LIE–GRUPPEN EMANUEL SCHEIDEGGER Zusammenfassung. Definition einer Lie-Gruppe, Beispiele, invariante Vektorfelder, Lie-Klammer, Lie-Algebra (einer Lie-Gruppe), Exponentialabbildung.

1. Definition und erste Beispiele Wir beginnen mit der Definition des Begriffs einer Lie–Gruppe: Definition 1. Eine Lie–Gruppe ist eine glatte Mannigfaltigkeit G mit einer glatten Abbildung µ : G × G → G, so dass (G, µ) eine Gruppe mit Multiplikation µ ist. Ein Lie–Gruppen–Homomorphismus ist ein glatter Gruppenhomomorphismus zwischen Lie–Gruppen. Die beiden einfachsten Beispiele von Lie–Gruppen sind folgende: Beispiel 2. Jeder endlich–dimensionale reelle Vektorraum ist mit seiner additiven Gruppenstruktur kanonisch eine Lie–Gruppe. Bis auf Isomorphie erhalten wir also die Lie–Gruppen Rn , n ∈ N0 . Beispiel 3. Wir fassen S 1 = {z ∈ C||z| = 1} als multiplikative Untergruppe von C× = C \ {0} auf. Mittels des Isomorphismus R/Z ∼ = 1 2πit S ,t → e ist R/Z eine Lie–Gruppe. Es seien G, H zwei Lie–Gruppen, dann ist die Produktmannigfaltigkeit G × H versehen mit der Produkt–Gruppenstruktur ebenfalls eine Lie–Gruppe. Beispiel 4. Der Torus T n = (R/Z)n ist eine Lie–Gruppe. Beispiel 5. Es sei V ein endlich–dimensionaler Vektorraum u ¨ber R oder C. Dann ist Aut(V ) = {A ∈ End(V )| det(A) �= 0} eine glatte Mannigfaltigkeit. Nach Einf¨ uhrung von Koordinaten wird die Gruppenoperation mit der Matrixmulplikation identifiziert. Diese ist algebraisch, also glatt, somit Aut(V ) ist eine Lie–Gruppe, z. B. GL(n, Rn ) = AutR (Rn ) und GL(n, Cn ) = AutC (Cn ). Die Gruppe GL(n, Rn ) ist kanonisch isomorph zur Gruppe der invertierbaren n × n–Matrizen. Wir werden also GL(n, Rn ) und ihre klassischen Untergruppen als Matrixgruppen auffassen. Wir werden nun zeigen, dass abgeschlossene Untergruppen von Lie– Gruppen wiederum Lie–Gruppen sind. 1

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2. Linksinvariante Vektorfelder und Einparametergruppen In diesem Abschnitt beschrieben wir die Eigenschaften des Tangentialraums und von Vektorfeldern von Lie–Gruppen. Definition 6. Sei a ∈ G. Dann definiert a eine Linkstranslation la : G → G, g → ag mit der inversen Abbildung (la )−1 = la−1 . Proposition 7. Das Tangentialb¨ undel einer Lie–Gruppe ist trivial, ∼ d.h. T G = G × Te G, wobei e ∈ G das neutrale Element ist. Beweis. Zu zeigen: Es gibt einen Vektorb¨ undel–Isomorphismus G × ∼ Te G = T G, (g, v) �→ (T lg )e (v). G × Te G �

TG

pr1



π =



�G G Linearit¨at, Injektivit¨at und Surjektivit¨at in der Faser sind leicht zu u ufen. � ¨berpr¨

Definition 8. Der Vektorraum LG = Te G heisst Lie–Algebra von G. Ein Lie–Gruppen–Homomorphismus f : G → H induziert einen Homomorphismus von Lie–Algebren Lf = T f : LG → LH. Definition 9. Ein Vektorfeld X : G → T G heisst links–invariant, falls T la (X) = X, ∀ a ∈ G, d.h. falls T la (Xg ) = Xag , ∀ a, g ∈ G. Proposition 10. {Links–invariante Vektorfelder auf G} ∼ = LG. Beweis. F¨ ur v ∈ LG existiert ein konstanter Schnitt g �→ (g, v) von G× LG. Wegen G × LG ∼ = T G erhalten wir ein Vektorfeld g → (T lg )e (v). Die Abbildung v �→ Xg = (T lg )e (v) definiert dann einen kanonischen Isomorphismus von Vektorr¨aumen. � Definition 11. Eine Kurve γ : I → M heisst Integralkurve von X ∈ Γ(T M ), falls γ � = Xγ , d.h. falls γ � (t) = Xγ(t) , ∀ t ∈ I. � In lokalen Koordinaten schreiben wir X(x) = i ai (x) ∂x∂ i und γ(t) = (γ1 (t), . . . , γn (t)) und die Bedingung in Definition 11 lautet dann γi� (t) = ai (γ1 (t), . . . , γn (t)), i = 1, . . . , n, also ist γ eine L¨osung eines Systems von DGL 1. Ordnung. Nach dem Existenz– und Eindeutigkeitssatz f¨ ur solche DGL existiert in jedem Punkt von M genau eine maximale Integralkurve. Definition 12. Der Fluss eines Vektorfelds X ∈ Γ(T M ) ist die Abb. Φ : R × M → M definiert durch Φ(t, p) = γp (t), wobei γp (t) die maximale Integralkurve durch den Punkt p ∈ M ist. Proposition 13.

(1) Φ(0, p) = p.

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(2) Φ(s, Φ(t, p)) = Φ(s + t, p). (3) Φ(t, p)−1 = Φ) = t, p. � ∂ � Aus dem Fluss erhalten wir das Vektorfeld zur¨ uck: X(p) = ∂t Φ(t, p) ∈ t=0 Tp M . Sei nun X ∈ LG und γ eine Integralkurve von X, dann ist lg γ ebenfalls eine Integralkurve ∀ g ∈ G, d.h. γg = lg γe . Durch Translation kann also das Existenzintervall von γ auf ganz R ausgedehnt werden. Also sind alle Existenzintervalle maximaler Integralkurven gleich R und wir k¨onnen den Fluss schreiben als Φ(t, g) = gγ X (t), wobei γ X die Integralkurve f¨ ur X ∈ LG mit γ X (0) = e ist. Definition 14. Eine Einparameter–Gruppe von G ist ein Lie–Gruppen– Homomorphismus γ : R → G. 1:1

Proposition 15. {Einparameter–Gruppen von G} ←→ LG, γ �→ γ � (0). Beispiel 16. (1) Sei V ein endlich–dimensionaler Vektorraum. Dann ist LV ∼ = V und γ v (t) = tv, v ∈ LV . (2) Sei V wie in (1). Dann ist L(Aut(V )) = End(V ), da Aut(V ) eine offene Untermannigfaltigkeit von End(V ) ist. Die A ∈ End(V ) entsprechende Einparameter–Gruppe ist γ A : R → Aut(V ) t �→ exp(tA) =

� 1 (tA)n n! n≥0

Proposition 17. Es seien X, Y ∈ LG. Dann ist der Kommutator [X, Y ] wiederum links–invariant, also in LG und erf¨ ullt [X, Y ] = −[Y, X],

[[X, Y ], Z] + [[Y, Z], X] + [[Z, X], Y ] = 0.

Jacobi–Identit¨at

Die beiden Relationen definieren ganz allgemein eine Lie–Algebra auf Γ(T M ). Definition 18. Ein innerer Automorphismus der Form c(g) : G → G, a �→ gag −1 heisst Konjugation. Das Differential von c(g) im Ursprung heisst adjungierte Darstellung von G auf LG: Ad : G → Aut(LG), g �→ Te c(g). Ad ist ein Lie–Gruppen–Homomorphismus und induziert einen Lie– Algebra–Homomorphismus ad = Te Ad : LG → L(Aut(LG)) = End(LG). � � ∂ � ∂ � X Aus der Definition folgt direkt, dass ad(X)Y = ∂s c(γ (s))γ Y (t). 0 ∂t 0 Proposition 19. ad(X)Y = [X, Y ].

Anstelle eines Beweises zeigen wir diese zentrale Eigenschaft anhand des Beispiels 16 (2).

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Beispiel 20. Die Einparameter–Gruppen f¨ ur X, Y ∈ L(Aut(V )) = End(V ) sind Fkt. (R, 0) �→ (Aut(V ), 11) so dass γ X (s) = 11 + sX mod s2 und γ Y (t) = 11+tY mod t2 . Also ist c(γ X (s))γ Y (t) = γ X (s)γ Y (t)γ X (−t) = 11 + tY + st(XY − Y X) mod (s2 , t2 ) und somit ad(X)Y = [X, Y ], hier der Kommutator der Matrixmultiplikation. Dies ist u ¨brigens die Art und Weise wie Lie–Algebren in der Physik eingef¨ uhrt werden: G beschreibt eine Symmetrie z.B. Rotationen im Rn und X ist die zugeh¨orige infinitesimale Transformation. 3. Die Exponentialabbildung Hier f¨ uhren wir die wichtigste Abbildung in der Theorie der Lie– Gruppen ein: Definition 21. Die Abbildung exp : LG → G, X �→ γ X (1) heisst Exponentialabbildung. Proposition 22. Die Exponentialabbildung ist glatt und T0 exp = idLG . Beweis. Die Einparametergruppen s → γ tX (s) und s → γ X (ts) geh¨oren zum selben Vektor tX ∈ LG, sind also gleich. Damit ist exp(tX) = γ tX (1) = γ X (t). Betrachte nun die Abb. R × G × LG → G × LG, (t, g, X) → (gγ ( X)(t), X). Das ist gerade der Fluss auf G × LG des Vektorfelds (g, X) �→ (X(g), 0) und ist also glatt. Dann ist � auch die Ein∂ � schr¨ankung 1×e×LG → G ist auch glatt. Schliesslich ∂t exp(tX) = t=0 X. � Wir k¨onnen als eine Einparameter–Gruppe γ X einfach durch t �→ exp(tX) beschreiben. Ein Lie–Gruppen–Homomorphismus f : G → H induziert ein kommutatives Diagramm LG

Tf



LH

exp

✤ X  �

T f (X) 



exp

G

f





H



γ X (1) ✤ �



f ◦ γ X (1)

exp ist ein lokaler Diffeomorphismus, d.h. ist lokal invertierbar in 0 ∈ LG. Korollar 23. Ein Homomorphismus zusammenh¨angender Liegruppen ist durch sein Differential bestimmt. Beispiel 24. Sei G = � Aut(V ), dann ist LG = End(V ) und nach Beispiel 16 ist exp(A) = n≥0 n!1 An . Das ist der Ursprung des Begriffs Exponentialabbildung. Satz 25. Eine zusammenh¨angende abelsche Lie–Gruppe ist von der Form G ∼ = T k × Rn .

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Korollar 26. Eine kompakte abelsche Lie–Gruppe ist von der Form G∼ = T k × Γ, wobei Γ eine diskrete Gruppe ist. Definition 27. Eine Lie–Untergruppe einer Lie–Gruppe G ist ein injektiver Lie–Gruppen–Homomorphismus f : H → G. Proposition 28. Eine Lie–Untergruppe ist immer eine Immersion, d. h. Th f ist injektiv f¨ ur alle h ∈ H. Beweis. Es reicht dies f¨ ur Te f zu zeigen. Da exp ein lokaler Diffeomorphismus in 0 ist, folgt die Behauptung aus obigem kommutativen Diagramm. � Definition 29. Eine Abb. f : N → M heisst Einbettung, falls f (N ) eine Untermannigfaltigkeit von M und f : N → f (N ) ein Diffeomorphismus ist. Nicht jede Lie–Untergruppe ist eine Einbettung von Mannigfaltigkeiten. Ein allgemeines Kriterium ist Proposition 30. Eine injektive Immersion f : N → M ist eine Einbettung, falls f : N → f (N ) ein Hom¨oomorphismus ist. F¨ ur eine Lie–Untergruppe H ist f : H → f (H) nicht notwendigerweise ein Hom¨oomorphismus. Ein wichtiges Gegenbeispiel stellt der Gruppenhomomorphismus Z → S 1 , n → ein dar. Das Bild liegt dicht in S 1 . Definition 31. Eine abstrakte Untergruppe H eine Lie–Gruppe G ist eine Untergruppe von G aufgefasst ohne ihre glatte Struktur. Satz 32. Eine abstrakte Untergruppe H einer Lie–Gruppe G ist genau dann eine Untermannigfaltigkeit von G, wenn H in G abgeschlossen ist. Beispiel 33. (1) Die Gruppe GL(n, R) besitzt zwei Zusammenhangskomponenten auf denen das Vorzeichen der Determinante konstant ist. Automorphismen mit positiver Determinante bilden eine offene und abgeschlossene Untergruppe GL+ (n, R). (2) Die spezielle linear Gruppe u ¨ber R ist SL(n, R) = {A ∈ GL(n, R)| det(A) = 1}, analog f¨ ur R statt C. (3) Die orthogonale Gruppe O(n) = {A ∈ GL(n, R)|AT A = 11}. (4) Die unit¨are Gruppe U(n) = {A ∈ GL(n, C)|A∗ A = 11}. (5) Die spezielle orthogonale Gruppe SO(n) = {A ∈ O(n)| det A = 1}. (6) Die spezielle unit¨are Gruppe SU(n) = {A ∈ U(n)| det A = 1}. Die Gruppen (2) bis (6) sind kompakt, da sie abgeschlossen und beschr¨ankt in einem endlich–dimensionalen Vektorraum sind.