Kurzlehrbuch Innere Medizin

Kurzlehrbuch Innere Medizin von Hanns-Wolf Baenkler, Hartmut Goldschmidt, Johannes-Martin Hahn, Martin Hinterseer, Andreas Knez 1. Auflage Thieme 201...
Author: Matilde Feld
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Kurzlehrbuch Innere Medizin von Hanns-Wolf Baenkler, Hartmut Goldschmidt, Johannes-Martin Hahn, Martin Hinterseer, Andreas Knez 1. Auflage

Thieme 2010 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 13 141672 8

Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

564 Klinischer Fall

Herz in Not

„Hören Sie mich?“ Keine Reaktion. Diana wendet den Esmarch’schen Handgriff an, die Atemwege sind frei. Die Atmung hat ausgesetzt und der Puls ist auch nicht tastbar. Jetzt muss es schnell gehen. Johan beginnt mit der Herzdruckmassage: 30 Thoraxkompressionen „28, 29, 30“, zählt er laut mit, dann beatmet Diana 2-mal. So verfahren sie im Wechsel, bis der Notarzt eintrifft. Da Diana am Telefon die Symptome des akuten Myokardinfarkts schilderte, ist der Notarzt sofort im Bilde und setzt die Paddles zur Rhythmusanalyse auf. Diana und Johan treten zurück und sind erleichtert, dass Rettungswagen und Notarzt so schnell kamen.

Kammerflimmern Lage der Elektroden bei Defibrillation

Besonders in der Rettungsmedizin und Intensivtherapie ist es wichtig, auf dem neuesten Stand der Forschung zu bleiben. Die neuen Leitlinien für die kardiopulmonale Reanimation (CPR) rücken die Herzdruckmassage in den Vordergrund: C vor B. Vor der Beatmung wird mit der Herzdruckmassage begonnen: 30 Thoraxkompressionen und dann 2-malige Beatmung.

Retrosternale Schmerzen, Übelkeit und Schweißausbruch

Die Rhythmusanalyse zeigt ein Kammerflimmern, Herr K. muss mit 360 J defibrilliert werden. Im Anschluss erfolgt wieder für 2 Minuten die CPR im Verhältnis 30 : 2 (Herzdruckmassage : Beatmung). Doch EKG und Puls sind unverändert und eine zweite Stromapplikation muss erfolgen. Danach erneut die Reanimation im Rhythmus 30 : 2 für 2 Minuten. Da das Flimmern unverändert ist, erfolgt die Applikation von 1 mg Adrenalin über den mittlerweile gelegten Zugang. Eine erneute Defibrillation und 2-minütige CPR schließen sich an. Doch die Situation ist unverändert. Der Notarzt verabreicht 300 mg Amiodaron i. v. und schließt zügig eine

„Dieser dumpfe Schmerz ist unerträglich“, erzählt

erneute 360-J-Defibrillation an. Nach folgender 2-Minu-

Manfred K. den Medizinstudenten Johan und Diana,

ten-CPR erfolgt die EKG- und Pulskontrolle: Puls und

die gerade auf dem Weg zur Uni waren. Sie hatten

Sinusrhythmus sind erfolgreich wiederhergestellt und

den aschfahlen 56-Jährigen, der sich mit beiden Hän-

Herr K. kann ins Krankenhaus transportiert werden.

den die Brust umfasst, auf einer Bank der U-Bahnstation

„Danke an euch!“, ruft der Notarzt noch Diana und

sitzen sehen und ihn angesprochen, ob es ihm nicht

Johan zu, bevor es mit Blaulicht ins Krankenhaus geht.

gut ginge und ob er Hilfe benötige. „Ich hatte das letzte Woche schon mal, aber da war es nicht so schlimm . ..

In der Klinik

und so was gerade jetzt, wo ich einen wichtigen Ge-

Das EKG im Krankenhaus zeigt einen akuten Hinter-

schäftstermin habe“, berichtet Herr K. angestrengt at-

wandinfarkt, sodass eine rasche Rekanalisation des ver-

mend. Er schaut Johan mit schweißgebadetem, angst-

schlossenen Gefäßes erfolgen muss. Herr K. übersteht

erfülltem Gesicht an: „Jetzt zieht dieser fürchterliche

diese Behandlung gut.

Schmerz bis in den linken Arm und ungemein übel ist mir auch.“ Während Diana mit ihrem Handy einen Notarzt ruft, versucht Johan, beruhigend auf Herrn K. einzuwirken. Johan denkt an die Therapie des akuten Herzinfarkts mit Sauerstoff, Morphin, ASS und Heparin und hofft auf ein schnelles Eintreffen des Notarztes. Plötzlich sackt Manfred K. in sich zusammen und rutscht von der Bank. Diana rüttelt an seiner Schulter:

Besuch für Herrn K. Diana und Johan möchten wissen, wie es Herrn K. geht und besuchen ihn auf der Station. Er sieht deutlich besser aus und hat auch die PTCA gut überstanden. Er bedankt sich ganz herzlich bei seinen Rettern und beteuert, in Zukunft den Stressfaktor zurückzuschrauben und besser auf sich zu achten.

aus: Baenkler u.a., KLB Innere Medizin (ISBN 9783131416728), © 2010 Georg Thieme Verlag KG

12 Intensivtherapie Allgemeine Intensivtherapie 565

12 Intensivtherapie 12.1 Allgemeine Intensivtherapie Key Point Die allgemeine Intensivtherapie befasst sich mit den grundlegenden Techniken, die für die Durchführung einer erfolgreichen Therapie internistischer Notfälle unabdingbar sind. Dabei sind die Technik der kardiopulmonalen Reanimation sowie die Prinzipien der Beatmungstherapie von besonderer Relevanz.

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12.1.1 Kardiopulmonale Reanimation Die kardiopulmonale Reanimation (CPR) setzt sich aus mehreren Maßnahmen zusammen. Früher nach ihrer Reihenfolge in der Durchführung als ABC-Schema bezeichnet, wurde diese Abfolge vor Kurzem umgestellt. Die kardiopulmonale Reanimation läuft nach den aktuellen Leitlinien zur Erwachsenenreanimation der ERC (European Resuscitation Council) 2005 nun folgendermaßen ab: A: Atemwege freihalten C: Compression des Thorax = Herzdruckmassage B: Beatmen D: Drugs (Medikamente) E: EKG-Diagnose F: Fibrillationsbehandlung = Defibrillation.

Basismaßnahmen: Vorgehen Feststellen der Bewusstlosigkeit Der Patient sollte zuerst angesprochen werden (z. B. „Was ist los?“, „Alles in Ordnung?“). Ist er nicht ansprechbar, sollte ein sanfter Schmerzreiz, z. B. ein Rütteln an den Schultern oder das Beklopfen der Wangen, gesetzt werden. Feststellen des Atemstillstandes Zur Feststellung des Atemstillstandes wird der Patient auf den Rücken gelegt, das HTCL-Manöver (head tilt and chin lift, Abb. 12.1) durchgeführt und ggf. werden die Atemwege frei gemacht (s. u. ). Eine Inspektion des Thorax hat zu erfolgen, um zu überprüfen, ob Atemexkursionen vorhanden sind. Weiterhin ist zu überprüfen, ob eine hör- oder spürbare Exspiration vorhanden ist, indem man das eigene Ohr vor Mund und Nase des Patienten hält. Diese diagnostischen Maßnahmen dürfen nur max. 10 Sekunden in Anspruch nehmen. Im Zweifel sollte mit der kardiopulmonalen Reanimation begonnen werden. Hilfe herbeirufen Hilfe ist herbeizurufen, denn eine definitive Patientenversorgung und differenzialtherapeutische Maßnahmen sind ohne zusätzliche Hilfe nicht möglich. Herzmassage – Beatmung Es wird mit 30 Thoraxkompressionen begonnen, erst dann wird zweimal beatmet.

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Abb. 12.1 Durchführung des HTCL-Manövers: head tilt and chin lift = Kopf überstrecken und Kinn anheben

Praxistipp Verfügbare Informationen über den mutmaßlichen Patientenwillen oder eine evtl. vorhandene Patientenverfügung sollten beachtet werden.

Basismaßnahmen: Spezielle Techniken Atemwege frei machen Digitales Ausräumen der Mundhöhle Die Mundhöhle sollte ggf. unter Anwendung des Esmarch"schen Handgriffs ausgeräumt werden (Abb. 12.2). Vom Kopfende aus umgreifen die Finger II–V beider Hände den Kieferwinkel, wobei die Daumen am Kinn liegen. Mit den Fingern wird der Unterkiefer nach vorne geschoben und mit den Daumen der Mund geöffnet. Eine Hand wird in dieser Haltung be-

Abb. 12.2

Esmarch’scher Handgriff

aus: Baenkler u.a., KLB Innere Medizin (ISBN 9783131416728), © 2010 Georg Thieme Verlag KG

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566 Allgemeine Intensivtherapie 12 Intensivtherapie lassen und mit dem Zeige- und Mittelfinger der anderen Hand werden Mund und Rachen schnell ausgetastet und Fremdkörper (ggf. auch Zahnprothese) entfernt. Bei Hinweisen für eine tiefere Verlegung der Atemwege wird der Heimlich-Handgriff angewandt. Freihalten der Atemwege ohne Hilfsmittel Bei einer erhaltenen Spontanatmung erfolgt die Seitenlagerung des Patienten, danach die kontinuierliche Beobachtung und Überprüfung der Atmung. Mit Hilfe des Esmarch’schen Handgriffs (s. o.) und des HTCL-Manövers können die Atemwege frei gehalten werden. Dabei kniet der Helfer neben dem auf dem Rücken liegenden Patienten. Eine Hand fasst unter das Kinn und hebt dieses an, während die andere Hand auf die Stirn des Patienten gelegt wird und diese nach unten drückt. Der Kopf wird dabei rekliniert und der Unterkiefer angehoben (Abb. 12.1).

MERKE

Entsprechend den aktuellen Leitlinien zur Erwachsenenreanimation der ERC 2005 wird entgegen der früheren ABC-Regel mit der Herzdruckmassage begonnen: 30 Thoraxkompressionen, dann 2-mal beatmen (C vor B, s. S. 565).

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Freihalten der Atemwege mit Hilfsmittel Pharyngealtuben, z. B. Guedel-Tubus (Abb. 12.3, erleichtert z. B. die Maskenbeatmung): Der Tubus wird mit der konkaven Seite nach oben (zur Nase) in den geöffneten Mund eingeführt. Nach ca. 5 cm wird er um 180° gedreht (konkave Seite weist nach unten) und bis zum Anschlag weitergeschoben. Kombitubus: Ein Kombitubus wird verwendet, wenn eine endotracheale Intubation technisch nicht möglich ist. Er wird blind oral eingeführt. Er besteht aus zwei Blockungsmanschetten und zwei Beatmungslumina, durch die alternativ je nach Tubuslage (im Ösophagus oder in der Trachea) beatmet wird. Endotracheale Intubation (Abb. 12.4) Bei der endotrachealen Intubation befindet sich der Patient in Rückenlage, wenn möglich sollte man eine ca. 5–8 cm hohe Unterlage unter den Kopf legen. Sollte eine Intubationsindikation trotz erhaltenem Bewusstsein oder Gegenwehr bestehen, wird ein Benzodiazepin (Midazolam oder Diazepam) und ein intravenöses Anästhetikum (Ketamin oder Propofol) verabreicht.

Abb. 12.4

Endotracheale Intubation

Rechtshänder öffnen mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand über Kreuz (Daumen am Unterkiefer, Zeigefinger am Oberkiefer) den Mund des Patienten so weit wie möglich. Dabei wird mit vermehrtem Zeigefingerdruck der Kopf überstreckt gehalten. Das Laryngoskop wird mit der linken Hand von der rechten Seite unter Sicht an der Zunge entlang eingeführt, bis die Epiglottis sichtbar ist. Der Laryngoskopspatel wird nach ventral und leicht nach kranial angehoben (Pfeil auf Abb. 12.4), bis die Stimmritze sichtbar ist. Druck auf den Kehlkopf von außen durch eine Hilfsperson kann die Einsicht erleichtern. Der Tubus wird am besten unter Verwendung eines Führungsstabes mit der rechten Hand unter Sicht so weit eingeführt, bis die Blockungsmanschette vollständig in die Trachea eingeführt ist. Der Tubus wird mit Luft geblockt. Dann kann der Beutel aufgesetzt und durch Auskultation die Tubuslage kontrolliert werden. Wenn links kein Atemgeräusch festzustellen ist, wird der Tubus entblockt und etwas zurückgezogen. Wenn ein Blubbern im Epigastrium hörbar ist, wird der Tubus entfernt und ein erneuter Intubationsversuch erfolgt. Jeder Intubationsversuch sollte nicht länger als 30 Sekunden dauern. Zwischen jedem Intubationsversuch erfolgen 3 Maskenbeatmungen mit maximaler O2Konzentration. Notfallkoniotomie (Abb. 12.5) Wenn eine Intubation z. B. aufgrund eines Glottisödems oder eines Fremdkörpers nicht möglich ist, sollte eine Notfallkoniotomie erfolgen. Dabei erfolgt eine Skalpell-Querinzision (Länge: ca. 2 cm) der Haut und des Lig. conicum zwischen Schild- und Ringknorpel. Die Wunde wird gespreizt und der Endotrachealtubus eingeführt und geblockt.

Beatmung

Abb. 12.3

Guedel-Tubus

Für eine effektive Beatmung müssen die Atemwege frei gehalten werden (s. o.). Nach jeder Luftinsufflation sollte die passive Exspiration durch Beobachten

aus: Baenkler u.a., KLB Innere Medizin (ISBN 9783131416728), © 2010 Georg Thieme Verlag KG

12 Intensivtherapie Allgemeine Intensivtherapie 567 Abb. 12.5 Anatomische Gegebenheiten bei Notfallkoniotomie

Schildknorpel Lig. conicum

Ringknorpel

des Thorax abgewartet werden. Bei der Beatmung muss sich der Thorax des Patienten sichtbar heben (ca. 500 ml Atemzugvolumen). Beatmung ohne Hilfsmittel Mund zu Mund: Standardverfahren Mund zu Nase: gelegentlich effektiveres Alternativverfahren Mund zu Tracheostoma: bei bereits tracheotomierten Patienten Mund zu Mund und Nase: bei kleinen Kindern Mund und Nase gleichzeitig umschließen. Maskenbeatmung (mit Guedel-Tubus, s. S. 566) Bei der Maskenbeatmung kniet der Helfer hinter dem Patienten, wobei der Rechtshänder mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand die Maske über Mund und Nase presst und mit den übrigen Fingern durch Zug am Unterkiefer Gegendruck ausübt. Der Beutel ist mit der rechten Hand langsam (ca. 1 s) zu komprimieren, bis sich der Thorax des Patienten deutlich sichtbar hebt. Danach ist die passive Exspiration abzuwarten (Abb. 12.6). Während der Beatmung wird über

einen speziellen Anschluss am Beutel Sauerstoff zugeführt (8–10 l/min). Beatmung mit Beutel nach endotrachealer Intubation (s. S. 566).

Herzdruckmassage Die Herzdruckmassage erfolgt auf einer harten Unterlage wie z. B. dem Boden oder auf dem herausnehmbaren Brett vom Kopf- oder Fußende eines Krankenbettes. Der Druckpunkt befindet sich etwa in der Mitte des Sternums. Die Druckausübung erfolgt mit gestreckten Ellenbogengelenken und übereinander gelegten Handballen, wobei die Finger beider Hände miteinander verschränkt werden. Die Schultern des Helfers befinden sich senkrecht über dem Druckpunkt (Abb. 12.7). Die Druck- und Entlastungsphase sind gleich lang. Die Druckausübung ist so stark, dass sich der Thorax um etwa ⅓ des Thoraxdurchmessers einsenkt (auch dann, wenn bei der ersten Kompression Rippen frakturieren). Die Massagefrequenz beträgt bei Erwachsenen etwa 100/min. Bei der Ein- und Zweihelfer-Methode sind jeweils 30 Herzdruckmassagen und 2 Beatmungen (laut mitzählen!) durchzuführen. Die Effektivität der Herzmassage kann durch Betasten des Femoralispulses orientierend beurteilt werden.

Erweiterte Maßnahmen

Abb. 12.6

Venöser Zugang: Im kardiogenen Schock sind oft gute Zugangswege über die V. jugularis externa zu finden. Nur bei fehlender peripherer Zugangsmöglichkeit besteht die Indikation für einen Subklaviakatheter. Kann kein venöser Zugang gelegt werden, wird Adrenalin (z. B. Suprarenin) oder Atropin über den Endotrachealtubus gegeben. Endotracheal wird die 3-fache Dosis appliziert.

Maskenbeatmung

Druckpunkt Processus xiphoideus a

b

Abb. 12.7

Herzdruckmassage

aus: Baenkler u.a., KLB Innere Medizin (ISBN 9783131416728), © 2010 Georg Thieme Verlag KG

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