LEITBILD PSYCHOTHERAPEUTISCHE MEDIZIN Anton Leitner

LEITBILD PSYCHOTHERAPEUTISCHE MEDIZIN Anton Leitner Psychotherapeutische Medizin – Psy-III bezeichnet in Österreich jene psychothera-peutische Qualif...
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LEITBILD PSYCHOTHERAPEUTISCHE MEDIZIN Anton Leitner

Psychotherapeutische Medizin – Psy-III bezeichnet in Österreich jene psychothera-peutische Qualifikation, die auf den "ÖÄK-Diplomen Psychosoziale Medizin – Psy-I und Psychosomatische Medizin – Psy-II" aufbauend, jeder in die Ärzteliste eingetragene Arzt oder Ärztin nach bestandenem Aufnahmeverfahren und erfolgreich absolvieren Psy-III Lehrgang erwerben kann. Die Weiterbildung des Arztes, der Ärztin zum Diplom "Psychotherapeutische Medizin" soll zur vollen psychotherapeutischen Kompetenz führen. Die Ausübung der erlernten Fähigkeit zur Durchführung von Psychotherapie erfolgt nach dem Ärztegesetz. Ein wissenschaftlicher Beirat beachtet die inhaltlichen und methodischen Fragen der Weiterentwicklung des Curriculums, der fachspezifischen Theorie und Methodik sowie der Identitätsentwicklung zum/zur psychotherapeutischen MedizinerIn und der Lehrgangsevaluation – jeweils in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin (ÖGPM). Die Vorgaben der wissenschaftlichen Beiräte werden vom Lehrausschuss geprüft und verbindlich beschlossen. Die Umsetzung verantwortet die Lehrgangsleitung.

I.) Zielsetzung der Weiterbildung Mit dem Erwerb des ÖÄK-Diplomes "Psychotherapeutische Medizin" soll personale, soziale und professionelle Kompetenz und Fertigkeit sowie soziales Engagement entwickelt und gefördert werden. In personaler Kompetenz sehen wir die Fähigkeit der Person zu einer komplexen Bewusstheit, d. h. ihre Möglichkeit, sich selbst im Umfeld wahrzunehmen, ihre Bedürfnisse und Interessen verantwortlich zu regulieren, ihre Potentiale zu erhalten und zu entfalten und damit Sinn für das persönliche und gemeinschaftliche Leben zu gewinnen. Personale Fertigkeit besteht in der Umsetzung dieser Fähigkeit in alltägliches Handeln. Soziale Kompetenz setzt menschliche voraus und ist die Fähigkeit der Person, komplexe soziale Situationen wahrzunehmen und auf sie angemessen zu reagieren. Die soziale Kompetenz und Fertigkeit schließen außerdem die Fähigkeit ein, soziale Situationen aufzubauen, mit anderen Menschen und Gruppen, insbesondere mit Personen, die im Gesundheitssystem eingebunden sind in Korrespondenz zu treten, um auf diese Weise zu Konsens, Konzept und Kooperation zu gelangen. Eine Professionalität in Verbindung mit der medizinischen und psychotherapeutischen Arbeit erfordert soziales Engagement für die Integrität von Menschen, Gruppen und Lebensräumen. Ein emanzipatorisches Bewusstsein und die Bereitschaft des Therapeuten/der Therapeutin zu engagierter Verantwortung soll entwickelt und gefördert werden. In der Psychotherapeutischen Medizin kann professionelle Kompetenz und Fertigkeit nicht losgelöst von der menschlichen und sozialen Kompetenz und Fertigkeit und sozialem Engagement betrachtet werden.

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RICHTZIELE: 1.) Psychotherapeutisch-medizinische Diagnostik als Fähigkeit der Erstellung einer Diagnose, welche sich aus einer kritischen Zusammenschau biologischer, sozialer und psychischer Faktoren ergibt. 2.) Erstellung eines Behandlungsplanes Psychotherapeutischer Medizin in Auslotung mit anderen medizinischen und/oder sozialen Maßnahmen. 3.) Entwicklung einer therapeutischen Beziehung mit Befähigung zur Durchführung der psychotherapeutischen Behandlung: d. h. auf Heilung ausgerichteter psychotherapeutischer Interventionen. 4.) Fähigkeit der Wahrnehmung therapeutischer Grenzen, wie die Fähigkeit zur professionellen Kooperation. 5.) Bereitschaft zur Qualitätssicherung (laufende Evaluation, Abschlussverfahren). Ein vorrangiges Ziel liegt in der methodenübergreifenden Weiterbildung im Sinne eines allgemeinen oder integrativen psychotherapeutischen Weges, um eine möglichst breite und vertiefte Sicht, eine interdisziplinäre Denkweise und konstruktive Zusammenarbeit mit anderen helfenden Berufen zu fördern. Die Kollegen, die sich auf diesen Weg einlassen, der für sie einen Entwicklungsprozess bedeutet, sollen eine mehrperspektivische Sichtweise in Befunderhebung, Diagnostik und Therapeutik erlangen - immer in Intersubjektivität mit dem Gewahrsein der eigenen (Therapeuten)Befindlichkeit und in Berücksichtigung der Möglichkeiten des Kontextes. Übertragungs- und Gegenübertragungskonstellationen, Widerstand, Verdrängung, Unbewusstes und sozialisationsspezifische Verhaltensstrategien, die im vielschichtigen Geflecht zwischenmenschlicher Beziehungsereignisse vor dem Hintergrund eines biologischen, sozialen, ökologischen und ökonomischen Umfeldes und der Lebenszeit eine Rolle spielen, sollen als ein weiteres Ergebnis dieser Weiterbildung in guter Weise gehandhabt werden. Ein/e AbsolventIn soll daher in der Lage sein, die der Psychotherapie innewohnenden Möglichkeiten wie Problembewältigungs-, Klärungs- und Beziehungsperspektiven sowohl in der Einzel- als auch in der Gruppenpsychotherapie qualifiziert auszuschöpfen. In der Gruppenarbeit erweitern wir den Blickwinkel über eine individualisierende Sichtweise hinaus und beziehen den sozialen Netzwerkkontext mit ein. Ein besonderer Schwerpunkt in der Weiterbildung zur psychotherapeutischen MedizinerIn liegt in der Vermittlung integrierter und störungsspezifischer Behandlungsmaßnahmen und Interventionsstrategien. Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert bekanntlich Gesundheit als körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden.

Eine moderne Humanmedizin erweitert ihr therapeutisches Spektrum von einer krankheitsorientierten Heiltechnik über den weiten Bogen von anerkannten Behandlungsmethoden bis hin zu einer patientenzentrierten Heilkunde, um diese im Sinne von Hippokrates in die "Lebenskunst" einzuführen. Diese Kunst, die unseren Patienten aufgrund rechtzeitig angewandter psychotherapeutischer Interventionen eine höhere Lebensqualität bescheren kann, ist als bedeutendes präventives Mittel anzuerkennen, welches nachweislich die Kosten für kurative Maßnahmen verringert.

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Anzustrebendes Ziel, welches zu erreichen wir ÄrztInnen als Teil des Gesundheitssystems mitverantworten, ist der gesamtgesellschaftliche und volkswirtschaftliche Nutzeffekt, der im Erstreben persönlichen Wohlbefindens - liegt.

II.) Definition und Charakteristik der Weiterbildung Definition: Psychotherapeutische Medizin verstehen wir als eine planvolle und theoriegeleitete Beeinflussung von inneren Haltungen und äußerem Verhalten von Patienten, die in ihrem biologischen, sozialen und ökologischen Kontext unter psychischen oder psychosomatischen Störungen und Erkrankungen leiden. Dies erfolgt mit einem spezifisch dafür ausgebildeten Arzt/ Ärztin, der in der Handhabung der zwischenmenschlichen Beziehung, leiborientierter1 Hilfestellung und dem Einsatz deutender (in Abstimmung mit dem Patienten) und/oder erlebnisaktivierender Methoden ein Klima herstellt, in dem der Patient Einsicht gewinnen und emotionale Erfahrungen machen kann, sodass er gesunden und alternative Wege der Lebensführung zu entwickeln vermag.

Charakteristik der Weiterbildung: Integration in Theorie und Praxis ist das zentrale Anliegen in dieser Weiterbildung. Diese zukunftsweisende Haltung, erschließt verschiedene Quellen aus einzelnen Therapieverfahren, mit dem Bestreben nach einer in sich konsistenten theoriegeleiteten Praxis, nicht aber als Legitimation für ein Neben- und Durcheinander verschiedener Methoden, Techniken und theoretische Konzepte. Vor dem Hintergrund eines ausgewählten, curriculär strukturierten Verfahrens als Hauptfach, in dem Wahrgenommenes differenzierter erfasst, als „erlebter Sinn“ verstanden und dem Erklären zugänglicher gemacht wird, mündet das Ergebnis der individuell geleisteten Integrationsarbeit schließlich in neuorientierendes Handeln. Im Rahmen der Weiterbildung soll die angebotene Zusammenschau der verschiedenen Verfahren als Haupt-, Gegen- und Nebenfächer im Zusammenwirken der verschiedenen methodischen Konzepte und Einflüsse vor dem eigenen biographischen Kontext uns Ärztinnen und Ärzte zu einer neuen Humantherapie führen. Kooperationen mit Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapievereinen werden angestrebt, um die psychosoziale Versorgung leidender und verhaltensgestörter Menschen unseres Landes zu gewährleisten und einen konstruktiven Beitrag für die Fortbildung aller Beteiligten auf diesen Fachgebieten zu erreichen.

Psychotherapeutische Medizin: •

basiert in der ärztlichen Berufsidentität,



berücksichtigt persönliche Qualifikationen und persönliche Neigungen des Arztes, wobei spezifische methodische Schwerpunkte Beachtung finden, aber gleichzeitig eine kritische Komplementär-, Fort- und Weiterbildung und umfassende Basisausbildung gefordert wird.

1 Leib hier verstanden als: Körper-Seele-Geist-Subjekt

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Das Konzept der Psychotherapeutischen Medizin muss jeweils den aktuellen Stand der Wissenschaft ausweisen und kritisch die mögliche Integration psychosomatischer, psychotherapeutischer und pathophysiologischer Perspektiven verfolgen.

Die Methodenlehre der Psychotherapeutischen Medizin orientiert sich an den methodischen Hauptströmungen der Psychotherapie. Diese methodischen Traditionen sind: die tiefenpsychologische Tradition, die verhaltenstherapeutische Tradition, die systemische Tradition, die humanistische Tradition. Das nach der persönlichen Neigung ausgewählte Hauptfach wird im differenzierten Angebot eines fachspezifisches Curriculum vermittelt. Dabei wird jene in sich ausreichende Konsistenz erreicht, die es ermöglicht, eine sinnvolle Abstimmung zwischen Erkenntnistheorie, Anthropologie, Persönlichkeitstheorie, Entwicklungstheorie, Gesundheits- und Krankheitslehre und Therapietheorie zu erlernen, anstatt sich im Eklektizismus oder im "übergreifenden Allerlei" zu verlieren. Die einzelnen Psychotherapierichtungen aus den genannten methodischen Traditionen ermöglichen erfahrungsgemäß dem praktizierenden Therapeuten Einsichten, vor deren Hintergrund er in der Lage ist, eine therapeutische Beziehung aufzubauen und angemessene Behandlungsstrategien zu entwickeln. Diese Beziehungsfähigkeit macht einen wesentlichen Wirkfaktor in der Therapie aus. Für den psychotherapeutisch tätigen Arzt ist somit eine fachspezifische Weiterbildung eine Orientierungshilfe für seine Interventionen, wobei für den Patienten das Verfahren von geringerem Interesse sein mag. Durch das Angebot der genannten methodischen Traditionen (Verfahren) wird auch eine tolerante verfahrensübergreifende Grundhaltung gefördert. Einerseits soll die Konsistenz eines methodenspezifischen Verfahrens in der praktischen Umsetzbarkeit genützt werden können, andererseits soll das multimodale Angebot uns vor Ausblendungen, unbilligem Alleinanspruch oder dogmatischer Erstarrung bewahren.

Die neue, schulenübergreifende allgemeine wie störungsdifferenzierende Psychotherapieforschung zeigt auf, dass die Persönlichkeit des/der PsychotherapeutIn/psychotherapeutischen MedizinerIn ein bestimmender Faktor und entscheidend für den Erfolg der Therapie ist. Daher ist die Entwicklung und Förderung der menschlichen (personalen) Kompetenz von ÄrztInnen für die psychotherapeutische Profession ein wesentliches Charakteristikum. Es geht dabei um die Ausbildung einer differenzierten Wahrnehmungsfähigkeit für sich selbst und andere unter Einbeziehung des jeweiligen Kontextes auf der Grundlage einer gewachsenen und geschulten therapeutischen Identität. Ein weiterer charakteristischer Schwerpunkt ist der Erwerb einer beruflichen (professionellen) Kompetenz, worunter die Beherrschung der theoretischen Konzepte als Grundlage der praktischen Fertigkeiten zu verstehen ist, die zu einer qualifizierten Ausübung psychotherapeutischer Medizin für leidende und verhaltensgestörte Menschen gehört. Der reflektierte Einsatz von psychotherapeutischen Wirkfaktoren schafft jene Bedingungen, in denen Heilendes geschehen kann.

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Seit 1999 wird in Niederösterreich die Weiterbildung in „Psychotherapeutischer Medizin“ in Kooperation mit der Donau-Universität Krems als Universitätslehrgang im Zentrum für Psychosoziale Medizin angeboten. Der Sinn dieser Anbindung an diese staatliche Weiterbildungsuniversität liegt neben der Würdigung der ÄrztInnen für ihren großen persönlichen Einsatz durch die Verleihung eines akademischen Grades, in der aktiven Einbindung der StudentInnen in aktuelle Forschungsprojekte. Derzeit wird gerade die seit 1999 laufende Begleitforschung der Weiterbildung „Psychotherapeutische Medizin“ abgeschlossen. Sie besteht einerseits aus einer Weiterbildungsevaluation, andererseits aus einer ausführlichen Wirksamkeitsstudie, die auch die Einbeziehung Angehöriger der PatientInnen und eine Medikamentenvergleichsstudie umfasst. Ab Mai 2002 wird eine erweiterte Replikationsstudie starten, in der neue Aufgaben hinzugenommen werden wie: störungsspezifische Erhebungsinstrumente, komplexere Kontrollgruppen, Medikamentenwirkungsnachweis, differenzierterer Nebenwirkungsnachweis der „Psychotherapeutischen Medizin“ und vor allem einem größeren „N“ auf Seiten der BehandlerInnen und PatientInnen. Nochmals sei betont, dieser spannende – die Persönlichkeit bereichernde Weg – beginnt mit der Weiterbildung „Psychosoziale Medizin“ – Psy-I. Autor: Anton Leitner, Prof. Dr. med. Lehrgangsleitung „Psychotherapeutische Medizin – Psy-III“, Referat für integrierte Psychosomatik und Psychotherapie der Ärztekammer für Niederösterreich Leiter des Departments für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie an der Donau-Universität Krems

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