. disPuta. Krise der Kirche ¬ Krise der Priester Das Jahr der Priester, dessen Beginn Papst Benedikt für das Herz-Jesu-Fest am 19. Juni angekündigt hat, kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Das übereifrige Aggiornamento in den Jahren nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat in sich auch eine Saat getragen, aus der der Kirche eine Krise erwachsen ist, eine Krise der Priester. Sie hat mittlerweile vor allem der priesterlichen Leitung der Kirche die Kraft entzogen. Der Fisch beginnt bekanntlich am Kopf zu stinken. Das Trienter Konzil hat seine katholische Reform daher nur durch eine reformatio capitis et membris durchsetzen können, eine Reform an Haupt und Gliedern. Das Haupt, an dem die Kirche momentan krankt, ist aber nicht der Papst. Die Päpste, die die Kirche seit dem Konzil geleitet haben, waren realistische Reformpäpste, die die Erneuerungen des Konzils umgesetzt und vor missverstandenen Übertreibungen sicher geschützt haben. Stattdessen, glaubt unser Autor, braucht es heute eine Reform der mittleren Ebene, der unteren und mittleren Leitung der Kirche durch die Priester in Einheit mit den Bischöfen. Die Abbildungen auf diesen Seiten zeigen eine Priesterweihe in der Pariser Kathedrale Notre Dame. 6-7|2009

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„Oben ohne“ geht das nicht! Wenn Reinheit und Heiligkeit im Inneren fehlen, käme der Weltdienst des Priesters unter die Räder. Die Mühlen des kirchlichen Betriebs würden ihn zerreiben – mit den sattsam bekannten Folgen: Erschöpfung, Flucht und Doppelleben

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Von Ansgar Wucherpfennig SJ Das Jahr der Priester steht unter dem besonderen Patronat des heiligen Pfarrers von Ars. An ihm kann man sehen, was in der Kirche möglich wird, wenn eine Reform der Priester gelingt. Durch eine geheilte Besessene hat der Teufel dem Pfarrer von Ars einmal ins Angesicht bekannt: „Wenn es nur drei von deiner Sorte auf dieser Erde gäbe, wäre mein Reich zerstört.“ Es fällt mir schwer von der Einsicht in die erforderliche Erneuerung des Priestertums zu schreiben, ohne dabei auf meinen eigenen Weg als Jesuit, Priester und Neutestamentler einzugehen, der in diesem Punkt der Weg einer Bekehrung ist. Obwohl ich mir nie ein anderes Ziel meines Theologiestudiums vorstellen konnte, als Priester zu werden, haben wir im Studium Worte, die unsere eigene priesterliche Sendung bezeichneten, nur verlegen in den Mund genommen: „Priester“, „Messopfer“, „Kult“, man könnte die Liste fortführen. Eigentlich waren dies für mich eher Worte aus der Religionsgeschichte, bestenfalls ironisch für die eigene Sendung verwendet, am liebsten aber vermieden und durch andere Worte ersetzt. Dabei lebten oft Leidensgeschichten älterer Priester aus vorkonziliaren Seminaren weiter. „PLOL“ wurde zum Beispiel als despektierliche Abkürzung für die ursprünglich wohlgemeinte Maxime eines Regens „Priesterleben – Opferleben“ von Jahrgang zu Jahrgang weiter kolportiert. Es wäre wichtig gewesen, überhaupt erst einmal unser Verständnis zu gewinnen für das, was Opfer ist, für die Heilige Schrift nämlich etwas unglaublich Schönes: dass ein Mensch Gott nahen darf. Der Samstag galt im Seminar seltsamerweise verbreitet als „kultfreier“ Tag. Auch hier hätte schon meine Generation es bedurft, dass wir an die Bedeutung einer täglichen Messfeier herangeführt werden. Den wesenhaften „ontologischen“ Unterschied, mit dem die Konzilien die Priesterweihe erklären, konnten wir nicht nachvollziehen. Den Priester hielten wir für eine Art „Ontosaurus“. Es hat lange gedauert, bis ich gemerkt habe, dass all das nicht reicht, um in dieser Kirche Priester zu sein. Dabei bin ich selbst tief in eine Krise meiner Berufung geraten. Am Fest Peter und Paul 2006 hat eine fast beiläufige Bemerkung eines Freundes den Impuls gegeben. Von da an habe ich begonnen, konsequent priesterliche Kleidung zu tragen. Es war nur der Beginn: Mir war dann auf einmal klar, dieses äußere Zeichen bedarf einer neueren inneren Stimmigkeit. Und damit hat sich 6-7|2009

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langsam in meinem Herzen der Weg zu dem erschlossen, was in diesem Beitrag niedergeschrieben ist. Dabei möchte ich nicht einfach mit meiner Ausbildung abrechnen. Die Jesuiten in der Seminarleitung hatten durchaus einen Sinn für das pulchrum der Liturgie. Die Herzensbildung im Noviziat ist essentiell für mein Leben der evangelischen Räte. Es geht mir vielmehr um eine Suche nach den Wurzeln, aus denen – damals wie heute – ein kraftvolles Priestertum wachsen kann. Schon für meine Generation galt, was Hans Urs von Balthasar einmal dem jetzigen Papst als Erfordernis dieser Zeit genannt hat: Man darf den Glauben nicht einfach voraussetzen, man muss ihn wieder vor-setzen. Es braucht in der Ausbildung junger Männer, die zum Priester gerufen sind, Erzieher wie Paulus, die den richtigen Zeitpunkt herausfinden, wann sie von der Milch zur festen Nahrung übergehen können. Es ist daher bezeichnend, dass die Forderung des Papstes an die deutschen Bischöfe nach einem propädeutischen Jahr der Priesterausbildung bislang so wenig Rückhall findet.

Der Weltbezug der Priester Die Wurzeln der heutigen Krise liegen vor allem an einer einseitigen Interpretation der Konzilsdekrete in der Zeit nach dem Konzil. Klaus Berger hat einmal von der „Oben-Ohne-Theologie“ dieser Jahre gesprochen. „Transzendenzverlust“ ist ein hartes Wort, aber es beschreibt die Situation nach dem Konzil, die vor allem die Diesseitigkeit des Dienstes der Priester in den Blick gerückt hat. Es ist erstaunlich, wie ausgewogen dagegen das Konzil über die Diesseitigkeit dieses Dienstes spricht: „Die Priester des Neuen Testamentes werden zwar aufgrund ihrer Berufung und Weihe innerhalb der Gemeinde des Gottesvolkes in bestimmter Hinsicht abgesondert, aber nicht, um von dieser, auch nicht von irgendeinem Menschen getrennt zu werden, sondern zur gänzlichen Weihe an das Werk, zu dem sie Gott erwählt hat.“ Karl Rahner hat dies den Weltbezug der Priester genannt. Hier atmet das wirkliche Aggiornamento, und das tut es auch heute noch: Priester müssen heute in der Welt stehen, ohne durch Verweltlichung zerrieben zu werden. Diese Weltlichkeit meint für den Priester heute vor allem den Dienst an der Neuevangelisierung. Die Kleruskongregation hat 1999 eine Wegweisung für Priester im dritten Jahrtausend herausgegeben. Die missionarisch-theologische Kompetenz Johannes Pauls II. ist mit ihrer ganzen Kraft in das Dokument eingegangen. Als erste Aufgabe des Priesters nennt das Dokument die Verkündigung. Der Priester ist zu allererst Lehrer des Wortes. Die eigentliche Unterweisung rage unter den geistlichen Werken der Barmherzigkeit hervor: Die Rettung erfolgt im Kennenlernen Christi, denn „es ist den Menschen kein anderer 6-7|2009

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Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg 4,12). Mit seinem Dienst der Verkündigung ist der Priester unentbehrlich für die Neuevangelisierung. Das Aggiornamento des Priesters muss in seiner Verkündigung auf ein Heute zielen. Der tägliche Eröffnungspsalm des Stundengebets ist eine Bitte für ihn selbst und für seine eigene tägliche Verkündigung (Psalm 95,7f): „...utinam hodie vocem eius audiatis, nolite obdurare corda vestra“ - „Ach würdet ihr doch heute auf seine Stimme hören, verhärtet nicht euer Herz.“ Sein Priestertum darf ihm nicht Grund zum Rückzug sein. Rettung gibt es im Christentum nur so, dass sie mit anderen geteilt und weiter gegeben wird.

Kleidung, die erkennbar macht Ein augenfälliges Phänomen der beschriebenen Krise ist das weitgehende Verschwinden priesterlicher Kleidung im öffentlichen Bild der Priester. Dabei hilft ein Blick auf die Bedeutung der Kleidung in der Schrift. Wegen ihrer Gewänder kritisiert Jesus die Pharisäer, aber deshalb hat sein eigenes Gewand dennoch seine Bedeutung. Während die Frömmelei der Pharisäer mit ihren breiten Gebetsriemen und langen Quasten vor den Menschen zur Pose wird, lässt Jesus sein Gewand in der Menge von einer blutflüssigen Frau berühren. In ihrer Unreinheit erhofft sich die Frau Heilung von der Berührung seines Gewandes. Wenig später berühren viele Kranke den Saum seines Gewandes. Alle werden gesund und rein. In Jesu Leben ist alles Mission, Sendung des Vaters. Auch sein Gewand gehört in diese Sendung zu den Menschen hinein. Die Berührung mit seinem Gewand führt die Frau in die Begegnung, in der sie Jesus „die ganze Wahrheit“ sagt (Mk 5,33). Bereits für den Propheten Sacharja ist es das Gewand der Juden in der Diaspora, an dem sich die Heiden festhalten, um mit ihnen nach Jerusalem zu ziehen (8,23): „In jenen Tagen werden zehn Männer aus Völkern aller Sprachen einen Mann aus Juda an seinem Gewand fassen, ihn festhalten und sagen: Wir wollen mit euch gehen; denn wir haben gehört: Gott ist mit euch.“ Priesterliche Kleidung, die äußere Erkennbarkeit eines katholischen Priesters, hat diese missionarische Bedeutung. Sie stellt einen Mann als Priester in das Heute der Gesellschaft. Für die Schrift ist Kleidung und Äußerliches niemals etwas Sekundäres. Es gehört zu den gnostisch-leibfeindlichen Verirrungen des Christentums, das Äußere gegenüber der Innerlichkeit abzuwerten. Paulus spricht davon, dass die Christen Jesus als Gewand angelegt haben. Für alle Christen „äußert“ sich ihr neues Leben im Geist also in einer gepflegten, nicht verführerischen Kleidung. Für den Priester ist das Kollarhemd oder sein Ordenskleid die Außenseite seines inneren Tuns. Seine Kleidung gehört zum Ernstnehmen der Weltlichkeit seiner Sendung. Nur 6-7|2009

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wenn er äußerlich erkennbar ist, kann er eine Begegnung ermöglichen, die in die Wahrheit führt. Es ist ein ernstes Merkmal der Krise der Priester, dass Diesseitigkeit in der Regel genau umgekehrt verstanden wurde, alle Zeichen der Differenz möglichst verschwinden zu lassen.

Sinn für das Übernatürliche Ein solches Missverständnis konnte nur entstehen, weil die wohl durchdachten Weisungen des Konzils nicht beherzigt wurden. Das Konzil spricht von der Heiligkeit der Priester in aufeinander bezogenen Gegensätzen: „Sie könnten nicht Christi Diener sein, wenn sie nicht Zeugen und Ausspender eines anderen als des irdischen Lebens wären; sie vermöchten aber auch nicht den Menschen zu dienen, wenn diese und ihre Lebensverhältnisse ihnen fremd blieben. Ihr Dienst verlangt in ganz besonderer Weise, dass sie sich dieser Welt nicht gleichförmig machen; er erfordert aber zugleich, dass sie in dieser Welt mitten unter den Menschen leben“ (Presbyterorum ordinis 3). Heiligkeit stellt den Priester in diese Welt hinein. Allzu lange Jahre hat man nur die zweite Seite dieser Konzilslehre im Blick gehabt: die weltliche Sendung des Priesters, nicht aber ihre Voraussetzung, nämlich die Orientierung nach droben, und von daher die Reinheit und Heiligkeit im Inneren. Diesseitigkeit ohne Heiligkeit wird in bloßer Funktionalität leer laufen. Der Priester wird dann zwischen den Zahnrädern des kirchlichen Betriebs zerrieben, wie der Arbeiter in Charly Chaplins Modern Times: Erschöpfungszustände, Austritte und Doppelleben sind die Folgen. Heiligkeit ist die Voraussetzung, um den Weltbezug eines priesterlichen Lebens wirklich zum Segen werden zu lassen. Papst Johannes Paul II. hat gesagt: Für die Neuevangelisierung bedarf es neuer Heiliger! „Die großen Evangelisatoren Europas waren die Heiligen. Wir müssen den Herrn bitten, dass er den Geist der Heiligkeit in der Kirche vermehre und uns neue Heilige sende, um die Welt von heute zu evangelisieren.“ Die Heiligkeit muss die Verkündigung wieder durchdringen. Sie erst gibt den verschiedenen Fächern, in denen sich die Theologie aufzulösen droht, im geistlichen Leben des Priesters einen inneren Zusammenhalt. Dies kann nur dann geschehen, wenn der Priester in einem ständigen Kontakt mit dem Übernatürlichen und gleichsam zu einem Wanderer zwischen den Welten geworden ist. Seine Zuhörer müssen ahnen können, dass der Priester mit tiefen Geheimnissen zu tun hat, dass er ‚aus der Wüste kommt’, wo er gepackt wurde von der Wucht des Auftrags, für Gott zu sprechen, ein ‚Pro-phetes’ zu sein, wie es Hugo Rahner einmal gesagt hat. Die Leute dort abzuholen, wo sie stehen, ist eine geschickte Strategie, die auch in der Verkündigung ihr Recht hat. Aber letztlich wird man die großen Worte des Glaubens nicht erschließen können, wenn man das eigene Urteil über die Bedürfnisse der Leute zum Maßstab für das macht, was geht und was nicht geht. Glau6-7|2009

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be lässt sich nicht vermarkten. Die Verkündigung muss von der klaren Art gelehrt sein, mit der Jesus vom Vater und vom Geist spricht. Jesus nimmt Priester nicht als Sklaven in seinen Dienst, die nicht wissen, was ihr Herr tut. Wie seine Jünger nennt er sie „Freunde“, weil er ihnen alles mitteilt, was er von seinem Vater hört (Joh 15,14). Der Priester wird dann glaubwürdig, wenn er sich wie Jesus vom Wort des Vaters leiten lässt. Für seine Verkündigung schlägt Jesus in Nazaret als erstes die Schrift auf (Lk 4,17). Die Hauptquelle der Verkündigung – so die Kleruskongregation – müsse logischerweise die Heilige Schrift sein, mit der sich der Priester durch die Betrachtung im persönlichen Gebet und durch das Studium und die Lektüre geeigneter Bücher vertraut machen soll.

Ein ontologischer Unterschied Das Priestertum ist die Zierde des Volkes Israel. Die Anordnungen für die Priester stehen in der heiligen Mitte der Tora. Für den späten Weisen Jesus Sirach ist es eine Herzenswonne, wenn er am Ende des Lobes all seiner Väter über den Hohenpriester Simeon anhebt (50,5): „Wie herrlich, wenn er herausschaute aus dem Zelt, wenn er heraustrat zwischen dem Vorhang: wie ein leuchtender Stern zwischen den Wolken, wie der Vollmond in den Tagen des Festes...“. Für das Neue Testament gibt es nur 6-7|2009

noch einen einzigen Priester. Alle Zierde des Priestertums in Israel ist in seinem Priestertum versammelt. Papst Benedikt hat in seiner Ansprache in der Chrisammesse am Gründonnerstag den Priestern gepredigt: „Es gibt letztlich nur einen Priester des Neuen Bundes, Jesus Christus selbst. Und das Priestertum der Jünger kann daher nur Teilhabe an Jesu Priestertum sein. Unser Priestersein ist daher nichts anderes als eine neue, radikale Weise der Einigung mit Christus.“ Der geweihte Priester hat nur durch eine lebendige Verbindung mit Christus Anteil an seiner heilenden Vollmacht, die Fleisch in den Geist der Gegenwart Gottes hinein verwandelt. In Einheit mit dem Bischof hat der Priester die Konsekrationsgewalt über den realen Leib Christi. Aus dem Brot, das in seiner vergänglichen Stofflichkeit unseren Leib nährt, lässt er lebendigen Leib Christi erstehen. Den Menschen, die dem Tod ausgeliefert sind, reicht er in der Eucharistie das Brot des Lebens. Beim Priester gibt es das pharmakon athanasias, die Arznei der Unsterblichkeit. Er hat somit Teil an Gottes Schöpfergewalt, die jetzt schon die Auferstehung des sterblichen Fleisches wirkt. Durch ihn vollzieht sich der Aufbau des Leibes Christi, den die Heilige Schrift den Hirten und Lehrern zuspricht: Sie sollen die Heiligen heranbilden, „zum Aufbau des Leibes Christi, bis wir alle zur Einheit im Glauben und der Erkenntnis gelangen, zur vollen Mannesreife, zum Altersmaß der Fülle Christi“ (Eph

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Vorsicht Dávila! 4,13). Dieses Vermögen hat der Priester natürlich nicht aus sich selbst. Er ist als gerechtfertigter Sünder Glied am Leib Christi wie alle anderen und muss deshalb für seine Person danach trachten, mit den Anderen zur vollen Mannesreife heranzuwachsen. Was dem Priester durch die Weihe zukommt, hat er allerdings auch nicht durch den Auftrag der Gemeinde, die durch ihn etwas vollzogen sehen will, was ihr selber im Ganzen zusteht. In der Weihe eignet sich vielmehr der Auferstandene den Priester so vollständig an, dass dieser nicht nur im sakramentalen Dienst, sondern in seiner ganzen Existenz zu einem wirkmächtigen Zeichen der andauernden Gegenwart Christi in seiner Kirche wird. Das ist der ontologische Unterschied zwischen dem geweihten Priester und dem Priestertum des Gottesvolkes, der nicht nivelliert werden darf. Er ist nicht Zeichen eines anachronistischen Standesdünkels. Richtig verstanden muss das Bewusstsein dieses Unterschieds die Demut des Priesters hervorbringen, weil all seine priesterliche Vollmacht zwar durch seine Person wirkt, aber nicht von ihm persönlich, sondern von der Person Jesu stammt. Sein geweihtes Leben muss für den Priester daher persönliche configuratio sein. Mehr noch als Christus, weil er in seiner menschlichen Schwäche der ständigen Versuchung ausgesetzt ist, muss ein Priester im Gebet sich mit dem dreifaltigen Gott vereinen.

Der Priester darf Christus groß machen Ignatius von Loyola hat von der Tiefe dieser configuratio einmal in seinem geistlichen Tagebuch geschrieben. In seinen Notizen vom 15. Februar 1544 schreibt er mit seinen kurzen gewohnt nüchternen Worten nieder: „Bei der Wandlung zeigte mir Maria, wie ihr Fleisch in dem ihres Sohnes sei.“ Maria hat ihren Leib hingegeben, damit Christus auf Erden wachsen kann. Kein anderer Mensch hat die wandelnde Nähe Jesu so leibhaft erfahren wie seine Mutter. Deshalb hat er ihr Fleisch in seines aufgenommen. Diese Wandlung vollzieht sich für den Glaubenden in der Eucharistiefeier. Er nimmt den Leib Christi in sich auf, damit er in den Leib Christi hinein genommen werde. Es ist das Herzensanliegen der Mutter Gottes, dass der Leib ihres Sohnes auf diese Weise täglich weiter wächst und Nahrung bekommt. So vollzieht sich die Neuevangelisierung durch den Priester. Der Priester darf Jesus Christus, den Sohn der Jungfrau Maria, groß machen. „Meine Seele macht groß den Herrn“, singt die Kirche in der Vesper, wenn man die erste Zeile des Magnificat wörtlich übersetzt. Der Lobpreis Mariens ist auch ein Dankgebet des Priesters für sein eigenes Tun, für den Kern seines genuinen Beitrags zur Neuevangelisierung.

Wenn man einer Wahrheit die Maske vom Gesicht reißt, stößt man auf ihr christliches Angesicht. In jedem Utopisten schlummert ein Polizeiwachtmeister. Der Linke fühlt sich verfolgt, wenn er nicht gerade dabei ist, jemanden zu verfolgen. Weder Erfolg noch Scheitern sind für die wahre Berufung von Bedeutung. Die Möglichkeit, den Wähler zu täuschen, wächst mit der Zahl der Wähler. Wir sollten uns nur den Dingen widmen, die bei einem Zusammenbruch unversehrt bleiben. Die Menschheit braucht mitunter Jahrhunderte, um Gedanken wieder voneinander zu scheiden, die vorschnell miteinander verknüpft wurden. Zum Beispiel Liberalismus und Demokratie. Unser eigenes Kreuz drückt uns weniger als jenes, das zu tragen wir dem, den wir lieben, nicht helfen können. Der Irrtum kann gewinnen, aber nicht siegen. Solange man den Namen einer Partei beibehält, kann man ihre Programme ändern. Wenn Religion und Ästhetik getrennte Wege gehen, ist nicht gewiß, was schneller verdirbt. Wir müssen mit den Waffen des Gegners umzugehen lernen, doch mit dem gebührenden Ekel. Aphorismen aus den Werken des kolumbianischen Philosophen Nicolás Gómez Dávila Aus: Das Leben ist die Guillotine der Wahrheiten, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2006

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