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# 2007/26 dschungel https://jungle.world/index.php/artikel/2007/26/malt-blumen Malt Blumen! Von Jürgen Kiontke Wie viel Kunst verträgt der Alltag? Al...
Author: Gundi Steinmann
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# 2007/26 dschungel https://jungle.world/index.php/artikel/2007/26/malt-blumen

Malt Blumen! Von Jürgen Kiontke Wie viel Kunst verträgt der Alltag? Alle fünf Jahre versetzt die Documenta die Welt in Aufruhr. ­jürgen kiontke (text und fotos) über installierte Videos, Panzerhaubitzen und Wahnsinn in der Kunst und anderswo Heute Morgen beim Arzt: ›Im Geschlechterkrieg gibt’s keine weißen Fahnen!‹ schreit die Irre – sie kriegt ein Rezept für Neuroleptika … « – Oh, Entschuldigung, das war die falsche Seite. Man sollte das eigene Tagebuch nicht für Reportagenotizen benutzen. »Rostock: Prügelnde Polizisten gegen steinewerfende Autonome!« – Nein, auch das ist eine Veranstaltung, die vor dem zu beschreibenden Ereignis liegt. Aber so falsch steht es da nicht: Wahnsinn und Spontaneität sind ja schon nah dran an der Kunst. Und: Ist etwa die G8-Performance unter kunsthistorischem Aspekt – schnell, spontan, flüchtig, ekstatisch – nicht ganz schön schwer zu übertreffen? »Documenta 12: 48 Stunden Neukölln. G8? Kunst will das Besondere, sind wir besonders? Sie ist besonders, weil sie das Allgemeine ausdrücken soll. In der Mitte von Kassel sitzt die Kunsthandwerksschmiede Kraus-Maffei-Wegmann, deren Exponate (Leopard 2, Fennek, Panzerhaubitze 2 000) weltweit geschätzt werden und sich derzeit auf einer großen Ausstellung in Afghanistan im Einsatz befinden: Kampf­einsätze der Panzerhaubitze PzH 2  000 gab es, aber leider bisher nur unter holländischer Fahne, wie die Firmenwebseite ( www.kmweg.de) bedauert.« Das habe ich mir vor der Kassel-Reise auch aufgeschrieben. Mit solchen Vorrecherchen versehen, kann man getrost zum Kunstspektakel fahren. Denn es wird sicher politisch sein, kritisch auch, und wenn Deutschlands prominentester Waffenhersteller schon mitten in der Stadt sitzt, wird man ihm sicher bürgernah ein Denkmal gesetzt haben. Aus dem Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe kommend, hat sich geschnitten, wer das denkt – nix da! Gerade mal die Ausländerbehörde kriegt ihr Fett weg, im naiven Kinderkarussell Andreas Spiekmanns. Aber G8-kritisch ist es, keine Frage, wenn auch im Stile einer Grandma Moses. Aber das steht schon auf dem Documenta-Campus. Und hat nicht vorige Woche die Klimakatastrophe ganz aktuell Ai Weiweis Skulptur »Template« via Blitzeinschlag zu Klump gehauen? Politisch ist sie also, die diesjährige Documenta, wenigstens ein bisschen, aber mehr

noch, nahe liegend, soll sie Kunst sein – sonst ist alles dahin. Ist die Moderne unsere Antike, was ist das bloße Leben und was (hat das mit mir zu) tun? Diese Aufsatzthemen stehen zentral im Programm des Kasseler Kunsttreffens. An die 500 Kunstwerke aus allen erdenklichen Materialien, Zusammenhängen, Stilen wurden zusammengetragen, sie sollen nun Auskunft geben. Die Documenta läuft 100 Tage lang und heißt daher auch »Museum der 100 Tage«. Noch im Oktober 2006 waren Gerüchte über Finanzprobleme im Umlauf. 19 Millionen Euro müssen aufgebracht werden, eine Hälfte stammt aus öffentlichen Mitteln (Stadt Kassel, Hessen, Bundeskulturstiftung), die andere muss die Documenta selbst erwirtschaften. Im Spiegel klagten der Leiter der Documenta, Roger Buergel, und DocumentaGeschäftsführer Bernd Leifeld gleichermaßen. Buergel, weil er zu wenig Geld habe. Und Leifeld, weil Buergel das Geld mit beiden Händen aus dem Fenster schmeiße. Gesichert war die Finanzierung erst mit dem Einstieg des Autoherstellers Saab als Sponsor. Nun kann man mit Geld Schlimmeres anstellen, als es für Kunst auszugeben – Kassel und Hessen verbuchen die Kosten jeweils als Touristenförderung; das im globalen Wettkampf gebeutelte Deutschland muss sich aufs Kerngeschäft konzentrieren, wo die Industrie – ohne Krauss-Maffei, die fühlen sich in Kassel noch wohl – schon das Weite sucht. Übrigens ist eine Tageskarte mit zehn Euro nicht unbedingt teuer. Nun ist auch zu klären: Wie viel Kunst verträgt der Alltag? »Documenta 12 ist ein Erfahrungsraum. Zwischen den Orten der Ausstellung spannt sich ein Kraftfeld. Dieses Kraftfeld bringt nicht nur Kunst zur Erscheinung, son­dern erlaubt seinem Publikum einzutauchen.« So wollen sie es, die Documenta-Planer, so steht es in ihrem Konzept, so sollen es die Besucher sehen. Aber allen Performances, auf öffentlichen Plätzen angelegten Mohnfeldern, die Migrantenpolitik der Stadt Kassel kritisierenden Karussells, Gläsern Wasser, die die Documenta besuchen und etceterapepe, was sich Künstler und Ausstellungsleiter so einfallen lassen, zum Trotz: Dieses Kraftfeld zwischen den Ausstellungsorten gibt es nicht. Die Documenta ist in erster Linie eine museale Ausstellung, die vielleicht ihre guten Vibrations über die Stadt Kassel verteilt, aber die Stadt interessiert das nicht wirklich. Die – meist erschreckend konventionelle – Objektkunst steht zumeist in der Vi­trine, zwischen Ausstellungswänden. Nur selten tritt die Kunst aus dem Galerierahmen hervor. Sie belästigt und belustigt nicht. Sie verhält sich ruhig, anstatt dem Besucher schon im ICEBahnhof oder an der Autobahnausfahrt in die Ohren zu röhren. Die stadtweite Kunstausdehnung, sie ist nur eine Behauptung. Sicher, es steht auf Schildern, hier soll Kunst sein. Aber sie ist nicht: Wer weiter reist und am städtischen Hauptbahnhof aussteigt, findet vielleicht einen Hinweis auf die SaabSponsoren-Lounge. Wegweiser sucht man vergebens. Okay, dann eben Entdeckungsreise. Das Documenta-Schwer­punktgelände mit Fridericianum, Documenta-Halle, Neuer Galerie, Aue-Pavillon. Etwas abseitig gelegen von der Haupteinkaufsstraße, wird Kassel lediglich mit ein paar Besuchern konfrontiert.

Der generelle Unterschied zur gewöhnlichen Ausstellung ist hier: Die Kunst verteilt sich auf vier Museen. Einen vermeintlichen Gag hat man sich mit Museum Nummer fünf einfallen lassen – es ist das Restaurant El Bulli in Spanien, wohin zufällig ausgewählte Documenta-Besucher geschickt werden, auf dass sie ein über Europa ausgedehntes »Kraftfeld« bilden. Die weltgrößte Kunstausstellung wirft keinen Schatten, sie ist schön hinter Mauern eingefriedet: Peter Friedls Kunstwerk heißt »The Zoo Story«, er präsentiert eine ausgestopfte Giraffe, die aus dem einzigen palästinensischen Zoo der Welt stammen soll. Es täte der Erzählung keinen Abbruch, wäre das präparierte Tier ein schlecht genähtes Stofftier. Aussehen tut es jetzt schon so. Ohne Kontexualität kein Kunstwerk – die Giraffe ist absichtsvolles Zeichen, und das ist wichtig. Die israelische Armee hat sie dahingerafft – Herzversagen. Sie ist keine Kunst, die im Auge des Betrachters entsteht. Sie verspricht Authentizität; eine Kategorie, die die Kunst so nicht mehr kennt oder je kannte. Authentisch sein, das ist eher ein Verkaufsargument im Paparazzi-Geschäft. Die Giraffe stellt Bedeutung her. Und Bedeutungen verfliegen schnell. Ob die Kunst sich zum Beweis eignet? Es ist ein wenig so wie in dem Schildbürgerstreich mit der versenkten Glocke: Als die Schildbürger ihre Dorfglocke im See verstecken wollen, machen sie eine Kerbe in den Rand ihres Ruderbootes, um die Stelle zu markieren, wo die Glocke versenkt wurde. Ohne Erzählung kann das Zeichen nichts bedeuten. Es handelt sich um ein Museumskonzept, das allüberall in Deutschland Anwendung findet. Es gibt das Objekt, das ohne seine Hinweistafel nichts ist: Ohne Tafel hätte der Besucher es nie als Kunst identifiziert. Überall überwuchern die Bedeutungen ihre Zeichen. Hier Globa­lisierungs­kritik im Stile naiver Kunst im Sähkasten, dort Gerhard Richters Bild­nis von der eigenen Tochter als tote Ulrike Mein­hof, Juan Davila setzt das Hakenkreuz in die Flagge der USA. Das musste mal genäht werden. Die Kunst ist das Besondere, das das Allgemeine ausdrücken kann – aber die Kunst verliert solche und andere Differenzierungskraft augenblicklich, wenn sie im allzu großen Haufen auftritt. Trotz des Risikos, dem Banausentum anheimgefallen zu sein, zähle ich auf: die seit 15 Jahren ewig gleichen Toninstallationen mit ihren ewig gleichen schwarz bezogenen Lautsprechern, aus denen es quäkt und blubbert; die ewig gleichen Video­installationen, die der erfolgreichste Videoinstallateur, Nam June Paik, am besten mit ins Grab genommen hätte, die Gerümpelkunst, die readymade-Kunst, die Schlecht-gemalt-ist-halb-gewonnen-Kunst, die Seile-im-Raum-verteilen-Kunst, die VotzePimmel-Arschloch-Kunst, die Aufgespannte-Stofftücher-Kunst – so kommt das Zeitgenössische daher. All diese Objekte verströmen eine märchenhafte Aura; nur ist es das Märchen von der Prinzessin, die sofort einschläft, wenn es brenzlig wird. Die Documenta ist so ehrlich, das auch organisatorisch zu betonen. An einer Stelle geht sie gezielt in den öffentlichen Kasseler Raum; sie tut dies ausgerechnet in der Dauerausstellung Alter Meister im Schloss Wilhelmshöhe, die vor allem holländische Maler des 17. Jahrhunderts zeigt. Zwei Videoinstallationen wurden dazwischen­geklemmt und drei Bilder aufgehängt, zwischen die Rubens und Rembrandts. Deren Bilder protzen nach 400 Jahren immer noch mit roten Backen, dicken lebensfrohen Menschen, die viel essen, stolz sind und so prall wie ihre Säuglinge und die sich tolle Blumen auf die Tische stellen.

Sie heißen »Blumenstillleben am Waldesboden«, wie eines von Rachel Ruysch, datiert um 1690 – die Frau war ein Phänomen. Sie hat nur solche Bilder gemalt, die Titel weichen in Nuancen voneinander ab: »Früchtestillleben«, »Stillleben mit Blumen und Früchten«, »Blumen in einer Vase auf einem Marmorsims«. Ruyschs Vater war seit 1685 Professor für Botanik in Amsterdam und Direktor des Botanischen Gartens. Gleich daneben »Kücheninneres mit geschlachtetem Schwein« von Cornelius Lelienbergh, 1626 bis 1676. Kunst quiekt und erzählt dabei vom Leben der Menschen. Dazwischen hängt Zofia Kuliks Selbstbildnis »The Splendour of Myself« (2006), wie arm und blutleer kommt dieses Subjektivitätsgespinst daher. Das Aufhängen genialisch-wahnsinniger zeitgenössischer Werke zwischen den alten tut erstgenannten nicht gut. Denn der Trick der Barockkunst ist: Sie ist the splendour of any­thing, aber nicht of myself. Die Maler erlauben sich eine Pause vom Ich. Sich selbst fortwährend in den Mittelpunkt zu stellen, wie das der Künstler heute muss, dessen Stücke unablässig »Ich-Ich-Ich« zu blubbern, sich selbst zu porträtieren und zu videoinstallieren haben – dieser Druck scheint den Holländern in Schloss Wilhelmshöhe abzugehen, sie dürfen noch ganz offen außer sich sein. Und sind damit ganz nah dran. Dabei ist alten und neuen Werken eines gleich: Sie alle wollen die Zeit anhalten. Die ganze Kunst will im Prinzip das Naturgesetz aus den Angeln heben, indem sie Prozesse abbildet, sie ist eine Hilfskonstruktion des Menschen, sich im Leben zurechtzufinden. So ist jedes Kunstwerk ein Relikt, wie ein urzeitliches Skelett, dessen Struktur Wahrheit und Zeit abbilden soll. Die Erde steht nie still, aber wir tun mal so, als hätte ich sie angehalten. Damit ist das Still­leben am nächsten dran an der Wirklichkeit: Es verrät schon im Titel, dass es geflunkert ist. Bei Ruyschs Still­leben funktioniert es schon 400 Jahre. Heißt es nicht in der Kunst und im Irrenhaus: die »blühende Phantasie«? Und was blüht denn sonst noch? Sic, die Blumen. Vielen reicht das nicht. Die Videoinstallation wird bemüht – sie gaukelt Prozesshaftigkeit vor. Sie will flüchtig sein und doch das Gezeigte wiederholen. Vielleicht ist die Sammlung Alter Meister im Schloss Wilhelmshöhe so zu verstehen: als Aufforderung, mehr Blumen zu malen. Denn da gibt es reichlich Defizite. Der zeitgenössische Künstler, will er nach heutigen Konven­tionen ernst genommen werden, darf und kann sich solchen Schnickschnack nicht erlauben. Heute stellen die Blumenmaler vorwiegend in Kranken- und Autohäusern aus, sie sind nur noch »Kunstmaler«. Die Blumenmalerei fristet ihr Dasein in der Ergotherapie psychiatrischer Einrichtungen. Sie kann nicht mithalten, wenn die Kunst mit ihrer Politik und Zeichen-Schwanger­schaft hubert; Maler, die was auf sich halten, stellen den Bundeskanzler in Blattgold her oder auch kackbraune Bundesadler sowie die Berliner Mauer in Aspik. Der Blumenmalerei geht es schlecht. Man lädt sie kaum zur Documenta ein. Wahnsinn und Kunst haben in der Documenta keinen richtigen Platz. Es ist eine durchrationalisierte Kunst, die ungern Experimente macht – »Knopf drücken«, steht unter der Installation von An­drei Monastyrski geschrieben, und zu sehen ist: ein Knopf. Aus der Welt der Pop-ArtAffirmation ist schwer wieder herauszufinden, weil sie etwas Verlockendes bietet:

Ironische Antizipation ersetzt dem bürgerlichen Anpassungsindividuum die Emanzipation. Ist die Documenta nur Hype plus Globalisierungskritik? Naja, sie muss ja gegen starke Konkurrenz antreten. Kunst-Experten sehen sie eingezwängt zwischen Venedig Biennale, Art Basel und Skulptur Projekte Münster. Und hinzuzufügen sind an dieser Stelle natürlich: die Rostocker Performance-Festspiele. Bei allen diesen großen Spektakeln tauchen zum Teil die gleichen Künstler auf. »Den Alleinbesitz auf einen Künstler kann im heutigen Kunstbetrieb ohnehin niemand mehr anmelden«, schreibt dieser Tage das Feuilleton. Ehrlicherweise ist von den Werken schon gar keine Rede mehr. Hätte die Documenta wegweisend sein wollen, ohne ganz Kassel mit Kunstharz zu übergießen und als einziges Ausstellungsstück zu präsentieren, hätte sich der künstlerische Leiter am Konzept der Berliner Aktion »48 Stunden Neukölln« orien­tieren sollen. Die Apotheke, die Bäckerei, der Analphabetenverein, das Heimatmuseum – alle sind sie eingebunden. C & A macht mit wie auch die Kneipen. Für Kassel hätte das bedeutet: Die Verbindung des Documenta-Campus mit dem Schloss Wilhelms­höhe, und mittendrin die Krauss-Maffei-Wegmann-Panzerhaubitze 2 000 – die Verbindung der Punkte an den entgegengesetzten Enden der Stadt bis Spanien, sie hätte real existiert und wäre nicht nur behauptet worden. Oder, oder, oder: Vielleicht verhält es sich auch genau andersherum und die Documenta, wie sie daherkommt, verfolgt eine besonders ausgefeilte Strategie: Der Kasseler, dieses subversive Subjekt, ist tagsüber Schichtführer in der Panzerteile-Fertigung und ansonsten kunstsinnig, färbt, gestaltet und bemalt seine Stadt auf so kunstvolle Weise, dass sie genau wie die Stadt Kassel aussieht – ein Porto Alegre, zu deutsch: fröhlicher Hafen, der Ästhetik. Denn was sollte sonst der Grund sein, warum sich Künstler aus aller Welt von ihr angezogen fühlen? Hier können sie ihre Giraffen abstellen, ihre USA-SS-Fahnen aufhängen und ihre Töchter als Terroristen hinrichten – welch fröhlicher Kunsthafen. Die Fragen die eingangs gestellt wurden, ob Moderne gleich Antike, was das bloße Leben sei und ob dann noch was zu tun bleibt, sind damit beantwortet: aber klar doch.

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