Lernen von Lesen. 4. Semester, 6.Semester. 5. Semester 5. Semester

Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt am Main SS 2007 Seminar: Psychologische Aspekte von Lernen in der Schule Fachbereich 05 Dozent: Prof. Büt...
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Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt am Main SS 2007 Seminar: Psychologische Aspekte von Lernen in der Schule Fachbereich 05 Dozent: Prof. Büttner

Lernen von Lesen

Ezgi Alpay 4. Semester, L3 Deutsch, Englisch [email protected]

Julia Hartl 6.Semester L2 Deutsch, Geschichte [email protected]

Marie-Hélène Hohmann 5. Semester L1 Deutsch, Sachunterricht [email protected]

Jennifer Möller 5. Semester L1 Deutsch, Sachunterricht [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Julia Hartl: 1. Was passiert zwischen Auge und Gehirn?..........................................................................3 2. Die 2 Arten des Lesens ..........................................................................................................3 2.1 Visuelle Information........................................................................................................3 2.2 Nichtvisuelle Information.................................................................................................3

3. Top – Down und Bottom – up..............................................................................................4

Ezgi Alpay: 4. Psychologische Aspekte des Lesenlernens ..........................................................................5 4.1 Phonologische Bewusstheit...............................................................................................5 4.2 Das Dekodieren von Zeichen zu Wörtern – Das Worterkennen........................................6

Jennifer Möller und Marie – Hélène Homann:

5. Was ist Lesekompetenz?.......................................................................................................7

6. Lesesozialisation - Lesesozialisationsinstanzen..................................................................8

7. Individuelle Voraussetzungen für das Lesen....................................................................10

8. Einfluss der Motivation auf die Lesekompetenz .............................................................10

9. Lesen kann man lernen.......................................................................................................12

Literaturverzeichnis..................................................................................................................14

2

1. Was passiert zwischen Auge und Gehirn? Die Augen sehen das, was vom Gehirn gesteuert wird. Somit sorgt das Gehirn dafür, was gesehen wird und was nicht. 1 3 Hauptgesichtspunkte vom visuellen Wahrnehmen sind: 1.

Das Auge sieht nicht alles, was sich vor ihm befindet

2.

Das Gehirn realisiert nicht sofort, was die Augen wahrnehmen

3.

Das Gehirn empfängt nicht ununterbrochen die Informationen, die das Auge ihm liefert.

Daher kann man für das Lesen ableiten: I Lesen muss schnell vonstatten gehen. 2 II Lesen muss selektierend sein. III Lesen hängt davon ab, was der Leser weiß.

2. Die 2 Arten des Lesens 2.1 Visuelle Information Unter der Visuellen Information versteht man das, was das Auge sieht. In diesem Fall wären es die gedruckten Buchstaben, die es lesen soll. Die visuelle Wahrnehmung wird eingestellt, sobald das Auge kein Licht mehr zum Lesen erhält. 3

2.2 Nichtvisuelle Information Wenn man das, was man liest, dann auch noch versteht, dann findet man eine Verarbeitung der „nichtvisuelle Information“ vor. Bei der visuellen Wahrnehmung muss der Leser nicht gleich automatisch verstehen, was er da liest. Zum Beispiel kann ihm ein Text in einer ihm unbekannten Sprache vorliegen. Der Leser nimmt die Buchstaben, bzw. Zeichen, trotzdem wahr. Daher setzt die nichtvisuelle Information Kenntnis voraus um den Text auch wirklich zu verstehen. Das Wissen, wie man liest, ist ebenfalls ein Teilaspekt der nichtvisuellen Information. Sie hat somit nichts mit der Beleuchtung, dem Gedruckten an sich sowie dem Zustand der Augen zu tun. Sie unterscheidet sich von der Visuellen Wahrnehmung einfach darin, dass sie nicht verschwindet, sobald das Licht nicht mehr vorhanden ist.

1

Smith, Frank. Understanding reading. New Jersey, 1988. S. 64 . Ebd. S.64. 3 Ebd. S. 65. 2

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Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Wahrnehmungstypen ist sehr wichtig, gerade weil eine Wechselbeziehung zwischen ihnen besteht. Somit ist das Lesen ist nicht nur eine visuelle Aktivität. Die visuelle Information wird dem Leser durch den vorliegenden Text geliefert, die nichtvisuelle Information benötigt er dagegen.

Wenn das Licht oder die Druckqualität des Textes nicht so gut ist, wird man leichte und bekannte Texte auch so lesen können. Unbekannte Texte fordern vom Leser mehr Konzentration, bessere Beleuchtung, mehr Zeit, etc.

Warum ist das Lesen für Kinder schwerer zu lernen und zu praktizieren? Sie haben weniger Hintergrundinformationen, was bei ihnen eine fehlende nichtvisuelle Wahrnehmung erzeugt. Ähnlich wie Kinder haben auch ältere Leseanfä nger mit dem Lesen Probleme, da es ihnen an Wissen und Lesestrategien mangelt, die sie sich nur schwer aneignen können. 4 3. Top Down und Bottom up5 Top Down: Inside out Unter dem Begriff Top – Down versteht man, dass der Leser entscheidet in welcher Art und Weise er sich einem Text nähert. Wie er ihn behandelt und interpretiert. 6 Es wird ein System aktiviert, dass die Vereinigung zwischen Buchstaben und Phonemen ermöglicht. 7

Bottom up: Outside in Bei dem Bottom – up Phänomen spricht man jedoch davon, dass der Text selbst dafür verantwortlich ist, auf welche Antworten der Leser beim Lesen kommt. Anstatt der Wortbedeutungen werden nun die Buchstaben und Phoneme einzeln dafür ausschlaggebend. 8 Man hat es oft, dass man beides vorfindet. Und kein Top - Downer würde den Anspruch erheben, dass Lesen keine Wechselwirkung mit dem Text wäre.

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Byrnes, Byrnes, J. P.: Cognitive development and learning in instructional contexts (2nd ed.). Needham Heights, MA: Allyn & Bacon. 2001.S. 159. 5 Smith, Frank. Understanding reading. New Jersey, 1988. S. 217-218. 6 Ebd. S. 218. 7 Robeck and Wallace, The psychology of reading, New Jersey 1990, S. 74. 8 Robeck and Wallace, The psychology of reading, New Jersey 1990, S. 74.

4

4. Psychologische Aspekte des Lesenlernens Beim Lernen von Lesen spielen vier kognitive Prozesse eine wichtige Rolle. Der erste Prozess besteht daraus, Lauteinheiten (Phoneme) zu erkennen, die Wörter bilden. Der zweite Prozess beschäftigt sich mit der Dekodierung von Zeichen zu Wörtern, also mit dem Wirterkennen. Den dritten Prozess bildet das Übertragen/Zuordnen der einzelnen Wortbedeutung in das Langzeitgedächtnis. Be im letzen Prozess werden die Wörter in schlüssige Sätze integriert.

4.1

Phonologische Bewusstheit

Zur phonologischen Bewusstheit gehört das Wissen, das Wörter aus Lauteinheiten bestehen und umgekehrt das Lauteinheiten zu Wörtern kombiniert werden können. Das Wort „Hut“, zum Beispiel, besteht aus den drei Phonemen: /h/, /u/ und /t/. Die phonologische Bewusstheit bezieht sich erstens auf den Prozess ein gesprochenes Wort in Lauteinheiten (Phoneme) zu trennen, wie im oben genannten Beispiel, und zweitens auf den Prozess Phoneme zu produzieren und miteinander zu kombinieren. Zur phonologischen Bewusstheit gehören also die Fähigkeiten Wörter in Phoneme zu segmentieren (das englische Wort „no“ in die Phoneme /n/ und /o/ zu segmentieren) und Phoneme zu Wörtern zu kombinieren (die englischen Phoneme /n/, /i/, /s/ zu dem Wort „nice“ zu kombinieren). Neben der Segmentierung von Wörtern und Kombination von Phonemen gehören auch die Tilgung und Substitution von Phonemen zur phonologischen Bewusstheit. Durch Tilgung des ersten („top“ ohne /t/ à „op“) oder letzten Phonems („same“ ohne /m/ à „sa“ (wie in „say“) kann man neue Wörter zu kreieren. Auch die Substitution von Phonemen gehört zur phonologischen Bewusstheit, wenn man zum Beispi l beim Wort „park“ statt des /k/ ein /t/ einfügt, sodass „part“ entsteht. 9 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die phonologische Bewusstheit aus der Fähigkeit besteht zu erkennen, dass Sätze aus Wörtern, Wörter aus Silben und Silben aus Lauten aufgebaut sind, dass manche Wörter länger und andere kürzer sind.

4.2

Das Dekodieren von Zeichen zu Wörtern – Das Worterkennen

„Für das Hauptziel des Lesens, das Verständnis von Texten, spielt die Erfassung der Bedeutung einzelner Wörter eine zentrale Rolle.“10 Das Dekodieren von Zeichen zu Wörtern beinhaltet den Prozess geschriebene Wörter lesen, also in Laute „übersetzen“ zu können. 9

Richard E. Mayer: Learning and Instruction, New Jersey 2003, S. 39. Ch. Klicpera & B. Gasteiger-Klicpera: Psychologie der Lese- und Schreibschwierigkeiten. Der Leseprozess beim geübten Leser Kapitel 2, Weinheim 1995, S. 13. 10

5

Der Lesevorgang besteht aus einer sequentiellen Fixierung einzelner Wörter, die jeweils von einer kurzen Augenbewegung (Sakkade) zum nächsten Wort gefolgt wird, demzufolge handelt es sich um ein Wort für Wort Lesen. Die durchschnittliche Lesegeschwindigkeit beim leisen Lesen beträgt ca. 250 bis 300 Wörter pro Minute. Wenn die Aufnahme und Verarbeitung visueller Informatio nen keine Anstrengung mehr erfordert, spricht man von einem automatisierten Vorgang (automaticity effect11 ), der es nicht nötig macht, die Aufmerksamkeit speziell darauf zu richten. Nach kurzer Zeit kann der geübte Leser handgeschriebene Texte verschiedener Personen sowie stark entstellte Schriftzüge ohne größere Mühe lesen. Man kann sich von den konkreten Merkmalen des Schrifttyps weitgehend unabhängig machen und die Identität der Buchstaben, aus denen die Wörter gebildet sind, trotzdem schnell erkennen. Auch der Wortüberlegenheitseffekt gehört zur Fähigkeit des Dekodierens. Geübte Leser können Buchstaben in Wörtern schneller und einfacher wahrnehmen als einzelne Buchstaben. Buchstaben sind demzufolge innerhalb eines Wortes (z.B. beim Wort „WURM“) einfacher zu identifizieren, als wenn sie einzeln stehe n (z.B. „U“) oder innerhalb von Pseudowörtern („RUMW“). Verschiedene Theorien für dieses Phänomen sind: 1.Wörter werden aufgrund ihrer vertrauten Gestalt als Einheit erkannt (Cattell 1886), 2. Besseres Behalten von größeren, sinnvollen Einheiten, 3. die Tendenz, aufgrund wahrgenommener Teile die Identität des Wortes zu erraten. Geübte Leser besitzen und benutzen auch Aussprachestrategien, um Buchstaben oder Buchstabengruppen zu Wörtern zu kombinieren. Sie haben den Wortdekodierungsprozess, zu dem auch der Gebrauch des Wortkontextes gehört, um Buchstabenlaute zu identifizieren und der Gebrauch von Aussprachestrategien gehört, um Buchstaben zu kombinieren, automatisiert. Der Kontext, in dem ein Wort vorkommt übt nur einen geringen Einfluss auf das Worterkennen aus. Die Geschwindigkeit des Worterkennens ist beim geübten Leser so groß, dass Wörter auch ohne Hilfe des Kontextes rascher erkannt werden können. Experimente haben gezeigt, dass das Worterkennen beim geübten Leser ein derart rasch ablaufender und automatisierter Prozess ist, sodass bewusste Vorhersagen über die zu lesenden Wörter kaum eine Rolle spielen. Im Gegensatz zum geübten Leser tendieren Leseanfänger dazu, sich auf den Kontext der anderen im Satz vorkommenden Wörter zu verlassen, um die Bedeutung des Wortes zu erkennen.

11

Richard E. Mayer: Learning and Instruction, New Jersey 2003, S. 48.

6

5. Was ist Lesekompetenz? Unter Lesekompetenz oder auch reading literacy versteht man die Fähigkeit, Schriftliches zu verstehen und zu nutzen. Das kompetente Lesen wird als ein Teilbereich der sprachlichen Kompetenz betrachtet. Die Lernpsychologie nennt zwei kognitive Prozesse des Textverstehens, die zusammen ein kompetentes Lesen ermöglichen. Der erste Prozess ist das Entschlüsseln und Nutzen der im Text enthaltenen Informationen. Der zweite Prozess bezieht sich darauf, die aufgenommenen Informationen mit dem Vorwissen zu verknüpfen. Die Qualität dieser beiden kognitiven Abläufe, kann durch gezielte Maßnahmen förderlich beeinflusst werden. Voraussetzung für diese ist jedoch die Fertigkeit der Buchstaben- und Worterkennung, die Kenntnis von Wortbedeutungen, sowie ein automatisierter Lesefluss, welche zu den hierarchieniedrigen Prozessen gezählt werden. 12 Je nach ihrem Automatisierungsgrad bezeichnet man die kognitiven Prozesse, die beim Lesen ablaufen, als hierarchieniedrig oder hierarchiehoch. Zu erstgenannten zählt weiterhin auch das Erkennen von Bedeutungsinhalten eines Satzes bis hin zu einem Textabschnitt. Bei disfluenten Lesern, die sich Wort für Wort in einem Text voran arbeiten müssen, sind die hierarchieniedrigen Prozesse noch nicht ausreichend automatisiert. So können sie auch kaum zu hierarchiehohen Verstehensleistungen vordringen.

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Wie empirische Untersuchungen

zeigen, besteht jedoch die Möglichkeit diese Fertigkeiten zu trainieren und so die Lesekompetenz zu verbessern. Dies wird einerseits durch den Einsatz von bestimmten Lesestrategien möglich, die auf die hierarchiehohen Prozesse einwirken und andererseits durch das Aneignen eines großen Wortschatzes, sowie durch Übungen, die das Erkennen von Wörtern erleichtern (Dekodierungsfähigkeit) und somit auf die hierarchieniedrigen Prozesse einwirken. Auch das Wissen um verschiedene Textsorten mit ihren unterschiedlichen Mustern ist dabei hilfreich.

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Lesekompetenz ist in vielerlei Weise wichtig, um am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilnehmen zu können und Bildung zu erwerben. Die OECD-PISA Studie, welche die Lesekompetenz untersuchte, hat gezeigt, dass es an deutschen Schule viele schwache Leser gibt, die über keine ausgereifte Lesekompetenz verfügen. 15

12 13 14 15

Vgl. Gold 2007, S. 11 Vgl. Gold 2007, S. 18f Vgl. Gold 2007, S. 21 Vgl. Gold 2007, S. 12f

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Zu beachten ist, dass sich das Verständnis von Lesekompetenz hierbei nur auf die kognitiven Dimensionen des Textverstehens bezieht. In der Deutschdidaktik hingegen wird das Augenmerk auch auf „…die Interessen und Motive, die einen Leseprozess vorbereiten sowie die Gefühle, Reflexionen und [die] kommunikativen Prozesse im Anschluss an das Lesen“ gerichtet. 16

Der erfolgreiche Leser Erfolgreiche Leser haben ein hilfreiches Vorwissen über das was sie lesen und nutzen es auch. Sie setzen die Kapazität ihres Arbeitsgedächtnisses effizienter ein. Sie kennen und nutzen effektive Lesestrategien und wissen wann, wie und warum sie welche Strategie anwenden. Sie besitzen die Motivation diese Strategien einzusetzen, haben Vertrauen in ihre Lesefähigkeiten und sind bei der Herangehensweise an eine Leseaufgabe erfolgszuversichtlich. Sie freuen sich mehr über Erfolge, als dass sie sich über Misserfolge ärgern. Sie haben somit ein positives lesebezogenes Selbstkonzept. Kompetente LeserInnen zeichnen sich durch einen hohen Automatisierungsgrad der hierarchieniedrigen Verstehensprozesse aus. Sie sind lern- und lesemotiviert, sowie am Inhalt des Textes interessiert. 17

6. Lesesozialisation - Lesesozialisationsinstanzen Lesesozialisation

Literarische Sozialisation

Hiermit ist die Entwicklung der allgemeinen Unter

literarischer

Sozialisation

ist

die

Lesefähigkeit gemeint, d.h. die Fähigkeit Entwicklung des literarischen Verstehens auf jedwede Form der geschriebenen Sprache zu der Grundlage individueller, institutioneller rezipieren und zu verstehen.

und sozialer Bedeutungen zu verstehen. Die L. S. bildet den prototypischen Kern der Lesesozialisation.

Weiter Begriff

Enger Begriff

Die Familie wird von Bettina Hurrelmann (2004) als die früheste und wirksamste Lesesozialisationsinstanz angesehen. Eine Befragung (Hurrelmann, Hammer, Nieß (1993)) von Grundschulkindern im Alter von 9 bis 11 Jahren und ihren Eltern hat versucht familiäre Faktoren der Lesesozialisation zu ergründen. Die Lesefreude der Kinder hing mit dem

16 17

Gold 2007, S. 15 Gold, A. (2007), S. 37ff

8

Leseklima in der Familie zusammen. Die Forscher haben fünf Punkte herausgestellt, die das Leseklima bestimmen: •

„1. die soziale Einbindung des Lesens in den Alltag,



2. das kindgerechte allgemeine Kommunikationsverhalten in der Familie,



3. das Leseverhalten der Eltern,



4. das allgemeine Familienklima,



5. die Nutzung elektronischer Medien durch die Eltern.“18

Die ersten drei Punkte haben den größten Einfluss, der bedeutendste von ihnen ist jedoch die Einbindung des Lesens in den Familienalltag. Es zeigte sich, dass das Bildungsniveau der Eltern mit dem des Kindes korrelierte, genauer gesagt, eine Sozialschicht- und Bildungsabhängigkeit zur Lesekompetenz der Kinder ließ sich nachweisen. Neben der Familie spielen auch Kindergarten und Schule eine Rolle. Nach dem Schriftspracherwerb, dessen Vermittlung zumeist in der Schule stattfindet, ist es wichtig, dass sich eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Instanzen (Schule und Elternhaus) entwickelt, um das Leseinteresse der Kinder zu wecken und zu fördern. Der Freundeskreis hat ebenso Einfluss darauf wie viel ein Kind/Jugendlicher liest. Besonders in der Pubertät spielt die Peergroup eine große Rolle. Gibt es im Freundeskreis jemanden, mit dem ich mich über das Gelesene austauschen kann? Ist dies der Fall, so bleibt ein Jugendlicher auch im Alter der literarischen Pubertät (zwischen 13 und 16 Jahren), in dem sehr wenige Heranwachsende überhaupt noch freiwillig zu einem Buch greifen, ein Vielleser. 19

Lesen und Geschlecht Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind geringer als die Variabilitäten innerhalb der Gruppen der Mädchen und Jungen. Mädchen lesen im Mittel mehr und besser als Jungen und sind stärker auf literarische Texte hin orientiert. Jungen lesen häufiger Sachtexte. Wahrscheinlich ist dieser Unterschied aber eher der Genderproblematik, also der Sozialisation der Geschlechter in der Gesellschaft, zuzuordnen, als das dies biologischer Natur wäre. 20

18 19 20

Gold, A. (2007), S. 26 Gold, A. (2007), S. 26ff Gold, A. (2007), S. 32

9

7. Individuelle Voraussetzungen für das Lesen Für das Lernen überhaupt gilt, dass Emotionen, die Motivation und das Selbstkonzept wichtige Faktoren der individuellen Leistung darstellen. Neben einem funktionierendem Arbeitsgedächtnis, den vorhandenen Lernstrategien und dem nötigen Vorwissen zu einem Thema bezeichneten Hasselhorn und Gold (2006) diese als wesentliche individuelle Voraussetzungen des erfolgreichen Lernens. (INVO-Modell (INdividuelle VOraussetzungen) nach Hasselhorn und Gold) All diese Faktoren beeinflussen die kognitiven Prozesse der Informationsverarbeitung. Auf das Lesen bezogen, werden hier die hierarchieniedrigen und hierarchiehohen Verstehensprozesse beeinflusst. Doch genauso wirken sich diese Verstehensprozesse wiederum auf die oben genannten Determinanten aus. 21

8. Einfluss der Motivation auf die Lesekompetenz Unter Lesemotivation versteht man die Absicht zu lesen. Bei Leseanfängern ist die Motivation sehr hoch. Nach Beendigung des Schriftspracherwerbs mit etwa neun Jahren ist der erste Einbruch zu verzeichnen. Nur noch 65 Prozent der Kinder eines Jahrgangs zeigen Leseinteresse. Dieses sinkt daraufhin kontinuierlich ab bis zu einem Alter von etwa 13 Jahren. In diesem Alter ist das Interesse am Lesen nur noch bei 30 Prozent der Kinder vorhanden. Danach stagniert dieses bis zum 16. Lebensjahr. Wie die Lern- und Leistungsmotivation entsteht Lesemotivation aus unterschiedlichen Gründen:

Extrinsische Motivation Bsp.: Eine Person liest sehr viel über ein Thema, um ihr Wissen auf diesem Gebiet zu erweitern, um bei einer Klausur gut abzuschneiden. Man liest also nicht, weil das Thema an sich interessant ist, sondern weil man sich durch das rezipieren der Literatur etwas anderes erreichen möchte (in diesem Fall wohl eine gute Note, die das angestrebte Handlungsziel ist). Der Leser ist somit extrinsisch motiviert.

Intrinsische Motivation Eine Person ist intrinsich motiviert, wenn diese einen Text darum liest, weil sie das Thema interessiert oder die Tätigkeit des Lesens an sich Freude bereitet. Die Tätigkeit wird also um ihrer selbst willen ausgeführt. 21

Gold, A. (2007), S. 37/38

10

Extrinsische und intrinsische Motivation können einander auch ablösen und ergänzen. Wird in der Schule eine Lektüre gelesen, so liest man diese, weil man es eben für den Unterricht muss. Aus dieser extrinsischen Motivation kann eine intrinsische werden, wenn das Thema der Lektüre den Leser anspricht. Die Lesemotivation kann aber auch gänzlich auseinanderklaffen, wenn es um schulische und Privatlektüren geht.

Was haben die extrinsische und die intrinsche Motivation mit dem Erwerb von Lesekompetenzen zu tun? Jens Möller und Ulrich Schiefele (2004) gehen von zwei Komponenten der individuellen Motivationslage aus:

Wert-Komponente Die Wert-Komponente beeiflusst die intrinsische Lesemotivation. Der Wert ist das, was eine Person einem möglichen Erfolg bei der Bearbeitung einer Aufgabe oder dem Lösen eines Problems beimisst. Die Wert-Komponente wird durch das Leseinteresse (man hält den Inhalt eines Textes für gut/wichtig) und die Zielorientierung (Lerne ich, um mein Wissen zu steigern? Dies führt zu intrinsisch motiviertem Leseverhalten. Oder lerne ich, damit ich mich mit anderen auf einem Gebiet messen kann?) gebildet.

Erwartungs-Komponente Die Erwartungs-Komponente beeiflusst die extrinsische Lesemotivation. Mit Erwartung meint man inwieweit eine Person durch eigenes Handeln meint eine Aufgabe oder ein Problem lösen zu können. Zur Erwartungs-Komponente gehören das lesebezogene Selbstkonzept (individuelle Fähigkeitseinschätzungen aufgrund von vorangegangenen Lernerfahrungen: „Ich bin ein guter Leser“) und die lesebezogene Selbstwirksamkeit („Wenn ich mich anstrenge, werde ich den Text verstehen“ oder „Ich kann mich anstrengen wie ich will ich verstehe den Text sowieso nicht.“). 22

Wert- und Erwartungs-Komponente bilden beide zusammen die Stärke der Absichtsbildung etwas zu lesen heraus.

Lesemotivation beeinflusst das Leseverhalten darin, wie viel gelesen wird. Mit der Menge des Gelesenen verbessert man gleichzeitig seine Lesekompetenz. Man erwirbt mehr Wissen und 22

Ausführlichere Erläuterungen sind bei der Gruppe „Lern- und Leistungsmotivation“ zu finden

11

vergrößert den Wortschatz, womit das Worterkennen erleichtert wird. Dadurch liest man zunehmend schneller und flüssiger, wodurch das Arbeitsgedächtnis entlastet und mehr Raum für den Einsatz von Lesestrategien vorhanden ist. 23

Lesen kann man lernen Es gibt verschieden Programme zur Förderung der Lesekompetenz, die jeweils andere Vorgehensweisen anwenden und auch an unterschiedlichen Prozessen, aus den eben erwähnten Wert- und Erwartungs-Komponenten, ansetzen. Neben „Lautlesen“, „Leiselesen“, „Viellesen“, existiert auch das „Strategische Lesen“, auf welches nun näher eingegangen werden soll: Strategisches Lesen Durch strategisches Lesen wir das Behalten und Verstehen von Textinformationen möglich. „Lern- und Lesestrategien lassen sich anhand verschiedener Klassifikationssysteme ordnen.“24 Neben den kognitiven Primärstrategien (Organisation, Elaboration, Wiederholung), gibt es affektive und motivationale Strategien, sowie Strategien der Verständniskontrolle. Primärstrategien (konkrete Handlungsanweisungen zum Umgang mit Texten): Organisierende Strategien Informationsreduktion und Verdichtung der Textvorlage beispielsweise durch: - Hervorheben oder Unterstreichen der Hauptgedanken - Zusammenfassen/Verallgemeinern von Argumenten/Sachverhalten - Aufzählen der wichtigsten Punkte/ Finden von Oberbegriffen - graphische Rekonstruktion Elaborierende Strategien Anreichern der Textvorlage; Verknüpfungen mit dem eigenen Vorwissen herstellen, eigene Meinungen, Gefühle, Bilder, Einstellungen einfließen lassen beispielsweise durch: - Sich Gedanken zu einer Überschrift machen, bevor man Text liest - Eigene Überschriften für Teilabschnitte finden - Etwas Visualisieren - Sich Anwendungs- oder Gegenbeispiele für eine Argumentation/Sachverhalt überlegen - komplexe Schlussfolgerungen ziehen Die Vermehrung der Informationen durch die Anwendung der elaborierenden Strategien ist keine zusätzliche Belastung für das Gedächtnis, sondern wirkt sich positiv auf Verstehen und Behalten aus. 23 24

Gold, A. (2007), S. 37ff Gold 2007, S. 48

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Wiederholende Strategien Ein Sachinhalt, der verstanden wurde, sollte auch behalten werden. Dies kann man beispielsweise erreichen durch: - mehrmaliges Lesen - Abschreiben - Auswendiglernen Die wiederholenden Strategien, sollten erst dann eingesetzt werden, wenn Organisations- und Elaborationsstrategien angewendet wurden. Durch diese Abfolge ist gesichert, dass man sich keine Inhalte eingeprägt, die man nicht verstanden hat. Durch das aktive Wiederholen von Informationen, können sich diese „verfestigen“, das heißt, dass sie durch den längeren Verbleib in Kurzzeit- und Arbeitsspeicher mit einer größeren Wahrscheinlichkeit in das Langzeitgedächtnis übertragen werden. Metakognitive Strategien (Kontroll- und Regulationsfunktion bei der Anwendung der Primärstrategien) Wenn ein geübter Leser einen Text überfliegt, dann entscheiden seine Leseziele und Erwartungen an den Text, darüber wie genau er ihn letztendlich betrachten wird. Er kann die organisierenden, elaborierenden Strategien anwenden, aber auch seinen eigenen Leseprozess kritisch hinterfragen, indem er metakognitive Strategien einsetzt, beispielsweise: - schwierige Textstellen, als solche erkennen und nochmals lesen - zusätzliche Hilfen heranziehen (Lexikon?) - Anpassen der Lesegeschwindigkeit an die Textschwierigkeit - Überprüfen, ob die kognitiven Primärstrategien richtig angewendet wurden Affektive und motivationale Strategien Neben der Kognition, beeinflussen auch Emotionen und Motivation das Lesenlernen. Auf dem Weg zum kompetenten Lesen spielen viele Faktoren eine Rolle: - Aufbau von Leseintentionen - Aufrechterhaltung der Leseaktivität, Abschirmung gegen Störungen - Bewältigung von Misserfolgen und Ängsten - Maßnahmen zur Selbstverstärkung und -motivierung zum Aufbau eines positiven und realistischen Selbstkonzepts 25

Mit der Entwicklung von Lern- und Gedächtnisstrategien werden auch die Lesestrategien erweitert. Noch bei erwachsenen Lesern werden diese Strategien ausdifferenziert. 25

Vgl. Gold 2007, S.48ff

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Literaturverzeichnis Byrnes, J. P.: Cognitive development and learning in instructional contexts (2nd ed.). Needham Heights, MA: Allyn & Bacon. 2001.

Gold, Andreas: Lesen kann man lernen. Lesestrategien für das 5. und 6. Schuljahr. Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2007.

Klicpera, Ch. & B. Gasteiger-Klicpera: Psychologie der Lese- und Schreibschwierigkeiten. Der Leseprozess beim geübten Leser Kapitel 2, Weinheim 1995.

Mayer, Richard E. : Learning and Instruction, New Jersey 2003.

Robeck and Wallace: The psychology of reading. New Jersey, 1990.

Smith, Frank: Understanding Reading, New Jersey, 1988.

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