Kurzzusammenfassung der Master Thesis Master-Studiengang Internationales Projektmanagement in der Prozesskette Bauen
Risikomanagement – Systems Thinking Eine ganzheitliche Herangehensweise an das Risikomanagement bei Bauprojekten
Eingereicht von:
Dipl.-Ing. (FH) Annette Kunz-Engesser Matrikelnr.: 810078
Betreuer:
Prof. Dr.-Ing. Friedrich Hensler Hochschule für Technik Stuttgart Dipl.-Ing.(FH) Jürgen Marc Volm M.Eng., MBA Drees & Sommer GmbH, Stuttgart
-1In den letzten Jahren sind zahlreiche gesetzliche Vorschriften oder Richtlinien, in Kraft getreten, die sich mit dem Begriff Risiko beschäftigen. Dies sind z.B. Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG), Deutscher Corporate Governance Kodex, Basel I und II, womit eine gesetzliche Verpflichtung zur Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen geschaffen wurde. Die Auseinandersetzung mit Risiken kann und soll allerdings nicht nur auf Druck des Gesetzgebers erfolgen, sie liegt vielmehr auch im ureigensten Interesse jedes einzelnen Unternehmens, denn häufig ist der Eintritt von schwerwiegenden Risiken der Auslöser von Unternehmenskrisen.1 Nach einer Umfrage in der Bauwirtschaft
2
über die zukünftigen Entwicklungen in der
deutschen Baubranche nannten die Führungskräfte der deutschen Bauunternehmen das Risikomanagement als wichtigsten Erfolgsfaktor! Analysen der Situation im deutschen Bau und Anlagenbau kommen ferner zu dem Ergebnis, dass dort mit einem wirksamen Risikomanagement Gewinnspannen zwischen 3 und 8% möglich wären!3 Die Risikosituation in Bauunternehmen unterscheidet sich von der in anderen Unternehmen insbesondere durch die besonderen Risiken von Bauprojekten. Diese Projektrisiken beeinflussen oft entscheidend die Risikosituation eines Unternehmens im Bauwesen. Wesentlicher Bestandteil des Risikomanagements muss daher ein wirkungsvolles Projekt-Risikomanagement sein.4 Die Forschung und die Praxis beschäftigen sich bereits seit mehreren Jahrzehnten intensiv mit Konzepten und Maßnahmen, die einen systematischen und gezielten Umgang mit Risiken ermöglichen (Risikomanagement). Vor allem der Bankensektor hat hier eine Vorreiterrolle übernommen. Über diese Methoden existieren zahlreiche Veröffentlichungen. Für ein ganzheitliches Risiko- und Chancenmanagement im Bauwesen gibt es jedoch kaum Literatur. Als Schlüsselindustrie in Deutschland kommt ihr jedoch eine große Bedeutung zu. Die Risikofaktoren der projektorientierten Unternehmen der Bauwirtschaft bestehen hauptsächlich im Unikatcharakter der Bauwerkserstellung und in den aktuellen Marktbedingungen. Die Risikomanagementsysteme der Banken und Versicherungen 1
Vgl. Romeike, F. (2005) Modernes Risikomanagement, S. 9
2
Roland Berger (2003), Bauwirtschaft - Erfolgsfaktoren der Bauindustrie
3
Bästelein, S. (2002), Groß, größer am gröbsten. McK Wissen 02, 1.Jg. 2002
4
Vgl. Romeike, F. u. Göcke, B. (2003), Erfolgsfaktor Risikomanagement – Risikomanagement bei Bauprojekten, S. 396
-2können daher nicht einfach auf die Unternehmen der Bauwirtschaft übertragen werden. Die einzelnen Schritte dieses Risikomanagementprozesses1 gliedern sich meist in die Handlungen Identifikation und Bewertung von Risiken, Risikobewältigung und -überwachung. Dabei kommt der Risikoidentifikation eine besondere Bedeutung zu, denn nur die Risikofaktoren, die erkannt werden, sind steuerbar. Der
Schwerpunkt
dieser
Master
Thesis
liegt
auf
den
Prozessphasen
der
Risikoidentifikation und -bewertung, da sie eine Schlüsselrolle im gesamten RMProzess spielen, denn sie liefern die Informationsgrundlage für alle weiteren risikopolitischen Entscheidungen.2 Zu Beginn eines Bauprojektes kommt ihnen daher eine besondere Bedeutung zu. Deshalb werden diese Punkte weiter vertieft. Die Unternehmen der Bauwirtschaft bewegen sich heutzutage in einem dynamischen und komplexen Umfeld, mit raschem technologischen Wandel, sich weltweit öffnenden Märkten
sowie
sich
verändernden
wirtschaftlichen
und
gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen. Um in diesem Leistungswettbewerb gegenüber der Konkurrenz bestehen zu können, sind verstärktes Risikobewusstsein und vermehrte Risikofähigkeit unerlässlich. Das frühzeitige Identifizieren von Chancen und Gefahren und die Fähigkeit,
diese
proaktiv
und
ganzheitlich
umzusetzen,
sind
entscheidende
Erfolgsfaktoren einer risikobewussten Unternehmensführung.3 Daher spielt bei der Analyse von Risikofaktoren und ihrem Zusammenwirken die Methodologie der Systemtheorie eine wichtige Rolle.4 In den vergangenen Jahren wurde Risikomanagement bei Bauprojekten aber häufig eher reaktiv betrieben, d.h. eingetretene Zielabweichungen wurden erst nach ihrem Eintritt identifiziert, analysiert und, wenn noch möglich, korrigiert. Wie schon bereits ausgeführt sind Projekte im Bauwesen aber Unikate mit immer neuen Voraussetzungen. Eine alleinige Anwendung von reaktiven RM-Methoden, wie sie allzu oft im Bauwesen betrieben wird, reicht hier also nicht aus! Projektrisiken lassen sich nicht rein linear, nur unter Abarbeiten von z.B. Checklisten, die auf der Auswertung von Vergangenheitswerten beruhen, managen.
1
sh. detailliertere Ausführung in Kapitel 2
2
Vgl. Romeike, F. (2005) Modernes Risikomanagement, S. 19
3
Vgl. UBS-OUTLOOK (1999), Bauwirtschaft, S. 4
4
Vgl. Romeike, F. u. Finke, R. (2003), Erfolgsfaktor Risikomanagement, S. 46
-3Hinzu kommt die sehr große Komplexität von Bauprojekten. Hier müssen Methoden angewandt werden, die die Wechselbeziehungen der einzelnen Risikoquellen besser verständlich machen. Denn nur Risiken, die man dadurch auch erkennt, kann man managen. Reduktionistische Instrumente, die komplexe Problemstellungen in handhabbare Einzelkomponenten herunter brechen, die dann einzeln gelöst werden, zerstören meist den ganzheitlichen Aspekt des Projektes. Die Abhängigkeiten, die in dem System bestehen, werden hierbei missachtet. Oft sind die Verknüpfungen aber so stark, dass Probleme als Ganzes und nicht nur in Teilen gelöst werden müssen. Das Ganze ist also mehr als die Summe seiner Teile. Die
allermeisten
mathematischen
Modelle,
auf
denen
das
traditionelle
Risikomanagement basiert, unterstellen eine bekannte, eindeutige und konstante Beziehung zwischen einer Ursache X und ihrer Wirkung Y. Die Realität sieht heute aber ganz anders aus: Abstrakt gesprochen, sind Projekte offene und hochgradig komplexe sozioökonomische Systeme. Das gilt vor allem für Bauprojekte: Sie bestehen aus einer Vielzahl von sehr heterogenen Elementen (Menschen, Maschinen, Gebäude, Gefühlen, usw.), die durch zahlreiche unterschiedliche Beziehungen sowohl miteinander als auch mit anderen Elementen aus der Umwelt verknüpft sind. Außerdem unterliegen diese Elemente und Beziehungen auch ständigen Veränderungen, die oft auch äußerst sprunghaft stattfinden.1 Chancen
und
Risiken
sind
Noch-Nicht-Ereignisse,
die
sich
nicht
aus
der
Vergangenheit ablesen lassen. Traditionelles Denken, in einer Ursache-Wirkungs-Beziehung (also in „wenn - dann“ – Konstellationen) ist daher ziemlich realitätsfern. Wahrscheinlicher ist, dass ein bestimmtes Ereignis (Risiko und Chance) durch mehrere, ineinander wirkende Ursachen hervorgerufen wird. Eine bestehende Problemstellung z.B. die Termin- und Kostensicherheit im Risikomanagement ist also keine bloße Folge von Ursache und Wirkung. Sie kann nicht monokausal auf einen einzigen Auslöser zurückgeführt werden, sondern ist vielmehr
das
Ergebnis
des
Zusammenspiels
verschiedener
Einflussgrößen, also ein System.
1
Vgl. Erben, F. u. Romeike, F. (2006), Allein auf stürmischer See, S. 34 ff.
Faktoren
und
-4Bauprojekte müssen also als Systeme verstanden werden, um ihre große Komplexität und starke Vernetzung zu managen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll daher untersucht werden, wie sich ein solcher ganzheitlicher Ansatz, in Verbindung mit den Theorien des Systems Thinking, auf das Risikomanagement
bzw.
die
Risikoidentifikation
und
Risikobewertung
von
Bauprojekten anwenden lässt. Folgende These lässt sich daraus ableiten: „Systems Thinking ermöglicht eine ganzheitliche Herangehensweise an das Risikomanagement bei Bauprojekten!“ Aus der Untersuchung der vorgestellten Modelle des Systemdenkens und den ausgeführten Schwächen der herkömmlichen RM-Methoden, erscheinen vor allem die Modellabbildung
und
die
Einflussmatrix
als
zielführend,
um
in
der
Risikoidentifikation und Risikobewertung im Bauwesen Anwendung zu finden, da mit ihrer Hilfe die Wechselwirkungen berücksichtigt, der Vernetzungsgrad der einzelnen Variablen bewertet bzw. die Rolle einer Risikoquelle im System aufgezeigt werden kann. Daher werden sie, im Rahmen dieser Arbeit, auf ihre Anwendung im Risikomanagement bei Bauprojekten untersucht. Der Ruf nach einem „Umdenken“ ist unüberhörbar geworden und geht quer durch alle Bereiche der Gesellschaft. Auch im Fachbereich Projektmanagement wird oft eine ganzheitliche Denkweise gefordert. Gemeint ist damit, um es mit den Worten von Ulrich und Probst zu sagen: „…ein integrierendes, zusammenfügendes Denken, das auf einem breiteren Horizont beruht, von größeren Zusammenhängen ausgeht und viele Einflussfaktoren berücksichtigt, das weniger isolierend und zerlegend ist als das übliche Vorgehen…“1 Ein Denken also, das mehr dem zusammenfügenden Generalisten als dem analytischen Vorgehen eines auf sein enges Fachgebiet beschränkten Spezialisten entspricht. Der weit verbreitete Slogan "keep it simple“ ist daher nur die halbe Wahrheit und nur dort wirksam, wo er anwendbar ist. In unserer komplexen Umwelt ist „learn to cope with complexity“ die andere Hälfte der Wahrheit, denn je besser man mit Komplexität umgehen kann, desto besser kann man sich in einer immer komplexer werdenden Welt behaupten.2
1
Ulrich, H., Probst, G., (1995), Anleitung zum ganzheitlichen Denken und Handeln, S.11
2
Vgl. von Mutius, B. u.a. (2004), Die andere Intelligenz, S. 182 ff.