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NDR Info Das Forum / ARD Sammel / Langfassung (01.05.2017) Mehr Sicherheit in der Textilbranche? Auf Spurensuche in Bangladesch vier Jahre nach dem Ei...
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NDR Info Das Forum / ARD Sammel / Langfassung (01.05.2017) Mehr Sicherheit in der Textilbranche? Auf Spurensuche in Bangladesch vier Jahre nach dem Einsturz des Rana Plaza Feature von: Silke Diettrich, ARD-Studio Neu Delhi

Autorin: April 2014, in der Nähe von Dhaka: O-Ton 1 Rosina Übersetzerin 1: „Ich sagte den Helfern: Gebt mir eine Säge, damit ich meinen Arm abschneiden kann. Das Fleisch war längst verrottet. Mein Arm stank fürchterlich. Aber es war nicht einfach. Der Knochen war so hart. Als ich es geschafft hatte, zogen mich die Helfer heraus.“ Atmo Dorf Autorin: Ein Jahr nach dem Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza konnte Rosina Begum noch über ihre Erlebnisse sprechen. Heute möchte sie es nicht mehr. Es bereite ihr Kopfschmerzen und Alpträume, wenn sie an den Tag zurück denke, sagt sie. Sie saß im dritten Stock, als das Gebäude einstürzte. Mehr als 1100 Menschen ließen darin ihr Leben, Rosina Begum ist eine von mehr als 2000 Menschen, die das Unglück überlebt haben. Am liebsten möchte sie diesen Tag vergessen, aber ihre Schmerzen und ihre Einschränkungen erinnern sie fast täglich daran: O-Ton 2 Rosina Übersetzerin 1: „Ich kann nur ganz kleine Arbeiten machen, eben das, was man mit einem Arm so machen kann, Staub wischen zum Beispiel, aber schon die einfachsten Sachen kann ich nicht machen, ich kann keine Wäsche falten, ich kann kein Gemüse schneiden, ich kann nicht einmal anständig den Boden wischen, ich kann eigentlich gar nichts richtig machen.“ Atmo Dorf leiser drunter legen Autorin: 1

Rosina Begum sitzt im Schneidersitz auf ihrem Bett und hat ein großes gelbes Tuch um sich geschlungen, so dass man ihren Armstumpf nicht sehen kann. Vor acht Monaten ist sie mit ihrer Familie zurück in ihr Heimatdorf gezogen. Die irische Modefirma Primark hat ihr eine Entschädigung gezahlt, umgerechnet rund 30 Tausend Euro. Davon hat sie ein Stück Land gekauft und ein Häuschen gebaut. Von außen leuchtet es in einem satten pink. Drei Kühe grasen gemütlich neben einem Reisfeld auf der Hofeinfahrt, die hat Rosina von der Regierung geschenkt bekommen. Melken kann sie sie mit nur einem Arm nicht. Was von außen wie eine Idylle wirkt, empfindet Rosina eher wie ein Gefängnis. Die Regierung von Bangladesch hat einen Fonds für sie angelegt von circa 12 Tausend Euro. Davon bekommt sie im Monat um die 120 Euro überwiesen. Rosina ist dankbar dafür, aber zugleich fühlt sie sich gefangen, weil sie so sehr auf die Hilfe anderer angewiesen ist. O-Ton 3 Rosina Übersetzerin 1: „Als ich noch arbeiten konnte, habe ich mehr Geld verdient, als das, was ich jetzt von der Regierung bekomme. Es war MEIN Geld, ich hatte es selbst verdient. Ich konnte mit meinem eigenen Geld meine Familie ernähren. Jetzt kann ich nicht mehr arbeiten, bin abhängig davon, dass mir die Regierung was gibt oder dass mein Mann etwas verdient. Ich muss umgerechnet fast 50 Euro im Monat für Medikamente ausgeben. Mein Mann muss mich oft zum Arzt bringen, wenn es mir wieder schlechter geht, und an dem Tag kann er dann auch wieder kein Geld verdienen. Meine ältere Tochter geht in die Schule, das kostet auch Geld. Mein Leben ist sehr viel härter als vor dem Unfall von Rana Plaza.“ Autorin: Auch ihre Kolleginnen von damals haben mittlerweile die Entschädigung von den internationalen Firmen und der Regierung erhalten. Die meisten, die das Unglück überlebt haben, können heute wegen körperlicher oder seelischer Probleme nicht mehr arbeiten. Die westlichen Konzerne wie Primark, der deutsche Discounter kik oder C&A hatten sich erst Monate nach der Katastrophe auf einen Hilfsfonds einigen können. Das Abkommen hatte die ILO vermittelt, die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen, in zähen Gesprächen, bei deren Beginn nur die wenigsten Konzerne überhaupt anwesend waren. Mehr als zwei Jahre nach dem Einsturz der Textilfabrik waren die geforderten 30 Millionen Dollar dann zusammen. Atmo Dorf 2

weiter Autorin: Mit nur einem Arm könne sie keinen bezahlten Job mehr machen, sagt Rosina. Sie habe es mit einer Prothese probiert, aber damit habe sich ihr Armstumpf entzündet. Seit dem Einsturz ist sie auch auf einem Ohr taub. Der 24. April 2013 hat ihr ihre Selbstständigkeit genommen. Aber ein Zufall sei das Unglück nicht gewesen, sagt Rosina selbstbewusst: O-Ton 4 Rosina Übersetzerin 1: Dass wir heute leiden, daran sind die Fabrikbesitzer Schuld. Sie waren zu nachlässig. Wenn die mehr auf die Sicherheit im Gebäude geachtet hätten, wäre es nicht zu diesem großen Unfall gekommen. Noch einen Tag vorher haben sie uns nach Hause geschickt, weil plötzlich ein großer Riss in den Wänden des Gebäudes zu sehen war. Aber der Besitzer des Gebäudes, Rana, der meinte, es sei alles sicher. Also haben sie uns gesagt, wir sollten wieder arbeiten gehen und dann ist das Gebäude zusammen gebrochen. Autorin: Sohel Rana, der Besitzer des Gebäudekomplexes, hatte nach dem Unglück versucht, aus dem Land zu fliehen. Aber die Polizei hat ihn gerade noch rechtzeitig aufgegriffen, heute sitzt er in Haft. Angeklagt wegen Mordes. Der Gebäudebesitzer ist der Hauptangeklagte in dem Fall, weitere 38 Menschen sind ebenfalls des Mordes angeklagt. Sie alle plädieren auf nicht schuldig. Das Urteil steht noch aus, allein bis es zur Anklage kam, waren schon über zweieinhalb Jahre vergangen. Wenn die Angeklagten wegen Mordes verurteilt werden, droht ihnen die Todesstrafe. Atmo Dhaka Rana Plaza weiter Autorin: Der Unglücksort Rana Plaza liegt rund drei Autostunden von Rosinas Heimatdorf entfernt. Von der Straße aus würde man glatt daran vorbeifahren. Erst wenn man sich zwischen Holzbaracken durchschlängelt, kommt man zu der Stelle, an der das 8-stöckige Gebäude vor vier Jahren zusammen gestürzt ist. Eine große Lücke klafft zwischen mehreren Gebäuden. Der Boden ist übersät mit Müll, überall wächst dichtes Gestrüpp. Am Straßenrand erinnert ein Mahnmal an das Schicksal von Tausenden von Textilarbeitern, die hier ihr Leben verloren haben oder verletzt wurden: Zwei Fäuste halten die Arbeitersymbole Hammer und Sichel. Auf der Tafel daneben steht geschrieben: Sprecher: 3

Opfer von Rana Plaza Ruhet in Frieden. Unsere Erinnerungen sind mit Milliarden von Tränen behaftet. Wir werden es nie vergessen Autorin: Vor dem Mahnmal steht Rafiqul Islam. An seinem Stand verkauft er Jeans und T-Shirts mit berühmten Firmennamen. Er war damals zu Hause um die Ecke, als das Unglück passierte, aber seine Frau war als Näherin unter den Trümmern: O-Ton 5 Rafiqul Übersetzer 1: „Ich denke oft daran, jeden Tag stehe ich hier. Ich habe so viele Bekannte hier verloren, wie tausende andere Menschen auch. Ich denke hier oft an sie zurück. Diese zwei Tage waren ein Alptraum für mich und meine Kinder. Wir sind die ganze Zeit hier geblieben, waren nicht zu Hause. Wir haben nichts gegessen, nur geweint und wollten meine Frau wiederhaben.“ Autorin: Zwei Tage später kam ein Helfer zu ihm nach Hause, seine Frau war in ein naheliegendes Krankenhaus gebracht worden. Vier Jahre danach kann sie immer noch nicht wieder arbeiten: O-Ton 6 Rafiqul Übersetzer 1: „Sie hat psychische Probleme und Schmerzen am Kopf und auf der Brust. Sie ist oft traurig. Ihr geht es nicht gut.“ Autorin: Niemand in Bangladesch hat die größte Tragödie im Textilsektor vergessen. Die Angehörigen und Opfer nicht, Arbeiter, Fabrikbesitzer, Gewerkschafter, weder die Regierung oder die ausländischen Moderhersteller. Keiner von ihnen möchte, dass sich eine solche Katastrophe jemals wiederholt, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Einige von ihnen fürchten um ihr Image, andere um ihr Leben. Ob eine solche Katastrophe heute, vier Jahre später, in einer Textilfabrik in Bangladesch noch einmal geschehen kann? Das beantworten die meisten mit einem „wohl eher nicht“. Atmo Kalpona: weiter Autorin: 4

Am weitesten lehnt sich überraschenderweise dabei die Arbeitsrechtlerin Kalpona Akter aus dem Fenster: O-Ton 7 Kalpona Übersetzerin 2: Solch ein Desaster soll nie mehr passieren, nicht mal in meinen Albträumen, ich glaube, in der Textilindustrie wird das nicht mehr vorkommen. Die Fabriken, die so unsicher waren, sind geschlossen worden. Ich würde so weit gehen und sagen, solch ein Desaster kann hier nicht mehr passieren in den Textilfabriken. Autorin: Kalpona Akter hat schon als Kind als in einer Textilfabrik gearbeitet. Sie kennt die Situation der Näherinnen und der Fabriken in Bangladesch seit Jahrzehnten. Als sie vor über 20 Jahren eine Gewerkschaft für die Arbeiterinnen und Arbeiter gründen wollte, verlor sie ihren Job. Keine Fabrik wollte sie mehr anstellen, Akter galt als Unruhestifterin. Heute leitet sie die Hilfsorganisation: Zentrum für die Solidarität der Arbeiter in Bangladesch. Das Unglück von Rana Plaza, sagt Akter, habe Druck auf alle Beteiligten der Textilindustrie ausgeübt: O-Ton 8 Kalpona Übersetzerin 2: „Im Bereich Sicherheit hat sich viel geändert. Vor dem großen Unfall in Rana Plaza hatten wir um die 200 tote Arbeiter im Jahr, die durch Feuer oder Gebäudeeinstürze ums Leben gekommen sind. Heute sind es weniger als fünf bis zehn Menschen, die durch Unfälle dort sterben. Das ist wirklich eine große Verbesserung.“ Autorin: Zahlreiche Modelabels, die in Bangladesch ihre Kleidung herstellen lassen, haben nach dem Unglück von Rana Plaza Bündnisse gegründet, die die Sicherheit der Fabrikgebäude gewährleisten sollen. Den Vorsitz hat die Internationale Arbeitsorganisation ILO inne. Bei der Initiative Alliance sind vor allem US-amerikanische Firmen dabei, wie Walmart, North Face oder Gap. Zu der Initiative ACCORD gehören vor allem europäische Unternehmen, wie H&M, Adidas, Benetton oder Marks & Spencer. 220 Markenhersteller aus Europa haben sich ACCORD angeschlossen, sie allein lassen in 1650 verschiedenen Fabriken produzieren und es kommen immer wieder neue dazu. Für ACCORD produziert fast die Hälfte aller Fabriken in Bangladesch. In dem Abkommen geht es vorrangig um Feuer- und Gebäudeschutz. Seit November 2013 prüfen Ingenieure, wie sicher die Fabrikgebäude sind. Dabei mussten einige Fabriken evakuiert werden, andere 5

mussten ihre Produktion unterbrechen, wieder andere wurden geschlossen. Mehr als 100.000 Sicherheitsmängel haben die Prüfer festgestellt, mindestens 80.000 seien behoben worden, sagt Rob Wyass, Geschäftsführer von ACCORD. Innerhalb von sechs Monaten müssen die Fabriken, die für die europäischen Firmen produzieren wollen, alle Mängel beheben. Wer die Inspekteure nicht auf das Gelände lässt oder die Fabriken nicht auf den Stand der internationalen Gebäudeordnung bringt, darf nicht mehr für die lukrativen Modemarken arbeiten. Das gilt dann für zwei Jahre und für sämtliche Fabriken, die dem Besitzer gehören. Die Sicherheit in den Fabrikgebäuden habe sich enorm verbessert, sagt Rob Wyass, aber er räumt ein, dass die Überprüfungen schleppender voran gehen, als geplant: O-Ton 9 Rob Wyass Übersetzer 2: „Wir sind weit hinter unserem eigentlichen Zeitplan. Wir haben die meisten Fabriken im Januar 2015 überprüft und haben erwartet, dass alles schneller umgesetzt würde, wie beispielsweise der Einbau von Sprinkleranlagen. Einiges sollte in einem halben Jahr fertig sein, andere Mängel in wenigen Monaten behoben sein. Wir wollten mit allen Kontrollen Ende 2015 fertig sein und jetzt sind wir im ersten Viertel des Jahres 2017 und sind mit 80 Prozent unserer Arbeit durch.“ Autorin: Rob Wyass sitzt in einem geräumigen Großraumbüro in der achten Etage hoch über Dhaka, mit vorgeschriebenen Notausgängen und Feuermeldern. Die über 200 Modefirmen aus 20 verschiedenen Ländern, die sich seinem Bündnis angeschlossen haben, sind auf der Internetseite von ACCORD gelistet. Die Verbraucher in den westlichen Ländern könnten sich bei diesen Modelabels auf folgendes verlassen: O-Ton 10 Rob Wyass Übersetzer 2: „Wenn du ein T-Shirt von einer dieser Firmen kaufst, kannst du mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass es in einer Fabrik gefertigt wurde, die dabei ist, die gesetzlichen Sicherheitsstandards einzuhalten.“ Autorin: Insgesamt aber gibt es rund 4000 Textilfabriken im Land, die für ausländische Firmen arbeiten. Das heißt, dass nur rund die Hälfte der Fabriken im Land von ACCORD kontrolliert wird. Und selbst dort gibt es noch Schlupflöcher. 6

Atmo Textilfabrik weiter Autorin: Shabbir Mahmood zum Beispiel besitzt eine Fabrik, in der rund 400 Menschen arbeiten. Bei einer weiteren ist er Teilhaber, mit rund 500 Arbeitern. Für die Verhältnisse in Bangladesch sind das sehr kleine Fabriken. Shabbir Mahmood kann nicht mehr für die europäischen Käufer produzieren, die das Abkommen von ACCORD unterschrieben haben. Seine Fabriken entsprechen nicht den Sicherheitsstandards. Und doch hat er in den letzten vier Jahren auch für Firmen gearbeitet, die Mitglieder bei ACCORD sind, wie er nach mehrmaligen Nachfragen zugibt. O-Ton 11 freistehend: Yes, I did. Autorin: Aber unter der Hand, als inoffizieller Subunternehmer: O-Ton 12 Mahmood Übersetzer 1: Subunternehmen heißt, wenn eine große Fabrik einen Auftrag angenommen hat und ihn nicht ganz erfüllen kann, dann lässt sie zum Beispiel 20 Prozent woanders produzieren. Diese kleinen Firmen werden nicht von ACCORD kontrolliert, weil sie ja offiziell gar nicht für den großen Auftraggeber arbeiten. Manchmal wissen die Auftraggeber nicht einmal, dass ein Teil ihrer Produktion ausgelagert wurde. Der Fabrikbesitzer nimmt das Risiko dann auf sich, weil er den großen Auftrag haben will, sonst würde er einen großen Verlust machen.“ Autorin: Offiziell verdient er das meiste Geld mit seinen Kunden aus Brasilien, die, wie er sagt, nur auf die Qualität der Kleidungsstücke schauen und sonst keine Bedingungen stellen: O-Ton 13 Mahmood Übersetzer 1: „Ja, die Brasilianer fragen nicht danach, ob wir die Vorschriften einhalten, sie kaufen gerne die billigen Produkte. Übrigens zum gleichen Preis wie die Europäer. Die Käufer aus Europa allerdings verlangen zugleich sehr viel mehr von uns. Sie zwingen uns, zu investieren, aber sie erhöhen die Preise daheim nicht. Das ist unfair, weil hier alles teurer wird. Der Strom, das Gas, mehr Geld für Gehälter. Den Käufern ist das egal.“ 7

Autorin: Rob Wyass von ACCORD gibt zu, dass die Fabrikbesitzer sehr viel Geld investieren müssen: O-Ton 14 Rob Wyass Übersetzer 2: In vielen Fällen haben die Fabrikbesitzer dann aber auch die Zusage, dass die Modefirmen für einen längeren Zeitraum bei ihnen produzieren werden. Das heißt, sie haben die Sicherheit, dass sie für einige Zeit ausgelastet sein werden. Einige ausländische Firmen bieten ihnen auch Kredite an. Aber die Wahrheit ist: Eine überwältigende Mehrheit von 95 Prozent der Fabrikbesitzer zahlen die Sanierung aus eigener Tasche […] 14. […] Wo ich das sage, viele der Fabrikbesitzer hier im Land sind extrem wohlhabende Menschen, die können es sich leisten, ihre Fabriken zu sanieren. Autorin: Auch Shabbir Mahmood plant für das nächste Jahr, ohne Kredite eine neue Fabrik zu bauen, die den Standards von ACCORD entspricht. Europa als Markt sei trotz des Preisdrucks der Lukrativste, sagt er. Und die großen Modemarken seien zuverlässiger, da sie beständiger seien. Dabei würden am Ende alle den gleichen Preis zahlen, egal ob Edelmarke oder Billigverkäufer. Die kleinen Firmen wechselten allerdings ständig die Produzenten und schauten nur, wer am Billigsten produziere. Zurzeit haben seine Arbeiter manchmal tagelang frei, weil es nichts zu tun gibt. Er bezahle sie aber trotzdem, sagt er. Der Export von Kleidung aus Bangladesch ist seit dem Unglück von Rana Plaza weiter gestiegen, allerdings sei es schwerer geworden für die Fabrikbesitzer, bei den Preisen zu handeln, weil die Käufer sie wegen des Stigmas Rana Plaza immer nach unten drückten. Die Nachfrage nach billiger Kleidung hat nicht im Geringsten nachgelassen in den westlichen Ländern, es ist immer noch ein Geschäftszweig mit Zukunft. Aber auch wenn sich die Mehrheit der Fabrikbesitzer den internationalen Gebäudeverordnungen beugt, sagt das nichts darüber aus, wie sicher die Lebensumstände der Textilarbeiter sind. In Bangladesch werden mit die niedrigsten Löhne auf der ganzen Welt gezahlt. Das Abkommen von ACCORD richte sein Augenmerk vor allem auf den Brandschutz und die Sicherheit der Fabrikgebäude, sagt Rob Wyass: O-Ton 15 Rob Wyass Übersetzer 2: „Ein Bestandteil des Abkommens beinhaltet auch, dass die Arbeiter jeden Monat ihr Gehalt bekommen, das kontrollieren wir. Aber wenn es darum geht, 8

wie hoch die Gehälter sind und ob die Arbeiter auch ihre Überstunden ausbezahlt bekommen, das fällt nicht unter den Auftrag von ACCORD.“ Atmo Demo Autorin: Immer wieder mal trauen sich die Arbeiter auf die Straße, um für höhere Löhne zu demonstrieren. Aber dann müssten sie leider oft mit harten Konsequenzen rechnen, sagt die Arbeitsrechtlerin Kalpona Akter: O-Ton 16 Kalpona Übersetzerin 2: Wenn wir unsere Stimme erheben, bekommen wir Probleme. Vergangenes Jahr sind nach Demonstrationen rund 2000 Arbeiter entlassen worden, 160 stehen auf schwarzen Listen, sie bekommen keine Jobs mehr, 35 sind im Gefängnis gelandet... Autorin: Erst Ende Februar sind die verhafteten Gewerkschafter und Arbeiter wieder frei gekommen, nachdem auch die internationalen Modeketten Druck gemacht hatten und einen Textilgipfel der Regierung in Bangladesch boykottierten. Die Arbeiter in Bangladesch haben oft Angst zu reden. Die, die im Gefängnis saßen, sagen der Reihe nach die schon vereinbarten Interviewtermine ab. Sie fürchten, dass sie in keiner Fabrik mehr Arbeit finden, wenn ihre Namen in den Medien auftauchen. Einer traut sich dann doch. Masud Rana saß fast drei Monate im Gefängnis, dabei, so sagt er, sei er bei den Protesten nicht einmal dabei gewesen. Ob er das aus Angst vor Konsequenzen sagt oder ob es tatsächlich stimmt, lässt sich nicht nachprüfen. O-Ton 17 Masud Übersetzer 3: Sie haben mir vorgeworfen, ich hätte auf den Straßen Autos zerstört an einem Tag, an dem ich aber in der Fabrik gearbeitet habe. Und sie haben gesagt, ich hätte Kleidungsstücke aus der Fabrik geklaut…2. Ich war nicht bei den Demonstrationen dabei, das kann ich versichern. Aber einige meiner Kollegen aus der Nähabteilung, die sind auf die Straße gegangen, um zu demonstrieren. Und die sind auf die Straße gegangen, um für einen höheren Mindestlohn zu protestieren. Aber ich habe die Anzeige bekommen.

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Autorin: Kurz vor seiner Festnahme habe er nach einer Lohnerhöhung gefragt, erzählt Masud. Das sei wohl nicht so gut angekommen bei seinen Chefs, vermutet er. O-Ton 18 Masud Übersetzer 3: Meine Firma hatte zu der Zeit nicht so viele Aufträge, also ich denke, sie wollten auf diese Weise einfach ein paar Arbeiter loswerden, damit sie sie nicht bezahlen müssen. Das machen viele so in der Branche. Aber wenn es viel zu tun gibt, dann arbeiten wir bis Mitternacht. Autorin: Um die 180 Mitarbeiter habe seine Firma nach den Streiks entlassen. Aber nur er und einer seiner Kollegen seien auch verhaftet worden. Im Gefängnis sei er von Polizisten mit einem Stock geschlagen worden, erzählt Masud Rana. Bei den Verhören wollten die Polizisten wohl immer nur eins wissen: O-Ton 19 Masud Übersetzer 3: Sie haben mich 15 Tage lang befragt und immer gesagt, ich sei auf der Straße gewesen und daher wollten sie die Namen der Leute wissen, die hinter den Protesten stecken. Sie wollten immer Namen von mir wissen, aber ich weiß ja keine. Autorin: Unruhestifter wollen sie ausmachen, sagt die Arbeitsrechtlerin Kalpona Akter, die auch selbst schon mehrfach verhaftet wurde. Mit solchen Drohszenarien wagten es die Arbeiter aber kaum, für ihre Rechte zu kämpfen. Nur jeder 20. Beschäftigte in Bangladesch ist in einer Gewerkschaft. O-Ton 20 Kalpona Übersetzerin 2: Kurz nach dem Unfall von Rana Plaza hat die Regierung 400 Gewerkschaften zugelassen, um der Welt zu zeigen, schaut her, wir haben doch Gewerkschaften, es tut sich etwas bei uns. Aber in Wahrheit funktionieren maximal 50 davon und die auch nur unter größten Schwierigkeiten. Autorin: Auch wenn der Mindestlohn nach dem Unglück von Rana Plaza angehoben wurde, verdienen die vier Millionen Näherinnen und Näher in Bangladesch mit am wenigsten weltweit. Der monatliche Mindestlohn liegt bei rund 60 Euro. 10

Das bedeutet einen Durchschnittsstundenlohn von 32 Cent. Die örtliche Textilindustrie will daran bis 2019 nichts ändern. Menschen außerhalb von Bangladesch könnten die Bedürfnisse der Arbeiter nicht nachvollziehen und hätten den falschen Blick auf das Land, sagt David Hasanat, Präsident der Textilgruppe Villayetex. 17.000 Menschen arbeiten in seinen Fabriken und produzieren Kleidung für Firmen wie Hugo Boss, Calvin Klein oder Tommy Hilfiger. Hasanat sitzt in einem makellosen Anzug in seinem klimatisierten, lichtdurchfluteten Büro hoch über den Dächern von Dhaka und erklärt, dass Arbeiter in Bangladesch nicht viel Geld zum Leben bräuchten: O-Ton 21 Hasanat Übersetzer 2: „Die Hilfsorganisationen sagen den Arbeitern, sie würden zu wenig verdienen. Das ist das Problem. Glauben Sie mir, meine Arbeiter hätten das selber gar nicht so gesehen… (16)…: Sie vergleichen die Löhne mit Kambodscha oder China, die vielleicht 300 Dollar im Monat verdienen…Unsere Arbeiter können ihre Familien sogar mit 25 oder 30 Dollar im Monat ernähren…Jetzt bekommen sie um die 100 Dollar, da können sie mindestens die Hälfte sparen. Denn sie sind Muslime und daher geben sie das Geld weder für Alkohol aus noch fürs Spielen. Das ist in unserer Kultur verboten. Also haben sie eine Menge Geld zur freien Verfügung.“ Autorin: Dabei steigen die Lebenshaltungskosten in Bangladesch um mindestens 7 Prozent pro Jahr. Eine Studie von US-Forschern kommt zu dem Ergebnis, dass das Existenzminimum in der Hauptstadt Dhaka bei 190 Euro liege, der Durchschnittslohn der Arbeiter aber gerade einmal bei 70 Euro betrage. Das will der Fabrikbesitzer David Hasanat nicht gelten lassen: O-Ton 22 Hasanat Übersetzer 2: „Wir haben hier mehr als 5 Millionen Arbeiter. Wie hoch sind deren Löhne und wie viel davon können sie sparen? Ob die sich ein Auto, ein Haus oder einen Laden davon haben kaufen können? Ich garantiere, 99 Prozent der Menschen werden das bejahen.“ Autorin: Massud Rana, der 32-jährige Arbeiter, der bis vor kurzem im Gefängnis saß, ist seit 15 Jahren in der Textilbranche tätig. Er macht eine andere Rechnung auf. Da er schon länger dabei ist, hat er mehr als den Mindestlohn verdient, ein Grundgehalt von umgerechnet rund 70 Euro, bei vielen Überstunden bis zu 130 Euro. 11

O-Ton 23 Massud Übersetzer 3: Für meine Miete zahle ich rund 50 Euro, für Kleidung und Essen umgerechnet 70 Euro, für meine Frau und meinen Sohn und mich. ... Keiner kann hier vom Mindestlohn überleben. Autorin: Ranas Familie lebt wie die meisten Textilarbeiter in Dhaka in einem kleinen Raum, sie teilen sich das Bad und die Küche noch mit einer anderen Familie. Ein Auto liegt jenseits seiner Vorstellungen. Und auch wenn der Fabrikbesitzer und der Arbeiter beide aus Bangladesch kommen, sind ihre Leben weit voneinander entfernt. Einem Vorstandsvorsitzenden einer mächtigen Textilgruppe musste beispielsweise gedroht werden, dass seine Fabrik schließen müsse, wenn er weiterhin darauf bestehe, mit seinem Helikopter dort auf dem Dach zu landen. Denn dafür war das Gebäude leider statisch nicht ausgerüstet. Ohne Druck von außen, so befürchtet die Arbeitsrechtlerin Kalpona Akter, werde weder die Regierung den Mindestlohn bald erhöhen noch würden die Fabrikbesitzer mehr Gehalt zahlen. O-Ton 24 Kalpona Übersetzerin 2: Oft sind unsere Gesetzgeber selbst Fabrikbesitzer. Ich vergleiche unser Parlament mit einem Geschäftsclub, weil die Mehrheit der Mitglieder selber Fabriken besitzt oder mit der Textilindustrie verbandelt ist. Der Außenminister zum Beispiel besitzt eine Gruppe von Textilfabriken. Und in einer seiner Fabriken gab es vor einigen Jahren mächtig Ärger, er hat Gewerkschaftsführer gefeuert, die versucht hatten, Gewerkschaften in seiner Fabrik zu organisieren. Autorin: Wenn die europäischen Modefirmen sich nicht für die Rechte der Arbeiter einsetzen, könnte auch noch die Europäische Union Druck ausüben, sagt Kalpona Akter. Denn sie haben ein wichtiges Abkommen mit Bangladesch: der so genannte EBA Vertrag. Der gewährleistet, dass Bangladesch alles außer Waffen zollfrei in die EU exportieren darf. Aber er ist an Bedingungen geknüpft: O-Ton 25 Kalpona Übersetzerin 2: „Das Gute ist ja, dass das Abkommen auf Einhaltung der Menschenrechte besteht und das betrifft dann direkt auch die Lebensbedingungen unserer Arbeiter. Versteht unsere Regierung die Konsequenzen, wenn es wegfallen 12

würde? Das ist DAS Druckmittel, dass Europa hat, damit unsere Regierung und die Fabrikbesitzer unseren Arbeitern zuhören. Das ist der einzige Weg. Meine Mitarbeiter machen immer einen Witz: Unsere Fabrikbesitzer und unsere Regierung fürchten nicht einmal Gott, sie fürchten nur die internationalen Firmen und um die Geschäftsbeziehungen mit ihnen.“ Autorin: Die Arbeitsrechtlerin möchte aber unter keinen Umständen, dass das Abkommen aufgekündigt wird. Das wäre fatal für die Wirtschaft im Land und auch für die Arbeiter. Bangladesch ist massiv von der Textilbranche abhängig. 80 Prozent der Exporte des Landes stammen aus der Branche: O-Ton 26 Kalpona Übersetzerin 2: „Wir brauchen EBA, auf jeden Fall. Es ist für uns sehr wichtig, davon hängen über 4 Millionen Arbeitsplätze ab. […] Wir wollen diese Job, aber wir wollen würdevolle Jobs.“ Autorin: Um dies zu erfüllen, seien nicht nur die Regierung und die Fabrikbesitzer in der Pflicht, sondern auch die Modefirmen, die in Bangladesch produzieren lassen: O-Ton 27 Kalpona Übersetzerin 2: „Die Fabrikbesitzer werden das nicht allein schultern können. Wir bitten nun zum ersten Mal, dass die internationalen Modemarken, die unsere Arbeiter beschäftigen, mehr Geld geben, damit unsere Arbeiter ein gesichertes Existenzminimum haben.“ Autorin: Das Etikett „Made in Bangladesh“ sei kein Grund, das Kleidungsstück in den westlichen Läden nicht zu kaufen, sagt Akter: O-Ton 28 Kalpona Übersetzerin 2: Kauf es bitte, aber sei ein verantwortlicher Käufer. Frag, ob die Arbeitsbedingungen ok sind, werden die Arbeiter anständig bezahlt. Ihr könnt auf jeden Fall Sachen aus Bangladesch kaufen, aber kauft es mit Verantwortung. Atmo Dorf Rosina 13

Autorin: Über Gehalt oder Mindestlohn, darüber macht sich Rozina in ihrem Dorf keine Gedanken mehr. Mit dreizehn Jahren hatte sie angefangen in einer Textilfabrik zu arbeiten. Auch wenn sie ihr eigenes Geld hatte verdienen können, es war ein harter Job. Ihre beiden Töchter sind zwei und acht Jahre alt und sie sollen es mal besser haben als sie selbst: O-Ton 29 Rosina Übersetzerin 1: Mein einziger Traum ist, dass meine beiden Töchter gut aufwachsen können und eine vernünftige Bildung erhalten. Denn wenn das nicht klappen sollte, was wird dann aus ihnen? Ich will nicht, dass sie wie ich, jemals in einer Nähfabrik arbeiten müssen.

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