Osnabrück, 17.10.2009

Dr. Torsten Schwan - Eingangsstatement zur Podiumsdiskussion am 05. 10.2009:

Abriss des politischen Petersen 1918/19 - 1945 (Kurzfassung) Vorbemerkung: Nachfolgend soll mein Eingangsstatement vom 05.10.09 in einer Kurzform wiedergegeben werden. An einer längeren Form, die kontextualiserende Zitate und kontextualisierende Literatur enthalten wird, arbeite ich zur Zeit. Insgesamt gilt für beide schriftliche Formen, was ich auch schon münd­ lich während des Statements ausgeführt habe, nämlich dass ein wirklich befriedigender Abriss in Anbetracht der kurzen Redezeit nicht möglich sei. Insofern kann die nachfolgende Zusammenfas­ sung nur einen recht groben Überblick über die historische Entwicklung liefern. Zum Zeitraum vor 1918/19 Der Zeitraum vor 1918/19 - 1918 ist der 1884 geborene Petersen 34 Jahre alt geworden, also kein ganz junger Mann mehr - ist bezogen auf Petersens politischen Standpunkt und sein politisches Verhalten noch weitgehend unaufgearbeitet. Die erste umfangreichere Beschäftigung, die wissen­ schaftlichen Ansprüchen genügt, findet sich in der neuen Studie von Herrn Retter auf rund 70 Sei­ ten. Bei allen Verdiensten dieser Erarbeitung muss der Zeitraum vor 1918/19 noch vielfach als ein Desiderat angesehen werden. Vernunftrepublikanischer Anfang nach dem Ersten Weltkrieg Nach dem Ersten Weltkrieg startet Petersen - wie manche, aber sicherlich nicht der Großteil der Eli­ ten - durchaus mit Hoffnungen in die neue Republik. In diesem Kontext sollen vier sein Handeln vorantreibende politische Momente genannt werden: 1. Petersens übergreifende Hoffnung war das Entstehen einer "Volksgemeinschaft", die er auch nach 1918/19 immer wieder mit der Metapher der "Einheit im Volke" umschrieb. Mit dem Begriff der "Volksgemeinschaft" benutzte auch er eines der zentralen, wenn nicht das zentrale politische Schlagwort des von der SPD bis zur DNVP reichenden politischen Spektrums. 2. Diese Hoffnung war verbunden mit spezifisch sozialistischen Vorstellungen, denen es um die Harmonisierung und Überwindung der massiven Klassenkonflikte innerhalb der sich weiter ausfor­ mierenden deutschen Industriegesellschaft ging. 3. Auf dieser Grundlage vertrat er recht eindeutig antikapitalistische Vorstellungen. Diese waren zu­ nächst mit pazifistischen und internationalen Ansichten und Ausrichtungen verbunden. 4. Überformt wurden diese Vorstellungen von einer freichristlichen protestantischen Theologie, die das Individuum in den Vordergrund rückte. Mit diesen vier Grundansichten verortete sich Petersen in die breite Lebensreform-Bewegung der entstehenden Weimarer Republik. Im Sinne vernunftrepublikanischer Vorstellungen betonte er beispielsweise im April 1920 in seiner Antrittsrede als Schulleiter der späteren Lichtwark-Schule im Rückgriff auf Fichte: "Und aus dieser Anlage des deutschen Volkes, die Bildungsschichten sich gegenseitig durchdringen und befruchten zu lassen, folgerte er sogar: die deutsche Nation ist die einzige unter den neueuropäischen Nationen, welche die republikanische Verfassung zu ertragen vermag. Dieser 'deutscheste aller Philosophen', wie er genannt zu werden pflegt, müßte in unsern Tagen - politisch so schwer für das deutsche Volk wie die Jahre zwischen 1807 uns 1813, in denen dieser glaubensvolle Mann lehrte - uns mahnend zurufen: nun erfüllen und wahr zu machen, was ihm nur Glaube sein konnte." Zunehmende Skepsis gegenüber der Weimarer Republik ab etwa 1923/24 Jene vernunftrepublikanische Emphase kühlte infolge der politisch-ökonomischen Krisen der Jahre 1920 bis 1923/24 zusehends ab. Die Republik schaffte nicht die erhoffte "Einheit im Volke" und

wurde von Petersen zusehends als eine zerklüftete "Parteiendemokratie" angesehen. In diesem Sinne schrieb er 1926: "Vielleicht aber werden die Erfahrungen des Weltkrieges, daß durch einen Krieg die Arbeiterschaft, ja die ganze breite Bevölkerung keines einzigen Landes, weder der Sieger noch der Besiegten, irgendwelche materiellen Vorteile gehabt hat, sondern das Gegenteil davon, mithelfen, daß zwischenstaatliche Streitigkeiten aller Art nach und nach mit anderen Mitteln und auf anderen Wegen gelöst werden, als es die alten Diplomaten gewöhnt sind. [...] Die zahlreichen pazifistischen Verbände und ihre stark besuchten Tagungen zeigen, daß die Völker zueinander hin­ streben, über die alten berufsmäßigen Politiker hinweg. [Absatz] Wir sehen, daß die Völker, und sehr bezeichnend die Jugend allerorten, unsre Formen des Parlamentarismus satt haben und damit die gegenwärtige Form der Demokratie. [...] Alle Regierung ist und bleibt Minderheitenregierung, und in der Demokratie sucht sich diese Minderheit ihre Stütze durch Stimmenmehrheit, und dann herrscht sie unter der Fiktion, daß die gewählten paar Menschen, die 'Interessen' der Mehrheiten vertreten, zugleich aber diese Mehrheiten die Interessen des Ganzen. [...] Heute ist das parlamenta­ rische System viel zu grob und ungenügend, um die Volksinteressen zu vertreten, ja, die regierende Minderheit ist eine in der Regel viel zu wenig geistig führende Schicht, um den wahren Ausdruck der volklichen Interessen zu bilden. Wie wenig heute der Besitz der zahlenmäßigen Macht den Re­ gierungsparteien der Parlamente nützt, das lehrt ihr vergeblicher Kampf gegen die Inflation in Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, der ein Kampf ist gegen die Macht der Finanz, die sich auf Kosten der Völker bereichert und den in der Regierung ausgedrückten 'Volkswillen' eigensüch­ tig verhöhnt. [...] Wir haben den Glauben an Macht, Wert und Ideal dieses Parlamentarismus verlo­ ren, seitdem er weder die Gesetze der Ehre und des Anstandes noch das Recht und eine vernünftige soziale Ordnung auch nur schützen kann.“ Hier nun findet sich ein gehöriges Maß an Skepsis, aber noch keine republikfeindliche Einstellung. Mir ist bislang auch keine republikfeindliche Aussage Petersens aus den 1920er Jahren bekannt. Biographische Einschnitte in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre bahnten sich komplexe Entwicklungen in Petersens Denken und Handeln an. Jene dürften auch, aber nicht nur auf verschiedene in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre vonstatten gehende biographische Einschnitte und Brüche zurückgehen: 1. Im August 1927 erfahren Petersen und sein Jenaplan auf der vierten Tagung der New Education Fellowship in Locarno gehörige internationale Aufmerksamkeit. Petersen kehrte insofern als ein in­ ternational bekannter Pädagoge nach Deutschland zurück. 2. Im Oktober 1927 lässt sich Petersen von seiner ersten Frau Gertrud Zoder scheiden. Diese ihn recht stark belastende Scheidung bedeutete zugleich auf der theoretischen Ebene einen Bruch mit den für ihn zentralen "Lebensgemeinschafts"-Vorstellungen. 3. Im Februar 1928 heiratete Petersen seine zweite Frau Else Müller-Petersen. Sie dürfte nicht nur bezogen auf sein Werk, sondern von dorther auch auf Petersens politische Vorstellungen einen grö­ ßeren Einfluss ausgeübt haben als seine erste Frau. Insgesamt dürfte Else Müller-Petersen politisch deutlich konservativer und auch deutlich weniger liberal eingestellt gewesen sein als Gertrud Zoder. 4. In den Jahren 1927/28 erfuhr Petersen eine schwere Niederlage durch alte Gegner, indem er be­ trächtlich an Einfluss auf die Volksschullehrer-Ausbildung zugunsten eines neu geschaffenen "Pä­ dagogischen Instituts" verlor. Auch diese Niederlage wurde von ihm als stark niederschmetternd empfunden. 5. Vom 01.04. bis 31.10.1928 hielt sich Petersen in den USA, vom 01.05. bis Mitte Oktober 1929 in Chile auf. Beide Aufenthalte wertete er als stark prägend für sein weiteres Werk. Insgesamt findet man in dieser Zeit die Aufnahme komplexer "Zeitgeist"-Gedanken, die sich insbe­ sondere immer stärker gegen neuhumanistische Vorstellungen richteten und Petersen zunehmend kulturidealistische Ansichten ablehnen ließen. Zugleich formte Petersen mit der ersten Auflage des später so genannten "Kleinen Jenaplans" 1927 und dem ab Anfang der 1930er Jahre vollzogenen

Export des Jenaplan-Konzepts über Jena hinaus seine theoretisch-praktischenen Reformideen zu einem umfassenderen Jenaplan-Projekt aus. "Realistische Wende" ab 1929/30 - erste Radikalisierungsphase Ab etwa 1929/30 beginnt bei Petersen ein tiefgreifender Wandlungsprozess in seinem Denken, den er später mit dem Begriff der "realistischen Wende" umschreiben wird. Dieser Wandlungsprozess war 1933 noch nicht abgeschlossen, sondern befand sich dort noch im weiteren Fluss. Mit der "rea­ listischen Wende" und der daraus folgenden Ausprägung des von ihm so genannten "Pädagogischen Realismus" schlugen nun zuvor auch zugrunde gelegte metaphysische Gedanken fundamental durch. Petersen "ontologisierte" jetzt seine Erziehungstheorie zunehmend. Der "Pädagogische Rea­ lismus" erhielt zunehmend ein metaphysisch-spekulatives Fundament ontologischer Qualität. Die ihn begründenden Zentralbegriffe wie "das Wesen", "das Sein", "der Grunde" waren dabei nicht mehr logisch-rational analysier-, sondern nur mehr spekulativ deutbar. Diese Aufnahme existenzia­ listischer Vorstellungen verschärfte zugleich Petersens Stellung gegen kultur- und werttheoretische sowie neukantianische Theorien. Sein Weg ging also von der Logik der Begriffe zu deren metaphy­ sisch-onotologischen Deutung, die Petersen zunehmend mit dem gleichfalls nicht mehr semantisch klar beschreibbaren Begriff der "Schau" oder "Wesensschau" bezeichnete. Dieser Prozess zog eine immer weiter fortschreitende "Enttheoretisierung der Erziehungswissenschaft" nach sich und zeiti­ gte so mehrere Wirkungen: 1. In Folge der dargestellten Prozesse werden nun auch zentrale erziehungswissenschaftliche Grundbegriffe wie "Erziehung", "Bildung", "Entwicklung" zusehends schwammiger. 2. Auch dadurch bahnt sich ein Prozess des "Verlustes konsistenter (Bildungs-)Werte" an. Denn mit der zunehmenden Unschärfe der grundlegenden Zentralbegriffe werden sowohl der Zweck als auch das Ziel des Bildungsprozesses zunehmend unklarer. 3. Gleichzeitig erfolgte eine zunehmende Öffnung für völkische und biologistische Vorstellungen und Akteure, so beispielsweise zum "völkisch-rassisch" orientierten Prähistoriker Hans Hahne in Halle, zum Herausgeber der Zeitschrift "Blut und Boden" Georg A. Kenstler, zum altvölkisch-anti­ semitischen Erwachsenenbildner Theodor Scheffer in Bad Berka. Im Zuge dieser Entwicklungen wird zugleich auch der Rassebegriff für Petersens Werk zunehmend zentraler. Die fortschreitende "Enttheoretisierung" ließ ihn also zunehmend seinen "Wertekompass" verlieren. 4. Damit verbunden war die fortschreitende Ergänzung des vormals stark funktionalen Erziehungs­ begriffs (Erziehung geschieht "naturwüchsig", indem Erfahrungen auf das Individuum einwirken) um eine intentionale Komponente; damit wurde zugleich der "Führer"-Begriff für Petersen wich­ tiger. 5. Innerhalb der oben angerissenen Entwicklungen formte sich theoretisch nun mehr und mehr Pe­ tersens Vorstellung einer "Familienschule" aus. Damit war die Wandlung der Jenaer Universitäts­ schule von einer "weltlichen Arbeits- und Lebensgemeinschaftsschule" ohne Religionsunterricht (Mitte der 1920er Jahre) über eine "Simultanschule", die also lebens- und religionskundlichen Un­ terricht kannte (Ende der 1920er Jahre), hin zur evangelischen Bekenntnisschule (1932) verbunden. Diese skizzierten tiefgreifenden Wandlungsprozesse waren 1933 - wie schon betont - noch nicht ab­ geschlossen. Das erste Halbjahr 1933 In der ersten Jahreshälfte 1933 findet sich zunächst keine explizite öffentliche Reaktion Petersens auf die NS-"Machtübertragung". In seinen Veröffentlichungen sind nun zwar bereits als Kontinui­ täten zu begreifende völkisch-biologistische Vorstellungen vorhanden. Allerdings findet die NS-"Machtübertragung" im Frühjahr 1933 öffentlich weder Zustimmung noch Ablehnung, sondern eben gar keine öffentliche Reaktion trotz verschiedener veröffentlichter Artikel. Die ersten öffentlichen Reaktionen lassen sich ab Ende Mai/Anfang Juni nachweisen. Hier nun fand

Petersens typischer antikapitalistischer Grundzug eine Verbindung mit antisemitischen Vorstel­ lungen. So heißt es in einer der von Herrn Ortmeyer entdeckten Rezensionen: Der Autor sei „ein echter, innerlich überzeugter Verfechter des deutschen Sozialismus und weiß es immer wieder klarzumachen, daß der Weltkrieg vor allem der Vernichtung dieses Sozialismus gegolten hat, um Deutschland in die Fesseln des internationalen Weltkapitals zu bringen. [...] Diese Seiten sollten durch alle Zeitungen und Zeitschriften gehen, ebenso R.' Hinweis auf den japanisch-chinesischen Krieg als von demselben Weltkapital angezettelt, das Deutschland zum Sklaven zu machen versucht hat [...]. Etwas, das uns die aus Japan gemeldeten Judenverfolgungen auf einmal verständlich macht!“ Sommer 1933: Beginn der zweiten Radikalisierungsphase Ab Frühsommer 1933 begann Petersen, gemeinsam mit sich selbstgleichschaltenden regionalen Eli­ ten ein recht schnell umfassenden Charakter gewinnendes "Jenaplan-Landschulprojekt" in Westfa­ len im Kreis Lübbecke (zwischen Osnabrück und Minden gelegen) auszuprägen. Dieses Projekt führte dazu, dass bis 1935 rund zwei Drittel der Schulen des Kreises (über 40 Schulen) ihre Arbeit auf den Jenaplan umstellten. Innerhalb dieser Entwicklung finden wir nun bei Petersen ein Changie­ ren zwischen Autonomieforderungen, Affinitäten und Selbstgleichschaltungs- sowie Selbstmobili­ sierungsmaßnahmen. 1. Die Autonomieforderungen waren nötig, weil Petersen die Handlungsvollmacht innerhalb des Projekts unter allen Umständen in den eigenen Händen behalten wollte. 2. Die Affinitäten zeigten Schnittmengen mit NS-ideologischen Vorstellungen und NS-Gruppie­ rungen, die sich im Zuge der theoretischen Neuausrichtungen ab 1929/30 zunehmend ausgeprägt hatten. 3. Die Selbstgleichschaltungs- und Selbstmobilisierungsmaßnahmen standen im Kontext auch der immer größer werdenden öffentlichen Bedeutung, die der Jenaplan in Theorie und Praxis durch das westfälische Jenaplan-Landschulprojekt erfuhr. Die Affinitäten und Selbstgleichschaltungs- sowie Selbstmobilisierungsmaßnahmen waren mitei­ nander verbunden und stützten zugleich die Möglichkeit, Autonomieforderungen anstellen zu kön­ nen. Diese Entwicklungen waren gleichzeitig in einen weiter fortschreitenden Radikalisierungspro­ zess eingebunden und standen so verstanden im Kontext fortgeführter "Enttheoretisierung", fort­ schreitendem "Verlust von Werten" und weiter zunehmender "Ontologisierung". Scheitern des Projekts und Suche nach neuen Bündnispartnern Mit den geschilderten Prozessen wurden Petersen und die Jenaplan-Pädagogik zunehmend als Kon­ kurrenten für weitere NS-Pädagogen wahrnehmbar. Als zentrale Konkurrenz erwies sich schließlich der neben Ernst Krieck zentrale NS-Pädagoge insbesondere der ersten Jahre nach der NS-"Machtü­ bertragung", Alfred Baeumler, der sich ab Sommer 1935 gemeinsam mit wichtigen seiner akade­ mischen Schülern, die zugleich einflussreiche Funktionen im Reichserziehungsministerium innehat­ te, gegen Petersen und die Jenaplan-Pädagogik positionierte. Nachdem Versuche aus dem Kreis der Jenaplan-Pädagogik, Baeumler und seine akademischen Schüler für das Jenaplan-Projekt zu gewin­ nen, im Sommer 1935 scheiterten, brachten diese im Frühjahr 1936 das Projekt - u.a. auch mittels eines Erlasses des Reichserziehungsministeriums - zu Fall. Ab Frühjahr 1936 praktizierte außer in der Jenaer Universitätsschule keine weitere Schule öffentlich noch den Jenaplan. Mit dieser schweren Niederlage war Petersen nun also schulpraktisch erneut gänzlich auf die Uni­ versitätsschule zurückgeworfen. Dieser Prozess muss als ein umfassendes Scheitern begriffen wer­ den. Als Folge suchte Petersen ab der zweiten Hälfte der 1930er Jahre verstärkt nach machtvollen Bündnispartnern und einer entsprechenden Lobby, die zugleich mit eigenen Vorstellungen, die zu­ nehmend radikalisiert worden waren, Entsprechungen aufweisen sollten.

Selbsteinbindung in den SS-Kreis um Karl Astel - Petersens dritte Radikalisierungsphase In dieser "Lobbyarbeit" wurde Petersen ab etwa 1938/39 fündig, indem er sich offensichtlich be­ wusst und gezielt dem SS-Kreis um Karl Astel und seinem Adlatus Lothar Stengel v. Rutkowski ab 1939 die Leitungsebene der Jenaer Universität - annäherte. 1. Scharnier für diese Annäherung dürften insbesondere verschiedene von Petersens akademischen Schülern gewesen sei, die ebenfalls SS-Mitglieder waren, wie z.B. Karl Knopp, Herbert Ruppert, Christoph Carstensen, Werner Pohl. Jene verfügten augenscheinlich z.T. über direkten Kontakt zu Astel. 2. Bereits 1935 hatte sich Petersen gemeinsam mit dem eng an Astel gebundenen Philologen und Publizisten sowie mit Astel selbst und Himmler im Hintergrund für den altvölkisch-antisemitischen Erwachsenenbildner Theodor Scheffer stark gemacht, der daraufhin 1937 einen Lehrauftrag für "politische Pädagogik" an der Universität Jena erhielt. 3. Im Frühjahr 1941 betonte Astel in einem programmatischen Zeitungsartikel die "fruchtbare Zu­ sammenarbeit" u.a. auch mit Petersen im Sinne seiner weiter vorangetriebenen Ausrichtung der Je­ naer Universität in Richtung auf eine "SS-Universität". 4. Im gleichen Zeitraum wurde Petersen als ein "wesentlicher Bestandteil" des etwa 14-tägig statt­ findenden so genannten "Rutkowski-Kreises" angesehen, also einem machtvollen SS-Kreis, der die Jenaer Universitätspolitik maßgeblich mitbestimmte. 5. Im gleichen Zeitraum 1940/41 veröffentlichte Petersen die beiden von Herrn Ortmeyer genannten Artikel zur "rassischen Geschichtsbetrachtung" und zur "rassischen Hochwertigkeit". In diesen Arti­ keln findet man nun mit Vorstellungen wie den "weißen Völkern", "Auslese", "Ausmerze", "hoch­ wertige Rassen", "brutale Vernichtung der Unterliegenden", "Minderwertigkeit", "Gestalter des Erdballs" etc. eine klare Ausrichtung auf SS-Kernbestände. 6. Im gleichen Zeitraum findet Petersens zentraler akademischer Schüler Heinrich Döpp-Vorwald in seinem Habilitationsverfahren wohlwollende finanzielle Unterstützung durch den Astel-Kreis. 7. Im gleichen Zeitraum band sich Petersen gemeinsam mit Stengel v. Rutkowski in zwei öffent­ liche Vortragsreihen Scheffers zum "nationalsozialistischen Gesetz und nationalsozialistischer Ge­ setzgebung" vor rund 250 regelmäßigen Zuhörern (Sommertrimester 1940) und zum "deutschen Le­ bensraum in der europäischen Geschichte und seiner Zukunft" vor rund 550 regelmäßigen Zuhörern (Wintertrimester 1940/41) ein. 8. Im Frühjahr 1944 beteiligte sich Petersen schließlich mit drei Vorträgen an der von Astel organi­ sierten und von rund einem Dutzend Hochschullehrern der Jenaer Universität vollzogenen Vor­ tragsreihe vor ins KZ Buchenwald verschleppte norwegische Studenten. Fazit Die Darstellung dieser Kurzfassung hat skizzenhaft mehrere Ergebnisse erarbeitet: 1. Peter Petersen ist von 1918/19 über drei ab 1929/30 ineinander greifende Radikalisierungsphasen einen komplexen Weg von vernunftrepublikanischen Veröffentlichungen und Praktiken hin zur ge­ zielten SS-Unterstützung ab etwa 1938/39 gegangen. Er hat dabei zugleich entsprechende theore­ tische Vorstellungen entwickelt, an deren Ende die gezielte Übernahme von SS-Positionen stand. 2. Diese komplexe Entwicklung ist durch eine unschattierte Schwarz-Weiß-Malerei - egal aus wel­ cher Richtung kommend - nicht verstehbar. 3. Petersens Weg war dabei nach 1933 ein Weg von der Wissenschafts- hin zur Funktions- und schließlich auch zur Weltanschauungselite. Dieser Weg muss als ein Weg zunehmender moralischer Verrohung begriffen werden. 4. Peter Petersen geht als Kind seiner Zeit in verschiedenen Bereichen einen durchaus exempla­ rischen Weg nicht weniger deutscher Wissenschaftseliten. Als Kind seiner Zeit ist er nur aus dieser Zeit heraus begreifbar. Das heißt für uns heute auf Grundlage unserer demokratischen Werte und Überzeugungen: Peter Petersens Geschichte sollte uns Aufgabe, Mahnung und Warnung sein und bleiben.