DIE DARSTELLUNG DER FAMILIE IN JELINEKS DIE AUSGESPERRTEN, REICHARTS FEBRUARSCHATTEN UND BERNHARDS HELDENPLATZ

Martina Frist

A Thesis Submitted to the Graduate College of Bowling Green State University in partial fulfillment of the requirements for the degree of MASTER OF ARTS August 2015 Committee: Christina Guenther, Advisor Geoffrey C. Howes

© 2015 Martina Frist All Rights Reserved

ABSTRACT

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Christina Guenther, Advisor

This thesis concentrates on three texts: Die Ausgesperrten (1980) by Elfriede Jelinek, Februarschatten (1984) by Elisabeth Reichart and Heldenplatz (1988) by Thomas Bernhard. The authors describe the trauma of the Austrian people who survived the Second World War and how this trauma affected their lives and the lives of their children. The thesis addresses the following questions: How is family - as an institution and in relation to other institutions that constitute Austrian society - depicted in these works? What is the relationship between family members and how is this represented? How do the characters in the texts understand or construct their identity? The primary texts are analyzed in close readings using a narratological approach. I reflect on the construction and representation of identity by considering theories developed by Jan Assmann, Sigmund Freud and Benedict Anderson. The stories in these texts take place in the 1950s through the 1980s in Austria and depict the lives of families that suffer under bad living conditions and also under the trauma that was created during the Second World War. My research focuses on the complicated relationships in these patriarchal families and analyzes the roots of their problems within the historical context of the Second Republic. The main characters in these three texts live under different conditions and struggle with different problems that thwart their attempts to develop an identity and a sense of belonging.

DANKSAGUNG

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Menschen bedanken, die mich während des Schreibprozesses unterstützten und auch motivierten. Mein Herzlicher Dank gilt vor allem Dr. Christina Guenther. Ihre Unterstützung und ihre guten Ideen waren mir eine große Hilfe bei der Forschung und ihr Enthusiasmus inspirierte mich dazu diese Arbeit zu Ende zu bringen. Ich möchte mich auch bei meiner Familie und meinen Freunden bedanken, die mich immer wieder motivierten und mir zur Seite standen.

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v INHALTSVERZEICHNIS Page EINLEITUNG........................................................................................................................

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KAPITEL I: DIE ÖSTERREICHISCHE IDENTITÄT .......................................................

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KAPITEL II: DIE AUSGESPERRTEN VON ELFRIEDE JELINEK ...................................

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I. Handlung

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II. Schreibstil ............................................................................................................

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III. NS-Vergangenheit in Die Ausgesperrten.............................................................

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IV. Die Hauptfiguren und warum sie sich als „Die Ausgesperrten“ fühlen ..............

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Anna und Rainer Witkowski und ihre Familie ..............................................

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V. Schlussfolgerung ...................................................................................................

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KAPITEL III: FEBRUARSCHATTEN VON ELISABETH REICHART ............................

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I. Handlung

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II. Schreibstil ............................................................................................................

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III. Wie reagierten die Leute in Hildes Dorf auf das NS-Regime? ...........................

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IV. Hilde und ihre Beziehungen ................................................................................

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a. Hilde und ihre Identität ..............................................................................

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b. Hilde und ihre Eltern und Geschwister ......................................................

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c. Hilde und ihr Ehemann (Anton) und ihre einzige Tochter (Erika) ...........

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V. Schlussfolgerung ...................................................................................................

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KAPITEL IV: HELDENPLATZ VON THOMAS BERNHARD ..........................................

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I. Skandal um Kurt Waldheim ...................................................................................

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II. Heldenplatz und der Skandal.................................................................................

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III. Handlung ............................................................................................................

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IV. Schreibstil ............................................................................................................

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V. Kritik Österreichs ..................................................................................................

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VI. Hauptfiguren in Heldenplatz und ihre Identität ...................................................

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VII. Josef Schuster und seine Beziehungen ...............................................................

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a. Josef Schuster und seine „Frauen“ .............................................................

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b. Josef Schuster und seine Kinder und sein Bruder ......................................

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VIII. Schlussfolgerung ...............................................................................................

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SCHLUSSFOLGERUNG ......................................................................................................

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LITERATURVERZEICHNIS ...............................................................................................

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EINLEITUNG

Als der Zweite Weltkrieg in Europa im Mai 1945 endete, wurde Österreich zum ersten Opfer Hitlers ernannt. 1 Die Teilnahme an dem Krieg und die Tatsache, dass viele Österreicher während der dunklen Zeit den Nationalsozialismus unterstützten und den Anschluss an das Dritte Reich im März 1938 begrüßt hatten, wurde in der Öffentlichkeit zu einem Tabuthema in den Nachkriegsjahren. Österreich wollte sich von seiner eigenen Nazi-Vergangenheit trennen und ein neues Kapitel beginnen. Während Schriftsteller in der Bundesrepublik Deutschland schon kurz nach 1945 begannen, über die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges Bücher zu schreiben, um die deutschen Mitbürger zu zwingen, sich mit ihrer eigenen Schuld zu konfrontieren, warteten die österreichischen mit ihrer Vergangenheitsaufarbeitung bis in die achtziger Jahre. Österreichische Bücher über dieses Thema wurden in höherem Maße erst nach Ende der achtziger Jahre veröffentlicht, was auch mit dem Skandal um den österreichischen Präsidenten Kurt Waldheim 2 und um das Theaterstück Heldenplatz von Thomas Bernhard zusammenhing. Aber es gab schon vorher einige Autoren, die dieses Thema in ihren Büchern verarbeiteten und zu ihnen gehörten auch Elfriede Jelinek und Elisabeth Reichart. Die oben genannten Autoren gehören zur ersten Nachkriegsgeneration. Maria-Regina Kecht vermutet, dass ihr Interesse an diesem Thema nicht aufgrund des Skandals um Kurt Waldheim, sondern wegen des langjährigen Schweigens bezüglich der Nazi-Vergangenheit 1

Diese Opfer-These wurde schon während des Krieges von den Alliierten vorgeschlagen, obwohl die Bevölkerung an Gräueltaten teilnahm. „Although asserting, as Churchill did in February 1942, that Austria was the ‘first victim of Nazi aggression’ might be wishful thinking, it provided a carrot-and-stick approach to undermine Austrians’ support for Hitler” (Beller 245). 2 1986 wurde Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten. Während des Zweiten Weltkriegs diente er in der deutschen Wehrmacht an der Ostfront und auf Balkan.

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verursacht wurde. Sie wollten mehr als die dürftigen Informationen über die österreichische Rolle während des Dritten Reiches erfahren, die durch das Schulcurriculum und in der Öffentlichkeit vermittelt wurde (245). Für viele Psychologen war das keine Überraschung, weil einige von ihnen „have predicted correctly that the collective repression of the Nazi trauma would result in long-term damage to the children and grandchildren of those who experienced the rise and fall of National Socialism” (Kecht 245). Kecht meint, dass Bücher zu schreiben, die Art und Weise war, wie die österreichischen Schriftsteller mit der Vergangenheit und auch dem Erbe ihrer Vorfahren zurechtkommen wollten (244 – 245). Diese Diplomarbeit beschäftigt sich mit drei Werken von zwei Autorinnen und einem Autor, die in den achtziger Jahren erschienen und die österreichische Geschichte während des Zweiten Weltkrieges kritisierten, Elfriede Jelineks Die Ausgesperrten (1980), Elisabeth Reicharts Februarschatten (1984) und Thomas Bernhards Heldenplatz (1988). Diese drei AutorInnen befassen sich in ihren Werken mit dem Zweiten Weltkrieg und mit der Teilnahme Österreichs an dem Holocaust. Die Themen der Werke handeln von dem Austrofaschismus, der Ermordung der Juden, der Opfer-These und dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Diese drei Werke wurden ausgewählt, weil die AutorInnen nicht nur die historischen Ereignisse, sondern auch die komplizierten zwischenmenschlichen Beziehungen in der österreichischen Gesellschaft und Familie beschreiben. Sie betrachten das Leben der Hauptfiguren, ihre Träume und Albträume aus verschiedenen Blickwinkeln und unter anderem stellen sie auch dar, wie diese Figuren von den Umständen in ihren Familien und auch von den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs beeinflusst wurden. In meiner Forschung werde ich die zwischenmenschlichen Beziehungen in der Familie und die Identität der Hauptfiguren

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analysieren und ich werde mich auch auf die Spannung zwischen den Generationen (Eltern und ihren Kindern) und den Geschlechtern konzentrieren. Ich habe vor, Antworten auf folgende Fragen zu finden: Wie wird die Familie in diesen Werken dargestellt und wie sehen die Beziehungen zwischen den jeweiligen Familienmitgliedern aus? Wie verstehen und bilden die Hauptfiguren ihre eigene Identität und wie werden sie von den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges beeinflusst? Elfriede Jelineks Die Ausgesperrten ist ein Roman, der das Schicksal von vier Jugendlichen beschreibt. Diese jungen Leute leben in den fünfziger Jahren in Wien unter unterschiedlichen Umständen und träumen, dass ihre Wünsche eines Tages erfüllt werden. Ihr Leben und auch die Beziehungen mit anderen Leuten sind noch immer von den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges beeinflusst und es scheint, als ob sie keine Chance auf ein neues Leben hätten. Februarschatten, der erste Roman von Elisabeth Reichart, stellt auch die Belastung der Vergangenheit dar und beschreibt, wie das Leben der Hauptfigur Hilde wegen der schwierigen menschlichen Beziehungen und des Kriegsverbrechens negativ beeinflusst wurde. Ganz im Gegensatz zu diesen zwei Werken steht Thomas Bernhards Heldenplatz. Es handelt sich um ein Theaterstück, in dem Juden, die den Krieg überlebten, zu Worte kommen. Diese jüdische Diskussion findet am Ende der achtziger Jahre statt und kritisiert die zeitgenössische nicht-jüdische österreichische Gesellschaft. Es geht um eine Familie, deren Leben sowohl vom despotischen Vater und Ehemann als auch von der Judenverfolgung beeinflusst wurde. Die Familien, die in diesen Werken beschrieben werden, reflektieren die historische Entwicklung dieser Institution, die sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts sehr veränderte.

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Im 19. Jahrhundert „entstand der Typus der Kleinfamilie bzw. Kernfamilie“ (Szczepaniak 42), die aus den Eltern, Kindern und eventuell auch aus den Großeltern bestand und in der die Rollen zwischen den Geschlechtern sehr streng verteilt wurden. Der Mann arbeitete außerhalb der Familie und vetrat die Familie in der Gesellschaft, während die Frau zu Hause war und sich um die Kinder und den Haushalt kümmerte (Textor 26). Die Erziehung der Kinder „war [auch] stark geschlechtsspezifisch geprägt“ (Textor 29). Während des 19. Jahrhunderts und vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kämpften die Frauen um mehr Rechte, was dann im Laufe der Zeit auch Früchte zeitigte (bespielweise bekamen sie nach dem ersten Weltkrieg das Stimmrecht). Diese Entwicklung wurde jedoch in den Zeiten des Nationalsozialismus eingestellt. „Für die Nationalsozialisten war die Familie ein entscheidender Ansatzpunkt zur Verwirklichung ihrer rasse- und gesellschaftspolitischen Ziele“ (Gestrich 8). Die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern wurde wieder verstärkt, wie im 19. Jahrhundert, und die Frau wurde nur als „Ehefrau und Mutter“ angesehen (Gestrich 8). Diese Ideen über die Familie und Rollen der Männer und Frauen spiegeln sich auch in Die Ausgesperrten, Februarschatten und Heldenplatz wider. Der Erziehungsstil der Eltern wurde von den oben erwähnten Ansichten beeinflusst und die Rollenverteilung der Geschlechter in den Familien wurde streng bestimmt. Diese Arbeit ist in vier Kapiteln eingeteilt. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Problematik der österreichischen Identität und wie sich diese Identität nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hat. Die drei nächsten Kapitel konzentrieren sich auf die oben erwähnten Werke und analysieren die Handlung, den Schreibstil und die zwischenmenschlichen Beziehungen und die Identität der Haupfiguren. In der Schlussfolgerung werden die Schlüsse der

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vorangegangenen Kapitel wieder besprochen und verglichen, um die Ähnlichkeiten oder Unterschiede hervorzuheben.

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KAPITEL I: DIE ÖSTERREICHISCHE IDENTITÄT

„A nation can ... be defined as a named human population sharing an historic territory, common myths and historical memories“ (Smith 14).

Mit dem Zerfall der Habsburger Monarchie im Jahr 1918, die ein Vielvölkerstaat war, verlor die neu gegründete Republik Österreich ihre alte Identität, weil die Gebiete, die sie Jahrhunderte lang besaß, von ihr abgetrennt wurden. Die neue Republik musste eine neue Stellung im modernen Europa finden. Die Österreicher hielten sich selbst für Deutsche mit „eine[r] österreichische[n] Identität“, die neue Republik wurde zunächst „als deutscher Staat“ definiert (Binder und Bruckmüller 101), und es gab sogar Bemühungen diese neue Republik an Deutschland anzuschließen oder ihr den Namen „Deutsch-Österreich“ zu geben. Die Alliierten lehnten jedoch beides ab. Österreich wurde zum selbstständigen Staat und, wie auch andere Länder, die nach dem ersten Weltkrieg gegründet wurden, wurde das Land ganz plötzlich zum ersten Mal in seiner Geschichte auch demokratisch. Obwohl schon die Habsburger Monarchie ein paar demokratische Prinzipien aufgenommen hatte (Gründung des Parlaments, Stimmrecht usw.), war die Demokratie für Österreicher etwas Neues. Schon im Jahre 1929 wurde dieser neue Staat wie auch die ganze Welt von der Weltwirtschaftskrise betroffen und viele Menschen verloren ihre Arbeit und gerieten in Armut. Österreich erholte sich von der Krise langsamer als andere Staaten 3 und einige meinten, dass der Grund für ihre Probleme an der Demokratie lag. Sie schoben der Demokratie die Verantwortung 3

„Erst 1937 wurde das Niveau der Industrieproduktion von 1929 wieder erreicht, aber ohne dass die Arbeitslosigkeit deutlich zurückgegangen wäre“ (Binder und Bruckmüller 69).

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für die Krise zu und begannen, sich nach einer starken Führerfigur zu sehnen. Diese Atmosphäre war typisch nicht nur für Österreich, sondern auch für andere Staaten in Europa: „To the north in Germany, to the south in Italy and Yugoslavia, to the east in Hungary, the message was the same: Europe was increasingly not the place for parliaments or democracy” (Basset 19). Im Nachbarstaat Deutschland ging die Entwicklung zu einem nicht-demokratischen Staat sehr schnell. Am Anfang der dreißiger Jahre geriet es unter den Einfluss der nazionalsozialistischen Ideologie und Hitler gewann an Macht. Diese Ideologie wurde dann in andere Länder, auch nach Österreich, importiert und dort verbreitet. Mit dem Import der Ideologie begnügte sich Hitler jedoch nicht und im Jahr 1937 enthüllte er seinen Plan von der Annexion der Tschechoslowakei und auch von Österreich. Der österreichische Bundeskanzler Schuschnigg wollte die Unabhängigkeit Österreichs bewahren und ein Referendum darüber durchführen, aber das geschah jedoch nicht mehr. Hitler befahl die Invasion und die deutschen Truppen betraten am 11. März 1938 Österreich (Beller 229). Schuschnigg begriff, dass sich das unvermeidbare Ende von einem unabhängigen Österreich näherte, und erteilte den Befehl, die Deutschen nicht zu bekämpfen. Der „Anschluss“ wurde deswegen ohne einen großen Widerstand durchgeführt und es gab nur ein paar Kämpfe zwischen Österreichern und Deutschen (Basset 26). Österreich wurde zum Teil des Deutschen Reichs und wurde dann bis Ende des Krieges als die Ostmark bezeichnet. Viele Österreicher nahmen den „Anschluss“ positiv auf, einigen gefiel jedoch nicht die Tatsache, dass Österreich nicht zum gültigen Teil Deutschlands wurde und dass sie nie als erstklassige Bürger angesehen wurden (Thurner 40). Nach dem „Anschluss“ wurde der Nationalsozialismus in Österreich noch weiter verbreitet und die österreichische Ökonomie gedieh. Es gab fast keine Arbeitslosigkeit und die

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österreichische Infrastruktur wurde modernisiert (Beller 240). Die österreichische Gesellschaft veränderte sich auch und erste antisemitische Maßnahmen wurden getroffen (das Vermögen der Juden wurde beschlagnahmt, jüdische Studenten wurden den Schulen verwiesen und auch ihr wirtschaftliches Leben wurde eingeschränkt). Viele von ihnen flohen aus Österreich, 4 während diejenigen, die dort blieben, sehr oft in die Konzentrationslager geschickt wurden. Nach Steven Beller nahmen viele Österreicher am Holocaust in großem Maße teil. „Austrian individuals filled almost half of the key positions in the Holocaust´s command structure” (237). Obwohl die Mehrheit der Österreicher das neue Regime unterstützte, gab es in Österreich auch Gegner. Es waren hauptsächlich Kommunisten, „Träger des Ständestaates“ und Menschen, die den Anschluss an Deutschland nicht mochten und sich wünschten, dass ihr Land von Deutschland wieder befreit werden könnte. Diese Gruppen erlitten jedoch schwere Verluste, denn viele von ihnen wurden in die Konzentrationslager geschickt (Binder und Bruckmüller 98 100). 5 Nachdem der Krieg angefangen hatte, kämpften Österreicher in der deutschen Armee und laut Schätzungen wurden „[m]ehr als 250 000“ von ihnen getötet (Binder und Bruckmüller 100). 6 Der Krieg in Europa dauerte fast fünf Jahre und wurde im Mai 1945 beendet. Österreich wurde okkupiert und in vier Zonen eingeteilt. Alle Schuldigen und Täter, die Kriegsverbrechen begangen hatten, sollten bestraft werden, aber in Wirklichkeit passierte es nicht. Die USA und

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„[E]twa 120.000 von insgesamt etwa 180.000 bis 190.000 österreichischen Juden flüchteten aus Österreich“ (Binder und Bruckmüller 98). 5 „Approximately 100,000 Austrians were arrested on political grounds. If one adds the more than 20,000 killed in the Nazi euthanasia programme, then the number of Austrian opponents or victims of the Nazis was significant” (Beller 242). 6 „Der Krieg forderte aber auch viele militärische und zivile Opfer. Mehr als 250.000 Österreicher fielen als deutsche Soldaten, dazu kamen die zahlreichen Bombenopfer und die Opfer der Kämpfe 1945“ (Binder und Bruckmüller 100).

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Westeuropa brauchten ein starkes Österreich gegen einen neuen Feind, die Sowjetunion (Basset 59). Österreich wurde zum ersten Opfer Hitlers, was schon während des Krieges von den Alliierten vorgeschlagen wurde, und die sogenannte „Opfer-These“ wurde zur offiziellen Politik, obwohl die Bevölkerung „sich aktiv an den Verbrechen der Deutschen beteiligt hatte“ (Götz von Olenhusen 230). Österreich musste jetzt aufgrund dieser These eine neue Identität finden und die österreichische Nation bilden, wobei die lange Geschichte und Kultur der österreichischen Nation helfen sollten (Thurner 41). Ein neues Image Österreichs als „ein kleines und schönes Musiker-Land mit herrlichen Barockgebäuden, eingebettet in eine bezaubernde Landschaft“ wurde hergestellt (Thurner 42). Dieses neu konstruierte Image wurde schnell vom Westen akzeptiert und unterstützt und wurde auch die Basis für ein neues österreichisches Nationalbewusstsein. Thurner ist der Meinung, dass das österreichische Nationalbewusstsein im Jahr 1955 geboren ist, als der Staatsvertrag unterschrieben wurde und die Neutralität zur offiziellen Politik wurde (41), aber nach Tributsch und Ulram dauerte es länger, und sogar bis Mitte der achtziger Jahre (59). Trotz dieser erfolgreichen Gründung der Nation litten die österreichische Gesellschaft und einzelne Menschen darunter, dass ihre NS-Vergangenheit nie endgültig aufgearbeitet wurde. Sie wurde zum Tabu und wurde verdrängt, aber nicht wirklich vergessen. Die zweite Generation, die während oder nach dem Krieg geboren ist, öffnete diese Büchse der Pandora und brachte das unterdrückte Trauma zum Vorschein. Das Thema begann, sich in der Literatur in den achtziger Jahren mehr widerzuspiegeln, und dann wurde es auch in der Öffentlichkeit diskutiert.

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KAPITEL II: DIE AUSGESPERRTEN VON ELFRIEDE JELINEK

„Sie alle wollen die ihnen gesetzten Grenzen überschreiten ..., wollen nicht ihrer Schicht oder Klasse verhaftet bleiben und werden doch alle von der jeweiligen Klasse, die sie repräsentieren, am Schluß wieder eingeholt“ (Janz 41).

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem Roman Die Ausgesperrten von Elfriede Jelinek (*1946), einer der wichtigsten österreichischen AutorInnen der Nachkriegszeit. Sie gewann für viele von ihren Werken Auszeichnungen und Literaturpreise und im Jahr 2004 sogar den Nobelpreis für Literatur. Sie erwarb diesen Preis für „den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen“ ("Nobelpreis Für Elfriede Jelinek."). Die Themen, über die Jelinek schreibt, sind provokant. Sie problematisiert einerseits die österreichische Nazi-Vergangenheit, die österreichische patriarchalische Gesellschaft und die katholische Kirche. Andererseits beschäftigt sich ihr Werk auch mit problematischen Beziehungen und der Brutalität in der Familie (sogar zwischen Mutter und Tochter). Wegen der kontroversen Sprache und der Themen, die die österreichische Gesellschaft beschreiben, riefen Jelineks Werke Skandale hervor. Der erste große Skandal wurde wegen der Uraufführung des Theaterstückes Burgtheater im Jahr 1985 ausgelöst, weil es auf die dunkle Nazi-Vergangenheit der österreichischen Gesellschaft hinweist. Es kritisiert die Institution des Burgtheaters und ihre Schauspieler, die in der nationalsozialistischen Zeit tätig und berühmt waren und die nach dem Krieg fast ohne Pause mit ihrer Theater-Karriere fortfuhren. Mit dem Thema der Nazi-Vergangenheit beschäftigt sich auch der Roman Die Ausgesperrten, der im Jahr 1980 erschien. Dieser Roman beschreibt das Schicksal von vier

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Jugendlichen (Anna, Rainer, Sophie und Hans), die in den fünfziger Jahren in Wien unter unterschiedlichen Umständen leben und die hoffen, dass sie ihr Leben verändern können. Die Geschichte zeigt deutlich, wie das Leben und auch die zwischenmenschlichen Beziehungen noch in den fünfziger Jahren von den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges beeinflusst wurden. Das Thema für diesen Roman wurde von einem tragischen wahren Fall inspiriert. 1965 ermordete ein Junge seine ganze Familie, und dieser tragische Fall erschien in Zeitungen. Elfriede Jelinek benutzte Details der Straftat (beispielweise die Art der Waffe, die vom Jungen benutzt wurde) im Roman, aber sie „verlegte die Geschichte allerdings in die fünfziger Jahre zurück“, weil sie selbst zur Zeit in Wien am Gymnasium studierte (Koberg and Mayer 91 – 92). Sie benutzte jedoch als Vorlage nicht nur diese wahre Geschichte, sondern auch die Geschichte ihrer eigenen Familie, beispielweise ihres Großvaters, der in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs (Name bis 1934, später SPÖ) aktiv war (Koberg and Mayer 97). Im Roman spiegelt sich möglicherweise darum die marxistische Ideologie wider. Es stehen sich drei gesellschaftliche Klassen dort gegenüber, und der Roman schildert unter anderem die Ungerechtigkeit in dieser Klassengesellschaft und die Unmöglichkeit, der eigenen Klasse zu entkommen. Die verschiedenen sozialen Gegensätze in der Gesellschaft werden nach Teresa-Maria Gitschthaler in Jelineks Werken „meist von einzelnen Figuren repräsentiert“ (26), und Die Ausgesperrten ist keine Ausnahme. Sophie vertritt die reiche privilegierte Klasse, Anna und Rainer repräsentieren das Kleinbürgertum und Hans die Arbeiterklasse. Diese vier bilden eine unhomogene Gruppe, eine Tatsache, die auf die Ungleichheit der österreichischen Gesellschaft in den fünfziger Jahren hinweist. Daneben werden im Roman auch andere Aspekte der österreichischen Gesellschaft der fünfziger Jahre kritisiert (beispielweise die faschistische Denkweise; der Respekt für die

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ehemaligen SS-Soldaten oder Erinnerungen an die Macht und die „guten“ Zeiten während des Krieges). Auf die Themen von Jelineks Roman Die Ausgesperrten gehen mehrere LiteraturwissenschaftlerInnen ein. Viele von ihnen beschäftigen sich mit Jelineks eigenartigem Schreibstil (Georg Schmid), der Rolle der Familie und des Geschlechts (Monika Szczepaniak, Teresa-Maria Gitschthaler) und auch mit der faschistischen Denkweise oder anderen auf das NSRegime hinweisenden Anspielungen (Ulrike Rainer). Ich trage zu dieser Forschung mit einer neuen Perspektive bei. Ich analysiere die Hauptfiguren und ihre Identität im Zusammenhang mit den Umständen in ihren Familien und stelle die Frage, wie sie von der Familie beeinflusst werden und wie sie die Denkweise von ihren Eltern trotz ihres Hasses ihnen gegenüber erben. Da dies bei der Familie Witkowski (Anna und Rainer) am sichtbarsten ist, werde ich mein Augenmerk vor allem auf diese Familie richten. Dieses Kapitel besteht aus fünf Unterkapiteln. Im ersten Unterkapitel analysiere ich die Handlung des Romans, um die wichtigsten Details der Geschichte zu betonen. Ich konzentriere mich hauptsächlich auf die unhomogene Gruppe, die die vier Hauptfiguren bilden, und die Beziehungen in ihren eigenen Familien nehme ich im vierten Unterkapitel unter die Lupe, wo sie gleichzeitig im Zusammenhang mit der Identität analysiert werden. Das zweite Unterkapitel beschreibt den ungewöhnlichen Schreibstil der Autorin. Dieser zeigt die Besonderheiten des Romans auf und wird speziell in Bezug auf die Familie Witkowski untersucht. Im dritten Unterkapitel beschäftige ich mich mit den im Roman erwähnten und auf die NS-Vergangenheit hinweisenden Anspielungen. Diese Analyse ist notwendig für das nächste

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Unterkapitel, das von den Hauptfiguren und ihren Beziehungen in der Familie handelt. Sie sind noch immer vom Zweiten Weltkrieg und von der faschistischen Denkweise beeinflusst.

I.

Handlung

Die Geschichte des Romans spielt sich in den fünfziger Jahren in Wien ab und beschreibt das Schicksal von vier jungen Freunden (Sophie, Hans und den Geschwistern Anna und Rainer), die ungefähr achtzehn Jahre alt sind. Anna und Rainer kommen aus dem Kleinbürgertum, Hans aus der Arbeiterklasse und Sophies Familie gehörte ursprünglich dem Adel an. Da sie nicht derselben gesellschaftlichen Klasse angehören, nehmen sie die Nachkriegszeit unterschiedlich wahr. Sophie, die aus einer reichen Familie stammt, kann sich viel leisten, während die anderen drei arm sind. Diese vier Personen bilden eine unhomogene Gruppe, wo jeder von ihnen eine Rolle spielt: „Rainer ist nämlich mehr das Hirn der Bande, Hans mehr die Hände, Sophie ist eher ein Art Voyeurin, und die Anna hat einen Zorn auf alle Menschen“ (A 11). Ihre Funktion in der Gruppe wird von den unterschiedlichen Umständen in ihren Familien bestimmt. Anna und Rainer leiden unter dem Terror ihres Vaters, eines ehemaligen SS-Offiziers ohne ein Bein, der die ganze Familie tyrannisiert. Rainer erbt die faschistische Denkweise vom Vater und hält sich selbst für den „Führer“ (A 129), während Anna wegen des Missbrauchs seitens des Vaters voll von Ärger ist. Im Gegensatz dazu wohnt Hans allein mit seiner Mutter, einer überzeugten Sozialdemokratin. Sein Vater starb während des Zweiten Weltkriegs im Konzentrationslager, vermutlich im Namen des Sozialismus, und Hans sollte in den Fußstapfen des Vaters gehen. Sophie ist die einzige, die scheinbar ein einfaches Leben hat. Sie kann alles

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haben, was sie will, und am Anfang des Romans scheint sie nur eine unterwürfige Beobachterin zu sein. Diese Gruppe scheint sehr vielfältig und darum frage ich mich: wie konnten sich diese Hauptfiguren trotz der unterschiedlichen Erfahrungen so gut miteinander verstehen? Ulrike Rainer ist der Meinung, dass „[t]hey find each other primarily through their shared hatred, existential loathing, and indifference, without, however, quite understanding the roots of such feelings or the ability to articulate them genuinely” (177). Ich stimme dieser Ansicht teilweise zu. Anna, Rainer und Hans haben viel gemeinsam. Alle hassen ihr Leben und sind von den Umständen in ihren Familien sehr frustriert. Sie fühlen sich in der Gesellschaft als „die Ausgesperrten“ und träumen von einer besseren Zukunft. Im Gegenteil dazu teilt Sophie diese Gründe nicht. Sie hat genug Geld und kann sich ohne Zweifel auf eine gute Zukunft freuen. Ich bin der Meinung, dass sie die Gesellschaft der anderen sucht, weil sie etwas Verbotenes erleben will. Beispielweise sagt sie: „Nein, im Ernst, es würde mich schon reizen, meine Finger in etwas Lebendiges hineinzuschlagen“ (A 195). Diese Gruppe verbringt viel Zeit zusammen und verübt Verbrechen. Sie bestehlen und schlagen Menschen, quälen Tiere und denken sogar über einen Mord nach. Diese Taten werden aus Wut begangen und eskalieren zum Ende des Romans. Während die Verbrechen zunehmen, ändern sich auch die Beziehungen in der Gruppe. Am Anfang des Romans ist Rainer der Anführer der Gruppe, der die wichtigsten Entscheidungen trifft. Er und Hans lieben Sophie, die ein submissives zartes Mädchen zu sein scheint, und wollen mit ihr eine tiefere Beziehung aufnehmen. Zum Ende der Geschichte verschiebt sich jedoch die Macht eindeutig auf Sophie, die die anderen Mitglieder der Gruppe manipuliert und schließlich die Träume von einigen vernichtet.

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Während Rainer und Hans sehr verletzt werden, als Sophie sie wegen ihrer Liebe demütigt, 7 ist Anna tief enttäuscht, als sie ein Stipendium für das Studium in den USA nur wegen ihrer Herkunft nicht bekommt. Die Hoffnung der drei Figuren, um ein besseres Leben für sich selbst zu finden, wird zerstört und am tiefsten wird der Rainer verletzt. Während Anna und Hans am Ende der Geschichte Gefallen an einander finden, verliert Rainer alles. Voll von Frustration, dass seine Träume wegen des Mangels an Respekt vor anderen und wegen der schlechten Umstände in seiner Familie platzen, entscheidet er sich am Ende des Romans seine ganze Familie zu ermorden. Im nächsten Kapitel wird der Schreibstil des Romans beschrieben. Elfriede Jelinek benutzt in ihren Werken einen eigenartigen Schreibstil mit vielen vulgären und zweideutigen Worten, mit deren Bedeutung sie gern spielt.

II.

Schreibstil

Die Geschichte in Die Ausgesperrten wird in der Er-Form dargestellt und der Erzähler, der die Geschichte im Präsens erzählt, ist allwissend. Er weiß alles, was die Hauptfiguren machen und denken, und er konzentriert sich nicht nur auf eine der Hauptfiguren, sondern stellt das Schicksal aller vier dar. Mit mehreren Details wird vor allem das Leben von Anna und Rainer beschrieben und meiner Meinung nach ist Rainer eigentlich die wichtigste Figur in diesem Roman. In seinem Leben spiegeln sich negative Züge der österreichischen Nachkriegsgesellschaft wider (beispielweise bekommt sein Vater eine Rente als ehemaliger SSOffizier) und an seinem Beispiel kann man auch sehen, wie die faschistische Denkweise aus der österreichischen NS-Vergangenheit von Generation zu Generation vererbt wird. Rainer hält sich

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Sie möchte lieber in der Schweiz studieren, „damit sie … [Rainer und Hans] nicht mehr zu sehen braucht“ (A 255).

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selbst für einen besseren Menschen, der „sich auch einen Menschen aneignen“ kann (A 20), oder er meint, einige Menschen „wären besser nie geboren worden“ (A 31). Dieses Verhalten sieht er bei seinem Vater, der sich ab und zu verhält, als ob er noch SS-Soldat wäre und über die unbegrenzte Macht über die anderen verfügen würde. Im Roman gibt es auch ein paar Besonderheiten, die das Verständnis des Textes komplizieren. Zu den wichtigsten gehören fehlende Anführungszeichen. Die direkte Rede der Figuren kann von dem Rest des Textes nur durch den Namen unterschieden werden, die nach dem Monolog immer in Klammern angeführt werden, oder dadurch, dass nach dem Monolog beispielsweise „sagt Anna“ steht. Es gibt auch innere Monologe, die einfach im Text eingesetzt werden, und die den Lesern helfen, die Hauptfiguren besser kennenzulernen und ihre Gefühle und Motivationen zu verstehen. Weitere Besonderheiten zeigen sich aufgrund der fehlenden Nummern der Kapitel. Dies bedeutet, dass der Roman zwar aus Kapiteln besteht, aber ihnen keine Nummern zugeordnet wurden. Man kann nur anhand einiger leerer Zeilen erkennen, wo ein Kapitel endet und ein anderes beginnt. Meiner Meinung nach wird dadurch das unorganisierte und entwurzelte Leben der Jugendlichen gezeigt. Im nächsten Kapitel beschäftige ich mich mit der Darstellung vom NS-Regime in Die Ausgesperrten. Es is nötig zu besprechen, wie die NS-Vergangenheit in diesem Roman verarbeitet wird, weil sie auf das Leben der Hauptfiguren deutlich wirkt.

III.

NS-Vergangenheit in Die Ausgesperrten

Die Geschichte spielt sich in Österreich in den fünfziger Jahren ab und es wird dargestellt, wie diese Gesellschaft und das Schicksal der individuellen Menschen noch von der

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österreichischen NS-Vergangenheit beeinflusst werden. Nach Schmitz-Burgard zeigt „the novel ... how psychological and capitalist economies become equated after the war; the flawed assumption is that financial recovery from war debts will also erase guilt“ (194). Jelinek kritisiert die österreichische Gesellschaft und ihre Stellung zur NS-Vergangenheit und sie benutzt Paradoxe, um diese Kritik zu betonen. Es gibt einen großen Kontrast zwischen den Opfer- und den Täterfiguren im Roman, die beide den Krieg überlebten. Während Rainers Vater, der während des Krieges Gräueltaten begangen hat, jetzt eine Rente von dem Staat bekommt, wohnt die Mutter von Hans, deren Mann im Konzentrationlager gestorben ist, in Armut. Die Verbindung der NS-Vergangenheit mit der österreichischen Gesellschaft der fünfziger Jahre wird im Roman direkt und auch indirekt besprochen. Einerseits werden Sätze aus dem nationalsozialistischen Kontext ausgesprochen, z. B. „In dieser neuen Zeit macht Wissen frei und nicht die Arbeit” (A 35) oder Worte wie „Führer“ (A 129), andererseits werden auch unauffälligere Metaphern benutzt. Diese weisen auf die Qual Einzelner in der österreichischen Gesellschaft hin, deren eigene Vergangenheit zum Tabuthema wurde und die unter diesem Schweigen stark litten. Eine der Metaphern stellt Anna dar, die psychologische Probleme hat; sie wird ab und zu stumm und sie muss sich oft übergeben. Georg Schmid hält diese Stummheit und auch das Erbrechen für ein Symbol der Fünfziger, weil die Leute damals „sprachlos vor Wut“ wurden und über einige Dinge nicht sprechen konnten (44). Marlies Janz ist hingegen der Meinung, dass Annas Stummheit durch „die sexuelle Repression in der Familie“ verursacht wurde (45). Meiner Meinung nach sollte Anna vor allem darstellen, wie die Kinder unter dem Schweigen der Eltern litten und wie sie deswegen nicht wussten, wohin sie gehörten. Ihre Familie wird vom despotischen Vater tyrannisiert, und die Mutter ist nicht stark genug, um ihre Kinder oder sich

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selbst vor ihm zu schützen. Ihre Denkweise wird noch vom Nationalsozialismus beeinflusst und sie will sich selbst nicht zugeben, dass ihr Ehemann sich wegen des Krieges und wegen der von ihm begangenen Gräueltaten veränderte. Annas Bruder Rainer stellt eine andere Metapher dar. Er nennt sich selbst „Führer“ (A 129) und träumt von: „eine[r] Treppe, gebildet aus lebendigen Menschen, an deren oberstem Absatz [er], der junge Autor im Schein einer Lichtquelle steht“ (A 20). Obwohl er seinen Vater hasst, übernimmt er unbewusst sein Verhalten (zum Beispiel Gewalt gegen die Frauen) und auch seine faschistische Denkweise (er meint, dass er die anderen manipulieren kann, weil sie nicht so wichtig wie er sind). Marlies Janz bezeichnet das als „die Anfälligkeit des Kleinbürgertums für den Faschismus“ (42), aber meiner Meinung nach geht es eher um einen „Wiederholungszwang“, den Sigmund Freud im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zum ersten Mal erwähnte. Diese Theorie, die sich mit der Wiederholung unangenehmener Erfahrungen beschäftigt, wird später noch besprochen. Im Roman scheint es, als ob viele Aspekte der österreichischen Vergangenheit noch lebendig wären, und sie beeinflussen das Leben und auch die zwischenmenschlichen Beziehungen der Hauptfiguren. Im nächsten Kapitel werde ich diese Beziehungen analysieren und sie im Zusammenhang mit der Identität der Hauptfiguren stellen.

IV.

Die Hauptfiguren und warum sie sich als „Die Ausgesperrten“ fühlen

Die Hauptfiguren in vielen von Jelineks Werken sind nach Teresa-Maria Gitschthaler „keine positiven sympathischen HeldInnen“ (28) und Die Ausgesperrten ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Die Hauptfiguren sind grausam, egoistisch und sehr oft auch psychologisch gestört.

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Man kann deutlich spüren, dass drei von den Hauptfiguren (Anna, Rainer und Hans) sich in ihrer gesellschaftlichen Klasse und auch in ihren eigenen Familien nicht gut fühlen und daraus entkommen möchten. Dieses Gefühl wird noch dadurch betont, dass sie mit den Menschen aus ihrer sozialen Schicht und auch aus ihrer Familie tiefere Beziehungen nicht aufnehmen können. Sie fühlen sich als „die Ausgesperrten“ und möchten ihr Leben ändern. Bevor dieses Gefühl und auch die Identität der Hauptfiguren besser analysiert werden können, ist es auch notwendig, die Bedingungen und Beziehungen in der Familie im Detail zu beschreiben, weil gerade sie die Hauptfiguren beeinflussten. Ich werde mich hauptsächlich auf die Witkowski-Familie (Anna und Rainer) konzentrieren, weil wir am Beispiel dieser Familie klar sehen können, wie die Vergangenheit der Familie und das Verhalten der Eltern ihre Kinder beeinflussen können.

Anna und Rainer Witkowski und ihre Familie Anna und Rainer sind Zwillinge, die aus einer kleinbürgerlichen Familie kommen und die mit ihren Eltern in einer alten Wohnung wohnen. Sie sind sehr intelligent und sie interessieren sich für Philosophie und Bücher. Sie studieren mit Sophie am Gymnasium, obwohl ihre Familie eigentlich nicht genug Geld dafür hat. Die Mutter hält jedoch die Ausbildung für wichtig für ihre Zukunft, was dem bürgerlichen Denken entspricht. Nach Andreas Gestrich wurde die Ausbildung trotz der hohen Kosten in bürgerlichen Familien immer als eine „notwendige Investition in die Zukunft der Kinder und der Familie“ angesehen (40). Nach dem „uralten Mythos“ sollte der Vater das „Haupt der Familie“ und die Mutter „die zärtliche, demütige, duldsame Frau“ sein, die opferwillig für diese Familie sorgt (Szczepaniak 41). Auf den ersten Blick weist die Witkowski-Familie diese Merkmale der harmonischen Familie auf, aber der erste Blick täuscht.

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Die Familie wird vom Vater, einem ehemaligen SS-Soldat, eher kontrolliert als beschützt. Während des Krieges verfügte er als Soldat über Menschen und konnte grässliche Dinge (Mörder, Vergewaltigung) tun, die er genoss. Jetzt fühlt er sich jedoch nicht mehr wichtig und hält sich selbst für einen Minderwertigen, weil er nur ein Bein hat. Er hasst sein neues Leben. Wegen des Mangels an der Macht lässt er seine Wut an der Familie aus, meistens an seiner Frau, die er regelmäßig vergewaltigt, prügelt und zwingt, pornografische Fotografien zu machen. Schmitz-Burgard behauptet, “porno photography in Die Ausgesperrten exemplifies the links between fascism, misogyny, and patriarchy” (201). Der Vater herrscht über seine Familie wie ein Tyrann und manipuliert sie so, als ob alle wieder nur seine hilflosen Opfer wären. Der Grund für sein gewaltsames Verhalten sehe ich eindeutig in seiner Vergangenheit, wie auch Marlies Janz und Ulrike Rainer es tun. Während des Krieges hat er vielen Menschen ein Leid angetan und nach Ulrike Rainer dient jetzt seine Familie „as substitutes for the victims of his former power: the family has replaced the thousands of anonymous prisoners of the camps” (177). Er genießt diese Macht und mag es, wenn sich die anderen vor ihm vor Angst kauern und wenn er ihren Widerstand brechen kann. Anna und Rainer leiden unter diesen Umständen. Sie sind „depraviert und asozial“ (Szczepaniak 66) und voll von Zorn und Verzweiflung. Der Missbrauch ist einer der Gründe, warum sie anfingen, Verbrechen zu verüben, und Schmitz-Burgard sieht darin eine Rache für den Missbrauch (210). Ich bin auch der Meinung, dass sie durch diese Verbrechen ihre Wut entladen. Vor allem Anna ist beim Überfall sehr agressiv und sie verhält sich fast verrückt, wenn sie beispielweise das Blut ihres Opfers von den Fingern ableckt. Wegen dieses Missbrauchs und der Umstände in ihrer Familie komplizieren sich auch das Gefühl der Zusammengehörigkeit und das Bewusstsein ihrer eigenen Identität. Nach Annette

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Doll ist das sehr typisch für die Figuren in Jelineks Werken (15). Anna und Rainer leben in der Familie, die vom psychologisch gestörten Vater kontrolliert wird, und haben dadurch das Gefühl, dass sie dieser Familie und der gesellschaftlichen Klasse nicht angehören. Sie möchten ihr Leben ändern und eine neue Identität – neue Zugehörigkeit - finden. Da sie ihre Umgebung nicht mögen, schließen sie sich selbst freiwillig von der Gesellschaft aus. Diese Entfremdung und die Ablehnung ihrer Umgebung kommen meiner Meinung nach jedoch eher von der Angst, dass sie von den Leuten nicht akzeptiert werden, als vom Hass. Rainer sehnt sich nach dem Respekt der anderen und darum erzählt er seinen Mitschülern ausgedachte Geschichten über seine Familie, in denen der Vater und die Verwandten reich und wichtig sind. Er will von den Mitschülern respektiert und anerkannt werden, aber weil er den Respekt nicht bekommt, verachtet er sie. An dieser Stelle ist es hilfreich, Jan Assmann und seine Theorie über das kommunikative Gedächtnis kurz heranzuziehen, weil diese Theorie mit der Zugehörigkeit und Identität eng zusammenhängt. Das kommunikative Gedächtnis ist nach Assmann das gemeinsame Gedächtnis, das man in der Familie oder in einer Gruppe bildet und das diese Leute zusammen verbindet (111). In diesem Gedächtnis sind die unmittelbaren Erfahrungen gespeichert und die Generationen oder Zeitgenossen sprechen regelmäßig über die gemeinsame Vergangenheit, was sehr wichtig bei der Entstehung der Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist (111-114). Aufgrund des Prinzips dieses Gedächtnisses können wir besser verstehen, warum sich Anna und Rainer als „die Ausgesperrten“ fühlen. Es gibt fast keine Kommunikation zwischen ihnen und den anderen Mitgliedern ihrer Sozialgruppe, sie teilen keine von ihren echten (!) Erfahrungen mit und darum ensteht kein „Gedächtnis“, das ermöglicht, sich in dieser Gruppe eingliedern zu lassen.

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Das ähnliche Problem kann man auch in der Familie identifizieren, wo sich die Zugehörigkeit nicht nur wegen der Gewalt, sondern auch wegen des Schweigens über die Vergangenheit kompliziert gestaltet. Es gibt nur wenig Kommunikation und Ehrlichkeit zwischen den einzelnen Mitgliedern der Familie, was zusammen mit der Gewalt meiner Meinung nach das Trauma der Kinder verursacht. Sie verachten ihre Eltern, aber gleichzeitig – wie auch Schmitz-Burgard erwähnt - übernehmen sie ganz unbewusst ihre Verhaltensweisen (197 – 198). Anna verhält sich im Sex wie ihre Mutter (sie ist unterwürfig und mag grobe Behandlung von Männern, z. B. von Hans, der sie nur als ein sexuelles Spielzeug benutzt), und Rainer übernimmt die Aggression und auch die faschistische Denkweise seines Vaters. Er hält sich selbst für einen natürlichen „Führer“ (A 129), er ist arrogant und manipulativ und er meint, dass einige Menschen nie hätten geboren werden sollen. Beide Kinder wiederholen die destruktiven Verhaltensmuster ihrer Eltern, was von Sigmund Freud als „Wiederholungszwang“ bezeichnet wurde. Es geht um eine unbewusste Wiederholung unangenehmener Erfahrungen (Abel 42). Man wiederholt sie nicht wegen der Freude daran, sondern weil es für sie bekannt ist (Knuf 69). Darum kann die Art und Weise, wie Anna und Rainer denken oder wie sie sich verhalten, von den Eltern geerbt werden. Das Ende des Romans ist für Anna und Rainer tragisch. Anna bekommt nicht das Stipendium für das Studium in den USA, wo sie ein neues Leben anfangen wollte, und Rainer ermordet seine ganze Familie. Die Gründe für seine Tat liegen im Trauma, das von seinen Eltern verursacht wurde, und auch in seiner endgültigen Ablehnung der Identität und der Zugehörigkeit. Er erschießt Anna und die Mutter und zerhackt den Vater mit einer Axt. Marlies Janz behauptet, dass er seine Familie wegen der Scham ermordet (41), während Sylvia Schmitz-Burgard der Meinung ist, dass „Rainer’s murderous reaction … can be traced to the father’s unpunished acts

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of violence as an SS-offficer” (199). Monika Szczepaniak erwähnt in diesem Kontext einen anderen interessanten Fakt. Ihrer Meinung nach war die Ermordung ein „Akt der Rache am Nazivater und … [eine] „Nachmachung“ dessen grausamer Mordtaten im Krieg“ (66). Diese „Nachmachung“, die für Rainer sehr typisch ist und die unbewusst vollzogen wird, weist wieder zurück auf den freudschen „Wiederholungszwang“ hin. Rainer hasst seinen Vater, aber gleichzeitig ähnelt er ihm sehr. Er erbt seine faschistische Denkweise, seine Gewalttätigkeit und auch seine Vorstellung, dass einige Menschen nicht gut genug sind. Meiner Meinung nach ermordete Rainer die Familie nicht wegen der Scham oder wegen der Vergangenheit des Vaters, sondern wegen seines Stolzes, wegen seines Hasses 8 allen Menschen gegenüber und wegen des Traumas, das verursacht wurde, als er Zeuge vom sexuellen Missbrauch seiner Mutter sein musste. Er verlor die einzige Person (Sophie), die er wirklich liebte, und die Leute, die er so hasste, aber von denen er gleichzeitig den Respekt verlangte, sahen in ihm nie das Genie, für das er sich selbst hielt. Er wollte einen grausamen Mord begehen, um allen zu zeigen, wer er ist, und um einen endgültigen Schlussstrich zwischen ihm und den anderen zu ziehen.

V.

Schlussfolgerung

Die Familie sollte „ein Ort des Glücks, der Zufriedenheit, der Geborgenheit, der Harmonie, eine enge seelische Gemeinschaft von Menschen“ sein (Szczepaniak 45). Das ist eine Definition von der vollkommenen Familie, in der alle Mitglieder glücklich zusammen leben und einander unterstützen. Diese Definition kann aber keinesfalls angewendet werden, wenn man

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Den Hass als den Grund für die Ermordung erwähnte auch Monika Szczepaniak.

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vom Roman Die Ausgesperrten spricht. Keine Familie, die dort dargestellt wird, erfüllt diese Forderungen. Der tragischste Fall ist die Familie Witkowski mit dem gewalttätigen Vater, mit der submissiven Mutter und mit den asozialen Kindern, die fast alle Menschen in ihrem Leben hassen, und ihr Schicksal bewegt sich im Laufe des Romans zum verhängnisvollen Ende. Paradoxerweise entstand der Grund für diese Tragödie schon vor dem Anfang des Romans, und zwar während des Zweiten Weltkrieges, als der Vater als SS-Offizier tätig war. Otto Witkowski diente als Soldat in Polen, wo er entsetzliche Gräueltaten beging – Ermordung, Vergewaltigung und Folter – und als er nach dem Krieg nach Österreich zu seiner Familie zurückkehrte, brachte er mit sich selbst auch diese Vergangenheit mit und belastete damit seine Familie. 9 Der einbeinige Vater begann, seine Familie schlimm zu behandeln und seine submissive Frau war nicht fähig, Widerstand gegen ihn zu leisten und ihre Kinder zu beschützen. In diesem Moment entstand eine große Spannung zwischen den zwei Generationen; zwischen den Eltern, die den Zweiten Weltkrieg als Erwachsene erlebten und sich der damaligen Denkweise noch immer anschlossen, und den Kindern, die in einer neuen Welt aufwuchsen, in der sie sich einen Platz finden wollten. Nach Ulrike Rainer wird diese Spannung und das Unverständnis von dem Schweigen über die NS-Vergangenheit verursacht: „nothing divides the World War II generation and their post-war offspring as deeply as the falsification and suppression of the recent past, the conscious concealment of a shameful history” (176). Das Problem in diesem Roman ist jedoch nicht nur das Schweigen, sondern hauptsächlich das Verhalten der Eltern, das Anna und Rainer

9

Diese Theorie von der Belastung erscheint auch in dem Artikel von Ulrike Rainer.

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beeinflusste – vor allem die faschistische Denkweise und die Gewalttätigkeit des Vaters und die Abhängigkeit der Mutter. Obwohl Anna und Rainer ihre Eltern hassen, übernehmen sie unbewusst ihre Verhaltensmuster, was ihre Chance auf ein neues und besseres Leben vernichtet. Ulrike Rainer ist der Meinung, Rainer und Anna sind „completely locked out from their chance at a brighter future“, während Sophie und vielleicht auch Hans eine schöne Zukunft vor sich haben (183). Diese Prädisposition wird von der Vergangenheit des Vaters verursacht, derentwegen die Kinder keine Chance haben, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. 10 Darum sind die Identität und die Zugehörigkeit für beide Zwillinge sehr problematisch. Sie möchten sichtbar irgendwohin gehören, aber sind in ihrer Familie und mit ihrem gesellschaftlichen Kreis nicht zufrieden. Dieses Gefühl, dass sie nirgendwohin gehören, kann auch durch das Schweigen und wenig Kommunikation verursacht werden. Sie bilden nicht das „kommunikative Gedächtnis“ (Jan Assmann) mit anderen und fühlen sich daher als „die Ausgesperrten“. Sie nehmen Zuflucht bei Büchern und in der Philosophie und sie hoffen auf eine bessere Zukunft. Während Anna ein neues Leben in Amerika anfangen will, träumt Rainer vom Respekt, den er eines Tages von allen Menschen bekommen wird. Der Weg, der Rainer zur Ermordung seiner ganzen Familie führte, war lang und nicht eindeutig. Obwohl er schon vorher über Mord (beispielweise seines Vaters) nachgedacht hatte, war er zurückhaltend in der Verwirklichung dieser Tat. Auch als Sophie einen Bombenangriff in die Tat umsetzen wollte, lehnte er diese Idee ab, weil er Angst um seine Zukunft bekam - „seine Zukunft, welche klar und glänzend vorgezeichnet ist und ein Doktorat beinhaltet und zusätzlich mehrere Literaturpreise“ (A 239). Diese Umsicht wird aber am Ende des Romans verloren. 10

„[T]here is no point of identification for them [Anna und Rainer], no center to hold them together in the new world order” (Rainer 177).

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Rainer, der nach der freudschen Theorie des „Wiederholungszwangs“ die Gewalttätigkeit seines Vaters unbewusst wiederholt, ermordet brutal seine ganze Familie und meiner Meinung nach macht er das aus vielen Gründen; aus der Frustration, dass er trotz seiner Genialität von niemandem Respekt bekommt, aus dem Gefühl, dass er nirgendwohin gehört, was unter anderem auch durch das Verhalten und die Vergangenheit seiner Eltern verursacht wurde, und aus dem Bedürfnis den anderen zu zeigen, wer er eigentlich war. Ein Genie.

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KAPITEL III: FEBRUARSCHATTEN VON ELISABETH REICHART

Elisabeth Reichart ist nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1953 geboren und ist in der Nähe von Mauthausen aufgewachsen. Sie ist Autorin von vielen Büchern und zu ihren Themen gehört auch die österreichische Nazi-Vergangenheit. Die ersten Werke über die NaziVergangenheit, die sie schrieb, waren Februarschatten (1984) und Komm über den See (1988). Für diese Arbeit wählte ich Februarschatten aus, weil das Werk veschiedene Dimensionen des alltäglichen Lebens einer einfachen Familie in der Nähe von Mauthausen beschreibt und sich auf ein ganz spezielles historisches Ereignis bezieht. Hilde lebte als Kind in den dreißiger und vierziger Jahren im oberösterreichischen Mühlviertel in Armut und Lieblosigkeit und in einem Kontext, in dem Gewalttätigkeit herrschte. Sie wurde Zeugin eines historischen Ereignisses, das unter dem Namen „Mühlviertler Hasenjagd“ bekannt wurde und das für Hilde eine entscheidende Erfahrung für ihr ganzes Leben wurde. Das Werk geht im Besonderen auf komplexe Themen wie den Holocaust und die Mittäterschaft bei den Kriegsverbrechen ein und Hilde, mit ihren Taten und Gefühlen, stellt das Trauma und die Schuld Einzelner während des Krieges dar. Der Name Februarschatten wurde nicht zufälligerweise ausgewählt, er ist eine Metapher, die im Laufe des ganzen Romans regelmäßig erscheint. Diese „Schatten“ stammen aus der Vergangenheit von Hilde und verfolgen sie überall. Sie haben mehrere Bedeutungen und symbolisieren: das Böse, das Hilde während des Krieges erfuhr, die schwarzen Uniformen, die die SS trugen, und auch die Kälte, die Hilde an dem Februarabend empfand, als sie Zeugin des entsetzlichen Ereignisses war. Die Schatten repräsentieren auch die Vorwürfe, die sie nach dem Tod ihres Bruders (Hannes) hatte oder die Schuld, die sie jeden Tag fühlt. Alle diese Tatsachen

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verursachen Hildes Trauma und sind wichtig für die Herausbildung ihrer Identität, weil sie passierten, als Hilde noch jung war und nicht wusste, wohin sie eigentlich gehörte. Die Spannung im Roman gipfelt am Ende, als Hilde endlich fähig ist, ihr größtes Geheimnis zu verraten. Es gibt mehrere LiteraturwissenschaftlerInnen, die sich schon mit Februarschatten beschäftigten und die verschiedene Aspekte dieses Romans analysierten. Viele von ihnen konzentrieren sich darauf, wie das Leben eines Kindes von der Vergangenheit der Eltern und vor allem vom Schweigen über die Vergangenheit beeinflusst werden könnte. Juliet Wigmore richtet ihr Augenmerk auf die Gewalttätigkeit der Eltern und wie dieselbe Gewalt dann von den anderen Generationen wiederholt wurde, 11 während andere LiteraturwissenschaftlerInnen sich mehr mit der Rolle der Frauen in der Familie während der NS-Vergangenheit beschäftigen. Die Forschung von Maria-Regina Kecht und Rebecca Anne Henschel ist für meine Arbeit besonders wichtig. Wie manche von diesen LiteraturwissenschaftlerInnen werde auch ich mein Augenmerk auf die zwischenmenschlichen Beziehungen und die Identität der Hauptfigur richten. Beides ändert sich im Laufe des Romans wegen der Erfahrungen und des von einem historischen Ereignis verursachten Traumas seitens der Figur als Kind. Meine Arbeit wird zur ReichartForschung dadurch beitragen, dass ich mich nicht nur auf die Beziehung zwischen einer Mutter und einer Tochter (wie viele von anderen Literaturwissenschaftlern), sondern auf alle zwischenmenschlichen Beziehungen in Hildes Leben konzentrieren werde. Ich werde beschreiben, wie die ursprüngliche Familie und in der Kindheit geschehenen Ereignisse das Leben und auch die Identität der Hauptfigur beeinflussen. Durch meine Analyse

11

Wigmore, Juliet. "Gewalt, Widerstand und Identität: Zum Verhältnis zwischen Geschichte und Text bei Elisabeth Reichart." Von aussen betrachtet: Österreich und die österreichische Literatur im Spiegel der Auslandsrezeption. Ed. Anthony Bushell and Dagmar Košt̕álová. Bern: P. Lang, 2007. 39-56. Print.

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will ich feststellen, wie die Institution der Familie in diesem Roman dargestellt wird, wie die Umstände in der Familie und die Vergangenheit die Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern beeinflussen und wie die Hauptfigur (Hilde) ihre eigene Identität versteht und bildet. Das Kapitel besteht aus fünf Unterkapiteln. Im ersten Unterkapitel wird die Handlung des Romans beschrieben, in dem die wichtigsten Zeitpunkte erwähnt werden, hauptsächlich die, die für meine Analyse wesentlich sind. Im zweiten Unterkapitel wird der Schreibstil des Romans analysiert, weil der Stil dem zerstörten Charakter von Hilde entspricht. Der Stil ist chaotisch und manchmal unübersichtlich. Es gibt viele innere Monologe, was dem Leser ermöglicht, eine gute Idee zu gewinnen, was für eine Person Hilde eigentlich ist. Das dritte Unterkapitel konzentriert sich auf die Reaktion der Dorfbewohner in Hildes Dorf auf das NS-Regime. Ich entschied mich, dieses Unterkapitel meiner Diplomarbeit hinzuzufügen, weil die NS-Vergangenheit Hildes Leben sehr beeinflusste. Sie traf während dieser Zeiten eine Entscheidung, deren Folge sie das ganze Leben verfolgte. Im vierten Unterkapitel werden die zwischenmenschlichen Beziehungen in Hildes Leben und ihre Identität analysiert. Ich werde mich auf ihre Beziehung zu den Mitgliedern ihrer ursprünglichen Familie (Vater, Mutter und Geschwister) und ihrer „neuen“ Familie (Ehemann Anton und Tochter Erika) konzentrieren. Die Handlung, die im nächsten Unterkapitel dargestellt wird, ist eine kurze Beschreibung von Hildes Leben und ihren Erfahrungen. Der Roman wird auf zwei Zeitebenen erzählt und stellt Hilde als ein junges Mädchen und auch als eine erwachsene Frau dar.

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I.

Handlung

Die Hauptfigur Hilde ist zur Zeit des Anfangs des Romans eine Rentnerin, die während des Krieges in einem kleinen Dorf in Österreich aufwuchs. Ihr Ehemann Anton ist gerade verstorben und das einzige Mitglied ihrer Familie, mit dem sie noch eine Beziehung unterhält, ist ihre Tochter Erika. Erika hatte immer eine gute Beziehung zu ihrem Vater, aber nachdem er gestorben ist, versucht sie sich ihrer Mutter anzunähern. Man weiß nicht genau, warum sie sich plötzlich für ihre Mutter, die sie für längere Zeit übersehen hat, interessiert. Man kann nur dank ihres Verhaltens vermuten, dass sie wahrscheinlich bedauert, dass sie ihre Mutter „zu lange übersehen“ hat (F 74) und dass sie jetzt mehr Zeit mit ihr verbringen will, um eine bessere Beziehung mit ihr zu bilden und die breite Kluft zwischen ihnen zu überwinden. Die Gründe für dieses Verhalten sehe ich auch im Zusammenhang mit dem Tod ihres Vaters. Nach dem Tod eines Familienmitglieds kann man bedauern, dass man nicht viel über seine Vergangenheit weiß und sich nicht mehr darum bemühte, Antworten auf alle Fragen zu finden. Darum will Erika meiner Meinung nach jetzt ein Buch über das Leben ihrer Mutter schreiben und die Vergangenheit ihrer Familie kennenlernen. Erika will wissen, woher auch sie eigentlich kommt. Erika zwingt die Mutter über ihre Kindheit zu sprechen, aber Hilde lehnt zuerst ab. Sie will das Trauma, das sie damals erlebte und in sich immer trug, nicht wieder aufleben lassen. Maria-Regina Kecht meint, dass „only gradually does Hilde reach the point where she is ready to break her life-long silence about her horrible childhood experience of the bloody manhunt” (254). Meiner Meinung nach ist Hilde jedoch überhaupt nicht darauf vorbereitet, über die Vergangenheit zu sprechen, aber sie ist zu schwach, den Druck ihrer Tochter auszuhalten. Sie hat

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Angst, dass Erika sie nicht mehr besuchen wird, falls sie mit der Erzählung nicht fortfährt. Aus diesem Grund lehnt sie auch nicht ab, als Erika das Dorf, wo Hilde als Kind lebte, besuchen will, und gerade in diesem Dorf beginnt Hilde ihre Geschichte endlich zu erzählen. Hilde lebte als Kind mit ihren Eltern und sechs Geschwistern in einem kleinen Dorf in der Nähe von Mauthausen und in der Nacht im Februar 1945 erlebte sie ein entsetzliches Ereignis. Dieses Ereignis wird heute als „die Mühlviertler Hasenjagd“ bezeichnet und passierte in der Tat im Laufe des Zweiten Weltkriegs. Als 500 Häftlinge am 2. Februar 1945 aus dem Konzentrationslager Mauthausen entflohen, wurden sie von den Dorfbewohnern um Mauthausen wie Hasen gejagt und fast alle von ihnen wurden getötet. Hilde schildert, wie alle Bewohner in ihrem Dorf an der Jagd teilnehmen mussten und wie sie mit eigenen Augen sah, wie ihre Nachbarn ein paar Flüchtlinge ermordeten. Hildes Familie nahm an dieser Jagd auch teil, aber einer von ihren Brüdern (Hannes) leistete Widerstand. Trotz der Befehle half Hannes einem von diesen Flüchtlingen und versteckte ihn im Schrank zu Hause, um ihn zu schützen. Als Hilde das feststellte, wusste sie nicht, was sie mit diesem Geheimnis machen sollte. Sollte sie ihrer Familie oder Deutschland treu sein? Schließlich verriet sie das Geheimnis ihrer Mutter, der Flüchtling wurde entdeckt und Hannes wurde aufgehängt. 12 Nachdem Hilde ihrer Tochter dieses zentrale Ereignis aus ihrer Vergangenheit erzählte, will sie das Heimatdorf, das sie mit ihrer Tochter besucht hatte, so schnell wie möglich verlassen. Sie fährt das Auto sehr geschwind und verhält sich wie eine Verrückte, während ihre Tochter neben ihr erschrocken zusieht. 12

Man weiß nicht, ob Hannes sich selbst aufhängte oder ob er von anderen erhängt wurde. Hilde fragt ihn in ihren Gedanken: „Warum bist du zum Baum gegangen“ (F 49) und das konnte eine Anspielung sein, dass er sich selbst aufhängte. Meiner Meinung nach hat er es aber nicht getan, sondern er wurde als Verräter erhängt. Meine Ansicht wird von der Szene unterstützt, als ein Mann in schwarzer Uniform Hilde über den Tod ihres Bruders informiert. Er sagt ihr, dass sie vorsichtig sein sollte, denn sonst würde ihr Schicksal gleich wie das ihres Bruders sein.

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Die Handlung des Romans ist sehr einfach, aber der Schreibstil ist komplex. Das nächste Unterkapitel beschäftigt sich mit dem Schreibstil des Romans, der den Lesern helfen kann, die Hauptfigur besser kennenzulernen. Der Stil, der ab und zu chaotisch und unübersichtlich ist, entspricht eigentlich dem gestörten Charakter von Hilde. Und wenn man Hilde und die Art und Weise, wie sie denkt, versteht, versteht man auch ihre Beziehungen zu den anderen Familienmitgliedern. Der Schreibstil, den man als chaotisch bezeichnen kann, weist auch darauf hin, wie schwer es ist, mit den Erinnerungen zu arbeiten und sie zu verarbeiten. Die Geschichte ist vierzig Jahre alt und wird für Hilde mit einem großen Trauma verbunden. Es ist nicht leicht für sie, sie zu erzählen und sich an alles zu erinnern.

II.

Schreibstil

Die Geschichte dieses Romans ist nicht linear und wird auf zwei Erzählebenen dargestellt, denn die Gegenwart wird immer wieder von der Vergangenheit eingeholt. Es gibt häufige Rückblenden. Die Geschichte wird von einem scheinbar auktorialeren Erzähler in der Er-Form erzählt, dessen Sicht dem Blickwinkel der Hauptfigur (Hilde) folgt. Er weiß mehr als die Figuren, aber teilt den Lesern nicht alle Gedanken von Hilde und überhaupt nicht die Gedanken von ihrer Tochter Erika mit, was die Analyse der Beziehung zwischen den beiden Frauen kompliziert. Im Roman werden fast keine Dialoge benutzt und im Gegensatz dazu gibt es dort oft den inneren Monolog, besonders wenn Hilde mit sich selbst oder mit anderen Figuren, die schon tot sind, spricht. Ab und zu ist es schwer festzustellen, wann der innere Monolog anfängt und wann er endet, weil es keine Anführungszeichen gibt. Diese Art und Weise, wie sich die inneren

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Monologe mit der eigenen Geschichte vermischen, gibt uns einen Einblick darin, wie Hilde denkt und wer sie eigentlich ist. Sie wirkt ganz verwirrt und als ob sie ständig ihre inneren Dämonen bekämpfen würde. Ein paar Wörter, die für Hilde besonders schwierig sind oder ihr zu schaffen machen, werden immer kursiv 13 geschrieben, und diese befinden sich meistens im inneren Monolog. Diese Wörter werden in Hildes Kopf regelmäßig wiederholt und durch diese Wiederholung wird ihre Bedeutung betont. Sie weisen deutlich auf Hildes Trauma hin, das eng mit ihrer Familie und der Tragödie verbunden wird: schuldigen, Schuld, allein gelassen (F 7), einzig, im Stich gelassen, allein sein (F 8), brauchen, verlassen werden (F 10), ausgeschlossen, ausgestoßen (F 12), lernen (F 22), draußen (F 24), kalt (F 29), lassen allein, gebraucht (F 31), Kälte (F 39), übersehen (F 65), das Haus (F 84), Wärme (F 97). 14 Fast alle diese Wörter sind mit einer negativen Konnotation verbunden und weisen auf das Trauma von Hilde hin: sie fühlt sich des Todes ihres Bruders schuldig, sie wurde von vielen anderen (ihren Eltern, ihrem Mann) im Stich gelassen und sie hat auch andere (wie ihren Bruder) im Stich gelassen, sie verlor den einzigen Bruder, 15 sie fühlt sich allein, übersehen und aus der Gesellschaft ausgeschlossen. 16 Die drei einzigen Wörter, die neutral oder positiv zu sein scheinen, sind lernen, das Haus und Wärme. Im Roman stellt man jedoch fest, dass auch lernen und das Haus letztendlich negativ besetzt sind. Das Haus wird mit dem Haus ihrer Eltern verbunden, in dem sie von ihnen

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In der ersten Auflage (1984) werden die Wörter mit großen Buchstaben geschrieben. Die Reihenfolge der Wörter ist nach ihrer ersten Erscheinung im Roman organisiert. 15 Hilde hatte mehrere Brüder, aber Hannes war ihr Lieblingsbruder. 16 Sie fühlte sich in allen Phasen ihres Lebens ausgeschlossen und ertrug immer das grobe Verhalten anderer Leute ihr gegenüber. Sie befürchtete, dass sie von den anderen wieder und vor allem noch mehr ausgeschlossen würde, wenn sie sich selbst verteidigt hätte. 14

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schlecht und ohne Liebe behandelt wurde. Das Wort wird sogar von den Bewohnern des Dorfs, wo Hilde aufwuchs, fast wie ein Schimpfwort benutzt: … die ist das… … ja, davon habe ich auch schon gehört, ja, ja … … eine vom Haus … Weiß ich doch, die … … was, die Tochter vom Schalk … (F 81 – 82) Hilde wird in dieser Szene als das Mädchen vom dem Haus bezeichnet. Von dem Haus, wo die Kinder geschlagen wurden, wo Not und Elend waren und wo der Vater oft betrunken war. Der Begriff Das Haus bezeichnet aber auch etwas Tieferes, etwas, was mit den Ereignissen des Zweiten Weltkrieges in Zusammenhang gebracht wird. Die Leute weisen auf das Haus hin, als ob es dort einen Verräter gäbe. Alle Häuser waren blutig [„Es gab doch in jedem Haus Einschußstellen. Es lagen doch in jedem Hof Tote“ (F 85)], aber nur in diesem Haus gab es Hannes, der sich entschied, öffentlich etwas gegen das Regime zu unternehmen. Juliet Wigmore ist der Meinung, dass die Leute aus dem Dorf, „die ihre eigene Schuld noch nicht anerkennen, ... Hilde zum Sündenbock gemacht“ haben (46). Das Wort Lernen wird von Hilde auch als etwas Negatives empfunden. Hilde wollte Krankenschwester werden, aber die Eltern unterstützten ihren Traum nicht. Sie musste bei einem Kaufmann in der Lehre sein und Verkäuferin werden. Im Gegenteil dazu konnte ihre Tochter Erika lernen, was sie wollte, und wurde von Anton unterstützt, was einer der Gründe ist, warum Hilde auf sie eifersüchtig ist. Die Spannung in diesem Roman wird auch dadurch erzeugt, dass die Geschichte mit einfachen und kurzen Sätzen erzählt wird. Die Struktur dieser Sätze entspricht aber ab und zu

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nicht den Normen. Viele von ihnen fangen ohne ein Subjekt an, wie zum Beispiel: „Schickte die Tochter in ihr Zimmer zurück“ (F 9), oder die Wortstellung ist nicht korrekt: „Hilde die Angst verlor...“ (F 9), was aber die Spannung noch mehr erhöht. An vielen Stellen des Romans mischen sich auch die Vergangenheit, die Gegenwart oder Träume von Hilde ein und es ist schwer zu bemerken, worum es sich in dem Moment handelt. Das typische Beispiel erscheint, wenn Hilde über ihre Vergangenheit spricht. Man kann nicht sicher sein, ob die Ereignisse vor dem Krieg, während des Krieges oder nach dem Krieg passierten. Diese Art von Narratologie ist sehr spezifisch und kann das Verständnis des Textes schwierig machen. Was aber Lesern helfen kann, sind Absätze. Elisabeth Reichart trennt nicht nur Teile des Textes voneinander, sondern auch einzelne Sätze, was die Wirkung hat, dass sich das Tempo der Handlung beschleunigt. Eine der längsten Passagen, die aus Absätzen besteht, in denen es nur einzelne Sätze gibt, befindet sich an der Stelle, als Hilde in einem Monolog zum ersten Mal in ihrem Leben ehrlich zu Erika spricht und ihr vor Frustration und Wut sagt, was sie eigentlich fühlt. Nach diesem Monolog ist Hilde endlich fähig über die Nazi-Vergangenheit zu sprechen. Im nächsten Unterkapitel wird besprochen, wie die Leute in Hildes Dorf und auch ihre eigenen Familienmitglieder das NS-Regime annahmen. Diese Tatsache ist ein sehr wichtiger Aspekt in Hildes Leben, weil die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs ihre ganze Familie veränderten. Infolgedessen änderte sich dann auch die Beziehung zwischen Hilde und den anderen Familienmitgliedern.

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III.

Wie reagierten die Leute in Hildes Dorf auf das NS-Regime?

In allen Werken von Elisabeth Reichart, die sich mit der NS-Zeit befassen, werden die österreichische Gesellschaft und ihre Vergangenheit während des Zweiten Weltkriegs kritisiert. In Februarschatten gibt es viele Figuren, die als Kollaborateure dargestellt werden und an deren Beispiel ein Spiegel der österreichischen Gesellschaft vorgehalten wird. In diesem Roman gibt es drei Gruppen mit verschiedenen Meinungen oder Stellungen zum Regime: 1. Diejenigen, die dem Regime Widerstand leisteten, 2. diejenigen, die dem Regime nicht zustimmten, aber ihm auch nicht widersprachen und 3. diejenigen, die das Regime unterstützten. Es ist wichtig, auf diese Aneinanderreihung hinzuweisen, weil die unterschiedlichen Stellungen zu dem Regime Reibungen verursachten und zur Trägodie führten (eines von den Opfern war beispielweise auch Hannes, der dem Regime nicht zustimmte). Zu der ersten Gruppe gehörten der oben erwähnte Hannes und auch Hildes Schwiegermutter. 17 Hannes war das einzige Mitglied von Hildes Kernfamilie, das gegen das Regime öffentlich kämpfte. Er versteckte einen von den Flüchtlingen im Schrank in seinem Zimmer und sagte Hilde: „Jeder, ... der nichts gegen diese Menschenjagd tut, macht sich schuldig. Hörst du. Jeder! Auch du!“ (F 95). Als Hannes starb, verlor Hilde einen der wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Zu der zweiten Gruppe gehörten Hildes Eltern. Diese Wirklichkeit zeigt sich am besten nach der „Mühlviertler Hasenjagd“, als Hilde der Mutter verriet, dass es einen Flüchtling in ihrem Schrank gibt. Die Mutter reagierte auf die Nachricht so, als ob sie das schon wüsste. Sie schien sogar enttäuscht zu sein, dass die Tochter das Geheimnis verraten wollte. Wigmore ist der Meinung, dass die Mutter wegen dieser Szene Hilde auch für einen Täter hält (40). 17

Hildes Schwiegermutter stimmte dem nazistischen Regime nicht zu und verzieh ihrem zweiten Mann nie, dass er dem SA beitrat. Nach seinem Tod sagte sie sogar: „Wenn es Gott gibt, dann verzeiht er dir so wenig wie ich“ (F 23).

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Hildes Vater stimmte dem Regime auch nicht zu, aber leistete keinen öffentlichen Widerstand. Nachdem Hannes tot aufgefunden war, sagte er nur ein einziges Wort: „Nazischweine“ (F 49). Nach diesem Ereignis musste er als Aufseher von Kriegsgefangenen arbeiten, die er jedoch gut behandelte. Das war auch der Grund, warum er von den Russen, als sie am Ende des Krieges ins Dorf kamen, nicht nach Russland verschleppt wurde wie die anderen Aufseher in Mauthausen, und warum er entlassen wurde. 18 Viele andere Leute aus dem Dorf (einschließlich Hildes Brüder Max und Walter) gehörten zu der letzten Gruppe und unterstützten das Regime öffentlich. Sie nahmen sogar aktiv an der „Mühlviertler Hasenjagd“ teil und ermordeten manche von den russischen Flüchtlingen. Am Ende des Romans gibt es aber ein seltsames Ereignis, das tiefer analysiert werden muss; als der Flüchtling in Hildes Schrank entdeckt worden war, befahl Pesendorfer, 19 dass jeder auf diesen Flüchtling treten sollte. Doch niemand gehorchte ihm und es musste Pesendorfer selbst sein, der den Flüchtling tot trat. Irmgard Brechtbacher identifiziert diese Szene als ein Beispiel vom „passiven Widerstand“ der Dorfbewohner (43), aber ich stimme mit ihr nicht überein, weil die Dorfbewohner schon vorher andere Flüchtlinge getötet hatten. Ich kann mir keinen Grund vorstellen, warum sie jetzt einen Widerstand geleistet hätten, und bin der Meinung, dass es sie nicht störte, die Kriegsverbrechen zu begehen, aber sie wollten sie nicht öffentlich vor anderen Menschen verüben.

18

Die anderen Dorfbewohner sprachen jedoch über „Feigheit und Verrat“ (F 59). Sie hielten Hildes Vater für einen Verräter, weil er während des Krieges die Kriegsgefangenen gut behandelt hatte und am Ende des Kriegs entlassen wurde, während ein anderer Mann, der von den Russen auch gefangen genommen worden war, nie mehr ins Dorf zurückkam. 19 Er war „the Nazi superintendent in [Hildes] family’s apartment building” (Henschel 59).

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Wie Hilde zurückdenkt, war es nach dem Krieg leider ganz egal, zu welcher Gruppe man gehörte. 20 Nach dem Krieg wurde alles vergessen und alle gehörten zu den Siegern. Das Wort vergessen und seine Bedeutung wurde zum Symbol der Zeit. „Zuerst durch die Botschaft der Erwachsenen. Vergiß, was du gehört hast. Was du gesehen hast. Vergiß!“ (F 26). Mit diesem Wort vergessen kritisiert Elisabeth Reichart die österreichische Gesellschaft, die ablehnte, für die Kriegsverbrechen die volle Verantwortung zu tragen. Nach dem Krieg haben die Österreicher über die Gräuel des Krieges, die sie verübt hatten, nicht öffentlich gesprochen und die Mehrheit von den Tätern wurde nie bestraft. Diese Stellung zu dem Regime beeinflusste jedoch irreversibel das Leben von Hilde und komplizierte die Beziehungen in ihrer Familie, weil sie die Entfremdung zwischen einzelnen Familiengliedern veursachte; vor allem zwischen Hilde und ihren Eltern.

IV.

Hilde und ihre Beziehungen

Die Hauptfiguren in diesem Roman sind Frauen (Mutter und ihre Tochter), und die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus werden im Kontext von Frauen dargestellt. Wie auch DeMeritt behauptet, wurden Reicharts Werke folgendermaßen interpretiert: “as attempts to give voice to past silence, in particular to the women whose stories had been repressed by the dominant male historical discourse” (283). Diese Tatsache kann man auch in Februarschatten wahrnehmen. Hildes Beziehung zu ihrer Familie ist unter anderem auch von dem Fakt beeinflusst, dass sie als Mädchen/eine Frau ihre Traumata erlebt und verarbeiten muss.

20

Im nächsten Kapitel wird auch über die Einstellung von Hilde zum NS-Regime gesprochen, die mit ihrer Identität und Schuldgefühlen verbunden wird.

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a.

Hilde und ihre Identität

Es ist wichtig, die Hauptfigur Hilde noch einmal unter die Lupe zu nehmen und die Tatsachen, die ihr Leben und ihre Identität formten, zu erklären, damit wir ihre Beziehungen zu anderen Familienmitgliedern verstehen können und ihre Schuldgefühle, Traumata und die Rolle der Verantwortung von Frauen im Nationalsozialismus erläutern können. Hilde ist in der Gegenwart des Romans eine ältere Frau und man kann nur vermuten, dass sie vielleicht zwischen fünfzig oder sechzig Jahre alt ist, weil sie während des Zweiten Weltkriegs ein junges Mädchen war. In der Tat macht sie aber den Eindruck einer älteren Frau, die vielleicht siebzig oder achtzig Jahre alt sein könnte, weil sie sich benimmt, als ob sie am Ende ihres Lebens wäre und nichts Neues erleben könnte. Mit dem Tod ihres Mannes sieht sie keinen Sinn mehr in ihrem Leben, was das Gefühl unterstützt, dass sie sich in der Gesellschaft verloren fühlt. Die erwachsene Hilde kann durch folgende Adjektive charakterisiert werden: abhängig, unselbstbewusst, eifersüchtig, paranoid, unglücklich, traumatisiert, verloren. Alle diese Wörter weisen zurück auf ihre Vergangenheit hin, der sie nie entkam und die sie ihr ganzes Leben begleitet. Auch als Kind konnte sie durch viele von diesen Adjektiven charakterisiert werden; sie war immer eifersüchtig, unsicher, verloren und von anderen abhängig, aber wegen der Ereignisse im Februar 1945 verstärkten sich diese Gefühle und Hilde wurde auch paranoid und traumatisiert. Ihre Kindheit war von dem Zweiten Weltkrieg und der schlechten Beziehung zu ihren Eltern negativ beeinflusst. Sie wurde von vielen Menschen schlecht behandelt, aber sie kämpfte

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nie dagegen und sah jeden Protest als etwas Sinnloses an, vor allem nach dem Tod von Hannes, der etwas ändern wollte, und das brachte ihm nur den Tod. Für Hildes Identität und ihre Wahrnehmung von sich selbst ist der Tod ihres Bruders ganz entscheidend. Die Leser wissen nicht genau, wie der Flüchtling in dem Schrank in ihrem Zimmer entdeckt wurde, und ob Hilde daran und dann infolge davon auch an dem Tod von Hannes schuld war. Rebecca Anne Henschel beschäftigt sich mit dieser Frage und polemisiert darüber, ob Hildes Aussage über dieses Ereignis wirklich mit allen Details in der Erzählung dargestellt wird. Sie meint, dass Hilde vielleicht ihr ganzes Geheimnis nicht verriet und etwas verheimlichte (61). Henschel bezieht sich hier auf diesen Satz: „Hoffentlich habe ich etwas vergessen. Damit mir wenigstens ein Geheimnis geblieben ist“ (F 103). Ich stimme Henschel zu. Hilde fühlt sich schuldig an dem Tod ihres Bruders und dafür muss sie einen Grund haben. Ich bin der Meinung, dass der Flüchtling wirklich wegen Hilde entdeckt wurde und dass sie sich darum jetzt schuldbewusst fühlt. Dem würde auch das Wort „vergessen“ entsprechen, das Symbol des Zweiten Weltkriegs und des Schweigens über die Kriegsverbrechen. Obwohl sich Hilde schuldig fühlt, hält sie sich selbst nicht für einen Täter. Sie übernimmt die Verantwortung für ihre eigenen Taten oder für ihr Leben nicht und beschuldigt nur die anderen. Das typische Bespiel erscheint, als sie die entsetzlichen Tatsachen des Krieges nennt: „Kriegsgefangene. Fremdarbeiter. Das Konzentrationslager. Tote. Aber das hatte ja nichts mit mir zu tun“ (F 69). Sie distanziert sich von den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs, sie lehnt ihre eigene Vergangenheit ab, die sie formte, und versteht sich eigentlich als Opfer. Hilde ist nicht fähig laut vor der Tochter zuzugeben, dass auch sie von dem Faschismus bezaubert war und dass sie Schuld an etwas hatte. Und das ist – meiner Meinung nach – der Grund, warum sie unbewusst ihre eigene Identität nicht bilden kann.

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Schon während des Krieges erlebte Hilde eine große Identitätskrise. Ihre Loyalität gegenüber ihrer Familie stieß zusammen mit ihrer starken Loyalität Deutschland gegenüber, was sich während der „Mühlviertler Hasenjagd“ und der Ereignisse unmittelbar danach klar zeigte. Hilde war nicht sicher, wem sie treu sein sollte. Schließlich wählte sie aber Deutschland, als sie das Geheimnis über den Flüchtling im Schrank der Mutter verriet. Nach Wigmore traf Hilde diese Entscheidung, weil sie ihre Identität „in der Gewaltausübung im Namen Großdeutschlands … finden“ wollte (40). Nach dem Weltkrieg traf Hilde ihren Ehemann Anton und übernahm seine Identität. Vor ihm war sie nur ein armes Mädchen, aber mit ihm war sie „Frau Doktor“ (F 65). 21 Irmgard Brechtbacher analysiert diese Beziehung und behauptet, dass Hilde von ihrem Mann eigentlich bedrängt wurde und ihr Leben mit ihm „zu einem Alptraum, in dem sie ihren Mann als übermächtig erlebt,“ (10) wurde. Meiner Meinung nach ließ sich Hilde unbewusst von den Ansichten oder Wünschen ihres Mannes manipulieren, sie liebte ihn so sehr, dass sie für ihn eine vollkommene Frau werden wollte. Darum sprach sie nicht laut oder sie trank nie Alkohol. Im Kontext der Beziehung zwischen Hilde und anderen Männern erwähnt auch Henschel eine sehr interessante Idee. Sie meint, dass „Hilde has always conformed herself to male will, first her father´s and then her husband´s ... she submits herself to it in exchange for the paternalistic protection she gets in exchange“ ( 64). Ich stimme ihr zu. Hilde war immer abhängig vom männlichen Schutz und als sie dann keinen Mann mehr hat, weiß sie nicht, wie sie allein leben sollte, und sie ist nicht fähig für sich selbst einzutreten. Auch als erwachsene Frau ist sie nicht fähig Widerstand zu leisten, als sie gezwungen wird einem Pensionistenverband beizutreten oder ins Dorf, wo sie aufwuchs, zu fahren.

21

Maria-Regina Kecht nennt dieses Phänomen „borrowed identity“ (258).

42

Im nächsten Unterkapitel konzentriere ich mich auf Hildes Beziehung mit den anderen Familienmitgliedern. In dem ersten Teil analysiere ich die Beziehungen in ihrer ursprünglichen Familie (Eltern und Geschwister) und im zweiten Teil beschäftige ich mich mit der „neuen“ Familie (ihrem Ehemann und ihrer Tochter Erika).

b.

Hilde und ihre Eltern und Geschwister

Hilde wächst mit ihren Eltern und sechs Geschwistern in einem Haus in der Nähe von dem Konzentrationslager Mauthausen auf. Man weiß nicht, wie alt Hilde oder die anderen Geschwister - vier Brüder (Hannes, Walter, Max und Stefan) und zwei Schwestern (Monika und Renate) – in diesem Roman zur Zeit des Nationalsozialismus eigentlich waren, aber man kann vermuten, dass die Geschwister während des Krieges zwischen 15 und 25 waren. Das Alter von Hilde ist sehr wichtig, weil sie zu dieser Zeit ein sehr junges Mädches war, das ihre Identität noch nicht fand und sie unbewusst suchte. In diesem Alter sind junge Leute sehr verletzbar und auch einfacher beeinflussbar. Hildes Familie war immer sehr arm. Ihr Vater war Arbeiter und verdiente nicht genug Geld. Je größer die Armut war, desto mehr trank er Most. Hilde fürchtete sich vor ihm, weil sie von ihm geschlagen wurde, und dagegen sehnte sie sich sehr stark nach der Liebe und Aufmerksamkeit ihrer Mutter. Sie wurde aber von ihr übersehen, zu Gunsten ihrer Schwestern, was verursachte, dass sie paranoid und misstrauisch allen gegenüber war, die an ihr Interesse zeigten, sogar gegenüber ihrer eigenen Tochter. Nach Brechtbacher behandelte der Vater Hilde so schlecht, weil er wegen Hildes Anwesenheit keinen Sex mit ihrer Mutter haben konnte (7). Ich finde diese Idee sehr interessant, aber unbegründet. Es gibt Erwähnungen über die Gewalttätigkeit des Vaters gegen Hilde und die

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Mutter, aber der Grund dafür ist nicht klar. Hilde erwähnt nichts darüber und wir können nur vermuten, warum. Kennt sie den Grund nicht oder vergaß sie den Grund absichtlich? Auch Hildes Beziehung mit den Geschwistern war nicht einfach. Hilde mochte damals keine von ihren Schwestern, weil sie die Liebe und Aufmerksamkeit ihrer Mutter genossen und weil diese nie von dem Vater geschlagen wurden. Monika war zwei Jahre und Renate vier Jahre älter als Hilde. Ihr Schicksal ist nicht ganz klar. Monika ist eines Tages nicht mehr vom Bett aufgestanden (es ist nicht deutlich, ob sie krank war) und Renate ist zu ihren Großeltern umgezogen, als sie zehn Jahre alt war. Wir erfahren nur, was Hilde weiß, und die Tatsache ist, dass Hilde sie beide nie mehr sah. Meiner Meinung nach war dieses Verschwinden der Schwestern für Hilde sehr traumatisch und sie verarbeitete dieses Trauma, das sie als Kind erlebte, nie wirklich. Ich bin der Meinung, dass die Schwestern in der Kindheit wahrscheinlich starben, aber Hilde konnte oder wollte darüber nicht sprechen. Sie schweigt über diese Tatsache so, wie sie auch über die anderen schwieg. Es ist für sie zu traumatisch und zu schmerzvoll, es nur zu erwähnen. Hildes Beziehung mit fast allen Brüdern war auch kompliziert. Sie behandelten sie nicht gut und halfen ihr nie, wenn sie Probleme hatte. Die Brüder waren älter als Hilde und ich bin der Meinung, dass sie sie deswegen ignorierten. Der einzige Bruder, der Hilde mochte, war Hannes. Er lachte sie nicht aus, er half ihr immer und rief bei ihr das Gefühl hervor, dass sie irgendwohin gehörte. Nach seinem Tod fühlte sie sich verloren und einsam in der Familie und wusste nicht mehr, wo sie hingehört. Diese Probleme, die Hilde in ihrer ursprünglichen Familie erlebte, wurden einerseits von den schlechten Verhältnissen, in denen die Familie lebte, und anderseits von den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs verursacht. Hilde war verwirrt und unglücklich und wollte verzweifelt

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irgendwo dazu gehören. Der Traum erfüllte sich schließlich, als sie ihren künftigen Ehemann Anton traf.

c.

Hilde und ihr Ehemann (Anton) und ihre einzige Tochter (Erika)

In diesem Unterkapitel gehe ich auf den zweiten Handlungsstrang ein und beschreibe die Beziehungen im „zweiten“ Leben von Hilde – dem Leben, nachdem sie Anton traf. Anton war ihr Ehemann und sie hat mit ihm eine Tochter Erika. Am Anfang der Erzählung ist Anton bereits gestorben und Hilde ist allein in ihrem großen Haus. Anton wird wie ein richtiger Mann dargestellt, weil er sie aus dem Haus rettete und ihr ein besseres Leben anbot. Mit ihm fing für Hilde ein neues Leben an und das alte wird vergessen (so wie alles über die Vergangenheit). „Es war nur mit dir Leben,“ (F 69) sagte sich Hilde. Sie fühlte, dass ihr Leben erst etwas bedeutete, als sie Anton traf. Vorher hatte sie sich übersehen und unbedeutend gefühlt, weil sie nur negative Aufmerksamkeit von den Eltern und anderen Leuten bekommen hatte. Die Beziehung zwischen Hilde und Anton war auch nicht problemlos und wird im Unterkapitel über Hildes Identität schon beschrieben. Hilde liebte ihn sehr und das war auch der Grund dafür, warum sich die Verhaltensmuster aus ihrer ursprünglichen Familie wiederholten. Hilde war sehr abhängig von ihrem Mann und seiner Liebe (wie von den Eltern) und war auch eifersüchtig auf ihre Tochter (wie auf ihre Schwestern), die Antons Aufmerksamkeit mehr auf sich zu lenken schien. Sie befolgte Antons Regeln und versuchte alle seine Wünsche zu erfüllen, um seine Liebe nicht zu verlieren. Sie wurde nie eine selbstständige Frau und sie brauchte immer jemanden, der ihr Leben leiten würde, was auch Henschel erwähnt.

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Die Beziehung zwischen Hilde und Erika war auch problematisch und sie wird im Laufe des Romans sehr gut beschrieben, was bei der Rekonstruktion von Hildes Vergangenheit hilft. Man kann in dieser Beziehung den sogenannten „Wiederholungszwang“ – einen Terminus von Freud - erkennen. Hilde wiederholt unbewusst das, was sie in ihrer Kernfamilie erlebte. Hilde wurde von dem Vater geschlagen, Erika wird von Hilde geschlagen. Hilde hatte als Kind keine Katze haben dürfen, Erika konnte auch keine Katze haben. Hilde wiederholt das, was sie in ihrer Kindheit hasste, und das verursacht eine Spannung zwischen beiden Frauen. Ihre Beziehung wurde auch davon beeinflusst, dass sie unter verschiedenen Umständen aufwuchsen und unterschiedliche Erfahrungen erwarben. Wie Brechtbacher bemerkt, gibt es den Zusammenstoß zwischen der Unabhängigkeit der Tochter und der Abhängigkeit der Mutter (15). Ich stimme ihr zu. Hilde ist von dem Schutz der Männer und den Meinungen anderer Leute abhängig, während Erika die Regeln ihrer Mutter und auch der Gesellschaft ignoriert und es ihr ganz egal ist, was die anderen von ihr halten. Die Beziehung zwischen diesen zwei Frauen wird gegen Ende des Romans deutlicher artikuliert. „Die Konflikte zwischen den beiden Frauen, die zunächst durch den inneren Monolog Hildes artikuliert werden, nehmen schließlich mehr dialoghaften Charakter an“ (Larndorfer 84). Am Ende des Romans wird Hildes Wut über ihr ganzes Leben und vor allem über ihre Tochter so groß, dass sie wahrscheinlich zum ersten Mal in ihrem Leben Mut hat zu sagen, was sie fühlt. Und jetzt geh´. Geh´ endlich. Was willst du denn noch von mir. Willst du mich vielleicht beobachten. Das ist alles nur deinetwegen. Nie wäre mir das allein passiert. Du mußtest ja hierherfahren. Du mußtest ja deinen Kopf durchsetzen. Ohne jede Rücksicht auf mich. … Ich will nicht mehr auf dich Rücksicht nehmen. Ich habe mein Leben lang auf dich Rücksicht nehmen müssen. Ich habe auch ein

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Recht. Wenigstens das Recht, allein zu sein. Du Egoistin. Ich hasse dich. Und wie ich dich hasse. Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich dich hasse. (F 82 – 83) Es scheint, als ob Hilde nicht nur zu ihrer Tochter, sondern auch zu anderen Leuten, die ihr Unrecht antaten, sprechen würde. Sie will nicht mehr schweigen und auf die anderen „Rücksicht nehmen“. Diese Wut auf alle kulminiert, als sie endlich die Geschichte des besagten Februarabends erzählt. Nachdem Hilde ihre Geschichte erzählt, will sie das Dorf verlassen. Sie fährt das Auto zu schnell und ignoriert ihre erschrockene Tochter, die neben ihr sitzt. Kecht bemerkt dazu, dass die weiblichen Hauptfiguren „seek ways of making progress despite pain” (252). Aber fühlt Hilde wirklich eine Erleichterung, als sie das Geheimnis ihrer Tochter verriet? Henschel teilt Kechts Ansicht nicht: „Hilde´s heavy drinking the night before and her reckless driving manner point more to a violent end to her journey into the past. The ominous final lines of Februarschatten intimate a deadly conclusion” (72). Ich stimme Henschels Ansicht zu. Meiner Meinung nach ist Hilde nicht mehr fähig mit ihrer Vergangenheit zurechtzukommen, weil sie zu lang darüber schwieg. Als sie die Wahrheit endlich laut sagte, wird sie fast verrückt und ihr eigenes Leben und das ihrer Tochter sind ihr schon egal.

V.

Schlussfolgerung

Dieses Kapitel beschäftigte sich mit Elisabeth Reicharts Roman Februarschatten. Dieses Werk beschreibt gräuliche Eregnisse des Zweiten Weltkriegs (hauptsächlich die „Mühlviertler Hasenjagd“), konzentriert sich auf das Leben eines Mädchens, dessen Leben von diesen Ereignissen und schlechten Beziehungen in ihrer Familie beeinflusst wurde, und kritisiert dabei das langjährige Schweigen der österreichischen Gesellschaft über die Nazi-Vergangenheit.

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Das Ziel dieser Arbeit war die Handlung und die Figuren zu analysieren, um Antworten auf folgende Fragen zu finden: Wie wird die Familie in diesem Roman dargestellt und was ist die Beziehung zwischen ihren Familienmitgliedern? Wie versteht und bildet die Hauptfigur ihre eigene Identität und wie arbeitet sie ihre Vergangenheit und das Trauma auf? Die Familie von Hilde ist partriarchal und völlig von dem Vater kontrolliert, während die Mutter submissiv und unfair zu ihren Kindern ist. Es gibt eine klare Aufteilung der Familie in die weibliche und männliche Sphäre. Die Töchter müssen alle Arbeiten im Haushalt machen, während die Söhne keine Pflichten zu Hause haben. Diese Situation wiederholt sich dann auch in der Familie, die Hilde mit Anton gründete und die auch sehr traditionell war. Anton war das Haupt der Familie, das sie finanziell unterstützte, und erwartete, dass Hilde alle weiblichen Hausarbeiten vollkommen machen wird. Hilde übernimmt aus ihrer urpsrünglichen Familie nicht nur die Verhaltensmuster der Familie, sondern wiederholt unbewusst auch die Erziehungsmethode, die sie als Kind hasste. Sie war als Kind geschlagen worden und sie schlug dann auch ihre Tochter. Freud nennt dieses Phänomen „Wiederholungszwang“, wenn Menschen unbewusst ihr Trauma wiederholen. Wegen all dieser Gründe waren die Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern sehr kompliziert. Ich würde sagen, dass die Komplikation einerseits von Verehrung und andererseits von Eifersucht verursacht wurde. Hilde verehrte ihre Eltern und Anton und wollte sie zufrieden stellen, um ihre Liebe zu gewinnen, während sie auf jeden eifersüchtig war, dessentwegen diese Liebe von ihr abgehalten oder vermindert wurde (dies galt vor allem für ihre Geschwister und ihre Tochter). Da sie nicht genug Aufmerksamkeit von ihren Idolen bekam, fühlte sie sich ignoriert und ausgeschlossen.

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Wegen dieser Gefühle hatte Hilde auch Schwierigkeiten ihre eigene Identität zu finden, allerdings ohne dessen bewusst zu sein. Zuerst will sie nach Wigmore ihre Identität in der Verbindung mit Deutschland finden, aber dieser Versuch scheitert sehr schnell (40). Dann als sie Anton trifft, übernimmt sie die seine, was von Maria-Regina Kecht als „borrowed identity“ genannt wird (258). Ich bin der Meinung, dass Hilde nicht fähig ist, ihre eigene Identität zu bilden, weil sie mit ihrer Vergangenheit nie zurecht kam und nicht in der Lage war, ihre traumatischen Lebenserfahrungen zu verstehen. Ich finde sehr interessant die Parallele zwischen Hilde und der österreichischen Nachkriegsgesellschaft. Es scheint, als ob das Leben von Hilde die Reflexion der Gesellschaft war. Österreicher wussten, dass sie an Kriegsverbrechen schuldig waren, aber sie stellten sich als Opfer dar und wollten eher die Vergangenheit vergessen. Sie übernahmen die Verantwortung für ihre Taten nicht und hatten bis in die achtziger Jahre Schwierigkeiten, über dieses Thema offen zu sprechen. Elisabeth Reichart kritisiert die österreichische Gesellschaft und sticht absichtlich in ein Wespennest. Obwohl der Roman im Jahre 1984 veröffentlicht wurde, dauerte es noch einige Jahre, bis es in Österreich zu einer öffentlichen und differenzierten Diskussion der eigenen NaziVergangenheit kam.

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KAPITEL IV: HELDENPLATZ VON THOMAS BERNHARD

Thomas Bernhard ist ein österreichischer Schriftsteller, der nicht in Österreich geboren war. Er kam im Jahr 1931 in den Niederlanden als Nicolaas Thomas Bernhard auf die Welt. Schon in diesem Jahr zog er aber nach Wien zu seinen Großeltern um und entwickelte eine sehr tiefe Beziehung zu seinem Großvater (Mittermayer 13).Während des Zweiten Weltkrieges wohnte er nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland, wo er die Verwüstung, die der Krieg anrichtete, erlebte (Mittermayer 18-19). Diese Erfahrungen spiegelten sich dann in seinen Werken wider, in denen er die österreichische Gesellschaft und ihre Nazi-Vergangenheit kritisierte. Er wollte über diese Vergangenheit nicht schweigen und sich „nicht der kollektiven Verantwortung für die nationalsozialistische Ära und deren Folgen entziehen“ (Götz von Olenhusen 231). Die öffentliche Kritik seitens Bernhard erregte öfters eine heftige Reaktion in der österreichischen Gesellschaft, und einer der größten Skandale wurde durch sein Werk Heldenplatz in den achtziger Jahren ausgelöst. In diesem Theaterstück beschimpft er durch den Mund der jüdischen Hauptfiguren ganz Österreich und seine österreichischen Zeitgenossen als Nazis. Das war auch der Grund, warum er von einigen als ein „Österreich-Hasser“ bezeichnet wurde (Götz von Olenhusen 234). Trotz dieser bewegten Aussagen wurde er jedoch nach seinem Tod kurz nach der Aufführung von Heldenplatz am 12. Februar 1989 zum geschätzten österreichischen Autor und wurde von vielen für einen innovatorischen Schriftsteller gehalten. Manfred Mittermayer „erkennt in Bernhard ... den Erfinder einer neuen literarischen Gattung, der „Erregung“ (Spits 191), und Irmtraud Götz von Olenhusen meint, dass Thomas Bernhard „einen herausragenden

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Beitrag zur Analyse der gestörten individuellen und kollektiven Erinnerung an die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen geleistet hat“ (231). Es gibt mehrere LiteraturwissenschaflterInnen, die sich mit Thomas Bernhard und diesem Theaterstück beschäftigen. Sie besprechen beispielweise die Atmosphäre im damaligen Österreich und wie Heldenplatz rezipiert wurde (Jerker Spits), sie analysieren den Schreibstil und die Hauptfiguren (Donald G. Daviau) oder konzentrieren sich auf die „Erinnerungskultur“ 22 und das absichtliche Vergessen nach dem Zweiten Weltkrieg (Irmtraud Götz von Olenhusen). Meine Arbeit trägt zu der Bernhard-Forschung eine neue Perspektive bei, weil ich mein Augenmerk hauptsächlich auf die ganze Familie Schuster richte und ihre zwischenmenschlichen Beziehungen und Probleme mit ihrer Identität analysiere, die mit ihrem Exil in England zusammenhängen. Und weil dieses Werk am Ende der achtziger Jahre veröffentlicht wurde und es in der Atmosphäre in der damaligen Zeit wie eine Bombe wirkte, halte ich für wichtig auch zu erklären, was für eine Atmosphäre damals in Österreich herrschte und warum Heldenplatz so eine heftige Reaktion hervorrief. Ich möchte vor allem die folgenden Fragen beantworten: Wie werden die Familie und die Identität der Hauptfiguren in Heldenplatz dargestellt und wie wurden sie von dem Zweiten Welkrieg beeinflusst? Dieses Kapitel besteht aus acht Unterkapiteln. In den ersten zwei Unterkapiteln bespreche ich den Skandal um das Theaterstück, weil es mit der Handlung des Theaterstückes zusammenhängt. Thomas Bernhard benutzte dieses Thema in der damaligen Zeit, weil er die österreichische Gesellschaft und seine Vergangenheit kritisieren wollte, obwohl er wusste, das es ein Skandal auslösen würde (Spits 194). Im dritten Unterkapitel beschäftige ich mich mit der 22

Götz Von Olenhusen, Irmtraud. "„Nazisuppe“ oder: Pathologien der Erinnerung. Thomas Bernhards Dramen und Geschichtskultur." Politik und Medien bei Thomas Bernhard. Ed. Franziska Schössler and Ingeborg Villinger. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2002. 230-45. Print.

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Handlung des Theaterstückes, weil ich für wichtig halte, alle für meine Arbeit bedeutenden Informationen zu erwähnen, um sie später zu analysieren. Im vierten Kapitel konzentriere ich mich auf den Diskurs der Figuren, d.h. wie die Figuren sprechen (oder nicht sprechen) und bestimmte Worte wiederholen. Im fünften Unterkapitel bespreche ich die Kritik an Österreich, die in Heldenplatz ausgesprochen wird. Die jüdischen Hauptfiguren leben zwar in Österreich, aber sind dort aus vielen Gründen nicht zufrieden. Sie kritisieren die österreichische Gesellschaft und auch das Land, und die negative Beziehung dazu beeinflusst ihr ganzes Leben. Im sechsten und siebten Unterkapitel beschreibe ich die komplizierten Beziehungen der Hauptfiguren zu sich selbst und auch zu den anderen Mitgliedern ihrer Familie. Die Frage nach der Identität der Hauptfiguren ist in diesem Theaterstück sehr interessant, weil ihre Integrität wegen der Vergangenheit verletzt wurde. Im achten und letzten Unterkapitel, das die Schlussfolgerung für dieses Kapitel ist, beantworte ich die oben erwähnten Fragen und fasse die wichtigsten Fakten über die SchusterFamilie und deren Identität zusammen.

I.

Skandal um Kurt Waldheim

Heldenplatz wurde 1988 im Burgtheater aufgeführt, aber schon vorher wurde die österreichische Gesellschaft mit ihrer Nazi-Vergangenheit öffentlich konfrontiert. Im Jahr 1986 wurde Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten und seine Verwicklung mit der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs rückte ihn in den Mittelpunkt des Weltinteresses. Die dunkle Vergangenheit Österreichs begann langsam ans Licht zu kommen.

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Die ganze Welt sprach darüber, dass der österreichische Präsident einst in der deutschen Wehrmacht diente, und das löste einen Skandal aus. Die Historiker versuchten zu erforschen, was er genau während des Krieges gemacht hatte und ob er Kriegsverbrechen begangen hatte oder nicht. Obwohl er im Jahr 1942 als Dolmetscher auf den Balkan geschickt worden war, weil er italienisch hatte sprechen können (Basset 47 – 48) und dort „als SS-Offizier für Erschießungskommandos auf dem Balkan verantwortlich“ (Götz von Olenhusen 230) gewesen war, kamen die Historiker zum Schluss, dass er keine Kriegsverbrechen begangen hatte, aber dass er eine „moralische[…] Mitschuld“ hatte (Spits 193). Diese Affäre beschädigte das gute Image Österreichs und man begann mehr über die österreichische NS-Vergangenheit zu diskutierten. Zwei Jahre später im Jahr 1988 gab es dann das 50-jährige Jubiläum des Anschlusses, das als „Bedenkjahr“ 23 bezeichnet wurde, und das war das Jahr, in dem Heldenplatz aufgeführt wurde.

II.

Heldenplatz und der Skandal

Der Name des Theaterstückes Heldenplatz ist mit der österreichischen Geschichte eng verbunden. Im März 1938 betraten Adolf Hitler und deutsche Truppen Österreich, schlossen dieses Land an das nationalsozialistische Deutsche Reich an und wurden von vielen Österreichern gerade auf dem Heldenplatz herzlich begrüßt. Fünfzig Jahre nach dem Anschluss schuf Thomas Bernhard dieses Theaterstück anlässlich des Jubiläums der Gründung des Burgtheaters - auf Wunsch von Claus Peymann, dem

23

1988 waren es genau 50 Jahre nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich. Dieses Jahr wurde als „Bedenkjahr“ bezeichnet, da in Österreich öffentlich über seine Rolle während des Zweiten Krieges gesprochen wurde (Mittermayer 122).

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Chef vom Burgtheater - mit der Absicht, den „Anschluss“ darzustellen und heutige Österreicher zu kritisieren (Spits 194). Die Kritik an der Vergangenheit und der Gegenwart Österreichs erfolgte aus dem Mund von jüdischen Österreichern, die ihre nicht-jüdischen österreichischen Mitmenschen als Nazis bezeichneten und zudem auch die Kirche, Politiker und auch Journalisten (in der Vergangenheit und auch Gegenwart) beschimpften. Bernhard und Peymann wussten schon, bevor Heldenplatz überhaupt aufgeführt wurde, dass das Werk Aufsehen erregen würde, aber das Ausmaß des Skandals überraschte auch sie (Spits 194). Dieses heikle Thema des Theaterstückes erregte die Animosität nicht nur gegen Thomas Bernhard selbst, der als Verräter bezeichnet wurde, 24 sondern auch gegen die Deutschen, weil Claus Peymann Deutscher war (Spits 198 – 199). Das österreichische Publikum hielt das Theaterstück für eine große Provokation, aber Thomas Bernhard meinte, dass es nur die Wirklichkeit darstellte (Daviau 32). Er sprach offen, hartnäckig und gespitzt über das Thema, das Jahrzehnte lang ein Tabu war, und meiner Meinung nach bauschte er es so auf, damit es mehr Aufmerksamkeit bekommen würde. Meiner Meinung nach benutzte er aus diesem Grund die Juden als die Hauptfiguren absichtlich. 25 Die Kritik an dem Verhalten der Österreicher während des Krieges wirkt immer eindrucksvoller, wenn sie von Juden ausgesprochen wird. Nach Fatima Naqvi wurden jedoch die jüdischen Hauptfiguren in diesem Werk aus dem Grund benutzt, weil es in Heldenplatz eigentlich um die Kollektivschuld der Österreicher geht: das Werk „individualizes the Jewish victims, while the nameless and faceless audience is held responsible for their victimization“

24

Bernhard sagte dazu: „Jeder mag sein Land. Ich auch. Nur den Staat mag ich nicht“ (Spits 203). Dieselbe Idee hatte auch Donald Daviau in seinem Artikel „Thomas Bernhard’s Heldenplatz“ (32) und ich stimme dem zu.

25

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(409). Dieser Ansicht stimme ich aber nicht hundertprozentig zu. Die Juden in Heldenplatz werden nicht nur als Opfer, sondern auch als Menschen mit negativen Eigenschaften geschildert; sie sind keine Helden oder außerordentlichen Menschen. 26 Im nächsten Kapitel werde ich die Handlung des Werkes beschreiben, weil es notwendig ist, die Geschichte der jüdischen Familie gut zu kennnen, um die komplizierten Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern zu verstehen.

III.

Handlung

Josef Schuster, die Hauptfigur in diesem Theaterstück, ist Mathematik-Professor und Jude. Nachdem Österreich an das Deutsche Reich angeschlossen worden war, flüchtete er nach Oxford in England, um sein Leben und das Leben seiner Familie zu retten. Er wurde dort auch zum Professor, aber in den fünfziger Jahren erlag er der Versuchung in die alte Heimat nach Wien zurückzukehren. Er kaufte eine Wohnung auf dem Heldenplatz und begann an der Wiener Universität zu unterrichten. Erst dreißig Jahre später im Jahr 1988 stellt er schließlich fest, dass er sich in Österreich eigentlich nicht wohl fühlt und überlegt ernsthaft, wieder nach Oxford umzuziehen. Dieser Schritt unternimmt er jedoch nie mehr; er begeht Selbstmord, indem er aus dem Fenster springt. Diese Geschichte spielt sich noch vor dem eigentlichen Anfang des Theaterstückes ab. In der ersten Szene dieses Theaterstückes, das aus drei Szenen besteht, erscheinen zwei Dienerinnen von Josef Schuster (Frau Zittel und Herta), die in der Wohnung auf dem Heldenplatz die Kleidung des Verstorbenen zusammensuchen und packen. Frau Zittel diente lange Professor Schuster und unterhält sich mit Herta über seinen Charakter und sein

26

Wie auch Götz von Olenhusen erwähnt, sind sie „ganz „normale“ Österreicher“ (236).

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merkwürdiges Verhalten, was darauf hinweist, dass Josef Schuster ein paranoider Perfektionist war. Sie enthüllt auch, dass Hedwig, die Frau von Josef Schuster, in dieser Wohnung an wiederholten Anfällen leidet, wenn diese ein vom Heldenplatz kommendes Geschrei hört, welches niemand anderer wahrnimmt. In der zweiten Szene verlassen zwei Töchter von Josef Schuster (Anna und Olga) die Beerdigung ihres Vaters und sprechen über die Situation in Wien und Österreich 27 und auch über die unglückliche Ehe ihrer Eltern. Ihr Onkel Robert schließt sich ihnen an und die Konversation fährt fort. Anna und Robert gehören zu den Figuren, die Österreich am meisten verurteilen. In der dritten Szene erscheinen die vorher auftretenden Figuren, zusammen mit der Frau vom verstorbenen Josef Schuster (Hedwig), ihrem Sohn (Lukas), Schusters Kollegen mit seiner Frau (Professor Liebig und Frau Liebig) und auch mit Herrn Landauer, der Schuster sehr verehrte. Diese Szene spielt sich in der Wohnung am Heldenplatz ab und die Figuren diskutieren über die aktuelle Situation in Österreich und verurteilen nicht nur den Staat, sondern auch die Leute. Zum Ende der Szene hört Hedwig wieder das Geschrei, das sonst niemand hören kann, und am Ende fällt ihr Kopf auf ihren Teller. Wir sind aber nicht sicher, ob sie nur ohnmächtig wird oder ob sie stirbt. Die Form, in der sich die Figuren unterhalten, kann das Lesen oder Verstehen der Handlung schwierig machen. Es ist wichtig, sie zu beschreiben, weil der Stil, wie die Figuren sprechen (oder nicht sprechen) und bestimmte Worte wiederholen, von ihrem Charakter und auch ihrer Identität zeugt.

27

Anna glaubt, dass Wien voll von Nazis ist und dass sie die Juden wieder angreifen werden.

56

IV.

Schreibstil

Der Text des Theaterstückes hat keine Interpunktion (Komma oder Punkt), aber lange Monologe und Wiederholungen von Worten und Gedanken (Daviau 41 und 35, Dowden 71). Wegen der fehlenden Interpunktion kann man sich in den Monologen ganz leicht verlieren, aber am Anfang jedes Satzes gibt es immer einen Großbuchstaben, der dem Leser hilft, sich in dem Text zu orientieren. Die Wiederholung von Worten und Gedanken wurde nach Daviau von Bernhard benutzt, damit die Zuschauer die mitgeteilten Ideen deutlich verstehen (41). Ich stimme dem zu und meine, dass nicht nur die Wiederholung, sondern auch die langen Monologe dafür benutzt werden, eine eindrucksvollere Atmosphäre zu kreieren. Ein anderes Merkmal, das für Heldenplatz ganz typisch ist, ist der schnelle Wechsel der Gegenwart und der Vergangenheit in den Monologen der Figuren. Am verwirrendsten spricht Frau Zittel, die zwischen diesen Zeiten oft hin und zurück springt, die die Themen sehr schnell wechselt und deren Aussagen sich manchmal auch widersprechen. Meiner Meinung nach weist diese Art und Weise auf ihre Stimmung hin, weil sie unter Schock steht, dass Josef Schuster tot ist. Sie ist die aufgeregteste von allen, weil sie die engste Beziehung zu ihm hatte. Es ist auch nötig zu erwähnen, dass Thomas Bernhard oft ein „Übertreibungskünstler“ genannt wird, wie beispielweise von Wendelin Schmidt-Dengler in seinem Buch Der Übertreibungskünstler: Studien zu Thomas Bernhard. Diese Übertreibung ist sehr sichtbar auch in Heldenplatz und nach Donald Daviau ist sie sogar ganz extrem (34). Gregor Thuswaldner meint jedoch, dass sie eine Funktion hat: „Das Stilmittel der Übertreibung relativiert ebenso die harsche Österreichkritik“ (178). Meiner Meinung nach benutzte Thomas Bernhard diesen Stil, um zu betonen, was er in der österreichischen Gesellschaft nicht mochte. Eine offensichtliche

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Übertreibung gibt es beispielsweise im Moment, als eine der Haupfiguren Anna sagt, dass Wien voll von Nazis ist. Im nächsten Kapitel werde ich mich mit dieser Kritik beschäftigen. Die Hauptfiguren leben in Österreich, aber sind dort aus vielen Gründen nicht zufrieden. Sie kritisieren die österreichische Gesellschaft.

V.

Kritik Österreichs

Thomas Bernhard ist gut bekannt für seine kritischen Ansichten über die österreichische Gesellschaft, und Heldenplatz bringt eine kompromisslose Kritik. Es gibt vier Hauptthemen, die im Theaterstück besprochen und kritisch unter die Lupe genommen werden. Die Geschichte Österreichs, die Beschreibung von Österreich und Österreichern, Kritik der anderen Bestandteile der österreichischen Gesellschaft (wie Kirche, Schriftsteller, Journalisten usw.) und Kritik an anderen Ländern. Das erste Thema, das in diesem Kapitel besprochen wird, ist die österreichische Geschichte. Die Hauptfiguren sprechen nicht oft darüber und die Perspektive diesbezüglich ist ausschließlich eine jüdische. Folgende Themen stehen für sie im Mittelpunkt: wie Juden vor 1938 toleriert wurden, wie sich diese Beziehung nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte und wie sie heute von Österreichern noch mehr gehasst werden. Die Hauptfiguren äußern ihre Ängste und sogar ihren Hass gegenüber Wien und Österreich, und sagen, dass es jetzt in Wien mehr Nazis gibt als im Jahr 1938.

58

Mit der österreichischen Geschichte ist auch das wichtigste Thema dieses Theaterstückes verbunden, und zwar die Kritik an Österreich und den Österreichern, was meistens von Anna 28 und Robert ausgesprochen wird. Österreich wird als ein antisemitischer Staat dargestellt, eine „Bühne auf der alles verlottert und vermodert und verkommen ist,“ wo Millionen „Debile und Tobsüchtige“ wohnen, die „aus vollem Hals nach einem Regisseur schreien“ (H 89). Dieses Zitat bezieht sich meiner Meinung nach auf die Vergangenheit und Hitler, der Österreich von 1938 bis 1945 kontrollierte, und stellt die Österreicher als eine Nation dar, die sich zur Zeit des Dramas noch sehr nach einer starken Hand sehnt. Den Österreichern werden von den Hauptfiguren auch folgende negative Eigenschaften zugesprochen: sie seien grausam, doof, gleichgültig, gehässig, intolerant, unglücklich, zu katholisch und nazistisch. Vor allem die Meinung, dass die Österreicher Nazis sind, die die Juden hassen, wird wiederholt ausgesprochen. Die Kritik an Österreich und Österreichern ist sehr streng, aber Donald Daviau behauptet, dass sie nicht das wichtigste Thema des Stückes ist. Er meint, dass Bernhard in erster Linie vermutlich das Schicksal einer jüdischen Familie schildern wollte (34). Ich stimme dieser Ansicht nicht zu. Meiner Meinung nach wollte er beide Themen auf einmal darstellen, weil die Kritik Österreichs betont wird, wenn sie aus dem Mund der Juden kommt. Bernhard wollte deutlich zeigen, wie die dunkle österreichische Vergangenheit das Leben der Leute vernichtete und noch heute – nach fünfzig Jahren – vernichtet. In Heldenplatz wird aber nicht nur Österreich beschimpft, sondern auch die anderen Länder (wie England und das ganze Europa), was die Identitätskrise der Hauptfiguren nur verschlimmert. Die Welt wird als ein „hässlich[er]“ (H 87) Ort dargestellt, und Europa als ein

28

Anna wird als ein „Stichwortbringer“ von Donald Daviau charakterisiert (37), aber ich stimme dem nicht zu. Anna kritisiert die österreichische Gesellschaft fast so oft wie Robert.

59

Ort, wo die Juden gehasst sind. Die Hauptfiguren haben das Gefühl, dass sie nirgendwo hingehören und dass sie sich nirgendwo wie zu Hause fühlen können. Die Ansichten der Hauptfiguren, hauptsächlich von denjenigen, die den Zweiten Weltkrieg als Erwachsene erlebten (Josef, Hedwig und Robert), zeigen sehr klar, wie sie ihre inneren Dämonen bekämpfen, die während des Zweiten Weltkrieges entstanden. Sie wurden durch ihre jeweils eigene Geschichte, durch das Exil in England und antisemitische Äußerungen der Österreicher so beeinflusst, dass sie in Österreich nicht mehr glücklich sein können. Diese Ansichten werden dann auch den Kindern überliefert, die infolge davon auch eine Identitätskrise erleben.

VI.

Hauptfiguren in Heldenplatz und ihre Identität

„To share an identity is ... to be bonded on the most fundamental level: national, ‘racial’, ethnic, regional, local. And yet, identity is always particular, as much about difference as about shared belonging” (301), so Paul Gilroy über die Identität. Die nationale Identität ist im Prinzip ein Konzept, das sich in Europa vor allem im 19. Jahrhundert verbreitete. Benedict Anderson erwähnt im Zusammenhang mit diesem Begriff das Wort „imagined“ (6). Er behauptet, dass die Menschen zwar nicht alle Mitglieder ihrer Nation kennen, aber sie stellen sich die Beziehung zu anderen vor (6). Darum nennt er die Nation eine „imagined community“ (6). Die nationale Identität oder die Wahrnehmung der Nation spielt in Heldenplatz eine wichtige Rolle. Die Hauptfiguren fühlen sich als Österreicher und gleichzeitig auch als Juden, aber es scheint, als ob diese zwei Teile ihrer Identität gegeneinander aufprallen. Sie leben in Österreich, aber sie fühlen sich dort nicht wie Zuhause und sie unterstellen den nicht-jüdischen Österreichern schlechte vom Nationalismus beeinflusste Absichten.

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Im Kontext der Identität behauptet Dowden, dass die Hauptfiguren sich mehr als Österreicher denn als Juden fühlen (80). Christine Kiebuzinska ist der Meinung, dass die Figuren zwar ihre österreichische Zugehörigkeit verachten „but continue to be [Österreicher] to the end of their days“ (384) und Benjamin Henrichs sagt einfach, die Figuren „sind österreichische Juden“ (qtd. in Naqvi 413). Ich werde jedoch einen anderen Begriff benutzen, und zwar „a negative symbiosis“, der schon vorher von Dan Diner und vor ihm Hannah Arendt (zitiert von Melissa Beegle) und anderen LiteraturwissenschaftlerInnen im Zusammenhang mit der Beziehung zwischen den jüdischen und nicht-jüdischen Deutschen nach dem Krieg angewendet wurde (Beegle 1). Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland und in Österreich einerseits die Täter, die grauenhafte Taten gegen die Menschlichkeit verübten, oder Mittäter und Mitläufer, und andererseits die Opfer, die diese Taten überlebten. Die beiden Gruppen wohnten nach dem Krieg nebeneinander, was die Spannung und vor allem das Misstrauen verursachte. Der Begriff „die negative Symbiose“ stellt daher nach Hannah Arendt und Dan Diner, die Beegle zitiert, die Beziehung zwischen den jüdischen und nicht-jüdischen Deutschen dar, die sogar bis heute angespannt sein kann. Die Taten, die während des Krieges gegen Juden verübt wurden, können nicht einfach vergessen werden und sind noch nach Jahrzehnten immer lebendig (Beegle 5) . Diese „negative Symbiose“ ist sichtbar auch in Heldenplatz. Die Hauptfiguren fühlen sich zwar mit den österreichischen Mitmenschen auf der kulturellen und auch historischen Ebene verbunden, 29 aber sie vertrauen ihnen wegen ihrer Haltung zu den Juden während des Krieges nicht. Robert Schuster stellt ein gutes Beispiel dar: er hält Österreich für sein Vaterland, aber zur

29

Josef und Robert Schuster wohnten schon vor dem Krieg in Österreich und empfanden eine innige Verbundenheit mit der österreichischen Literatur, Musik und dem österreichischen Theater.

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gleichen Zeit fühlt er sich von seinen nicht-jüdischen österreichischen Mitmenschen verraten 30 und er distanziert sich von ihnen. Er nennt sie einfach „diese Leute aus Österreich” (H 96), als ob er eigentlich kein Österreicher wäre. Auch die anderen Hauptfiguren können nicht vergessen, was die nicht-jüdischen Österreicher während des Krieges verübten, und darum wiederholen sie immer das Wort „Nazis“ im Zusammenhang mit ihnen. Die Hauptfiguren vertrauen den österreichischen Mitmenschen nicht und gleichzeitig haben sie das Gefühl, dass auch sie von ihnen nach dem Krieg nicht positiv aufgenommen wurden. Man kann diese Stellung deutlich am Beispiel von Josef Schuster beobachten. Er musste seine Heimat wegen des Nazi-Regimes verlassen und nach England fliehen, aber als er nach dem Zweiten Weltkrieg nach Wien zurückkehrte, war das Leben dort für ihn nicht mehr gleich wie früher. Er hatte das Gefühl, dass seine alte Heimat ihn mit offenen Armen nicht empfing, und er war dort nie mehr glücklich, seine Familie erst recht nicht. Aber warum hatten er und die ganze Familie dieses Gefühl? Wie entstand es? Um diese Frage zu beantworten muss ich die Theorie von Jan Assmann erwähnen. Jan Assmann trägt zu der Problematik der Identitätsbildung und der Zugehörigkeit in einer Gruppe eine neue Perspektive bei. Er übernimmt von Maurice Halbwachs den Begriff „das kollektive Gedächtnis“ und erweitert seine Theorie, indem er zwei neue Begriffe anwendet, und zwar das „kommunikative“ und das „kulturelle Gedächtnis“ (109 – 110). Er beschäftigt sich in dieser Theorie mit dem Zusammenhang zwischen den Erinnerungen und der Bildung der Zugehörigkeit und der Identität und ist der Meinung, dass das Erinnerungsvermögen uns ermöglicht, in Gruppen zu leben (114). Das kulturelle Gedächtnis wird seiner Meinung nach durch Institutionen, Rituale und spezielle Träger überliefert, während das kommunikative

30

„Wir haben alle gedacht wir haben ein Vaterland aber wir haben keins“ (H 163).

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Gedächtnis nicht strukturiert ist und „lives in everyday interaction and communication“ (111). Dieses kommunikative Gedächtnis verbindet eine Gruppe, muss durch Rituale gebildet werden und erscheint in der Familie und auch unter Zeitgenossen, die gemeinsame Erfahrungen haben (diese Erfahrungen können höchstens achtzig bis ein hundert Jahre alt sein) (117). Diese beiden Gedächtnisformen sind nach Assmann wichtig bei der Identitätsbildung (114). Aber bei der Schuster-Familie kompliziert sich diese Identitätsbildung. Sie fühlen sich als Österreicher, aber ihnen fehlt die Zugehörigkeit zu den zeitgenössischen nicht-jüdischen Österreichern. Wegen der Angst um ihr Leben flüchtete die Familie schon vor dem Anfang des Kriegs nach England und darum erwarb sie im Exil andere Erfahrungen als die Österreicher, die den Zweiten Weltkrieg in Österreich erlebten. Sie teilen mit ihnen nicht nur keine gemeinsame Vergangenheit, sondern auch keine Rituale. Sie kommunizieren mit ihnen nicht, sie sondern sich von ihnen sogar ab und wollen im Gegensatz zu den nicht-jüdischen Österreichern über die dunkle Vergangenheit Österreichs nicht schweigen. Das alles entfernt sie von den anderen noch weiter. Die Identitätskrise bei den Kindern wird größtenteils durch das Verhalten der Eltern und die Art und Weise, wie sie die Kinder erzogen, verursacht. Die Sozialisierung der Kinder in der österreichischen Gesellschaft konnte nicht erfolgreich durchgeführt werden, weil die Eltern ihnen immer sagten, wie schlecht sie ist und wie voll von Nazis. Die Hauptfiguren haben jedoch die komplizierte Beziehung nicht nur zur nicht-jüdischen österreichischen Gesellschaft, sondern auch zu den anderen Mitgliedern der Schuster-Familie. Die Probleme sind hauptsächlich Josef Schuster zuzuschreiben, und im nächsten Kapitel werde ich seine Beziehung zu den anderen Familienmitgliedern analysieren.

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VII.

Josef Schuster und seine Beziehungen

Der Mittelpunkt dieses Theaterstücks ist die Schuster-Familie. Es geht um eine patriarchalisch organisierte Kernfamilie, wo aber die Kinder nicht mehr mit ihren Eltern in einem Haushalt wohnen. Trotzdem weist die Familie auf den ersten Blick einige Merkmale einer typischen bürgerlichen Kernfamilie auf: der Vater verdient das Geld und die Mutter ist zu Hause (Szczepaniak 42). Die Beziehungen zwischen Josef Schuster und den anderen Familienmitgliedern werden in Heldenplatz nur von den anderen Personen beschrieben und es fehlt selbstverständlich die Sicht von Josef Schuster selbst, weil er am Anfang des Stückes schon tot ist. Aber bevor ich die Beziehungen zwischen Josef Schuster und den anderen Familienmitgliedern analysiere, werde ich mich zuerst mit der Beschreibung von Josef Schuster beschäftigen, weil sein Charakter mit seinem Verhalten eng zusammenhängt. Josef Schuster war paranoid und er litt an einem Verfolgungswahn, wie sein Bruder Robert behauptet. Seine Meinung bezüglich seiner Mitmenschen basierte auf Kleinigkeiten. Zum Beispiel meinte er: „ein anständiger Mensch hat Größe fünfundvierzig“ (H 12) oder Frau Zittel, seiner Wirtschafterin, sagt er, dass die Menschen fürchterlich seien, „die Glenn Gould nicht mögen und die Sarasate nicht gern mögen mit solchen Leuten will ich nichts zu tun haben das sind gefährliche Menschen die Sarasate nicht mögen“ (H 32). Schon diese Eigenschaften weisen darauf hin, dass es nicht einfach war, mit diesem Menschen in einem Haushalt zusammen zu wohnen und eine liebevolle Beziehung zu haben. Diese Besessenheit mit Einzelheiten in Bezug auf Charaktereigenschaften ist auch mit seiner Pünktlichkeit und anderen von ihm ausgedachten Regeln verbunden. Beispielsweise verlangte er, dass seine Kleidung fehlerlos gebügelt oder zusammengelegt werden musste.

64

Wendelin Schmidt-Dengler schreibt zu diesem Phänomen in Bernhards Werken: „Die Figuren scheinen auf die Objekte fixiert, fixiert vor allem auf die Gewandung; deren Auswahl hat sich zum verstörenden Ritual entwickelt.“ Schmidt-Dengler behauptet weiter, dass viele andere Figuren in Bernhards Werken ähnliche Rituale durchführen (159). Meiner Meinung nach sind diese Figuren und hauptsächlich Josef Schuster auf bestimmte Aspekte fixiert, weil sie diese Sachen kontrollieren können. Es gab Zeiten, als das Leben dieser Leute von jemandem anderen kontrolliert wurde, und sie wollen jetzt alles fest unter ihrer eigenen Kontrolle haben. In Schusters Fall geht es vor allem um seine nächste Umgebung. Im nächsten Kapitel werde ich seine Beziehungen zu den Leuten analysieren, die in seinem Leben zu den wichtigsten gehörten. Ich werde mit seinen „Frauen“ anfangen und ich benutze absichtlich den Plural, denn er behandelte zwei Frauen als seine Ehefrauen.

a.

Josef Schuster und seine „Frauen“

„Die Ehegatten sind die „Architekten“ der Familie“, sie „bilden eine Einheit“ und sie sollten einander emotionell und psychisch unterstützen, so Textor in seinem Buch über die Soziologie und Psychologie der Familie (Textor 77). Textors moderne Anschauung, wie eine fuktionierende Ehe aussehen sollte, passt zur Schuster-Familie überhaupt nicht. Josef Schuster behandelte seine Frau nicht wie eine gleichwertige Partnerin und unterstützte ihre Gefühle oder Wünsche überhaupt nicht. In dieser Beziehung geht es eher um die Macht und die Kontrolle. Zeit seines Lebens verhielt sich Josef Schuster als Manipulator und Despot und verlangte blinden Gehorsam von seiner Umgebung, hauptsächlich von den zwei wichtigsten Frauen in seinem Leben: seiner Frau Hedwig und der Dienerin Frau Zittel. Er kontrollierte fast alles in ihrem Leben, obwohl er eine unterschiedliche Beziehung zu jeder von ihnen hatte.

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Der Grund dafür sehe ich im Zusammenhang mit den Stereotypen über die Frauen und ihre Rolle in der Ehe. Nach dem Bild der bürgerlichen Familie „soll die Frau Empfindsamkeit, Emotionalität, Sittlichkeit, Kultur und Frömmigkeit verkörpern“ und „sie ist für … die sparsame und tüchtige Haushaltsführung sowie die Kindererziehung zuständig“ (Textor 58). Diese Erwartung wurde jedoch von der Frau von Josef Schuster nicht erfüllt. Sie war emotional instabil, sie war nicht fähig, mit ihrem Mann eine Konversation über schwierige Themen zu führen, und sie kümmerte sich um den Haushalt nicht, weil sie Dienerinnen hatte. Meiner Meinung nach war das der Grund, warum sie von Josef Schuster schlimm behandelt wurde. Er hielt sie nicht mehr für eine Person, die eigene Bedürfnisse hatte, sondern nur für ein Objekt, das zu ihrem Leben gehörte. Er kontrollierte ihr Leben, erteilte ihr Befehle und behandelte sie schlimmer als seine Dienerinnen: er verbot ihr, die Universität zu besuchen, einen Ausflug nach Paris zu machen oder in eine andere Wohnung umzuziehen. 31 Sie war für ihn einfach „nebensächlich”(H 72), wie sein Bruder Robert sagte. Im Gegensatz dazu erfüllt die Dienerin Frau Zittel viele von den Erwartungen und stellt meiner Meinung nach in den Augen von Josef Schuster den Gegensatz von seiner Frau dar. Zu seiner Lebenszeit machte sie alles, was er wollte (sie las ihrer Mutter aus Tolstojs Werken vor, sie trug nur schwarze Kleidung, sie bügelte und legte seine Kleidung sehr ordentlich zusammen usw.), und sie war sogar fähig, mit ihm über schwierige und philosophische Themen (auch auf Englisch) zu diskutieren. Diese gemeinsamen Aktivitäten verbanden sie mit Josef Schuster sehr eng und halfen ihnen, eine tiefere Beziehung zu entwickeln.

31

Er wollte nicht umziehen, weil er der Meinung war, dass Hilter ihn schon einmal aus Wien vertrieben hatte. „Ich kann doch die Wohung nicht aufgeben nur weil du dieses Geschrei vom Heldenplatz hörst … das hieße ja daß mich dieser Hitler zum zweitenmal aus meiner Wohnung verjagt“ (H 29).

66

Es ist aber kein Zufall, dass Frau Zittel eine passende Frau für Josef Schuster darstellte. Wir können ohne Übertreibung sagen, dass sie eigentlich sein „Geschöpf“ (H 73) war, was auch von Robert bestätigt wird. Sie begann als ein junges Mädchen für diese Familie zu arbeiten und Josef Schuster schuf sie als sein Ebenbild. Sie wurde nach seiner Vorstellung zu einer vollkommenen Frau. Sie folgte nicht nur seinen Befehlen, sondern sie übernahm sogar auch seine Meinungen und sie behandelte die andere und jüngere Dienerin Herta so, wie Josef Schuster seine Frau behandelte (sie demütigt sie und sagt ihr, dass sie sehr dumm ist). Diese Beziehung zwischen Josef Schuster und Zittel war jedoch auch nicht ideal und beruhte auf einer Kontrollsucht. Josef Schuster manipulierte gern andere und vertrug keinen Ungehorsam. Er erforderte, dass sich die Leute um ihn nach seinen Regeln verhalten, und wenn das nicht so geschah, respektierte er sie nicht. Diese Tatsache kann man auch in der Beziehung zu seinen Kindern und seinem Bruder beobachten.

b.

Josef Schuster und seine Kinder und sein Bruder

Nach Martin Textor ist die Kommunikationsfähigkeit ein zentraler Aspekt der Familie, weil die Kinder durch diese Interaktion lernen, „welche Dinge wichtig und unwichtig sind, … welche Interessen, Werte und Einstellungen akzeptabel sind“ (70). Die Eltern übergeben den Kindern ihre Ansichten oder auch Anschauungen über die Welt (Textor 70), helfen den Kindern, sich zu sozialisieren und gleichzeitig bieten sie ihnen auch eine Zuflucht (Sandanyová 8). In Heldenplatz funktioniert diese Rolle der Familie nur teilweise. Die drei Kinder von Josef Schuster (Anna, Olga und Lukas) wuchsen in einer Familie auf, die sich über die österreichische Nation immer negativ äußerte und die sich in Österreich nie wohl fühlte. Diese negativen durch die Kommunikation übertragenen Erfahrungen wurden dann

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bis zum Zeitpunkt der Mündigkeit der Kinder auch „erlebt“. Ich benutze absichtlich die Anführungszeichen, weil man nicht sicher sein kann, ob ihre eigenen negativen Erfahrungen in Österreich nicht auch teilweise die Ausgeburt ihrer Fantasie waren. Als Kinder erfuhren sie von den Eltern, dass Österreich voll von Nazis war, und als Erwachsene wiederholen und überliefern sie diese Ansichten weiter. Scheinbar wurde ihre Kindheit bis zum Zeitpunkt ihres Erwachsenwerdens von der Denkweise ihrer Eltern beeinflusst, was auch der Grund dafür ist, warum der Sozialisierungsprozess der Kinder nicht richtig durchgeführt wurde. Sie hörten immer von den Eltern, dass die österreichische Gesellschaft gegen sie steht, und darum konnten sie nie dazu gehören. Die zweite wichtige Rolle der Familie, die bei Schusters nicht erfüllt wurde, ist ein potentieller Zufluchtsort für die Kinder. Josef Schuster kontrollierte die ganze Familie zu sehr, als dass eine angenehme Atmosphäre hätte entstehen können. Nach Martin Kraus waren die Kinder so kontrolliert, weil Josef Schuster um sie Angst hatte (58). Ich stimme dem nicht zu und meine, dass er eher Angst hatte, die Kontrolle über die Kinder zu verlieren. Wenn er die Kinder wirklich geliebt und um sie Angst gehabt hätte, hätte er sie nicht als „Dummköpfe“ bezeichnet (H 37). Sein Sohn war für ihn nur eine „Niete“ (H 36) und seine Töchter bezeichnete er als „studierte Schauertöchter“ (H 36). Er meinte, dass es nichts Schlimmeres gibt, als „alleinstehende Töchter“ zu haben, die einer „geistigen Beschäftigung“ nachgehen wollen (H 36). Diese letzte Beschreibung seiner Töchter ist eine Anspielung auf ein anderes Problem in dieser Familie, und zwar eine klare Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern, die von Josef Schuster seiner Familie aufgedrängt wurde. Die Frauen wurden von ihm wie ein Objekt für Männer angesehen: sie sollten sich um den Mann und das Haus kümmern und gleichzeitig

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sollten sie fähig sein, mit dem Mann eine geistvolle Konversation zu führen. Diese Idee von einer vollkommenen Frau wurde jedoch von seinen Töchtern oder seiner Ehefrau nicht erfüllt. Die Töchter waren geschieden, ohne einen Mann und vor allem selbstständig. Sie nahmen ihr Leben in die Hand, was auch eine Reaktion darauf sein könnte, was sie in der Ehe ihrer Eltern sahen. Diese neue Generation wollte nicht mehr in einer nicht fuktionierenden Beziehung bleiben, wie ihre Eltern. Diese Selbstständigkeit der Töchter reflektiert auch Änderungen in der österreichischen Gesellschaft. Die Frauen in Österreich bekamen ihr Stimmrecht zwar gleich nach dem ersten Weltkrieg, aber es gab danach noch Verordnungen, die ihr Leben einschränkten (beispielweise konnten sie nur mit dem Einverständnis ihres Mannes eine Arbeit finden usw.). Diese galten bis in die siebziger Jahre. Während Josef Schuster nach Daviau seine Frau und Kinder hasste (37), ist Robert das einzige Mitglied seiner Familie, den Josef Schuster liebte. Meiner Meinung nach war Josef Schuster fähig eine tiefere Beziehung mit seinem Bruder aufzunehmen, weil er ihn trotz ihrer Unterschiede respektierte. Beide waren auch Professoren an der Universität und beide waren Männer.

VIII.

Schlussfolgerung

Eine der Funktionen einer harmonischen Familie ist, dass diese Familie die Bedürfnisse aller Mitglieder befriedigen sollte (Sandanyová 9). Die Schuster-Familie in Heldenplatz ist keineswegs eine harmonische Familie und die einzigen Bedürfnisse, die sie befriedigt, sind die von Josef Schuster.

69

Josef Schuster kontrolliert seine ganze Familie und auch seine Dienerinnen wie ein Despot. Diese Sucht nach Kontrolle wird meiner Meinung nach teilweise auch von den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs verursacht. In diesen Zeiten konnte er sein Leben nicht mehr kontrollieren und als Jude musste er aus Österreich flüchten, um sich selbst und die Familie zu retten. Deshalb ist er jetzt davon besessen, alles in seinem Leben zu kontrollieren. Er befiehlt den anderen, was sie machen sollten, und wenn sie ihm nicht gehorchen, ist er verärgert und er demütigt sie. Während die zwei sehr wichtigen Frauen in seinem Leben (seine Frau Hedwig und seine Dienerin Frau Zittel) ihm gehorchen – obwohl sie darunter leiden – leistet die jüngere Generation der Familie (seine drei Kinder – Anna, Olga und Lukas) Widerstand. Sie befolgen seine Idee, wie sie leben sollten, nicht und sträuben sich sogar (vor allem die Töchter) gegen die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern, die der Familie von Josef Schuster aufgedrängt wurde. Die Töchter sind selbstständig, verdienen Geld, brauchen keinen Mann und leben in keiner langfristigen Beziehung (sie sind sogar geschieden). Ihre unterschiedliche Meinung über die traditionelle Rolle der Frauen könnte von der unglücklichen Ehe ihrer Eltern oder von den sich auf Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern konzentrierten Ereignissen in damaliger österreichischen Gesellschaft verursacht worden sein. Die Denkweise und das Verhalten der Kinder wurden jedoch nicht nur von ihrem despotischen Vater, sondern auch von der Geschichte der Familie und der Art und Weise, wie sie erzogen wurden, beeinflusst. Im Laufe der Kindheit hörten Anna, Olga und Lukas von den Eltern, wie böse die nicht-jüdischen Österreicher sind und dass das ganze Österreich voll von Nazis noch heute ist. Das beeinflusste negativ ihre Wahrnehmung ihres Zuhauses und ihrer

70

Umgebung und darum sozialisierten sie sich nicht richtig in der Gesellschaft, was später eine Identitätskrise verursachte. Das Problem mit der Identität ist sichtbar bei allen Figuren und begann kurz vor dem Anfang des Zweiten Weltkriegs, als sich die Familie in der österreichischen Gesellschaft bedroht fühlte und darum flüchtete sie ins Ausland. Obwohl sich die Mitglieder der Familie als Österreicher und mit ihnen auf der historischen und kulturellen Ebene verbunden fühlen, vertrauen sie den österreichischen Mitmenschen nicht und haben gleichzeitig das Gefühl, dass auch sie von ihnen nicht positiv aufgenommen werden. Diese Beziehung wird als „die negative Symbiose“ bezeichnet, da die Juden, die den Holocaust überlebten, nicht vergessen können, dass die deutsche oder österreichische Gemeinschaft während des Krieges an der Ermordung der Juden teilnahmen (Beegle 5). Ganz problematisch ist auch die Tatsache, dass die Schuster-Familie mit den nichtjüdischen österreichischen Zeitgenossen ihre Erfahrungen und auch ihre Rituale 32 nicht teilt. Nach Jan Assmann sind diese Aspekte sehr wichtig für die Bildung der Zugehörigkeit in einer Gruppe (beziehungsweise für die Identitätsbildung) und er nennt dieses Phänomen „das kommunikative Gedächtnis“ (114). Die Hauptfiguren in Heldenplatz fühlen sich als einen gültigen Bestandteil der österreichischen Gesellschaft nicht und erleben wegen dieser nichtexistierenden Zugehörigkeit eine Identitätskrise, was im Fall von Josef Schuster sogar zum Selbstmord führte.

32

Eines der wichtigsten Rituale der nicht-jüdischen österreichischen Gesellschaft nach dem Krieg war das Schweigen über die Vergangenheit. Im Gegensatz dazu spricht die ganze Schuster-Familie über dieses Tabu-Thema öffentlich, weil sie sich als Juden deswegen nicht schämen müssen.

71

SCHLUSSFOLGERUNG

Die österreichische Geschichte zwischen 1938 – 1945 gehört zu den dunkelsten Zeiten dieses Landes. Österreich wurde zum Teil des Deutschen Reichs und nahm im höheren Maße am Zweiten Weltkrieg und an dessen Gräueltaten teil. Trotz der Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde Österreich zum ersten Opfer Hitlers und über die Mittäterschaft wurde in der Öffentlichkeit fast vierzig Jahre nicht gesprochen. Efriede Jelinek, Thomas Bernhard und Elisabeth Reichart gehörten zu den ersten österreichischen SchriftstellerInnen, die dieses Thema zum Vorschein brachten und das Schweigen über den Zweiten Weltkrieg kritisierten, und es war gerade Thomas Bernhards Heldenplatz, der wegen seines kontroversen Themas in der bewegten Atmosphäre am Ende der achtziger Jahre einen großen Skandal auslöste. Diese drei AutorInnen kritisierten vor allem den Austrofaschismus, die Opfer-These und die Teilnahme Österreichs an der Ermordung von Juden und zwangen die Österreicher sich durch ihre Werke mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Für diese Diplomarbeit wurden die folgenden Werke ausgewählt: Elfriede Jelineks Die Ausgesperrten (1980), Elisabeth Reicharts Februarschatten (1984) und Thomas Bernhards Heldenplatz (1988). In diesen Werken spielt der Krieg eine wichtige Rolle, obwohl er in den eigenen Geschichten schon vorbei ist; die Handlung in Die Ausgesperrten passiert in den fünfziger Jahren und die in Februarschatten und Heldenplatz sogar in den achtziger Jahren. Einige Hauptfiguren erlebten den Krieg als Erwachsene, einige waren nur Kinder (sogar Babys) und ihre Erfahrungen mit dem Krieg unterscheiden sich im Zusammenhang mit dem Alter. Das Trauma oder die Erfahrungen der Erwachsenen bzw. des jungen Mädchens (Hilde aus

72

Februarschatten) sind unmittelbar, während die Erfahrungen und das Trauma der Kinder, die während des Krieges oder nach dem Krieg geboren sind, sehr oft von den Eltern vermittelt werden. Alle Hauptfiguren bekämpfen daher innere Dämonen, die durch die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs oder als Konsequenzen des von diesen Ereignissen verursachten Traumas entstanden. Die Familien in diesen Werken funktionieren und erfüllen ihre Grundrollen überhaupt nicht, was einerseits mit der traumatisierenden Vergangenheit und andererseits mit den Umständen, in denen die Familien leben, zusammenhängt. Die Familien helfen bei der Sozialisierung und Entwicklung der Kinder nicht, unterstützen ihre Träume nicht und beschützen sie nicht. In den Familien gibt es sogar eine klare Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern. Alle Kinder leiden daher unter diesen negativen Umständen und finden eine unterschiedliche Art und Weise, wie sie damit zurechtkommen. Das Schicksal der Familien, die Beziehungen zwischen den einzelnen Mitgliedern und auch die Identität der Hauptfiguren wurden in dieser Diplomarbeit beschrieben und analysiert. Ich konzentrierte mich vor allem auf folgende Fragen: wie wurde die Familie in diesen Werken dargestellt und was war die Beziehung unter den jeweiligen Familienmitgliedern? Wie verstanden und bildeten die Hauptfiguren ihre eigene Identität? Die Familien in allen drei Werken sind patriarchalisch; die Männer stellen das Haupt der Familie dar, das die Familie kontrolliert und sie psychisch oder sogar physisch missbraucht. Sie verlangen den Respekt oder auch den blinden Gehorsam von der Rest der Familie, aber sind nicht fähig, die Familie vor der äußerlichen oder innerlichen Gefahr zu beschützen. Es scheint, als ob die Familie eine kleine Herrschaft für die Väter wäre, wo sie ihre Wut auslassen oder ihre Macht üben können.

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Die Mutter und die Kinder werden dem Vater untergeordnet und von ihm kontrolliert. Die Mütter sind immer zu schwach, um irgendwelchen Widerstand zu leisten und lassen den Vater die Kinder verletzen. Die Kinder bekommen keine Unterstützung von ihr, und das verursacht, dass sie das Gefühl haben, als ob sie der Familie nicht angehören würden. Die Kinder leiden unter diesen Umständen und das grobe Verhalten ihrer Eltern (Gewalt, Despotismus, faschistische oder paranoide Denkweise) verursacht ein Trauma, das sich sogar in der Mündigkeit der Kinder zeigt. Die Kinder wiederholen paradoxerweise dieses von den Eltern erfahrene Verhalten und Sigmund Freud bezeichnete dieses Phänomen als „Wiederholungszwang“, wenn die Menschen das unangenehme Trauma unbewusst wiederholen; Hilde schlägt ihre Tochter, weil sie von ihren Eltern auch geschlagen wurde. Rainer erbt die faschistische Denkweise von seinem Vater, obwohl er ihn hasst. Und die Kinder aus Heldenplatz sehen überall in Österreich nur Nazis, weil ihr Vater es während ihrer ganzen Kindheit immer laut und oft wiederholte. Dieses Trauma und auch der „Wiederholungszwang“ komplizieren die Sozialisierung der Kinder in der Gesellschaft und verursachen Probleme mit der Identitätsbildung. Eine Identitätskrise ist typisch für die Hauptfiguren in allen Werken und die Gründe dafür sehe ich teilweise in den negativen Umständen in den Familien und teilweise auch in den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs. Nach Jan Assmann ist vor allem die Zugehörigkeit zur gesellschaftlichen Umgebung und auch zur Familie für die Identitätsbildung sehr wichtig (113114) und gerade das wurde bei den Figuren wegen der oben erwähnten Gründe kompliziert. Hilde aus Februarschatten fand ihre echte personale Identität nie und übernahm die von ihrem Ehemann, was Regina Kecht „borrowed identity“ (258) nennt. Hilde wurde nach der Ehe zur „Frau Doktor“ (F 65), unterdrückte die Eigenschaften oder die Gewohnheiten, die ihr Ehemann

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nicht mochte, und machte alles, um ihn glücklich zu machen. Diese Tatsache hängt teilweise mit Hildes Familie und teilweise auch mit ihrer Vergangenheit zusammen. Während des Krieges war sie sehr jung, suchte unbewusst nach ihrer Identität und wusste nicht, wohin sie gehörte. Und als ihr Bruder starb und sie sich dafür schuldig fühlte, wurde ihr Gefühl der Verlorenheit noch tiefer. Ich bin der Meinung, dass Hilde nach dem Krieg nicht fähig war, ihre eigene Identität zu bilden, weil sie nie mit ihrer Vergangenheit zurechtkam und darüber ihr ganzes Leben lang schwieg. Dieses Geheimnis war ein wichtiger Teil ihres Ichs, was sie allerdings nie zugab. Die Figuren aus Heldenplatz haben Schwierigkeiten vor allem mit ihrer nationalen Identität. Sie halten Österreich und Wien für ihr Zuhause, aber sie vertrauen den nicht-jüdischen Österreichern nicht. In diesem Zusammenhang kann man den Begriff „die negative Symbiose“ benutzen. Es geht um ein Phänomen, wo die Juden, die die Gräuel des Zweiten Weltkriegs überlebten, die Vergangenheit nicht vergessen können und sich in der deutschen (in diesem Fall österreichischen) Gesellschaft nicht gut fühlen (Beegle 5). Die Schuster-Familie fühlt sich wie ein gültiger Bestandteil der Gesellschaft wirklich nicht. Sie distanziert sich von ihr und erlebt eine tiefe Identitätskrise, die mit dieser nicht-existierenden Zugehörigkeit zusammenhängt. Jan Assmann verwendet in diesem Kontext zwei neue Begriffe: das kollektive und das kommunikative Gedächtnis. Es geht um den Erinnerungsprozess, auf Grund dessen gerade die Zugehörigkeit und auch die Identität gebildet werden (113-114). Da die Schuster-Familie die gleichen Erinnerungen und die gleiche Vergangenheit mit den anderen nicht-jüdischen Österreichern nicht teilt, kompliziert sich darum ihre Sozialisierung. Die Problematik der Identität und auch des komplizierten Sozialisierungsprozesses erscheint auch in Jelineks Roman Die Ausgesperrten. Die Zwillinge Anna und Rainer Witkowski fühlen sich als „die Ausgesperrten“, aber nicht nur in ihrer gesellschaftlichen Schicht, sondern

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auch im Leben allgemein. Der Sozialisierungsprozess, was eine der Funktionen der Familie sein sollte, wurde bei ihnen nie erfolgreich durchgeführt und einer der Gründe dafür ist auch die Vergangenheit des Vaters, die sich an den Fersen der ganzen Familie wie ein Fluch heftet. Die Brutalität des Vaters, die Unfähigkeit der Mutter, die Kinder zu beschützen, und vor allem das Schweigen über die Vergangenheit komplizieren bei den Zwillingen das Gefühl der Zugehörigkeit. Sie verachten alle Leute in ihrer Umgebung, aber gleichzeitig sehnen sie sich nach dem Respekt oder nach der Liebe von einigen. Das Ende der drei Werke Februarschatten, Heldenplatz und Die Ausgesperrten ist dunkel. Die Probleme in der Familie lösen sich nicht und die Belastung der Vergangenheit ist noch immer anwesend. Hilde aus Februarschatten fühlt keine Erleichterung, als sie der Tochter endlich ihr großes Geheimnis erzählt, und sie scheint gegen Ende fast verrückt, als sie mit dem Auto am Schluss des Romans so schnell fährt. Meiner Meinung nach schwieg Hilde über die Vergangenheit zu lang und kann sie jetzt nicht mehr aufarbeiten. Es gibt jedoch eine Hoffnung für ihre Tochter, auch wenn diese verloren zu sein scheint. Erika interessiert sich aktiv für die Geschichte ihres Landes und ihrer eigenen Familie und will verstehen, woher sie ursprünglich kommt. Sie kann mit der Vergangenheit zurechtkommen und ein neues Kapitel ihres Lebens beginnen. Diese Hoffnung gilt auch für die Kinder in Heldenplatz. Am Ende des Romans ändert sich zwar ihre Stellung zur österreichischen Gesellschaft nicht, aber zumindest zwei von ihnen (Olga und Lukas) entscheiden sich, ein neues Leben anzufangen. Olga und Lukas möchten nach Oxford fahren und dort eine Zeit verbringen. Meiner Meinung nach ist das ein Zeichen ihrer Feststellung, dass sie zwar die Vergangenheit nicht ändern können, die Zukunft jedoch sehr

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wohl. 33 Für ihre Schwester Anna gibt es diese Hoffnung leider nicht. Sie will Wien nicht verlassen und ein neues Leben beginnen. Sie kann sich nicht vorstellen, ihre Arbeit in der österreichischen Nationalbibliothek aufzugeben, obwohl sie ihre Kollegen und ihren Chef nicht mag. Eine kleine Hoffnung gibt es für ihre Mutter (Hedwig Schuster), obwohl sie noch immer, auch fünfzig Jahre nach dem „Anschluss“, das damalige Geschrei der Massen auf dem Heldenplatz hört, die Hitler im Jahr 1938 willkommen hießen. Die einzige Chance, die sie hat, ist die Wohnung für immer zu verlassen und ein neues Leben an einem anderen Ort anzufangen. Das Schicksal der Witkowski-Zwillinge aus Die Ausgesperrten scheint am tragischsten und ohne jede Hoffnung zu sein. Rainer, das verkannte Genie, ermordet seine ganze Familie, was von den Familienproblemen, der problematischen Zugehörigkeit zu seiner gesellschaftlichen Schicht und der Frustration, dass er trotz seiner Genialität keinen Respekt von anderen bekommen hat, verursacht wurde. Diese Werke stellen klar dar, wie das Schweigen über die dunkle österreichische Vergangenheit und das von Generation zu Generation überlieferte Trauma die Menschen und ihre Kinder beeinflussen. Ulrike Rainer ist der Meinung, dass „nothing divides the World War II generation and their post-war offspring as deeply as the falsification and suppression of the recent past, the conscious concealment of a shameful history” (176). Die große Spannung zwischen den zwei Generationen in den Werken wurde einerseits von dem Schweigen über die Vergangenheit und andererseits von den negativen Lebensumständen und unterschiedlichen Erfahrungen verursacht, die die einzelnen Familienmitglieder in ihrem Leben gewannen. Die Kinder verstehen ihre Eltern nicht, weil sie über ihre traumatisierende Vergangenheit schweigen,

33

Donald Daviau ist sogar der Meinung, „[t]hey do not plan to return to Austria“ (37).

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und die Eltern bemühen sich nicht die Kinder zu verstehen, weil sie in ihrem Trauma zu tief verstrickt werden. Obwohl die Werke die österreichische Gesellschaft und deren langjähriges Schweigen über die Vergangenheit kritisieren, gibt es in ihnen meiner Meinung nach auch einen Lichtblick. Dieser ist vor allem in Februarschatten und Heldenplatz stark zu erkennen. Die Geschichte im Roman Februarschatten zeigt, dass man seine Vergangenheit aufarbeiten kann, wenn man rechtzeitig anfängt darüber laut zu sprechen. Es geht in den Werken nicht nur um Verunglimpfung, sondern sie beinhalten auch einen Rat, der gleichzeitig eine Warnung sein soll, was passieren könnte, wenn man seine Vergangenheit verdrängt.

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LITERATURVERZEICHNIS

1. Primärliteratur Bernhard, Thomas. Heldenplatz. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988. Print. Jelinek, Elfriede. Die Ausgesperrten. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1980. Print. Reichart, Elisabeth. Februarschatten. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1984, rpt. 1989. Print.

Abkürzungen F – Februarschatten A – Die Ausgesperrten H – Heldenplatz

2. Sekundärliteratur Abel, Donald C. Freud on Instinct and Morality. Albany, NY: State U of New York, 1989. Print. Anderson, Benedict R. Imagined Communities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London: Verso, 1983. Print. Assmann, Jan. "Communicative and Cultural Memory." Cultural Memory Studies: An International and Interdisciplinary Handbook. Ed. Astrid Erll and Ansgar Nünning. Berlin: Walter De Gruyter, 2008. 109-18. Print. Bassett, Richard. Waldheim and Austria. New York: Penguin, 1988. Print.

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