Unregistered Trademarks in EU Trademark Law Verena von Bomhard and Artur Geier Nicht Eingetragene Marken Als Relative Eintragungshindernisse Verena von Bomhard and Artur Geier Strategies to Avoid Risks Related to Trademark Squatting in China Michele Ferrante The New Trademark Opposition System in Mexico John M. Murphy Corrective Advertising in Lanham Act Damages: The Use and Misuse of Past Advertising Expenditures D. Scott Bosworth, Russell W. Mangum, and Eric C. Matolo Commentary: C-O-P-Y-R-I-G-H-T: What Does That Spell? Star Athletica v. Varsity Brands Reimagines Protection for Useful Articles Jonathan E. Moskin Commentary: Monetary Recovery for “Infringement” of EU Trademarks In Statu Nascendi Martin Viefhues Book Review: Trade Mark Law in Europe. Alexander von Mühlendahl, Dimitris Botis, Spyros Maniatis, and Imogen Wiseman Jane Collen Book Review: The Protection of Intellectual Property in International Law. Dr. Henning Grosse Ruse-Khan Claus M. Eckhartt

May–June, 2017

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NICHT EINGETRAGENE MARKEN ALS RELATIVE EINTRAGUNGSHINDERNISSE ∗ 1 By Verena von Bomhard 2 and Artur Geier 3 I. EINFÜHRUNG Das europäische Markensystem ist ein reines Registersystem. Unionsmarken entstehen durch Eintragung beim EUIPO 4 bzw. durch internationale Eintragung bei der WIPO 5 und Benennung der Europäischen Union als Schutzgebiet. Das Erfordernis der Eintragung ist in Art. 6 UMV6 ausdrücklich festgehalten. Unionsmarkenrechtlicher Schutz kann auch nicht durch notorische Bekanntheit im Sinne von Art. 6bis PVÜ 7 entstehen. 8 Auch die zweite Ebene des europäischen Markenrechts konzentriert sich auf die Registerrechte. In Erwägungsgrund 4 der

∗ This article was first published (in German) in 2016 in MarkenR, pages 497 et seq. Its original reproduction here in German and in an updated English version (in a less extensive form) is with the kind permission of Carl Heymanns Verlag / Wolters Kluwer. 1. Die Autoren bedanken sich bei Lasse Arffmann Søndergaard Christensen und Louise Thorning Ahle von Gorrissen Federspiel, Kopenhagen, für die aufschlussreichen Hinweise zum dänischen Recht. 2. Rechtsanwältin, BomhardIP, Alicante. 3. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Rechtsinformatik, Leibniz Universität Hannover. 4. Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum, früher Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM), Alicante. 5. World Intellectual Property Organization, Genf. 6. Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009, geändert durch Verordnung (EU) Nr. 2015/2424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015. 7. Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz gewerblichen Eigentums in der aktuellen Fassung nach der letzten Berichtigung, BGBl. 1985 II S. 975. 8. Z.B. EUIPO-BK, Entsch. v. 22.01.2013, R 1182/2011-4, Rn. 14 – CROWN Lounge. Dies steht mit Art. 6 UMV im Einklang. Art. 8 Abs. 2 lit. c UMV bezieht sich zudem lediglich auf solche Marken, die „in einem Mitgliedstaat im Sinne des Artikels 6bis [PVÜ] notorisch bekannt“ sind. Schließlich ist die EU selbst nicht Mitglied der PVÜ, sondern nur ihre Verbandsstaaten. Allerdings ist die EU durch das TRIPS-Übereinkommen der WTO gebunden, das in Art. 2 Abs. 1 vorsieht, dass Mitglieder die Art. 1-12 PVÜ erfüllen müssen, siehe Brand, in: Busche/Stoll/Wiebe (Hrsg.), TRIPs, 2. Aufl. 2013, Art. 2 Rn. 7 ff. Dementsprechend wäre auch auf europäischer Ebene durchaus über einen Schutz notorisch bekannter nicht angemeldeter Zeichen nachzudenken, siehe dazu Hasselblatt, in: Hasselblatt (Hrsg.), Community Trade Mark Regulation, 2015, Art. 6 Rn. 2; so schon Max-Planck-Institut, Study on the Overall Functioning of the European Trade Mark System, 2011, Part III Rn. 2.132; Knaak/Kur/v. Mühlendahl, GRUR Int. 2012, 197, 201; siehe auch Kur, IIC 2013, 790, 800.

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MRL 2008/95 9 wurde klargestellt, dass eine Vollharmonisierung nicht beabsichtigt war. Es sollten nur diejenigen Vorschriften angeglichen werden, die sich am unmittelbarsten auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken. Die MRL 2008/95 fand nach Art. 1 nur Anwendung auf solche Marken, die eingetragen, angemeldet oder mit Wirkung für einen Mitgliedstaat international registriert werden. Nicht eingetragene Markenrechte fanden nur insoweit Beachtung, als die MRL 2008/95 den Mitgliedstaaten gemäß Erwägungsgrund 5 ausdrücklich das Recht beließ, durch Benutzung erworbene Marken weiterhin zu schützen. Die neue MRL 2015/2436 10 bringt an dieser Stelle keine Änderungen. Auch wenn es nach Erwägungsgrund 8 erforderlich sei „über die beschränkte Rechtsangleichung, die mit der Richtlinie 2008/95/EG erreicht wurde, hinauszugehen und andere Aspekte des materiellen Markenrechts zu erfassen“ und nach Erwägungsgrund 9 eine unionsweite erleichterte Eintragung und Verwaltung voraussetzt, dass „nicht nur das materielle, sondern auch das Verfahrensrecht angeglichen werden“, belässt die MRL 2015/2436 gemäß Erwägungsgrund 11 lediglich wie zuvor den Mitgliedstaaten das Recht, durch Benutzung erworbene Marken auf nationaler Ebene zu schützen. Eine Harmonisierung des Rechts der Benutzungsmarken findet also weiterhin nicht statt. Obwohl sich sowohl das einheitliche als auch das harmonisierte Markenrecht auf die Registerrechte konzentrieren, sind nicht eingetragene Marken auch im europäischen Markenrecht selbstverständlich dennoch zu beachten. Dies gilt sowohl für notorisch bekannte als auch für nach nationalem Recht geschützte nicht eingetragene Marken. Diese spielen vor allem als relative Eintragungshindernisse und Nichtigkeitsgründe im Sinne von Art. 8 und 53 UMV eine wichtige Rolle. Hierauf – konkret auf die einschlägigen Vorschriften des Art. 8 Abs. 2 lit. c und Abs. 4 UMV – wird im Folgenden näher eingegangen, wobei der Einfachheit halber nur von Widerspruchsgründen gesprochen wird. Was die nach nationalem Recht geschützten Benutzungsmarken betrifft, ist die Rechtslage in den Mitgliedstaaten höchst unterschiedlich. Die Bandbreite reicht von Ländern, in denen Benutzungsmarken gar nicht anerkannt werden, über Länder mit variierenden Bekanntheitsschwellen bis hin zur Anerkennung von Markenschutz aufgrund bloßer Benutzung ohne weitere qualitative oder quantitative Anforderungen. Letzteres scheint (nur) in Dänemark zu gelten, weshalb der dortigen 9. Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008, die im Wesentlichen mit der Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 übereinstimmt. Insbesondere die für diesen Beitrag relevanten Passagen sind identisch. 10. Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015. Der Großteil der Regelungen muss von den Mitgliedstaaten entsprechend Art. 54 Abs. 1 bis zum 14. Januar 2019 umgesetzt werden.

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Rechtslage in der Besprechung von Art. 8 Abs. 4 UMV nähere Aufmerksamkeit geschenkt wird. II. NOTORISCH BEKANNTE MARKEN Ein Widerspruch kann gemäß Art. 8 Abs. 2 lit. c UMV auf eine ältere notorisch bekannte Marke gestützt werden. Der Widerspruchsgrund spielt eine untergeordnete Rolle, da wenig notorisch bekannte Marken nicht eingetragen sind und der Schutz nach Art. 6bis PVÜ im Falle der Eintragung nur dann zur Geltung kommt, wenn etwa die betreffende Marke zwar seit über fünf Jahren nicht benutzt wird, aber dennoch notorische Bekanntheit genießt, was für sogenannte Vintage-Marken zutreffen mag. 11 Hinzu kommt, dass notorisch bekannten Marken ohne Eintragung der Bekanntheitsschutz nach Art. 8 Abs. 5 UMV verwehrt ist, da dieser ausdrücklich eine „eingetragene ältere Marke“ voraussetzt. 12 Dennoch erlangt auch der Widerspruchsgrund des Art. 8 Abs. 2 lit. c UMV zuweilen Bedeutung und die entsprechende Rechtsprechung soll daher kurz dargestellt werden. Die Anwendung des Art. 8 Abs. 2 lit. c UMV hat drei Voraussetzungen. 13 Das fragliche Zeichen muss die Schwelle der notorischen Bekanntheit erreicht, dies muss im Zeitpunkt der Priorität oder Anmeldung der angegriffenen Unionsmarke bzw. Benennung der Union als Schutzgebiet einer internationalen Eintragung vorgelegen haben, und die jüngere Marke muss in den Schutzbereich der notorisch bekannten Marke fallen. Der letztgenannte Aspekt weist keine Besonderheiten auf, weil sich der Schutzumfang wie bei eingetragenen Marken nach Art. 8 Abs. 1 UMV richtet. Auch der temporale Aspekt ist jedenfalls rechtlich unproblematisch – beweistechnisch kann er natürlich Probleme

11. Wenn die Marke notorisch bekannt ist, sollte eine (aktuelle) Benutzung im Schutzgebiet nicht zu verlangen sein, siehe unten Abschnitt IV. Zum Schutz von VintageMarken nach nationalem Recht in Deutschland siehe zudem Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl. 2010, § 4 Rn. 26. Das EuG hatte sich mit einer solchen Marke im Falle Simca zu befassen, löste die Frage allerdings mithilfe der Bösgläubigkeit, siehe EuG, Urt. v. 08.05.2014, T-327/12 = GRUR Int. 2014, 1047 – Simca. 12. Siehe EuG, Urt. v. 22.06.2010, T-255/08 = GRUR Int. 2011, 63, Rn. 48 – JOSE PADILLA; siehe auch EUIPO, Prüfungsrichtlinien, Stand: 01.08.2016, Teil C, Widerspruch, Abschnitt 5, S. 5. Im Rahmen von Art. 8 Abs. 5 UMV reicht ein im Vergleich zu Art. 8 Abs. 1 lit. b UMV geringerer Grad der Ähnlichkeit zwischen der älteren und der jüngeren Marke aus, eine Verwechslungsgefahr wird nicht vorausgesetzt, eine gewisse Ähnlichkeit mit der Folge einer gedanklichen Verknüpfung wird als ausreichend erachtet, siehe dazu nur EuGH, Urt. v. 24.03.2011, C-552/09 P = MarkenR 2011, 170, Rn. 53 – Ferrero; EuGH, Urt. v. 20.11.2014, C-581/13 P und C-582/13 P = BeckRS 2014, 82421, Rn. 72 – GOLDEN BALLS; Eisenführ/Förster, in: Eisenführ/Schennen (Hrsg.), GMV, 4. Aufl. 2014, Art. 8 Rn. 244; ausführlich zur Entwicklung der europäischen Rechtsprechung v. Mühlendahl/ Botis/Maniatis/Wiseman, Trade Mark Law in Europe, 3. Aufl. 2016, Rn. 7.346 ff. 13. Siehe nur EUIPO, Entsch. v. 12.11.2014, B 1898751 – YELLOW LABEL.

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bereiten. Näher einzugehen bleibt lediglich auf das qualitative Element der Schutzentstehung, also die notorische Bekanntheit. 1. Keine Notwendigkeit des Schutzes in einem anderen Verbandsstaat Zunächst ist kein konventionsrechtlicher Sachverhalt erforderlich. Derjenige, der sich auf die notorische Bekanntheit beruft, muss also nicht Inhaber der Marke in einem anderen Verbandsstaat sein. Entscheidend ist nur die Bekanntheit an sich. 14 Art. 8 Abs. 2 lit. c UMV verweist auf die PVÜ. Als ältere Marken im Sinne von Abs. 1 sind demnach auch solche Marken anzusehen, die „in einem Mitgliedstaat im Sinne des Artikels 6bis der Pariser Verbandsübereinkunft notorisch bekannt sind“. Dies ist kein vollständiger Verweis auf alle Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 6bis PVÜ. 15 2. Bekanntheit des Zeichens als Marke Es herrscht Einigkeit darüber, dass ein Zeichen nur dann markenrechtlichen Schutz im Sinne von Art. 6bis PVÜ genießen kann, wenn es auch als Hinweis auf die betriebliche Herkunft benutzt wurde und aufgefasst wird. 16 Es muss also eine markenmäßige Benutzung vorliegen oder vorgelegen haben. Nicht ausreichend ist demgegenüber, wenn eine Bezeichnung dem Verkehr einfach nur bekannt ist, z.B. als Filmtitel 17, als Bezeichnung einer besonderen Vertriebsmethode 18 oder als ComicFigur 19. 3. Geographische Reichweite In seinem Urteil Fincas Tarragona aus dem Jahr 2007 20 hatte der EuGH Gelegenheit, sich zur notwendigen territorialen Erstreckung der Bekanntheit einer nach Art. 6bis PVÜ zu 14. Kochendörfer, in: BeckOK UMV, 2. Ed. 24.03.2016, Art. 8 Rn. 252. 15. v. Mühlendahl/Ohlgart/v. Bomhard, Die Gemeinschaftsmarke, 1998, § 5 Rn. 7. 16. EuG, Urt. v. 30.06.2009, T-435/05 = GRUR Int. 2010, 50, Rn. 31 – Dr. No; ausführlich zum Ganzen Kochendörfer, in: BeckOK UMV, 2. Ed. 24.03.2016, Art. 8 Rn. 251. 17. EuG, Urt. v. 30.06.2009, T-435/05 = GRUR Int. 2010, 50, Rn. 25 – Dr. No; EuG, Urt. v. 03.03.2016, T-778/14 = BeckEuRS 2016, 471576, Rn. 58 f. – COYOTE UGLY. 18. BGH, Urt. v. 10.04.2003, I ZR 276/00 = GRUR 2003, 973, 974 – Tupperwareparty. 19. Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak, 29.11.2007, C-16/06 P = BeckRS 2007, 70965, Rn. 67 – OBELIX. Der EuGH hat sich in seinem Urteil zu dieser materiellrechtlichen Frage nicht geäußert, weil das Rechtsmittel in diesem Punkt aus prozessualen Gründen zurückgewiesen werden konnte, siehe EuGH, Urt. v. 18.12.2008, C-16/06 P = GRUR Int. 2009, 397 = MarkenR 2009, 47, Rn. 107 ff. – OBELIX. 20. EuGH, Urt. v. 22.11.2007, C-328/06 = GRUR Int. 2008, 229 = MarkenR 2008, 10, Rn. 20 – FINCAS TARRAGONA; siehe Anmerkung dazu Bergmann, jurisPR-WettbR 12/2008, Anm. 1.

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schützenden Marke zu äußern. Er stellte fest, dass die Bekanntheit in einer autonomen Gemeinschaft, einer Region, einem Kreis oder einer Stadt nicht ausreiche. Die Marke müsse vielmehr „im gesamten Hoheitsgebiet oder in einem wesentlichen Teil dieses Staates“ notorisch bekannt sein. Dies entspricht dem, was der EuGH bereits 1999 in Chevy zum Erfordernis der Bekanntheit eingetragener (nationaler oder regionaler) Marken gesagt hatte 21 und wurde knapp zwei Jahre nach Fincas Tarragona in Bezug auf den Bekanntheitsschutz von Unionsmarken wiederholt in Pago. 22 Jeweils betonte der EuGH, es könne keine Bekanntheit im gesamten Gebiet eines Mitgliedstaats bzw. der Union verlangt werden, vielmehr genüge die Bekanntheit in einem wesentlichen Teil des Gebiets. Ganz geklärt ist damit die Frage, wie weit die Bekanntheit einer notorisch bekannten Marke reichen muss, freilich noch nicht, denn die weiteren Aussagen des EuGH scheinen dem zu widersprechen, was zum Bekanntheitsschutz von eingetragenen Marken gesagt wurde. Soweit „autonome Gemeinschaft“ mit Katalonien gleichzusetzen ist, sprechen wir bevölkerungstechnisch von etwas weniger als einem Fünftel der Bevölkerung Spaniens und ökonomisch natürlich von einem ganz wesentlichen Teil. Der „Kreis“ (die Provinz) Tarragona wiederum hat im Vergleich zu Gesamtspanien proportional etwa so viele Einwohner wie Österreich im Vergleich zur gesamten EU 23. Dennoch verneinte der EuGH in Fincas Tarragona eine ausreichende Bekanntheit 24 während in Pago zumindest angedeutet wurde, dass Bekanntheit in Österreich ausreichen sollte. 25 Insofern ist weiterhin nicht ganz klar, wann von einem „wesentlichen Teil“ des Schutzgebiets gesprochen werden kann, und dürften die Anforderungen für eine Annahme notorischer Bekanntheit etwas höher liegen als für die Annahme von Bekanntheit bei eingetragenen Marken. 4. Erforderlicher Bekanntheitsgrad Die Hauptschwierigkeit bei der Feststellung notorischer Bekanntheit liegt in der Feststellung des dafür erforderlichen Bekanntheitsgrads. Auch diese Frage ist auf europäischer Ebene 21. EuGH, Urt. v. 14.09.1999, C-375-97 = BeckRS 9998, 155714, Rn. 28 – Chevy. 22. EuGH, Urt. v. 06.10.2009, C-301/07 = GRUR 2009, 1158 = MarkenR 2009, 506, Rn. 27 – PAGO. 23. Rund 1:53 gegenüber 1:59, grob gerechnet auf Basis der im Internet erhältlichen Zahlen für 2015. Provinz Tarragona: 880.000; Spanien: 46,5 Millionen; Österreich: 8,6 Millionen; EU: 508 Millionen. 24. EuGH, Urt. v. 22.11.2007, C-328/06 = GRUR Int. 2008, 229 = MarkenR 2008, 10, Rn. 20 – FINCAS TARRAGONA. 25. EuGH, Urt. v. 06.10.2009, C-301/07 = GRUR 2009, 1158 = MarkenR 2009, 506, Rn. 29 – PAGO.

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noch nicht abschließend geklärt. 26 Nach deutschem Verständnis setzt der Begriff der Notorietät eine allgemeine Kenntnis der Marke innerhalb der beteiligten Verkehrskreise voraus. 27 Es wird jedenfalls ein Bekanntheitsgrad von über 50% 28, teilweise sogar von 60-70% 29 verlangt. 30 Die – der Rechtssicherheit durchaus zuträgliche – Praxis der Annahme klarer prozentualer Untergrenzen macht der EuGH regelmäßig nicht mit. 31 Entsprechend hat auch das EuG eine solche Auslegung ausdrücklich abgelehnt. 32 Es könne nicht verlangt werden, dass die Marke einem bestimmten Prozentsatz des relevanten Publikums bekannt ist. Eine notorische Bekanntheit liege demgegenüber vor, wenn die fragliche Marke einem bedeutenden Teil des Publikums bekannt ist, das von den durch diese Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen betroffen ist. Dabei seien alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere der Marktanteil der Marke, die Intensität, die geographische Ausdehnung und die Dauer der Nutzung sowie der Umfang der getätigten Investitionen zur Förderung der Marke. 33 Auf europäischer Ebene ist also eher von einem flexiblen System an wechselseitigen Kriterien als von einer starren prozentualen Grenze auszugehen.

26. Kochendörfer, in: BeckOK UMV, 2. Ed. 24.03.2016, Art. 8 Rn. 254. 27. BGH, Urt. v. 02.04.1969, I ZR 47/67 = GRUR 1969, 607, 609 – Recrin (noch zum WZG); dem folgend zum aktuellen Recht Fezer, MarkenR, 4. Aufl. 2009, § 4 MarkenG Rn. 227; Kochendörfer, in: BeckOK UMV, 2. Ed. 24.03.2016, Art. 8 Rn. 254; Weiler, in: BeckOK MarkenR, 6. Ed. 01.05.2016, § 4 MarkenG Rn. 149. 28. Hacker, in: Ströbele/Hacker (Hrsg.), MarkenG, 11. Aufl. 2015, § 4 Rn. 76; Weiler, in: BeckOK MarkenR, 6. Ed. 01.05.2016, § 4 MarkenG Rn. 150. 29. BPatG, Beschl. v. 18.03.2003, 24 W (pat) 112/01 = BeckRS 2008, 26432 – DORAL; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl. 2010, § 4 Rn. 31. 30. Kritisch zu den nach der deutschen Auslegung sehr hohen Anforderungen an den Bekanntheitsgrad Kur, GRUR 1994, 330, 337 f.; dem im Sinne einer konventionsfreundlichen Anwendung folgend Sack, GRUR 1995, 81, 91, der jedoch darauf hinweist, dass de lege lata aufgrund des Wortlauts und der Systematik von § 4 MarkenG an den hohen Anforderungen an die notorische Bekanntheit festzuhalten sei. 31. Zur Frage der durch Benutzung erlangten Unterscheidungskraft, die nicht allein anhand von generellen und abstrakten Angaben, wie etwa bestimmten Prozentsätzen, festgestellt werden könne EuGH, Urt. v. 04.05.1999, C-108/97 und C-109/97 = GRUR Int. 1999, 727, Rn. 52 – Windsurfing Chiemsee; EuGH, Urt. v. 18.06.2002, C-299/99 = GRUR Int. 2002, 842, Rn. 62 – Philips; EuGH, Urt. v. 19.06.2014, C-217/13 und C-218/13 = GRUR 2014, 776 = MarkenR 2014, 316, Rn. 44 – Oberbank. 32. EuG, Urt. v. 01.02.2012, T-291/09 = GRUR Int. 2012, 453, Rn. 69 – Pollo Tropical CHICKEN ON THE GRILL. 33. EuG, Urt. v. 01.02.2012, T-291/09 = GRUR Int. 2012, 453, Rn. 69 – Pollo Tropical CHICKEN ON THE GRILL; so nun wieder EuG, Urt. v. 02.02.2016, T-169/13 = BeckRS 2016, 467574, Rn. 59 – MOTO B.

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707 5. WIPO-Leitlinien

Es bleibt damit nur noch die Frage, auf welche Kriterien konkret abzustellen ist. Hierzu geben die WIPO-Leitlinien 34 zur Auslegung von Art. 6bis PVÜ Auskunft. Aus Art. 2 Abs. 1 WIPOLeitlinien folgt, dass bei der Beurteilung der notorischen Bekanntheit einer Marke alle relevanten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind, insbesondere jedoch „der Grad ihrer Bekanntheit in den beteiligten Kreisen, die Dauer, der Umfang und die geographische Ausdehnung einer etwaigen Benutzung der Marke, ihre Bewerbung für Waren und Dienstleitungen, auf die sich die Marke bezieht, sowie Nachweise ihrer Durchsetzung und ihrer Anerkennung als notorisch bekannt durch zuständige Behörden und Gerichte und schließlich der wirtschaftliche Wert solcher Marken“ 35. Die Frage der Verbindlichkeit der WIPO-Leitlinien wird unterschiedlich beantwortet. Einerseits wird der Erklärung bereits wegen der Bezeichnung als Gemeinsame Empfehlung (Joint Recommendation) die Verbindlichkeit abgesprochen. 36 Demgegenüber spricht sich das EuG für eine verbindliche Anwendung der WIPO-Leitlinien aus. Es stellte bereits 2008 fest, dass aufgrund der Tatsache, dass Art. 8 Abs. 2 lit. c UMV von Marken spricht, die „in einem Mitgliedstaat im Sinne des Art. 6bis PVÜ notorisch bekannt sind”, die WIPO-Leitlinien heranzuziehen „sind“ 37. Diese Rechtsprechung hat das EuG, nachdem es in einem weiteren Urteil auf die Kriterien der WIPO-Leitlinien abgestellt hat, ohne diese ausdrücklich zu erwähnen38, nunmehr in zwei aktuellen Urteilen bestätigt. 39 34. Gemeinsame Empfehlung des Pariser Verbandes und der Generalversammlung der WIPO betreffend Vorschriften zum Schutz notorisch bekannter Marken, WIPO Doc. A/34/16 vom 29.09.1999, abrufbar unter http://www.wipo.int/edocs/mdocs/govbody/en/a_34/a_34_16.do, siehe zur Entstehungsgeschichte und zum Verfahrensgang H. P. Kunz-Hallstein, GRUR Int. 2015, 7, 8 f. 35. Siehe zur Übersetzung aus dem Englischen H. P. Kunz-Hallstein, GRUR Int. 2015, 7, 9. 36. Hacker, in: Ströbele/Hacker (Hrsg.), MarkenG, 11. Aufl. 2015, § 4 Rn. 78; Jehoram/van Nispen/Huydecoper, European Trademark Law, 2010, Punkt 6.2.9.4; Kur, GRUR 1999, 866, 875; dies. IIC 2013, 790, 796; Schmidt-Pfitzner/Schneider, in: Busche/Stoll/Wiebe (Hrsg.), TRIPs, 2. Aufl. 2013, Art. 16 Rn. 55; zur Beachtung der WIPOLeitlinien im Interesse einer einheitlichen Handhabung trotz einer etwaigen Unverbindlichkeit, siehe zum Unionsrecht Kochendörfer, in: BeckOK UMV, 2. Ed. 24.03.2016, Art. 8 Rn. 256; zum deutschen Recht Fezer, MarkenR, 4. Aufl. 2009, § 4 MarkenG Rn. 232; zum schweizerischen Recht Locher, sic! 2000, 41. 37. EuG, Urt. v. 17.06.2008, T-420/3 = GRUR Int. 2009, 39, Rn. 79 – BOOMERANG; so auch EUIPO, Entsch. v. 15.04.2014, 8221 C – PREDATOR; ebenso zur Rechtslage in der Schweiz Bundesgericht, Urt. v. 20.01.2004, BGE, 130 III 267, 275 – TRIPP TRAPP. 38. EuG, Urt. v. 01.02.2012, T-291/09 = GRUR Int. 2012, 453, Rn. 69 – Pollo Tropical CHICKEN ON THE GRILL. 39. EuG, Urt. v. 02.02.2016, T-169/13 = BeckRS 2016, 467574, Rn. 59 – MOTO B; EuG, Urt. v. 03.03.2016, T-778/14 = BeckEuRS 2016, 471576, Rn. 56 – COYOTE UGLY.

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Die Verbindlichkeit der WIPO-Leitlinien für das deutsche Recht ist auch dogmatisch begründbar. Der deutsche Gesetzgeber hat sowohl für das PVÜ als auch für das TRIPS-Übereinkommen Zustimmungsgesetze im Sinne von Art. 59 Abs. 2 Grundgesetz erlassen, wodurch beide völkerrechtlichen Verträge in der Bundesrepublik Verbindlichkeit erlangt haben. Die WIPOLeitlinien sind zwar kein völkerrechtlicher Vertrag, auch wurde diesbezüglich kein Zustimmungsgesetz erlassen. Allerdings verfügt die Versammlung der Verbandsstaaten seit der Stockholmer Konferenz über die Kompetenz zur autoritativen Auslegung der PVÜ. Da ein Zustimmungsgesetz für die Stockholmer Fassung vorliegt, erstreckt sich dieses nunmehr auch auf die Bestimmungen zur Auslegung der PVÜ. Die PVÜ ist damit auf eine dynamische Auslegung angelegt. 40 Die vorstehende verfassungsrechtliche Begründung der Verbindlichkeit der WIPO-Leitlinien von Kunz-Hallstein überzeugt auf ganzer Linie. Wenn der Unionsgesetzgeber in Art. 8 Abs. 2 lit. c UMV sowie der deutsche Gesetzgeber in § 4 Nr. 3 MarkenG ausdrücklich auf Art. 6bis PVÜ verweisen, müssen sie sich auch an der jeweils geltenden Auslegung der Norm festhalten lassen. Mit einem solchen ausdrücklichen Verweis sind auch die Wertungen und gegebenenfalls auch Änderungen in der Auslegung der Norm, auf die verwiesen wird, in Kauf zu nehmen. Konsequenterweise müssen sich auch die europäischen Gerichte an die Leitlinien der WIPO halten. Die Frage ist insbesondere mit Blick auf die relevanten Verkehrskreise von Bedeutung. Dies können nach Art. 2 Abs. 2 lit. a WIPO-Leitlinien Konsumenten, aber auch Zwischenhändler und sonstige Geschäftskreise sein. Die Bekanntheit bei einer dieser Gruppen soll ausreichen. 41 Die Interpretation des EUIPO zumindest bleibt hinter dieser Eingrenzung zurück: Das Amt verlangt für den Bekanntheitsnachweis stets Einbeziehung aller möglicher Zielgruppen des Zeichens. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass von notorischer Bekanntheit ausgegangen werden kann, wenn ein Zeichen im gesamten Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats oder in einem wesentlichen Teil dieses Staates von einem bedeutenden Teil des Publikums als betrieblicher Herkunftshinweis für bestimmte Waren oder Dienstleistungen aufgefasst wird. Es kann keine allgemeine Bekanntheit, sondern nur eine Bekanntheit bei den maßgeblichen Verkehrskreisen erwartet werden; ob allerdings eine Einschränkung auf bestimmte Handelsebenen zulässig ist, ist offen 40. Ausführlich und grundlegend zum Ganzen H. P. Kunz-Hallstein, GRUR Int. 2015, 7, 10 ff. 41. Dies folgt unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 lit. b WIPO-Leitlinien, so aber auch Kochendörfer, in: BeckOK UMV, 2. Ed. 24.03.2016, Art. 8 Rn. 257; kritisch dazu Kur, GRUR 1999, 866, 869.

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und nach Ansicht des EUIPO eher zu verneinen. Bei der Frage des erforderlichen Bekanntheitsgrades ist auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls abzustellen, wobei die in Art. 2 Abs. 1 der WIPO-Leitlinien genannten Kriterien eine besondere Rolle spielen. Im Übrigen entsprechen die Anforderungen denen für bekannte Marken gemäß Art. 8 Abs. 5 UMV. 42 6. Beispiele aus der Praxis Um einen Eindruck für die in der Praxis gestellten Anforderungen zu bekommen, werden im Folgenden drei Entscheidungen des EUIPO berichtet, in denen eine notorische Bekanntheit bejaht worden ist. In der ersten ging es um die Schuhmarke KICKERS. Der Hersteller der Schuhe legte für den Beweis der Bekanntheit der Marke KICKERS in Italien im entscheidenden Zeitpunkt des 5. April 2011 eine Reihe von Artikeln aus Zeitschriften sowie Internetseiten und Nachweise zu Marketingaktivitäten vor. Letztere bestanden aus Rechnungen und Bildern der Werbung. Eine Studie aus dem Jahre 1996 zeigte, dass die Marke bei der Frage nach der spontanen und unaufgeforderten Erkennbarkeit nur auf Platz vier gelandet war mit bescheidenen 3,4%. Die Widerspruchsabteilung des EUIPO stellte fest, dass die Studie alleine nicht ausreiche, um eine notorische Bekanntheit zu bejahen. Im Zusammenhang mit allen anderen Beweismitteln sei der Beweis jedoch erbracht. 43 Die mageren Zahlen aus dem Jahr 1996 standen der Annahme der notorischen Bekanntheit für Mai 2011 nicht entgegen. Die Nichtigkeitsabteilung bejahte in einem weiteren Fall die notorische Bekanntheit einer Marke für Luxusjachten im Vereinigten Königreich, obwohl keine Marktstudien vorgelegt wurden. Nachgewiesen wurde hingegen, dass die Jachten in zwei James Bond Filmen eine Rolle gespielt haben. Dies habe zu einer 42. Für einen Gleichlauf der Anforderungen an die notorische Bekanntheit und die Bekanntheit im Sinne von Art. 8 Abs. 5 UMV Max-Planck-Institut, Study on the Overall Functioning of the European Trade Mark System, 2011, Part III Rn. 2.132; Knaak/Kur/v. Mühlendahl, GRUR Int. 2012, 197, 201; siehe auch Kur, in: BeckOK MarkenR, 6. Ed. 01.05.2016, Einl. MarkenG Rn. 256. Das wichtigste Argument eines solchen Gleichlaufs ist wohl die Tatsache, dass der EuGH bei der Frage der Bekanntheit im Sinne von Art. 8 Abs. 5 UMV im Wesentlichen die gleichen Kriterien ansetzt wie sie in Art. 2 WIPO-Leitlinien für notorisch bekannte Marken festgelegt sind. Zur Ähnlichkeit der Begriffe der notorischen Bekanntheit und der Bekanntheit im Sinne von Art. 5 Abs. 2 MRL 89/104, der der Bekanntheit des Art. 8 Abs. 5 UMV entspricht EuGH, Urt. v. 22.11.2007, C-328/06 = GRUR Int. 2008, 229 = MarkenR 2008, 10, Rn. 17 – FINCAS TARRAGONA. An dieser Stelle vergleicht der EuGH die beiden Begriffe jedoch nur im Hinblick auf die notwendige territoriale Ausbreitung (wesentlicher Teil eines Mitgliedstaates), es werden keinerlei Aussagen bezüglich des notwendigen Grades der Bekanntheit in diesem wesentlichen Teil des Mitgliedstaates getroffen. Dies jedoch zumindest andeutend EUIPO, Prüfungsrichtlinien, Stand: 01.08.2016, Teil C, Widerspruch, Abschnitt 5, S. 6. 43. EUIPO, Entsch. v. 04.03.2013, B 1980435 – KICKERS.

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großen Verbreitung in den Medien geführt. Zudem sei bei solchen Luxusgütern nicht in erster Linie auf die Verkaufszahlen abzustellen, da der Kreis der potenziellen Kunden sehr eingeschränkt sei. 44 Schließlich bejahte die Widerspruchsabteilung die notorische Bekanntheit einer Marke für Champagner – wiederum im Vereinigten Königreich – aufgrund eidesstattlicher Versicherungen und diese unterstützender Dokumente, wie etwa Rechnungen, Werbematerial und Auszüge aus Internetseiten. 45 III. NICHT EINGETRAGENE MARKEN NACH ART. 8 ABS. 4 UMV Neben den notorisch bekannten Marken im Sinne von Art. 8 Abs. 2 lit. c UMV nimmt die Regelung des Art. 8 Abs. 4 UMV eine Auffangfunktion in Bezug auf nationale nicht eingetragene Marken und andere Kennzeichenrechte wahr. 46 Nach der Entscheidung des europäischen Gesetzgebers, die nationalen Rechtsvorschriften bezüglich nicht eingetragener Markenrechte nicht zu harmonisieren, musste dennoch das Konkurrenzverhältnis zwischen diesen nationalen Rechten und den Unionsmarken geregelt werden. 47 Diese Funktion erfüllt Art. 8 Abs. 4 im Zusammenspiel mit Art. 111 UMV. Demnach besteht zwischen nationalen nicht eingetragenen Marken und sonstigen Kennzeichenrechten einerseits und Unionsmarken andererseits kein hierarchisches, sondern – wie schon bei eingetragenen nationalen Marken nach Art. 8 Abs. 1 UMV – ein reines Prioritätsverhältnis. Entscheidend ist der jeweilige Zeitpunkt des Entstehens kennzeichenrechtlichen Schutzes. Nach Art. 8 Abs. 4 UMV müssen vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Widerspruch Erfolg hat. 48 Das ältere Recht muss im geschäftlichen Verkehr benutzt worden sein, mehr als lediglich örtliche Bedeutung haben, in einem Mitgliedstaat kennzeichenrechtlichen Schutz erworben haben und dem Inhaber das Recht verleihen, die Benutzung der jüngeren Marke zu 44. EUIPO, Entsch. v. 15.04.2014, 8221 C – PREDATOR. 45. EUIPO, Entsch. v. 12.11.2014, B 1898751 – YELLOW LABEL; die Beschwerdekammer bestätigte die Entscheidung, ohne dabei jedoch auf die Frage der notorischen Bekanntheit einzugehen, siehe EUIPO-BK, Entsch. v. 28.01.2016, R 3270/20141 – YELLOW LABEL. 46. EUIPO, Prüfungsrichtlinien, Stand: 01.08.2016, Teil C, Widerspruch, Abschnitt 4, S. 4. 47. Dies stellte auch Erwägungsgrund 5 der MRL 2008/95 ausdrücklich klar. Demnach wird den Mitgliedstaaten das Recht belassen, die durch Benutzung erworbenen Marken weiterhin zu schützen, sie müssen jedoch in ihrer Beziehung zu den durch Eintragung erworbenen Marken berücksichtigt werden. 48. Eisenführ/Sander, in: Eisenführ/Schennen (Hrsg.), GMV, 4. Aufl. 2014, Art. 8 Rn. 19.

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verbieten. 49 Während die ersten beiden Voraussetzungen unionsrechtlich autonom auszulegen sind, findet auf die beiden letzten das jeweilige nationale Recht Anwendung. 50 Die Regelung weist damit als Verbindung zwischen Unions- und nationalem Recht eine „hybride Natur“ 51 auf. Das dritte Kriterium, also ob in einem Mitgliedstaat kennzeichenrechtlicher Schutz erworben wurde, ist in der Regel der Kern der Sache und ein Schwerpunkt des anwaltlichen Vortrags. Es zerfällt in zwei Teile – einen abstrakten, nämlich ob und unter welchen Voraussetzungen das geltend gemachte Kennzeichenrecht nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaates überhaupt existiert– und einen konkreten, nämlich ob die Voraussetzungen im konkreten Fall erfüllt sind. Auf beiden Ebenen muss umfassend vorgetragen werden. Als ältere Rechte im Sinne von Art. 8 Abs. 4 UMV kommt eine Vielzahl von verschiedenen nationalen Kennzeichenrechten in Betracht. 52 Dies sind in erster Linie nationale nicht eingetragene Marken im Sinne von Erwägungsgrund 5 der MRL 2008/95, aber auch andere Kennzeichenrechte. Dazu gehören unter anderem Handelsnamen, Unternehmensbezeichnungen, Firmenschlagworte, Werktitel und Domain-Namen. 53 In der Vergangenheit gehörten auch geographische Herkunftsabzeichen dazu; diese wurden aber jetzt in Art. 8 Abs. 4a UMV ausgegliedert. Die Bandbreite der nach Art. 8 Abs. 4 UMV relevanten Kennzeichenrechte ist groß. Hier tritt die oben bereits erwähnte Auffangfunktion der Vorschrift deutlich in Erscheinung. Allerdings werden nicht alle gewerblichen Schutzrechte umfasst, sondern nur „Kennzeichenrechte“. Daraus und aus dem Umkehrschluss aus Art. 53 Abs. 2 UMV folgt, dass

49. Die genannten vier Voraussetzungen müssen vor dem Anmeldetag der angegriffenen Unionsmarke vorliegen. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut, ist aber Ausdruck des Prioritätsprinzips, siehe dazu Heitmann, in: BeckOK MarkenR, 6. Ed. 01.05.2016, Art. 8 UMV Rn. 76. 50. Siehe nur EuG, Urt. v. 24.03.2009, T-318/06 bis T-321/06 = GRUR Int. 2009, 728, Rn. 33 f. – GENERAL OPTICA. 51. EUIPO, Prüfungsrichtlinien, Stand: 01.08.2016, Teil C, Widerspruch, Abschnitt 4, S. 4. 52. Siehe dazu die sehr umfangreiche Übersicht über alle nationalen Kennzeichenrechte im Sinne von Art. 8 Abs. 4 UMV, die auf den Rückmeldungen nationaler Markenämter und Nutzergruppen zurückgeht EUIPO, Prüfungsrichtlinien, Stand: 01.08.2016, Teil C, Widerspruch, Abschnitt 4, S. 40 ff. 53. EUIPO, Prüfungsrichtlinien, Stand: 01.08.2016, Teil C, Widerspruch, Abschnitt 4, S. 6.

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insbesondere Urheber- 54 und Geschmacksmusterrechte 55 keine älteren Rechte im Sinne des Art. 8 Abs. 4 UMV sind. 56 Die nicht eingetragenen Marken sind dabei von besonderer Relevanz in der Rechtsprechung des Amtes und der Luxemburger Gerichte. Sie werden in der Folge näher behandelt. Abweichend vom Prüfungsschema des Amtes wird die zentrale Frage der Rechtsentstehung nebst der zugehörigen Darlegungs- und Beweislast zunächst näher betrachtet. Dem folgen die beiden autonom unionsrechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Benutzung im Geschäftsverkehr sowie der nicht lediglich örtlichen Bedeutung, um abschließend – mit Blick auf die Untersagungsbefugnis des Widersprechenden – zum nationalen Recht zurückzukehren. Es scheint erst sinnvoll, sich über Benutzung und Bedeutung des Zeichens Gedanken zu machen, wenn die Rechtsentstehung festgestellt wurde. 1. Schutz nicht eingetragener Marken nach dem Recht der Mitgliedstaaten Zunächst muss festgestellt werden, ob und unter welchen Voraussetzungen das geltend gemachte Schutzrecht nach dem Recht des Schutzlandes überhaupt bestehen kann. Wie oben bereits angedeutet, ist die Rechtslage in den Mitgliedstaaten im Bereich der nicht eingetragenen Markenrechte höchst unterschiedlich. In einigen Ländern werden Benutzungsmarken gar nicht anerkannt, in anderen gibt es variierende Bekanntheitsschwellen, und nur in einem Land liegt de facto ein Erstbenutzungssystem vor. Hier stellt sich allerdings die Frage der Richtlinienkonformität. a) Keine Anerkennung von Markenschutz aufgrund Benutzung Die nationalen Markengesetze einiger Mitgliedstaaten schützen nicht eingetragene Marken nur unter den Voraussetzungen des Art. 6bis PVÜ. Dies ist der Fall in den BeneluxStaaten, Estland, Frankreich, Kroatien, Litauen, Polen, Rumänien, Slowenien, Spanien und Ungarn. 57 Widersprüche aus diesen Ländern, soweit es um den Widerspruchsgrund nach Art. 8 Abs. 4 54. EuG, Urt. v. 30.06.2009, T-435/05 = GRUR Int. 2010, 50, Rn. 41 – Dr. No; so ebenfalls EuG, Urt. v. 22.06.2010, T-255/08 = GRUR Int. 2011, 63, Rn. 65 – JOSE PADILLA. 55. EUIPO, Entsch. v. 07.09.2010, B 1530875 – LIPSY. 56. Ausführlich dazu Keeling/Weidenfeller, in: BeckOK UMV, 2. Ed. 24.03.2016, Art. 8 Rn. 302 ff. 57. EUIPO, Prüfungsrichtlinien, Stand: 01.08.2016, Teil C, Widerspruch, Abschnitt 4, S. 7. Hier wird auch Zypern aufgeführt, das allerdings das Passing off Recht kennt und daher zur zweiten Gruppe von Ländern gehört. Auch bei Ungarn ist die Information mit Vorsicht zu genießen, da es hier unter bestimmten Umständen ein auf das Wettbewerbsrecht begründetes Vorbenutzungsrecht gibt.

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UMV geht, werden daher in der Regel auf Unternehmenskennzeichen gestützt. Auch hier sind die Anforderungen nach nationalem Recht häufig recht hoch. In Spanien und Frankreich zum Beispiel setzt der Schutz nicht eingetragener Unternehmenskennzeichen deren Bekanntheit im gesamten Staatsgebiet voraus. b) Schutz aufgrund qualifizierter Benutzung oder Bekanntheit Alle anderen Mitgliedstaaten sehen den Schutz nicht eingetragener Marken vor, jedenfalls soweit man hierunter auch das Rechtsinstitut des Passing off fasst. Die Schutzvoraussetzungen sind freilich von Land zu Land recht unterschiedlich. Passing off findet im Recht des Vereinigten Königreichs und Irlands Anwendung sowie auf Zypern. Streng genommen handelt es sich hierbei nicht um ein ausschließliches Recht im Sinne des Immaterialgüterrechts. Das Passing off sanktioniert vielmehr unrechtmäßiges Verhalten. 58 Nach deutschem Verständnis ist es deswegen eher dem Lauterkeits- oder dem allgemeinen Deliktsrecht zuzuordnen als dem Recht des geistigen Eigentums. 59 Über Passing off werden jedoch sämtliche nicht eingetragenen Kennzeichenrechte erfasst, insbesondere Produkt- und Unternehmenskennzeichen, und es ist daher richtig, es beim Schutz nicht eingetragener Marken einzuschließen. In der Praxis spielt das Passing off im Rahmen von Art. 8 Abs. 4 UMV eine wichtige Rolle. 60 Um aufgrund von Passing off zu obsiegen, muss der Widerspruchsführer drei wesentliche Tatbestandsvoraussetzungen beweisen, nämlich Goodwill, Irreführung (Misrepresentation) und Schaden. 61 Bei Irreführung und Schaden geht es um den Schutzumfang; im vorliegenden Zusammenhang ist im Wesentlichen das erste Kriterium von Interesse, nämlich Goodwill. Beweistechnisch wird dies häufig der Bekanntheit gleichgesetzt. Das ist insofern richtig, als Bekanntheit in aller Regel Goodwill umfasst, jedenfalls soweit sie durch Benutzung im Inland erlangt 58. EUIPO, Prüfungsrichtlinien, Stand: 01.08.2016, Teil C, Widerspruch, Abschnitt 4, S. 69. 59. Dies jedenfalls andeutend Bodewig, GRUR Int. 2004, 827, 828; Fezer, MarkenR, 4. Aufl. 2009, Art. 10bis PVÜ Rn. 3. 60. Siehe nur EuGH, Beschl. v. 29.11.2011, C-76/11 P = BeckEuRS 2011, 677108 – GOLDEN ELEPHANT; EuG, Urt. v. 18.11.2015, T-508/13 = BeckEuRS 2015, 465730 – HALAL MALAYSIA; Eckel, GRUR Int. 2016, 11; Heitmann, in: BeckOK MarkenR, 6. Ed. 01.05.2016, Art. 8 UMV Rn. 87; Jaeger-Lenz, in: Hasselblatt (Hrsg.), Community Trade Mark Regulation,2015, Art. 8 Rn. 297 ff.; Keeling/Weidenfeller, in: BeckOK UMV, 2. Ed. 24.03.2016, Art. 8 Rn. 323; Meale, GRUR Int. 2013, 1088. 61. EuGH, Beschl. v. 29.11.2011, C-76/11 P = BeckEuRS 2011, 677108, Rn. 12 – GOLDEN ELEPHANT; EUIPO, Prüfungsrichtlinien, Stand: 01.08.2016, Teil C, Widerspruch, Abschnitt 4, S. 71.

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wurde. 62 Die Schutzschwelle ist jedoch tatsächlich niedriger, oder besser: anders anzusetzen. Bei Goodwill geht es eher um den guten Ruf, der Geschäft anzieht. 63 Eine Unterschwelle für die Bekanntheit gibt es dabei nicht, die Beweisanforderungen sind jedoch ähnlich. 64 Die meisten nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten verlangen für die Anerkennung nicht eingetragener Markenrechte eine irgendwie geartete Bekanntheit. Die nach deutschem Recht, nämlich nach § 4 Nr. 2 MarkenG, erforderliche Verkehrsgeltung ist dabei am oberen Rand des Spektrums zu verorten. 65 Dabei werden im Regelfall ähnlich hohe Bekanntheitsgrade als notwendig erachtet wie bei der Verkehrsdurchsetzung im Sinne von § 8 Abs. 3 MarkenG. 66 Die Beweisanforderungen des EUIPO sind hoch. Eidesstattlichen Versicherungen oder anderen von dem Beweisführer selbst stammenden Beweismitteln wird regelmäßig ein geringer bis sehr geringer Beweiswert beigemessen. Am besten geeignet für den Nachweis von Bekanntheit sind aus Sicht des Amtes Marktumfragen. Dabei hat sich das Amt im Laufe der Jahre durch die gefestigte deutsche Rechtsprechung und Praxis zum Thema der Marktumfragen positiv beeinflussen lassen, ohne freilich konkrete Anleitungen zur Fragestellung in seine Richtlinien aufzunehmen. Was für das DPMA akzeptabel ist, wird es hingegen in aller Regel auch für das EUIPO sein. 67 Am unteren Rande des Spektrums der Länder, die bei einer qualifizierten Benutzung Markenschutz anerkennen, scheint sich Malta zu befinden. Hier ist Artikel 11 Abs. 3 lit. b des Trademarks Acts einschlägig, der eine „kontinuierliche“ Benutzung der nicht eingetragenen Marke verlangt. Von einer qualifizierten Benutzung oder resultierenden Bekanntheit ist keine Rede, und so wird Malta auch als ein Markensystem der Erstbenutzung, nicht der Ersteintragung, bezeichnet. 68 In der Rechtsprechung des EUIPO haben maltesische Benutzungsmarken allerdings bislang keine Rolle gespielt, und es gibt daher auch keine leicht zugänglichen 62. Supreme Court, Urt. v. 13.05.2015, [2015] UKSC 31, Rn. 47 ff. – Starbucks (HK) v British Sky. 63. “It is the benefit and advantage of a good name, reputation, and connection of business. It is the attractive force which brings in custom.” Siehe dazu bereits House of Lords, [1901] AC 217, S. 223 – IRC v Muller; ausführlich zur Definition von Goodwill Aplin/J. Davis, Intellectual Property Law, 2. Aufl. 2013, S. 310 ff. 64. EuG, Urt. v. 18.11.2015, T-508/13 = BeckEuRS 2015, 465730, Rn. 56 ff. – HALAL MALAYSIA. 65. Näher zum Erfordernis der Verkehrsgeltung Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl. 2010, § 4 Rn. 11. 66. Ausführlich dazu Fezer, MarkenR, 4. Aufl. 2009, § 4 MarkenG Rn. 121 ff. 67. Vgl. zum Ganzen EUIPO, Prüfungsrichtlinien, Stand: 01.08.2016, Teil C, Widerspruch, Abschnitt 5, Kapitel 3.1.4, insbesondere zu Marktumfragen 3.1.4.4, S. 34 ff. 68. So z.B. S. A. Mifsud, in: INTA Country Guides, 2015, Malta, I. A.

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weiteren Anhaltspunkte, wie das Erfordernis der kontinuierlichen Benutzung nach maltesischem Recht auszulegen ist. c) Schutz aufgrund bloßer Benutzung Die niedrigste Schwelle für die Anerkennung nicht eingetragener Marken scheint nach dänischem Markenrecht zu bestehen. Sich hiermit auseinanderzusetzen lohnt sich schon deshalb weil – soweit ersichtlich – diesbezügliche Ausführungen in der deutschsprachigen Literatur nicht vorhanden sind. In Dänemark entsteht markenrechtlicher Schutz gemäß § 3 Abs. 1 des dänischen Markengesetzes außer durch Eintragung (lit. i) durch den einfachen Beginn der Benutzung in Dänemark für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie benutzt wird (lit. ii). Das dänische Oberste Gericht (Højesteret) setzt niedrige Anforderungen an das Entstehen markenrechtlichen Schutzes durch Benutzung, wie sich an folgendem Beispielsfall zeigen lässt. Im Februar 1996 beschloss eine Vereinigung von Bestattungsunternehmen, eine neue Dienstleistung unter dem Namen ELYSIUM anzubieten. Am 12.03.1996 schickte die Vereinigung einen Brief an alle Mitglieder, um sie über den Beschluss zu informieren, und gab am 18.03.1996 eine Presseerklärung ab, in der auf die neue Dienstleistung hingewiesen wurde. Diese Presseerklärung wurde in einigen Tageszeitungen verbreitet. Am 20.03.1996, also nur zwei Tage nach der Presseerklärung, meldete ein anderes Bestattungsunternehmen das Zeichen ELYSIUM als Marke an. Das Højesteret entschied im darauf folgenden gerichtlichen Verfahren, dass markenrechtlicher Schutz bereits durch die Benutzung am 18.03.1996 entstanden sei, sodass die angemeldete Marke nicht eingetragen werden könne. 69 Die Entscheidung zeigt, dass der „Beginn der Benutzung“ auch nicht qualifizierend ausgelegt wird. Eine einzige Presseerklärung, die in mehreren Zeitungen wiedergegeben wird, ist demnach ausreichend. Dies ist in Ansehung des Wortlauts von § 3 Abs. 1 lit. ii des dänischen Markengesetzes konsequent. Der qualitative Unterschied zu § 4 Nr. 2 MarkenG, der eine durch Benutzung erlangte Verkehrsgeltung verlangt, ist unmittelbar erkennbar. Dementsprechend ist es auch nicht schwierig, einen auf eine dänische Benutzungsmarke gestützten Widerspruch vor dem EUIPO zu gewinnen, vorausgesetzt freilich, der Widersprechende genügt seiner Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der einschlägigen dänischen Normen und der Benutzungsaufnahme in Dänemark. 70 69. Højesteret, Urt. v. 21.03.2000, 456/1998 – ELYSIUM. 70. Siehe z.B. EUIPO-BK, Entsch. v. 19.12.2013, R 1294/2011-1, Rn. 56 – CULTURE; EUIPO, Entsch. v. 18.12.2009, B 1051822 – TDK; EUIPO, Entsch. v. 20.04.2011, B 1561706 – AYMARA; EUIPO, Entsch. v. 08.06.2012, 4708 C – LOGICA; zu einem Fall, in dem der

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Vol. 107 TMR d) Richtlinienkonformität bloßer Erstbenutzungsrechte?

Es stellt sich die Frage, ob ein reines Erstbenutzungsrecht ohne jegliche qualitative Benutzungs- oder Bekanntheitsschwelle richtlinienkonform ist. Zwar ermächtigt die Richtlinie die Mitgliedstaaten auch weiterhin, den Schutz nicht eingetragener Marken nach nationalem Recht zu gestalten. Dennoch scheint ein schlichtes Erstbenutzungsrecht systemwidrig, hat sich doch die Richtlinie gerade gegen ein solches und für ein System der Erstanmeldung („first to file“) entschieden. Nach EU-Markenrecht gibt es noch nicht einmal ein Weiterbenutzungsrecht Schweizer Art, also einen Schutz der fortgesetzten Benutzung solcher Zeichen, die bereits vor Anmeldung einer Marke in Benutzung waren, also vorbenutzter Zeichen (s. dazu § 14 Abs. 1 MSchG Schweiz). Auch der EuGH hat in Lindt & Sprüngli ein Weiterbenutzungsrecht jedenfalls implizit abgelehnt, indem er klarstellte, dass die bloße Kenntnis der Vorbenutzung eines Dritten für sich genommen noch nicht zur Bösgläubigkeit des Markenanmelders führen kann. 71 Erkennt also das europäische Markenrecht ein Weiterbenutzungsrecht klar nicht an, dann stellt sich doch die Frage, ob die Entstehung von Ausschließlichkeitsrechten durch simple Benutzungsaufnahme, die nicht nur zur Weiterbenutzung, sondern sogar zum Blockieren späterer (angemeldeter oder eingetragener) Marken berechtigen, systemkonform ist. Aus praktischer Sicht kommt hier die Sorge hinzu, dass solche Markenrechte auch im Wege sorgfältigster Recherche nicht auffindbar sind und damit die Rechtssicherheit, die das Prinzip der Erstanmeldung doch bieten soll, erschüttern. Solange aber niemand diese Frage aufgreift und das dänische Recht insoweit als verbindliche Grundlage herangezogen werden kann, sollten Widersprechende vor dem EUIPO (oder auch Parteien, die vor dem Problem der fehlenden Weiterbenutzungsrechte stehen) an diese Möglichkeit denken. e) Erwerb des nationalen Rechts im konkreten Fall – Darlegungs- und Beweislast Der Widerspruchsführer muss darlegen und beweisen, dass er gemäß Art. 8 Abs. 4 lit. a UMV vor dem Anmelde- oder Prioritätstag Widerspruchsführer die dänischen Normen mit der Konsequenz der Abweisung des Widerspruchs nicht vorgelegt hat EUIPO-BK, Entsch. v. 08.05.2015, R 676/2014-2, Rn. 33 – TORNADO und im Übrigen zur Darlegungs- und Beweislast unten, Abschnitt III. 4. 71. EuGH, Urt. v. 11.06.2009, C-529/07 = MarkenR 2009, 361 = GRUR 2009, 763, Rn. 40 – Lindt & Sprüngli. Auch der BGH ging in Classe E den Umweg über § 242 BGB (wegen fehlenden Benutzungswillens beim Erwerber der Markeneintragung), um der Weiterbenutzung durch Daimler den Weg zu ebnen: Urt. v. 23.11.2000, I ZR 93/98 = GRUR 2001, 242.

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der jüngeren Marke ein Markenrecht an dem benutzten Zeichen nach nationalem Recht erworben hat. Hierzu muss der Widerspruchsführer zunächst den Erwerb und den Fortbestand des älteren Rechts nachweisen. 72 Es ist Sache des Widerspruchsführers, Angaben zu machen und Beweismittel vorzulegen, wonach er nach den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften zur Geltendmachung dieses Rechts befugt ist. Dazu gehören neben der Substantiierung der jeweiligen Entstehungsvoraussetzungen auch Angaben zum Inhalt der jeweiligen nationalen Normen. 73 Konkret bedeutet das, dass der Widerspruchsführer die relevanten Passagen des nationalen Gesetzestextes vorlegen muss, aus denen sich das Entstehen markenrechtlichen Schutzes und die entsprechenden Voraussetzungen hierfür ergeben. 74 Die Bestimmungen sind in der Originalsprache und, wenn es sich hierbei nicht um die Verfahrenssprache handelt, zusätzlich als Übersetzung vorzulegen. Eine Übersetzung allein ersetzt indes den Originaltext nicht. 75 Auch der Verweis auf die oben zitierte Beispielliste des EUIPO reicht nicht aus. 76 Neben den blanken Normen ist im Übrigen Literatur und Rechtsprechung vorzulegen, die klar zeigen, wie die Normen nach nationalem Recht umgesetzt und interpretiert werden. Zur einschlägigen Rechtslage sollte die Beweisführung wasserdicht sein. 77 Dass die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Anforderungen nach nationalem Recht beim Widersprechenden liegt, entbindet das Amt nicht von der Pflicht, sich von Amts wegen mit den ihm hierzu zur Verfügung stehenden und zweckdienlichen Mitteln über das nationale Recht zu informieren. 78 Die Beweislast des Widersprechenden führt freilich dazu, dass verbleibende Unsicherheiten zu seinen Lasten gehen. Ohne einen eingangs vorgebrachten schlüssigen Vortrag zu den Rechtsgrundlagen ist auch das Amt nicht verpflichtet, von sich aus das nationale Recht zu erforschen, auf das sich der Vortrag des Widersprechenden 72. Zur Beweislast Heitmann, in: BeckOK MarkenR, 6. Ed. 01.05.2016, Art. 8 UMV Rn. 86. 73. EuGH, Urt. v. 05.07.2011, C-263/09 P = GRUR Int. 2011, 821, Rn. 49 f. – ELIO FIORUCCI; so ebenfalls EuG, Urt. v. 07.05.2013, T-579/10 = GRUR Int. 2013, 646, Rn. 59 – macro. 74. Das nationale Recht wird an dieser Stelle wie Tatsachenvortrag behandelt, siehe dazu EUIPO-BK, Entsch. v. 08.05.2015, R 676/2014-2, Rn. 15 – TORNADO. 75. EUIPO, Prüfungsrichtlinien, Stand: 01.08.2016, Teil C, Widerspruch, Abschnitt 4, S. 28; Heitmann, in: BeckOK MarkenR, 6. Ed. 01.05.2016, Art. 8 UMV Rn. 86.1. 76. EUIPO-BK, Entsch. v. 22.01.2013, R 1182/2011-4, Rn. 50 – CROWN Lounge. 77. Heitmann, in: BeckOK MarkenR, 6. Ed. 01.05.2016, Art. 8 UMV Rn. 86. 78. EuGH, Urt. v. 27.03.2014, C-530/12 P = GRUR Int. 2014, 452 = MarkenR 2014, 147, Rn. 45 – mano portafortuna; Heitmann, in: BeckOK MarkenR, 6. Ed. 01.05.2016, Art. 8 UMV Rn. 86.

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stützen könnte. Wäre auf das nationale Recht das Amtsprinzip anzuwenden, wäre das nicht nur für das Amt schwer zu bewältigen, sondern erst recht für den Anmelder, der ja nicht – wie das Amt – Markenrechtsspezialisten aus allen Mitgliedstaaten unmittelbar an der Hand hat. Er müsste vielmehr, um sich sachkundig verteidigen zu können, anwaltlichen Rat aus theoretisch sämtlichen Mitgliedstaaten einholen auf die bloße Behauptung (mittels abgehakter Kästchen im Formblatt), dass in diesen Staaten Rechte bestehen. Hier ist klar, dass die Hauptlast zunächst beim Widersprechenden liegen muss. Neben der abstrakten Rechtslage ist sodann nachzuweisen, dass die Voraussetzungen der nationalen Vorschriften in Bezug auf die ältere Marke im konkreten Fall erfüllt sind. Abstrakte Ausführungen spielen hier keine Rolle. 79 Falls nationale rechtskräftige Entscheidungen existieren, die den Bestand eines nationalen Rechts bestätigen oder verneinen, ist das EUIPO an diese Entscheidungen gebunden. 80 Wenn bezüglich der fraglichen älteren nicht eingetragenen Marke keine nationale rechtskräftige Entscheidung vorliegt, darf das EUIPO eine eigene Beurteilung anstellen. Ist der Bestand des älteren Rechts vor den nationalen Gerichten auf dem Prüfstand, könnte an die Aussetzung des Widerspruchsverfahrens gedacht werden81 – oder aber an die Zurückweisung des Widerspruchs, wenn das EUIPO vom Vorliegen der Schutzvoraussetzungen nicht überzeugt ist. 82 Sollte der Widersprechende im nationalen Rechtsstreit später obsiegen, steht ihm immer noch das Nichtigkeitsverfahren zur Verfügung. Wenn keine Entscheidungen hinsichtlich der in Frage stehenden Marke vorliegen, ist es hilfreich, sich auf nationale Entscheidungspraxis oder Literaturangaben zu stützen, um daraus die notwendigen Anforderungen zu entnehmen. 83 Auch diese Angaben sind in der Originalsprache und gegebenenfalls als 79. EUIPO-BK, Entsch. v. 22.01.2013, R 1182/2011-4, Rn. 50 – CROWN Lounge, wonach der Widerspruchsführer nicht nur beweisen muss, was theoretisch geschützt werden kann, sondern ob und wie das konkret geltend gemachte Recht geschützt ist. 80. EuGH, Urt. v. 29.03.2011, C-96/09 P = GRUR 2011, 737 = MarkenR 2011, 157, Rn. 94 f. – BUD. Hier ging es freilich um nach nationalem Recht geschützte geographische Herkunftsangaben, die – qua Lissabonner oder bilaterales Abkommen – konkret geschützt waren, und nationale Entscheidungen, nach denen die geltend gemachten Rechte nicht existierten oder nicht durchsetzbar waren, waren noch nicht rechtskräftig geworden. Bei nicht eingetragenen Marken ist das Amt bei Fehlen entsprechender rechtskräftiger Entscheidungen frei, über deren Bestand zu entscheiden. 81. So Heitmann, in: BeckOK MarkenR, 6. Ed. 01.05.2016, Art. 8 UMV Rn. 88. Jedenfalls stattgegeben werden sollte dem Widerspruch aus dem fraglichen Zeichen grundsätzlich nicht. 82. Letzteres ist zwar nicht ganz überzeugend, da das EUIPO auf diese Art und Weise letztlich ebenfalls in die alleinige Zuständigkeit nationaler Stellen eingreift, es entspricht jedoch gängiger Amtspraxis. 83. EUIPO-BK, Entsch. v. 08.05.2015, R 676/2014-2, Rn. 31 – TORNADO, es sei hilfreich („useful“), nationale Entscheidungen vorzulegen.

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Übersetzung einzureichen. 84 Schließlich ist Beweis darüber zu erbringen, dass die Anforderungen im Einzelfall erfüllt sind. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der Widerspruchsführer nationale Normen vorlegen muss, aus denen sich die Entstehung markenrechtlichen Schutzes ergibt, Rechtsprechung oder Literaturangaben, die die relevanten nationalen Normen konkretisieren und schließlich tatsächliche Angaben, die die im nationalen Recht aufgestellten Voraussetzungen erfüllen. Im Fall einer deutschen Marke nach § 4 Nr. 2 MarkenG müsste ein Widerspruchsführer also zunächst die Norm selbst, dann Rechtsprechung zur Auslegung der Norm und schließlich tatsächliche Angaben vorlegen, die sowohl die Benutzung als auch die Verkehrsgeltung beweisen. 85 2. Benutzung im geschäftlichen Verkehr Ist geklärt, dass es das geltend gemachte Recht jedenfalls grundsätzlich gibt, muss die Erfüllung der beiden genuin unionsrechtlichen Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 4 UMV gezeigt werden. Zunächst muss das geschützte Zeichen im geschäftlichen Verkehr benutzt worden sein. Dies ist keine besonders hohe Hürde. Insbesondere verlangt Art. 8 Abs. 4 UMV keine ernsthafte Benutzung im Sinne von Art. 42 Abs. 2 UMV. 86 Ausreichend ist vielmehr, wenn die Benutzung im Zusammenhang mit einer auf einen wirtschaftlichen Vorteil gerichteten kommerziellen Tätigkeit und nicht im privaten Bereich erfolgt. 87 Eine kommerzielle Tätigkeit setzt zudem keine Entgeltlichkeit voraus. Auch kostenlose Angebote können als kommerziell qualifiziert werden, wenn sie im Zusammenhang mit einer auf einen wirtschaftlichen Vorteil Mit der dargestellten gerichteten Tätigkeit erfolgen. 88 Rechtsprechung erteilte der EuGH dem Vortrag, dass – auch mit Blick auf Sinn und Zweck des unionsrechtlichen Benutzungserfordernisses in Art. 8 Abs. 4 UMV – eine 84. EUIPO, Prüfungsrichtlinien, Stand: 01.08.2016, Teil C, Widerspruch, Abschnitt 4, S. 29. 85. Heitmann, in: BeckOK MarkenR, 6. Ed. 01.05.2016, Art. 8 UMV Rn. 86.2. 86. EuG, Urt. v. 16.12.2008, T-225/06, T-255/06, T-257/06 und T-309/06 = GRUR Int. 2013, 345– BUD zu Art. 43 GMV 40/94; insoweit durch EuGH, C-96/09 P, nicht aufgehoben. 87. So zu Art. 5 Abs. 1 MRL 89/104 EuGH, Urt. v. 12.11.2002, C-206/01 = GRUR Int. 2003, 229, Rn. 40 – Arsenal. Das Tatbestandsmerkmal des Art. 8 Abs. 4 UMV müsse zwar nicht zwingend genauso ausgelegt werden wie in Art. 5 Abs. 1 MRL 89/104, es entspreche jedoch dem gewöhnlichen Verständnis, dass mit Benutzung im geschäftlichen Verkehr im Wesentlichen eine kommerzielle Benutzung gemeint ist, siehe dazu EuGH, Urt. v. 29.03.2011, C-96/09 P = MarkenR 2011, 157 = GRUR 2011, 737, Rn. 144 – BUD; Heitmann, in: BeckOK MarkenR, 6. Ed. 01.05.2016, Art. 8 UMV Rn. 74; Jaeger-Lenz, in: Hasselblatt (Hrsg.), Community Trade Mark Regulation, 2015, Art. 8 Rn. 280. 88. EuGH, MarkenR 2011, 157, Rn. 152 – BUD zur (in dem Fall ausschließlichen) Gratisabgabe von Probeware.

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rechtsbegründende Benutzung mehr sein müsse als eine bloß rechtserhaltende, und erst recht mehr als eine rechtsverletzende Benutzung, eine Absage. Im Rahmen der rechtserhaltenden Benutzung stellte der EuGH überdies fest, dass die Tatsache, dass ein karitativer Verein nicht mit Gewinnerzielungsabsicht handelt, nicht ausschließe, dass dieser für seine Waren oder Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen versucht. 89 Auch dies sollte entsprechend im Rahmen von Art. 8 Abs. 4 UMV gelten. Das Zeichen muss jedoch als Marke benutzt werden, also „als unterscheidendes Element in dem Sinn […], dass es dazu dienen muss, eine von seinem Inhaber ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit zu identifizieren“ 90. Zudem folgt aus dem Territorialitätsprinzip, dass die Benutzung auf dem Gebiet stattfinden muss, in dem das ältere Kennzeichen Schutz genießt. 91 Dies hatte das EuG in BUD verkannt, indem es auf die Gesamtbenutzung der angeblichen geographischen Herkunftsangabe abstellte, statt konkret auf die Benutzung des Zeichens in dem jeweiligen Schutzland. 92 Schließlich hat die Benutzung auch ein temporales Element: Aus dem Prioritätsprinzip folgt, dass sämtliche Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 4 UMV vor dem Anmelde- oder Prioritätstag der angegriffenen EU-Marke erfüllt sein mussten, inklusive der Benutzung. Eine erst nach diesem Tag stattfindende Benutzung der älteren nicht eingetragenen Marke kann nicht berücksichtigt werden. 93 Andererseits folgt aus Art. 8 Abs. 4 nach hiesiger Ansicht nicht, dass die Benutzung bis zum Stichtag angedauert haben müsse. 94 Schützt das nationale Recht eine durch Benutzung erlangte Marke, etwa aufgrund fortdauernder Bekanntheit, auch wenn deren Benutzung bereits vor längerer Zeit eingestellt wurde, so ergibt sich aus Art. 8 Abs. 4 keine Grundlage für eine Missachtung des älteren Rechts. Eine Vermengung des 89. EuGH, Urt. v. 09.12.2008, C-442/07 = GRUR 2009, 156 = MarkenR 2009, 46, Rn. 17 – Radetzky. 90. EuGH, MarkenR 2011, 157, Rn. 149 – BUD. Dabei unterschied der EuGH nicht grundsätzlich zwischen einer Benutzung einer geographischen Herkunftsangabe, auf die es in dem Fall ankam, und der einer Marke. 91. EuGH, MarkenR 2011, 157, Rn. 161 f. – BUD; ausführlich Keeling/Weidenfeller, in: BeckOK UMV, 2. Ed. 24.03.2016, Art. 8 Rn. 331 ff.

dazu

92. EuG, Urt. v. 16.12.2008, GRUR Int. 2013, 345, Rn. 167 – BUD. 93. EuGH, MarkenR 2011, 157, Rn. 164-169 – BUD. Siehe auch EUIPO, Prüfungsrichtlinien, Stand: 01.08.2016, Teil C, Widerspruch, Abschnitt 4, Ziff. 3.3.2.1. 94. Ausdrücklich offen gelassen in EuG, Urt. v. 23.10.2013, T-581/11, Rn. 28 – Baby Bambolina, in einem Fall, in dem die Nichtigkeitsabteilung sogar angenommen hatte, die Benutzung müsse über den Anmeldezeitpunkt hinaus bis zur Stellung des Nichtigkeitsantrags angedauert haben. Das Gericht konnte die dies bestätigende Beschwerdekammerentscheidung wegen Fehlens mehr als lediglich örtlicher Bedeutung bestätigen.

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Benutzungserfordernisses in Art. 8 Abs. 4 mit den Voraussetzungen für die Rechtsentstehung nach nationalem Recht sollte nicht erfolgen. Freilich muss das nationale Recht noch zum relevanten Zeitpunkt bestehen, dies bedingt aber nicht, dass man die Benutzung im geschäftlichen Verkehr zu diesem Zeitpunkt verlangen müsse. Natürlich aber liegt die Beweislast dafür, dass das nationale Recht die ältere Marke weiterhin schützt, obwohl aktuell keine Benutzung mehr vorliegt, beim Widersprechenden; die Ausgangsvermutung spricht gegen eine solche Annahme. 3. Mehr als lediglich örtliche Bedeutung Das Erfordernis des Vorliegens einer Marke von mehr als lediglich örtlicher Bedeutung schränkt den Anwendungsbereich der relativen Eintragungshindernisse aus Art. 8 Abs. 4 UMV spürbar ein. Damit wird der „Gefahr eines Zusammenbruchs oder einer Lähmung des Unionsmarkensystems aufgrund einer Überflutung mit Widersprüchen im Zusammenhang mit relativ unbedeutenden Rechten vorgebeugt“ 95. Das Tatbestandsmerkmal erfüllt also eine wichtige Funktion für das europäische Markensystem. Es gewinnt zudem an Bedeutung, je geringer die Anforderungen an die Rechtsentstehung nach nationalem Recht sind – ist also ein potentieller Rettungsanker z.B. für Widersprüche aus dänischen oder maltesischen Benutzungsrechten. Der Inhaber eines Kennzeichenrechts mit lediglich örtlicher Bedeutung ist gegenüber späteren Unionsmarken nicht schutzlos gestellt. Zwar kann damit nicht die Eintragung einer Unionsmarke verhindert werden, der Inhaber des älteren Rechts kann sich aber gemäß Art. 111 Abs. 1 UMV der Benutzung der Unionsmarke in dem Gebiet widersetzen, in dem dieses ältere Recht geschützt wird, sofern dies nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats zulässig ist. 96 Es war von Anfang an Amtspraxis und ist spätestens seit der Bud Entscheidung des EuGH 97 klar, dass das autonom unionsrechtliche Tatbestandsmerkmal der mehr als örtlichen Bedeutung nicht anhand des nationalen Rechts zu bestimmen ist. Selbst wenn also das nationale Recht qua Entstehung landesweiten Schutz gewährt, ist deswegen das Merkmal der mehr als örtlichen Bedeutung noch nicht erfüllt. Erst recht kann sich die Frage nicht danach richten, ob das in einem Land geschützte Recht auch in anderen Ländern Schutz genießt, wie das EuG in Bud fehlerhaft 95. EUIPO, Prüfungsrichtlinien, Stand: 01.08.2016, Teil C, Widerspruch, Abschnitt 4, S. 4. 96. Zur Rechtslage in Deutschland Eckartt, in: BeckOK MarkenR, 6. Ed. 01.05.2016, Art. 111 UMV Rn. 2 und in Österreich Müller, in: BeckOK UMV, 2. Ed. 24.03.2016, Art. 111 Rn. 2 f. 97. EuGH, MarkenR 2011, 157 Rn. 156 ff. – BUD.

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angenommen hatte. Es geht vielmehr darum, ob – mit Blick auf das Territorialitätsprinzip – die im Schutzland vorgenommene Benutzung des Kennzeichens diesem zu einer mehr als überörtlichen Bedeutung in diesem Land verholfen hat. Rechtsfragen spielen hier keine Rolle. Der Begriff „mehr als lediglich örtliche Bedeutung“ lässt vermuten, dass es allein auf die geographische Ausbreitung des Rechts ankomme. Bei einem solchen Verständnis wären die Voraussetzungen schon dann erfüllt, wenn der Widerspruchsführer nachweisen könnte, dass das ältere Zeichen nicht lediglich lokal benutzt wurde oder wird. 98 Auf die Qualität oder Intensität der Nutzung käme es demnach nicht an. Einer solchen Auslegung trat der EuGH entgegen. Es sei zwar richtig, dass ein Zeichen, das eine rein örtliche geographische Ausdehnung erfahren hat, lediglich örtliche Bedeutung im Sinne von Art. 8 Abs. 4 UMV habe. Daraus folge jedoch nicht, dass allein die Tatsache einer weiteren geographischen Ausdehnung zu einer Qualifikation als nicht lediglich örtlich führt. 99 Um die Funktion dieses Tatbestandsmerkmals zu erfüllen, die darin bestehe, Konflikte zu vermeiden, die auf nicht hinreichend bedeutsamen Rechten basieren, müssen die älteren Rechte im geschäftlichen Verkehr wichtig und bedeutungsvoll und auf dem relevanten Markt tatsächlich präsent sein. 100 Dies sei der Fall, wenn die Benutzung in einem bedeutenden Teil des relevanten Gebiets erfolgt, wobei es auf die Dauer und Intensität der Benutzung als unterscheidendes Element ankomme. Als Adressaten kommen sowohl Käufer und Verbraucher als auch Lieferanten und Wettbewerber in Betracht. Entscheidend sei vor allem die Benutzung des Zeichens in der Werbung und in der geschäftlichen Korrespondenz. 101 Zusammenfassend lässt sich damit sagen, dass das Tatbestandsmerkmal der mehr als lediglich örtlichen Bedeutung sowohl eine ökonomische als auch eine geographische Dimension hat und unabhängig vom Recht des Schutzlandes allein mit Blick auf die durch Benutzung des Zeichens erlangte Bedeutung zu beurteilen ist. 102 98. EuG, GRUR Int. 2013, 345, Rn. 180 f. – BUD; kritisch dazu Keeling/Weidenfeller, in: BeckOK UMV, 2. Ed. 24.03.2016, Art. 8 Rn. 336, die Position des EuG sei „ein wenig absurd“. 99. EuGH, MarkenR 2011, 157, Rn. 156 – BUD. 100. EuGH, MarkenR 2011, 157, Rn. 157 – BUD. 101. EuGH, MarkenR 2011, 157, Rn. 159 f. – BUD; EUIPO-BK, Entsch. v. 19.12.2013, R 1294/2011-1, Rn. 37 f. – CULTURE. 102. Siehe zu dieser Untergliederung EUIPO-BK, Entsch. v. 19.12.2013, R 1294/2011-1, Rn. 39 ff. – CULTURE. Nicht ausreichend sei es beispielsweise, wenn ein Zeichen lediglich in einer portugiesischen Ortschaft mit 120.000 Einwohnern 10 Jahre lang benutzt wurde und eine Werbung, die sich außerhalb der Stadt entfalten würde, nicht nachgewiesen werden konnte, siehe dazu EuG, Urt. v. 24.03.2009, T-318/06 bis T-321/06 = GRUR Int. 2009, 728, Rn. 44 – GENERAL OPTICA. Hier fehlten die Benutzung in einem bedeutenden Teil des relevanten Territoriums und damit die geographische Dimension.

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723 4. Untersagungsbefugnis

Schließlich muss der Widerspruchsführer beweisen, dass er die Benutzung der jüngeren Marke untersagen dürfte. Art. 8 Abs. 4 UMV spricht hier klar von der Möglichkeit 103 der Untersagung der Benutzung, nicht der Eintragung. 104 Die Untersagungsbefugnis richtet sich, wie schon die Entstehung des Rechts, allein nach nationalem Recht. Auch für das Vorliegen dieser Voraussetzungen trifft den Widerspruchsführer die Beweislast. Er muss wiederum die relevanten nationalen Normen und gegebenenfalls die dazu ergangene nationale Rechtsprechung vorlegen. 105 In der Praxis stellt der Nachweis der Untersagungsbefugnis bei nicht eingetragenen Marken den Widersprechenden kaum vor Probleme. Normalerweise verweist das nationale Recht entweder auf den Schutzbereich eingetragener Marken oder gibt den Wortlaut in ähnlicher Weise wieder. Damit geht es in aller Regel um Doppelidentität, Verwechslungsgefahr oder auch Bekanntheitsschutz, und das Amt kann auf seine eigene Rechtsprechung zu diesen harmonisierten Rechtsbegriffen zurückgreifen. Nur im Zusammenhang mit Passing Off sind auf dieser Ebene weitere Ausführungen vonnöten, die die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale „Misrepresentation“ und Schaden belegen. Um noch einmal auf das dänische Recht zurückzukommen: Hier zum Beispiel basiert die Untersagungsbefugnis aus nicht eingetragenen Marken auf § 4 Abs. 1 des dänischen Markengesetzes. Der Wortlaut der Norm ist im Wesentlichen identisch mit Art. 8 Abs. 1 UMV. Konsequenterweise verweist das EUIPO auf das Erfordernis, auf das nationale Recht abzustellen, um sogleich klarzustellen, dass aufgrund der Ähnlichkeit der Normen auf die Grundsätze zur Verwechslungsgefahr aus Art. 8 Abs. 1 UMV zurückgegriffen werden könne. 106

103. Es muss lediglich die Möglichkeit der Benutzungsuntersagung vorliegen, ein tatsächlich erwirktes Benutzungsverbot ist nicht erforderlich, siehe dazu EuGH, MarkenR 2011, 157, Rn. 191 – BUD. 104. EuG, Urt. v. 12.06.2007, T-60/04 bis T-64/04, Rn. 78 – BUD; Keeling/Weidenfeller, in: BeckOK UMV, 2. Ed. 24.03.2016, Art. 8 Rn. 349; anders nun jedoch EUIPO, Prüfungsrichtlinien, Stand: 01.08.2016, Teil C, Widerspruch, Abschnitt 4, S. 23 ff. Das Recht, die Eintragung einer jüngeren Marke zu untersagen, impliziere a fortiori die Untersagung der Benutzung dieses Zeichens auf dem Markt. Die Eintragung könne als erster Ausdruck oder zumindest als Anzeichen der Absicht einer Benutzung betrachtet werden. Diese Auslegung widerspricht allerdings dem klaren Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 lit. b UMV. 105. Heitmann, in: BeckOK MarkenR, 6. Ed. 01.05.2016, Art. 8 UMV Rn. 89 ff. 106. EUIPO-BK, Entsch. v. 19.12.2013, R 1294/2011-1, Rn. 59 f. – CULTURE. Dieses Ergebnis lässt sich auch systematisch herleiten, da sowohl § 4 Abs. 1 des dänischen Markengesetzes wie auch § 14 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG auf Art. 5 Abs. 1 MRL 2008/95 basieren. Die einheitliche Auslegung von Art. 5 Abs. 1 MRL 2008/95 und § 8 Abs. 1 UMV liegt dabei auf der Hand.

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IV. ABGRENZUNG NOTORISCH BEKANNTER UND AUFGRUND NATIONALER REGELUNGEN GESCHÜTZTER NICHT EINGETRAGENER MARKEN Die hier untersuchten, als relative Eintragungshindernisse fungierenden, notorisch bekannten Marken einerseits und die nicht eingetragenen Marken im Sinne von Art. 8 Abs. 4 UMV andererseits haben zwar unterschiedliche Anwendungsbereiche, es existieren aber auch Überschneidungen. Die Widerspruchsgründe und damit der Schutzumfang der älteren Rechte werden im Regelfall identisch auszulegen sein. Wie schon oben festgestellt, muss zumindest Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. b UMV vorliegen, um einen auf einer notorisch bekannten Marke basierenden Widerspruch zu begründen. Im Rahmen von Art. 8 Abs. 4 UMV liegt ein begründeter Widerspruch vor, wenn die ältere Marke seinem Inhaber das Recht verleiht, die Benutzung der jüngeren Marke zu untersagen. Die Untersagungsbefugnis richtet sich dabei nach nationalem Recht. Da aber die Untersagungstatbestände durch Art. 5 Abs. 1 MRL 95/2008 harmonisiert worden sind, gelten hier die gleichen Kriterien der Doppelidentität und der Verwechslungsgefahr. Die Unterschiede liegen in den Voraussetzungen der Entstehung des älteren Schutzrechts. Im deutschen Recht ist der Anwendungsbereich der notorisch bekannten Marken sehr eng, da bei Vorliegen einer Marke basierend auf der notorischen Bekanntheit im Sinne von § 4 Nr. 3 MarkenG im Regelfall auch eine Marke durch Verkehrsgeltung nach § 4 Nr. 2 MarkenG besteht, die geringere Bekanntheitswerte voraussetzt. 107 Der einzige Fall einer selbständigen Bedeutung der notorisch bekannten Marke liegt darin, dass ein solcher Schutz auch möglich ist, wenn das Zeichen im Inland gar nicht benutzt wird. Für den Schutz als notorisch bekannte Marke ist lediglich die Bekanntheit im Inland entscheidend, auf die Nutzung kommt es nicht an. 108 Demgegenüber kommt es bei der Benutzungsmarke nach § 4 Nr. 2 MarkenG auf die Nutzung im Inland an (wenn auch nicht zwingend innerhalb der letzten fünf Jahre). 109 Es ist also durchaus möglich, dass aufgrund fehlender Nutzung im Inland keine Benutzungsmarke entsteht, das Zeichen aber dennoch notorisch bekannt ist. Dann wäre lediglich auf Art. 8 Abs. 2 lit. c UMV abzustellen. Dass eine notorisch bekannte Marke im Inland gar nicht benutzt wird, ist jedoch eine 107. Fezer, MarkenR, 4. Aufl. 2009, § 4 MarkenG Rn. 224; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl. 2010, § 4 Rn. 29. 108. EuG, Urt. v. 03.03.2016, T-778/14 = BeckEuRS 2016, 471576, Rn. 60 – COYOTE UGLY. 109. Fezer, MarkenR, 4. Aufl. 2009, § 4 MarkenG Rn. 224; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl. 2010, § 4 Rn. 29; Kochendörfer, in: BeckOK UMV, 2. Ed. 24.03.2016, Art. 8 Rn. 253; Weiler, in: BeckOK MarkenR, 6. Ed. 01.05.2016, § 4 MarkenG Rn. 131.

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eher theoretische Fallgestaltung, so dass normalerweise Art. 8 Abs. 4 UMV offen stehen dürfte. Dies kann sich in anderen Mitgliedstaaten anders darstellen. Zum einen könnten die Anforderungen an die Erlangung des Schutzes nicht eingetragener Schutzrechte noch höher liegen als in Deutschland (wobei entsprechende Rechte nicht ersichtlich sind), zum anderen gibt es, wie erwähnt, Mitgliedstaaten, die nicht eingetragene Marken gar nicht schützen. Für diese Mitgliedstaaten ist mangels Markeneintragung auf notorisch bekannte Marken abzustellen. Eine kumulative Anwendung der Art. 8 Abs. 4 und Abs. 2 lit. c UMV ist immer dann möglich, wenn die Marke im Schutzland benutzt wurde und das nationale Recht nicht eingetragene Marken schützt. In diesem Fall reicht es allerdings, auf das Schutzrecht abzustellen, das niedrigere Schutzvoraussetzungen vorsieht. Im Regelfall wird dies die nationale nicht eingetragene Marke im Sinne von Art. 8 Abs. 4 UMV sein. V. SCHLUSSBEMERKUNG 26 Jahre hat es gebraucht, bis die Harmonisierung des Markenrechts in der Europäischen Union mit der neuen Richtlinie 2015/2436 einen großen Schritt weiter gegangen ist. Vor den nicht eingetragenen Marken jedoch hat sie Halt gemacht. Deren Regelung bleibt den Mitgliedstaaten vorbehalten, und in der UMV sind sie weiterhin nicht anerkannt, außer als Widerspruchs- und Nichtigkeitsgründe. Dabei spielen diese Rechte eine erhebliche Rolle in der täglichen Markenrechtspraxis, nicht zuletzt wegen des Fehlens eines Weiterbenutzungsrechts vorbenutzter Marken nach dem Markenrecht der EU. Um zu einer wirklichen Vorhersehbarkeit der markenrechtlichen Situation in der EU zu kommen, insbesondere bei der Frage, ob neue Marken für die Eintragung und Benutzung zur Verfügung stehen, und um zu verhindern, dass sich Marktteilnehmer genötigt sehen, alle möglichen zweifelhaften Zeichen eintragen zu lassen, nur um deren künftige Benutzung zu sichern, wären grundlegende unionsweit einheitliche Regelungen und gegebenenfalls ein Weiterbenutzungsrecht wünschenswert. Nach der gegenwärtigen Rechtslage, mit der jetzt wohl ein weiteres Vierteljahrhundert zu leben ist, ist es jedenfalls für EUMarkenrechtler hilfreich, einen Überblick über die derzeit sehr unterschiedliche Situation in den Mitgliedstaaten zu haben. Insbesondere das Erstbenutzungsrecht in Dänemark kann in komplizierten EU-weiten Markenkonflikten helfen. Ob es mit dem Erstanmeldesystem des EU-Markenrechts im Einklang steht, mag fraglich sein; klären ließe sich dies aber nur durch den EuGH und einstweilen ist es geltendes Recht.