Liebe FreundInnen, liebe KundInnen,

Liebe FreundInnen, liebe KundInnen, Nun liegt er wieder vor Ihnen, vor Euch – unser Weihnachtsbrief. Er ermöglicht uns, Motivationen und Hintergründe...
Author: Helge Kappel
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Liebe FreundInnen, liebe KundInnen, Nun liegt er wieder vor Ihnen, vor Euch – unser Weihnachtsbrief. Er ermöglicht uns, Motivationen und Hintergründe unserer täglichen Arbeit für Sie/Euch transparenter zu gestalten. Nichts betrifft uns so direkt, wie die Landbewirtschaftung. Sie ist unsere Lebensgrundlage, die einerseits Körper, Geist und Seele ernährt und andererseits die Entwicklung unserer Lebensräume beeinflusst. Viel Spaß beim Lesen !

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Schon wieder ist ein Jahr vergangen und wie üblich um diese Zeit haben wir uns in den letzten Wochen zusammengesetzt, um das Anbaujahr Revue passieren zu lassen. Wir haben uns jede einzelne Kultur vorgenommen und besprochen - die Erträge ausgerechnet, was lief gut, was können wir verändern/verbessern- und beschäftigen uns nun schon intensiv mit dem Jahr 2017. Auch das vergangene Jahr gestaltete sich als eine neue, spannende Aufgabe. So hatten wir uns dazu entschlossen die Vielfalt des Jahres 2015 nochmal zu erweitern und nahmen u.a. Land- und Einlegegurke, Rucola im Freiland, Rosenkohl, Aubergine, deutlich mehr Tomaten, Radies und Bundzwiebeln in die Anbauplanung auf. Nachdem der Winter ruhig verlief, der Feldsalat von Krankheiten verschont blieb und wieder in gewohntem Umfang geerntet werden konnte, ereilte den Folientunnel im Frühjahr das gleiche Schicksal, wie seinem Kollegen im letzten Jahr. Wieder machten wir uns die Mühe und setzten einen Folientunnel um, um dem Boden eine Regeneration vom Gemüseanbau zu ermöglichen, bespannten ihn mit neuer Folie und waren auch Wochen später noch guter Dinge, dass es dieses Jahr besser ausgehen würde als 2015. Doch dann kam Ostern mit ungewöhnlich stürmischen Tagen und die gefühlt letzte Sturmböe erfasste den Tunnel und riss ihn mit sich. Da das Frühjahr nicht nur stürmisch, sondern auch regnerischer als das letzte war, mussten wir bis Anfang April warten, bis die ersten Bearbeitungen und Pflanzungen im Freiland möglich waren. Im geschützten Anbau entwickelten sich derweil die „Vorkulturen“ (sie stehen vor den „Hauptkulturen“, wie z.B. Tomate) Salat, Kohlrabi, Radies und Stielmus prächtig. Und auch in der eigenen Jungpflanzenanzucht gab es allerhand zu tun: wöchentlich mehrere Aussaaten, die richtigen Keimbedingungen für jede Kultur schaffen und die Pflanzen über mehrere Stationen bis zu dem Zeitpunkt begleiten, an dem sie gepflanzt werden. Nachdem gegen Ende April die Vorkulturen abgeerntet waren, zogen Tomate, Gurke und Paprika in die Häuser ein. Damit verbunden ist wöchentlich ein hoher Aufwand mit der Pflege der Kulturen, dem ein paar Wochen später die Ernte hinzukommt. Im Freiland entwickelten sich Salate, Kohlrabi, Blumenkohl, Brokkoli, Spinat, Spitzkohl und Kartoffeln rasch. Der Regen, der unsere Geduld im Frühjahr auf die Probe gestellt hatte, verabschiedete sich und ein ungewöhnlich trockener Sommer folgte. Während Betriebe in anderen Regionen Deutschlands ernsthafte Probleme mit nicht enden wollenden Niederschlägen bekamen, stießen wir an die Grenzen unserer Wasserkapazitäten für die Freilandberegnung. Trotz mehrmals täglichem Umstellen der Beregnungsstränge auf dem Acker und ununterbrochener Beregnung litten einige Kulturen unter dem trockenen Sommer. Ein verminderter Massenzuwachs war die Folge, sodass z.B. Rot- und Weißkohl, Kürbis und Sellerie etwas kleiner ausfielen als sonst.

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Vor eine weitere Herausforderung stellte uns der Kohlweißling in diesem Jahr. Dem tagaktiven Falter scheint das trockene, heiße Wetter zu gefallen; er war so aktiv wie selten. Der Kohlweißling legt seine Eier in jegliche Kohlbestände, die Raupen fressen sich anschließend bis in das Innerste des Kohls und können dadurch großen Schaden anrichten. Als vorbeugende Maßnahme gibt es im Biobereich eigentlich nur konsequentes Abdecken der Kulturen mit Netzen, so dass der Schädling gar nicht erst in den Bestand findet. Das hieß für uns, die weißen Kulturschutznetze über dem Kohl konsequent dicht zu halten, immer wieder kontrollieren und ausbessern und Bearbeitungen möglichst zügig durchführen: Netze von der Kultur ziehen, rasches Bearbeiten durch z.B. hacken oder jäten und sofort die Netze wieder über den Kohl spannen und möglichst dicht verschließen. Als weiterer Schädling sei an dieser Stelle die Laus erwähnt. Während die erste Generation im Frühjahr relativ harmlos ausfiel, lies die letzte Generation der Läuse in diesem Herbst zwar lange auf sich warten, kam dann aber doch noch mit voller Wucht. Die letzten Salate, den letzte Fenchel und Mangold mussten wir mehrmals waschen, bevor wir ihn zum Verkauf frei gaben und trotzdem landete leider immer mal wieder ein verlauster Salatkopf auf dem Markt oder in der ein oder anderen Abokiste. Die größte Herausforderung war, meiner Ansicht nach, jedoch die Personalsituation. Während wir das Anbaujahr 2016 mit und für acht Gärtnerinnen und Gärtner im Voraus planten, so verließ uns im Laufe der Saison leider die Hälfte der Menschen aus verschiedensten Gründen, sodass wir das Jahr mit fünf MitarbeiterInnen im Anbau beenden. Und auch wenn die Arbeitsbelastung teilweise grenzwertig war und wir meistens nur gerade das schafften, was geschafft werden musste, so ist es doch erstaunlich, was alles möglich ist, wenn man menschlich zusammen rückt und gut organisiert ans Tagewerk geht. Warum wir trotz jahrelanger Suche keine Verstärkung finden und damit in der Landwirtschaft bei weitem nicht alleine dastehen, denn fast jeder Betrieb sucht Verstärkung und/oder Nachfolger, bleibt mir ein Rätsel. Trotz alledem schauen wir auf ein intensives und arbeitsreiches, aber auch sehr erfolgreiches Anbaujahr 2016 zurück. Die Hauptkulturen im geschützten Anbau entwickelten sich prächtig, so dass wir Schlangenund Minigurken, grüne, gelbe, rote, spitze oder blockige Paprika und Tomaten in verschiedensten Größen und Farben ernten konnten. Ebenso im Freiland entfaltete sich die Sortenvielfalt u.a. in Möhre, Rote Bete, Wirsing und Mangold über das gesamte Jahr so richtig. Und auch wenn diese Vielfalt immer einen Mehraufwand bedeutet, den man an stressigen Sommertagen auch mal bereut und verflucht, so gibt einem später der Anblick des bunten Gemüses auf dem Teller, im Laden, auf dem Markt oder in den Abokisten das Gefühl, doch alles richtig gemacht zu haben.

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Um einmal ein paar Zahlen zu nennen, so fanden u.a. rund 31 000 Salate, 7 000 Gurken, 8 Tonnen Tomaten und 12 500 Kohlrabi den Weg über unsere Kühlhäuser und Vermarktung zu Ihnen. Mittlerweile sind die Gewächshäuser mit den Winterkulturen Feldsalat und Postelein bepflanzt und die Freilandflächen warten gepflügt auf den Frost. Nun heißt es für uns in den nächsten Wochen die liegen gebliebenen Aufgaben zu erledigen, die hinter uns liegende Saison zu verarbeiten und neue Kräfte für 2017 zu sammeln. Simon Erbacher

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Fruchtbare Böden sind unsere Lebensgrundlage. Sie sind über tausende von Jahren entstanden und sind der Ausgangspunkt für unsere Vegetation und somit Ernährungsgrundlage für Mensch und Tier. Unsere Böden speichern und filtern das Regenwasser, bilden die Nährstoffe für unsere Pflanzen und regulieren das Klima. Sie beherbergen kleine und größere Organismen. In einer Hand voll Boden leben mehr Organismen, als es Menschen auf unserem Planeten gibt. Unsere Böden sind nach den Ozeanen die größten Kohlenstoffspeicher der Erde. Täglich werden in Deutschland mehr als 70 ha Boden mit Straßen, Gebäude etc. überbaut; das entspricht einer Größe von ca. 100 Fußballplätzen. Die industrielle Landwirtschaft verdichtet die Böden durch den Einsatz großer und schwerer Maschinen und verschlechtert damit die physikalischen Eigenschaften unserer Böden. Die synthetische Düngung und der immense Einsatz von Pestiziden verringert nicht nur das Bodenleben, sondern schwächt auch noch die für unsere Pflanzen so wichtigen Insekten. Eine zurückgehende Bodenfruchtbarkeit ist feststellbar. In der heutigen Zeit hat der Boden auch noch eine weitere Dimension. Er ist zur Ware, zum Spekulationsobjekt, zur Geldanlage geworden. Obwohl dies alles gewusst wird, schützen wir unsere Böden nicht. Von Generation zu Generation wurde der Boden als Kulturgut traditionell weitergegeben. Ein treuhänderischer Umgang mit demselben war selbstverständlich. Noch in den 30iger Jahren arbeiteten in Deutschland mehr als 70% der Bevölkerung in der Landwirtschaft oder den angrenzenden Gewerben; heute sind es ca. 10%. Viele kulturelle Ereignisse fanden in der Landwirtschaft ihren Ausgangspunkt und beeinflussten die gesellschaftliche Entwicklung. Der ökologische Landbau hat in den letzten Jahrzehnten viele dieser komplexen Themen „beackert“. Forschungseinrichtungen sind entstanden und die ökologisch bewirtschaftete Anbaufläche ist stetig gewachsen. Lag sie 1990 noch bei 0,6% der landwirtschaftlichen Nutzfläche, ist sie bis heute auf 6% in Nordrhein-Westfalen und über 10% in Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt angewachsen. Die Nachfrage nach ökologisch erzeugten Lebensmitteln wächst weithin schneller, als die ökologisch bewirtschaftete Anbaufläche. Die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise versucht durch individuelle Betriebskonzepte den Anforderungen einer zukunftsorientierten Landbaukultur gerecht zu werden. Den Humusaufbau durch eine vielseitige und langgestellte Fruchtfolge zu fördern und bei der Bearbeitung den Boden zu schonen sind die Maßnahmen, die wir mit Bewusstsein ergreifen. Die biologisch-dynamischen Präparate tragen zur Verlebendigung des Bodens bei und steigern somit die Bodenfruchtbarkeit. Die flächengebundene Tierhaltung verhindert eine Überdüngung der Ackerflächen und begrenzt die Anzahl in der Tierhaltung. Es können nur so viele Tiere gehalten werden, wie von den hofeigenen Flächen auch versorgt werden können. Auch der Dünger ist dadurch limitiert.

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Die innerfamiliäre Betriebsübergabe funktioniert immer seltener, so dass die landwirtschaftliche Nutzfläche entweder verkauft wird oder die Erben, die in nichtlandwirtschaftlichen Zusammenhängen leben, die Flächen zu Pachtpreisen über 1000 €/ha an Betriebe mit Energiepflanzenanbau (Biogas) verpachten. Diese Pachtpreise können mit Getreide- oder Futterbau nicht erwirtschaftet werden. Boden ist wie Wasser und Luft Gemeingut. Er sollte denen zur Pflege überlassen werden, die ihn bearbeiten. Seit Jahren beschäftigen sich kleinere und größere Organisationen im Umfeld der biologischdynamischen Landwirtschaft mit dem Freikauf von Boden. Als gemeinnütziger Träger wird das Land erworben und dann den Bewirtschaftern zur Verfügung gestellt. So kann es langfristig als ökologisch zu bewirtschaftender Boden gesichert werden. Die Erde denen, die sie bearbeiten. Burkhard Tillmanns

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„Wenn ich groß bin, möchte ich Bäuerin sein!“ Diesen kindlichen und mit Sicherheit romantisierten Wunsch habe ich mir bereits in sehr jungen Jahren zusammengesponnen und meinte es für mein zartes Alter ausgesprochen ernst damit. Doch bevor ich meinen damaligen Zukunftstraum verwirklichen konnte, erlebte ich eine glückliche Kindheit im westlichen Münsterland, verbrachte so gut wie jeden Tag mit meinen drei Geschwistern draußen im Grünen und liebte alles, was mit Natur zu tun hat. Ich interessierte mich für jedes Tier, jede Pflanze und konnte vermutlich mehr Arten benennen als heutzutage. Je älter ich wurde, desto schwieriger gestaltete sich jedoch für mich die Frage, in welche Richtung ich nach dem Abitur streben würde. Künstlerisch? Wissenschaftlich? Beides konnte ich mir vorstellen, aber schließlich zog es mich eher in Richtung Design. Vielleicht Mode? Da ich Lust hatte, zuerst einmal das Handwerk des Nähens von Grund auf zu lernen, entschied ich mich zunächst für eine Ausbildung zur Maßschneiderin. Dafür zog es mich in die Ferne ins schöne und bis dato noch völlig fremde Hannover. Voller Tatendrang und Lust aufs Leben, verließ ich also meine Heimatstadt, meine Familie, meine Freunde. Aber der Abschied fiel mir leicht, freute ich mich doch auf dieses neue spannende Kapitel meines Lebens. Und auch rückblickend kann ich sagen, dass ich die Zeit meiner Ausbildung bei einer Modedesignerin nicht missen mag. In dieser Zeit habe ich jede Menge über mich selbst und andere Menschen gelernt und – auch wenn es pathetisch klingt – enorm viel Lebenserfahrung gesammelt. Dennoch hatte ich nach zwei Jahren aus verschiedenen Gründen erst einmal genug von der Kreativität und schlug nun einen ganz neuen Weg ein, indem ich mich für ein Studium der Gartenbauwissenschaften entschied. Bei diesem Studiengang handelt es sich um eine Art Biologiestudium, in dem sich aber ausschließlich auf alles konzentriert wird, was Pflanzen, ihren Nutzen und ihre Produktion betrifft. Was machen damit? Welche Richtung? Welcher Fachbereich? Mmmh…. egal! Erst einmal anfangen. Das wird sich alles zeigen. So locker flockig wie die Stimmung, mit der ich das Studium antrat, gestaltete es sich allerdings nicht. Vielmehr entpuppte sich der Studiengang als knallhart und gnadenlos – mit einem Grundstudium, das zu großen und keineswegs unwichtigen Teilen aus Physik, Chemie und Statistik bestand und in dem die Anzahl der Studierenden innerhalb der ersten drei Semester auf ein knappes Drittel reduziert wurde. In was war ich da nur hineingestolpert? Unzählige Male hatte ich das Gefühl, mir würde alles über den Kopf wachsen. Zum ersten Mal in meinem Leben nahm ich Nachhilfe, weil ich nicht bereit war, mir von so etwas wie Physik das Genick brechen zu lassen. Aber ich biss mich durch und nachdem man sich endlich eine Art Daseinsberechtigung und die Anerkennung der Dozenten erkämpft hatte, machten die beiden letzten Semester des Bachelorstudiengangs trotz enorm viel Arbeit richtig Spaß. Als Wald- und Wiesenhüpfer und „Öko-Pädagogenkind“ interessierte ich mich natürlich besonders für alles, was mit dem ökologischen Landbau zu tun hatte. So verwunderte es auch nicht, dass ich das zweimonatige Pflichtpraktikum bei Karla Ulber, übrigens einem Zögling des Gärtnerhofs Röllingsen, auf dem Schepershof bei Wuppertal absolvierte.

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Plötzlich lebte ich meinen Kindheitstraum. Und es war wirklich ein Traum. Ich glaube, die Zeit auf dem Hof war eine der intensivsten und schönsten Zeiten meines bisherigen Lebens. Anstrengend? Ja. Herausfordernd? In vielerlei Hinsicht. Definitiv. Aber dennoch so unglaublich befriedigend, erdend und bereichernd. Der Demeter-Gedanke einer Landwirtschaft, die als geschlossener Kreislauf funktionieren soll und sich so aus sich selbst heraus aufrecht erhalten kann, begegnete mir hier zum ersten Mal ganz konkret und faszinierte und begeisterte mich mit seiner natürlichen Logik. Als ich mich vom Schepershof verabschieden musste, heulte ich Rotz und Wasser. So etwas hätte ich nie für möglich gehalten. Und irgendwie glaube ich, dass die Idee, der Samen, den ich als Kind in meinem Kopf gesät hatte (oder war er schon immer dort gewesen?), plötzlich zu keimen anfing. Das Studium und vor allem das Leben und Arbeiten auf dem Schepershof wirkten wie die Nährstoffe, das Licht und das Wasser, die ein Pflänzchen benötigt, um zu wachsen. Dennoch entschied ich mich dazu, nach dem Bachelor auch noch den Master der Gartenbauwissenschaften zu absolvieren. Dabei konzentrierte ich mich vor allem auf den Bereich des biologischen Pflanzenschutzes und so sehr ich auch die Forschung, das Brüten über der Literatur und die intensive Auseinandersetzung mit meiner Masterarbeit genoss, ich wurde immer begleitet von einer gewissen Sehnsucht nach dem „einfachen Leben“ im Einklang mit der Natur. Das Pflänzchen wuchs und gedieh. Es blieb unaufdringlich, aber seine Existenz war nicht zu verleugnen. Und trotzdem, als ich meinen Abschluss in der Tasche hatte, war ich immer noch unschlüssig. Die Forschung im Bereich des biologischen Pflanzenschutzes ist meiner Meinung nach von größter Bedeutung und zukunftsweisend, hat sich doch in den letzten Jahrzehnten gezeigt, wie häufig man in der Landwirtschaft mit Pestiziden etc. an seine Grenzen stößt und schlimmer noch, legal enorme Schäden und ein ungeheures Durcheinander im ausgeklügelten System der Natur verursacht. Also vielleicht doch erst einmal weiter wissenschaftlich arbeiten? Aber ich merkte, dass ich genug davon hatte zu forschen, um abstrakte, theoretische Erkenntnisse zu gewinnen, ohne zu wissen, was man damit nun anstellen kann. Lieber endlich wieder raus an die Luft, ganz nah an die Erde (im wahrsten Sinne des Wortes) und mit den Händen eine Arbeit machen, die unmittelbar Ergebnisse schafft und einen geradezu erhabenen Sinn hat. Natur spüren, Energie spüren, mich spüren…. Inzwischen war der Wunsch danach so stark geworden, dass ich es zum ersten Mal in zehn Jahren in Erwägung zog, mein inzwischen geliebtes Hannover, mit all den lieb gewonnenen Menschen und Erinnerungen zu verlassen. Vorsichtig tastete ich mich vor und schaute nach Orten, an denen ich meine Vorstellungen möglicherweise verwirklichen konnte. Dabei stieß ich auf den Gärtnerhof Röllingsen. Nachdem ich mich zunächst telefonisch und dann persönlich dort vorgestellt hatte und mir der Hof und die Menschen auf Anhieb gefielen, bekam ich plötzlich Angst vor meiner eigenen Courage. Konnte ich mir das wirklich ernsthaft vorstellen? War ich bereit, meinen vertrauten Mikrokosmos zu verlassen? War ich tatsächlich in der Lage, den wunderschönen, aber auch

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unfassbar harten Beruf einer Gärtnerin zu leben? Und das auch noch in einem so engen zwischenmenschlichen Gefüge? Reichte dafür meine Mini-Erfahrung von zwei Monaten? Andererseits, wenn einem diese Arbeit so gar nicht liegt, dann merkt man das sehr schnell. Spätestens, wenn man um kurz nach 7 Uhr morgens mit steif gefrorenen Fingern in durchweichter, nasser Erde herumrobbt und Spinat oder Feldsalat erntet. Und was hatte ich schon zu verlieren? Es wäre zwar ein großer Schritt für mich, aber keiner, den man notfalls nicht auch wieder zurückgehen könnte. Nach einer Woche Probearbeiten stand für mich fest: Wenn die Röllingser mich wollen, dann ziehe ich das durch! Und so bin ich auf dem Gärtnerhof gelandet. Seit September arbeite ich nun dort im gärtnerischen Bereich und in den Abo-Kisten mit und es kommt mir vor, als wäre ich schon viel länger da. Obwohl mir der Abschied von Hannover enorm schwer gefallen ist, habe ich den Eindruck, sehr schnell in die Hofgemeinschaft hineingewachsen zu sein, fühle mich schon lange nicht mehr fremd und habe jeden der Höfler lieb gewonnen und zu schätzen gelernt. Und egal wie anstrengend die Arbeit ist und wie müde ich am Ende eines jeden Tages bin, ich habe das Gefühl, ganz bei mir zu sein und fühle mich paradoxerweise fast völlig erholt von den turbulenten letzten Jahren voller Irrungen, Wirrungen, Unsicherheiten und Zweifel, die mich letztlich dennoch auch zu der gemacht haben, die ich bin und die ich daher gerne als Teil von mir annehme. Ich bin jetzt 30 Jahre alt (was erwachsen klingt, sich in meinem Fall aber absolut nicht so anfühlt) und bin über Umwege ungefähr da angelangt, wo ich mich als kleines Mädchen bereits sah. Seit langem habe ich mal wieder das Gefühl, wirklich angekommen zu sein. Ich vermag nicht zu sagen, wie lange dieser Zustand anhalten und wohin mich mein Weg noch führen wird. Aber im Einklang mit der Natur zu leben und zu arbeiten, sich auf die wirklich bedeutsamen Dinge im Leben zu besinnen und einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen, scheinen immer noch genau die Dinge zu sein, in denen ich die Sinnhaftigkeit meines Lebens erkenne. Und wer kann das schon von seinem Kindheitstraum behaupten? Ich wünsche Ihnen allen eine friedliche und besinnliche Weihnachtszeit und ein wundervolles Jahr 2017 voller Zufriedenheit und Dankbarkeit. Lea Anna Hüweler

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Wie ich Gärtnerin wurde... Das Gärtnern - sinnvolles, handwerkliches Arbeiten an der frischen Luft - ist eine Leidenschaft für mich. Durch Praktika, das Leben auf dem Land, Reisen und Arbeiten auf Höfen im Ausland bin ich darauf gestoßen. Im März dieses Jahres habe ich die vierjährige Freie Ausbildung zur biologisch-dynamischen Gemüsegärtnerin erfolgreich abgeschlossen. Ich habe die Ausbildung auf dem Dottenfelderhof bei Frankfurt, einer riesigen Hofgemeinschaft mit mehr als 100 Mitarbeitern und Hofbewohnern, begonnen. Im zweiten Lehrjahr habe ich nach Haus Bollheim, ebenfalls ein sehr großer Hof bei Köln, gewechselt. Dort habe ich zunächst ein 3 monatiges Praktikum in der Demeter-Bäckerei Zippel gemacht und dabei einen tieferen Einblick in das Backhandwerk bekommen. Das dritte Lehrjahr habe ich dann dort im Gemüsebau verbracht. Für mein letztes Ausbildungsjahr bin ich in eine kleine Ein-MannGärtnerei im Münsterland gegangen. Das war ein ziemlicher Kontrast zu den vorherigen Höfen, denn dort habe ich im Bauwagen am Ackerrand gelebt und es wurde ohne Maschinen, Strom und fließendes Wasser gewirtschaftet. … und wie ich auf dem Gärtnerhof gelandet bin Den Gärnterhof Röllingsen und dessen Mitarbeiter habe ich durch die Ausbildung kennengelernt. Die Größe des Betriebs, das junge Team und das professionelle Arbeiten haben mich, vor allem nach der extremen Erfahrung meines letzten Lehrjahres, besonders angesprochen. Außerdem schätze ich an dem Betrieb die Vielfalt der Gemüsekulturen, die Konsequenz im ökologisch, nachhaltigen Wirtschaften und die Abgeschlossenheit im Betriebskreislauf. Meine Abschlussarbeit habe ich zum Thema Saatgutvermehrung im Erwerbsgemüsebau gemacht und war dadurch im Kontakt mit Johanna Fellner, die hier auf dem Hof Saatgut für die Bingenheimer Saatgut AG vermehrt hat. Als ich mich dazu entschieden habe, meine Arbeitserfahrung in einem Gesellenjahr zu vertiefen, bot sich der Gärtnerhof an, da hier Mitarbeiter gesucht wurden. Meine Aufgaben Zunächst hatte ich vor, nur eine Saison zu bleiben, um hier mein gärtnerisches Wissen zu erweitern und möglichst in allen praktischen Bereichen mitzuarbeiten. Dann stellte sich heraus, dass durch Personalwechsel ein Nachfolger für den geschützten Anbau gesucht wird. Nun übernehme ich, mit Unterstützung des Teams, übergangsweise bis Herbst 2017 die Verantwortung für diesen Arbeitsbereich.

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Rückblick auf die erste Saison, kleiner Ausblick... Letzte Woche haben wir intern zum „Ernte Dank“ angestoßen, nachdem wir mit dem Sellerie nun auch die letzte Herbstkultur unter guten Bedingungen vom Acker geholt haben. Das ist für mich immer ein schöner Zeitpunkt im Gemüsejahr, vor allem wenn man so zufrieden auf die Saison zurückblicken kann. Insgesamt hieß es für mich zunächst mal im Betrieb anzukommen. Als Gesellin im 1. Jahr und auf einem neuen Betrieb kamen neue Arbeits- und Verantwortungsbereiche auf mich zu. Das war spannend und herausfordernd. Auf dem Hof wurde ich sehr herzlich aufgenommen, auch wenn in diesem Jahr das Ankommen nicht so einfach war, da ein großer Wechsel in der Hofbesetzung stattgefunden hat und somit die meisten Mitarbeiter/Mitbewohner mit denen ich angefangen habe, aus verschiedenen privaten Gründen in der Zwischenzeit gegangen sind. Trotzdem habe ich mich ganz gut eingelebt und freue mich nun, in der ruhigeren Winterzeit Kräfte sammeln zu können, um dann wieder mit neuer Energie in die nächste intensive Gemüsesaison zu starten. Judith Peuling

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„Bayer kauft US-Saatguthersteller Monsanto“ – diese Nachricht ging Mitte September durch alle Medien. Ob Tagesschau, die Süddeutsche, der Spiegel, die Zeit oder die taz, alle berichteten von der größten Übernahme, die ein deutsches Unternehmen je getätigt hat. 66 Milliarden Dollar lässt sich Bayer den Deal kosten und wird dadurch zum weltweit führenden Anbieter für Saatgut und „Pflanzenschutzmittel“. Die Nachricht wurde einmal über alle Kanäle geschossen, es wurden ein paar Zahlen genannt und Börsenexperten befragt (die wirtschaftlichen Folgen sind wichtig!), bevor sich schnell wieder auf andere, vermeintlich wichtigere Themen gestürzt wurde: Trump feiert seinen Sexismus, Helene Fischer hat die Haare schön und Mario Basler geht ins Dschungelcamp. Doch ist diese Nachricht wirklich nur eine Randnotiz, die nur uns Bauern und Bäuerinnen und GärtnerInnen etwas angeht oder ist nicht vielleicht doch etwas dran, wenn die Süddeutsche schreibt: „Der neue Konzern hat in der Hand, was die Menschheit isst und was in die Erde dringt“? Monsanto steht nicht nur wegen seiner gentechnisch veränderten Produkten in der Kritik, die ganze Geschichte des Konzerns ist eine einzige Skandalchronik. Seit den Vierzigerjahren produziert das 1901 gegründete Unternehmen Pflanzengift und Agrarchemie. Wenige Jahre später entwickelte Monsanto das „Pflanzenschutzmittel“ Glyphosat und vermarktet es seit dem unter dem Namen „Roundup“; ein sogenanntes Totalherbizid, das alle Pflanzen zerstört, mit denen es in Kontakt kommt. Schnell erfreute sich das Produkt großer Beliebtheit, das Problem: Roundup tötete ALLES auf dem Acker, nicht nur Unkraut auch die jungen Getreide- Mais- oder Sojapflanzen wurden zerstört. Also entwickelte man ein Gen, das resistent gegen das eigene Gift war und fügte es z.B. dem Mais ein: „Roundup Ready“, eine Genmanipulation an der Pflanze, die es dem Landwirt seitdem möglich macht, seine genmanipulierte Kulturpflanze mit Gift zu spritzen, ohne Angst um die Ernte haben zu müssen. Seither werden auf 30 bis 40 Prozent der deutschen Äcker Glyphosat ausgebracht!!! Dass Glyphosat höchstwahrscheinlich krebserregend ist, darüber sind sich Experten und die Weltgesundheitsorganisation WHO einig. Trotzdem hat die EU die Zulassung für diesen Wirkstoff in diesem Jahr verlängert!!! Politikerbestechung, jahrelanges Fälschen von Untersuchungsergebnissen und das Kontaminieren von dramatisch großen Regionen weltweit durch patentierte Gene gehören nachweislich zum Alltagsgeschäft von Monsanto. Auch das Entlaubungsgift „Agent Orange“, das die USA im Vietnamkrieg einsetzte, entsprang der Produktion des Konzerns. Doch der Saatguthersteller wäscht seine Hände in Unschuld und beteuert, die Bauern

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entschieden sich freiwillig für die Gensaat: Monsanto verschenkt beispielsweise GentechSaatgut an Kleinbauern in Afrika, diese kontaminieren damit ihre Böden und begeben sich so „freiwillig“ in die Abhängigkeit. Es folgen Verträge zwischen dem Konzern und den Landwirten, die diesen verbieten, die eigene Ernte als Saatgut zu verwenden, wie es Bauern seit Jahrtausenden tun. Des weiteren dürfen Chemikalien nur bei Monsanto erworben werden, es gilt eine Schweigepflicht für den Landwirt, der seine Ländereien jederzeit und unter allen Umständen den Mitarbeitern des Konzerns zugänglich machen muss. Doch damit nicht genug, es wird dem Anbauer vertraglich untersagt, Monsanto zu verklagen, sollte das Gentech-Saatgut im Anbau versagen. Dass dieses Vorgehen Abhängigkeiten schafft, ganze Länder zerstört und Kleinbauern sogar in den Suizid treibt ist bekannt. Durch die Fusion ist Monsanto nun im Besitz von Bayer. Zusammen besitzen sie eine nie dagewesene Monopolstellung bei Saatgut und „Pflanzenschutz“, und wollen diese dazu nutzen, den Kampf für die Ernährung der wachsenden Bevölkerung in Zeiten des Klimawandels anzugehen. Die Langzeitfolgen dieses Unterfangens sind von einem Chemieunternehmen abhängige Landwirte, die genmanipulierte Pflanzen unter strengster Beobachtung und Kontrolle produzieren und unfruchtbare Böden und verseuchtes Grundwasser hinterlassen. Von der Zerstörung der vielfältigen Kulturlandschaft und der Ausrichtung zu einer rein kapitalorientierten Landwirtschaft ganz zu schweigen. Zu glauben, dass dies der einzige Weg ist, die wachsende Weltbevölkerung satt zu bekommen und dabei auch noch die Klimaerwärmung zu verhindern, fällt schwer. Der Gegenentwurf ist eine naturintegrierte und -integrierende, ressourcenschonende und nachhaltige Landwirtschaft, die für eine Artenvielfalt und Bodengesundheit sorgt und gesunde Lebensmittel erzeugt. Studien belegen mittlerweile, dass, der allgemeinen Meinung widersprechend, eine Versorgung der steigenden Weltbevölkerung durch regional erzeugte Bioprodukte möglich ist. Ohne Zweifel eine große Aufgabe, die Alternative dazu ist aber eigentlich gar keine. Simon Erbacher

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Die Hofgemeinschaft hatte in diesem Jahr besonders einschneidende personelle Veränderungen. Johanna Fellner begann noch ihrem Sommerurlaub das Studienjahr für biologisch-dynamische Landwirtschaft auf dem Dottenfelderhof. Für Gitta Eickelmann begann im Sommer die „Babypause“ und im Oktober wurde der kleine, süße Nuri geboren. Katrin Stenner zog im Herbst nach Augsburg, um dort ihr Studium aufzunehmen und Ojo Diatta brach ganz überraschend die Ausbildung ab, um in Süddeutschland eine Ausbildung zum Altenpfleger zu beginnen. Selbst frühzeitige Bemühungen, die entstandenen Lücken zu schließen, waren nicht von Erfolg gekrönt. Bis Mitte November war die Arbeitsintensität dem entsprechend hoch. Allerdings sorgte Lea Hüweler, die seit September als Gärtnerin im Anbau tätig ist, für die erste Entlastung und auch Angelika Haneball verstärkt seit September das Vermarktungs-team. Eine sehr erfreuliche Neuigkeit wollen wir Ihnen/Euch nicht vorenthalten. Familie Himstedt, die wir seit vielen Jahren kennen und mit denen wir seit einigen Monaten im Gespräch sind, hat Ihr Kommen für Herbst 2017 zugesagt, um hier auf dem Gärtnerhof langfristig Verantwortung zu übernehmen. Die weitere Hofgemeinschaft sei im Folgenden kurz vorgestellt: Simon Erbacher Judith Peuling Karin Wehowsky Kai Lohoff Maria Fraune-Tillmanns Burkhard Tillmanns Mirjam Glebinski Maria Pieper Michael Schulte Stephanie Kuhle Ursula Tillmanns Marius Karl Senge

- verantwortlich für den Freilandanbau - verantwortlich für den Unterglasanbau - führt die Bücher, packt einen Teil der Gemüsekisten und versorgt uns mit leckeren Gerichten - unser „Altgeselle“, arbeitet mit im Anbau und fährt Gemüsekisten aus - Wochenmarkt in Meschede, fährt Gemüsekisten aus und bekocht uns, wenn sie nicht gerade malt… - Vermarktung, Organisation und Planung - arbeitet im Gemüseanbau, springt ein wenn es Engpässe gibt - versorgt uns mit tollen Gerichten - plant die Gemüsekisten, die dienstags ausgeliefert werden - packt einen Teil der Gemüsekisten und verkauft auf dem Wochenmarkt in Meschede unser Gemüse - die Seniorin auf dem Hof, kümmert sich um die Blumen und erfreut sich an den Begegnungen auf dem Hof - Praktikant, Wochenmarkt in Meschede

Im Januar/Februar werden dann zwei Lehrlinge auf den Hof ziehen und ihre Ausbildung fortsetzen bzw beginnen. Burkhard Tillmanns

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Wäre zur Eröffnung des Buffets draußen unter der Linde nicht der eine fette Regenschauer heruntergekommen, könnte man sagen: bei schönstem Wetter fanden viele Besucherinnen und Besucher den Weg nach Röllingsen. So ein Schauer verbindet; die einen holten alle Sonnenschirme zusammen und stellten sie schützend über das Buffet, die anderen beschwichtigten: „da kommt nicht viel“; aber jeder, der in der Nähe stand, fasste mit an. Zuvor hatte sich die Hofgemeinschaft vorgestellt und mit Hofführungen über den Gemüsebau und die Besonderheiten im biologisch- dynamischen Anbau informiert. An einigen Gemüsesorten wurde exemplarisch die Wichtigkeit der ökologischen Gemüsezüchtung erläutert. Am späten Nachmittag fand dann der Vortrag von Michael Fleck zum Thema „Saatgut und Züchtung“ – Business von Global - Playern aber auch Chance zum eigenen Handeln - statt. Michael Fleck ist Geschäftsführer von Kultursaat e.V. Unter dem Motto, Saatgut ist Kulturgut und darf nicht einigen wenigen Konzernen gehören, machte er deutlich, wie wichtig die „On Farm“-Züchtung ist, die es in der konventionellen Züchtung in der Form kaum noch gibt. Eine neue Möhrensorte zu züchten, nimmt 12 – 15 Jahre in Anspruch. Die biologisch – dynamische Züchtung verfolgt andere Züchtungsziele. Nicht nur äußerliche Kriterien, wie Ertrag und Aussehen sind wichtig, sondern auch Geschmack und Vitalität sind für die biologisch-dynamischen ZüchterInnen von Bedeutung. Nach dem Vortrag entstand eine sehr lebhafte Diskussion über die Möglichkeiten jedes Einzelnen, sich zu engagieren. Die Stände der Bäckerei Morgenstern, des Eschenhofes und des Hellweghofes schafften ein herzliches Ambiente. Auch der Bienenstand von Martin Ziron lockte viele Besucher an. Vor dem Buffet, das wie immer vom Bistro des Lebensgartens ausgerichtet wurde, sang der Chor „Jubilate“ unter der Leitung von Gerburg Kropf-Lumpe. Später am Abend begann die traditionelle Disco und es wurde bis in die frühen Morgenstunden ausgelassen getanzt. Burkhard Tillmanns

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Bei bestem Wetter im herrlichen Ambiente fand unsere Jubiläumsfeier auf dem Gärtnerhof Röllingsen statt. In schöner Atmosphäre waren die 150 Gäste im Gespräch über alte Zeit und gegenwärtige Herausforderungen. Sehr beeindruckend waren die Musikerinnen aus dem Umfeld des Gärtnerhofes, die die Festreden und Grußworte mit Cello, Geige und Klavier sehr schön eingerahmt haben. Beide sind Preisträgerinnen des Bundeswettbewerbes Jugend musiziert: Klara Burkhard und Paula Madden. Dr. Konstanza Kaliks (Leiterin der Jugendsektion am Goetheanum, CH) hat in ihrem Gastvortrag zur Ausbildung und ihrer Bedeutung in heutiger Zeit den Schwerpunkt darauf gelegt, dass es eine große Aufgabe ist, den Auszubildenden in einer gewordenen Welt mit einer großen Offenheit zu begegnen um das Zukünftige, das in ihnen veranlagt ist und dass sie mitbringen, gestalten zu können. Das braucht einen gebührenden Raum. Die Zukunft lässt sich nicht allein aus der Fortsetzung des Gewordenen vermitteln. Dabei sind drei zentrale Aspekte zu berücksichtigen: Erstens: Der Einzelne als Teil der Gemeinschaft und die Gemeinschaft als Zusammensetzung aus Einzelnen, Stichwort Zugehörigkeit. Zweitens: Das Thema Menschlichkeit in einer Welt, die sich selbst mehrfach vernichten kann und in einen zunehmenden Destruktivismus übergeht. Drittens: Die Zugehörigkeit des Menschen zur Erde, die Erdverbundenheit. Bei den heutigen Möglichkeiten: Mondfahrt, Marsbesuch, Worldwide Web, ist die Anbindung an die Erde zentral.

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Eckard Jungclaussen vom Birkenhof, als einer der Initiatoren der „Freien Ausbildung DEMETER NRW und Hessen“ und Lisa Schäfer als eine der ersten Auszubildenden erinnerten in ihren Beiträgen an die Beweggründe der Initiatoren und an die stetige Entwicklung der Freien Ausbildung bis heute: -

Ausbildung geeigneter Hofnachfolger/Innen Alternative zu den Inhalten der konventionellen / staatlichen Ausbildung Gleichwertige Inhalte und Abschluss Menschenbild und Biologisch-Dynamische Landwirtschaft als Inhalt

Für die Gegenwart und die zukünftigen Herausforderungen beschrieben Burkhard Tillmanns und Lukas Max Plagemann, Auszubildender im 3. Lehrjahr, die aktuellen Herausforderungen für die zukünftige Entwicklung der“ Freien Ausbildung“. Dabei ist der Aspekt der „Freiheit“ von zentraler Bedeutung, der Gefahr zu bürokratisch zu werden, muss stetig begegnet werden, die Zusammenarbeit mit den anderen Regionen wird verstärkt um Synergien zu nutzen. Genug zu tun für die nächsten 20 Jahre. Festrednerinnen und Gäste waren u.a. Bioland-Geschäftsführer NRW Jan Leifert, die Kollegen aus den Nachbarausbildungen: Jakob Ganthen und Friedemann Wecker mit seinem Team, Prof. Dr. Ulrich Köpke, Institut für Organischen Landbau der Uni Bonn, Vertreter der DEULA und der Landwirtschaftskammer, Peter Hettlich, Abteilungsleiter im Landwirtschaftsministerim, Christian Wucherpfennig von der Fachschule für Ökologischen Landbau in Kleve, Martin von Mackensen von der Landbauschule Dottenfelderhof, Dr. Alexander Gerber, Vorstand des Demeter Verbandes auf Bundesebene. Es ging dann mit Volkstanz und Disko bis in den späten Abend, auch die kulinarischen Genüsse kamen nicht zu kurz…. Ute Rönnebeck, Geschäftsführerin Demeter NRW

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Im Folgenden lesen Sie Auszüge aus einem Artikel von Elisabeth Raether, der am 16. Oktober 2016 in der „ Zeit „ erschienen ist. Der Inhalt und ein weiterer Artikel zum gleichen Thema, erschienen in der „ TAZ „, auch im Oktober 2016, erregten bei uns auf dem Hof die Gemüter und warfen viele Fragen auf. Letztendlich die entscheidende Frage; Sollen wir auf dem Wochenmarkt in Meschede und bei uns im Hofladen weiterhin Avocados verkaufen oder nicht ?! Wir entschieden uns, die Avocado nur dann an unsere Kunden weiterzugeben, wenn die Herkunft eindeutig ist und wir mit dem Verkauf kleine landwirtschaftliche Betriebe in Spanien, Portugal und Italien unterstützen. „Die Avocado wurde zum Inbegriff der bewussten Küche: Gut für den Körper. Gut für den Planeten. In Wahrheit aber ist die Avocado ökologisch höchst fragwürdig. Jede Zeit hat ihr Lieblingsessen. In den fünfziger Jahren thronte auf den Desserts, den Punschtorten, den Käsehäppchen eine Cocktailkirsche, eine in Farb- und Aromastoffen erstickte Frucht. In den siebziger Jahren entdeckten die Deutschen die Welt da draußen und die Spaghetti. In den achtziger Jahren wurde der geräucherte Lachs zum Massenprodukt. Welches Lieblingsessen hat die Gegenwart? Darauf gibt es natürlich mehrere Antworten. Eine lautet: Es ist die Avocado. Das liegt zunächst daran, dass die Avocado nicht vom Tier stammt. Die Avocado gehört zu den wichtigsten Zutaten der veganen Küche mit ihrer ausgeprägten Sensibilität gegenüber Tieren und der Natur. Die Avocado ist in der Lage, die Problemzutaten Butter und Eier zu ersetzen. Es gibt jetzt Kochbücher mit Titeln wie Meine Rezepte für eine bessere Welt und Backrezepte, die beworben werden mit der Aufforderung „ Genießen Sie die Torten- und Kuchenklassiker ohne Reue oder schlechtes Gewissen“. Die Avocado ist die Frucht der Weltenretter, beliebt auch bei vielen, die zwar keine Veganer sind, sich aber ab und zu das Gefühl gönnen wollen, im Einklang mit der Umwelt und sich selbst zu sein .Viele Vergnügen sind ja für den liberalen, um das Wohl der Welt und seiner selbst besorgten Bürger unmöglich geworden: nicht nur Fleisch, auch Schokolade, Wein, Zigaretten sowieso. Erdbeeren im Dezember, Hummer und Kaviar und alles offensichtlich Luxuriöse sind ohnehin überholt .Die Avocado aber verspricht sorgloses Glück, wie man es gar nicht mehr für möglich gehalten hat im Zeitalter des Wollens und Alleshabens, aber Nichtdürfens. So kommt es, dass die Avocado die Titelheldin der Kochzeitschriften und –blogs ist; dass sie beim sozialen Netzwerk Pinterest das beliebteste Essen 2015 war; dass es in Deutschland wohl keinen Fair- Trade- Coffeeshop mehr gibt, auf dessen Karte kein Avocadotoast stünde. Der traditionsreiche Vegetarierbund empfiehlt die Avocado. Die Tierrechtsorganisation Peta, die durch Verzicht auf tierische Produkte den Welthunger bekämpfen will, schlägt auf ihrer Website Avocadogerichte vor. Der Umweltverband BUND rät dazu herkömmliche Peelings,

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die für Seehunde gefährliches Mikroplastik enthalten, durch selbst angerührte zu ersetzen, und zwar aus Avocado. Und die größte deutsche Onlineplattform für moderne Öko-Mode heißt: Avocado Store Die Avocado gilt, ein Hauptgrund für ihren Erfolg, als unfassbar gesund. Sie enthält so viele ungesättigte Fettsäuren, Vitamine und Mineralstoffe, als wollte sie den Menschen von all seinen Gebrechen heilen. Ihr Geschmack ist unaufdringlich, sie ist nicht sauer, nicht scharf, nicht bitter, sondern ein bisschen nussig und ein bisschen süß. Man braucht nicht einmal ein Messer, um sie zu verzehren: Sie ist so anschmiegsam, dass man sie einfach löffeln kann. Und obwohl sie cremig ist wie ein üppiger Pudding, macht sie nicht dick. Ernährungsphysiologisch ist sie unschuldig wie ein Salatblatt. Soweit die Avocadofantasie. In Wirklichkeit ist die Avocado die ungefähr 400 Gramm schwere Beere eines immergrünen Laubbaumes. Dieser Baum muss irgendwo wachsen, und wie jeder Baum braucht er Erde, Luft und Wasser. Eine Avocado braucht noch viel mehr. IN der realen Welt der landwirtschaftlichen Produktion hat sie gar nichts Müheloses. Im Gegenteil. Ihr Erfolg war kein Wunder der Natur, sondern von langer Hand geplant. Menschen haben Geld auf sie gewettet. Unternehmen arbeiten daran, dass mehr und mehr Menschen ein Leben ohne Avocado für unmöglich halten. Und am anderen Ende der Welt verändern sich ganze Landstriche, was die Frage aufwirft, ob es wirklich gut ist für die Welt, wenn der deutsche Verbraucher Schweinefleisch und Butter durch Berge von Avocados ersetzt. Fliegt man von Deutschland elf Stunden Richtung Süden, nach Johannesburg, und fliegt man von dort weiter, wieder ein Stückchen Richtung Norden, nach Polokwane in der südafrikanischen Provinz Limpoto, kann man den Avocadowahn besichtigen. Die Straßen sind staubig, die Schlaglöcher so tief und zahlreich, dass man Slalom fahren muss. Mit einem Mal aber verändert sich die Szenerie. Kein karger Busch mehr, kein braunes Gras und keine Wellblechhütten der Zulu, keine überfahrenen Hunde mehr am Straßenrand, stattdessen: Avocadobäume. So weit der Blick reicht. Sie stehen in Reih und Glied und sehen eher aus wie Buchsbäume in einem französischen Schlossgarten als wie exotische Gewächse: alle gleich groß, knapp zwei Meter, die Blätter satt dunkelgrün, als könnten Staub und Trockenheit ihnen nichts anhaben. Kilometerweit muss man fahren, um ins Zentrum des Avocadoreichs vorzudringen. In der Nähe eines Ortes namens Mooketsi residiert der König, Tommie van Zyl. Er ist der Besitzer der Farm ZZ2, die so groß ist wie Hamburg und zu den größten Avocadolieferanten für Europa zählt. ……. Das Avocadogeschäft ist eine Hightechbranche geworden. Eine, die weit weg ist von der Natürlichkeit und der Nachhaltigkeit, für die die Avocado steht, auch von der kleinbäuerlichen

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regionalen Landwirtschaft, die so gern gelobt wird. Die Avocado ist die Frucht der reichen Farmer. Das überhaupt so viele Avocados nach Europa exportiert werden,ist nur möglich, weil in der südafrikanischen Landwirtschaft unter sehr ungleichen Bedingungen produziert wird: wenige Farmen - meist im Besitz weißer Afrikaans – werden immer größer ,wie die ZZ2 – Farm. Sie können investieren. Viele kleine Betriebe, die Schwarzen gehören, gehen ein. Eine Großfarm kann solche Rückschläge verkraften. Die Ländereien sind größer als die Einflugschneise eines Sturms. Das viel bedeuterende Problem für ZZ2 und die anderen schnell wachsenden Avocadoproduzenten in Chile und Peru ist ein anderen. Avocados haben enormen Durst. Ein Kilogramm Tomaten kommt im globalen Durchschnitt mit etwa 180 Litern Wasser aus, ein Kilogramm Salat mit etwa 130 Litern. Ein Kilogramm Avocados verbraucht 1000 Liter. Und es gibt wenig Wasser in Limpoto. Seit vier Jahren gibt es sogar noch weniger als je zuvor. Das Wetterphänomen El Nino, verstärkt durch den Klimawandel, bringt Hitze und Dürre. Wegen El Nino verdursteten im vergangenen Jahr in Südafrika Tausende Rinder. Die Ernteausfälle waren so enorm, dass das Land Grundnahrungsmittel wie Mais, die es früher exportierte, jetzt importieren muss .Teile der Bevölkerung leben ohne Wasseranschluss, weil die Regierung nicht tut, was Tommie van Zyl für seine Avocados tut: Er hat eine 30 Kilometer lange Pipeline gebaut, die das Wasser aus den Bergen ins Tal transportiert. Die Frage, die wie eine dunkle Wolke über dem Avocadobusiness hängt, lautet; Wann werden die Verbraucher in den westlichen Industrienationen merken, dass sie eine ökologisch höchst fragwürdige Frucht zum Symbol für bewusste Ernährung gemacht haben? Wann werden sie sich von der Avocado abwenden? Da ist nicht nur die Sache mit dem Wasser. Da ist auch der Weg, den die Frucht zurücklegt, bevor sie in einem deutschen Supermarkt verkauft wird. Eine ZZ2-Avocado fährt von ihrer Heimat im Norden des Landes mit dem LKW nach Durban an der Küste im Südosten. Das sind knapp 1000 Kilometer. Dann wird sie auf ein Schiff geladen, dass sie nach Rotterdam bringt. Die Überfahrt dauert 26 Tage. Während der gesamten Reise lagert die Avocado bei komfortablen sechs Grad in einem strombetriebenen Container, in dem neben der Temperatur auch die Luftfeuchtigkeit und die CO²-Konzentration kontrolliert werden – ein energiefressender Transport. u .s. w. u . s. f. .......... „ Maria Fraune-Tillmanns

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Nachdem ich die Ausbildung auf dem Gärtnerhof gemacht und danach noch ein Jahr als Gesellin dort gearbeitet habe, bin ich nun seit Ende August im Mutterschutz bzw. Elternzeit. Seit Nuri im Oktober geboren ist, beschäftige ich mich weniger mit Gemüse und Gärtnern sondern eher mit Windeln & Wickeln oder Stillen & Schlafliedern für den Kleinen. Bisher habe ich selten so viel Zeit im Haus und ohne Gartenarbeit verbracht, da dachte ich mir, es wäre doch schön, eine Zeitung zu abonnieren. Eine gute Entscheidung, denn ich möchte das schöne Gefühl nicht mehr missen, morgens die Zeitung aus dem Briefkasten zu holen, die Vorfreude auf interessante Artikel und Reportagen. Dann dieses angenehme Knistern wenn man die Seiten auseinander faltet. Ich suche mir zum Lesen einen gemütlichen Platz am Ofen, um mich dann richtig in die Lektüre zu vertiefen - jedenfalls so lange Nuri einverstanden ist. So manches Mal hab ich schon gedacht: Mensch, du sitzt hier wie ne Oma im Sessel und hältst dir diese riesigen Zeitungsblätter vor die Nase. Das ginge doch viel einfacher und zeitgemäßer. Man könnte die Zeitung ja auch digital lesen, ganz praktisch unterwegs am Smartphone zum Beispiel. Digitalisierung ist sowieso ein sehr aktuelles Thema. Sie begegnet einem in allen möglichen Alltagssituationen, nicht nur im Bereich der Kommunikation, die jedenfalls in meinem Freundeskreis hauptsächlich über whattsapp läuft, sondern z.B. auch im Haushalt. Man kann von unterwegs schon mal den Ofen ansteuern, um es direkt warm zu haben, wenn man heimkommt. Der Staubsauger hält als Roboter die Wohnung sauber und der Thermomix hat das Essen schon fertig gekocht. Unterwegs im Verkehr braucht man gar nicht mehr auf die Anzeige zu schauen, ob der Zug pünktlich ist; denn über Verspätungen weiß man ja schon längst per App Bescheid. Eigentlich hat man ständig das Gefühl, dass das Leben durch Digitalisierung einfacher und effizienter wird. Aber was hat das eigentlich mit dem Gärtnerhof oder dem Gärtnern zu tun? Nun, beim Zeitung lesen fand ich einen sehr interessanten Artikel zum Thema Garten. Es ging darum, dass man in der heutigen Gesellschaft die Sehnsucht nach Natur, mehr Grün und Verlangsamung klar erkennen kann. Bio-Lebensmittel, Slow-Food, Do-it-yourself und Guerilla Gardening liegen voll im Trend. Stadtplaner beschäftigen sich mit vertikalen Farmen, begrünten Fassaden und Hochhäusern als mögliche agrarische Nutzfläche. Es gibt sogar Mooswände fürs Badezimmer. Zeitschriften wie Landlust oder Walden erleben geradezu einen Boom. Auch der Wunsch, die Zeitung aus Papier lesen zu wollen, passt vielleicht in diese Liste. Das Konzept des Gärtnerhofs, die Kunden mit selbst angebautem saisonalen Demetergemüse zu versorgen, entspricht ziemlich genau diesen Bedürfnissen. Auf der anderen Seite gibt es eben aber auch im Bereich Garten den besagten Trend zur Digitalisierung, hier Smart Gardening genannt. Da scheint es, als sei es das Bestreben, die Arbeit aus der Gartenarbeit herauszulösen und den Garten immer mehr als erweitertes Wohnzimmer zu sehen. Von der Gartenliege aus kann man neuerdings den Mähroboter und

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das automatische Bewässerungssystem mit dem Smartphone steuern. Modernste Geräte melden den idealen Düngezeitpunkt und der Zustand der Zierpflanzen wird geradezu intensivmedizinisch überwacht. Ein selbstfahrender Gartenroboter modelliert akkurate Buchsbaumskulpturen und dank der Pflanzendatenbank mit Gartenkalender kann kein Umtopfen mehr vergessen werden. Der Garten als Technopark oder Gärtnern 2.0 könnte man sagen. Ich glaube, dass in solch perfektionierten Gärten sehr schnell Langeweile aufkommt und man dort gar nicht mehr die Entspannung und das Abschalten vom digitalisierten Alltag finden wird, was viele Menschen suchen. Vielleicht macht es doch mehr Spaß und gibt einem eine gewisse Erfüllung, wenn man sein Beet selbst umgräbt, auf Schneckenjagd geht und sich immer wieder bückt, um Unkraut zu ziehen. Das sind jedenfalls Dinge, die für mich - genau wie das Zeitung lesen - ein gutes Gefühl hinterlassen und durch die ich mich irgendwie geerdet fühle. Auch wenn ich damit ganz weit weg vom allgemeinen Trend zur Digitalisierung bin. Gitta Eickelmann

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Im Frühling dieses Jahres begann ich mit meiner Arbeit beim Gärtnerhof Röllingsen. Dies alles kam mehr zufällig zu Stande. Da ich wie viele andere Menschen einen hohen Anspruch an Nahrungsmittel stelle, kaufte ich mein Gemüse selbstverständlich regional und biologisch ein. Was bietet sich dort besser an, als Röllingser Gemüse auf dem Markt in Meschede zu erstehen. Eines schönen Freitag Morgens sprach Maria mich an, ob ich nicht jemanden kenne würde, der Lust hätte dienstagmorgens auf dem Markt Gemüse zu verkaufen oder ich selbst Interesse daran hege. Sofort war meine Neugierde geweckt. Doch vorerst wollte ich Absprache mit meiner Freundin halten, da wir im August 2016 unseren Sohn erwarteten und ich bereits arbeitstechnisch eingespannt war. Doch ich wollte mich beruflich neu orientieren und wir beide hielten dies für eine gute Chance. Gesagt getan und binnen der nächsten zwei Wochen konnte ich mein Praktikum beim Gärtnerhof beginnen. Um fünf Uhr klingelt seit jeher jeden Dienstagmorgen der Wecker. Für mich als leidenschaftlichen Langschläfer war dies zunächst eine Umstellung. Doch hat man bereits am Vorabend Arbeitskleidung herausgelegt und die Trinkflasche gefüllt, erlaubt einem diese Zeitersparnis, den Wecker noch einmal für weitere zehn Minuten zu ignorieren. Mit einem Kaffee auf ex und lauter Musik im Auto geht es dann Richtung Meschede. Lieblingsmelodien am Morgen beleben den noch müden Geist. Um sechs geht es dann los mit dem Aufbau des Hängers und dem Ausladen der Gemüsekisten. Ist alles an seinem Platz kann es losgehen. Nach der körperlichen Anstrengung am frühen Morgen sammle ich bei einem belegtem Brötchen von gegenüber und Kaffee Numero zwei erneut Kraft für die kommunikative Phase des Arbeitstages. Man freut sich über die Stammkundschaft und zwischen wiegen, rechnen und kassieren gibt es ein wenig Zeit für Gespräche. Die Zeit vergeht wie im Flug. Grade eben war man noch mit dem Aufbau beschäftigt und dann geht es schon wieder heimwärts. Der erste Job meines Lebens, bei dem ich nicht auf die Uhr schaue, sondern einfach im Moment bin. So wurden aus einem Markttag plötzlich zwei und aus einem Praktikum erwuchs eine Perspektive. Nun neigt sich ein aufregendes Jahr dem Ende, ich bin Vater geworden, mein Sohn Wotan ist bereits vier Monate alt und erfüllt mich täglich von neuem mit Glück. Die Bewerbungsunterlagen für einen Studium der ökologischen Landwirtschaft warten darauf verschickt zu werden und aus meinem Praktikum in Röllingsen wird eine Festanstellung. Ich wünsche mir, dass mich mein Leben auch im kommenden Jahr weiterhin auf solch positive Weise überrascht und ich meine Ideen verwirklichen kann. Allen Lesern und Leserinnen wünsche ich besinnliche Feiertage im Kreise ihrer Liebsten und ein vielversprechendes neues Jahr. Marius Karl Senge

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Beobachtungen auf dem Feld können unterschiedlicher Natur sein. Sie können sich z. B. auf das beziehen, was auf ihm wächst: die Pflanzen, unsere Kulturen, wie Möhre, Kartoffel, Weizen und Erbsen. In diesem Jahr konnten wir zunächst einmal sehr extreme Wetterbedingungen beobachten. Nach der Aussaat unserer Wurzelgemüse ab Anfang Mai war es - wie schon in den vergangenen Jahren - unglaublich trocken, so trocken, dass die Chicoreeaussaat wiederholt werden musste. Es hat im Sommer viele Wochen lang nicht geregnet und wir mussten um sämtliche Gemüsekulturen bangen. Im August kam dann endlich der Regen – erst seicht, doch dann fielen in einer Stunde 60 Liter auf einen qm. Dabei ist viel Erdreich abgetragen und zum unteren Ende des Feldes geschwemmt worden, sodass die Pflanzen dort von Erde überschwemmt wurden. Eine Bodenbearbeitung war lange nicht möglich. Die Möhren konnten nicht angehäufelt werden, und nun haben wir viele grüne Möhrenköpfe. Im Großen und Ganzen ist die Ernte dann ganz ordentlich gewesen. An einer Kartoffelsorte waren auffallend viele Drahtwürmer. Das muss wohl die leckerste Sorte gewesen sein. Erbsen und Weizen, die wir für unser Hühnerfutter anbauen, sind auch aufgrund der Trockenheit nicht so gut gelungen wie in anderen Jahren. Beobachtungen auf dem Feld entstehen natürlich auch, wenn wir zwischendurch den Blick heben und die Umgebung auf uns wirkt. In diesem Jahr gab es einige aufregende Beobachtungen! Immer wieder bin ich fasziniert vom Regenbogen, der sich über die Erde spannt. So auch im Februar, als der volle doppelte Regenbogen über unserem Land stand, zu groß um ihn in einem Foto einzufangen. Im Oktober gab es auch einen Regenbogen, einen ganz kleinen, der sich wie ein Lächeln im Himmel nach oben bog - um die Sonne herum. Bei unserer Arbeit auf dem Feld sehen wir vieles im Himmel. Atemberaubende Wolkenformationen, Insekten, Vögel, Flugzeuge….. manchmal kommt auch eine Matruschka vorbeigefahren, zusammen mit vielen anderen Heißluftbalons der Montgolfiade – ein herrlicher Anblick! In der Luft und auf dem Boden habe ich große Vogelschwärme beobachtet. Riesige geschwätzige Starenschwärme; aus unseren ca. 13 Schwalbenpaaren sind rund 150 Vögel geworden, die sich mit anderen Schwalben zum „Insektenweiden“ über unseren Feldern getroffen haben. Dauernd stehen Graureiher auf der Hühnerweide, um dort nach geeigneter Nahrung zu suchen. Im Oktober trafen sich 10 Rotmilane über unserem Hof und im November rasteten für 2 Wochen ca. 200 Nilgänse auf der anderen Straßenseite. Sie haben sich dort niedergelassen um sich auf den abgeernteten Maisfeldern zu stärken. Sogar ein ganzer Kranichschwarm hat sich zeitgleich dort ausgeruht…. Wunderbares Vogelschutzgebiet Hellwegbörde! Wir wünschen allen Kunden ein friedvolles Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins Neue Jahr! Liv Kurz

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In Zusammenhang mit der Vorbereitung eines Referats, das ich demnächst halten muss, las ich soeben Folgendes: „Wir müssen die Geschichten unseres Essens wieder wahrnehmen, um seinen Wert zu erkennen. Vielleicht sind wir dann eher bereit, seinen wahren Preis zu zahlen“ (Reller 2013, S. 87). Der Hintergrund dazu ist der, dass wir aufgrund von Werbung, Entfremdung vom Herstellungsablauf (letztlich also vor Allem Entfremdung von landwirtschaftlichen Prozessen) und mangelhaften Informationen kaum noch wissen, was wir eigentlich konsumieren. Seit einigen Wochen beschäftige ich mich nun im Zuge meines Studiums mit dem Umstand, dass wir Menschen für ein Leben in Hülle und Fülle und unfassbarer Dekadenz nicht nur unsere eigene Lebensgrundlage zerstören. Der Globalisierung sei Dank, wir ziehen auch völlig unbeteiligte Personen, die nie ein Stück vom großen vielversprechenden Kuchen abbekommen haben, mit in die Schei*e. Schön und gut, das ist alles nichts Neues. Wird zwar gerne verdrängt, ist aber mittlerweile in jedermanns und jederfraus Bewusstsein angekommen. Und nun? Es geht trotzdem bergab. Ressourcen werden weiterhin verschwenderisch abgebaut und vernichtet, Stoffkreisläufe durch menschliches Eingreifen unwiderruflich zerstört und wir holzen nach und nach den Regenwald ab. Ist doch alles Mist. Aber wir können das ja eh nicht ändern, so ist unser Leben halt. Könnte man zumindest meinen. Und ich muss zugeben: Durch die tägliche Auseinandersetzung mit der unfassbaren Ignoranz von Einzelpersonen, Politik und Wirtschaft fällt es mir nicht besonders leicht, positiv in die Zukunft zu schauen. Ich bin versucht zu sagen „Was soll's, nach mir die Sintflut, es ist eh zu spät. Zieht ja niemand mit!“. Aber: Pustekuchen! Die schönste Erfahrung, die ich in den letzten Wochen machen durfte ist die, dass es eben doch unheimlich schöne Bewegungen gibt, die alle ein gutes Leben anstreben. Und zwar für alle. Wann mir das hier in Augsburg das erste Mal auffiel? Natürlich, wie könnte es anders sein, beim Einkaufen. Ich habe grade den Gärtnerhof Röllingsen verlassen und war in meinen Konsumentscheidungen seit langem mal wieder herausgefordert. Hat mich sonst der Hunger gepackt, bin ich ins Kühlhaus geschlendert und habe nachgeschaut, was wir in den letzten Tagen alles schönes geerntet haben und habe mir daraus etwas leckeres gekocht. Beim Verarbeiten und Verzehren hatte ich ein gutes Gefühl, schließlich wusste ich, wo das Essen herkam und habe es mit meiner eigenen Kraft mitkultiviert. In Augsburg gestaltete sich das ganze etwas schwieriger. Mein erster Gang führte mich in den BASIC-Bio-Laden. Puh... Eher ein riesiger Supermarkt. Klar, alles bio-zertifiziert. Top. Mein Problem hieran: Von jedem Produkt gibt es gefühlte 100 Anbieter. Teilweise unter verschiedenen Zertifizierungen – damit komme ich noch klar. Aber gerade bei den Milchprodukten wäre ich beinahe verzweifelt: Kaufe ich die demeter-Milch im Tetrapak aus Baden-Württemberg? Oder die Bioland-Milch in der Glasflasche aus Niedersachsen? Oder

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die „nur“ EG-bio-zertifizierte Milch aus Bayern? Ähnliches Spiel beim Joghurt: Wo kommt er her, wie ist er verpackt, wie wurde er produziert? (Und leider heißt biologisch – egal bei welchem Anbauverband – noch lange nicht plastikfrei in Bezug auf Verpackungsmaterialien). In der Gemüseabteilung habe ich mich gar nicht erst lange aufgehalten. Feldsalat aus Frankreich, Möhren aus den Niederlanden und Tomaten und Paprika aus Spanien oder sogar Marokko. Frustrierendes Erlebnis! Also führte mein Weg mich weiter in einen kleinen gut sortierten Bio-Laden in der Altstadt. Dieser legt nicht nur Wert auf biologisch erzeugte Lebensmittel, sondern versucht sich bevorzugt auf demeter-Gemüse zu begrenzen. Es gibt eine kleine Auswahl an saisonalem Gemüse, alles ist klar deklariert, wo genau es herkommt und welchem Anbauverband es zugehörig ist. Und kurz vor Ladenschluss wird quasi die „B-Ware“ sehr günstig verkauft. Das kommt meinem Studentenbudget ganz gut. Coolio! Als ich dann allerdings noch Dinge wie Reis, Müsli, Linsen etc. kaufen wollte kam die Frustration zurück. Alles in Plastik verpackt. Teilweise nicht nur einmal, sondern in doppelter Lage. Oder in einer schönen Karton-Verpackung, doch sieht man näher hin, befindet sich darunter Plastik. Mal abgesehen davon, dass ich im vierten Stock wohne und wenig Lust habe, alle Naselang den Müll runter zu bringen (Ja, Umweltschutz kann auch ganz eigennützige Interessen verfolgen); die Auswirkungen von Plastik in unserer Umwelt sind bekannt und es gilt ganz klar, den Plastikkonsum so gering wie irgend möglich zu halten. Und aus diesen eher nervigen Überlegungen fand ich zu einem Laden, der ein wunderbares Konzept verfolgt. Alles ist unverpackt. Ich bringe meine eigenen Behältnisse mit (meist Schraubverschlussgläser) und fülle mir von allem gerade so viel ab, wie ich brauche. Noch schöner: Alle Produkte sind von den Besitzern des Ladens sorgfältig nach verschiedenen Ansprüchen ausgewählt und überprüft worden. Und zwar nicht nur oberflächlich – auf Nachfrage gibt es so genaue Informationen über die Anbau- und Produktionsverfahren, dass es mich wunderte, nicht Vor- und Nachnamen der Bauern selbst zu erfahren. In diesem Laden hat mir das Einkaufen auch tatsächlich das erste Mal seit langem wieder Freude bereitet. Wenn die Linsen aus einem großen Glaszylinder über einen Trichter in mein kleines mitgebrachtes Gläschen kullern... ein schönes Geräusch! Und gerade ein Laden wie dieser zeigt mir, dass es Menschen gibt, die sich Gedanken machen. Die sehen, was durch uns und mit uns und um uns herum passiert. Das sind Menschen, die einfach sagen: Wir wollen etwas gutes schaffen. Gerade in Bezug auf Lebensmittel erfahre ich in Augsburg eine Veränderung. Selbst Personen, die mit konkretem Umweltschutz erst einmal nicht viel am Hut haben, entwickeln ein anderes Bewusstsein. So gibt es mittlerweile an der Uni einen Raum, in dem jede/r Lebensmittel oder andere Dinge, die er/sie nicht mehr selber konsumieren will oder kann, deponieren kann. Und ein/e jede/r kann vorbeischauen und mitnehmen, was er/sie braucht. So schaffe ich es zum Einen, mir nach und nach Versorgungsstrategien in Bezug auf

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Lebensmittel anzueignen (die zwar bei weitem nicht so nah und angenehm sind, wie sie es in Rölingsen waren), mit denen ich hier ein gutes Leben führen kann. Und ein gutes Leben darf für unsere Gesellschaft eben nicht einfach nur heißen, ausreichend zu essen zu haben. Ein gutes Leben umfasst auch, mit seinem Konsum keinen Schaden anzurichten – zumindest in sofern wir das überblicken können. Katrin Stenner

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oh kommet doch all, zur Krippe her kommet in Röllingser Stall. Seit 20 Jahren lädt die Spielschar des alten Oberuferer Weihnachtspieles alljährlich zum 4. Advent und zum Heiligen Abend um 16:30 Uhr ein, das Christgeburtspiel im Stall auf dem Gärtnerhof in Röllingsen mitzuerleben. Die Kühe mit ihren Kälbchen im Stall schaffen eine warm-herzliche Atmosphäre, der Tannenschmuck an allen Wänden, die Weihnachtsbäume und der AbendstimmungHintergrund, von Hartmut Lux vor zwanzig Jahren gemalt, trägt dazu bei, dass einem das Herz aufgeht. Es waren an solchen Tagen schon mal minus 11° Celsius. Kein Grund für die Kumpanei nicht zu spielen und kein Grund für die Zuschauer nicht zu kommen. „Hier feiern wir Weihnachten! Zu Hause gibt's dann die Geschenke." Das war wohl das schönste Lob, welches wir im Laufe der vielen Jahre gehört haben. Maria und Josef sitzen an der Krippe, sie haben keine Herberge gefunden, die drei Wirte sind ungnädig und lassen sie nicht in ihr Haus. Der „gute" Wirt lässt sie wenigstens in den kalten Stall. Hier erscheint der Engel Gabriel, um die Geburt zu verkünden und singt „Gloria, gloria" vom Klavier begleitet, was bei den wechselnden Temperaturen im Stall nicht gerne seine Stimmung hält, wir alle haben uns daran gewöhnt. Und dann erfahren es die Hirten, einer wie der andere heitere Gesellen und, wie es unter Brüdern so zugeht, sind sie auch manchmal darauf aus, dem anderen eine Finte zu schlagen – nicht böswillig – nur um des Spaßes willen. Die Kinder in den ersten Reihen auf den Strohballen erwarten schon die leckeren Kekse, wenn es heißt: „Von mei Wei hab I Nulln und Kletzen mitgebracht, nu seis a guts Nachtmahl gemacht." Ehrfürchtig, andächtig knien sie später an der Krippe nieder und beten zum Kindelein. Die Spielschar hatte sich in manchen Proben vorbereitet, auch hier ging es stets lustig und heiter zu, hier gab es manchen Scherz, der in der Aufführung dann keinen Platz mehr hatte. Vor der Aufführung wird die Weihnachtserzählung aus dem Lukas-Evangelium gelesen, denn Ernst waltet ebenso in der Kumpanei wie Heiterkeit und wie anders soll man sich denn vorbereiten, ein heiliges Geschehen zu spielen? Die Augen der Kinder im Stall strahlen uns an, altbekannte Gesichter, die immer wieder kommen erkennen wir im Publikum, aus Soest, aus Arnsberg, aus der weiteren Umgebung, sogar Freunde aus Hannover kommen. Der Stall wird wieder voll werden. Letztes Jahr mussten wir dreißig Menschen nach Hause schicken, das ist traurig, das tut weh – auch der Kumpanei, die standen dann eine Zeit lang vor dem Stall, das kleine Kind auf den Schultern des Vaters, draußen, in der Kälte, im Wind – wie Maria und Josef es erlebt hatten. Hoffentlich kommen dieses Jahr viele am vierten Advent, dann brauchen wir am Heiligen Abend niemanden nach Hause zu schicken.- Wir freuen uns schon. Für die Kumpanei Euer Jörg Schröder

Christgeburtsspiel: So. 18.12.2016, 16:30 Uhr Gärtnerhof Röllingsen, im Stall Sa. 24.12.2016, 16:30 Uhr Gärtnerhof Röllingsen, im Stall 31

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Wie jedes Jahr sollte auch in diesem die sechste Klasse das weihnachtliche Krippenspiel aufführen. Mitte November begann Lehrer Larssen mit den Vorbereitungen, wobei zunächst die verschiedenen Rollen mit begabten Schauspielern besetzt werden mussten. Thomas, der für sei Alter hoch aufgeschossen war und als Ältester von vier Geschwistern häufig ein ernstes Betragen an den Tag legte, sollte den Joseph spielen. Tinchen, die lange Zöpfe hatte und veilchenblaue Augen, wurde einstimmig zur Maria gewählt, und so ging es weiter, bis alle Rollen verteilt waren bis auf des engherzigen Wirts, der Maria und Joseph, die beiden Obdachsuchenden, von seiner Tür weisen sollte. Es war kein Junge mehr übrig. Die beiden Schülerinnen, die ohne Rolle ausgegangen waren, zogen es vor, sich für wichtige Arbeiten hinter der Bühne zu melden. Nun war guter Rat teuer. Sollte man jemanden aus einer anderen Klasse bitten? Und wen? Und waren nicht bisher alle sechsten Klassen ohne solche Hilfe ausgekommen? Joseph, alias Thomas, hatte den rettenden Einfall. Sein kleiner Bruder würde durchaus in der Lage sein, diese unbedeutende Rolle zu übernehmen, für die ja nicht mehr zu lernen war als ein einziger Satz -nämlich im rechten Augenblick zu sagen, dass kein Zimmer frei sei. Lehrer Larssen stimmte zu, dem kleinen Tim eine Chance zu geben. Also erschien Thomas zur nächsten Probe mit Tim an der Hand, der keinerlei Furcht zeigte. Er hatte sich die Hände gewaschen und die Haare nass gebürstet und wollte den Wirt gerne spielen. Mit Wirten hatte er gute Erfahrungen gemacht, wenn er mit den Eltern ausgehen durfte oder wenn die Familie in den Ferien verreiste. Er bekam eine blaue Mütze auf den Kopf und eine Latzschürze umgebunden, was ihn als Herbergsvater kennzeichnen sollte; die Herberge selbst war, wie alle anderen Kulissen, noch nicht fertig. Tim stand also mitten auf der leeren Bühne, und es fiel ihm leicht zu sagen, nein, er habe Nichts, als Joseph ihn drehbuchgetreu mit Maria an der Hand nach einem Zimmer fragte. Wenige Tage darauf legte Tim sich mit Masern ins Bett, und es war reines Glück, dass er zum Aufführungstag gerade noch rechtzeitig wieder auf die Beine kam. In der Schule herrschten Hektik und Feststimmung, als er mit seinem großen Bruder eine Stunde vor Beginn der Weihnachtsfeier erschien. Auf der Bühne hinter dem zugezogenen Vorhand blieb er überwältigt vor der Attrappe seiner Herberge stehen: sie hatte ein vorstehendes Dach, eine aufgemalte Laterne und ein Fenster, das sich aufklappen ließ. Thomas zeigte ihm, wie er auf das Klopfzeichen von Joseph die Läden aufstoßen sollte. Die Vorstellung begann. Joseph und Maria betraten die Bühne, wanderten schleppenden Schrittes zur Herberge und klopften an. Die Fensterläden öffneten sich und heraus schaute Tim unter seiner großen Wirtsmütze.

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„Habt Ihr ein Zimmer frei?“ fragte Joseph mit müder Stimme. „Ja, gerne“, antwortete Tim freundlich. Schweigen breitete sich aus im Saal und erst recht auf der Bühne. Joseph versuchte vergeblich, irgendwo zwischen den Kulissen Lehrer Larssen mit einem Hilfezeichen zu entdecken. Maria blickte auf ihre Schuhe. „Ich glaube, Sie lügen“, entrang es sich schließlich Josephs Mund. Die Antwort aus der Herberge war ein unüberhörbares „Nein!“. Dass die Vorstellung dennoch weiterging, war Josephs Geistesgegenwart zu verdanken. Nach einer weiteren Schrecksekunde nahm er Maria an der Hand und wanderte ungeachtet des Angebotes weiter bis zum Stall. Hinter der Bühne waren inzwischen alle mit dem kleinen Tim beschäftigt. Lehrer Larssen hatte ihn zunächst vor dem Zorn der anderen Schauspieler in Schutz nehmen müssen, bevor er ihn zur Rede stellte. Tim erklärte, dass Joseph eine so traurige Stimme gehabt hätteda hätte er nicht nein sagen können und zu Hause hätten sie auch immer Platz für alle, notfalls auf der Luftmatratze. Herr Larssen zeigte Mitgefühl und Verständnis. Dies sei doch eine Geschichte, erklärte er, und die müsse man genauso spielen, wie sie aufgeschrieben sei – oder würde Tim zum Beispiel seiner Mutter erlauben, dasselbe Märchen einmal so und dann wieder ganz anders zu erzählen, etwa mit einem lieben Wolf und einem bösen Rotkäppchen? Nein, das wollte Tim nicht und bei der nächsten Aufführung wollte er sich Mühe geben, ein böser Wirt zu sein; er versprach es dem Lehrer in die Hand. Die zweite Aufführung fand im Gemeindesaal der Kirche statt und war, wenn möglich, für alle Beteiligten noch aufregender. Konnte man wissen, wer alles zuschauen würde? Unter ärgsten Androhungen hatte Thomas seinem kleinen Bruder eingebläut, dieses Mal auf Josephs Anfrage mit einem klaren „Nein“ zu antworten. Als die beiden Brüder um die Ecke des Gemeindehauses bogen, bekam Tinchen-Maria rote Flecken am Hals und flüsterte Thomas zu, eine zweite Panne würde sie nicht überleben. Der große Saal war voll bis zum letzten Sitzplatz. Dann ging der Vorhang auf, das heilige Paare erschien und wanderte – wie es aussah etwas zögerlich – auf die Herberge zu. Joseph klopfte an die Läden, aber alles blieb still. Er pochte erneut, aber sie öffneten sich nicht.

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Maria entrang sich ein Schluchzen. Schließlich rief Joseph mit lauter Stimme „Hier ist wohl kein Zimmer frei??“ In die schweigende Stille, in der man eine Nadel hätte fallen hören, ertönte ein leises, aber deutliches „Doch“. Für die dritte und letzte Aufführung des Krippenspiels in diesem Jahr wurde Tim seiner Rolle als böser Wirt enthoben. Er bekam Stoffflügel und wurde zu den Engeln im Stall versetzt. Sein „Halleluja“ war unüberhörbar und es bestand kein Zweifel, dass er endlich am richtigen Platz war. Ruth Schmidt-Mumm

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