abgrenzung von Spiel und Nicht-Spiel. Huizinga sieht in der räumlichen Begrenzung ein konstitutives Merkmal von Spiel: Jedes Spiel bewegt sich innerhalb seines Spielraums, seines Spielplatzes, der materiell oder nur ideell, absichtlich oder wie selbstverständlich im voraus abgesteckt worden ist. Wie der Form nach kein Unterschied zwischen einem Spiel und einer geweihten Handlung besteht, d.h. wie die heilige Handlung sich in denselben Formen wie ein Spiel bewegt, so ist auch der geweihte Platz formell nicht von einem Spielplatz zu unterscheiden. Die Arena, der Spieltisch, der Zauberkreis, der Tempel, die Bühne, die Filmleinwand, der Gerichtshof, sie sind allesamt der Form und der Funktion nach Spielplätze, d.h. geweihter Boden, abgesondertes, umzäuntes, geheiligtes Gebiet, in dem besondere Regeln gelten (Huizinga 2009, S. 18).

Von dieser Beschreibung her lassen sich Nicht-Orte ebenfalls als solche begrenzten Regel- oder Funktionsräume analysieren bzw. lässt sich der Ort des Spiels als Nicht-Ort theoretisieren: Der Zauberkreis weist einer Person ihre Rolle als Spielerin zu, die unabhängig von ihrer Identität außerhalb des Spiels bleibt. Huizingas Hauptthese des Ursprungs der Kultur im Spiel und die formale Gleichsetzung von Ritus und Spiel eröffnet hier eine interessante weil paradoxe Triade: Der Zauberkreis des Spiels entspricht dem rituellen, also anthropologischen Ort, hat aber formale Merkmale in Regel- und Rollenzuschreibungen wie ein Nicht-Ort. Ein Ansatz, dieses Paradoxon aufzulösen, bietet die Betrachtung der zeitlichen Verfasstheit dieser räumlichen Konkretisierungen. Der Ort des Ritus ist insofern eine herausgehobene Örtlichkeit innerhalb des anthropologischen Ortes, als er durch eine Zeitlichkeit der zyklischen Regelmäßigkeit gekennzeichnet ist (vgl. Augé 2011, S. 65). Das heißt, dass die Historizität des anthropologischen Ortes, die sich auch als akkumulierend beschreiben lässt (in der Abfolge der Ahninnen, Königinnen, Geschichten . . . ) für den Ort des Ritus nicht zutrifft, da er wie auch das Spiel seine Wiederholbarkeit und zeitliche Unabhängigkeit von vorhergehenden Iterationen als konstitutives Merkmal hat (vgl. Huizinga 2009, S. 18). Diese Wiederholbarkeit kennzeichnet auch Nicht-Orte, die den Anspruch haben, für jeden Besuch von jeder beliebigen Nutzerin zu jedem Zeitpunkt dieselbe Funktionalität zur Verfügung zu stellen. Gleichen sich Spielfelder, Orte des Ritus und Nicht-Orte, die man als ahistorische Räume bezeichnen kann, in ihrem Verhältnis zu Zeit und Rollenzuschreibung, stellt sich die Frage, wie der doch evidente

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3.2 Mediale Orte und Räume

Unterschied zwischen diesen unterschiedlichen Arten von Zauberkreisen zu fassen ist. Die Antwort könnte aus der Debatte um den Begriff des Zauberkreises in den Game Studies gewonnen werden. Raczkowski (2015) stellt in seiner Aufarbeitung der Zauberkreisdebatte heraus, dass Spiel und Nicht-Spiel nicht über eine einfache territoriale Grenze unterschieden werden können, selbst wenn sie von den Spielerinnen spontan verhandelt wird. Tatsächlich kann z.B. dieselbe Handlung sowohl als Spiel als auch als Forschung ausgeführt werden wie in dem Protein-Faltungs-Spiel Foldit (University of Washington, 2008). Betrachtet man (Nicht-)Orte jedoch sozial konstruierte Räume, d.h. Produkte sozialer Praxis, so sind die Unterschiede zwischen den Räumen in der jeweiligen dort verorteten Praktiken zu suchen. Die Gemeinsamkeit hingegen liegt in ihrer Optimierung auf diese Praktiken hin. Das heißt dass, wie Raczkowski zurecht aus Huizingas Originaltext hervorhebt, die Ordnung das konstitutive Merkmal des Spielplatzes, des rituellen Ortes und des Nicht-Ortes ist, indem sie „[i]n die unvollkommene Welt und in das verworrene Leben [. . . ] eine zeitweilige, begrenzte Vollkommenheit [bringt]“ (Huizinga 2009, S. 19). Der Unterschied zwischen Raum und Ort lässt sich also darin fassen, dass Raum ein Potenzial materieller Veräußerung ist, während die Zauberkreise wie Nicht-Ort, ritueller Ort und Spielfeld in ihrer Gestaltung durch und auf eine soziale Praxis hin dieses Potenzial einer soziomateriellen Ordnung (Ritus, Vertraglichkeit, Spielregeln . . . ) unterstellen.

3.2 Mediale Orte und Räume Was hier als Zauberkreise benannt wurde, kann mit Foucault auch unter dem Begriff der Heterotopien, der anderen Orte gefasst werden. Die ordnungsstiftende Funktion, die Huizinga für den Spielplatz identifiziert (s.o.), ist für ihn eine spezifische kompensatorische Form der Beziehung zwischen einer Heterotopie und ‚herkömmlichen‘ Räumen, denn sie „schafft einen anderen Raum, einen anderen wirklichen Raum, der so vollkommen, so sorgfältig, so wohlgeordnet ist wie der unsrige ungeordnet, mißraten und wirr ist“ (Foucault 1999, S. 155). Dem entgegen steht die Heterotopie, die durch ihre Illusion die Illusion anderer Räume entblößt. Will man dieses Konzept des teilgeschlossenen anderen Raums nun auf Medien übertragen, muss zunächst geklärt werden, warum es sich bei medialen Räumen um Heterotopien und nicht etwa um U topien handelt. Utopien sind nach Foucault „Platzierungen ohne wirklichen Ort [. . . ] Perfektionierung

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3.2 Mediale Orte und Räume

der Gesellschaft oder Kehrseite der Gesellschaft: jedenfalls sind die Utopien wesentlich unwirkliche Räume“ (Foucault 1999, S. 149). Sind Medien also solche unwirklichen Räume? Dafür, dass es sich bei Medien um heterotope Räume handelt, spricht, dass Foucault das Spiegelbild als eine Mischform beider Topologien sieht: Der Spiegel ist nämlich eine Utopie, sofern er ein Ort ohne Ort ist. Im Spiegel sehe ich mich da, wo ich nicht bin: in einem unwirklichen Raum, der sich virtuell hinter der Oberfläche auftut; ich bin dort, wo ich nicht bin, eine Art Schatten, der mir meine eigene Sichtbarkeit gibt, der mich mich erblicken läßt, wo ich abwesend bin: Utopie des Spiegels. Aber der Spiegel ist auch eine Heterotopie, insofern er wirklich existiert und insofern er mich auf den Platz zurückschickt, den ich wirklich einnehme; vom Spiegel aus entdecke ich mich als abwesend auf dem Platz, wo ich bin, da ich mich dort sehe; [. . . ] Der Spiegel funktioniert als eine Heterotopie in dem Sinn, daß er den Platz, den ich einnehme, während ich mich im Glas erblicke, ganz wirklich macht und mit dem Umraum verbindet, und daß er ihn zugleich ganz unwirklich macht, da er nur über den virtuellen Punkt dort wahrzunehmen ist (ebd., S. 149 f.).

Medien funktionieren auf eine vergleichbare Weise, zum Beispiel in der Nutzung der Frontkamera eines Smartphones, um eine besonders eindrückliche Analogie zu ziehen. Die meisten Smartphones haben neben einer Kamera auf der Rückseite eine weitere oberhalb des Displays, die explizit dafür gedacht ist, Bilder und Videos von sich selbst zu machen, die gleichzeitig auf dem Display angezeigt und überprüft werden können. Die Kameraanwendung von Android spiegelt dabei sogar das Bild in der Live-Ansicht, um die Erfahrung vom Blick in den Spiegel nachzuempfinden. Wird ein Bild aufgenommen, wird es ent-spiegelt, sodass es nicht mehr spiegelverkehrt ist. Entspricht diese optische Anwendung genau der Erfahrung des Spiegels, so kann man sagen, dass der virtuelle Raum der digitalen Medien als virtueller Spiegelpunkt für Handlungen fungiert. Bestellt eine Nutzerin zum Beispiel ein Buch im Internet, so agiert sie im virtuellen Raum, was eine Auswirkung im physischen Raum hat, nämlich dass ein Buch für sie gepackt und an sie versendet wird. Mit Foucault gesprochen sind digitale Medien also insofern Heterotopien, als sowohl ihre Oberflächen als auch die Handlungen, die über es ausgeführt werden, absolut real sind, wobei Letztere allerdings durch eine Phase der datenbasierten Virtualisierung passieren müssen. Es reicht also nicht aus, technische Medien in ihrer Funktion der Raumüberbrückung zu betrachten, wie es bei den Tele-Technologien (Telegraf, Telefon, Television . . . ) zunächst üblich war. Insbesondere durch die Allgegenwart von digitalen Medien (ubiquitous computing) kommt es zu dem, was Saskia Sassen

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3.2 Mediale Orte und Räume

„Digital/Nondigital Imbrications“25 nennt: The digital and the nondigital are not simply mutually exclusive conditions. The digital is embedded in the larger societal, cultural, subjective, economic and imaginary structurations of lived experience and the systems whithin which we exist and operate. At the same time, through this embeddedness, the digital can act back on the social so that its specific capabilities can engender new concepts of the social and of the possible (Sassen 2008, S. 344).

Sie lehnt auch das Konzept der Dematerialisierung ab, welches der Digitalisierung zugesprochen wird, da diese lediglich „a different type of materiality“ (ebd., S. 344) darstellt. Die digitalen Medien bringen den physischen Raum und die Distanz daher nicht zum Verschwinden, sondern sind mit ihm auf komplexe Art und Weise verwoben. Selbst geopolitische Territorialität erhält durch Problematiken wie Geoblocking26 und die NSA-Überwachung27 neue Aufmerksamkeit im Rahmen des Digitalen. Der Fokus dieser Arbeit liegt allerdings im alltäglichen sozial-individuellen Gebrauch von Medien und so auch in der sozial-individuellen Räumlichkeit von Medien. Auch ist hier darum weniger die perspektivisch-interagierbare Simulation von 3D-Räumen im Sinne einer Virtual Reality von Interesse, sondern etwas, das dem ähnelt, was Martina Löw in Anlehnung an Featherstone und Burrows Barlovian Cyberspace nennt. Gemeint sind hiermit „alle internationalen Computernetzwerke, insbesondere das Internet“ in denen die „Verknüpfung von körperlicher Bewegung und Interaktion auf das Eintippen der Buchstaben und das Klicken mit der Maus begrenzt [ist]“ (Löw 2001, S. 94, 97). Hinzuzufügen wären angesichts der technologischen Entwicklung hier noch weitere Eingabemöglichkeiten, wie das Bedienen eines Touch-Screens, die Aufnahme von Bildern, Videos, Sprachnachrichten, etc. Auch ist die Vernetzung zwar integraler Bestandteil einiger, jedoch nicht aller Erfahrungen mit digitalen Medien und der unvernetzte (‚lokale‘) Gebrauch soll hier explizit miteinbezogen werden. Zunächst soll jedoch festgehalten werden, dass die unterschiedlichen Raumbegriffe und die vielfältigen Orte und Nicht-Orte sowie medial geschaffenen virtuellen Räume, die unsere Erfahrung unterteilen und gestalten, Foucault bestätigen, 25

Eigentlich ‚Schuppungen‘ oder ‚Dachziegelüberlagerungen‘, von mir als Überlappungen übersetzt. 26 Hierbei werden Online-Angebote aufgrund des geopolitischen Zugriffsstandortes der Nutzerin unzugänglich gemacht, vgl. z.B. Pryjda (2009, Zugriff am 03.06.2015). 27 2013 wurde bekannt, dass die NSA umfangreich Online-Daten sammelt. Dabei verkündete Angela Merkel, dass auf deutschem Boden deutsches Recht gelte (vgl. Biselli 2013, Zugriff am 03.07.2015), was angesichts der internationalen Infrastruktur der meisten OnlineDienste wenig zur Beruhigung der Bevölkerung beigetragen hat.

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3.2 Mediale Orte und Räume

wenn er sagt: „wir leben, wir sterben und wir lieben in einem gegliederten, vielfach unterteilten Raum mit hellen und dunklen Bereichen, mit unterschiedlichen Ebenen, Stufen, Vertiefungen und Vorsprüngen, mit harten und mit weichen, leicht zu durchdringenden, porösen Gebieten“ (Foucault 2014). Der Raum an sich, um noch einmal den abstrakten Singular zu bemühen, ist ein fragmentierter, der sich einer einheitlichen Definition verweigert. Räumlichkeit kann jedoch als soziomaterieller Akt der Veräußerung aufgefasst werden. Ob die genutzte Materialität dabei physisch-objektiver Natur ist oder über die technosoziale Konfiguration eines Mediums geschieht, ist zwar ein qualitativer Unterschied, jedoch kein Kriterium, um das Digitale von der Kategorie des Räumlichen auszunehmen. Dass Virtuelles durchaus denselben Wirklichkeitsstatus haben kann wie der ‚reale‘ physische Raum, stellt Daniela Ahrens heraus, wenn sie mit Esposito darauf hinweist, dass der Begriff „virtuelle Realität“ ansonsten ein Oxymoron wäre. Viel eher schafft der virtuelle Raum im Gegensatz zur Simulation und Fiktion „auf der Ebene der Zeichen virtuelle Realitäten [. . . ], in die – entgegen den fiktiven Räumen eines Romans – handelnd eingegriffen werden kann“ (Ahrens 2003, S. 179). Auch hat dieser virtuelle Raum nicht den Status einer Simulation, da er nicht auf eine mögliche physische Realität verweist, also keine „Als-ob“-Wirklichkeit ist (vgl. ebd., S. 178 f.). Die referenzlose Interaktivität ist, was das Virtuelle real macht. Hier wird auch deutlich, warum sich diese Arbeit vorwiegend mit den digitalen Medien befasst: Diese referenzlose Interaktivität kann nur von Medien geleistet werden, die nicht auf einen indexikalischen oder fiktiven Referenten für ihre Inhalte angewiesen sind, sondern virtuelle Objekte erschaffen, die „wirklich wahrgenommen werden, [. . . ] verändert und manipuliert werden [können]“ (ebd., S. 179). Um diese Unterscheidung zwischen Simulation, Virtualität und Fiktion noch einmal deutlicher zu machen, bietet es sich an, einen Blick auf digitale Spiele zu werfen, die alle drei Wirklichkeitstatus bedienen. Die Raumrepräsentation von Videospielen wurde bereits an anderen Stellen ausführlich untersucht.28 Insbesondere der Übergang zur Simulation von 3DRäumen in den 90er Jahren und die Implikationen der gewählten Perspektive ist immer wieder auf akademisches Interesse gestoßen. Allerdings fokussieren Videospiele nicht ausschließlich die Simulation realer Räume wie z.B. bei Verkehrssimulationen wie Munich Bus Simulator (TML-Studios, 2014). Viele, wenn nicht sogar die meisten Videospiele simulieren fiktive Räume, die auf kei28

Vgl. z.B. Galloway (2006), Aarseth (2001) und Günzel (2008, Zugriff am 03.07.2015).

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3.2 Mediale Orte und Räume

ne außermediale Realität verweisen. Sie präsentieren sich allerdings über einen perzeptiven Realismus als eine mögliche Realität, tun also so, als wäre eine Referenz in der physischen Welt grundsätzlich möglich. Besonders deutlich wird das bei den fiktiven Welten im Fantasy-Setting, wie sie zahlreich im Genre der Role-Playing Games (RPG) vorkommen. So sind die Kreaturen bei Dragon Age: Inquisition (BioWare, 2014) zwar offensichtlich fiktiv, in Erscheinung und Verhalten jedoch auf das Ideal des perzeptiven Realismus hin in allen Details gestaltet. Im Gegensatz dazu finden andere Elemente des Spiels auf einer virtuellen Ebene statt: Die für Rollenspiele übliche Gestaltung des Charakters über Fähigkeitenbäume, Charakterstatistiken und Ausstattung findet hauptsächlich über die Interaktion mit symbolischen Oberflächen statt. Die Navigation der unterschiedlichen Menüs und Oberflächen hat dabei keine Referenz, nicht einmal in der fiktiven Welt des Spiels. Diese Aktionen sind virtuell und der Fiktion enthoben: Das Spiel simuliert kein Menü, das von der Spielerin bedient wird, die Spielerin bedient tatsächlich ein Menü. Dies verweist auf die generelle Virtualität computergestützter Räume. Während die einzelnen Aktionen innerhalb des Spiels fiktiv sind (die Spielerin besiegt Gegnerinnen), so ist das Spielen selbst virtuell (die Spielerin spielt wirklich ein Spiel). Denselben Realitätsanspruch haben auch alltägliche mediale Praktiken wie die Bearbeitung eines Bildes, das Bedienen eines Scrollbalkens, das Starten eines Programms etc. Zwar finden diese Tätigkeiten nicht im physischen Raum statt, haben jedoch nichtsdestotrotz Bestand. So ist Daniela Ahrens zuzustimmen, wenn sie konstatiert, dass virtueller Raum weder prothetisch noch verdoppelnd fungiert, indem er physische Realität ersetzt oder abbildet. Viel eher stellt er „Zusatzrealitäten“ bereit: Im virtuellen Raum werden neue Umgebungen konstruiert, die als Treffpunkte, als Orte der Selbstdarstellung und Repräsentation und als Plateaus des Meinungsaustausches genutzt werden können. Als technosozialer [sic] Zusatzräume werden durch den elektronischen Raum neue Formen der Vergesellschaftung und der Identitätsausbildung bereitgestellt und damit unsere bislang relevanten Wirklichkeiten ergänzt und erweitert (Ahrens 2003, S. 181).

Die Produktion der Räume durch das Soziale, insbesondere durch Kommunikation, wird hier besonders greifbar, da das Virtuelle von der Idee der ‚Natürlichkeit‘ des Raums enthoben ist. Digitale Medien kreieren ihre Räume in einem „Spiegelmoment“, da ähnlich wie beim Spiegel „eine gewisse Interaktivität vorausgesetzt [ist], es muss etwas vor dem Spiegel existieren“ (ebd., S. 182), was wieder auf

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3.3 Das räumliche Subjekt

Foucaults Heterotopien zurückweist. Somit lassen sich mediale Räume als virtuelle, technosozial konstruierte und somit relationale Heterotopien begreifen. Dass mediale Räume andere Orte sind, sagt jedoch noch nichts über ihre konkrete Ausformung aus. Die Differenzierung, welche zuvor zwischen rituellem und anthropologischen Ort, Nicht-Ort nach Augé vorgenommen wurde, ist somit im Weiteren mitzubedenken.

3.3 Das räumliche Subjekt Dass Räumlichkeit eine grundlegende Bewusstseinskategorie ist, lässt sich insbesondere auf die zwingende Körperlichkeit des Subjekts zurückführen. „Mein Körper ist das genaue Gegenteil einer Utopie,“ sagt Foucault am Anfang seines Vortrags Der utopische Körper, „[. . . ] er ist der absolute Ort, das kleine Stück Raum, mit dem ich buchstäblich eins bin“ (Foucault 2014, S. 25). Diese „gnadenlose Topie“ (ebd.) und die damit einhergehende basale Erfahrung von Distanz, der Unterscheidung von Innen und Außen und damit der Unterschied zwischen Nähe und Ferne bildet gemeinsam mit der Wahrnehmung der Zeit einen gemeinsamen Hintergrund menschlicher Erfahrungen. So lässt sich für die Moderne ein kollektives Gefühl der Beschleunigung bezeugen, welches insbesondere durch die neuen Möglichkeiten der Fortbewegung (Eisenbahn und später Flugzeug) sowie die neuen Kommunikationstechnologien (Telegraf, Telefon, Rundfunk), aber auch die Konzentration des gesellschaftlichen Lebens in den Großstädten hervorgerufen wurde (vgl. Großklaus 1997, S. 72-80). Die digitalen Medien, die durch ihre Konzentration von Schaltkreisen auf mikroskopischem Raum und ihrer Datenübertragung und -verarbeitung im Nanosekundenbereich Raum und Zeit ihrer Funktionsweise der menschlichen Wahrnehmung entheben, verschärfen diesen Effekt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nochmals. Wenn elektronische Medien jedoch „die Tendenzen der Auflösung der Bedeutung des lokalen Zusammenhangs für die Entstehung von Sozialität [unterstützen]“ (Ahrens 2003, S. 188), so müssen sich die basalen räumlichen Unterscheidungen in ihren Referenzpunkten verschieben. Das Interface, so Ahrens, tritt „[a]nstelle des Körpers als Nullpunkt des Koordinatensystems von nah und fern“ (ebd., S. 186). Die Wahrnehmung von Raum wird jedoch nicht nur von Kommunikationsmedien rekonfiguriert, sondern ist in erster Linie ein Produkt der Sozialisation im Kindesalter, welche für die Analyse des Heimatbegriffs ebenfalls von Bedeutung ist, wie in Kapitel 4 ausführlicher besprochen werden soll. Martina Löw

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3.3 Das räumliche Subjekt

stellt anhand unterschiedlicher Studien dar, dass die kindliche Raumsozialisation die Raumvorstellung wesentlich mitprägt und die Vorstellung eines euklidischen Raums als festes Bezugssystem erst durch pädagogische Maßnahmen hergestellt wird. Zuvor weisen Kinder ein assoziatives topologisches Raumverständnis auf, das sich über Relationen wie „Benachbartsein, Trennung, Reihenfolge, Umgebensein und Kontinuität“ (Löw 2001, S. 75) definiert. Das Containermodell eines einheitlichen kontinuierlichen Raums stelle sich erst durch die Vermittlung tradierter Raumvorstellungen und die Schulbildung ein (ebd., S. 7382). Veränderungen in der Aufteilung öffentlichen Raums haben jedoch seit den 1970er Jahren zu einer Veränderung in der Raumsozialisation geführt: Die Dominanz von unterteilten, monofunktionalen Räumen erschwert die Erschließung von Raum durch Expansion des Handlungsradius. Die Aktivitäten von Kindern finden in verstreuten, als unzusammenhängend wahrgenommenen Einzelräumen statt, zwischen denen sie von ihren Eltern hin und her transportiert werden, was Martina Löw als ‚verinselte Vergesellschaftung‘ bezeichnet (ebd., S. 82 f.).29 Die Fragmentierung des Raums geschieht also nicht nur auf der Ebene der Bilder und der Kommunikation, sondern bereits auf der Ebene der Planung und Organisation des städtischen Raums. „Das Aufwachsen in einer verinselten Kindheit führt nun dazu, daß Raum (auch) als »Stückwerk«, als viele einzelne, heterogene Räume erfahren wird, die gar nicht oder nur über schnelle, schwer nachvollziehbare Bewegungen verknüpft werden“ (ebd., S. 85). Tatsächlich ist selbst die räumliche Unterscheidung von Innen und Außen, von innerem, im Körper verortetem Subjekt und äußerlicher Welt des Anderen nicht eindeutig zu bestimmen. Allein die in Kapitel 2 dargestellte soziale Konstruktion von Subjektkultur und damit möglicher Identitäten zeigt eine Dialektik zwischen Innen und Außen auf, die sich auf den Körper ausweitet. Theoretikerinnen wie Foucault und Judith Butler haben die „‚natürlichen‘ Körper als Produkte kultureller Zuschreibungen, Normierungen und Einschreibungen“ (Hipfl 2004, S. 35) aufgedeckt und da Identität immer als artikulierbare Identität zu begrei29

Eine Verschärfung dieses Effekts sei für Kinder in ländlichen Regionen und weiblichen Geschlechts festzustellen. Dies liegt daran, dass die Aktivitäten, die durch die Sozialisierung anhand von Geschlechterrollen Mädchen zugeschrieben werden, entweder in abgeschlossenen Räumen stattfinden oder, falls sie räumlich expandierend sind wie z.B. das Reiten außerhalb des städtischen Raums stattfinden, im Gegensatz zu männlich konnotierten Fußballfeldern. Mädchen lernen so „reduzierendes räumliches Handeln“ (Löw 2001, S. 92), welches zusätzlich verschärft wird, indem der öffentliche Raum als potenzielle Gefahr durch körperliche Verletzung und Übergriffe dargestellt wird. So werden Mädchen zum Beispiel häufiger zu Aktivitäten gefahren, während Jungen sich Wege selbst erschließen dürfen (vgl. ebd., S. 89-93).

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3.3 Das räumliche Subjekt

fen ist, ist davon auszugehen, dass die Grenze des Subjekts nicht einfach mit der Oberfläche des Körpers zusammenfällt. Eher zu erwarten ist, dass es ein „psychisch-räumliches Fundament des eigenen Selbst“ (Hipfl 2004, S. 37) gibt, welches sich über Räume unterschiedlichsten Maßstabes vom eigenen Zimmer bis hin zur nationalen Identität erstrecken kann. Auch dass Brigitte Hipfl in einer psychoanalytischen Heranführung an Komponenten der Identität die Gestaltung der Umgebung durch Wahl und Gestaltung von Wohnung zu den körperbezogenen Praktiken zählt, die auf das Gefühl körperlicher Kohärenz abzielen, weist darauf hin, dass Subjekt, Körper und die Räume des alltäglichen Lebens Überlappungen bilden (vgl. ebd., S. 39). Dies kann mit den Überlappungen verglichen werden, die das Digitale und das Analoge bilden, welche jedoch durch die Trennung dieser Begriffe unsichtbar gemacht werden. Wenn im Folgenden also weiterhin über Subjekte gesprochen wird, dann immer in der Annahme, dass Subjekte in einem psychisch-räumlichen Prozess verfasst sind, wobei der Körper eine von vielen Schnittstellen ist, über die Wahrnehmung und Artikulation des Selbst operationalisiert werden. Die in Kapitel 2.2 aufgezeigte Raummetaphorik im Sprechen über Identität lässt sich vor diesem Hintergrund erklären: Sie benennt Spezifika der räumlichen Verfasstheit von Identitäten, die nicht (nur) auf das tatsächliche physische Umfeld, sondern auf die mentalen, semantischen und kommunikativen Räume verweist, die von Subjekten bewohnt und in ihre Identität über Gestaltung des Raums oder Anpassung des Selbst integriert werden. Im deutschsprachigen Raum gibt es einen Begriff, der sich dem psychischräumlichen Fundament der Identität annähert. Unter Heimat kann alles vom Geburtsort über die Stammkneipe bis hin zu nationaler und transnationaler (z.B. die europäische) Identität verhandelt werden. Da der Heimatbegriff nicht unproblematisch ist, werde ich ihn im nächsten Kapitel ausführlich aufbereiten, um ihn schließlich für die Analyse medialer Räume produktiv zu machen.

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4 Heimat

4 Heimat 4.1 Begriff und Kulturgeschichte Heimat erweist sich bereits darin als problematischer Begriff, dass es ihn in dieser Form in anderen Sprachen nicht gibt. Zwar scheint das englische home eine ähnliche Funktion zu erfüllen, bezieht sich aber eher auf das Heim im Sinne eines Zuhauses als die Heimat. Im Lateinischen gibt es das Wort patria und im Französischen das davon abstammende patrie, aber beide sind eher im Sinne des Herkunftslands konnotiert, wie es sich auch im deutschen Wort ‚Patriotismus‘ niederschlägt (vgl. hierzu auch Hüppauf 2007, S. 111). Man ist bei einer theoretischen Aufarbeitung des Heimatbegriffes also in erster Linie auf die deutschsprachige Literatur angewiesen, die allerdings historisch bedingt die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und Exil und die hierdurch entstehende Problematisierung von Heimat in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Vordergrund stellt. Hüppauf (ebd.) diagnostiziert eine Rückkehr des Konzeptes der Heimat, das nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings radikal entromantisiert wurde. Auch Huber (vgl. 1999) sieht die kulturelle Wirkmacht sowie das Interesse an Heimat auch in der Postmoderne als ungebrochen. Vor dem 19. Jahrhundert hatte Heimat noch eine sehr konkrete juristische Bedeutung im Bezug auf die Heimatrechte, welche Wohnungs- und Versorgungsansprüche in der Geburtsgemeinde im Verarmungsfall regelten. Mit der Gründung eines deutschen Nationalstaates fiel diesem diese Aufgabe zu. Ausschlaggebend für die für das Heimatrecht konstitutiven Sozialleistungen war nun nicht mehr die Geburts-, sondern die Aufenthaltsgemeinde (vgl. ebd., S. 43 f.). Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte Heimat sich immer mehr zum Kontrastbegriff zur Industrialisierung, was mit einer Romantisierung des Lebens auf dem Land und in der Kleinstadt einherging. Die Verklärung von Landschaft und die Sehnsucht nach einem unschuldigen Naturidyll prägte die Neuauslegung des Begriffs. Dieser neue, oftmals poetische Heimatbegriff bezeichnete somit auch immer einen „Rückzug aus der Realität“ (ebd., S. 45). In der Zeit zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg wurde Heimat zum Mythos stilisiert und ideologisch mit dem Nationalstaat verknüpft, sodass diese politische Ebene eine emotionale Aufladung über die Verknüpfung mit ‚Heimat‘ und diese einen Verlust des bis dahin assoziierten kleinräumigen Charakters erfahren hat. Das kulturelle Trauma des Zweiten Weltkriegs sieht Hüppauf (2007) insbesondere durch den Unschuldsverlust der Kindheit als relevant für den Heimatbegriff.

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4.1 Begriff und Kulturgeschichte

Er bindet diesen jedoch auch im Gegensatz zu Huber stark an die reale Erfahrung der Kindheit. In den frühen Verknüpfungen des entstehenden Ichs mit einer nahen Umwelt entsteht ein Raum, der sich nicht mehr vergisst. Er begleitet den Menschen ein Leben lang und, ob er es will oder nicht, bildet ein Ideal und eine Norm. Denn dieser Raum bietet trotz seiner endogenen Mannigfaltigkeit keine Alternativen. Er ist – oder war bis zum Eindringen der elektronischen Medien in die Kindheit – singulär und autoritär (Hüppauf 2007, S. 112).

Durch den kulturellen Schock des Holocausts kann Kindheit nach Ausschwitz jedoch nicht mehr als zwingend unschuldig und behütet gedacht werden: Einerseits waren Kinder wie Erwachsene auch von der Gewalt in den Konzentrationslagern betroffen, andererseits war Deutschland, das als Inbegriff von Heimat idealisiert worden war, nun von den in seinem Namen verübten Gräueltaten überschattet. Hierdurch verlor Heimat den utopischen Charakter als Schutzraum und Ideal des gelungenen Lebens (vgl. ebd., S. 126). Kindheit wird hier als räumlich verorteter Zustand der Ich-Werdung positioniert, als geradezu ahistorische Phase, bevor Zeitlichkeit in Gestalt von Politik (Geschichte) und Ökonomie (zielgerichtete Biografie) in das Leben bricht (vgl. ebd., S. 115). Obwohl der Kindheit als Lebensabschnitt mit Sicherheit ein prägender Effekt in der Vorstellung von Heimat zugesprochen werden kann,30 so muss auch herausgestellt werden, dass die Kindheit, wie Hüppauf sie hier beschwört und nach dem Zweiten Weltkrieg verloren sieht, eine Utopie ist. Die Kindheit als „Phase, in der ein unbefragtes Recht auf Zeit besteht, der Abwesenheit von Fremdbestimmung und Willkür, einer sinnvollen Ordnung“ (ebd., S. 115) hat auch vor dem Zweiten Weltkrieg kaum in dieser Gestalt existiert. Die Verklärung, die Huber an einer Landschaft festmacht, macht Hüppauf an einer realen Zeit fest. Hieran wird deutlich, dass Heimat sowohl eine räumliche als auch eine zeitliche Komponente hat. Inwieweit Raum und Zeitlichkeit von Heimat zu verstehen sind, soll in den folgenden Kapiteln eruiert werden. Festzuhalten ist jedoch, dass der Heimatbegriff in Anbetracht des erlittenen Vertrauensverlusts gegenüber der Politik und ihrer Schutzfunktion – selbst gegenüber Kindern – vom Nationalstaat entkoppelt werden musste. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Heimatbegriff also entpolitisiert, diente aber weiterhin identitätsstiftend, indem insbesondere „Kleinbürgertum und so30

So sagt z.B. auch Schlink: „Oft ist es die Kindheit, deren Hoffnungen und Sehnsüchte, weil sie in der Kindheit erfüllt werden wollten, aber nicht konnten, uns ein Leben lang als unerfüllbare begleiten“ (Schlink 2000, S. 27).

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4.1 Begriff und Kulturgeschichte

zial schwache Schichten“ (Huber 1999, S. 47) nach dem Chaos des Krieges eine Rezentrierung des Lebens anstrebten. Allerdings hat sich das bereits zuvor zunehmend irreale Heimatbild zu diesem Zeitpunkt weitestgehend von realen Räumen losgelöst (vgl. ebd., S. 47 f.). Heimat wurde „zu einer Ansammlung von Phrasen und Klischees, Idyllen und Wunschbildern“ (ebd., S. 48), die in Heimatmedien (Heimatromanen, -schlagern, -filmen) kommerziell produziert wurden. Im Übergang der 60er in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde der Heimatbegriff nochmals neu belebt, indem er auch von der politisch linken Kritik an der Wachstumsgesellschaft aufgegriffen wurde. In diesem Diskurs war Heimat jedoch nicht mehr Objekt konservativer Restauration, sondern ein emotionales Gestaltungsbedüfnis im Bezug auf die Umgebung, „ein aktives Ändernwollen der Umwelt“ (ebd., S. 48). In dieser Zeit legte der Heimatbegriff letztendlich auch seine Großstadtfeindlichkeit ab, fand aber gleichzeitig zurück zu einer neuen Assoziation mit Kleinräumigkeit, wie sie auch Hüppauf in der Orientierung der Großstädte auf die neighborhood, den Kiez usw. erkennt (vgl. Hüppauf 2007, S. 121). Dabei wird Heimat auch immer mehr als sozial bedingt aufgefasst: Heimat ist, wo das kulturelle und soziale Umfeld angesiedelt ist und man sich so geborgen fühlt (vgl. Huber 1999, S. 49).

Abbildung 1: Die Startseite von Welcome Dahoam. (Quelle: Screenshot von http: //www.welcomedahoam.de)

Wie sehr sich das aus der Romantik stammende Bild der Heimat kulturell eingeprägt hat, ist gut an der Selbstinszenierung Bayerns im Regionalmarketing zu sehen. Unter dem Slogan „Welcome dahoam“ bewirbt das Bundesland sich selbst.31 Die Zusammenführung von Modernität und Weltoffenheit und lokalem Traditionsbewusstsein, das sich in der Mischung von Englisch und Dialekt 31

http://www.welcomedahoam.de

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Medien als Heimat

4.1 Begriff und Kulturgeschichte

anbiedert, zieht sich durch den ganzen Internetauftritt. So gliedern die Menüpunkte die Seite in ‚Wir in Bayern‘, ‚Zukunft‘, ‚Tradition‘ und ‚Heimat‘ (vgl. Abb. 1). Schon diese Aufteilung verrät, dass das zugrundeliegende Heimatverständnis sich losgelöst von der Zeit versteht: Heimat steht abseits von Tradition und Zukunft. Unter dem Menüpunkt ‚Heimat‘ werden dabei historische Bauten und ‚ursprüngliche‘ Landschaften abgebildet und beworben. Beispielsweise wird ein Bild eines Waldes mit folgendem Text begleitet: Rund 50 Meter hohe Urwaldriesen sind hier fest in der bayerischen Erde verwurzelt. „Natur Natur sein lassen“: Mit dieser Leitidee soll der wilde Wald im Herzen Europas für unsere Kinder und Kindeskinder erhalten bleiben. (Welcome dahoam 2015, Zugriff am 03.07.2015, Unterseite: Heimat).

Dass diese Beschreibung unter dem Oberpunkt ‚Heimat‘ geführt wird, zeigt, wie eng die Idee von Heimat mit einer Vorstellung von Natur, Stabilität und Erdverbundenheit verknüpft ist, die in der Konkretisierung („bayerische Erde“) zu einer Ortsverbundenheit wird. Ein weiterer interessanter Unterpunkt der Heimat-Seite von Welcome Dahoam beschreibt unter der Überschrift „Hier bin ich Mensch!“ die Urlaubsmöglichkeiten in Bayern.32 Hieran zeigen sich zwei Spannungsfelder des hier gebrauchten Heimatbegriffs. Einerseits handelt es sich um eine paradoxe Verallgemeinerung von Heimat: Tourismus mit dem Motiv der Heimat zu bewerben spricht von einer Vorstellung eines kollektiven Ideals der Heimat, welches seine Erfüllung in Landschaft und Kultur von Bayern findet. Heimat wird zu einem von biografischer Erfahrung losgelösten Bündel ästhetischer Erfahrungen von Natur und Kultur, die sich am Motiv der ‚Ursprünglichkeit‘ orientieren. Es handelt sich also nicht um die eigene Heimat, sondern um einen Raum, der in seiner Inszenierung als allgemein heimatlich markiert ist. Bayern soll hier zur Annäherung an eine kulturell tradierte Utopie erhoben werden, die jedoch temporär als Gast erfahrbar wird. Als Urlaubsziel wird es hier zu einer Heterotopie, in der eine (durch die Darstellung als Heimat impliziert) anderswo nicht erfahrbare Heimatlichkeit erlebt werden kann. Bayern wird auf dieser Seite zu einem Mythos stilisiert, was mit zahlreichen Zitaten noch weiter untermauert wird. Z.B.: „Bayern hat es in der DNA, sich neu zu erfinden.“ Professor Wolfgang Ullrich (* 1967), bayerischer Kunsthistoriker (ebd., Unterseite: Zukunft). 32

„Aktivurlaub, Geselligkeit, Kulturgenuss, Entspannung. Wer seinen Urlaub in Bayern verbringt, hat die Qual der Wahl. Fest steht: Erholung ist garantiert – und das zu jeder Jahreszeit“ (Welcome dahoam 2015, Zugriff am 03.07.2015).

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4.1 Begriff und Kulturgeschichte

„Geblieben ist ein Land, das einem noch Raum zum Atmen lässt und doch den Blick wieder fängt an nicht allzu fernen Grenzen. Dazu mehr als tausend Jahre eigener Geschichte, die uns tragen und halten, uns die innere Ruhe geben und den stillen Auftrag.“ Professor Benno Hubensteiner (1924-1985), bayerischer Historiker (Welcome dahoam 2015, Zugriff am 03.07.2015, Unterseite: Heimat).

Hier soll eine geschichtliche Kontinuität und Besonderheit ausgestellt werden, ein Mythos, der auch losgelöst vom Territorium besteht, was an Andrea Lobensommers Analyse des zwar nicht in Bayern, aber doch in Süddeutschland spielenden Romans Seegfrörne von Christof Hamann (2001) erinnert: „[. . . ] der Mythos soll einesteils Gemeinschaft fast schon erzwingen, zum anderen aber auch Werbung ermöglichen, ohne dass dabei die Gemeinschaft jemals geöffnet werden soll“ (Lobensommer 2013, S. 498). Sie geht davon aus, dass Heimat durch Erzählung – also ähnlich wie Identität immer schon medial – hervorgebracht wird. Der Mythos ist dabei diejenige Erzählung, die keine andere Sichtweise erlaubt und sich dem kritischen (wissenschaftlichen) Hinterfragen entzieht (vgl. ebd., S. 501). Für sie ist die Loslösung vom Territorium eine Rückkehr zur mittelalterlichen Verwendung des Wortes Heimat, welches damals unabhängig vom Territorium gesehen wurde, bevor es juristisch an die Geburtsgemeinde gekoppelt wurde. Ein semantischer Raum sei es, der als Heimat gesetzt würde, was Heimat zu einem Lexem mit variabler Füllung mache (vgl. ebd., S. 488 f.). Der Mythos ist nur eine Form von Erzählung, durch die Heimat hervorgebracht werden kann, für sie sind z.B. Sprache oder auch Geschichtsschreibung oder die Möglichkeit zu erzählen an sich semantische Räume, die als Heimat fungieren können. Bayern wird auf Welcome Dahoam allerdings werbewirksam als Ideal der Heimat, als Mythos und sublime Landschaftserfahrung inszeniert. Auf der Heimat-Seite von Welcome Dahoam lässt sich durch die Überschrift „Hier bin ich Mensch!“ in Verbindung mit Urlaub und Freizeit eine Brücke zu einer schon in Kapitel 3 angedeuteten Verwandtschaft von Heimat und Spiel(raum) schlagen. Gemeint ist das bekannte Schillerzitat: „[. . . ] der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ (Schiller 2009, S. 64). Eine Engführung dieser Konzepte findet sich auch bei Astrid Deuber-Mankowsky und ihrer Erarbeitung einer Medienanthropologie des Spiels bei Walter Benjamin, allerdings über den Begriff des Wohnens und der Gewohnheit (vgl. Deuber-Mankowsky 2015). Eine nähre Betrachtung des Konzepts der Heimat im Zusammenhang mit Spiel, Wohnen und Gewohnheit nehme ich in Kapitel 4.3 vor. Zunächst lässt sich anhand der bayrischen

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4.2 Erfahrung von Heimat als Sehnsucht

Image-Seite Welcome dahoam jedoch feststellen, dass die Kommerzialisierung von Heimatgefühlen, wie sie im Heimatfilm, -roman und -schlager vorgenommen wurde, noch immer betrieben wird. Die Vermarktung eines Ideals von Heimat als ästhetische (Raum-)Erfahrung zeugt von einem ambivalenten Charakter der Heimat als einerseits hochgradig subjektiv und in der individuellen Biografie begründet und andererseits als ein von der konkreten Erfahrung losgelöstes Bündel soziospatialer Merkmale, die sich als Ware kollektiv konsumieren lassen. Die Nachfrage nach dieser kommerziellen Heimaterfahrung weist darauf hin, dass Heimatgefühlen ungeachtet ihrer biografischen Relevanz ein kollektiv feststellbares Begehren zugrundeliegt, welches hier für Werbezwecke nutzbar gemacht wird. Der Begehren nach Heimat, das hier gestillt werden soll, ist, wie ich im folgenden Kapitel zeige, zwingend mit der Idee von Heimat an sich verbunden.

4.2 Erfahrung von Heimat als Sehnsucht Heimat, so legt schon die Wirkmacht des Begriffs als Reaktion auf Industrialisierung nahe, ist als Kategorie untrennbar mit ihren Gegensätzen verknüpft: der Fremde, dem Heimweh, der Nostalgie, dem Exil und der Diaspora. Als Zentrum des Lebens und der kulturellen Herkunft scheint der heimatliche Raum als Medium sozialer und kultureller Praktiken erst dann in Erscheinung zu treten, wenn er diese Funktion nicht mehr erfüllen kann oder unzugänglich ist, das heißt, indem er durch sein Fehlen sichtbar wird. Dies ist historisch die Erfahrung der Flüchtlinge, der im Exil Lebenden und der Migrantinnen – der displaced persons –, worauf Said in seinen Reflections on Exile hinweist: „[home and language] become nature, and their underlying asumptions recede into dogma and orthodoxy. The exile knows that in a secular and contingent world, homes are always provisional“ (Said 2000, S. 185). Der Verlust der Heimat kann jedoch nicht nur durch Displacement erfahren werden, sondern auch durch Zerstörung, Besetzung, schwerwiegenden Veränderungen der räumlichen und sozialen Strukturen (wie z.B. in der Industrialisierung und der Globalisierung) oder auch rein imaginär in der Bedrohung (z.B. in der Mobilisierung, des regelrechten weaponizing der Heimat im Nationalsozialismus). Auch die Verknüpfung des Heimatgefühls mit der Kindheit fördert ihre Wahrnehmung als Mangel oder Verlust durch ihre unwiederbringliche Vergangenheit. Schlink weitet diese Beobachtung auf die nicht-materiellen Komponenten von Heimat aus:

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4.2 Erfahrung von Heimat als Sehnsucht

Die Heimaterfahrungen werden gemacht, wenn das, was Heimat jeweils ist, fehlt oder für etwas steht, das fehlt. Der Geburtsort steht für die Kindheit; der Wohnort wird Heimat, wenn man anderswo ist, auf Geschäftsoder Ferienreise; was man an der Familie hat, weiß man, wenn man von ihr getrennt ist, und was an den Freunden, wenn man sie vermißt. [. . . ] Immer wieder ist Heimat ein Geruch, diese flüchtigste aller Sensationen. Immer wieder ist sie die Erinnerung an die unwiederbringliche Kindheit oder an andere Lebensabschnitte unwiederbringlichen Glücks. Und immer wieder klingt, was die Befragten über ihre Heimat sagen, als sagten sie es voller Heimweh (Schlink 2000, S. 24 f.).

Auch bei Castells werden lokale Identitäten als defensiv charakterisiert: verteidigend gegen ein feindliches Außen (vgl. Castells 2003, S. 67). Heimat wird dann konkret erfahrbar, wenn sie sich gegen eine Fremde abgrenzen kann, gegenüber welcher sie als privilegierter Raum der Vertrautheit, Sicherheit und emotionalen Bindung auftritt. Wenn Bernet also fragt, ob es „überhaupt eine Heimat ohne Trauer über deren Verlust, ohne nostalgische Erinnerung an verflossene Zeiten, ohne absichtliche oder unbewusste Verzögerung der Rückkehr [gibt]“ (Bernet 2011, S. 87), so ist die Antwort bei Hüppauf klar: Heimat entsteht aus der Entfernung, Heimweh gibt es nicht ohne Fernweh. Heimat, haben Ethnolgen ein wenig überspitzend gesagt, ist ein Begehren der Nomaden. Wer sie nicht hat, empfindet diesen Ort in der Seele als Leere und entwickelt eine Sehnsucht nach dem Abwesenden (Hüppauf 2007, S. 117).

Heimweh zeigt sich in allen Ausführungen als eine Sehnsucht nicht nur nach einem bestimmten Ort: Ihm ist auch immer die Nostalgie, das Sehnen nach einer vergangenen Zeit eingeschrieben, was wiederum auf die enge Verquickung von Heimat und Kindheit verweist. Jedoch ist Heimweh, so Bernet, kein „Ausdruck eines unbefriedigten Bedürfnisses“ (Bernet 2011), welches durch Rückkehr in die Heimat gestillt werden könnte. Vielmehr entspräche es der Liebe oder dem sexuellen Begehren: Das Liebesobjekt ist mehr Ursache als Erfüllung des Begehrens, und durch seine Neigung zur Idealisierung des Liebesobjekts versagt sich dieses Begehren die Möglichkeit einer endgültigen Befriedigung. Die Unerreichbarkeit des Liebesobjekts hat zur Folge, dass das Begehren zwar ein Ziel, aber kein Ende hat (ebd., S. 92).

Heimat ist also ein idealisierter Ort, eine Utopie, die sich bei näherer Betrachtung als solche enttarnen muss, weil sie überhaupt erst durch die Sehnsucht konstituiert wird. Noch einmal Bernet:

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4.2 Erfahrung von Heimat als Sehnsucht

Die Lacansche Psychoanalyse hat also Recht, wenn sie das Objekt des Begehrens als ein verlorenes Objekt bezeichnet, das man unter dieser Form früher gar nie besessen hat und auch nicht besitzen konnte, weil es überhaupt nicht existierte. [. . . ] Die Heimat, in die man zurückkehrt, ist nämlich nie identische mit der Heimat, nach der man sich in der Fremde gesehnt hat; und die Heimat, nach der man sich gesehnt hat, ist ebenfalls nie identisch mit der ursprünglichen Heimat, die man einst verlassen hat 33 (Bernet 2011, S. 93).

Heimat entpuppt sich hier als von vorne rein immer schon verloren. Die Beobachtung, dass der Heimatgedanke mit der Industrialisierung seine Wirkmacht entfaltet hat (s.o.), kann also nicht so gedeutet werden, dass dies an einem kollektiven Verlust von Heimat festgemacht werden kann. Vielmehr hat die Mobilisierung und Beschleunigung breiter, zuvor örtlich gebundener Bevölkerungsanteile, die in dieser Zeit durch Transportationsmittel und Kommunikationstechnologien erfahren wurde, Heimat als gesellschaftliches Phänomen überhaupt erst hervorgebracht. Hierauf möchte ich im nächsten Kapitel noch weiter eingehen. Zunächst will ich diesen Gedanken allerdings noch ein wenig weiterverfolgen, da er für die weitere Diskussion des Heimatbegriffs so zentral ist. Bernet schlägt zwei Deutungsweisen der zeitlichen Komponente des Heimwehs vor: Einerseits ist das Sehnen nach dem Ort der Vergangenheit als das Sehnen nach einem „magische[n] Ort, welcher der vergänglichen Zeit enthoben ist“ (ebd., S. 95) lesbar. In dieser Lesart wäre das Heimweh somit eine Reaktion auf eine schmerzhafte Wahrnehmung der Zeit als vergänglich und dem eigenen Leben als endlich. Die Heimat nimmt in dieser Logik die Form eines zeitlosen Garten Edens an, in dem es weder Tod noch Leid gibt – tatsächlich keinerlei Veränderung. Dies entspricht dem Kontinuitätsgedanken, der in Heimat so häufig als Konnotation mitschwingt. Die zeitliche Ordnung der Heimat als Garten Eden ist die Dauer. Das Sehnen nach Heimat als Garten Eden kann jedoch nur mit Enttäuschung einher gehen, da die an den Heimatort herangetragene Stillstellung der Zeit nie erfüllt werden kann. Eine zweite Deutung des Vergangenheitsbezugs sei jedoch die der „Wertschätzung des Vergangenen um seiner Vergangenheit willen“ (ebd.). Hierbei spielt die Erstmaligkeit von Erinnerungen und Erlebnissen eine herausgehobene Rolle: Diese Erstmaligkeit ist in Wahrheit nur die Kehrseite des Phänomens, das wir bisher als Verlust und Unzugänglichkeit des Objekts des Heimwehs kennen gelernt haben. Wenn dem aber so ist, so wird auch deutlich, dass sich der Wert einer Erstmaligkeit überhaupt erst dann bilden kann, wenn 33

Hervorhebungen im Original.

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4.2 Erfahrung von Heimat als Sehnsucht

die Vergangenheit Gegenstand eines nachträglichen sehnsüchtigen Begehrens geworden ist. Das Heimweh als Sehnsucht nach dem locus natalis der Heimat steht somit in einem ganz wesentlichen Zusammenhang mit der nachträglichen Faszination für den Ort unserer ersten Atemzüge, des ersten Wortes, der ersten Begegnung mit einem Schmetterling34 (Bernet 2011, S. 96).

Nostalgie als „das Leiden unter einer unmöglichen Rückkehr“ (ebd., S. 97) kann in diesem Sinne auch als „Grundform menschlichen Selbstbewusstseins“ (ebd.), also als Grundmodus der Identitätsbildung per se verstanden werden, da der Mensch sich seiner nur im Blick auf seine Vergangenheit bewusst wird und nur so ein Bild von sich selbst in die Gegenwart und Zukunft projizieren kann. Heimweh ist in dieser Logik der Wunsch danach, die herausragenden Momente und Erlebnisse im Leben – sowie deren Orte – zum Zeitpunkt ihres Erlebens mit der Wertschätzung der Retrospektive wahrzunehmen. Zwar ist dieses Verlangen auch immer durch seine Unmöglichkeit ins Melancholische verschoben, jedoch ist diese Auffassung m.E. weniger anfällig für eine Idealisierung (und ideologische Aufladung) als die der Heimat als Garten Eden, da hier nicht die Erwartung besteht, bei der Heimat handele es sich um einen real existierenden Ort. Vielmehr lässt sich Heimat hier als retrospektive Verortung der Ich-werdung begreifen, indem Orte und Erlebnisse identifiziert werden, die sich im Nachhinein als prägend für die Identität herausgestellt haben. Heimat selbst ist also auch von jenem Kippbild betroffen, welches Freud für das Unheimliche identifiziert hat, mit dem es etymologisch betrachtet auch verwandt ist: Genauso wie das Unheimliche hat die Heimat eine Bedeutungsnuance „in der es mit seinem Gegensatz [. . . ] zusammenfällt“ (Freud 2013, Zugriff am 22.06 2015). Heimat besteht nur aus der Distanz, das heißt, dass Heimat außer in einem Akt der Selbsttäuschung nie unmittelbar erfahren werden kann. Wenn Heimat aber immer schon durch ihr Verloren-Sein gekennzeichnet ist: Wie lässt sich in der heutigen Zeit überhaupt noch ein produktiver Begriff von Heimat bilden? Kann dieses Prinzip in einer globalisierten und digitalisierten Moderne überhaupt noch bestehen? Lässt sich Heimat noch unpathologisch denken? Dies möchte ich im nächsten Kapitel untersuchen und dieses mit Hüppauf schließen: „Wer Heimat haben, aber von ihr nicht besessen sein will, muss eine Bewegung von ihr fort machen“ (Hüppauf 2007, S. 118).

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Hervorhebungen im Original.

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4.3 Heimat in der Postmoderne

4.3 Heimat in der Postmoderne Wie bereits in Kapitel 2 angeklungen ist, wird Heimat in der Postmoderne zu einem problematischen Konzept, da Flexibilitäts- und Mobilitätsansprüche der Arbeitswelt und Subjektkultur nicht nur die Möglichkeit sondern auch die gesellschaftlichen Stellenwert von Heimat erodieren. Heimat scheint für die Identität das alte Paradigma des Raums als apriori zu bedienen: Sie ist starr und unveränderlich, im besten Falle lediglich durch soziale Bindungen belebt. Heimatlosigkeit, so Hüppauf, wird zu einer kollektiven Erfahrung, einem Weltschicksal, wie er Heidegger zitiert (vgl. Hüppauf 2007, S. 124). Der Patchwork-Charakter der Identität widerspricht der biografischen Erzählung eines singulären räumlichen Ursprungs. Hüppauf sieht auch – zu oberflächlich, wie ich noch argumentieren werde – bei Deleuze/Guattari den Nomadismus als neues Ideal der Heimatlosigkeit. Die „Wurzellosigkeit des Nomaden [ist] in den Prozessen der Globalisierung zum Ideal eines Lebens in der Freiheit einer grundsätzlich offenen Welt“ geworden (ebd., S. 134). Wohnen, im Heiddegerschen Sinn des Bleibens 35 scheint weder erstrebenswert noch möglich, macht die Postmoderne doch alle Menschen zu Touristinnen und Vagabundinnen. Und doch scheint das Heimatliche, das Lokale und Eigene als Gegensatz zum radikalen Universalismus einer globalisierten Welt seinen Reiz zu bewahren. So formuliert auch Hüppauf die Aufgabe, „Heimat als Ort der Differenz und als Gegensatz zum schlechten Allgemeinen des Universalismus zu entwerfen“ (ebd., S. 132), was mit einer Öffnung der Heimat gegenüber ihres Gegensatzes, dem Fremden, einhergeht. Die Rhetorik der Heimatlosigkeit, die sich durch Soziologie und Philosophie zieht, erweckt den Eindruck einer Dekadenzerzählung, die das 20. Jahrhundert als jenes positioniert, in dem die industrialisierten westlichen Gesellschaften kollektiv dem Trauma der irreversiblen Entwurzelung anheim gefallen sind. Dies erweckt den Anschein einer säkularisierten Erzählung der Vertreibung aus dem Paradies. An dem romantischen Ideal der Heimat festzuhalten heißt, den Chancen einer durch digitale Technologien nochmals radikal veränderten Raumerfahrung mit einer apokalyptischen Einstellung zu begegnen, die nur zu einem digitalen Kulturpessimismus führen kann. Die Öffnung des Begriffs kann einer 35

Heidegger sieht wohnen und bauen als intrinsisch miteinander verbunden, was er nicht zuletzt auf die Bedeutung beider Wortwurzeln zurückführt, welche beide das Bleiben oder Sich-Aufhalten bezeichnen. Er kritisiert: „Der eigentliche Sinn des Bauens, nämlich das Wohnen, gerät in Vergessenheit“ (Heidegger 2000, S. 149). Er unterscheidet daher auch zwischen Bauten und Wohnungen, wobei die von ihm genannten Beispiele für Bauten alle als Nicht-Orte nach Augé bezeichnet werden können (vgl. ebd., S. 147).

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4.3 Heimat in der Postmoderne

solchen Nostalgisierung des Kulturverständnisses entgegenwirken. Wie Astrid Deuber-Mankowsky über die zweite Technik bei Benjamin sagt: „Der Gewinn an Spielraum ist zwar Ausdruck einer historischen Veränderung, das heißt aber, dass daraus weder mit Notwendigkeit eine Revolution folgt noch der Untergang der Menschheit“ (Deuber-Mankowsky 2015, S. 57). Wie lässt sich Heimat also nicht nur mit dem Fremden, sondern auch mit ihren anderen Gegensätzen, der Mobilität und der Kontingenz zusammendenken? Die Aufarbeitung des Identitäts- und Raumdiskurses in den vorhergehenden Kapiteln zeigt eine Möglichkeit hierzu auf: Denkt man Heimat als räumlich verfasstes Identitätsmerkmal und führt dies zusammen mit der Pluralisierung sowohl von Identität als auch des Raumes, so kann diesen Entwicklungen nur eine Pluralisierung von Heimat folgen. Dies geht damit einher, dass Heimat nicht mehr passiv als monolithischer Ursprungsort gedacht werden kann, sondern als aktives Sich-Verorten in einer Vielzahl heterogener Räume. Das Wohnen als „die Weise, wie die Sterblichen auf der Erde sind“ (Heidegger 2000, S. 150) wird zu einer dispersed practice, die im Bezug auf unterschiedlichste – geografische, mentale, soziale und auch mediale – Räume ausgeübt wird. Sie ist in ihrer konkreten Form also polymorph, obwohl sie das Ziel der affektiven identitären Bindung an einen Raum in allen Fällen gemeinsam hat. Dabei entfaltet sich Heimat in der Zeit: Das Sich-Aufhalten, das Heidegger als Essenz des Wohnens sieht (vgl. Fußnote 35), kann in dieser Denkrichtung zwar als Verharren, nicht aber als dauerhaftes Bleiben gelesen werden, da „die Weise, wie die Sterblichen auf der Erde sind“ grundsätzlich in der Bewegung verfasst ist. Wohnen artikuliert sich nicht nur im dauerhaften Bleiben, sondern auch in der andauernden Wiederkehr im Sinne einer zyklischen Rückkehr. Alleine das Wort Sich-Aufhalten verweist auf eine Bewegung, die unterbrochen oder eben aufgehalten wird. Somit stimme ich Karen Joisten zu, wenn sie schreibt: Der Mensch ist [. . . ] als Heim-weg stets an ein Heimischsein gebunden, das ein Unterwegssein nach sich zieht, wie umgekehrt, ein Unterwegssein ein Heimischsein aus sich hervorgehen läßt. Ja, der Mensch ist dieses Pendeln, er ist dieses Zugleich, weshalb er als Heimweg zugleich als ein Zwischen-sein gedeutet werden kann: Der Mensch ist weder nur situiert und seßhaft noch allein flüchtig und nomadenhaft, sondern et habitans et iens, d.h. in seinem Wohnen gehend und in seinem Gehen wohnend (Joisten 2003, S. 51).

Allerdings verweist ihre Fokussierung auf „eine ursprüngliche Heimat, die auf den Ort des Ursprungs zurückverweist“ (ebd., S. 52) auf eine romantisierte Vorstellung eines einzelnen landschaftlichen Raums, der als Heimat fungiert, was

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4.3 Heimat in der Postmoderne

ihrer Auffassung des Raums „vom Menschen als Heim-weg her als Heimat“ (Joisten 2003, S. 55) zu widersprechen scheint: Wenn der Mensch vom Wesen her als wohnend und gehend verfasst ist und der Raum auf ihn bezogen immer schon Heimat ist, so kann jeder Raum durch die Praxis des Wohnens zur Heimat werden. Wohnen kann also nicht mehr als monomorphes Ideal der Häuslichkeit gedacht werden. Vielmehr ist es eine von Form und Dauer her variable Praxis der Verortung, die den bewohnten Raum als Heimat hervorbringt. Die bewohnten Räume bilden so ein imaginäres Netzwerk von abwechselnd oder auch gleichzeitig aktualisierten Heimaten. Mehr noch: So lassen sich die vertrauten, die gewohnten Wege zwischen diesen Räumen mit in diese Revision des Heimatbegriffs integrieren. Will man also weiterhin von ‚der‘ Heimat einer Person sprechen, so ist diese als aktiv geknüpftes Heimatsnetz aus Räumen und Wegen zu denken, die regelmäßig bewohnt werden. Was ich also vorschlage, ist, mit Benjamin gesprochen, eine Loslösung des Heimatbegriffs von den Logiken der ersten Technik und seine Neukonzeption nach den Logiken der zweiten Technik.36 Dies geht mit der Neubestimmung des Verhältnisses von Technik und Heimat einher. Die Öffnung des Heimatbegriffs für die Inklusion des städtischen Raums nach dem Zweiten Weltkrieg ist ein historisches Beispiel für eine solche Revision, die angesichts der Digitalisierung nun radikalisiert werden muss, um eine veränderte Realität des Wohnens zu erfassen, „a lifestyle based on the permanence of temporary arrangements and the comfort of contingent foundations“ (Braidotti 1994, S. 11). Da die zweite Technik bei Benjamin ihren Ursprung im Spiel, das heißt „in einer sich wiederholenden rhythmischen und rückbezüglichen zeitlichen Bewegung“ (Deuber-Mankowsky 2015, S. 52) hat, bedeutet dies auch eine Annäherung von Wohn-Raum und Spiel-Raum. Die Verbindung von Heimat mit Kindheit, Freizeit und Freiheit rückt das heimatliche Wohnen in die Nähe des Spiels, wobei das Spiel in all seiner Ambivalenz gedacht werden muss: Sowohl frei als auch regelgebunden, als Spiel mit und nach den Regeln, als Freiheit im Sinne der selbstbestimmte Planung und der Planlosigkeit, als die Überführung von erschütternder Erfahrung in Gewohnheit 36

Nach Deuber-Mankowky zeichnet sich die erste Technik nach Benjamin durch Instrumentalität und Herrschaft über die Natur sowie die maximale Nutzung des Menschen in ihren Prozessen aus. Die zweite Technik hat im Gegensatz hierzu das Zusammenspiel zwischen Natur und Menschheit zum Ziel und nutzt den Menschen so wenig wie möglich, sie setzt auf Wiederholung statt Dauer und auf Multiplizität und Reproduzierbarkeit statt Einzigkeit (vgl. Deuber-Mankowsky 2015, S. 48-51).

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4.3 Heimat in der Postmoderne

(vgl. Deuber-Mankowsky 2015, S. 52 f.). Die Freiheit, die eine Heimat bieten kann, bezieht sich dabei auf die Freiheit von den Anforderungen eines kontingenten weil fremdbestimmten Außenraums, die Entlastung vom Zwang zur Orientierung und Navigation durch intime Vertrautheit mit Möglichkeiten, Gepflogenheiten, Aufbau und Grenzziehungen innerhalb des heimatlichen Raums. Andererseits besteht in manchen Heimaten, nämlich dem (Kern-)Heim innerhalb dieser Grenzen vergleichsweise große Freiheit, da sich das Heim im Idealfall öffentlichen und auch einigen sozialen Kontrollmechanismen durch seine Privatheit entzieht. Es ist also sowohl eine Freiheit von als auch eine Freiheit zu. Die Heimat wirkt sowohl abschirmend als auch befähigend und bietet innerhalb ihrer festen Grenzen Raum, sich frei zu bewegen, oder eben mit Benjamin: Spielraum. Aber auch außerhalb des konkreten Heimatraums vergrößert sich der Spielraum im Bezug auf das Wohnen: Versteht man Heimat im Sinne der zweiten Technik, so verlangt dies nach einer ständigen affektiven räumlichen Neu- oder Rückbindung, nach einem wiederholbaren Akt der Verortung bzw. des Bewohnens. Die im traditionellen Heimatsverständnis zentrale kindlichen Beheimatung wird als erschütternde Erfahrung durch Wiederholung zu spielerischer Gewohnheit, alle Räume werden auf ihre Heimattauglichkeit getestet und schließlich bewohnt, sollten sie sich eignen, aber auch als Heimat wieder verworfen, wenn andere Räume ins Spiel kommen oder bestehende Räume ihren Reiz verlieren. Im Bezug auf die im nächsten Kapitel ausformulierte Übertragung dieser Begriffserweiterung der Heimat auf digitale Medien kann dies an sozialen Netzwerken illustriert werden: Eine Nutzerin testet unterschiedliche Seiten bezüglich ihrer Eignung für einen persönlichen Heimatraum, nutzt mehrere davon, muss aber nicht alle bewohnen. So könnte sie beispielsweise Facebook, Twitter, Instagram und Tumblr nutzen, sich aber auf Instagram und Tumblr zuhause oder besser gesagt beheimatet fühlen, während sie die anderen beiden Plattformen rein funktional betrachtet. Alle vier Seiten haben das Potenzial zur digitalen Heimat, sie aktualisieren sich jedoch in den konkreten Akten der Bewohnung. Ähnlich wie Benjamins Differenzierung zwischen Gewohnheits-Wohnen und einem destruktiven Wohnen, das er Hausen nennt, kann sich das Bewohnen eines digitalen Raums durch die vollkommene Übernahme der implementierten Handlungen (Maximum an Gewohnheit) ausformen, oder aber durch das Ausloten der Möglichkeiten und den kreativen Umgang mit den Möglichkeiten und Beschränkungen des jeweiligen Raums (Minimum an Gewohnheit) (vgl. ebd., S. 54). Als Beispiel lässt sich hier Twitter aufführen, welches aufgrund seiner Zeichenbegrenzung auf 140 Zeichen besonders restriktiv ist. Durch das Ausnutzen von

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4.3 Heimat in der Postmoderne

Fehlern in der Programmierung und der Eigenschaften diakritischer Zeichen und unterschiedlicher Zeichensätze sprengt der Account ‚Glitchr‘37 allerdings die Vorgaben und das Format der Seite und produziert so ästhetische und destruktive Effekte (vgl. Abb. 2). Diese Praxis ist dabei nicht beliebig, sondern zeugt von einer intimen Vertrautheit mit den technischen Eigenschaften des Raums, die benutzt werden, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Die Nutzung geht über die im Interface vorgegebenen Aktionen hinaus, es ist eher eine Ausnutzung (exploit) des Raums. Glitchr ist mit Sicherheit als besonders technikkompetente Ausnahme zur Normalnutzerin zu sehen, dennoch zeigt das Beispiel, dass ein destruktiver Umgang mit Medien möglich ist und abseits ästhetischer Ausnutzung eventuell auch in Praktiken des Trollings gesehen werden kann.38

Abbildung 2: Durch das Ausnutzen von Layoutfehlern produziert der Twitteraccount Glitchr destruktive Effekte. (Quelle: Screenshot von https://twitter. com/glitchr_)

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https://twitter.com/glitchr_ In Trolling eine destruktive Aneignung des Raums zu sehen ist eine interessante Perspektive, die leider im Umfang dieser Arbeit nicht weiter verfolgt werden kann. Einige hierfür relevante Aspekte finden sich jedoch in Kapitel 5.5 wieder.

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4.3 Heimat in der Postmoderne

Deuber-Mankowsky spricht in Bezug auf die regelkonforme und die regelbrechende Form von Spiel und die daran angelehnten Formen von Wohnen und Hausen von einer „Spannung zwischen einer zentrierenden und einer dezentrierenden Bewegung, die an die Differenz zwischen erster und zweiter Technik erinnert“ (Deuber-Mankowsky 2015, S. 55). Diese Dezentrierung ist eben die Revision, die ich für den Heimatbegriff anstrebe, ohne die inhärent zentrierende Bewegung des Wohnens zu verwerfen. Vielmehr entfaltet sich Heimat in der Dialektik zwischen diesen beiden Polen in einem Prozess der ständigen De- und Rezentrierung. Angetrieben wird dieser Prozess von dem in Kapitel 4.2 herausgearbeiteten Begehren, welches konstitutiv für das Heimatgefühl ist, welches sich jedoch nicht mehr als unerfüllbares Sehnen, sondern als ein lustvolles Begehren eines Noch-Einmal 39 artikuliert. Diese Revision ließe sich auch mit den Begrifflichkeiten von Deleuze und Guattari, nämlich als Territorialisierung und Deterritorialisierung begreifen. Insofern Heimat nach Lobensommer immer schon als Erzählung, das heißt als expressiv gedacht werden muss (s.o.), so ist sie immer schon Territorium. In der traditionellen Bedeutung von Heimat besteht jedoch noch immer die Annahme der Kontinuität (und dadurch Identität) des Raumes, welche dann nur noch von beheimateten Subjekten wahr- und angenommen wird. Durch den Mythos verschließt sich die traditionelle Heimat der Öffnung, sie erstarrt zu einem Bündel reiner Symbolik, die keinen Referenten mehr hat. Wie bei Joisten der Mensch als Heim-weg gedacht wird, als Pendeln zwischen Beheimatet- und Unterwegssein, so kann mit Deleuze und Guattari das Heimatliche als rhythmische Territorialisierung und Deterritorialisierung verstanden werden, die über Ritornelle40 der Territorialisierung (z.B. Heimatsweisen und Volkslieder) und über solche der Deterritorialisierung (Abschieds- und Wanderlieder) vonstatten geht. Diese Rhythmik ist dabei dem Territorium selbst eingeschrieben, denn

39 40

Vgl. hierzu Deuber-Mankowsky (2015, S. 58). Für Deleuze und Guattari sind Ritornelle expressive Rhythmen, die durch ihre Wiederholung/Wiederholbarkeit Territorien (d.h. Ordnung aus Chaos) hervorbringen und klassifizieren sie in die Gruppen „1. territoriale Ritornelle, die ein Territorium suchen, markieren und zusammenfügen; 2. Ritornelle mit territorialisierten Funktionen, die eine Sonderfunktion im Gefüge übernehmen (das Wiegenlied, das den Schlaf und das Kind territorialisiert; das Liebeslied, das die Sexualität und den Geliebten territorialisiert; das Arbeitslied, das den Beruf und die Arbeiten territorialisiert; das Verkaufslied, das den Vertrieb und die Waren territorialisiert. . . ); 3. dieselben, wenn sie jetzt neue Gefüge markieren, wenn sie durch Deterritorialisierung und Reterritorialisierung zu neuen Gefügen übergehen [. . . ]; 4.Ritornelle, die Kräfte sammeln oder zusammenführen, entweder innerhalb des Territoriums oder um aus ihm auszubrechen“ (Deleuze und Guattari 1992, S. 445 f.).

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[e]in Territorium ist immer auf dem Weg zur Deterritorialisierung, zumindest potentiell, auf dem Weg zum Übergang zu anderen Gefügen, selbst auf die Gefahr hin, daß das andere Gefüge eine Reterritorialisierung in Gang setzt (irgend etwas, das dem Zuhause entspricht) (Deleuze und Guattari 1992, S. 445).

Wie geht man also mit der Figur der Nomadin um, die immer wieder als das Bild der Heimatlosigkeit beschworen wird und bei Deleuze und Guattari so prominent wird? Zunächst ist wichtig herauszustellen, dass die Nomadin bei Deleuze und Guattari eben nicht durch Heimatlosigkeit gekennzeichnet ist: „Der Nomade hat ein Territorium, er folgt gewohnten Wegen, er geht von einen Punkt zum anderen, ihm sind die Punkte nicht unbekannt“ (ebd., S. 522). Die Nomadin reterritorialisiert sich durch Deterritorialisierung, sie beschreibt ein Wohnen das sich auf den glatten anstatt den gekerbten Raum41 bezieht. Der Nomade verteilt sich in einem glatten Raum, er besetzt, bewohnt 42 und hält diesen Raum, und darin besteht sein territoriales Prinzip. Es wäre daher falsch, den Nomaden durch Bewegung zu charakterisieren. Toynbee weist zu Recht darauf hin, daß der Nomade vielmehr derjenige ist, der sich nicht bewegt (ebd., S. 524).

Anstatt also ein heimatloses Umherziehen zu benennen,43 wie dies häufig gelesen wird, ist die Nomadin in dieser Figuration radikal heimatlich, nämlich indem sich in ihr die Momente der De- und Reterritorialisierung annähern und zu einer virulenten Intensität (‚Geschwindigkeit‘) werden. Das Nomadische ist also nicht gleichzusetzen mit Heimatlosigkeit; und wenn Hüppauf Heimat als „ein Begehren der Nomaden“ (s.o.) bezeichnet, verweist dieses Begehren wie im vorherigen Kapitel gezeigt nicht auf einen Mangel von Heimat, sondern konstituiert sie. Die Frage, die ich in der Überleitung zu diesem Kapitel gestellt habe, muss also eigentlich umgekehrt werden. Es ist nicht die Frage, ob es so etwas wie Heimat noch geben kann. Vielmehr ist fraglich, ob es so etwas wie Heimatlosigkeit überhaupt gibt, wenn das Gegensätzliche der Heimat – das Fremde, das Exil – sie überhaupt erst hervorbringt. So wäre im Gegenzug zu überlegen, ob nicht Heimatlosigkeit eine rein politische und/oder 41

„Das Modell ist wirbelförmig, es bezieht sich auf einen offenen Raum, in dem die Dinge und Strömungen sich verteilen, statt einen geschlossenen Raum für lineare und feste Dinge aufzuteilen. Das ist der Unterschied zwischen einem (vektoriellen, projektiven oder topologischen) glatten Raum und einem (metrischen) eingekerbten Raum: im einen Fall ‚besetzt man den Raum, ohne ihn zu zählen‘, im anderen ‚zählt man den Raum, um ihn zu besetzen‘“ (Deleuze und Guattari 1992, S. 496). 42 Eigene Hervorhebung. 43 Dies wäre eher als eine Aneineinanderkettung von Mikro-Migrationen zu sehen, die ein permanentes Heimweh produzieren.

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4.3 Heimat in der Postmoderne

ökonomische Funktion ist, da sich nur über die Unterdrückung von Re- oder Deterritorialisierung der Rhythmus des Heimatlichen stören und über Verbote bestimmter Erzählungen zu Desorientierung umdeuten lässt. Heimatlosigkeit lässt sich – so mein Fazit aus diesen Betrachtungen – ohne Verweise auf politische und ökonomische Faktoren (in Form der reterritorialisierenden Prozesse von Staat und Kapitalismus) gar nicht denken. Obwohl ich die Verflechtungen von Macht, Kontrolle und Heimat hier nur andeuten kann, so spielt sie doch eine Rolle in meiner eigenen Begriffsbildung, in der sie in Form des Patriotischen lexikalischen Eingang finden, welches den Begriff der Heimat mit Fragen der Macht engführt. Hierzu aber mehr in den folgenden Kapiteln. Heimat ist zusammenfassend ein vielschichtiger Begriff, der die räumlichmaterielle Basis von Biografie, Identität und Kultur beschreibt, Rückzugs- und Schutzraum vor den Kontingenzen der Außenwelt, aber auch Raum zur Entfaltung bietet, unterschiedliche soziale Sphären vom Privaten bis hin zur nationalen Öffentlichkeit durchwirkt und seine perzeptive Wurzel in einer lustvollen Sehnsucht hat. Die historische Veränderung der Raum- und Identitätsdiskurse macht eine Revision des Heimatbegriffs notwendig, wenn er nicht als eine rein nostalgische oder sogar konservative Kategorie erstarren soll. Der Politisierung von Heimat im nationalistischen Diskurs lässt sich nur mit einem Heimatbegriff begegnen, der neue Praktiken und Räume des Wohnens mit einschließt und sich nicht in einem verklärten pastoralen Ideal erschöpft. Um Lösungsansätze für diese Aufgabe zu demonstrieren, möchte ich im nachfolgenden Teil dieser Arbeit untersuchen, wie ein Bewohnen digitaler Räume zu einer heimatlichen Bindung an Medien führen kann.

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5 Parapatria – Medien als Heimat

5 Parapatria – Medien als Heimat Heimat kann durch die Gleichung Raum + Identität + Retrospektion ausgedrückt werden. Heimat präsentiert sich als das ultimative Gegenteil von Augés Nicht-Orten, der reine, der absolute Ort – dieselbe Formulierung, mit der Foucault den Körper beschreibt (s.o.). Und obwohl Medien sowohl im Bezug auf Raum als auch auf Identität theoretisiert werden, so fehlt der naheliegende Schluss – Medien als Heimat zu denken – bisher bis auf wenige Fallstudien als Perspektive in der Medienwissenschaft. Dies mag an Inkorporationsansätzen liegen, die Medien weniger als Raum sondern Erweiterung und Verbesserung des menschlichen Körpers analysieren, die Technologie auf der Innen-Seite der räumlichen Innen-Außen-Dichotomie ansiedeln und im Verlauf des technologischen Fortschritts in Richtung von Wearables 44 sehr produktive Ansätze darstellen. Die Relativität der Außengrenze des kognitiven Subjekts, wie die Extended Mind Theory 45 sie proponiert, legt jedoch auch eine komplexere Beziehung zwischen alltäglicher Umgebung und Identität nahe. Dabei wird die Umgebung nicht in den Körper übernommen, sondern in die kognitiven Prozesse und damit potenziell in die Konstruktion des Selbst als Subjekt. Was also die Perspektive Medien als Heimat anbieten kann, ist eine affektiv-identitätsstiftende Lesart medialer Konfigurationen,46 die nicht auf die Logiken des Einverleibens oder der Interaktion mit künstlichen sozialen Akteurinnen (Computer/Algorithmen als Akteurinnen) zurückgreift, sondern digitale Räume in ihrer unpersonalen Äußerlichkeit belässt. Im Sinne der animistischen47 Annahme heißt das nicht, dass die Handlungsmacht dieser Räume negiert werden soll, sondern dass sie von der affektiven Wahrnehmung her in einer dialektischen Beziehung mit dem identitären Selbst neu gedacht werden können, ohne auf die Praxis der Selbstdarstellung zu rekurrieren. Letztendlich ist dies eine Rezentrierung, ein shift von der Perspektive das Medium gehört zu mir zu der Perspektive ich gehöre zu dem Medium, bei dem Medien eine komplexe Position zwischen außerhalb und inner44

Geräte, die direkt am Körper getragen werden wie Smartwatches oder Datenbrillen. Die Extended Mind Theory beschreibt die Annahme, dass der Mensch seine Umwelt aktiv in sein Denken miteinbindet, also dass bestimmte kognitive Prozesse nicht rein mental sondern zwischen Kognition und Umwelt über die Wahrnehmung stattfinden. Vgl. hierzu Clark (2008) und Menary (2010). 46 Von einzelnen Medien zu sprechen ist, wie ich in den folgenden Ausführungen zeige, in diesem Kontext problematisch, da sowohl technologische, als auch inhaltliche oder netzwerkspezifische Faktoren durch diese Linse betrachtet werden können. Dies kann also alles von einzelnen Geräten bis hin zu transmedialen Narrationen betreffen, weswegen ich den Begriff der medialen Konfiguration in allgemeinen Aussagen dem des Mediums vorziehe. 47 Vgl. Fußnote 49. 45

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5.1 Begriffsdiskussion

halb des räumlich konstituierten Selbst der Identität einnehmen und für diese plurale Zentren bilden.

5.1 Begriffsdiskussion In der Medienwissenschaft wird die personale Beziehung zwischen Rezipientinnen und Personen auf dem Bildschirm als parasoziale Interaktion (PSI) bezeichnet.48 Menschen sind in ihrer Kommunikativität jedoch nicht auf interpersonale Kommunikation beschränkt. Wie man an dem Phänomen des Animismus49 sieht, gehen Menschen auch jenseits medialer Kontexte kommunikative Beziehungen zu unpersonalen Entitäten ein, die gar nicht erst versuchen, die Illusion interpersonaler Kommunikation zu erwecken. Ich möchte diese Perspektive für die Analyse medialer Räume durchaus im Sinne der animistischen Annahme einer unpathologischen Verbundenheit aufzeigen, was heißt, dass der Nutzerin grundsätzlich bewusst ist, dass die virtuelle Umgebung, mit der sie interagiert, keinen physischen Realitätsanspruch und nur subjektiv eine hervorgehobene Bedeutung hat. Hier weiterhin von einer parasozialen Beziehung zu sprechen, würde den Begriff jedoch überstrapazieren, weswegen ich vorschlage, die emotionale und identitätsstiftende – die heimatliche Beziehung von Menschen zu medialen Räumen in Anlehnung an die PSI parapatriotisch und den betroffenen medialen 48

Das Konzept wurde bereits in den 50er Jahren in der US-amerikanischen Fernsehwissenschaft durch Horton und Wohl etabliert (vgl. Gleich 1997, S. 35). Operiert die ursprüngliche Anwendung des Begriffs noch vor dem Hintergrund des Fernsehbilds und so der „Illusion eines Face-to-face-Kontakts“ (ebd., S. 36), bietet er sich auch als Analyseinstrumentarium der digitalen Kommunikation an, zumal die Digitalisierung der Kommunikation die soziale Interaktion von der Face-to-Face-Ebene loslöst. Kommunikation ist inzwischen häufig schriftlich in Form von Chats und Sozialen Netzwerken (SN) und somit vom konkreten menschlichen Körper des Gegenübers unabhängig. Schramm und Hartmann (2007) zählen zum Beispiel Moderatorinnen, Schauspielerinnen, Stars, Sprecherinnen, Sportlerinnen, aber auch Computerspielfiguren und Avatare sowie Roman- und Comicfiguren zu Personae, die grundsätzlich durch die Linse der PSI begriffen werden können (vgl. ebd., S. 202). Dass literarische Figuren hier berücksichtigt werden, zeigt, dass auch rein schriftliche Präsenzen und damit abstrakte Akteurinnen als Interaktionspartnerinnen analysiert werden können. Das heißt, dass kommunikative Interaktion grundsätzlich vom menschlichen (Bewegt-)Bild unabhängig betrachtet werden muss. Der Turing-Test zur Bewertung Künstlicher Intelligenzen (KI) basiert z.B. auf der Annahme, dass Menschen bei einem geeigneten Kommunikationsverhalten auf reiner Textebene nicht mehr zwischen Menschen und Maschinen unterscheiden können. 49 Hierunter verstehe ich die in der Kritik der Moderne aufgekommene Neuinterpretation des eigentlich aus der Ethnologie stammenden Begriffs, der zunächst Weltbilder beschrieb, welche die nichtmenschliche Welt als grundsätzlich belebt oder beseelt ansehen. In den neueren Theoretisierungen wird der Begriff insbesondere zur Überwindung der SubjektObjekt-Dichotomie produktiv gemacht und benennt eine Weltsicht, die Teilhabe über die wissenschaftlich distanzierte Beobachtung stellt. Vgl. hierzu Bird-David (2012) und Hornborg (2012).

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Raum als Parapatria zu bezeichnen.50 Den Stellenwert, den mediale Umgebungen jenseits von Immersion und Gruppenzugehörigkeitsgefühlen in Communities in der eigenen Medienbiografie einnehmen, kann in dem Überbegriff der Mediensozialisation theoretisiert werden, allerdings vernachlässigt diese Perspektive die generelle Räumlichkeit medialer Umgebungen sowie das ideologisch-affektive Potenzial, den diese entwickeln können, worauf ich im Folgenden eingehen möchte. Den Begriff der Heimat (patria – vgl. Kapitel 4.1) ziehe ich aufgrund seiner breiten Anwendbarkeit konkreteren Begriffen wie Heim oder Zuhause vor, da diese sich vorwiegend auf den privaten Rahmen beziehen. Unter Heimat kann das private Heim und Zuhause genauso verhandelt werden wie die politischideologische Aufladung und die spezifisch kulturell-ästhetische Dimension, die mit dem Heimatbegriff verbunden werden. Dennoch ist der Begriff nicht unproblematisch, da er einerseits durch die lexikalische Nähe zum Patriotismus eine grundsätzlich ideologische Konnotation erfährt und andererseits zu anderen Prozessen medialer Identifikation wie dem Fandom oder auch der technischen Selbstoptimierung nur diffus abgrenzbar ist. Ich möchte das Konzept trotzdem als Entwurf präsentieren, als einen Versuch der Beschreibung einer affektiven Beziehung zwischen Menschen und ihren medialen Umwelten, die nicht notwendig funktional, nicht notwendig inhaltlich und nicht notwendig politisch ist, aber all diese Faktoren miteinschließen kann. Die semantische Nähe von patria zum Vater (pater) und damit zum Männlichen ist ebenfalls diskussionswürdig. Eine Konzeption medialer Heimat als emanzipatorische Praxis in Form einer paramatrialen 51 Bindung wäre ebenfalls denkbar, würde m.E. allerdings einen Sonderfall bezeichnen, bei dem über die Verortung in medialen Räumen bewusst Abstand von traditionellen Machtstrukturen gesucht wird. Eine explizit feministische Ausformung wäre durchaus zu prüfen, kann im Umfang dieser Arbeit jedoch nicht ausformuliert werden. Vielmehr möchte ich durch die Übernahme von patria betonen, dass problematische Aspekte des Heimatbegriffs, die auf traditionelle Machtstrukturen und -gefälle verweisen, durch die Pluralisierung und Virtualisierung von Heimat nicht automatisch überwunden werden. Beispiele, wie solche Aspekte in medialen Räumen reproduziert werden, analysiere 50

Hier wäre zu überlegen, das Begriffspaar zu erweitern: Den parapatriotischen Gefühlen von Menschen wären parapatriale Eigenschaften medialer Räume entgegenzusetzen, um zwischen der Erscheinungsform in der Gestaltung des medialen Raums und dem davon ausgelösten Gefühl zu differenzieren. Dementsprechend stünde der Parapatrialität medialer Konfigurationen ein Parapatriotismus der betroffenen Personen entgegen. 51 Weniger als Referenz auf eine dem Männlichen gegensätzliche Weiblichkeit denn als die Markierung einer grundsätzlichen Differenz.

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5.1 Begriffsdiskussion

ich in Kapitel 5.5. Auch verweist das Präfix para- nicht auf eine Minderwertigkeit oder gar Falschheit von medialer Heimatlichkeit – die Heimatgefühle, die ich hierunter verstehe, sind durchaus real. Stattdessen dient dies zur Differenzierung zwischen immer noch wirksamen (national- oder regional-)patriotischen Bindungen im Sinne eines Beheimatet-Seins im physischen geografischen Raum und dem Beheimatet-Sein in medialen Zusatzräumen. Voraussetzung für das Gefühl eines medialen Beheimatet-Seins ist das Changieren des medialen Raums zwischen Transparenz und Opazität, jedoch nicht im Bezug auf seinen Inhalt, sondern auf das Selbst. Zu einer medialen Heimat wird ein medialer Raum dann, wenn seine Nutzung habitualisiert52 wird, in Momenten der Unzugänglichkeit als Mangel wahrgenommen und emotionalisiert wird und anschließend als Sehnsuchtsraum Eingang in die Medienbiografie und damit in die Identität erhält. Dies setzt voraus, dass die Nutzung des medialen Raums nicht rein funktional ist: Bei einer kommerziell-funktionalen Plattform wie z.B. die Webseite der Deutschen Bahn53 kann davon ausgegangen werden, dass sie nur im konkreten Bedarfsfall benutzt wird. Anders verhält es sich bei Plattformen, die eine Stöberfunktion haben, wie z.B. bei Amazon.54 Eine solche Seite lädt zum Verweilen ein, selbst wenn kein konkreter Bedarf an den Produkten besteht, worauf ich unten noch genauer eingehen werde. Dieses mediale ‚Herumlungern‘55 ermöglicht eine affektive Bindung an einen digitalen Raum. Angebote wie die Bahn-Webseite sind hingegen das digitale Äquivalent zu Augés Nicht-Orten, sie entsprechen eher medial implementierten Automaten als echten digitalen Räumen, da das Individuum sich in ihnen nicht veräußern kann und seine Identität nur über die Einlogg- und Bezahlfunktionen validieren, aber nicht ausdrücken oder reflektieren kann. Hier klingt bereits an, dass mediale Heimaten durchdrungen von der Kommerzialität medialer Plattformen sind. Die komplexen Verbindungen von Parapatrien und Ökonomie soll ebenfalls weiter unten ausführlicher diskutiert werden. Parapatrialität ist darüber hinaus auch nicht zu verwechseln mit einer medial übermittelten Gruppenzugehörigkeit, obwohl diese eng miteinander verbunden sein können. Eine Nutzerin kann sich beispielsweise einer Community zugehörig fühlen, die im Laufe der Zeit die Plattform wechselt – eventuell von der eige52

‚Habitualisierung‘ ist hier durchaus bewusst in der semantischen Nähe zum Habitat (von lateinisch habitatio, Wohnung) zu lesen. 53 http://www.bahn.de 54 http://amazon.de 55 So werden rein rezipierende Nutzerinnen von Social Media im Englischen häufig lurkers genannt.

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5.2 Individuell-technologische Parapatrialität

nen Webseite zu Facebook, um die Reichweite und Usability zu vergrößern. Die Gruppenzugehörigkeit wird durch den Umzug nicht beendet, allerdings kann es sein, dass die alte Webseite im Rückblick – sollte ihr Wegfall als Verlust wahrgenommen werden – eine nachträgliche Emotionalisierung in Form der Nostalgie erfährt. Die Gruppenidentität wird so mit der parapatriotischen Beziehung zu der Webseite verknüpft, ist aber nicht von ihr abhängig. Auch kann die Nutzung medialer Räume zu kommunikativen Zwecken ebenfalls wie in dem Bahn-Beispiel rein funktional betrieben werden und keine affektive Bindung erfahren, das Medium bleibt in diesem Fall transparent oder wird nur als Störfaktor sichtbar, es erfährt kein passionate attachement in sich. Soziale Bindungen können also ähnlich wie beim gewöhnlichen Heimatbegriff ein Grund für die Parapatrialisierung eines Mediums sein, sind hierfür allerdings weder Voraussetzung, noch führen sie zwingend dazu. Um dem Begriff mehr Substanz zu geben, will ich im nächsten Abschnitt ohne Anspruch auf Vollständigkeit unterschiedliche Arten von Parapatrien aufzeigen und durch konkrete Beispiele illustrieren. In die Beispielanalysen flechte ich darüber hinaus Thesen ein, die die Anwendbarkeit des Konzepts demonstrieren sollen. Diese Thesen sind dabei auch für andere Formen der Parapatrialität relevant, bieten sich nur im Kontext des jeweiligen Überpunkts besonders zur Analyse an.

5.2 Individuell-technologische Parapatrialität Den Computer einer anderen Person zu benutzen kann sich anfühlen, wie in einer fremden Küche zu kochen: Zwar ist dieselbe Funktionalität wie beim vertrauten medialen Raum gegeben, aber abgesehen von einigen standardisierten Geräten und Anschlüssen sind die gewohnten Handlungsabläufe durch die Ausrichtung auf die einer Anderen gestört. Die Nutzerin ist durch die Vermischung von erwartbarer Funktonalität (Ich erkenne den Herd, den Kühlschrank, das Spülbecken) und fremder Ausgestaltung (Wo sind die Töpfe? Die Messer?) und eventueller technologischer Differenzen (Wie funktioniert ein Induktionsherd?) desorientiert. Die Küche als heimatlicher Raum der häuslichen Arbeit, der Selbstpraktiken der Ernährung und des sozialen Akts der gemeinsamen Mahlzeit und Tischgesprächs ist dabei eine besonders nützliche Analogie zu den technischen Räumen, die sich durch die eigenen digitaltechnischen Geräte eröffnen: Auch sie vereinen in sich Praktiken der Arbeit, des Selbst und des Sozialen. Die erste Art von medialer Heimat, die ich präsentieren will, ist daher die Parapatrialität

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5.2 Individuell-technologische Parapatrialität

individueller elektronischer Geräte. Hierunter verstehe ich in erster Linie Geräte wie den Personal Computer (Stand-PC/Laptop), Smartphones und Tablets. Abzugrenzen sind hingegen monofunktionale Geräte wie Stereoanlagen, Fernsehgeräte,56 Radios oder auch elektronischen Lesegeräte. Die Multifunktionalität ist wesentliches Merkmal für die Eignung zur parapatriotischen Wahrnehmung. Dies liegt daran, dass Multifunktionalität eine (eingeschränkte) Individualisierung der Geräte in Form der Anpassung auf die eigenen Bedürfnisse gewährleistet. Die individuell-technologische Parapatrialität verweist auf mehrere spezifische Eigenschaften medialer Heimaten. Erstens sei noch einmal betont, dass Parapatrialität nicht bedeutet, dass die parapatriotische Bindung auch zwangsweise aktualisiert wird. Ähnlich wie die unterschiedliche Wahrnehmung desselben Raums durch zwei unterschiedliche Nutzerinnen, können auch mediale Räume vollkommen anders genutzt und dadurch anders affektiv aufgeladen werden: Eine Stadt ist für eine Touristin eine räumliche Anordnung von funktionalen und symbolischen Potenzialen (Dort ist ein Restaurant, hier eine historische Sehenswürdigkeit) und letztendlich ein Nicht-Ort. Für die Bewohnerin hat sie jedoch sowohl funktional als auch persönlich-emotional Bedeutung und wird anders genutzt. Ebenso werden Parapatrien nur dann als solche real, wenn sie auch tatsächlich bewohnt werden, das heißt, wenn sie auch ohne konkreten Bedarf als Aufenthaltsort genutzt werden.57 Wenn eine Nutzerin also nicht technikaffin ist und den Computer nur benutzt, wenn sie konkrete Bedürfnisse wie z.B. das Versenden einer E-Mail oder das Ausdrucken eines Dokuments hat, wird sich diese Art der Parapatrialität für sie nicht realisieren. Wenn es sich nicht um monofunktionale Räume ohne funktionsunabhängige Aufenthaltsmöglichkeit, einen medialen Nicht-Ort, handelt, kann jeder mediale Raum Parapatrialität entwickeln, die jedoch nicht aktualisiert werden muss. Zweitens sind Parapatrien immer in einen Kontext spezifischer Temporalität eingebunden. Dies betrifft einerseits die Freizeit und andererseits die biografische Vergangenheit, insbesondere die Kindheit. Die Verbundenheit mit der Freizeit ergibt sich aus dem definitorischen Merkmal, dass parapatriotische Mediennutzung nicht zielgebunden ist und somit dem Effizienzanspruch der Lohnarbeit antithetisch gegenübersteht. Dabei heißt dies nicht, dass parapatriale Geräte nicht für die Arbeit genutzt werden können. Die Vermischung von Freizeit und 56

Wie die technische Entwicklung des Social TV in Form der Funktionserweiterung von Fernsehgeräten hin zu internetfähigen Mehrzweckgeräten diese Grenzziehung verschiebt, kann hier nicht analysiert werden. Ich gehe zum Zwecke der Analyse hier von traditionellen Geräten ohne kommunikative Funktionen aus. 57 Vgl. Kapitel 5.1.

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Arbeitszeit, die die Arbeitskultur in der Postmoderne prägt, macht auch vor den medialen Räumen nicht Halt. Hierin liegt auch eine einfache Erklärung für die Unterscheidung zwischen Digital Natives und Digital Immigrants, die nicht auf die historische Verfügbarkeit der Technik und damit auf das Maß des Alters zurückgreift: Vielmehr sind Digital Natives jene Nutzerinnen, die Digitaltechnologien nicht als Arbeitsgerät sondern im Kontext von Freizeit kennengelernt und somit anders erschlossen haben. Historisieren lässt sich diese Beobachtung dann im universitären Ursprung und der Verbreitung von Computern am Arbeitsplatz, sowie die hohen Anschaffungskosten, die lange Zeit zu einer Wahrnehmung als reines Arbeitsgerät geführt haben. Die Generation der Digital Immigrants hat den Computer also als Arbeitsgerät kennengelernt, während die Digital Natives ihn als privates Freizeitgerät meistens schon in der Kindheit oder Jugend kennengelernt haben. Die Verknüpfung mit dem sozialen Feld der Arbeit ist bei letzteren sekundär, so wie der heimatliche Sofatisch zwar als Arbeitsplatz genutzt werden kann, aber primär als Freizeitraum erschlossen und wahrgenommen wird und somit mit Zwang- und Ziellosigkeit konnotiert ist. Die Verbindung von Kindheit und medialer Heimat soll hier nicht kurzschlussartig wie im historischen Heimatsbegriff wie bei Hüppauf über die Romantisierung der Kindheit als Phase des unbefragten Rechts auf (Frei-)Zeit passieren (vgl. Kapitel 4.1). Viel mehr ist die Vergangenheit der Kindheit jene temporale Dimension, die sie als privilegierte Phase der Heimatbindung positioniert. Die oben gegebene Definition der Wahrnehmbarkeit von Heimat als Begehren macht die eigene unwiederbringbare Vergangenheit zum potenziell unerschöpflichen Quell von Heimatgefühlen. In der reflexiven Erzählung der Medienbiografie wird die eigene Mediensozialisation so nostalgisch aufgeladen und die konkreten Geräte und technischen Spezifika – der Computer der Eltern, an dem erste Erfahrungen gemacht wurden, das Einwahlgeräusch des Modems, das die erste Berührung mit dem Internet kennzeichnet – werden zu parapatriotischen Momenten. Das Einwahlgeräusch des Modems ist ein gutes Beispiel für die technik- und gerätespezifische Parapatrialisierung, da das Geräusch einen hohen Wiedererkennungswert hat, es technisch obsolet und somit aus dem Alltag verschwunden ist, aber kollektiv in der Generation der 20-35jährigen die emotionale Kombination von Internet und Jugend/Kindheit transportiert. Dass hier eine nostalgische Aufladung passiert, ist an der Aufarbeitung dieses flüchtigen Spezifikums einer technischen Ära zu sehen: Es gibt entsprechende Sounddateien, YouTube-Videos,58 Erklärungstexte (vgl. Räisänen 58

https://youtu.be/_jnc5qYfleA

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2012, Zugriff am 03.07.2015) und sogar eigene Webseiten,59 die das Geräusch verfügbar machen. Geschieht ein derartiges nostalgisches Attachment schon mit isolierten technischen Spezifika wie dem Modem-Dialup-Geräusch, so liegt nahe, dass die Geräte, mit denen tatsächlich auch interagiert werden können, eine ungleich stärkere Verhaftung hervorrufen. Dies ist besonders im Kontext der räumlichen Verinselung60 in der Kindheit im Kontext der Verfügbarkeit mobiler Digitalgeräte zu betrachten. Drittens transferiert das Konzept der medialen Heimat den Heimatbegriff nämlich aus dem Bereich des geografischen Fixpunkts hin zum Erfahrungsfeld der Mobilität. Die immer stärkere Ausrichtung der Digitaltechnik auf Tragbarkeit hin – vom Laptop über das Smartphone hin zu Wearables – macht die persönlichen Geräte zu ständigen Begleiterinnen und damit eine fixe materielle Referenz in einer ansonsten fragmentierten Erfahrungswelt. Gerade für Jugendliche, für die das eigene Smartphone auch eine Erfahrung von Privatheit und Eigenständigkeit darstellt, hat das Gerät eine mehr als rein funktionale Bedeutung.61 Fungierte das Fernsehen noch als Fenster zur Welt und verstärkte mit der Synchronisierung weit entfernter Bildräume das „Verschwinden der Ferne“ (vgl. Flusser 1992, Zugriff am 03.07.2015), so ist das Smartphone ein Zugang zu einem durch die eigene Praxis individualisierbaren Rückzugs- und Stabilitätsraum, der in den unterschiedlichsten Räumen und sogar in der Fortbewegung als Wahrnehmungs- und Handlungsraum verfügbar bleibt. Somit ermöglicht das Smartphone eine Erfahrung von Kohärenz, wo die Gestaltung und Nutzung öffentlicher und privater Räume Fragmentierung, Trennung und Unvereinbarkeit suggerieren. Das mobile Gerät fungiert als tragbare Heterotopie, die einen paradoxen Bezug zu anderen Räumen eröffnet: Einerseits befindet sie sich immer in einem physischen Raum und ist daher durch die Gegenständlichkeit des Smartphones in ihm enthalten, andererseits bleibt sie in jedem beliebigen Raum grundsätzlich gleich und überspannt und verbindet somit die verinselten physischen Räume. Dies führt mich zu der ersten These, die auch für andere Arten von Parapatrialität Geltung hat: Mediale Heimaten bilden komplexe Überlappungen mit anderen medialen und physischen Räumen. Dies bezieht sich nicht nur auf die Paradoxie des 59

https://www.dialupsound.com/ Vgl. Kapitel 3. 61 Vgl. hierzu z.B. Wie verändert das Handy den Alltag von Kindern und Jugendlichen? (2015, Zugriff am 03.07.2015). 60

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gleichzeitigen Enthalten-Sein in und Überspannen von Räumen, sondern auf konkrete Verbindungen mit anderen Räumen. Als Ausgangspunkt der Analyse sollen hier einige Tweets zitiert werden:62 Zuhause ist, wo du automatisch mit dem WLAN verbunden wirst :o) (@mittelmaessig, 22.04.2015 – 16:16 Uhr)

Zuhause ist da, wo dein Handy sich automatisch ins WLAN einwählt...^^ (@falkmensch, 18.04.2015 – 22:17 Uhr)

Zuhause ist, wo sich das W-Lan automatisch verbindet. (@IAmDahool, 06.04.2015 – 20:45 Uhr)

Diese Aussagen lassen sich zum einen exemplarisch für die enge Verknüpfung von Medientechnik und Heimatgefühlen – hier im Sinne des Heims – lesen: Das Zuhausesein wird durch das Smartphone vermittelt und erfahrbar gemacht, aber nicht dadurch, dass das Smartphone an dem konkreten Ort der Wohnung überhaupt zugänglich ist, sondern dass es durch die Verbindung mit dem eigenen WLAN eine Funktionssteigerung erfährt.63 Die raumüberspannende, verbindende Funktion des Geräts ist hier also wichtiger für das Heimatgefühl als die Verfügbarkeit des Geräts, die an jedem beliebigen Ort gegeben ist. Die Funktion ist jedoch abhängig von der technischen Infrastruktur der Wohnung und so mit diesem Ort verknüpft. Während die Heimat in ihrer physischen Räumlichkeit historisch durch ihre Singularität und Logik der Herkunft gekennzeichnet war, führt die Verlagerung des Heimatbegriffs ins Mediale zu einer Pluralisierung von Heimatgefühlen. Diese multiplen Selbst-Verortungen können sich über die Mobilität der individuelltechnischen Geräte auf unterschiedliche physische Orte verteilen, ohne dabei fragmentiert zu werden, da das konkrete Gerät die Orte zu einem Funktions- und damit Handlungsraum verbindet. Jedoch ist auch anzumerken, dass der technologische Fortschritt64 dazu führt, dass Geräte regelmäßig gewechselt werden, wodurch andere Formen der Parapatrialität allerdings nur durch einen Funktionsverlust beeinträchtigt werden können und die individuell-technologische Parapatria grundsätzlich als temporär betrachtet werden muss. Es handelt sich 62

Eine Auflistung und genauere Angaben zu allen Beispieltweets findet sich am Ende der Arbeit. 63 Viele, insbesondere bildintensive Webanwendungen verlangen eine stabile und Leistungsfähige Internetverbindung, die das Mobilfunknetz häufig nicht gewährleisten kann. 64 Vgl. hierzu Kapitel 5.3.

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5.2 Individuell-technologische Parapatrialität

also um eine Pluralisierung der Heimat, die sowohl diachron als auch synchron zu betrachten ist, was die nächste These nahelegt: Das konkrete Individuum hat in der Regel mehr als eine mediale Heimat. Ähnlich einer Biografie der wechselnden Wohnorte beinhaltet die Medienbiografie eine Abfolge medialer Heimaten. Aber auch zum selben Zeitpunkt verortet sich das Subjekt nicht nur in unerschiedlichen Arten von Parapatrien, sondern auch in unterschiedlichen Parapatrien derselben Art. So sind Laptop und Smartphone beides individuell-technologische Parapatrien, die zum Teil überlappende Heimaten darstellen und gleichzeitig ‚bewohnt‘ werden können. Allerdings wird nicht jedes technische Gerät durch regelmäßige Nutzung zur Parapatria. So werden Arbeitsgeräte, die zwar ebenfalls regelmäßig benutzt werden einerseits aufgrund des Produktivitätsanspruches (s.o.) nicht parapatriotisch wahrgenommen, andererseits weil die Geräte nicht individuell ästhetisiert werden können. Dies grenzt zum Beispiel auch fremde Geräte aus dem privaten Umfeld von den eigenen ab: Die Geräte von Freundinnen oder Verwandten sind auch bei regelmäßiger Nutzung Räume, die nicht individuell gestaltet werden und somit nur begrenzt habitualisiert und bewohnt werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, inwiefern kollektiv genutzte Geräte zu technologischen Parapatrien werden können. Die momentane technologische Entwicklung spielt zwar immer wieder mit der Idee kollektiver Nutzung, aber im Alltag sind multifunktionale65 digitale Geräte dispositiv auf die Nutzung durch eine einzelne Person angelegt. Daher verweist die Distinktion von individuell-technologischen Parapatrien auch darauf, dass diese Art der Parapatrialität am engsten mit dem persönlichen Heim oder Zuhause verknüpft ist und die Sphäre des Privaten betrifft. Zwar gewährleisten die parapatriotischen Geräte Zugang zu anderen, gemeinschaftlichen medialen Räumen, doch zeichnen sie sich durch ihre technomaterielle Präsenz und ihren begrenzt-lokalen Modus aus. Das heißt, dass dort nicht nur soziale Praktiken über die Verbindung ins Internet verortet sind, sondern auch private Praktiken wie Schreiben, Planen, Organisieren, Bilder Betrachten und Sortieren sowie eine Vielzahl an anderen Arten von ästhetischer Produktion und Konsum. In den individuelltechnologischen Parapatrien fallen somit die beiden Elemente der klassischen griechischen Repräsentation des Heims durch Hera und Hermes zusammen: Sie 65

Monofunktionale digitale Geräte wie z.B. Gaming-Konsolen können kollektiv genutzt werden, allerdings sind diese technohistorisch bedingt auf das Fernseh-Dispositiv gemappt und somit in den gemeinsamen Wohnraum integriert.

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5.2 Individuell-technologische Parapatrialität

vereinen das Zentrum des privaten Lebens und die Schwelle zur Öffentlichkeit in einer paradoxen Heterotopie. Die Perspektive, Geräte als Heimaten zu analysieren, wirft weiterführende Fragestellungen auf, die an empirischen Daten überprüft werden können. Zum Beispiel wäre da die Frage nach dem medialen Urlaubsverhalten und Phänomenen wie Medienfasten. Durch die enge Verknüpfung medialer Heimaten und Freizeit wäre zu untersuchen, wie die Portabilität individuell-technologischer Parapatrien im Urlaub genutzt oder bewusst zurück gelassen wird, da Urlaub Freizeit mit dem Aufenthalt in der Fremde kombiniert, was eigentlich eine bewusste Distanzierung vom (Medien-)Alltag nahelegt. Zu untersuchen gälte es also, welche Nutzerinnen dazu tendieren, im Urlaub weiterhin auf parapatriotische Geräte zurückzugreifen und wie sich ihr sonstiges Mediennutzungsverhalten von demjenigen unterscheidet, welches Nutzerinnen an den Tag legen, die im Urlaub die Distanz zu den entsprechenden Geräten suchen oder sie sogar zurücklassen. Auch nachzufragen wäre, wie beide Gruppen die Erholungswirkung des Urlaubs einschätzen und inwiefern dies an der Mediennutzung festgemacht werden kann. Das Phänomen des Medienfastens – auf Englisch auch unter dem Begriff digital detox, ‚digitale Entgiftung‘ bekannt – zielt darauf ab, durch bewussten Verzicht auf digitale Medien einen positiven Effekt auf die geistige Gesundheit, Konzentrationsfähigkeit und sozialen Beziehungen zu erzielen. Zugrunde liegt dementsprechend ein ausgeprägter Technik- und Kulturpessimismus, der den Verlust alter Kommunikations- und Denkmuster als schwerwiegender einstuft als die Ausbildung neuer Wissenskulturen und Möglichkeiten der Sozialität. Im deutschsprachigen populären Diskurs wird diese technikkritische Haltung auch unter dem Stichwort der ‚digitalen Demenz‘ verhandelt, nach dem gleichlautenden Titel eines Buchs von Manfred Spitzer. Aus dem Manifest einer Anbieterin von Retreats und Seminaren zum Thema Digital Detox: We believe that technologies should serve as tools to connect us to these tenants as we celebrate life, truly improving our unique existence, instead of distracting, disturbing or disrupting us. And we believe that these technologies should be created mindfully and ethically, for the benefit of and not at the cost of consumers and users. In fact, the relationship that grows between the creator and consumer should be truly symbiotic and honest. We value smiles, DIY, nature and the great outdoors, long hugs, laughter, tears, good eye-contact and IRL (in real life) community experiences. Life is about about [sic] sharing moments with the people sitting around us

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5.2 Individuell-technologische Parapatrialität

on a bus ride to work, across from us at the dinner table, or walking by us on the street. It’s about creating a new code of ethics and etiquette where people and nature come first, amongst everything else. (Digital Detox Facts & Manifesto Zugriff am 29.05.2015).

Hier ist eine deutliche Romantisierung der ‚Offline-Welt‘ festzustellen, deren bewusstes Erleben voller emotionaler und sublimer Begegnungen und Erlebnisse imaginiert wird. Die Verantwortung für die schädlichen Auswirkungen der Technologien wird allerdings bei deren Herstellerinnen vermutet, deren Erfolg auf die Kosten der Konsumentinnen und Nutzerinnen geht. Nicht an den verantwortlichen Unternehmen sondern an der Technologie selber wird dagegen im deutschsprachigen Raum Kritik geübt, wenn Digital Detox Camps mit Aussagen wie „So wichtig und hilfreich moderne Kommunikationsmittel sind, zum Sklaven sollte sich niemand machen“ (The Digital Detox Zugriff am 29.05.2015) beworben werden. Diese Anbieterin von „Offline-Retreats und Seminare[n] mit Workshops für digitale Vielnutzer, die unter den Folgen von Informations-Overload leiden oder schon erste Anzeichen von Internetabhängigkeit bei sich wahrnehmen“ nennt als Zielgruppe „Manager, Führungskräfte und Menschen mit Personalverantwortung, die bereits die Bedeutung einer gesunden Internetnutzung und nachhaltigen Kommunikation ihrer Mitarbeiter für den Unternehmenserfolg erkannt haben“ (ebd.). Im Gegensatz zu der US-amerikanischen Anbieterin steht hier der Erhalt der Produktivität bei der Arbeit im Mittelpunkt, parapatriotische Nutzung von Medien wird gar nicht erst in Betracht gezogen. Die parapatriotische Perspektive kann als Gegenposition zu technologiekritischen bzw. derartigen technikdeterministischen Bewegungen dienen. Durch die Engführung von Technologie und Heimat können Geräte wie Laptop, Smartphone und Tablet als heterotope Rückzugsräume gelesen werden, die Menschen aufsuchen, um Stress und Produktivitätsmaximen von Beruf und ökonomisierten Sozialkontakten zu meiden. Eine Kritik von ständiger Erreichbarkeit, Informationsüberfluss und sozialem Stress in entsprechenden Netzwerken ist durchaus gerechtfertigt, jedoch ist die monokausale Rückführung auf die Funktionsweise und Verfügbarkeit von Kommunikationstechnologien bestenfalls als argumentativer Kurzschluss zu werten, da die Kulturen, die diese Verhaltensweisen hervorbringen auch andere sozialen Felder betreffen, insbesondere das der Lohnarbeit.

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5.3 Infrastrukturelle Parapatrialität

5.3 Infrastrukturelle Parapatrialität Kontingenzminderung ist ein Anliegen von Plattformanbieterinnen, seit Computer mit Internetzugang weit genug verbreitet sind, um den privaten und nicht professionellen Gebrauch als dominanten Anwendungsfall zu positionieren. Der Unterschied von physischem und simuliertem dreidimensionalem Raum und Barlovian Cyberspace tritt hier durch abweichende Modi der Orientierung zutage. Im Internet verliert der Sehsinn seine vorhersehende, distanzüberbrückende Funktion, die im physischen Raum points of interest und Wege zu ihnen sichtund erschließbar machen, bevor sie betreten werden. Das Internet präsentiert sich „als eine flächige Fülle von symbolischen Items [. . . ], die [. . . ] auf arbiträre Weise miteinander verkettet und verkettbar erscheinen“ (Reckwitz 2010, S. 577), als zur Fläche kollabierte Vielzahl von Räumen, die nur durch den Akt des Betretens plastisch und nutzbar werden, aber zuvor weder in ihrer Existenz noch in ihrem Inhalt erkennbar sind. Im Internet, so ließe sich in der Sinnesmetapher verbleibend sagen, sind alle Nutzerinnen blind. Darum ist die Bewegung im Internet gekennzeichnet vom Akt der Suche, die sich nicht im visuellen Sinn der Herstellung eines Überblicks erschöpft, sondern nur kleinschrittig und isolierend vorgehen kann. Der Raum, der gesucht wird, lässt sich erst wahrnehmen, wenn man ihn betritt. Die Orientierung geschieht also nicht über eine Fern- sondern über eine Nahwahrnehmung. Geradezu tastend bewegt sich die Nutzerin durchs Netz. Die dort aufgefundenen Räume kann sie erst beurteilen, wenn sie direkten Kontakt zu ihnen hat. Suchmaschinen fungieren als digitale Sehhilfe. Ihre Algorithmen kriechen 66 von einer Seite zur nächsten, katalogisieren, sortieren und priorisieren die Inhalte, die sie finden, um die Langwierigkeit des menschlichen Tastens vorwegzunehmen und so eine Vorauswahl zu treffen aus den unendlich ineinander gefalteten Räumen des Netzes. Eine andere Strategie der Vorauswahl, die versucht, den Akt des Suchens zu umgehen und ihn über einen Akt der Präsentation zu ersetzen, ist das Portal. Portale fungieren in einem sehr wörtlichen Sinn als Zugang und sind m.E. in der aktuellen Struktur und Nutzung des World Wide Web nahezu obsolet, obwohl man auch sagen kann, dass ihre Funktionalität durch die Sozialen Netzwerke übernommen wurde. Webportale zeichnen sich durch redaktionell aufgearbeitete heterogene Inhalte und Funktionen aus, die versuchen, eine Vielzahl von Bedürfnissen, die eine Nutzerin im Web haben könnte, zu befriedigen. Als 66

Der englische Begriff für die Algorithmen, die das Internet durchsuchen und aufbereiten, ist Crawler.

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5.3 Infrastrukturelle Parapatrialität

Beispiele möchte ich noch immer genutzte E-Mail-Portale aufführen, die aus der Zeit stammen, in der private Internetnutzung noch von sozialen Plattformen bestimmt war: Web.de (online seit 1995), GMX (online seit 1997), wobei diese beiden Portale inzwischen derselben Eigentümerin gehören, und Yahoo (online seit 1995). Die Kernfunktionen aller drei Portale lässt sich in ihren EMail-Diensten sehen, da diese zu Beginn der privaten Nutzung zentral war, auch da die meisten anderen Online-Dienste die Angabe einer E-Mail-Adresse voraussetzen. Zum Vergleich: Der E-Mail-Dienst von Google (Gmail), welcher aktuell als meistgenutzte E-Mail-Anbieterin gilt, ist seit 2004 online, also fast 10 Jahre nachdem die hier untersuchten Webportale online gingen (vgl. Ludwig 2012, Zugriff am 01.07.2015). Neben E-Mail bieten die Portale darüber hinaus Zugang zu Suchmaschinen, wobei GMX und Web.de die Google-Suche benutzen, während Yahoo ihre eigene Suchmaschine hat. Daneben gibt es redaktionellen Inhalt. Yahoo aggregiert hierfür Inhalte von anderen Anbieterinnen (wie z.B. den Online-Angeboten von Zeitungen und Magazinen wie Die Zeit oder dem Stern). Hinzu kommen z.B. noch Wetterinformationen und Weiterleitungen zu eigenen oder Partnerdiensten wie audible Hörbücher67 (GMX), die Musik-FlatrateAnbieterin Deezer (Web.de) oder der Foto-Community Flickr (Yahoo, Flickr ist Tochterfirma). Durch den Einstieg über ein Portal sollen an einer zentralen Stelle mit Verweisen und Integration von heterogenen Inhalten und Diensten so viele Bedürfnisse wie möglich erfüllt werden, sodass sich die Nutzerin möglichst lange auf dem Portal aufhält und viele Unterseiten anklickt – nicht zuletzt, weil über die Messung der Aufrufe die Monetarisierung durch Werbung gemessen wird. Hier wird die Verflechtung von Habitualisierung und ökonomischem Interesse deutlich, die ich in Kapitel 5.4 noch einmal anspreche. Die Vorauswahl und Aufbereitung durch die Portale mindert die Kontingenz und führt so zu einem Gefühl von Vertrautheit und klarer Orientierung. So schafft Kontingenzminderung die Freiheit vom Zwang zur Orientierung, welche für Heimat konstitutiv ist. Man könnte sagen: Heimat ist in diesem Falle da, wo die Nutzerin nicht suchen muss.

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Bei audible handelt es sich um eine Tochterfirma von Amazon.

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5.3 Infrastrukturelle Parapatrialität

Abbildung 3: Das Footer-Menü von GMX zeigt die Vielfalt von Diensten, die das Portal abdecken will. (Quelle: Screenshot von http://www.gmx.net/)

Im Vergleich zu der Zeit, aus der die Portale stammen, lässt sich heute zunehmende funktionale Ausdifferenzierung und Vernetzung über Einbettung und APIs (application programming interface, Programmierschnittstellen) feststellen: Die Portallogik des One-Stop für Neuigkeiten, Kommunikation, Arbeit und Unterhaltung ist bis auf die Sozialen Netzwerke (s.u.) kaum mehr zu finden. Stattdessen bieten Webseiten hochspezialisierte services, die sie dann zur Einbettung auf anderen Seiten zur Verfügung stellen – eine Logik, der die Portale inzwischen durch die Partnerschaften mit Großunternehmen wie Google oder Amazon folgen. So hat eine Nutzerin beispielsweise ihre Videos auf YouTube, ihre Sounddateien auf Soundcloud, ihre Bilder auf Flickr und ihren Blog auf Tumblr und vernetzt die Inhalte jeweils miteinander. Eine dominante Position innerhalb der Webnutzung nehmen dabei jene Seiten ein, die sich auf die Funktionalität des Verbindens selbst spezialisiert haben: Die Sozialen Netzwerke oder auch Social Media mit Facebook und Twitter als zwei der bekanntesten Vertreterinnen. In Sozialen Netzwerken werden einerseits also Verbindungen zwischen einzelnen oder Gruppen von Nutzerinnen hergestellt und andererseits über Verlinkung und Einbettung heterogene Inhalte aggregiert. Die inhaltliche Vorauswahl, die Suchmaschinen algorithmisch und Portale redaktionell treffen, geschieht hier über die Abgrenzung eines Sozialen Raums durch die Kontaktauswahl der Nutzerin, der (häufig negativ konnotiert) auch Echochamber oder an die algorithmische Vorsortierung angelehnt Filterbubble,

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5.3 Infrastrukturelle Parapatrialität

in der Übersetzung auch Filterblase genannt wird.68 Losgelöst von der Problematik der Informations- und Meinungsvielfalt lässt sich das Bedürfnis nach einer solchen Filterbubble als kontingenzeinschränkender Eintrittspunkt ins Web jedoch nachvollziehen. Dabei funktioniert Social Media weder über die technologische Intransparenz algorithmischer Aufbereitung,69 die noch immer einen hohen Grad an selbsttätiger Suche verlangt, noch durch redaktionelle Pflege auf die veraltete Dichotomie zwischen Konsumentin und Produzentin zurückgreift. Soziale Medien, die ihre Inhalte über die ständige Aktivität vieler Nutzerinnen generieren, folgen eher einer Logik der Beobachtung. Die Timeline der Nutzerin kann im Minutentakt neue interessante Inhalte bieten, die im ersten Moment wenig eigene Aktivität zur Erschließung benötigen. Dabei bieten Soziale Netzwerke auch die Möglichkeit, selbst Inhalte zu erstellen und zu verbreiten und den Kommunikationsraum so mitzugestalten. Darüber hinaus bieten die meisten Sozialen Netzwerke die Funktion, ein Profil anzulegen und sich so durch Bild, Text und Verweise auf andere Inhalte und Personen selbst zu inszenieren. Social Media wird so zum privilegierten Ort der Identitätsartikulation über Eigen- und Fremdinhalte. Die Ausgestaltung des eigenen Profils, das möglichst genau die individuelle Persönlichkeit widerspiegeln soll und der Aufbau einer möglichst konfliktarmen meinungs- und interessenkonformen Filterbubble könnte man mit einer Analogie aus dem Wohnbereich als digitalen Nestbau beschreiben, der zum Ziel hat, eine gemütliche und personalisierte Umgebung zu schaffen. Profil und Timeline des präferierten Sozialen Netzwerks werden zum Einstiegs- und Ausgangspunkt aller Aktivitäten im Netz und so für Nutzerinnen zur eigentlichen Homepage, um auf einen immer weniger gebräuchlichen Begriff zurückzugreifen. Soziale Netzwerke sind vielleicht das eindrücklichste Beispiel für parapatriotische Bindungen. Erstens beinhalten sie eine Komponente der medialisierten Beziehungspflege zwischen Freundinnen und Verwandten, die häufig als konstitutiv für Heimatgefühl vorausgesetzt werden,70 zweitens ermöglichen sie die ästhetische und soziale Gestaltung eines digitalen Raums und drittens bilden sie plattformspezifische ‚Kulturen‘ aus, mit denen sich die Nutzerin identifizieren kann, wie ich kurz am Beispiel von Twitter71 erläutern möchte. 68

Vgl. hierzu Weisberg (2011, Zugriff am 01.07.2015) und Gehlen (2011, Zugriff am 01.07.2015). 69 Hier ist hinzuzufügen, dass Facebook die beiden Techniken vermischt, also auch die soziale Zusammenstellung von Inhalten in der Timeline noch einmal algorithmisch filtert. 70 Vgl. Kapitel 4.1. 71 Dass hier Twitter betrachtet wird und nicht etwa Facebook, liegt an meiner Vertrautheit

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5.3 Infrastrukturelle Parapatrialität

Durch sein definitorisches Merkmal – die Zeichenbegrenzung einzelner Beiträge auf 140 Zeichen – bildet Twitter sehr spezifische Nutzungsmuster aus, die sich deutlich von den anderer Sozialen Netzwerke unterscheiden. Um genauer zu sein erschwert diese Begrenzung die Nutzung, da sie sich nicht für beliebige Inhalte eignet. Auch hat Twitter nicht den Anspruch, bereits bestehende Kontakte zu verwalten, sondern eher neue, häufig einseitige oder anonyme Verbindungen herzustellen. Dies zeigt sich bereits im Vokabular: Heißen Kontakte auf Facebook ‚Freunde‘ und suggerieren damit eine enge soziale Bindung, werden TwitterKontakte ‚Follower‘ genannt, was eher eine unpersönliche Form des Interesses nahelegt, so wie man eine öffentliche Debatte oder die Karriere einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens ‚verfolgt‘. Dies führt zu einer Kultur, die zwar enge persönliche Kontakte zulässt, aber eher eine Trennung von Face-to-Facevon Twitterkontakten hervorruft, wie folgende Beispieltweets illustrieren: Wer seinen Twitteraccount mit seinem Facebookprofil verknüpft hat, hat die Kontrolle über sein Leben verloren. (@Apfelkernchen, 17.10.2013 – 12:53 Uhr) Neulich in der Singlebörse Ich so: Ich habe nicht so viele Geheimnisse. Er so: Hast du eigentlich nen Twitteraccount? Ich so: Twitter? Was? (@ezdella, 06.10.2013 – 13:34 Uhr) Hallo liebe RL Menschen. Nein, ich möchte euch nicht sagen, wie ich auf Twitter und Instagram heiße. (@farbenlosewelt, 21.10.2013 – 15:21 Uhr) falls ihr mitbekommen solltet, dass mich einer aus dem RL hier auf twitter sucht, ich heisse Achmed und habe eine Glatze. (@nikstyles, 05.12.2012 – 11:32 Uhr) Meine persönliche Zombieapokalypse beginnt sobald meine Verwandtschaft erfährt wie ich auf Twitter heiße. (@rudidutschke, 10.04.2013 – 21:36 Uhr) Wo war eigentlich mein Schutzengel, als ich meinem Chef damals meinen Twitteraccount gezeigt habe? (@teddybaeruj, 22.09.2013 – 22:03 Uhr) mit der Plattform, die mich auf einen größeren Fundus von Beispielen zurückgreifen lässt.

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5.3 Infrastrukturelle Parapatrialität

An diesen Beispielen lässt sich ablesen, dass Twitter-Nutzerinnen in der Regel keine Vernetzung mit Offline-Bekanntschaften anstreben. An dieser Stelle wird deutlich, dass mediale Heimaten in der Regel Wahlheimaten sind. Obwohl es einen gewissen sozialen und beruflichen Zwang gibt, z.B. Facebook zu Werbeoder Koordinationszwecken zu nutzen, bedeutet – wie bereits ausgeführt – die Nutzung noch nicht, dass es zu einer affektiven Aufladung und damit zu einer parapatriotischen Bindung kommt. Wird ein digitaler Raum nur seiner Funktionalität wegen benutzt, kann nicht von einem Heimatraum gesprochen werden. Der Zwang zur Nutzung, der durch die Verbreitung von bestimmten Diensten und sozialen Plattformen entsteht, ist insbesondere auf die Marktdurchdringung bestimmter Anbieterinnen zurückzuführen, was die nächste These nahelegt: Durch die Dominanz multinationaler Unternehmen und Plattformen stellen Medien eine stabile Referenz gemeinsamer Erfahrung dar. Dies trifft nicht nur auf die internationalen Sozialen Netzwerke zu, sondern auch auf eine andere Form der medialen Infrastruktur, die Überlappungen mit der individuelltechnologischen Parapatrialität aufweist. Hier fungieren mediale Konfigurationen weniger in Hinblick auf den kulturell-kommunikativen Aspekt, sondern über die tatsächliche infrastrukturelle Versorgung, welche Habitualisierung oder Gewohnheit in den Vordergrund rückt. Gemeint sind internationale Megakonzerne wie Apple, Amazon und Google, die durch ihre integrative Marktstrategien versuchen, die komplette Mediennutzung von Nutzerinnen zu durchdringen. Die Entscheidung für eine mediale Infrastruktur fällt dabei meist schon mit der Wahl des Geräts (iPhone oder Android-Smartphone?) und beeinflusst davon ausgehend sowohl den Gebrauch der Medien durch plattformspezifische Programme (iTunes vs. Google Play-Store) und das Angebot, das sich zwischen diesen Anbieterinnen unterscheidet. Über proprietäre Formate wird die mediale Infrastruktur noch weiter kontrolliert, so kann man auf Amazon z.B. nur eBooks im amazoneigenen MOBI-Format kaufen, die auf Lesegeräten anderer Herstellerinnen nicht angezeigt werden. Wer das Angebot und die Infrastruktur von Amazon nutzen möchte, muss also die Geräte des Unternehmens kaufen und kann Bücher anderer Anbieterinnen wiederum darauf nicht lesen. Durch die Ubiquität der Mediennutzung und die dadurch erreichte Habitualisierung übersteigt die Festlegung auf eine technische Infrastruktur eine starke Markenbindung. Nicht nur transportieren die unterschiedlichen Unternehmen unterschiedliche Images oder Funktionsumfänge, sie konditionieren die Nutzerin auf spezifische Nutzungsmuster, was bei einem Wechsel zu Desorientierung und Ablehnung führen kann.

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Medien als Heimat

5.3 Infrastrukturelle Parapatrialität

Wie wirkmächtig die Habitualisierung sein kann, zeigt die Marktdominanz des Betriebssystems Microsoft Windows im Desktop-PC-Bereich. Dadurch, dass die meisten PCs mit diesem Betriebssystem vorinstalliert verkauft werden, dominiert Microsoft diesen Bereich mit einem Marktanteil von 80 Prozent, auch wenn z.B. auf Mobilgeräten andere Betriebssysteme präferiert werden (vgl. Laguna 2014, Zugriff am 01.07.2015). Die Frage ist, wann Gewohnheit zur Bewohnung wird. Die Habitualisierung ist ein wirkmächtiges Instrument zur emotionalen Bindung, doch hier zeigt sich ein bereits angesprochenes Phänomen dabei, wenn Logiken der Heimat auf die der technischen Infrastruktur treffen: Mediale Heimaten können aufgrund des technologischen Fortschritts nur temporär bestehen und sind darum anfällig für Nostalgie. Heimat zielt letztendlich zumindest zeitweise noch immer auf Bestand, auf Kontinuität, da nur so eine Habitualisierung stattfinden kann. Technologischer Fortschritt verlangt indessen ständige Erneuerung und folgt zudem der kapitalistischen Logik der kurzen Produktzyklen. Wie die parapatriotische Habitualisierung dem entgegenwirkt, lässt sich an der Reaktionen auf die erneuerte Oberfläche von Windows 8 illustrieren, welche zu starker Kritik von Seite der Nutzerinnen geführt hat (vgl. ebd.). Die radikal überarbeitete Bedienung über das gekachelte und dem Mobilbetriebssystem angeglichene Interface bewegte Microsoft schließlich dazu, die Möglichkeit der ‚klassischen‘ Ansicht mit Startmenü wieder verfügbar zu machen. Auch Webseiten Sozialer Netzwerke haben dieses Problem, so versucht Tumblr beispielsweise die Reaktion auf Design- und Funktionsänderungen mit humorvollen Hilfetexten abzumildern (vgl. Abb. 4). Die Änderungen können bei bereits habitualisierten Räumen allerdings gemäß der Definition von parapatriotischer Bindung diese als Unzugänglichkeitserfahrung jedoch eher bestärken als schwächen, indem sie den Raum als solchen sichtbar machen. Dabei ist die Herausforderung von etablierten Seiten eben die Balance zu finden, indem sie durch Neuerungen die Räume modern und nutzbar halten, aber gleichzeitig die Identität und habitualisierte Nutzungsmuster nicht so stark verändern, dass die parapatriotische Bindung verloren geht.

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5.4 Transmedia als diegetische Parapatrialität

Abbildung 4: Tumblr versucht mit humorvollen Hilfetexten die Reaktionen von Nutzerinnen auf Änderungen der Bedienung relativieren. (Quelle: Screenshot von https://www.tumblr.com/dashboard)

5.4 Transmedia als diegetische Parapatrialität Seit einigen Jahren beschreibt man unter dem Stichwort Transmedia die Ausdehnung von Medieninhalten über mehrere Plattformen. Serien werden in Videospielen weitererzählt, Videospiele in Comics, Comics verfilmt und Filme durch Bücher weitergesponnen. Die Digitalisierung aber insbesondere die Verbreitung Sozialer Netzwerke hat den Medienschaffenden hierfür eine Vielzahl an Kanälen und Instrumenten eröffnet, die sich für Transmedia Storytelling eignen. Neben der damit einhergehenden Steigerung des Komplexitätpotenzials der Narration und der Vertiefung von Charakteren, die dies ermöglicht, bietet Transmedia auch neue Möglichkeiten, sich mit der ‚Welt‘ eines transmedialen Franchise auseinanderzusetzen. Unter dieser ‚Welt‘ ist die storyworld zu verstehen, die Diegese, in der die Handlung eines Texts (im weitesten Sinne) stattfindet. Die Storyworld kann dabei rein fiktional wie z.B. in einem Fantasy- oder Science-Fiction-Setting, oder aber auch beliebig nah an die tatsächliche Welt angelehnt sein (vgl. Ryan 2014, S. 32-35). Die Storyworld besteht dabei nicht nur aus den explizit im Text erwähnten Faktoren, sondern wird mental von der Zuschauerin zu einem kompletten Bild einer imaginären Welt vervollständigt, indem fehlende Aspekte durch eigene Erfahrungen ergänzt werden, was Marie-Laure Ryan „the principle of minimal departure“ (ebd., S. 35) nennt. Im Zuge der Ausweitung von Narration auf unterschiedliche Kanäle gewinnt die Storyworld an Bedeutung:

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5.4 Transmedia als diegetische Parapatrialität

Storyworlds hold a greater fascination for the imagination than the plots that take place in them, because plots are self-enclosed, linear arrangements of events that come to an end while storyworlds can always sprout branches to their core plots that further immerse people, thereby providing new pleasures (Ryan und Thon 2014, S. 19).

Eine transmediale Storyworld muss also nicht nur eine, sondern eine potenziell unendliche Anzahl an möglichen Geschichten befähigen können. Zu dieser imaginären Welt, die Lisbeth Klastrup und Susana Tosca worldness nennen, zählen folgende Faktoren: • Mythos – the establishing story, legend, or narration of the world, with the defining struggles. It is the backstory that gives meaning to the current situation of the world, and it includes creational myths and legendary characters and gods. • Topos – the setting of the world in both space (geography) and time (history). It shows how places have changed and events have unfolded. • Ethos – the explicit and implicit ethics, or the moral codex of behavior for characters. It can be considered generally, as calid for the whole world (e.g., nobody performs or even talks about sex in Lord of the Rings), or locally, as appropriate to a determined group of inhabitants of that world (e.g., elves would never burn a tree)72 (Klastrup und Tosca 2014, S. 297).

In anderen Worten lässt sich sagen, dass Storyworlds die Merkmale anthropologischer Orte haben, indem sie fiktionale Kulturen geografisch und historisch verorten. Sie bilden einen gemeinsamen Raum, auf den sich unterschiedliche Geschichten in unterschiedlichen Medien beziehen. Diese unterschiedlichen Erzählungen erhalten ihre Kohärenz in manchen Fällen allein dadurch, dass sie sich auf eine gemeinsame Storyworld beziehen. Vor diesem Hintergrund möchte ich die Parapatrialität von transmedial konstruierten Storyworlds an den Beispielen Game of Thrones (USA, 2011-heute) und The Walking Dead (USA, 2010-heute) untersuchen.

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Alle Hervorhebungen im Original.

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5.4 Transmedia als diegetische Parapatrialität

Abbildung 5: Die Karte von Westeros ahmt die User Experience von Google Maps nach. (Quelle: Screenshots von http://viewers-guide.hbo. com/game-of-thrones/season-5/episode-10/map/location/31/ meereen und https://www.google.de/maps)

Abbildung 6: Im Menü wird die Karte von dem gleichen Location-Marker repräsentiert, den die Nutzerinnen aus Google Maps kennen. (Quelle: Screenshot von http://viewers-guide.hbo.com/)

Game of Thrones (GOT) ist eine von HBO produzierte Serie, die auf der Fantasy-Romanreihe A Song of Ice and Fire von George R. R. Martin basiert. In den Genres Fantasy und Science Fiction hat die Storyworld durch ihre Verschiedenheit zur Lebenswelt der Rezipientinnen schon immer eine herausragende Rolle gespielt, sie eignen sich also besonders für die Adaption als transmediales

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5.4 Transmedia als diegetische Parapatrialität

Franchise. Dies spiegelt sich auch auf dem Internetauftritt der Serie73 wieder. Bereits auf der Startseite wird die Hauptnavigation mit dem Aufruf „Go Inside the Series With:“ übertitelt. Außer Behind-the-scenes Beiträgen („Extras“) und den Biografien von Charakteren („People“) bietet die Seite vor allem einen Überblick über die Häuser („Houses“), Orte („Locations“) und Kulturen („Histories“) der fiktiven Welt Westeros, in der die Serie spielt (vgl. Abb. 6). Befassen sich die Extras auf einer Metaebene mit der Serie, bieten die Charakterbiografien Zusatzinformationen zu Plot und Motivationen. Drei von fünf Menüpunkten verweisen aber auf Politik, Geografie und Kultur von Westeros und somit auf die Storyworld. Von besonderer Bedeutung ist hier der Punkt Locations, der mit demselben Icon repräsentiert wird, mit dem auf Google-Maps 74 Orte markiert werden. Die Benutzung dieses aus dem Alltag bekannten Symbols legt eine Äquivalenz zwischen den Karten der physischen und der fiktionalen Welt nahe. Die Karte selbst ist zwar stilisiert, bietet aber eine ähnliche Erfahrung wie die Bedienung von Google Maps, insofern als durch das Hineinzoomen in die Karte kleinere Orte neben den Hauptschauplätzen markiert werden. Durch das Anklicken eines Ortes wird ein Bild mit Zusammenfassungen aktueller Plotpoints angezeigt (vgl. Abb. 5). Die Orientierung in der Storyworld wird hier mit der Orientierung in der physischen Welt gleichgesetzt. Hier zeigt sich, die eigentliche Neuerung, die digitale Plattformen und das Nutzen Sozialer Medien für transmediales Erzählen bieten: Indem die Art und Weise, in der sich Menschen mit ihrer Umwelt auseinandersetzen, mehr und mehr über technische Medien übermittelt ist, nähern sich die Erfahrungen der physischen und die Erfahrungen von fiktionalen Welten einander an, da durch dieselben Praktiken (Surfen, Karten betrachten, auf Sozialen Medien interagieren) Bezug auf die echte Welt oder auf eine Storyworld genommen werden kann. Durch die Inszenierung von Westeros nach Schema einer real-geografischen Karte stellt die Webseite die Storyworld als potenziell betretbar dar und macht sie zu einer imaginären Geografie.75 Westeros 73

http://viewers-guide.hbo.com/ https://www.google.de/maps 75 Der Begriff der imaginären Geografie wurde von Edward Said im Bezug auf den Orient geprägt. Er beschreibt damit die über kulturelle Zuschreibung produzierte Vorstellung von Orten und auch Zeiten: „So space acquires emotional and even rational sense by a kind of poetic process, whereby the vacant or anonymous reaches of distance are converted into meaning for us here. The same process occurs when we deal with time. Much of what we associate with or even know about such periods as ”long ago“ or ”the beginning“ or ”at the end of time“ is poetic – made up. [. . . ] there is no doubt that imaginative geography and history help the mind to intensify its own sense of itself by dramatizing the distance and the difference between what is close to it and what is far away. This is no less true of the feelings we often have that we would have been more ”at home“ in the sixteenth 74

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5.4 Transmedia als diegetische Parapatrialität

wird so zu einem fernen, fantastischen Land, das in seiner virtuellen Präsentation jedoch erlebbar wird. Die Verknüpfung von Erfahrungen in der echten Welt und in Westeros über alltägliche Praktiken habitualisiert das Betreten der fiktionalen Welt und Kultur und das nicht nur im Digitalen: Zu den transmedialen Erweiterungen der Serie gehört auch ein offizielles GOT-Kochbuch. Darin sind Rezepte von Gerichten zusammengetragen, die in den Büchern vorkommen. Die Bilder und das Layout evozieren das mittelalterliche Setting. Zusätzlich werden die Textstellen zitiert, auf die sich die Rezepte beziehen (vgl. Abb. 7). Essen hat als kulturelle Praxis besondere Signifikanz, da hier viele Faktoren zusammenfinden: Klima und Geografie beeinflussen die Auswahl an Nahrungsmittel, Zubereitung und Präsentation sind lokal spezifisch und häufig von religiösen und gesellschaftlichen Normen und Vorgaben geregelt und die Mahlzeit ist ein soziales Geschehen. Essen transportiert zudem Gerüche und Geschmäcker – atmosphärische Merkmale, die technische Medien (noch) nicht zugänglich machen können. So transportieren die Gerichte atmosphärische Fragmente der Storyworld in die Erfahrungswelt der Rezipientin, die so an der fiktiven kulturellen Praxis von Westeros teilhaben kann. Der Zugang zum Ursprungsort dieser Kultur bleibt für sie dennoch problematisch, da sie auf die Zugänge angewiesen ist, die die Produzentinnen ihr zur Verfügung stellen. Gerade bei GOT, welches bereits im Fall der Romanreihe dafür bekannt ist, dass zwischen zwei Bänden lange Wartezeiten in Kauf genommen werden müssen, wird Westeros zu einem Sehnsuchtsraum, und das obwohl die Storyworld als gewalttätig und häufig unwirtlich dargestellt wird. Die Narration fungiert als Einstiegspunkt und Kerngeschäft des transmedialen Franchise, aber die Storyworld ist, worüber die Rezipientin den Text in ihre alltägliche Erfahrungswelt integriert. Das Storyworld-zentrierte Fandom – also ein Fandom, welches sich mit der imaginären Geografie eines transmedialen Universums beschäftigt und nicht etwa Plot oder Charaktere fokussiert76 – hat eine parapatriotische Bindung zu dieser Storyworld, was mich zu einer weiteren These führt.

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century or in Tahiti“ (Said 2003, S. 55). Dies bedeutet weder, dass es sich ausschließlich mit der Geografie auseinandersetzt, noch dass Plot und Charaktere keine Rolle spielen. Die Storyworld fungiert hier jedoch als Nexus diverser Fanpraktiken.

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Abbildung 7: Ein Auszug aus dem GOT-Kochubuch. (Quelle: Screenshot von http: //www.lehmanns.de/media/29686835)

Mediale Heimaten können protonationale Eigenschaften haben. Sie produzieren gemeinsame Erfahrungen und Kultur, die aber nicht historisiert sind und keine Manifestation in einer klar umrissenen (territorialen, politischen) Entität haben. Durch das zeitlich begrenzte Bestehen einer Parapatria77 tritt anstelle einer Historisierung und dem damit verbundenen Aufbau von Kontinuität notwendigerweise eine Form der Nostalgie. Das Fandom ist dabei als eine imagined community 78 zu betrachten, die sich auf die imaginäre Geografie der Storyworld bezieht. Protonational79 sind Parapatrien allerdings nicht nur aufgrund ihrer Unbeständigkeit, sondern auch aus dem Grund, da – wie bereits dargelegt – meist mehrere Parapatrien bewohnt werden. Eine Rezipientin kann sich als Fan der Storyworld von sowohl Game of Thrones als auch The Walking Dead und beliebig vielen weiteren Franchises verstehen. Auch begrenzt sich die Aktivität von diegetischen Parapatriotinnen auf die dem Franchise zugerechneten Räu77

Es wäre zu untersuchen, wie sich ein extrem langlebiges Franchise wie z.B. Doctor Who Zugehörigkeitsgefühle im Fandom auswirkt, insbesondere da es in diesem Fall eine starke Überlagerung mit der realen Geografie des Vereinigten Königreichs gibt. 78 Benedict Anderson definiert eine Nation folgendermaßen: „Sie ist eine vorgestellte politische Gemeinschaft – vorgestellt als begrenzt und souverän. Vorgestellt ist sie deswegen, weil die Mitglieder selbst der kleinsten Nation die meisten anderen niemals kennen, ihnen begegnen oder auch nur von ihnen hören werden, aber im Kopf eines jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert“ (Anderson 1988, S. 15). 79 Castells bezieht sich mit diesem Begriff auf Hobsbawn, der mit Protonationalismus einen „Nationalismus von unten [. . . ] auf der Grundlage gemeinsamer sprachlicher, territorialer, ethnischer, religiöser und historischer Attribute“ (Castells 2003, S. 31) beschreibt, d.h. der noch nicht zu einer Ausbildung eines Nationalstaates geführt hat.

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me. Dort kann die Rezipientin ihren ‚bürgerlichen‘ Pflichten der Partizipation nachkommen, indem sie an Abstimmungen teilnimmt, Neuigkeiten in Form von Drehberichten oder anderen Behind-the-scenes-Beiträgen konsumiert und sich über Entscheidungen der Produzentinnen (die hier die Rolle einer Regierung des Franchises einnehmen) äußert, um so eine eigene Öffentlichkeit des Fandoms zu bilden, welche in einem Dialog zu den Entscheiderinnen tritt. Dabei ist die Storyworld – ihr Mythos, Topos und Ethos (zusammengefasst häufig canon genannt) – die gemeinsame Basis der Gruppenidentität: Sie bietet eine eigene Sprache,80 eigene Legenden und eine eigene Symbolik, über die Fans und Produzentinnen kommunizieren können. Ein Fandom steht dabei souverän anderen Fandoms gegenüber, es ist also nicht durch partikulare politische Zielsetzung gekennzeichnet, was einen Vergleich mit anderen politischen Gruppierungen (z.B. Parteien) verhindert. Wie bei den anderen hervorgehobenen Thesen ist davon auszugehen, dass jegliche Form von Parapatria – in diesem Fall beschränkt auf jene, die eine Gemeinschaft hervorbringen – solche Protonationalismen hervorbringen kann. Eine extreme Auswirkung dieser Eigenschaft möchte ich im nächsten Kapitel untersuchen. Zuvor zeige ich an einem weiteren Beispiel, dass die Parapatrialität dabei nicht an die Gastlichkeit der Diegese gebunden ist, aber dennoch sichere Räume für das Betreten und Bewohnen durch die Fans schaffen muss. Noch verwunderlicher als in GOT ist die Darstellung der Storyworld als betretbarer Raum im Falle von The Walking Dead (TWD). Ursprünglich auf einer Reihe von Graphic Novels basierend wurde TWD als Serie adaptiert und transmedial auch durch Bücher und Videospiele erweitert. Die Website der Franchise bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie Rezipientinnen sich in die Storyworld imaginieren können: Es gibt Tests mit Fragestellungen wie „How Long Would You Survive a Zombie Apocalypse?“, „Which Character Are You?“ und „Natural leader? Strong mom? Find out which survivor profile fits your personality“ (vgl. Abb. 9). So können sich die Fans über eine offizielle Plattform der Produzentinnen in die Rolle der Charaktere oder in typische Situationen der Storyworld versetzen und sich durch eigene Entscheidungen in der Diegese positionieren. Auch 80

Die Entstehung einer standardisierten Sprache wird immer wieder als wichtiger Bestandteil der Nationsbildung genannt, so z.B. bei Jansen und Borggräfe (2007, S. 22, 31, 83) oder auch bei Anderson (1988, S. 47-53). Über die Sprache kommt es nach Karl W. Deutsch überhaupt erst zur Ausbildung gemeinsamer Erfahrung durch soziale Kommunikation, auf welcher Basis sich letztendlich das Volk – hier das Fandom – konstituiert (vgl. Jansen und Borggräfe 2007, S. 83). Eine weiterführende Forschungsfrage wäre, ob und wie Franchises, die keine eigene Sprache und Symbolik ausbilden, parapatriotisch wahrgenommen werden.

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andere Angebote auf der Website suggerieren die Betretbarkeit der Storywelt. Zum einen können Nutzerinnen über die Dead Yourself App ein Bild von sich selbst zu einem Zombie verfremden und hochladen. Die Bilder werden auf der Seite angezeigt, gerankt und über den Menüpunkt „Infektionen Verfolgen“ werden die neusten Bilder auf einer Weltkarte verortet. Über eine Einfärbung wird gezeigt, wie stark einzelne Länder von der ‚Zombieinfektion‘ betroffen sind (vgl. Abb. 10). Zum anderen gibt es eine interaktive Tour der ‚Alexandria Safe Zone‘, einen Schauplatz aus der Serie. Beworben wird die Tour mit dem Satz „Walk the streets and step into the survivors’ home“. Die Panoramaaufnahmen, aus denen die Tour zusammengesetzt sind, erinnern dabei stark an Google-Streetview (vgl. Abb 8). Ähnlich wie bei dem GOT-Beispiel weiter oben werden die Praktiken der Navigation eines fiktiven und eines physischen Raums durch ihre technische Aufbereitung einander angenähert. Im Gegensatz zu narrativen Erweiterungen wie Webisodes und Spielen sind die hier aufgezählten Elemente darauf ausgelegt, die Storyworld für die Nutzerinnen zum Teil als sich selbst betretbar zu zeigen. Ob als Überlebende, Statistin oder als Schaulustige, die einen voyeuristischen Einblick in die Wohnräume der Figuren hat. Der Gedanke, die Storyworld von TWD betretbar zu machen, ist im ersten Moment kontraintuitiv, da es sich (ähnlich wie bei GOT zuvor) um eine harsche, gefährliche Welt handelt. Warum sollte eine Rezipientin sich in solch eine Umwelt imaginieren wollen? Eine mögliche Antwort ist, dass das Setting einer Zombie-Apokalypse als Fiktion ein Szenario bietet, in dem häufig unter Zeitdruck Entscheidungen zu Problemlösungen getroffen werden müssen, was sich besonders als die Aufbereitung als Spiel eignet. Die Serie bietet immer wieder Situationen, in denen sich die Zuschauerin die Frage stellt: Was hätte ich getan? Die Aufbereitung in Tests und Spielen lässt sie diese Fantasie ausleben. Die Dead Yourself App hingegen ermöglicht das Betreten der Storyworld als einer der gefährlichen Zombies selbst und somit außer Gefahr, von den anderen Zombies attackiert zu werden. Und das über die interaktive Tour betretbare Alexandria ist bereits als ‚safe zone‘ benannt. Die Storyworld wird also nicht in ihrer Gefährlichkeit betretbar, sondern als Herausforderung in einem spielerischen Moment oder aber explizit ‚auf der sicheren Seite‘. Die Welt von TWD wird für die Nutzerin ein Spielraum, in dem sie sich selbst testen und ausprobieren kann. Dabei vermitteln die transmedialen Erweiterungen der Serie jeweils unterschiedliche Arten von Freiheit: In den Tests und Spielen kann die Nutzerin sich frei entscheiden, in der Tour von Alexandria kann sie diesen Raum frei erkunden ohne durch die Narration gebunden zu sein und durch die Dead Your-

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self App kann sie sich radikal frei in die Storyworld versetzen: Wie könnte man sich in einer Zombie-Apokalypse eher zuhause fühlen denn als Zombie? Durch die Selbstinszenierung als das konstitutive Merkmal der TWD-Storyworld kann sich die Rezipientin mit dem Franchise verbunden fühlen, sich selbst als Teil davon wahrnehmen, sie baut eine parapatriotische Bindung auf.

Abbildung 8: Die Tour durch die Alexandria Safe Zone ahmt die Erkundung eines physischen Orts durch Google Streetview nach. (Quelle: Screenshots von http://www.amc.com/TWD360/alexandria-tour/ und https:// www.google.de/maps)

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5.4 Transmedia als diegetische Parapatrialität

Abbildung 9: Spielen und teilhaben: Die transmedialen Erweiterungen von TWD will die Diegese für die Rezipientin zugänglich machen. (Quelle: Screenshot von http://www.amc.com/shows/the-walking-dead)

Abbildung 10: Die Diegese von TWD wird über die Dead Yourself App auf den gesamten Planeten ausgeweitet. (Quelle: Screenshots von http://www.amc.com/shows/the-walking-dead/exclusives/ dead-yourself)

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5.4 Transmedia als diegetische Parapatrialität

Die außerordentlich vielfältigen transmedialen Erweiterungen von TWD lenken die Aufmerksamkeit jedoch auch auf einen weiteren Aspekt von Parapatrien: Durch die Verteilung der Storyworld auf unterschiedlichste mediale Kanäle (Serie, Buch, Spiel, Comic, Web), kann das Franchise potenziell den kompletten Medienkonsum eines Fans durchdringen. Dies lässt sich nicht nur als gestalterischer Anspruch der Produzentinnen sehen, sondern auch als ökonomische Strategie der Markenbindung. Mediale Heimaten sind von ökonomischen Interessen durchdrungen. Was sich zuvor schon in Kapitel 5.3 im Zusammenhang mit infrastruktureller Parapatrialität gezeigt hat, muss im Kontext von diegetischen Parapatrien noch einmal gesondert erwähnt werden, da hier ein größeres Spannungsfeld zwischen den Ansprüchen von Fans und den Interessen von Produzentinnen besteht. Transmediale Erweiterungen sind nicht nur zusätzliche Ausdrucksmittel, sondern auch Marketinginstrumente und zusätzliche Einnahmequellen. Die Produzentinnen profitieren also von den Verbundenheitsgfühlen der Zuschauerinnen und dem damit einhergehenden Verlangen der Teilhabe an der Storywelt. Das Begehren danach, die Storywelt zu betreten und in ihr Geschehen eingebunden zu sein, zeigt sich auch in nicht-kommerziellen Fanpraktiken wie z.B. Cosplay, bei dem sich Fans als Charaktere aus den Franchises verkleiden, oder auch das Schreiben von Fanfiction, durch die sich Fans direkt in die Storywelt eindenken und sie mit eigenen Charakteren erkunden können. Eine attraktive Storyworld zu haben, ist also aus Produzentinnensicht nicht nur ihres narrativen Potenzials wegen interessant, sondern auch, weil sie einen Raum bietet, in den sich Fans hinein imaginieren können, was ihr Verlangen nach Teilhabe und damit auch nach dem potenziellen Konsum weiterer kulturindustrieller Produkte oder aber auch Merchandise vergrößert. Die Parapatrialität der Diegese, obwohl nicht explizit benannt, kann so bewusst als Strategie in der Konzeption eines Franchises verfolgt werden, es wäre also möglich, von einem parapatriotischen Mediendesign zu sprechen – nicht nur in Hinsicht auf die Konzeption von Storyworlds sondern auch z.B. bei der Planung von Websites. Die Verschiebung hin zur Konzeption von der Storyworld aus, spricht dafür, dass die Betretbarkeit und damit Bewohnbarkeit der Diegese an Bedeutung gewinnt.81 Ich möchte diesen Punkt angesichts der komplexen und diffusen Überlappun81

Ryan und Thon geben z.B. nach Henry Jenkins wieder, das Filmemacherinnen früher den Plot im Mittelpunkt der Konzeption gesehen hätten, dann Charaktere und heute schließlich die Welt, in der die Geschichte spielt (vgl. Ryan und Thon 2014, S. 19).

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5.5 Metamediale Parapatrialität

gen von Parapatrialität mit anderen Formen der Fanbindung nicht allzu weit ausführen. Es lässt sich an dieser Form der Parapatria allerdings besonders gut zeigen, dass Parapatrialität kein radikal neues Phänomen ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es auch vor der Digitalisierung Momente der parapatriotischen Bindung an mediale Räume gegeben hat, die durch die verstärkte Räumlichkeit digitaler Medien jedoch einen Aufschwung erlebt hat. Obwohl ich hier auf die Historisierbarkeit von Parapatrialität nur hinweisen kann, ist dies ein Aspekt, der an anderer Stelle eingehender untersucht werden müsste. Auch ist noch einmal zu betonen, dass Parapatrialität kein zwingender, wenn auch ein erwartbarer Effekt der Erweiterung der Storyworld durch digitale Medien ist.

5.5 Metamediale Parapatrialität Metamediale Parapatrialität beschreibt kulturelle Zugehörigkeitsgefühle, die an mediale Praktiken geknüpft sind wie z.B. die Identität der Gamerin oder Bloggerin oder auch solche diffuse Gruppen, die mit Begriffen wie ‚Netzgemeinde‘ beschrieben werden. Sie zeichnen sich durch eine heterogene mediale Infrastruktur aus. Beispielsweise gibt es eine Vielzahl von Plattformen, auf denen Blogs geführt werden können wie Tumblr, Blogspot, Wordpress oder selbstgehostete Seiten. Trotz den unterschiedlichen Funktionalitäten (so hat Tumblr zum Beispiel eine starke soziale Komponente) gewährleisten sie jedoch alle die Identifikation mit dem Begriff Bloggerin, die lediglich beschreibt, dass eine Nutzerin regelmäßig im Internet Texte auf einer selbst gepflegten Seite veröffentlicht. Auch sind diese Identitäten in der Abgrenzung zur diegetischen Parapatria nicht auf einen bestimmten Inhalt beschränkt. Blogs können alles von Reisetagebüchern, Rezeptesammlungen, DIY-Anleitungen bis hin zu themenspezifischen Berichterstattungen abdecken. Die Identität wird also allein aus der homogenen medialen Praxis geschöpft. Durch die gemeinsame Praxis entsteht eine Vernetzung: Ein sozialer Raum, der als Ganzes zwar nicht klar abgesteckt, aber in konkreten Orten – den einzelnen Blogs – erfahrbar ist. Dass dieser Raum besteht, äußert sich vor allem in der Notwendigkeit, ihn zu benennen, wodurch solche Worte wie Netzgemeinde oder auch Blogosphäre für die Gesamtheit aller Blogs entstehen. Dadurch, dass Raum-, Zugehörigkeits- und Gruppengefühle von den vorgestellten Arten von Parapatrialität in diesem Fall am diffusesten ist, besteht hier auch das größte Potenzial zur ideologischen Überfrachtung der Identität.

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5.5 Metamediale Parapatrialität

Mediale Heimaten können angesichts eines (angenommenen) Angriffs reaktiv mobilisiert werden. Ein einschlägiges Beispiel bietet die im August 2014 aufgekommene Gamergate-Bewegung, die zu einer Aufspaltung der GamingSzene geführt hat, die Rhodes als eine Balkanisierung einer vormals monolithischen Identität beschreibt (vgl. Rhodes 2015, Zugriff am 29.06.2015). Hier ist anzumerken, dass ‚Gamerin‘ schon zuvor eine defensive Identität war. Neben der Konstruktion des Gamers als Zielpublikum für die Videospielindustrie82 fungierte die Bezeichnung immer wieder als Gruppenbezeichnung im öffentlichen Diskurs, z.B. in der ‚Killerspieldebatte‘ im deutschsprachigen Raum. Eine eindrückliche Analyse eines Zwischenfalls, in dem die Gamerin-Identität aktiviert wurde, bieten Nathan Dutton, Mia Consalvo und Todd Harper in Digital pitchforks and virtual torches: Fan responses to the Mass Effect news debacle (2011). Hierin beschreiben sie die Reaktionen auf den Vorwurf der Jugendgefährdung durch die Darstellung von Sex in Mass Effect (BioWare, 2007), der von Cooper Lawrence im Fernsehen formuliert wurde. Bereits in dieser Analyse – die geschilderten Reaktionen gehen Gamergate sechs Jahre voraus – sind sowohl die reaktive Wirkmacht der Identität als auch die Argumentationsstrukturen und die misogynen Tendenzen, die Gamergate geprägt haben, deutlich sichtbar. Gamergate entzündete sich an Anschuldigungen gegen die Spielentwicklerin Zoe Quinn, für eine Rezension ihres Spiels Depression Quest (Zoe Quinn, 2013) sexuellen Kontakt zu einem Journalisten gehabt zu haben. Diese Vorwürfe, welche ihr Ex-Freund impliziert hatte, wurden von ihm in einem nachträglichen Kommentar allerdings wieder verworfen (vgl. Gjoni 2014, Zugriff am 29.06.2015). Durch die darauf folgende Welle an Harassment83 fühlte sich Quinn dazu genötigt, ihr Zuhause zu verlassen. Die Empörung steigerte sich zu einem allgemeinen Konflikt zwischen Gamerinnen und Spielekritikerinnen und -journalistinnen, in dessen Verlauf auch die feministische Popkultur-Kritikerin Anita Sarkeesian (und später auch die Spielentwicklerin Brianna Wu) aufgrund von Drohungen untergetaucht ist (vgl. Stuart 2014, Zugriff am 29.06.2015). Dies führte zu einer Reihe von Artikeln, die die Gamer-Identität für tot erklärten.84 Hierauf reagierten einige Gamerinnen mit der Bildung von Verschwörungs82

Das Maskulinum ist in diesem Fall angebracht, da dieses Zielpublikum als weiß, jung und männlich konstruiert wurde (vgl. Rhodes 2015, Zugriff am 29.06.2015). 83 Ich greife hier auf den englischen Begriff zurück, da das Deutsche m.E. nur unzureichende Entsprechungen für dieses Wort hat, welches sowohl Belästigung als auch Bedrohung oder Mobbing heißen kann. 84 Vgl. z.B. jene von Leigh Alexander (2014, Zugriff am 29.06.2015), Alec Kubas-Meyer (2014, Zugriff am 29.06.2015), Luke Plunkett (2014, Zugriff am 29.06.2015) und Dan Golding (2014, Zugriff am 29.05.2015).

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5.5 Metamediale Parapatrialität

theorien einer feminist agenda, die die aktive Kontrolle über die Kulturindustrie suche.85 Die Beobachtung von Dutton et al., dass die Diskussionsplattformen, auf denen sich solche Konflikte entladen, maßgeblich deren Form beeinflussen (vgl. Dutton, Consalvo und Harper 2011, S. 298), potenzierte sich in der Überlappung zwischen der Gaming-Community und den Nutzerinnen des imageboard 4chan86 und später, nachdem die Administration von 4chan die Gamergatedebatte verboten hatte, 8chan87 , in welchen einerseits eine Wertschätzung von Gruppenidentität und andererseits ein schwelendes Handlungspotenzial vorherrscht88 (vgl. Sandberg Zugriff am 29.06.2015). Diese Plattformen, die ständige, anonyme Aktivität evozieren, sind stärker noch als Foren oder YouTube davon betroffen, dass „an open media landscape can not only allow sexist discourse to emerge, but create a space for it to be accepted, if not actively condoned and reinforced“ (Dutton, Consalvo und Harper 2011, S. 303). Das ursprüngliche Anliegen der Korruption im Gaming-Journalismus ging angesichts der Angriffe in der öffentlichen Debatte unter. Der Einwand, es ginge eigentlich um Ethik im Spieljournalismus, wurde von vielen als so lächerlich eingestuft, dass es zu einem Mem89 wurde. In Hinsicht auf die Heimatsfrage ist hier hervorzuheben, dass die ohnehin defensive Identität der Gamerin in ausgerechnet diesem Fall solch eine Dynamik entwickelt hat. Die vorhergehenden Angriffe wie die Killerspieldebatte oder die von Dutton et al. untersuchte Kritik von Mass Effect hatte ihren Ursprung außerhalb der Gemeinschaft. Die Reaktionen, so ähnlich sie Gamergate auch waren, konzentrierten sich von daher auf Einzelpersonen oder Institutionen. 85

Hier werden erstaunliche Ähnlichkeiten zu dem Backlash gegen Cooper Lawrence sichtbar. So beschreiben Dutton et al., wie ‚Feministin‘ als Beschimpfung benutzt wird, „the implication being that feminism is negative, and Cooper’s arguments are misplaced and foolish because they are borne of feminism“ (Dutton, Consalvo und Harper 2011, S. 296). Mia Consalvo, die als Vorsitzende der Digital Games Research Association (DiGRA) im Zuge von Gamergate selbst ins Visier geriet, wiederholt diese Beobachtung angesichts der Verschwörungstheorien: „[W]hat they’re trying to do is say if you’re a feminist, your work is automatically discredited. You are discredited. You are not an academic“ (Mia Consalvo nach Straumsheim 2014, Zugriff am 29.06.2015). Diese Verschwörungstheorie existierte allerdings bereits vor Gamergate. So designte die Illustratorin Elizabeth Simins bereits vorher das inzwischen weit verbreitete Logo (und T-Shirt) der gaming’s feminist illuminati als Reaktion auf entsprechende Verschwörungstheorien (vgl. Kotzer 2014, Zugriff am 29.06.2015). 86 https://www.4chan.org/ 87 https://8ch.net/ 88 Zur Funktionsweise und den politischen wie ästhetischen Potenzialen von 4chan vgl. auch Goriunova (2013). 89 So werden auf dem tumblr http://itsaboutethicsingamesjournalism.tumblr.com/ popkulturelle Zitate verfremdet, sodass alles darauf zurückzuführen zu sein scheint.

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5.5 Metamediale Parapatrialität

Diese Form der Aufsplitterung und Frontenbildung der Gaming-Sphäre bedurfte erst einer wahrgenommenen Bedrohung von innen. Durch die Positionierung gegen die Gamer-Identität von eigentlich als verbündet empfundenen Akteurinnen (Produzentinnen, Journalistinnen, weite Teile der Gaming-Community) wurde der Konflikt zu einem territorialen, da die Räume der Szene auf einmal unterwandert, unsicher und nicht mehr einzuschätzen gesehen wurden. Diese Deterritorialisierung der ‚Gaming-Sphäre‘, die den Eindruck einer grundsolidarischen und ideologisch homogenen Gruppe zerstörte, zog eine Regruppierung unter dem Hashtag Gamergate nach sich, welche sich als nomadische Kriegsmaschine nach Deleuze und Guattari begreifen lässt. Das Harassment, welches die zum Feindbild überhöhten Zielpersonen von Gamergate erfuhren, produzierte für diese – und allgemein für weibliche, feministische oder anderweitig dem Feindbild entsprechende Akteurinnen – einen potenziellen Bedrohungsraum, der durch die Veröffentlichung privater Daten (doxing) nicht auf den digitalen Raum beschränkt blieb, sondern eine Überlappung mit dem physischen Raum erzeugte. Gamergate kann man so als das sehen, was Deleuze und Guattari nach Virilio fleet in being nennen, „die Aufgabe, einen offenen Raum mit einer Wirbelbewegung zu besetzen, deren Wirkung an jedem beliebigen Punkt auftauchen kann“ (Deleuze und Guattari 1992, S. 499). Unter dem Angriff der Organe des Gamings, die in gewisser Form als diskursive Machtzentren des Gaming-Raums gesehen werden können, kam es zu einer ‚Staatslosigkeit‘ der Gamer-Identität, deren Anhängerinnen daraufhin einen diffusen Raum nomadisch besetzten, was – wie bereits in Kapitel 4.3 ausgeführt – ein Akt der Unbeweglichkeit und der kompromisslosen Territorialität darstellt. Dies führt mich zurück zu einigen der vorhergegangenen Thesen, insbesondere jener der komplexen Überlappung parapatriotischer Räume90 und der protonationalen Eigenschaften medialer Heimaten. Rhodes’ Metapher der Balkanisierung trifft es m.E. sehr gut: Balkanization, then, is almost never what it seems from the outside. To accept the crumbling superpower as its initial stat is to overlook the depth and complexity of its historical dimensions. The apparent unity of that superpower is almost always an artificial imposition, and its removal unleashes social and cultural dynamics that it is the purpose of federations and empires to lash together. When those dynamics emerge, they are often so distorted by their decades in the crucible of hegemony that they find it difficult to resist violence (Rhodes 2015, Zugriff am 29.06.2015). 90

T.L. Taylor (2006) führt diese Überlappungen des „allegedly ‚utopian‘ space for gamers“ (Dutton, Consalvo und Harper 2011, S. 303) mit bestehenden Identitäten und Machtstrukturen in dem Artikel Does WoW Change Everything? How a PvP Server, Multinational Player Base, and Surveillance Mod Scene Caused Me Pause näher aus.

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5.5 Metamediale Parapatrialität

Die kulturelle Hegemonie des weißen jungen Manns91 als Inbegriff des „Gamers“, die durch die Kritik von Innen in Frage gestellt wurde, bedingte diesen Zusammenbruch und die Neuformierung identitärer Gruppen also zumindest teilweise. Eine weitestgehend gescheiterte Mobilisierung kann man im Fall der ‚Netzgemeinde‘ beobachten. Im Sprachgebrauch werden damit zumeist die Nutzerinnen der Sozialen Netzwerke gemeint und zwar unabhängig von der Plattformen, auf denen sie aktiv sind. Das Scheitern ist m.E. an mehreren Faktoren festzumachen. Erstens war Netzgemeinde zunächst ein von außerhalb der damit bezeichneten Gruppe geprägter Begriff. Die Idee einer in irgendeiner Form homogenen und vom Rest der Gesellschaft verschiedenen Netzgemeinde war von Anfang an problematisch, da das Internet keine homogene Kultur hat. Da der Raum des Internets nur über seine Konkretisierungen – also über unterschiedliche Websites – wahrgenommen werden kann, liegt die Parapatrialität eher bei diesen als im Internet per se. Die Netzgemeinde würde sich also eher als eine infrastrukturelle denn als eine metamediale parapatriotische Bindung begreifen lassen. Auch die Implikation, die Netzgemeinde bezeichne irgendwie ‚alle Menschen, die das Internet benutzen‘, bietet noch keine Identifikationsangebote. Der Versuch, diese Leerstelle mit kulturellen Affekten zu füllen – so z.B. mit Interesse für Gesellschaftsveränderungen durch digitale Technik und netzpolitische Themen – scheint mehr Erfolg zu versprechen. Jedoch lassen sich hier die Adressierungen der Netzgemeinde durch Sascha Lobo, Autor und prominenter Sprecher in netzpolitischen und -kulturellen Belangen, illustrierend für das Scheitern auswerten: Auf der Konferenz re:publica92 hielt Lobo 2014 eine „Rede zur Lage der Nation93 “, in der er das fehlende politische Engagement der Netzgemeinde (insbesondere das Ausbleiben der Spendenbereitschaft für netzpolitischen Aktivismus) kritisierte. 2015 sagte er seine Keynote, die eigentlich zur Tradition der re:publica gehörte, ab. Einige Artikel verweisen auf „eine gewisse Frustration, dass sich so wenig im Netz bewegt“ (Sascha Lobo sagt Re:publica-Rede ab 2015, Zugriff am 30.06.2015) als einen Grund für die Absage. In seiner Rede von 2014 betonte Lobo das Potenzial der Idee der Netzgemeinde, die er auffordert, zu einer Lobby in Sachen der Netzpolitik zu werden, wobei er den Begriff auch kritisiert, diese Kritik aber für gerechtfertigt hält: 91

Auch Dutton et al. weisen darauf hin, dass geek masculinity „still valorizes traits such as heterosexuality and whiteness“ und „some fans attempt to reinscribe hegemonic norms relative to masculinity, and the ‚proper‘ performances of femininity [into gaming spaces]“ (Dutton, Consalvo und Harper 2011, S. 300, 303). 92 https://re-publica.de/ 93 https://youtu.be/3hbEWOTI5MI

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5.5 Metamediale Parapatrialität

Aber eigentlich ist alles egal, man kann das Ganze auch Netzgemeinde nennen. Ich weiß, dass einige von euch mit dem Begriff nur mäßig glücklich sind, aber irgendwo stand einmal so diese leichte Piefigkeit, die da mitschwingt, das Selbstzufriedene, das ein bisschen Ziellose: Wir sind halt eine Gemeinde und das reicht doch auch auf eine Art, dass das ganz treffend für die Netzgemeinde ist. Aber trotzdem lasst uns den Begriff einfach adoptieren oder annektieren, was ein bisschen mehr in Mode ist94 [. . . ] (Lobo 2014, Zugriff am 30.06.2015, 14:07).

Diese „Standpauke, die die Netzgemeinde ins Mark trifft“ (Weitekamp 2014, Zugriff am 30.06.2015), findet sich auch in Lobos Kolumne auf Spiegel Online 95 vom 10.06.2015 wieder, allerdings ohne die Referenz auf die Netzgemeinde. Stattdessen wendet er sich hier an „Sie, de[n] Durchschnittsbürger“, von dem er verlangt: „[R]eißen Sie sich endlich zusammen, kümmern Sie sich um die Zukunft – die ohne Zweifel digital vernetzt ist – und engagieren Sie sich“ (Lobo 2015, Zugriff am 30.06.2015). In dem Jahr zwischen der Rede auf der re:publica und diesem Artikel hat sich die Idee einer politisch mobilisierbaren Netzgemeinde also weitestgehend verloren, was auch Markus Beckedahls Keynote von der re:publica 2015 bestätigt, welche bereits den Titel „Die Netzgemeinde ist am Ende. Jetzt geht’s los“ trägt: Also, die Zeiten sind eigentlich vorbei, dass man sich hinstellen kann und sagen kann: Hallo Netzgemeinde, so wie so eine Armee oder so, kommt mal her und löst das mal für uns. Ihr seid alle die Netzgemeinde. Die ganze Gesellschaft ist die Netzgemeinde. Es gibt diese Netzgemeinde gar nicht mehr, es gibt nur uns, die wir diese digitale Gesellschaft gestalten können und müssen, sonst müssen wir uns damit abfinden, dass andere die Regeln für unsere zukünftige Gesellschaft schaffen, dass wir es quasi Unternehmen überlassen, quasi diese Regeln festzusetzen, in den privatisierten Öffentlichkeiten, die wir alle nutzen96 (Beckedahl 2015, Zugriff am 30.06.2015, 49:31).

Die Unwirksamkeit der Netzgemeinde hat aus der Perspektive der Parapatrialität mehrere Gründe: Erstens bildet das Internet keinen klar abgegrenzten Raum. Ähnlich wie das Container-Modell des Raums nicht zu einer heimatlichen Bindung taugt, bildet das Internet als Ganzes keinen Ort der Selbstverortung. Zweitens wirken die Bedrohungen, die zur Mobilisierung rhetorisch aktiviert werden wie z.B. die Überwachung durch die Geheimdienste nicht als Bedrohung der konkreten Räume. Obwohl eine Überwachung, wie immer wieder dargestellt wird, das Verhalten von Menschen beeinflusst, so schränkt sie doch nicht aktiv die 94

Eigene Transkription. http://www.spiegel.de/ 96 Eigene Transkription. 95

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5.5 Metamediale Parapatrialität

Nutzung der parapatriotischen Räume des Netzes wie z.B. der Sozialen Netzwerke ein. Während beim vorherigen Beispiel von Gamergate sowohl die Räume (nämlich jene, in denen über Videospiele gesprochen wird) als auch die mutmaßliche Bedrohung (der Verbot bestimmter Inhalte in Spielen) sehr konkret waren, reichte die Gefahr der Überwachung noch nicht, um bei einer kritischen Masse eine zukünftige Verlusterfahrung zu evozieren. Drittens bestand um die Netzgemeinde noch keine protonationale Erzählung, die eine kohärente Identität hervorbringen konnte. Während ‚Gamer‘ mit einer zumindest in die 90er Jahre zurückreichende Geschichte und einer annähernd deutlichen Vorstellung einer Gamer-Identität97 ausgestattet war, war die Netzgemeinde als Gruppe einerseits von außen konstruiert und andererseits ohne klares, historisch gefestigtes definitorisches Merkmal. So spricht Lobo auch von den „Internet- und Sauerstoffsüchtigen“, was die Ubiquität der digitalen Technologien und damit auch die raumübergreifende Relevanz der damit verbundenen politischen Probleme demonstriert (vgl. Lobo 2014, Zugriff am 30.06.2015, 12:49). Somit wurden die Anliegen der 2014 noch als aktivistisch konstruierten Netzgemeinde in eine breitere Öffentlichkeit integriert, wo die Partikularinteressen des Internets als Raum in Konkurrenz mit anderen öffentlichen Themen treten und so an Priorität verlieren. Es ließe sich also sagen, dass der Netzgemeinde die gemeinsame habitualisierte Raumerfahrung fehlte, um eine parapatriotische Bindung zu erzeugen, welche mobilisiert werden kann. Das Scheitern einer metamedialen Superparapatria ‚Internet‘ in diesem Fall ist jedoch nicht indikativ für die Unmöglichkeit des Internets als Parapatria. Zumindest im Sprachgebrauch ist „Ich komme aus dem Internet“ inzwischen durchaus eine gängige Formulierung. Der YouTuber und Unternehmer Hank Green formulierte in einem Video als Grund dafür, nicht in der lokalen Politik aktiv zu sein: „I am not really from Missoula, Montana; I’m from the internet“ (Green 2015, Zugriff am 30.06.2015). Dies weist darauf hin, dass das Internet deswegen keine metamediale Parapatria sein kann, weil metamediale Parapatrien kollektiv konstruierte Räume sind, während die Erfahrung des Internets als Ganzes hochgradig kontingent ist. Dadurch, dass sich die Erfahrung des Internets für jede Nutzerin aus je verschiedenen Räumen zusammensetzt, lässt das Internet sich als Sinnbild für die revidierte Heimaterfahrung per se begreifen: Als individuelles und veränderliches Netz heimatlicher Räume. Es handelt sich also notwendiger97

„Even when the underlying diversity of the videogame audience was acknowledged, it was often on the premise that a shared love of videogames transcended other differences“ (Rhodes 2015, Zugriff am 29.06.2015).

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5.5 Metamediale Parapatrialität

weise um eine Mischform der hier vorgestellten Arten von Parapatrialität. Eine bemerkenswerte Konfiguration räumlicher Verortung findet sich in der Figur der digital nomads, der Digitalen Nomadinnen. Darunter versteht man (meist junge) Leute, die häufig den Wohnort (meistens sogar das Aufenthaltsland) wechseln und ihr Geld in irgendeiner Form im Internet verdienen, z.B. als Bloggerin oder Webentwicklerin (vgl. Chimoy 2015, Zugriff am 30.06.2015). Dabei ist das tatsächliche Unterwegssein nicht ausschlaggebend für die Befähigung, die Identität anzunehmen: „Auch jemand, der jeden Tag von zuhause arbeitet, kann ein Digitaler Nomade sein. Wichtig ist nur, dass er ortsunabhängig ist“ (ebd.). Was im ersten Moment wie eine radikal dezentralisierende Bewegung gelesen werden kann, entlarvt sich jedoch in Aussagen wie: „Ich lösche Kommentare und banne Facebook-Fans mittlerweile ohne mit der Wimper zu zucken. Ich will nur positive Menschen in meinem Wohnzimmer 98 “ (Biesalski 2015, Zugriff am 30.06.2015) als Re- statt als Dezentralisierung. Die Mobilität im physischen Raum scheint in der Figur der Digitalen Nomadin mit einer ausgeprägten Form des digitalen Nestbaus einher zu gehen. In dem Artikel „Kein WLAN ist noch harmlos“: 10 fiese Stolperfallen für Digitale Nomaden – und wie du sie vermeidest nennt Marcus Meurer (2015, Zugriff am 01.07.2015) zum einen eine unbedingte Abhängigkeit von den eigenen technischen Geräten99 und zum anderen die komplexen Überlappungen zwischen digitalem und physischem Raum, welche die Funktionstüchtigkeit digitaler Dienste beeinflussen – wenn z.B. kein WLAN vorhanden ist oder der Zahlungsdienst PayPal aus bestimmten Ländern nicht zugänglich ist – als Probleme für Digitale Nomadinnen (vgl. ebd.). Das heißt, dass die Flexibilität, die gewonnen wird, mit einer Verlässlichkeit der technischen Infrastruktur einhergehen muss. Die Digitalen Nomadinnen weisen daher nicht die Intensität des Deleuzeschen Nomadismus auf: Ihr Lebensstil verlagert die Stabilität vom physischen in den digitalen Raum, wo sie an vorhersehbaren Orten zu finden sind, nämlich auf den Sozialen Netzwerken und ihren Blogs, sie wohnen im Internet. Wie oben jedoch bereits ausgeführt bietet das Internet per se keinen kollektiven Raum. So gibt es auch für Digitale Nomadinnen die DNX,100 eine Konferenz zum Austausch, die jedoch an einem physischen Ort stattfindet. Das Digitale Nomadentum scheint im digitalen Raum nicht als kollektive Bewegung wahr98

Eigene Hervorhebung. „Ohne Strom keine Arbeit am MacBook – das heißt: keine Einnahmen“ (Meurer 2015, Zugriff am 01.07.2015). 100 http://www.dnx-berlin.de/ 99

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5.5 Metamediale Parapatrialität

nehmbar zu sein. Es ist also davon auszugehen, dass diese Raumkonfiguration eine solipsistische Erfahrung produziert, die als Bewegung hinsichtlich der gesellschaftlichen Solidarität kritisch zu hinterfragen ist. Eine Forschungsaufgabe, die sich aus meinen Analysen der gescheiterten Mobilisierung der Netzgemeinde und den Digitalen Nomadinnen ergibt, lautet also, ob und in welcher Form Parapatrien so große kollektive Räume schaffen könnten, dass sie gesamtgesellschaftliche Relevanz entwickeln können, oder ob sie aufgrund der neuen Netzstruktur der Heimat nur Teilkollektive herstellen können, die allerdings notwendigerweise auch Teile der Gesellschaft ausschließen. Genauso ist zu bedenken, dass der wahrgenommene Freiheitsgewinn der Digitalen Nomadinnen nicht ohne die Rückbindung an den Nationalstaat und die über eine kapitalistische Angestelltenkultur produzierte international zugängliche Infrastruktur zu denken ist. Wenn Meurer also beschreibt, dass bei nachgewiesenem amtlichen Wohnsitz in Deutschland auch in Myanmar auf PayPal zugegriffen werden kann (vgl. Meurer 2015, Zugriff am 01.07.2015), dann bedeutet dies, dass tradierte Formen der Zugehörigkeit und damit verbundene Privilegien keinesfalls außer Kraft gesetzt sind, sondern sich eher noch deutlicher zeigen. Ähnlich wie es nach Deleuze und Guattari die primitiven, d.h. nicht staatlich organisierten Gesellschaften nie ohne, sondern immer neben einem Staat gegeben hat (vgl. Deleuze und Guattari 1992, S. 493 f.), so kann das Digitale Nomadentum nur vor dem Hintergrund der physischen und sozialökonomischen Stabilität von Nationalstaat und internationalen Konzernen bestehen. Diese durch digitale Räume hervorgebrachte Identität wäre also auf die Reproduktion von (globalen) Privilegien und Machtstrukturen hin noch einmal genauer zu untersuchen.

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6 Schlussbetrachtung

6 Schlussbetrachtung Medien als Heimat zu positionieren verlangt geradezu nach Kritik: Entwertet dies nicht den Begriff der Heimat? Befördert diese Perspektive nicht eine weitere und unnötige Verlagerung von Identitätsaspekten in den Bereich der kommerziellen Medien? Und das dazu noch mit einem Begriff, der bisher eine Bastion der physischen Lokalität, des ‚Echten‘ und ‚Authentischen‘ darstellte? Stellt Parapatrialität nicht die nächste Stufe der Entfremdung dar, die den Raum und die Gesellschaft ohnehin durchdringt? Sollte man sich gegen diese Ansicht nicht wehren? Auf diese Fragen antwortet man am besten mit entsprechenden Gegenfragen: Ist nicht die Vorstellung einer echten, authentischen Heimat nicht in sich selbst nostalgisch? Klammert sich dieser Begriff nicht an eine obsolete Vorstellung einer festen, unveränderlichen Identität, die in keinem Fachdiskurs mehr Bestand hat? Blendet er nicht die Allgegenwart und Räumlichkeit unserer Medien zugunsten einer Vorstellung eines festen kohärenten Welt-Raums aus? Ist Heimat nicht schon seit jeher medial konstruiert? Das in dieser Arbeit vorgestellte Konzept medialer Heimat ist das Ergebnis des Ringens um Vokabular, mit dem mediale Konfigurationen und ihre emotionalen Effekte beschreibbar gemacht werden sollen. Es ist auch ein Ringen um Kohärenz in einer pluralistischen und dadurch immer subjektiveren Medienlandschaft, die sich kaum mehr in ihrer Gesamtheit erfassen lässt. Die Medientheorie muss jedoch genau diese Form von Zusammenhang herstellen können, wenn sie sich nicht in der Analyse von singulären Partikularismen erschöpfen will. Die Ubiquität digitaler Medien zeigt die Notwendigkeit auf, Medien stärker in andere Felder der Individuation theoretisch zu integrieren. Die Nutzung von Medien in allen möglichen Zeiten, Räumen und Kontexten beraubt sie ihrer Spezifität gegenüber anderer Praktiken: Mediennutzung ist immer schon eine disperse Praxis. Sie permeiert historisch nicht-technische Lebensbereiche und so auch den des Zuhauses und der Heimat. Das Konzept der parapatriotischen Bindung fungiert als Sammelbegriff identitätsstiftender Praxisfelder wie Fandom, Markenbindung, Habitualisierung und Selbstinszenierung etc., die in medialen Räumen stattfinden. Sie ist Ausdruck einer Dekonstruktion der klassischen singulären Heimatvorstellung, eine notwendige Pluralisierung zu der Idee nicht aufeinander reduzierbarer Heimaten, die der Pluralisierung der Räume und der Identitäten gerecht wird. Die Heimat des Individuums ist somit als synchron und diachron hergestelltes Netz aus Sehnsuchtsräumen zu verstehen, von denen die medialen Heimaten, die Parapatrien, eine Art, aber nicht die einzigen sind. Dabei ist

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6 Schlussbetrachtung

wichtig zu bedenken, dass Heimaten – wie Identität – erst retrospektiv benannt werden können, wenn sie in die Biografie, in das erzählte Selbst Eingang gefunden haben. Sie bilden eine Topografie der Selbsverortung, welche längst nicht mehr auf den geografischen Raum beschränkt ist. Letztendlich ist Parapatrialität auch der Versuch, kulturräumliche Verbundenheit jenseits eines monolithischen Vaterlands oder einer nostalgisch verklärten Herkunftslandschaft zu denken, Heimat zu dynamisieren, entmystifizieren und für neue Positionierungen des Menschen nutzbar zu machen. Die mediale Heimat ist eine nomadische, eine paradoxe Heimat. Aber um auf den eingangs zitierten Satz von Braidotti zu verweisen: Manche Zustände und Erfahrungen können zusammenfallen, einfach weil sie einige Merkmale gemeinsam haben. Dabei wehrt sich der hier erarbeitete neue Heimatbegriff gegen die Dekadenzrhetorik, die ihn so oft begleitet, und damit auch gegen die Positionierung des Menschen als grundsätzlich entwurzelt und desorientiert. So wie Reckwitz versucht, die Veränderungen der Subjektkulturen weder als reine Forschrittserzählung noch als Abfolge von radikalen Umbrüchen zu theoretisieren (vgl. Reckwitz 2010, S. 19 f.), verstehe ich die Revision von Heimat weder als Bruch mit noch als Weiterführung von traditionellen Begriffen der Heimat. Wogegen ich mich hier jedoch noch einmal deutlich aussprechen will, ist der Gedanke von Heimat als Ursprung. In der Idee eines singulären Zentrums des Lebens schwingt die Idee eines stabilen inneren Subjekts mit, welche in einer Spiegelung seines Selbst ein räumliches Zentrum seiner Biografie hat. Vielmehr soll der revidierte Heimatbegriff weiche Übergänge von Menschen und ihren Räumen zulassen, wobei gemäß des Netzwerkgedankens kein Zentrum identifiziert werden kann, sondern nur Knoten und Kanten, wobei den Zwischenräumen ebenso viel Gewicht zukommt wie den Punkten verdichteter Affekte, denn das Unterwegssein und das Fortsein von Räumen ist für die Heimaterfahrung maßgeblich. Die Engführung von Medien und Heimat verleiht Medien letztendlich auch soziales Gewicht, welches sich nicht auf ihre Inhalte reduzieren lässt. Diese Positionierung öffnet Perspektiven für kritische Medientheorie, die den medialen Raum in seinen geopolitischen Überlappungen betrachtet, die ethische Fragen in einem Feld der ökonomischen Interessen aufwirft und die Verantwortung für die Konstruktion medialer Räume und Kulturen nicht deterministisch auf Fragen der Technologie reduziert. Ebensowenig wie Raum ein funktionaler Container für Dinge und Handlungen ist, lässt sich Technik rein instrumental betrachten. Die Digital Nomads, die in Kapitel 5.5 besprochen wurden, sind die konsequente Weiterführung des Digital Natives – die digitalen Eingeborenen verla-

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6 Schlussbetrachtung

gern hier das Zentrum ihres physisch mobilen Lebens ins Digitale. Die augenfällige Ortlosigkeit der digitalen Nomadinnen wird durch den ihnen gemeinsamen Referenzpunkt der digitalen Medien und ihre Angewiesenheit auf deren raumund kontinuitätsstiftende Funktion konterkariert. In dem Gedanken der Parapatrialität ist daher auch eine Aufforderung enthalten, sprachliche Äußerungen wie „Ich komme aus dem Internet“ oder „Zuhause ist, wo WLAN ist“ ernst zu nehmen. Hier manifestieren sich jene Verortungsprozesse, die mediale Heimaten hervorbringen. Auch wenn Parapatrialität als Analyseperspektive viele Zusammenhänge neu oder auch überhaupt erst begrifflich fassbar macht, so öffnet das Konzept doch auch viele Fragen: Wie lässt sich unter der Berücksichtigung des Heimatcharakters medialer Räume das Verhältnis von Mediennutzung, Arbeit, Freizeit und Spiel bewerten? Unter der Berücksichtigung von Benjamins Engführung von Wohnen, Gewohnheit und Spiel: Wie beeinflusst Gamification die Parapatrialität medialer Räume? Gibt es und wie bedingt sich mediales Urlaubsverhalten? Welche Strategien werden verfolgt, um transmediale Diegesen parapatriotisch erfahrbar zu machen? Ein weiterer Komplex, der hier nur angerissen werden konnte, sind die Zusammenhänge zwischen Heimat, Macht, Staat und Ökonomie. Gerade im Zuge internationaler Verflechtungen wie der NSA-Überwachung; die Fragen internationaler, z.B. europäischer Urheberrechte aber auch der nationalen Partikularismen von Medienrecht und -nutzung sind hier weitestgehend unbeachtet geblieben, stellen aber weite Themenfelder dar, die unter dem Gesichtspunkt parapatriotischer Bindungen untersucht werden können und sollten. Auch die Vormachtstellung in der Etablierung bestimmter Nutzungen, z.B. von Google Earth und Maps in der Visualisierung von Karten und damit Weltbildern sind kritisch zu hinterfragen. Schließlich kann die vorliegende Arbeit nur als ein erster Versuch gelten, die Perspektive der Heimat jenseits von Inhalts- bzw. Ästhetikanalysen für die Medienwissenschaft nutzbar zu machen. Obwohl die soziale Komponente von Heimat, die immer wieder auf eine Enträumlichung des Konzeptes hindeutet, in weiterführenden Analysen nicht vernachlässigt werden darf, habe ich hier ein Konzept von Heimat vorgestellt, welches weniger vom Menschen als vom Raum und von seinen Eigenschaften her gedacht werden muss. So stellt sich hier nicht mehr die Frage: Wo finden Menschen Heimat? Viel mehr stellt sich die Frage: Wie verorten Räume Identitäten? Bzw.: Wie beheimaten Räume Menschen? Zur Hinführung an eine Antwort, so ließe sich in Hinsicht auf diese Arbeit mit Sicherheit sagen, ist es in jedem Fall notwendig, mediale Räume in diese Überlegungen miteinzubeziehen.

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Weitere Online-Plattformen, -Dienste und Apps

Weitere Online-Plattformen, -Dienste und Apps 4chan URL: https://www.4chan.org/ 60 minutes of dial-up modem sounds, noise, 56k, old internet connection URL: https://youtu.be/_jnc5qYfleA 8chan URL: https://8ch.net/ Amazon URL: http://www.amazon.de/ DB Deutsche Bahn URL: http://www.bahn.de/p/view/index.shtml Dial Up Sound URL: https://www.dialupsound.com/ DNX URL: http://www.dnx-berlin.de/ Facebook URL: https://www.facebook.com/ Flickr URL: https://www.flickr.com/ Game of Thrones URL: http://viewers-guide.hbo.com/ Glitchr URL: https://twitter.com/glitchr_ GMX URL: http://www.gmx.net/ Google Maps

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Weitere Online-Plattformen, -Dienste und Apps

URL: https://www.google.de/maps Instagram URL: https://instagram.com/ re:publica URL: https://re-publica.de/ Spiegel Online URL: http://www.spiegel.de/ Steam URL: http://store.steampowered.com/?l=german The Walking Dead URL: http://www.amc.com/shows/the-walking-dead Tumblr URL: https://www.tumblr.com/ Twitter URL: https://twitter.com/ Web.de URL: http://web.de/ Yahoo! URL: https://de.yahoo.com/

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Tweets

Tweets @mittelmaessig (Herr_Nordlicht), 22.04.2015 – 16:16 Uhr Zuhause ist, wo du automatisch mit dem WLAN verbunden wirst :o) https://twitter.com/mittelmaessig/status/590881844406657024 Zuletzt überprüft am: 24. Juli 2015

@falkmensch (Falke), 18.04.2015 – 22:17 Uhr Zuhause ist da, wo dein Handy sich automatisch ins WLAN einwählt...ˆˆ https://twitter.com/falkmensch/status/589523094886346752 Zuletzt überprüft am: 24. Juli 2015

@IAmDahool (dahool86), 06.04.2015 – 20:45 Uhr Zuhause ist, wo sich das W-Lan automatisch verbindet. https://twitter.com/IAmDahool/status/585151323718430720 Zuletzt überprüft am: 24. Juli 2015

@sunny_judith (Dornröschen), 06.04.2015 – 18:44 Uhr Zuhause ist wo WLAN ist... Ich glaube ich bin #jetzt daheim @Prossecojule https://twitter.com/sunny_judith/status/585120999689039873 Zuletzt überprüft am: 24. Juli 2015

@Apfelkernchen (Manu), 17.10.2013 – 12:53 Uhr Wer seinen Twitteraccount mit seinem Facebookprofil verknüpft hat, hat die Kontrolle über sein Leben verloren. https://twitter.com/Apfelkernchen/status/390792694441996288 Zuletzt überprüft am: 24. Juli 2015

@ezdella (Stresserella), 06.10.2013 – 13:34 Uhr Neulich in der Singlebörse Ich so: Ich habe nicht so viele Geheimnisse. Er so: Hast du eigentlich nen Twitteraccount? Ich so: Twitter? Was?

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Tweets

https://twitter.com/ezdella/status/386816829072867328 Zuletzt überprüft am: 24. Juli 2015

@farbenlosewelt (Kat), 21.10.2013 – 15:21 Uhr Hallo liebe RL Menschen. Nein, ich möchte euch nicht sagen, wie ich auf Twitter und Instagram heiße. https://twitter.com/farbenlosewelt/status/392279399124729856 Zuletzt überprüft am: 24. Juli 2015

@nikstyles (Nik), 05.12.2012 – 11:32 Uhr falls ihr mitbekommen solltet, dass mich einer aus dem RL hier auf twitter sucht, ich heisse Achmed und habe eine Glatze. https://twitter.com/nikstyles/status/276272942801895424 Zuletzt überprüft am: 24. Juli 2015

@rudidutschke (Christian :P), 10.04.2013 – 21:36 Uhr Meine persönliche Zombieapokalypse beginnt sobald meine Verwandtschaft erfährt wie ich auf Twitter heiße. https://twitter.com/rudidutschke/status/322070604620632065 Zuletzt überprüft am: 24. Juli 2015

@teddybaeruj (TeddyBaer), 22.09.2013 – 22:03 Uhr Wo war eigentlich mein Schutzengel, als ich meinem Chef damals meinen Twitteraccount gezeigt habe? https://twitter.com/teddybaeruj/status/381871317953568768 Zuletzt überprüft am: 24. Juli 2015

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Film- und Serienverzeichnis

Film- und Serienverzeichnis Game of Thrones USA, 2011-heute HBO, 50-67 Min. 50 Episoden in 5 Staffeln

The Matrix USA/AUS, 1999, F, 136 Min R: Andy & Lana Wachowski

The Walking Dead USA, 2010-heute AMC, 43 Min. 67 Episoden in 5 Staffeln

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Spieleverzeichnis

Spieleverzeichnis Foldit University of Washington (USA), 2008 Published für PC

Depression Quest Zoe Quinn (USA), 2013 Published für PC

Dragon Age: Inquisition BioWare (CND), 2014 Published durch Electronic Arts für PC, PlayStation 3, PlayStation 4, Xbox 360, Xbox One

Mass Effect BioWare (CND), 2007 Published durch Microsoft Game Studios und Electronic Arts für PC, Xbox 360

Munich Bus Simulator TML-Studios (D), 2014 Published durch Aerosoft GmbH für PC

The Walking Dead Telltale Games (USA), 2013-2014 Published für Android, iOS, PC, PlayStation 3, PlayStation 4, PlayStation Vita, Xbox360, Xbox One

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Hiermit versichere ich, dass ich die Arbeit selbstständig angefertigt, außer den im Quellen- und Literaturverzeichnis sowie in den Anmerkungen genannten Hilfsmitteln keine weiteren benutzt und alle Stellen der Arbeit, die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen sind, unter Angabe der Quellen als Entlehnung kenntlich gemacht habe.

Unterschrift Alena Dausacker

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