KRIEG IN DER GESCHICHTE (KRiG)

KRIEG IN DER GESCHICHTE (KRiG) HERAUSGEGEBEN VON STIG FÖRSTER · BERNHARD R. KROENER · BERND WEGNER · MICHAEL WERNER

BAND 78

KULTURGESCHICHTE DER SCHLACHT

FERDINAND SCHÖNINGH

Marian Füssel / Michael Sikora (Hg.)

Kulturgeschichte der Schlacht

FERDINAND SCHÖNINGH

Die Herausgeber:

Prof. Dr. Marian Füssel (Göttingen) Apl. Prof. Dr. Michael Sikora (Münster)

Titelbild:

Conquête du Pérou. Francisco Pizarro, conquistador espagnol, capture l‘Inca Atahualpa. Novembre 1533. Gravure. RV-44211 – ullstein bild – Roger-Viollet

Reihensignet:

Collage unter Verwendung eines Photos von John Heartfield. © The Heartfield Community of Heirs/VG Bild-Kunst, Bonn 1998.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlaggestaltung: Evelyn Ziegler, München Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem ∞ ISO 9706 und alterungsbeständigem Papier 嘷 © 2014 Ferdinand Schöningh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.schoeningh.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany. Herstellung: Ferdinand Schöningh, Paderborn ISBN 978-3-506-77736-2

Inhalt Vorwort zur Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einführung: Schlachtengeschichte als Kulturgeschichte Von Marian Füssel/Michael Sikora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kulturgeschichtliche Dimensionen antiker Schlachten – eine Bestandsaufnahme Von Sven Günther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Schlacht als narratives Konstrukt. 841: Zweimal Fontenoy Von Martin Clauss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sempach 1386 – Darstellungen einer Schlacht im Wandel der Zeit. Vom unerklärlichen Sieg zum festen Bestandteil eidgenössischer Militärtradition. Von Andreas Remy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der Tod des Ritters auf dem Schlachtfeld. Praktiken und Repräsentationen mittelalterlicher Schlachtengewalt am Beispiel von Reutlingen 1377 und Tannenberg 1410 Von Stefanie Rüther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Schlacht von Bicocca 1522 im Versepos des Landsknechts Oswald Fragenstainer Von Reinhard Baumann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Der symbolische Gehalt von Gewalt- und Schlachtbeschreibungen in Quellen zum Inka-Staat (Peru, ca. 1438-1600) Von Claudia Schmitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Die Schlacht bei Höchstädt/Blenheim 1704 als Medienereignis. Kriegsberichterstattung und Gelegenheitsdichtung im Spanischen Erbfolgekrieg Von Thomas Weißbrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 »Schlacht bei Wörth« oder »Bataille de Reichshoffen«? Die Erinnerung an den 6. August 1870 zwischen lokaler Denkmallandschaft und nationalen Deutungen Von Tobias Arand/Christian Bunnenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

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Inhalt

Der Isonzo-Krieg 1915-1917. Kriegslandschaft, Gewalterfahrung und Erinnerungspolitik Von Lutz Musner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Die Geschichte der Schlacht. Methodische Überlegungen am Beispiel der Michael-Offensive 1918 Von Christoph Nübel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 »Dschungelkrieg« und »ungeheure Blutmühle«. Gelände und Material als determinierende Faktoren der Normandieschlacht 1944 Von Peter Lieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

Vorwort zur Reihe »Der Krieg ist nichts als die Fortsetzung der politischen Bestrebungen mit veränderten Mitteln. [...] Durch diesen Grundsatz wird die ganze Kriegsgeschichte verständlich, ohne ihn ist alles voll der größten Absurdität.« Mit diesen Sätzen umriß Carl von Clausewitz im Jahre 1827 sein Verständnis vom Krieg als historisches Phänomen. Er wandte sich damit gegen die zu seiner Zeit und leider auch später weit verbreitete Auffassung, wonach die Geschichte der Kriege in erster Linie aus militärischen Operationen, aus Logistik, Gefechten und Schlachten, aus den Prinzipien von Strategie und Taktik bestünde. Für Clausewitz war Krieg hingegen immer und zu jeder Zeit ein Ausfluß der Politik, die ihn hervorbrachte. Krieg kann demnach nur aus den jeweiligen politischen Verhältnissen heraus verstanden werden, besitzt er doch allenfalls eine eigene Grammatik, niemals jedoch eine eigene Logik. Dieser Einschätzung des Verhältnisses von Krieg und Politik fühlt sich Krieg in der Geschichte grundsätzlich verpflichtet. Die Herausgeber legen also Wert darauf, bei der Untersuchung der Geschichte der Kriege den Blickwinkel nicht durch eine sogenannte militärimmanente Betrachtungsweise verengen zu lassen. Doch hat seit den Zeiten Clausewitz’ der Begriff des Politischen eine erhebliche Ausweitung erfahren. Die moderne Historiographie beschäftigt sich nicht mehr nur mit Außen- und mit Innenpolitik, sondern auch mit der Geschichte von Gesellschaft, Wirtschaft und Technik, mit Kultur- und Mentalitätsgeschichte und, nicht zuletzt, mit der Geschichte der Beziehungen zwischen den Geschlechtern. All die diesen unterschiedlichen Gebieten eigenen Aspekte haben die Geschichte der Kriege maßgeblich mitbestimmt. Die moderne historiographische Beschäftigung mit dem Phänomen Krieg kann deshalb nicht umhin, sich die methodologische Vielfalt der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft zunutze zu machen. In diesem Sinne ist Krieg in der Geschichte offen für die unterschiedlichsten Ansätze in der Auseinandersetzung mit dem historischen Sujet. Diese methodologische Offenheit bedeutet jedoch auch, daß Krieg im engeren Sinne nicht das alleinige Thema der Reihe sein kann. Die Vorbereitung und nachträgliche »Verarbeitung« von Kriegen gehören genauso dazu wie der gesamte Komplex von Militär und Gesellschaft. Von der Mentalitäts- und Kulturgeschichte militärischer Gewaltanwendung bis hin zur Alltagsgeschichte von Soldaten und Zivilpersonen sollen alle Bereiche einer modernen Militärgeschichte zu Wort kommen. Krieg in der Geschichte beinhaltet demnach auch Militär und Gesellschaft im Frieden. Geschichte in unserem Verständnis umfaßt den gesamten Bereich vergangener Realität, soweit sie sich mit den Mitteln der Geschichtswissenschaft erfassen läßt. In diesem Sinne ist Krieg in der Geschichte (abgekürzte Zitierweise: KRiG) grundsätzlich für Studien zu allen historischen Epochen offen, vom Altertum bis unmittelbar an den Rand der Gegenwart. Darüber hinaus ist Geschichte für uns nicht nur die vergangene Realität des sogenannten Abend-

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Vorwort zur Reihe

landes. Krieg in der Geschichte bezieht sich deshalb auf Vorgänge und Zusammenhänge in allen historischen Epochen und auf allen Kontinenten. In dieser methodologischen und thematischen Offenheit hoffen wir den spezifischen Charakter unserer Reihe zu gewinnen. Stig Förster

Bernhard R. Kroener

Bernd Wegner

Michael Werner

Vorwort der Herausgeber Der Plan schien anfangs ein Wagnis zu sein. Es war nicht ausgemacht, ob es gelingen würde, das Feld der Militärgeschichte gerade an dem Punkt, wo der Krieg grausam zu sich selbst kommt, mit dem der Kulturgeschichte zusammen zu bringen. Gerade die festgefügten und scheinbar selbstverständlichen Muster der Schlachtbeschreibung sollten aufgebrochen werden, und zwar nicht nur, um die kulturelle Bedingtheit kriegerischer Praktiken zu beleuchten. Es sollte darüber hinaus reflektiert werden, dass das Chaos der Schlacht sich schlechterdings jeglicher Form umfassender Rekonstruktion entzieht, dass es sich nur durch radikale, eindimensionale Reduktionen auf jene Chiffren einschrumpfen läßt, die sich dann im historischen Gedächtnis festsetzen. »Unbeschreibliche Gewalt« lautete das ursprüngliche Motto des Projekts. Nicht weniger gewagt mochte es erscheinen, diese Probleme nicht an einer eng begrenzten Baustelle zu erörtern, sondern die Beispiele nach Raum, Zeit und Disziplinen möglichst breit zu streuen und vergleichend zu diskutieren. Aber dann stieß der Plan nur auf offene Türen. Der Arbeitskreis Militärgeschichte e. V. nahm das Konzept in die Reihe seiner Jahrestagungen auf und trug damit auch wesentlich zur Finanzierung bei. Die Einladung zur Teilnahme erntete mehr Vorschläge, als auch in einem dicht gedrängten Programm untergebracht werden konnten. Das Preußen-Museum Nordrhein-Westfalen in Minden lieh uns schließlich sein inspirierendes Ambiente, als wir uns im November 2009 zusammensetzten, 250 Jahre nachdem der Pulverdampf der Schlacht bei Minden verzogen war. In diesem Rahmen gelang, das wird man sagen dürfen, ein ungewöhnlich anregender Gedankenaustausch, in dem Beiträge wie Diskussionen gleichermaßen Funken sprühen ließen – um auch in der Metaphorik beim Thema zu bleiben. Allen Beteiligten sei für das Gelingen der Veranstaltung herzlich gedankt. Die Transformation vom gesprochenen über das geschriebene hin zum gedruckten Wort vollzog sich dann jedoch aus mehreren Gründen deutlich kurvenreicher und zögerlicher als erhofft und geplant. Das war ärgerlich und frustrierend insbesondere für jene Kollegen, die ihre Beiträge in vorbildlicher Weise zeit- und formgerecht eingereicht hatten. Die Verzögerungen waren auch insofern sehr bedauerlich, als dieser Prozeß nicht ohne Verluste vonstatten ging. Schmerzlich vermissen wir insbesondere die interdisziplinären Impulse aus der Kunstgeschichte und der Musikwissenschaft, die aus verschiedenen Gründen ausgeschieden sind. Die verbliebenen Beiträge haben immerhin nach unserem Dafürhalten nichts an ihrem Gewicht, ihrer Relevanz und ihrer Aktualität verloren. Versöhnlich stimmte am Ende die freundliche Aufnahme durch den Schöningh-Verlag, der uns in seine renommierte militärgeschichtliche Reihe »Krieg in der Geschichte« einrückte, auch dafür sei herzlich gedankt.

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Vorwort der Herausgeber

Mit einem Buch ist es wie mit einer Schlacht. Ob es am Ende als bedeutend gelten wird und ob einzelne Sätze zur Chiffre werden, entscheiden nicht die Kombattanten. Göttingen / Münster, im September 2013 Marian Füssel und Michael Sikora

Einführung: Schlachtengeschichte als Kulturgeschichte Von MARIAN FÜSSEL/MICHAEL SIKORA

Der Gegenstand dieses Bandes scheint sich von selbst zu verstehen. »Was Schlachten sind, weiß jedermann aus der Geschichte, und wenn der Begriff nicht sehr bestimmt ist. So liegt daran nicht viel. […] Wir verstehen hier unter Schlacht jedes bedeutende Gefecht zwischen bedeutenden Teilen einer Armee.«1 So einfach machte es sich anscheinend kein Geringerer als Gerhard von Scharnhorst. Als »große, blutige, militärische Auseinandersetzung« bringen auch die Herausgeber eines jüngeren Bandes zu Schlachten der Weltgeschichte das landläufige Verständnis auf den Punkt.2 In der Forschung sind allerdings komplexere Merkmale beobachtet worden. Bereits im ausgehenden Mittelalter mehrten sich demnach Versuche, Kriterien für die Klassifikation eines Ereignisses als »Schlacht« zu sammeln. Folgt man der Zusammenfassung bei Philippe Contamine, bedurfte es einer Vorverhandlung und einer Vorbereitung (auf neutralem Terrain, angekündigt, stehend und ohne Überraschung, mit der Akzeptanz des Risikos, das in der Konfrontation der beiden Seiten liegt, und einer bestimmten Schlachtordnung), außerdem einer besonderen Qualität der Anführer (Kaiser oder Könige, adelige Feldherrn, Offiziere und gemeine Anführer des Krieges) und einer bestimmten Anzahl und Art von Kämpfenden (seien es Christen oder nicht).3

Bereits die mittelalterlichen Chronisten unterschieden, wie schon Johan Huizinga gezeigt hat, »mit technischen Gründen« – etwa dem Umstand, ob die Banner entfaltet wurden oder nicht – zwischen einer Schlacht und einem bloß zufälligen Treffen, »denn jedes Gefecht musste in den Annalen des Ruhmes seinen festen Platz und Namen haben«.4 Auch in den Theorien der Kriegskunst 1

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Aus der Mitschrift einer Vorlesung Scharnhorsts an der Berliner Akademie für junge Offiziere, zwischen 1802 und 1805, Gerhard von Scharnhorst, Private und dienstliche Schriften, hg. von Johannes Kunisch in Verb. mit Michael Sikora, bearb. von Tilman Stieve, Bd. 3: Lehrer, Artillerist, Wegbereiter (Preußen 1801-1804), Köln u.a. 2005, S. 444. Stig Förster/Markus Pöhlmann/Dierk Walter (Hg.), Schlachten der Weltgeschichte. Von Salamis bis Sinai, München 2001, S. 7. Philippe Contamine, Guerre et semantique: qu’est-ce qu’une bataille a la fin du Moyen Age?, in: Revue internationale d’histoire militaire 78 (2000), S. 31-39, hier S. 39: »en fonction de la prémédiation et de la préparation (un terrain neutre, annoncé, arrêté et sans surprise, l’acceptation des risques que représentait l’affrontement de deux côtés, l’ordonnance de bataille…), en fonction de la qualité des chefs (empereurs ou rois, princes connétables, lieutenants et chefs de guerre ordinaire), en fonction du nombre et de la nature des combattants (chrétiens ou non).« Er zitiert dazu Monstrelet, der über ein Gefecht berichtet: »Und diese Waffentat wurde von jenem Tage an das Treffen von Mons in Vimeu genannt. Für eine Schlacht aber wurde sie nicht

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Marian Füssel/Michael Sikora

des 18. Jahrhunderts werden ähnliche Unterscheidungen noch weiter aufrechterhalten.5 Die Definitionen der frühneuzeitlichen Enzyklopädien, Lexika und militärischen Kompendien werden jedoch zunehmend vager, beschränken sich auf den Kontext des Krieges als Auseinandersetzung von mehr oder minder organisierten Streitkräften und die Größenordnung der streitenden Heere als wesentliche Bedingungen, um von einer Schlacht zu sprechen.6 Und so klagte schon mancher Zeitgenosse über die Indifferenz des Begriffs. 1758 kommentierte beispielsweise die Augspurgische Ordinari Post-Zeitung die Schlacht von Krefeld mit den Worten: »Man nenne nun dasjenige, was am 23. Junii bey Crefeld vorgegangen, eine Bataille oder Schlacht, eine Action oder Treffen, einen Choc oder Scharmützel, so wird es allemahl eine Handlung bleiben, die in unserer Zeit=Geschichte einen vorzüglichen Platz verdienet.«7 Für Krefeld setzte sich die Kategorie Schlacht durch, und offenbar war dies nicht nur ein Befund nach objektiven Kriterien, sondern auch ein Ergebnis der Zuschreibung von Bedeutung. Im 19. Jahrhundert versuchten Generalstabsoffiziere und Historiker, wenigstens das Kriterium der Bedeutung zu objektivieren, um damit auf ihre Weise dem Phänomen der Schlacht Eindeutigkeit zu verleihen. Als Maßstab rückten

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erklärt, weil die Parteien sich nur zufällig trafen und so gut wie keine Banner entfaltet wurden.« Vgl. Johan Huizinga, Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, 10. Aufl., Stuttgart 1969, S. 139f. »L’on ne donne à proprement parler le nom Bataille, qu’aux actions qui se passent entre deux Armées rangées dans leur ordre de Bataille, et qui combattent dans un pays assez ouvert, pour que les lignes se chargent de front et en méme temps; ou au moins que la plus grande partie de la ligne charge, pendant que l’autre partie reste en présence par des difficultés qui l’empêchent d’entrer sitôt en action, par un front égal à celui qui pourrait lui être opposé par l’Ennemi. Les autres grandes actions, quoique presque toujours d’une plus longue durée et même plus meurtrières que celles dont je viens de parler, n’ont que le nom de combat.«, Mémoires Historiques et Militaires composés par feu Monsr. Le Marquis de Feuquières, Lieut. General des Armées de France, pour l’instruction de son fils, Bd. 2, Amsterdam 1735, S. 3, hier zitiert nach Alfons Dopsch, Das Treffen bei Lobositz, sein Ausgang und seine Folgen, Graz 1892, S. 169f., mit Anm. 4. In der englischen Ausgabe von 1737 wird der Absatz wie folgt übersetzt: »The word battle, is properly applied to those Actions which pass between two Armies ranged in their Military Array, and who engage in a Country sufficiently open for the Lines to charge in Front, and at the same Period of Time; or at least, for the greatest part of the Line to charge in a Front equal to that which is opposed against it, while the other parts continues in its Station, in Compliance with the Difficulties that prevent ot from sharing in the Action. The other great Engagements, tho’ they are generally of a longer Continuance, and even more destructive than those I have mentioned, are only called Encounters.« Memoirs of the Late Marquis de Feuquieres [….], Bd. 2, London 1737, S. 2f. Die deutsche Ausgabe ist hier wesentlich knapper, vgl. Kriegsnachrichten des Marquis von Feuquiere. Eine freie Uebersezzung der neuesten Ausgabe dieses Werks, Bd. 2, Berlin 1786, S. 20f. Vgl. Art. »Bataille«, in Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon […], Halle/Leipzig 1733, Sp. 655-663; Art. »Schlacht« in: Johann Christoph Adelung, Grammatischkritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart, 3. Bd., Wien 1811, Sp. 1479-1480; Art. »Schlacht«, in: Johann Georg Krünitz, Ökonomisch-technologische Enzyklopädie […], Bd. 144, Berlin 1826, S. 632-737. Nicole Waibel, Nationale und patriotische Publizistik in der Freien Reichsstadt Augsburg: Studien zur periodischen Presse im Zeitalter der Aufklärung (1748-1770) (Presse und Geschichte – Neue Beiträge, Bd. 31), Bremen 2008, S. 358.

Einführung: Schlachtengeschichte als Kulturgeschichte

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sie den Moment der Entscheidung in den Mittelpunkt. Schon immer schöpfte die Faszination der Schlacht aus der Vorstellung, dass sich in extremer raumzeitlicher Verdichtung das Schicksal ganzer Länder und Völker zu entscheiden schien. Nun wurde dieses Moment zum Wesensmerkmal der Schlacht, und so, wie die Phantasien der Generalstäbe alle Kraft auf den Punkt der Entscheidung zu bündeln suchten, wurden auch dem Publikum Schlachten als Kulminationspunkte der Geschichte präsentiert. Unter dem Begriff der »Entscheidungsschlacht« hat sich gleich ein ganzes historisches Genre von Schlachtenanthologien herausgebildet. Angefangen mit Edward Creasys »The Fifteen Decisive Battles of the World« aus dem Jahr 1851 erscheinen bis heute immer wieder populäre, nach ähnlichem Muster aufgebaute Sammlungen, deren Spektrum allerdings schon lange über fünfzehn Schlachten hinausgewachsen ist.8 Allerdings wirft auch die Kategorie der Entscheidung Fragen auf. Durch die ganze Kriegsgeschichte hindurch zerbrach man sich den Kopf über die scheinbar simple Frage, woran denn überhaupt zu erkennen sei, wer gewonnen habe, mithin welche Entscheidung überhaupt gefallen sei. Als wesentliches symbolisches Kriterium galt bis zum Beginn der Moderne vor allem die performative Kontrolle des Schlachtfeldes, zumindest solange man von einem solchen begrenzten Raum noch sprechen konnte. Angefangen vom antiken Tropaion, einer wohl erstmals in der Schlacht bei Marathon 480 v. Chr. eingeführten symbolischen Markierung des Punktes, an dem der Feind das Schlachtfeld verlassen hatte, über die auf den Schlachtfeldern übernachtenden Könige und Feldherrn des Mittelalters und der Frühen Neuzeit bis hin zu den in Zeitungen und Flugschriften des 18. Jahrhunderts ausgetragenen publizistischen Auseinandersetzungen um die Frage, wer sich legitimer Herr der Wahlstatt nennen dürfe, blieb der Ort des Schlachtfeldes wesentlich für die Zuschreibungen von Sieg und Niederlage.9 War also schon das »wie« einer Entscheidung immer wieder strittig, so wird mittlerweile auch das »ob« diskutiert. Russel F. Weigley hat das »Zeitalter der Schlachten« von Breitenfeld (1631) bis Waterloo (1815) als eine Ära der Un8

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Der das Genre begründende Klassiker ist Edward Creasy, The Fifteen Decisive Battles of the World. From Marathon to Waterloo, London 1851. Später wurde das Werk von Joseph B. Mitchell um fünf Schlachten des 19. und 20. Jahrhunderts auf 20 erweitert und erschien in deutscher Übersetzung als Joseph B. Mitchell/Edward Creasy, 20 entscheidende Schlachten der Weltgeschichte, Gütersloh 1968. Vgl. ferner in Auswahl Christian F. Maurer, Entscheidungsschlachten der Weltgeschichte, Leipzig 1882; Walter Heichen (Hg.), Die Entscheidungsschlachten der Weltgeschichte von Marathon bis Tsushima. Ein Buch vom Ringen der Völker um die Machtstellung in alter und neuer Zeit, Altenburg 1915; Klaus-Jürgen Bremm, Im Schatten des Desasters. Zwölf Entscheidungsschlachten in der Geschichte Europas, Norderstedt 2003; John Frederick Charles Fuller, Die Entscheidungsschlachten der westlichen Welt, Tübingen 2004. Andreas Jozef Jansen, Het antieke tropaion (with a Summary in English), Diss. phil., Lederberg/ Gent 1957; Britta Rabe, Tropaia: tropē und skyla. Entstehung, Funktion und Bedeutung des griechischen Tropaions, Rahden 2008; Malte Prietzel, Blicke auf das Schlachtfeld. Wahrnehmung und Schilderung der Walstatt in mittelalterlichen Quellen, in: Das Mittelalter 13 (2008), S. 28-45; Marian Füssel, Das Undarstellbare darstellen. Das Bild der Schlacht im 18. Jahrhundert am Beispiel Zorndorf (1758), in: Birgit Emich/Gabriela Signori (Hg.), Kriegs/Bilder in Mittelalter und Früher Neuzeit (ZHF Beiheft 42), Berlin 2009, S. 317-349.

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entschiedenheit beschrieben.10 Für ihn ist die Ära zwischen Gustav Adolph und Napoleon von einem Hiatus zwischen der Hoffnung der Politik, militärische Entscheidungen auf dem Schlachtfeld herbeiführen zu können, und der tatsächlichen Entscheidungslosigkeit der Schlachten geprägt, die zu nichts anderem als enormen Verlusten an Menschen und Ressourcen geführt hätten.11 Und selbst viele der von den entscheidungsfixierten Militärdoktrinen des 19. Jahrhunderts inspirierten Schlachten des 1. Weltkriegs zeitigten selten ein eindeutiges Ergebnis.

Herausforderungen Der modernen Geschichtswissenschaft stellen sich allerdings nicht nur solche definitorischen Schwierigkeiten in den Weg. Ihr sind mittlerweile die Denkrahmen und narrativen Strukturen klassischer Generalstabshistoriographie, die im Dienste militärischer Ausbildung und politischer Agitation aus der Geschichte der Schlachten zu lernen suchte, grundsätzlich und zu Recht abhandengekommen.12 Nicht einmal eine verbindliche Terminologie des Kampfgeschehens hat sie vererbt, und so wird man sich weiterhin ganz pragmatisch damit begnügen müssen, als Schlacht eine militärische Konfrontation besonders großen Ausmaßes zu verstehen, die als in Zeit und Raum klar definiertes, singuläres Ereignis wahrgenommen werden kann und wahrgenommen worden ist. Und man wird dessen eingedenk sein müssen, dass diese rein äußerlichen Bedingungen in anderen Epochen durch andere Konventionen viel subtiler diskutiert werden konnten. Der Relevanzverlust der Generalstabshistorie bringt aber eine noch größere Herausforderung. Denn damit ist auch die Selbstverständlichkeit verloren gegangen, die Perspektive des Feldherrnhügels als der Sache gemäßen Filter anzusehen, um die Realität der Schlacht zu rekonstruieren. Die neue Pluralität der Forschungsansätze stellt die Erfahrung des einfachen Soldaten mindestens gleichberechtigt neben den Willen des Feldherrn.13 Damit sieht sich die Wissenschaft in aller Radikalität mit der Totalität des Phänomens konfrontiert. Zum Dilemma zwischen der unleugbaren Evidenz des Phänomens einerseits und ihrer diffusen Nomenklatur andererseits tritt also ein epistemologisches 10

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Russel F. Weigley, The Age of Battles. The Quest for decisive Warfare from Breitenfeld to Waterloo, London 1993. Ebd., S. 536-543; vgl. jetzt jedoch die Interpretation von James Q. Whitman, The verdict of battle. The law of victory and the making of modern war, Cambridge, Mass. 2012. Vgl. Jutta Nowosadtko, Krieg, Gewalt und Ordnung. Einführung in die Militärgeschichte, Tübingen 2002, S. 57-64; Martin Raschke, Der politisierende Generalstab. Die friderizianischen Kriege in der amtlichen deutschen Militärgeschichtsschreibung 1890-1914, Freiburg im Breisgau 1993. Yuval Noah Harari, The ultimate experience. Battlefield revelations and the making of modern war culture, 1450-2000, Basingstoke u.a. 2008; Nikolaus Buschmann/Horst Carl (Hg.), Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg (Krieg in der Geschichte, Bd. 9), Paderborn u.a. 2001; Wolfram Wette (Hg.), Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten, München/Zürich 1995.

Einführung: Schlachtengeschichte als Kulturgeschichte

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Problem ersten Rangs. Das Phänomen präsentiert sich als ein scheinbar chaotisches, in der unüberschaubaren Fülle des Gleichzeitigen schlechthin nicht beschreibbares Geschehen, das sich bei genauerer Betrachtung in eine Vielzahl kontingenter Gewaltpraktiken auflöst. Maurice Merleau-Ponty hat in seiner Phänomenologie der Wahrnehmung die Problematik wie folgt auf den Punkt gebracht: Fabrice wollte die Schlacht von Waterloo sehen, so wie man eine Landschaft betrachtet, und er sah bloß verworrene Episoden. Sah der Kaiser auf seiner Karte wirklich die Schlacht? Sie zog sich ihm auf ein keineswegs lückenloses Schema zusammen: Warum kommt jenes Regiment nicht von der Stelle? Warum treffen die Reserven nicht ein? Endlich glaubt der Historiker, der nicht in der Schlacht engagiert ist und sie von allen Seiten zugleich sieht, die mannigfaltigsten Zeugnisse versammelt hat und ihren Ausgang kennt, sie in ihrer Wahrheit zu fassen. Doch er gibt nur eine Vorstellung von der Schlacht, er trifft sie nicht selbst, da im Augenblick ihres Geschehens ihr Ausgang eben noch ungewiß war, im Augenblick der Erzählung des Historikers aber es nicht mehr ist; da ferner für das einmalige Ereignis von Waterloo die letzten Gründe der Niederlage wie auch die zufälligen Umstände, die diese Gründe zum Tragen brachten, in gleicher Weise bestimmend waren, der Historiker aber das einmalige Ereignis in der Generallinie des Niedergangs des Empire einzeichnet. Das wahre Waterloo ist weder in dem, was Fabrice, noch in dem was der Kaiser, noch in dem was der Historiker sieht, es ist überhaupt kein bestimmbarer Gegenstand, es ist das, was in den Konfinien all dieser Perspektiven sich ereignet, dem auch all diese Perspektiven entlehnt sind.14

Vielleicht hat auch diese Komplexität dazu beigetragen, dass zumindest in Deutschland die Forschung bis auf wenige Ausnahmen noch einen großen Bogen um das Thema macht, obwohl doch viele Berührungsängste in den letzten Jahren und Jahrzehnten abgelegt worden sind. So erfuhr die Erforschung von Schlachten seit jeher im Rahmen von Gedenk- und Jahrestagen besondere Konjunktur und teilt insofern das Schicksal anderer historischer Ereignisse und Institutionen im Hinblick auf ihre Abhängigkeit von Jubiläumsschrifttum. In jüngerer Zeit erschienen in diesem Zusammenhang einige bemerkenswerte Kataloge und Sammelbände, die durchaus den veränderten Reflexions- und Methodenstand der Schlachtengeschichte abbilden, meist aber eher lokal rezipiert werden.15 Die neue Militärgeschichte jedenfalls hat sich zunächst als Sozial- und Strukturgeschichte konstituiert und in gewissem Sinne zudem als eine Militärgeschichte im Frieden.16 Klassische Ereignisgeschichte von Feldzügen, Belagerungen und Schlachten wurde auf diese Weise eher umgangen als überwunden, 14 15

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Maurice Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, Berlin 1966, S. 415. Vgl. Johannes Erichsen/Katharina Heinemann (Hg.), Brennpunkt Europas 1704. Die Schlacht von Höchstädt / The Battle of Blenheim (Begleitbuch zur Ausstellung in Schloss Höchstädt an der Donau 1. Juli bis 7. November 2004), Stuttgart 2004; Martin Steffen (Hg.), Die Schlacht bei Minden. Weltpolitik und Lokalgeschichte, Minden 2008; Sabine Eickhoff/Franz Schopper (Hg.), 1636 – ihre letzte Schlacht. Leben im Dreißigjährigen Krieg, Stuttgart 2012. Vgl. Ralf Pröve, Lebenswelten. Militärische Milieus in der Neuzeit. Gesammelte Abhandlungen, hg. von Bernhard R. Kroener, Berlin 2010.

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und dem Ruf, den Krieg als eigentlich zentralen Aspekt einer Militärgeschichte in angemessener Weise wieder in das Forschungsfeld zu integrieren, ist bisher nur zögerlich Folge geleistet worden.17 Einzelne Versuche, hier wieder an ältere Traditionen anzuknüpfen, erwiesen sich zumindest für den Bereich der Frühen Neuzeit als unbefriedigend.18 Auch die unter dem Begriff der sogenannten »Operationsgeschichte« subsumierten Forschungen konnten bislang offenbar keine signifikante Abhilfe schaffen.19 Paradoxerweise steht der neueren Militärgeschichte, die dergestalt auf Distanz zum Phänomen der Gewalt ging, eine blühende Gewaltforschung gegenüber, die ihrerseits aber das Militär weitgehend ignoriert. Dort stehen alltägliche, oft ritualisierte Praktiken der Gewalt in Dorf und Stadt im Vordergrund, auch Formen des Protestes oder der Hinrichtung.20 Forderungen nach einer Einbeziehung des Krieges blieben hingegen vereinzelt, und damit wurde erstaunlicherweise gerade der gewaltsamste Ereignistyp der Menschheitsgeschichte praktisch ausgespart, eben die Schlacht. Meist an einem Tag, in nur wenigen Stunden fanden tausende, seit der Frühen Neuzeit mitunter zehntausende von Männern den Tod. So kam etwa der russische Bevölkerungswissenschaftler Urlanis in den 1960er Jahren auf eine Zahl von 50.000 Millionen getöteter Soldaten in den Kriegen der letzten 350 Jahre.21 Die Frage nach dem 17

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Vgl. etwa Michael Geyer, Eine Kriegsgeschichte, die vom Tode spricht, in: Thomas Lindenberger/Alf Lüdtke (Hg.), Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1190), Frankfurt a.M. 1995, S. 136-161. Vgl. etwa die Besprechung von Thomas Lindner, Die Peripetie des Siebenjährigen Krieges: Der Herbstfeldzug 1760 in Sachsen und der Winterfeldzug 1760/61 in Hessen, Berlin 1993, durch Daniel Hohrath, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F. 5 (1995), S. 114-118. Vgl. Bernd Wegner, Wozu Operationsgeschichte?, in: Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Hg.), Was ist Militärgeschichte? (Krieg in der Geschichte, Bd. 6), Paderborn u.a. 2000, S. 105-113 u. Dennis E. Showalter, Militärgeschichte als Operationsgeschichte: Deutsche und amerikanische Paradigmen, in: ebd., S. 115-126. Die Literatur ist nahezu unüberschaubar geworden. Als Auswahl an jüngeren Sammel- und Überblickswerken vgl. Lindenberger/Lüdtke (Hg.), Physische Gewalt; Rolf Peter Sieferle/ Helga Breuninger (Hg.), Kulturen der Gewalt. Ritualisierung und Symbolisierung von Gewalt in der Geschichte, Frankfurt a.M. 1998; Sighard Neckel/Michael Schwab-Trapp (Hg.), Ordnungen der Gewalt. Beiträge zu einer politischen Soziologie der Gewalt und des Krieges, Opladen 1999; Gerhard Armanski/Jens Warburg (Hg.), Der gemeine Unfrieden der Kultur. Europäische Gewaltgeschichten, Würzburg 2001; Julius R. Ruff, Violence in Early Modern Europe 15001800, Cambridge 2001; Manuel Braun/Cornelia Herberichs (Hg.), Gewalt im Mittelalter: Realitäten – Imaginationen, München 2005; Claudia Ulbrich/Claudia Jarzebowski/Michaela Hohkamp (Hg.), Gewalt in der Frühen Neuzeit. Beiträge zur 5. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit im VHD (Historische Forschungen, Bd. 81), Berlin 2005; Maike Christadler, Gewalt in der Frühen Neuzeit – Positionen der Forschung, in: Gesnerus. Swiss Journal of the History of Medicine and Sciences 64 (2007), S. 3-4, 231-240; Robert Muchembled, Une histoire de la violence, Paris 2008 (engl. Ausgabe Cambridge 2012). Von Kriegsgewalt, aber eben nicht Schlachtengewalt handelt Maren Lorenz, Das Rad der Gewalt. Militär und Zivilbevölkerung in Norddeutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg (1650-1700), Köln u.a. 2007. Boris Zesarewitsch Urlanis, Bilanz der Kriege. Die Menschenverluste Europas vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin 1965; Gustav Roloff, Der Menschenverbrauch in den Hauptschlachten der letzten Jahrhunderte, in: Preußische Jahrbücher 72 (1893), S. 105-151; Otto Berndt, Die Zahl im Kriege. Statistische Daten aus der neueren Kriegsgeschichte in graphischer Darstellung, Wien 1897.

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massenhaften Tod der Soldaten in der Schlacht ist jedoch kulturgeschichtlich häufiger als Thema der Erinnerungskultur aufgegriffen worden.22 Schaut man über den Tellerrand des Faches hinaus, treten weitere ambivalente Herausforderungen hinzu. Auf der einen Seite haben die bewaffneten Konflikte der Gegenwart eine Gestalt angenommen, in denen Schlachten, wie immer wir sie verstehen wollen, anscheinend keinen Platz mehr haben. Für den Moment jedenfalls sind Schlachten zu einem historischen Phänomen geworden. Das muss der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung nicht schaden und könnte es sogar eher erleichtern, Distanz zu gewinnen und die Historizität des Phänomens Schlacht zu realisieren. Auf der anderen Seite aber kehrt mit den viel beschworenen neuen Kriegen auch in die deutsche Gegenwartsgesellschaft die Erfahrung zurück, dass Militär etwas mit tatsächlichen Kampfeinsätzen zu tun hat.23 Damit geht auch ein wachsendes Interesse des breiteren Publikums nicht nur an historischer Identitätsstiftung, sondern durchaus auch an der Geschichte von Kriegen und Schlachten einher. Das sollte nicht der geringste Anreiz sein, sich über eine neue Konzeptualisierung des Phänomens Schlacht Gedanken zu machen.24

Annäherungen Sucht man nach Alternativen zu den traditionellen narrativen Rekonstruktionen und nach alternativen disziplinären Anknüpfungspunkten, ist es hilfreich, sich der erwähnten Komplexität des Phänomens wenigstens in Umrissen bewusst zu werden. Die Kumulation physischer Gewalt muss als konstitutiv für das Phänomen der Schlacht angesehen werden, und insofern versprechen Rückgriffe auf einen erweiterten Gewaltbegriff, etwa im Sinne eines Konzepts struktureller Gewalt oder im Sinne von Erweiterungen auf sprachliche oder symbolische Formen von Gewalt, an dieser Stelle keinen analytischen Gewinn.25 Das Phäno22

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Vgl. Joanna Bourke, An intimate history of killing. Face-to-face killing in twentieth-century warfare, London/New York 1999; Michael Stephenson, The last full measure. How soldiers die in battle, New York 2012. Extrem entgrenzte Gewalterfahrungen der Schlacht wurden jüngst jedoch im Zusammenhang mit der Thematisierung von »Kriegsgreuel« erörtert, vgl. Sönke Neitzel/Daniel Hohrath (Hg.), Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Paderborn u.a. 2008. Zum »Gefallenengedenken« vgl. zuletzt etwa in vergleichender Perspektive Manfred Hettling/Jörg Echternkamp (Hg.), Gefallenengedenken im globalen Vergleich. Nationale Tradition, politische Legitimation und Individualisierung der Erinnerung, München 2013. Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Reinbek 2002; ders., Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie, Weilerswist 2006; Mary Kaldor, Neue und alte Kriege. Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt a.M. 2000. Vgl. auch das Plädoyer von Stig Förster, The battlefield: towards a modern history of war (German Historical Institute London. The 2007 Annual Lecture), London 2008. Die Stichworte stehen freilich, aus pragmatischen Gründen, nur sehr verkürzt für eine vielfältige und subtile Debatte über den Gewaltbegriff; vgl. zur Orientierung Peter Imbusch, Der Gewaltbegriff, in: Wilhelm Heitmeyer/John Hagan (Hg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung, Wiesbaden 2002, S. 26-57, dort u.a. S. 38 zur »direkten physischen Gewalt« als »Zentrum der Gewaltproblematik«. Die Bandbreite des Begriffs entfaltet Friedhelm Neidhardt,

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men der Gewalt begegnet in der Schlacht in seiner existentiellsten Gestalt, von Körpern ausgeübt und von Körpern erlitten, die vertrieben, überwältigt, verletzt, verstümmelt, getötet werden.26 Die suggestive Aufzählung soll nicht nur das factum brutum der Gewalt als nicht hintergehbares Konstitutivum der Schlacht, das nur um den Preis der Verkürzung oder Verherrlichung umgangen werden kann, ausdrücken – sie deutet zugleich an, dass es selbst auf dieser elementaren Ebene noch der Überlegung wert ist, ob und wie unterschiedlich Schlachtengewalt konzeptualisiert werden muss. Zudem ist evident, dass die Realisierung von Schlachten als extremen Aufgipfelungen von Gewalt in vielfacher Hinsicht von komplexen Voraussetzungen abhängig ist, die der Gewalt auf ihre Weise Gestalt geben. Dazu zählen schon rein äußerlich topographische Gegebenheiten und die räumliche wie auch zeitliche Koinzidenz strategischer und taktischer Intentionen und Erwartungen der beteiligten Parteien, selbst vielfach gebrochen durch kontingente Friktionen und Irrtümer. Die Form der Handlungen wird wesentlich durch ihre materielle Dimension bestimmt, durch Transportmittel, Kommunikationsmittel, Schutzvorrichtungen, Schutz- und Signalkleidung, vor allem aber von den technischen Hilfsmitteln des Kämpfens und Tötens, den Waffen. Die Dimension des praktischen Handelns selbst basiert auf der vorangegangenen Einübung der notwendigen Praktiken, aber auch ihrer massenhaften Implementation und Koordination, die selbst wieder die Aufbringung, Versorgung und Führung einer großen Anzahl von Kriegern erfordert. Die scheinbaren Selbstverständlichkeiten des Handelns sind ihrerseits durchzogen von mehrdimensionalen Sinn- und Wertzuschreibungen, die vermitteln, was als erfolgversprechend gilt, als rechtmäßig, als moralisch, als ehrenhaft, ohne tatsächlich den Ablauf der Handlungen verläßlich kanalisieren zu können. Die Zuschreibungen finden ihren Niederschlag nicht nur in normativen Texten, sondern auch in einer Fülle von Erfahrungsberichten, in denen die Vielfalt der Gewaltpraktiken, ihrer Erfahrung, ihrer Wahrnehmung und ihrer Bewältigung durch die Akteure Niederschlag gefunden haben. Auf einer noch abstrakteren Ebene bestätigt sich der enge Zusammenhang von Gewalt und Macht:27 zum einen weil die Organisation militärischen Potentials selbst erst durch Machtstrukturen ermöglicht und geordnet wird, zum anderen weil

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Gewalt. Soziale Bedeutungen und sozialwissenschaftliche Bestimmungen eines Begriffs, in: Bundeskriminalamt (Hg.), Was ist Gewalt? Auseinandersetzungen mit einem Begriff, Bd. 1, Wiesbaden 1986, S. 109-147. Das bekannte Konzept der »Strukturellen Gewalt« geht zurück auf Johan Galtung, Strukturelle Gewalt, Reinbek 1975. Positionen, die gerade im Hinblick auf die Vormoderne Unschärfen des Körperbegriffs reflektieren und in diesem Sinn für kulturgeschichtliche Erweiterungen plädieren, referiert knapp Christadler, Gewalt, bes. S. 236-239. Vgl. das Konzept von Lindenberger/Lüdtke (Hg.), Physische Gewalt; siehe auch Maren Lorenz, Physische Gewalt – ewig gleich? Historische Körperkontexte contra absolute Theorien, in: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 8/2 (2004), S. 9-24; Martin Dinges, Soldatenkörper in der Frühen Neuzeit. Erfahrungen mit einem unzureichend geschützten, formierten und verletzten Körper in Selbstzeugnissen, in: Richard van Dülmen (Hg.), Körper-Geschichten (Fischer-Taschenbücher, Geschichte, Bd. 12685), Frankfurt a.M. 1996, S. 71-98, bes. S. 88-96. Bezeichnenderweise enthält ein jüngeres Handbuch zur Gewalt überhaupt keine Referenz auf Schlachten, vgl. Christian Gudehus/Michaela Christ (Hg.), Gewalt. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2013. Zum Verhältnis von Macht und Gewalt siehe Heinrich Popitz, Phänomene der Macht, Tübingen 1992, S. 43-78, dort auch der im Folgenden aufgegriffene Begriffe der Gewalt als »Aktionsmacht«.

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die Schlachtengewalt als äußerste Steigerung der Aktionsmacht gelten und das konkurrierende Zusammentreffen als Machtprobe höchster Ordnung begriffen werden kann. Eine historiographische Konzeption, die der Vielfalt des Phänomens Schlacht gerecht werden könnte, quasi eine ›histoire totale‹ der Schlacht, ist noch nicht in Sicht. Aber es ist nicht so, als ob nicht schon eine Reihe alternativer Herangehensweisen erprobt worden wären, auch wenn sie noch kaum Nachfolger gefunden haben und auch wenn man sie eher jenseits der Grenzen suchen muss, der Grenzen des Landes, aber auch der Grenzen der Disziplin. John Keegans »Face of Battle« darf bereits als ein klassisches Referenzwerk moderner Schlachtengeschichte gelten, das insbesondere dem Problem der Vielfalt sich gleichzeitig in der Schlacht verwirklichender Gewaltpraktiken gerecht zu werden versuchte.28 Das besondere Verdienst dieser Studie liegt – wie vor allem das Kapitel über Waterloo deutlich macht – in der Öffnung der Schlachtengeschichte für eine konsequente Akteursperspektive.29 Zweifellos stand ihm mit den Siborne Letters auch ein Quellenkorpus zur Erfahrungsgeschichte der gemeinen Soldaten zur Verfügung, wie es für kaum eine Schlacht vor 1800 überliefert ist.30 Doch auch jenseits der Quellenproblematik hat Keegans Arbeit im Bereich der deutschen Mittelalter- und Frühneuzeitforschung bislang noch kein Äquivalent gefunden.31 John A. Lynn hat mit seinem Buch »Battle. A history of combat and culture from ancient Greece to modern America« eine erste Synthese vorgelegt, in der er sich explizit sowohl von den blutleeren Spielarten der new military history wie auch einer Erfahrungsgeschichte distanziert, die den Charakter des Kampfes weitgehend vernachlässigt.32 Lynn, der selbst bewiesen hat, new military history schreiben zu können33, nähert sich dem Kampfgeschehen aus einer 28

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John Keegan, Das Antlitz des Krieges. Die Schlachten von Azincourt 1415, Waterloo 1815 und an der Somme 1916, Frankfurt/New York 1991 (orig. 1976). Zu Waterloo vgl. methodisch ähnlich auch Allessandro Barbero, The Battle. A new history of Waterloo, New York 2006. Jeremy Black hat diesen Ansatz inzwischen als »face of battle approach« kanonisiert, vgl. Jeremy Black, Rethinking Military History, London u.a. 2004, S. 35-37; zur Aufnahme in der alten Geschichte vgl. Philip Sabin, The Face of Roman Battle, in: The Journal of Roman Studies 90 (2000), S. 1-17; kritisch zu Keegan vgl. Everett L. Wheeler, Firepower. Missile weapons and the face of battle, in: Electrum 5 (2001), S. 169-184. Herbert T. Siborne (Hg.), Waterloo letters. With an introduction by Albert A. Nofi, London u.a. 1993 (orig. London 1891); vgl. ferner Garth Glover (Hg.), Letters from the Battle of Waterloo: unpublished correspondence by Allied officers from the Siborne papers, London u.a. 2004; Philippe de Meulenaere, Bibliographie analytique des témoignages oculaires imprimés de la campagne de Waterloo en 1815, Paris 2004. Vgl. bereits den Befund von Daniel Hohrath, Spätbarocke Kriegspraxis und aufgeklärte Kriegswissenschaften. Neue Forschungen und Perspektiven zu Krieg und Militär im »Zeitalter der Aufklärung«, in: Aufklärung 12/1 (2000), S. 5-47, hier S. 43. International vgl. allerdings Peter Englund, The battle that shook Europe. Poltava and the birth of the Russian Empire, London u.a. 2003; Rory Muir, Salamanca 1812, New Haven u.a. 2001. John A. Lynn, Battle. A history of combat and culture from ancient Greece to modern America, Boulder 2003. Vgl. vor allem John A. Lynn, The Bayonets of the Republic: Motivation and Tactics in the Army of Revolutionary France, 1791-94, Urbana 1984, Neuausg. Boulder 1996; ders., Giant of the Grand Siècle: The French Army, 1610-1715, Cambridge 1997.

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kulturgeschichtlichen Perspektive an, obwohl er dafür, wie er in selbstkritischer Offenheit erkennen lässt, eigene Vorbehalte erst tastend überwinden muss. Am Ende rückt aber selbst Lynn die Ereignisstruktur in den Hintergrund und lässt dafür epochenspezifische Sinnstiftungen in den Vordergrund treten, die auf ihre Weise die konkreten Praktiken des Kampfes und die damit verbundenen Zwecke in jeweils spezifischer Weise optimieren und limitieren. In ähnlichen Zusammenhängen sind in der französischen Forschung schon früher Forderungen nach einer »nouvelle histoire bataille« erhoben worden, die eine Rehabilitation der Schlachtengeschichte durch eine bewusste Einbettung in die Diskussion um Struktur und Ereignis versucht.34 Bereits Fernand Braudel hat in seiner »La Méditerranée«, im dritten den »Ereignissen, der Politik und den Menschen« gewidmeten Band, der Seeschlacht von Lepanto (1571) breiten Raum eingeräumt.35 Als ganz dem Ereignis Schlacht gewidmete Studien sind vor allem die Untersuchungen George Dubys über den Sonntag von Bouvines (1214) und Olivier Chalines über die Schlacht am Weißen Berg (1620) hervorzuheben.36 Neue Perspektiven auf das Schlachtfeld verspricht auch die Soziologie, wenn sie mikrosoziologisch nach den sozialen Kohäsionseffekten unter kämpfenden Soldaten fragt oder wie Ulrich Bröckling das Schlachtfeld als einen »Kontingenzraum par excellence« in den Blick nimmt.37 Massenhafte Panik, Angstzustände oder der Zusammenhalt von militärischen Kleingruppen in der Schlacht sind bereits wiederholt zum Gegenstand psychologischer und mentalitätshistorischer Überlegungen geworden.38 Die dabei aufgeworfenen Fragen nach Kontingenz, Kampfmotivation und Entscheidung können von soziologischen Forschungsansätzen profitieren, die erfahrungsgeschichtliche Mikro- und stra34

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Vgl. das Sonderheft »Nouvelle historie bataille« der Cahiers du centre d’Etudes d’Histoire de la Défense 9, 1999; Hervé Drévillon, Batailles. Scènes de guerre de la Table Ronde aux Tranchées, Paris 2007 und Olivier Chaline, La Bataille comme objet d’histoire, in: Francia 32/2 (2005), S. 1-14, hier S. 9-14 sowie den Artikel von Nicolas Offenstadt, Histoire-bataille, in: Christian Delacroix u.a. (Hg.), Historiographies. Concepts et débats, 2 Bde., Paris 2011, Bd.1, S. 162-169. Zur historischen Diskussion über Struktur und Ereignis vgl. Edgar Morin: L’événement, Paris 1972; Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichte – Ereignis und Erzählung, München 1973; Pierre Nora, Le retour de l’événement, in: Jacques Le Goff/Pierre Nora (Hg.), Faire de l’histoire. Nouveaux Problémes, Paris 1974, S. 285-308; Andreas Suter/Manfred Hettling (Hg.), Struktur und Ereignis (Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft, Sonderheft 19), Göttingen 2001. Fernand Braudel, Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II., Bd. 3, Darmstadt 2001, S. 257-282. Georges Duby, Der Sonntag von Bouvines. Der Tag, an dem Frankreich entstand, Berlin 1988, dazu auch Axel Rüth, Erzählte Geschichte. Narrative Strukturen in der französischen AnnalesGeschichtsschreibung, Berlin 2005, S. 53-85; Olivier Chaline, La Bataille de la Montagne blanche (8 Novembre 1620). Un mystique chez les guerriers, Paris 2000. Vgl. Ulrich Bröckling, Schlachtfeldforschung. Die Soziologie im Krieg, in: Steffen Martus/ Marina Münkler/Werner Roecke (Hg.), Schlachtfelder. Codierung von Gewalt im medialen Wandel, Berlin 2003, S. 189-206, hier S. 189. Jean Chagniot, Une panique: les Gardes Françaises à Dettingen (27 Juin 1743), in: Revue d’Histoire Moderne et Contemporaine 24 (1977), S. 78-95; Sascha Möbius, Mehr Angst vor dem Offizier als vor dem Feind? Eine mentalitätsgeschichtliche Studie zur preußischen Taktik im Siebenjährigen Krieg, Saarbrücken 2007.

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tegische Makroebene einer Schlacht miteinander verbinden. Daher ist es auch kaum verwunderlich, dass die erstmalige Verwendung des Begriffs der Mikrogeschichte in einer Monographie über die Entscheidungsphase einer Schlacht auftrat.39 In seiner 1959 erschienen Studie »Pickett’s Charge. A Microhistory of the Final Charge at Gettysburg, July 3, 1863« widmet sich George R. Stewart, wie Carlo Ginzburg es ausdrückte, »mit beinahe krankhafter Genauigkeit« den entscheidenden Momenten der Schlacht; ›Momenten‹, die, dies sei nur nebenbei bemerkt, mit 15 Stunden als vergleichsweise lang betrachtet werden müssen.40 War Stewart für Ginzburg gerade kein Beispiel für das, was er sich unter einer zeitgemäßen Mikrogeschichte vorstellte, hielt er dennoch daran fest, dass »die Reflexion über die Schlacht als historiographisches Thema […] noch immer nützlich sei«, ließe sie doch »indirekt eine prinzipielle Aporie des historischen Handwerks erkennen«.41 Was diese Aporie ausmacht, deutet Ginzburg einige Zeilen später an: »Eine Schlacht ist streng genommen unsichtbar«.42 Auch aus dem Bereich einer modernen Technikgeschichte können schließlich wichtige Anregungen hervorgehen. Dabei tritt sowohl die Bedeutung materieller Kultur für den Kampf in den Blick, als auch die vor allem im angloamerikanischen Raum verbreitete Diskussion um eine technologische Determinierung der Kriegführung. Hier haben kulturwissenschaftliche Ansätze zum einen gezeigt, dass die Verwendung und Entwicklung von Waffentechnik nicht allein einer Rationalität der Nutzenoptimierung folgt, sondern zugleich von kulturellen Konventionen kanalisiert wird.43 Gerade vor diesem Hintergrund ist zum zweiten herausgearbeitet worden, dass den Dingen als Aktanten selbst eine Art Akteursqualität zukommt.44 Neben den Dingen ist vor allem der Raum als konstitutives Moment der Schlacht zu betrachten.45 Unkenntnis des Geländes konnte ebenso rasch zu einem Desaster führen wie umgekehrt Erfahrungen mit dem Terrain zu ungeahnten Erfolgen etwa Fried-

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Vgl. Carlo Ginzburg, Mikro-Historie. Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß, in: Historische Anthropologie 1 (1993), S. 169-192, hier S. 169f. Ebd., S. 170; vgl. George R. Stewart, Pickett’s Charge. A Microhistory of the Final Charge at Gettysburg, July 3, 1863, Boston 1959. Ginzburg, Mikro-Historie, S. 184. Ebd. Vgl. als Überblick Black, Rethinking, S. 104-127. Lutz Musner, Im Schatten von Verdun. Die Kultur des Krieges am Isonzo, in: Helmut Konrad/Wolfgang Maderthaner (Hg.), Das Werden der Republik. Österreich 1918-1920, Wien 2008, S. 45-64. Vgl. auch den Beitrag von Lutz Musner in diesem Band. Für die Frühe Neuzeit vgl. Jan Willem Huntebrinker/Ulrike Ludwig (Hg.), Militär und materielle Kultur in der Frühen Neuzeit (Themenheft von Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 13), Potsdam 2009. Vgl. den Beitrag von Christoph Nübel in diesem Band, sowie ders., Das Niemandsland als Grenze. Raumerfahrungen an der Westfront im Ersten Weltkrieg, in: Zeitschrift für Kulturwissenschaften 2 (2008), S. 41-52. Der »spatial turn« hat bislang nur geringen Eingang in die Militärhistoriographie gefunden, vgl. Jörg Echternkamp (Hg.), Perspektiven der Militärgeschichte: Raum, Gewalt und Repräsentation in historischer Forschung und Bildung, München 2010.

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richs II. bei Leuthen (1757).46 Eine Verbindung der Erforschung von Materialität und Raum leistet die Schlachtfeldarchäologie, die in jüngerer Zeit beachtliche Ergebnisse erbracht hat, die auch für eine Kulturgeschichte der Schlacht anschlussfähig sind.47

Vermittlungen Noch radikaler gehen jene kulturgeschichtlichen Ansätze vor, die nicht nur die kulturelle Bedingtheit der Praktiken, sondern auch die kulturelle Bedingtheit der Wahrnehmung und Rekonstruktion von Kampfwirklichkeiten in den Mittelpunkt stellen. Beiträge dieser Art dominieren auch diesen Band.48 Unser Vorschlag ist es, nicht neue Rekonstruktionen zu produzieren, als vielmehr die Produktionsbedingungen von Rekonstruktionen zu analysieren, also die Art und Weise, in der sowohl einzelne Elemente als auch das Ganze der Schlacht in Wahrnehmungsweisen und Repräsentationen ihren Niederschlag finden. Ein solcher Rekurs auf die Vermittlung von Realitäten antwortet gleich auf mehrere Herausforderungen. Zum einen bleibt ganz basal jede Rekonstruktion der Praktiken in der Schlacht wie des Ereignisses als Ganzem auf die in Selbstzeugnissen, Chroniken und Relationen niedergelegte Wahrnehmung der Zeitgenossen angewiesen, die selbst bestimmten narrativen Mustern folgen. Auf die Faszination, die von einer in Raum und Zeit extrem verdichteten, zugleich in ihrer ganzen Komplexität gar nicht wahrnehmbaren Eruption von Gewalt ausgeht, wird seit jeher mit Realitätseffekten reagiert.49 Auch die scheinbar noch so objektive Darstellung fußt letztlich auf vorstrukturierten Artikulationsmustern. So ist etwa die Rede von der Unbeschreibbarkeit selber eine topische Formel, etwa wenn ein einfacher Soldat im Siebenjährigen Krieg an seine Frau über die Schlacht bei Prag meldet, dass diese »ganz unbeschreiblich ist und über alle pattalien geht, auch kein Mensch aussprechen kann« und sie »nicht so beschreiben [könne] wie es war« und wenn er »auch drei bogen volschriebe.«50 Mögen die zeitgenössischen Berichte und Bilder auch noch so realistisch anmuten, bleibt immer zu bedenken, dass sie nur eine kulturell vermittelte Realität artikulieren. Aus sehr unterschiedlichen Perspektiven konstruieren sie die Normalität im Chaos, selektieren sie zwischen dem Gewöhnlichen und 46

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Vgl. Bernhard R. Kroener, Die Geburt eines Mythos – die »schiefe Schlachtordnung«. Leuthen, 5. Dezember 1757, in: Förster/Pöhlmann/Walter (Hg.), Schlachten, S. 169-183. Thomas Brock/Arne Hofmann, Schlachtfeldarchäologie. Auf den Spuren des Krieges (Sonderheft von Archäologie in Deutschland), Stuttgart 2011; Harald Meller (Hg.), Schlachtfeldarchäologie. 1. Mitteldeutscher Archäologentag vom 09. bis 11. Oktober 2008 in Halle (Saale), Halle (Saale) 2009. Auf den Typus »Seeschlacht« wurde dabei aus pragmatischen Gründen wegen den Problemen der Vergleichbarkeit verzichtet. Vgl. zum Begriff des »effet de réel« Roland Barthes, Das Rauschen der Sprache, Frankfurt a.M. 2006, S. 164-172. Georg Liebe (Hg.), Preußische Soldatenbriefe aus dem Gebiete der Provinz Sachsen im 18. Jahrhundert, in: Hans Bleckwenn (Hg.), Preußische Soldatenbriefe, Osnabrück 1982, S. 6f.

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dem Heroischen, dem Legitimen und dem Unerhörten, dem Sagbaren und dem Unaussprechlichen. Diese Codierung erst erlaubt es, die Gewalt überhaupt als sinnhaft darzustellen und zu bewältigen, und an diesem Punkt wird die Schlachtengeschichte zum zentralen Kapitel einer Kulturgeschichte der Gewalt. Die Hierarchisierung in authentische und weniger authentische Quellentypen wird man auf diesem Wege zugunsten der Frage nach den Unterschieden ihrer medialen Qualität aufgeben müssen. Dadurch tritt zum anderen die Frage nach den unterschiedlichen medialen Repräsentationen des Ereignisses in den Mittelpunkt. Schlachtenbilder geraten als Vermittler von Realitätseffekten ebenso in den Blick wie literarische Verarbeitungen, Briefe oder Tagebuchaufzeichnungen. Nähe und Distanz taugen somit nur bedingt als Unterscheidungsmerkmale, denn ein Bild entsteht meist erst in der Nachschau, wenn einzelne Eindrücke zu größeren Sinneinheiten synthetisiert werden. Schlachten werden damit zu Medienereignissen, entwickeln eine eigene Realität in den Medien.51 Am Beispiel der Schlacht an den Thermopylen ist in jüngerer Zeit gezeigt worden, wie ein antikes Ereignis mit immer wieder neuen Sinnschichten ausgestattet werden konnte.52 Ob in der Französischen Revolution, dem deutschen Kaiserreich oder der NS-Zeit, stets wurden die Thermopylen aufs Neue zum Vorbild kriegerischer Heldeninszenierung. Aus Schlachten werden Mythen und Ereignischiffren. Allein ihr Name scheint bereits komplexe historische Vorgänge auf den Punkt zu bringen und abrufbar zu machen. Ob auf Iserlohner Tabakdosen des 18. Jahrhunderts, auf Reservistenbierkrügen des 19. Jahrhunderts oder in Pop- und Rocksongs des 20. Jahrhunderts, die Namen großer Schlachten wurden immer wieder Gegenstand der Kommerzialisierung und der populären Aneignung. In das Geschichtsbild der Öffentlichkeit erhält die Schlachtengeschichte gegenwärtig durch Fernsehdokumentationen53, Compu51

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Vgl. exemplarisch Sebastian Küster, Vier Monarchien – vier Öffentlichkeiten: Kommunikation um die Schlacht bei Dettingen, Münster 2004; ferner Martin Löffelholz (Hg.), Krieg als Medienereignis: Bd.1: Grundlagen und Perspektiven der Krisenkommunikation, Opladen 1993; Bd. 2: Krisenkommunikation im 21. Jahrhundert, Wiesbaden 2004; Jürgen Wilke, Krieg als Medienereignis – Konstanten und Wandel eines endlosen Themas, in: Kurt Imhof/Peter Schulz (Hg.), Medien und Krieg – Krieg in den Medien, Zürich 1995, S. 21-35. Zur Unterscheidung von Medialisierungs- und Beobachtungsebenen des Ereignisses vgl. Matthias Kepplinger, Der Ereignisbegriff in der Publizistikwissenschaft, in: Publizistik 46/2 (2001), S. 117-139. Zur Geschichte von Medienereignissen vgl. allg. auch Frank Bösch (Hg.), Medialisierte Ereignisse. Performanz, Inszenierung und Medien seit dem 18. Jahrhundert, Frankfurt a.M. u.a. 2010. Vgl. den Beitrag von Thomas Weißbrich in diesem Band. Anuschka Albertz, Exemplarisches Heldentum. Die Rezeptionsgeschichte der Schlacht an den Thermopylen von der Antike bis zur Gegenwart (Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit, Bd. 17), München 2006; vgl. ferner auch zu antiken Schlachten als Erinnerungsorten Michael Jung, Marathon und Plataiai. Zwei Perserschlachten als »lieux de mémoire« im antiken Griechenland, Göttingen 2006. Arte und die ARD strahlten 2006 eine von Anne Roerkohl produzierte Dokumentationsserie zum Thema »Die großen Schlachten« aus, welche die »Schlachten« von Wien 1529, Magdeburg 1631, Leipzig 1813 und Sedan 1870 behandelte, vgl. dazu den Begleitband von Jan N. Lorenzen, Die großen Schlachten. Mythen, Menschen, Schicksale, Frankfurt a.M./New York 2006.

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terspiele54 oder populärwissenschaftliche Zeitschriften55 vermutlich breiteren Eingang als durch wissenschaftliche Forschung. Man könnte die These wagen, dass in modernen Medienkriegen die medial konstruierte Wirklichkeit des Kampfes zunehmend absichtsvoll die Evidenz tatsächlicher Kämpfe nicht mehr vermittelt, sondern geradezu ersetzt.56 Schlachtfelder werden in Bildschirmformate transformiert, und insofern scheint die Konstruktivität der Schlacht zu dem Zeitpunkt ihr Extrem zu erreichen, als sie als militärische Praxis verabschiedet wird. Doch sollten die Gegensätze nicht übertrieben werden. Schließlich ist auch dem frühneuzeitlichen Kampfgeschehen von den Zeitgenossen gerne der Charakter eines Theaters und einer Bühne zugeschrieben worden.57 Gestorben wurde damals wie heute, aber die Sinnstifter konstruieren daraus ihre eigenen Realitätseffekte. In diesem Kontext erweisen sich interdisziplinäre Ansätze als besonders vielversprechend. Inter- bzw. Transdisziplinarität ist hier kein leerer Signifikant im Prozess der Drittmittelgenerierung, sondern kann ihren Ertrag bereits an konkreten Arbeiten unter Beweis stellen. So ist die Erforschung der medialen Dimension der Repräsentation von Schlachten maßgeblich durch literaturwissenschaftliche, kunsthistorische und musikhistorische Arbeiten befördert worden. Die Literatur stellt dabei seit jeher ein zentrales kulturelles Reflexionsmedium von Schlachtendarstellungen dar, wie unter anderem Manuel Köppens Arbeit über das »Entsetzen des Beobachters« eindrucksvoll für das 19. und 20. Jahrhundert gezeigt hat.58 Vom Waterloo-Erlebnis, wie es in Stendhals »Kartause von Parma« (1839) problematisiert worden ist, bis zu Alexander Kluges »Schlachtbeschreibung« (1964) von Stalingrad haben literarische Texte immer wieder die prekären Beobachtungsverhältnisse des Schlachtenereignisses pointiert zur Sprache gebracht.59 54

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Vgl. zu militärischen Simulationsspielen in historischer Perspektive Daniel Hohrath, Prolegomena zu einer Geschichte des Kriegsspiels, in: Angela Giebmeyer/Helga Schnabel-Schüle (Hg.), Festschrift für Klaus Gerteis zum 60. Geburtstag, Mainz 2000, S. 139-152; Claus Pias, Computer Spiel Welten, München 2002; Timothy Lenoir/Henry Lowood, Kriegstheater. Der MilitärUnterhaltungs-Komplex, in: Jan Lazardzig/Helmar Schramm/Ludger Schwarte (Hg.), Kunstkammer, Laboratorium, Bühne. Schauplätze des Wissens im 17. Jahrhundert, Berlin/New York 2003, S. 432-464; Philipp von Hilgers, Kriegsspiele: eine Geschichte der Ausnahmezustände und Unberechenbarkeiten, Paderborn 2008. Vgl. z. B. die Zeitschrift P.M. History, in der regelmäßig Artikel über Schlachten erscheinen. Sogar ein Sonderheft erschien mit dem Titel »Die großen Schlachten der Weltgeschichte. Salamis, Crécy, Lützen, Stalingrad« P.M. History. Das große Magazin für Geschichte, Mai 2006. Gerhard Paul, Der Bilderkrieg. Inszenierungen, Bilder und Perspektiven der »Operation Irakische Freiheit«, Göttingen 2005; in historischer Langzeitperspektive vgl. Hermann Nöring (Hg.), Bilderschlachten: 2000 Jahre Nachrichten aus dem Krieg. Technik, Medien, Kunst, Göttingen 2009; Claudia Glunz/Thomas F. Schneider (Hg.), Wahrheitsmaschinen. Der Einfluss technischer Innovationen auf die Darstellung und das Bild des Krieges in den Medien und Künsten, Göttingen 2010. Vgl. Marian Füssel, Theatrum Belli. Der Krieg als Inszenierung und Wissensschauplatz im 17. und 18. Jahrhundert, in: Metaphorik 14 (2008), S. 205-230. Manuel Köppen, Das Entsetzen des Beobachters: Krieg und Medien im 19. und 20. Jahrhundert (Probleme der Dichtung, Bd. 35), Heidelberg 2005. Dorothee Kimmich, »Ist das eine Schlacht?« Stendahl, Flaubert, Heine und Immermann: Erzählen von Ereignissen, in: Thomas Rathmann (Hg.), Ereignis. Konzeptionen eines Begriffs in Geschichte, Kunst und Literatur, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 45-62; Johanna Kahrmann, Die Schlacht bei Waterloo. Zur Interferenz von Historiographie und Roman in der ersten Hälfte des franz. 19.

Einführung: Schlachtengeschichte als Kulturgeschichte

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Auf den ersten Blick weniger subtil erscheinen hingegen die visuellen Bearbeitungen des Schlachtenthemas von der mittelalterlichen Bibelhandschrift über barocke Schlachtengemälde bis hin zur Historienmalerei und den Panoramen des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Kunstgeschichte hat sich daher lange Zeit schwer getan mit dem Genre der Schlachtenmalerei, doch auch hier sind in jüngerer Zeit zahlreiche Arbeiten entstanden, die der ungeliebten Gattung mit neuen Perspektiven begegnen.60 Als »imagined battles« werden Schlachtenbilder dabei längst nicht mehr allein auf ihren Quellenwert als Abbilder vergangener Wirklichkeit oder Stilübungen von Landschaftsmalern interpretiert, sondern als handelnde Bilder, die eine bestimmte Sicht der Wirklichkeit repräsentieren und damit überhaupt erst schaffen.61 Neben den Darstellungen der bildenden Kunst ist die Schlacht auch stets Gegenstand musikalischer Repräsentation gewesen und hat in Gestalt der Battaglia ein eigenes Musikgenre herausgebildet.62 Erst in allerjüngster Zeit ist ferner die Hörbarkeit einer Schlacht bzw. deren akustische Repräsentation von musik- und medienhistorischer Seite aufgegriffen worden.63 Beispielsweise gilt die Schlacht von Gettysburg als das lauteste Ereignis Nordamerikas im 19. Jahrhundert.64 Auch hier sind ältere gattungs- und stilgeschichtlich ausgerichtete musikhistorische Forschungen inzwischen im Rahmen eines »acoustic turn« durch medienund wahrnehmungshistorische Fragen erweitert worden.65 Noch eine ganz andere Dimension eröffnet sich für eine künftige neue Schlachtengeschichte mit der Ausweitung auf eine globale Vergleichsperspektive.66 Gerade der enorme Erfolg von Publikationen wie Victor Davis Hansons »Carnage and Culture«, in der argumentiert wird, die westlichen Werte würden

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Jahrhunderts, in: Poetica 9 (1977), S. 238-323; Herfried Münkler, Schlachtbeschreibung: Der Krieg in Wahrnehmung und Erinnerung. Über »Kriegsberichterstattung«, in: ders., Gewalt und Ordnung. Das Bild des Krieges im politischen Denken, Frankfurt a.M. 1992, S. 176-207, 231-234. Olle Cederlöf, The Battle Painting as a Historical Source. An Inquiry into the Principles, in: Revue Internationale d’Histoire Militaire 26 (1967), S. 119-144; Centre d’études d’histoire de la défense (Hg.), L’Art de la guerre: La vision des peintres aux XVIIe et XVIIIe siècles, SaintMaixent-l’École 1998; Matthias Pfaffenbichler, Das barocke Schlachtenbild – Versuch einer Typologie, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien 91 (1995), S. 37-110; Liselotte Popelka, Schlachtenbilder. Bemerkungen zu einer verachteten Bildgattung, in: Heribert Hutter (Hg.), Schlachten, Schlachten, Schlachten. Eine Ausstellung der Gemäldegalerie mit dem Institut für Bildnerische Erziehung, Wien 1984, S. 5-20; John R. Hale, Artists and Warfare in the Renaissance, New Haven 1990; Peter Paret, Imagined Battles. Reflections of War in European Art, Chapel Hill 1997; Gerhard Paul, Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn u.a. 2004. Vgl. Horst Bredekamp, Theorie des Bildakts: Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007, Berlin 2010. Karin Schulin, Musikalische Schlachtengemälde in der Zeit von 1756 bis 1815, Tutzing 1986. Annemarie Firme/Ramona Hocker (Hg.), Von Schlachthymnen und Protestsongs. Zur Kulturgeschichte des Verhältnisses von Musik und Krieg, Bielefeld 2006; Hermann Danuser, Kriegsgetöse. Zur Semiotik musikalischer Battaglien, in: Martus/Münkler/Roecke (Hg.), Schlachtfelder, S. 33-49; vgl. zuletzt auch die Beiträge von Michael Schramm, Sascha Möbius, Anselm Gerhard und Werner Friedrich Kümmel in Jutta Nowosadtko/Matthias Rogg (Hg.), »Mars und die Musen«. Das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit, Berlin 2008. Vgl. Charles D. Ross, Civil War Acoustic Shadows, Shippensburg PA. 2001. Vgl. Robert Maier (Hg.), Akustisches Gedächtnis und Zweiter Weltkrieg (Eckert. Die Schriftenreihe, Bd. 126), Göttingen 2011. Vgl. Black, Rethinking, S. 66-103.

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Marian Füssel/Michael Sikora

seit der Antike die militärische Überlegenheit des Westens garantieren, fordert zur kritischen Diskussion heraus.67 Die Konzentration auf den Zusammenhang von Gewalt, Struktur, Ereignis und Repräsentation verspricht dafür in mehrfacher Hinsicht weiterführenden Gewinn. Denn die kulturgeschichtliche Perspektive bewegt sich konsequent jenseits einer militärischen Fortschrittsgeschichte, sei es in technologischer oder in taktischer Hinsicht. Das Wechselspiel der vier Komponenten verbürgt vielmehr die Historizität von Schlachtengewalt. Denn das eben zeigen die folgenden Beiträge: Bei aller formalen und morphologischen Ähnlichkeit weist die Gewalt der Schlachten doch massive historische Unterschiede auf. In der Perspektive der langen Dauer ist schließlich auch nach einem Ende des Zeitalters der Schlachten und den Gründen für die Emergenz neuer Ereignisstrukturen zu fragen. Gerade in der konsequenten Historisierung zeigt sich gleichzeitig auch einer der wesentlichen Unterschiede zu jeglicher Form von Generalstabshistoriographie, die meint, Cannae (216 v. Chr.), Leuthen (1757) und Tannenberg (1914) überhistorisch vergleichbar zu machen, indem sie das Ereignis in ein geometrisches Figurenspiel auflöst.68 Den Gewaltcharakter der Schlacht ernst zu nehmen heißt vor diesem Hintergrund auch, sie in ihrer spezifischen Qualität als elementare, alle Sicherungen des Lebens infrage stellende Ausnahmesituation zu begreifen und sich einer dezisionistischen Narration zu verweigern, die die Gewalt in der Abfolge von Voraussetzungen, Ergebnis und Folgen funktional neutralisiert.69 Indem schließlich die kulturellen Bedingungen der Ereigniskonstitution selbst in den Blick treten, kann eine so verstandene »neue« Schlachtengeschichte sowohl einen Beitrag zur Geschichte organisierter Gewalt als auch zu einer allgemeinen Kulturgeschichte historischer Ereignisse leisten. Wie oben bereits angedeutet, bilden retrospektive Synthesen überhaupt erst die Grundlage, aufgrund derer einem Ereignis, einem Kampfgeschehen, das Siegel einer Schlacht aufgedrückt wird. Insofern geht ein Ansatz, der nicht primär die Rekonstruktion des Geschehens, sondern die Rekonstruktion der Konstruktion in den Mittelpunkt rückt, trotzdem an die Wurzel des Phänomens Schlacht, an den Punkt also, an dem der Kampf zur Schlacht gemacht wird. Doch darf er an diesem Punkt nicht stehen bleiben: Denn unsere historischen Bilder von Schlachten verändern sich permanent, pointiert ausgedrückt macht sich jede Zeit ihre eigenen Schlachten. Erst in der Erinnerungskultur wird eine Schlacht mithin zu dem gemacht, was wir heute mit ihr verbinden.70 67

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Victor Davis Hanson, Carnage and culture: landmark battles in the rise of Western power, New York [u.a.] 2001. Vgl. z.B. Hans Niemann, Hindenburgs Siege bei Tannenberg und Angerburg – August-September 1914 – Das Cannae und Leuthen der Gegenwart, 4. Aufl., Berlin 1915. Zur narrativen Struktur der klassischen Schlachtenrepräsentation vgl. Chaline, La Bataille, S. 3. Horst Carl/Ute Planert (Hg.), Militärische Erinnerungskulturen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert. Träger – Medien – Deutungskonkurrenzen, Göttingen 2012; Matti Münch, Verdun. Mythos und Alltag einer Schlacht, München 2006; Gerd Krumeich/Susanne Brandt (Hg.), Schlachtenmythen. Ereignis – Erzählung – Erinnerung (Europäische Geschichtsdarstellungen, Bd. 2), Köln/Weimar/Wien 2003.

Kulturgeschichtliche Dimensionen antiker Schlachten – eine Bestandsaufnahme Von SVEN GÜNTHER

Marathon, Thermopylen, Cannae – die Antike bestand aus einer Aneinanderreihung von Schlachten, so suggeriert es jedenfalls bis heute unsere und vielmehr noch unserer Vorgängergeneration Erinnerung an den schulischen Geschichtsunterricht, eine Spätfolge der Paradigmatisierung des angeblichen antiken Heldentums im Zuge der nationalistischen Geschichtsbetrachtung. Obgleich diese verengte Perspektive auf die Antike in einem modernen Geschichtsunterricht und selbstredend in der altertumswissenschaftlichen Forschung heutzutage ad acta gelegt worden sein sollte, die Vielfalt geschichtstheoretischer Fragestellungen auch in der Alten Geschichte und deren Nachbardisziplinen Einzug gehalten hat,1 ist die antike Schlacht, verstanden als großes, abgegrenzt und singulär wahrgenommenes Aufeinandertreffen militärischer Parteiungen, bislang nur teilweise als kulturgeschichtliches Ereignis in toto wahrgenommen worden. Zwar hat die Ausweitung geschichtstheoretischer Perspektiven auf Nachbardisziplinen mit sozialgeschichtlichen, erinnerungskulturellen, intertextuellen, symbol- und ritualdynamischen Strukturzugriffen auf das Quellenmaterial auch vor der Antiken Militärgeschichte nicht Halt gemacht; seltsamerweise ist jedoch die Schlacht als Kulturphänomen nur unter bestimmten Teilaspekten, und zumeist dann auch auf eine bestimmte Schlacht fokussiert, Gegenstand der Betrachtung gewesen. Insofern möchte der vorliegende Beitrag zunächst einen gerafften, sicherlich fragmentarischen und subjektiven Überblick über bereits wahrgenommene und noch mögliche Dimensionen einer kulturgeschichtlichen Betrachtungsweise der antiken Schlacht geben. Exemplarisch soll dann in einem zweiten Schritt ein bislang so noch nicht wahrgenommenes Phänomen, die »Schlacht bei Nacht«, unter kulturhistorischen Perspektiven kurz angerissen werden.

Kulturgeschichtliche Forschungsfelder zur antiken Schlacht Jegliche kulturgeschichtliche Betrachtung der antiken Schlacht hat sich, wie alle Bereiche der Altertumswissenschaften, mit dem Umstand auseinanderzusetzen, dass die fragmentarische Quellenlage, die literarischen Prinzipien fol1

Vgl. dazu nur den perspektivenreichen Aufriß von Hans-Joachim Gehrke, Zwischen Altertumswissenschaft und Geschichte. Zur Standortbestimmung der Alten Geschichte am Ende des 20. Jahrhunderts, in: Ernst-Richard Schwinge (Hg.), Die Wissenschaften vom Altertum am Ende des 2. Jahrtausends n. Chr., Stuttgart/Leipzig 1995, S. 160-196.

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Sven Günther

gende Gestaltung antiker Schlachtenbeschreibungen, das weitgehende Fehlen von direkt überlieferten und nicht sekundär verformten Augenzeugenerinnerungen u.v.m. den Zugriff auf das Phänomen der antiken Schlacht massiv erschwert. Jedoch läßt dieser Umstand umgekehrt an bestimmten Punkten eine sehr viel sorgfältigere und komplexere Analyse des Quellenmaterials als bei der erschlagenden Quellenflut moderner Schlachtenzeugnisse zu, da eine Quelle erst dann »zum Sprechen« gebracht werden kann, wenn diese unter möglichst vielen Perspektiven kontextualisiert wurde. Dieser Umstand hat die »militärgeschichtliche Forschung zur Antike« seit ihren Anfängen umgetrieben. Ja, es war letztlich die Verbindung von genauer philologischer Analyse und diskursivem Abgleich mit gegenwärtigen militärischen Strukturen, welche zur Auslösung der antiken Kriegsführung aus der reinen Rezeption und Übertragung auf eigenes militärisches Handeln im Kontext der fortschrittlichen Militärtechnologie des 19. Jahrhunderts führte und die wissenschaftliche Betrachtung als »Militärgeschichte« hervorbrachte.2 Dieser wahrliche Paradigmenwechsel, der v.a. mit deutschen Historikern, zumeist zeitgleich auch Offizieren, wie Hans Delbrück, Hans Droysen oder Johannes Kromayer und Georg Veith verbunden ist,3 fokussierte zunächst tatsächlich auf die Schlacht sowie deren unmittelbare Umgebung und analysierte diese »zeitgemäß« unter sachkritischen Aspekten wie Topographie, Truppenstärke, taktischer Aufstellung u.ä.m., brachte jedoch wenig kulturgeschichtliche Anregungen. Erst die Anwendung von Fragestellungen neuer Disziplinen wie der Anthropologie, Soziologie, neuen Religionsgeschichte oder Linguistik auf die militärgeschichtlichen Begebenheiten der Antike sowie die Etablierung neuer methodologischer Ansätze wie des Strukturalismus bzw. Post-Strukturalismus führten die militärgeschichtliche Forschung zur Antike, zuerst in der angloamerikanischen bzw. frankophonen Wissenschaft, in die kulturgeschichtliche Betrachtungsweise des Phänomens »Krieg«.4 Die Einbeziehung dieser neuen Disziplinen und Forschungsansätze erweiterte dabei den Blick hin auf Kontexte aller Art – von der sozialen, wirtschaftlichen, religiösen bis hin zur wahrnehmungsgeschichtlichen Seite des Krieges, mehr noch aber auf Voraussetzungen und Dispositionen des Krieges an und für sich. Insofern war es nach der Katastrophe der beiden Weltkriege und den 2

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Zur Rezeptionsgeschichte des antiken Kriegswesens vgl. bspw. Marco Formisano/Hartmut Böhme (Hg.), War in Words. Transformations of War from Antiquity to Clausewitz, Berlin 2010; exemplarisch zur Rezeptionsgeschichte des antiken Militärschriftstellers Vegetius vgl. Sven Günther, s.v. Vegetius, in: Christine Walde (Hg.), Die Rezeption der antiken Literatur (DNP-Supplemente, Bd. 7), Stuttgart/Weimar 2010, S. 1065-1072; zum Paradigmenwechsel im 19. Jahrhundert siehe den Beitrag von Victor Davis Hanson, The Modern Historiography of Ancient Warfare, in: Philip Sabin/Hans van Wees/Michel Whitby (Hg.), The Cambridge History of Greek and Roman Warfare, Vol. I: Greece, the Hellenistic World and the Rise of Rome, Cambridge 2007, S. 3-21, besonders S. 58 (mit weiteren Verweisen). Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, Bd. 1: Das Altertum, 2. Aufl., Berlin 1908 u.ö.; Hans Droysen, Heerwesen und Kriegführung der Griechen (K. F. Hermann’s Lehrbuch der griechischen Antiquitäten, Bd. II, 2), Freiburg 1889; Johannes Kronmayer/Georg Veith, Antike Schlachtfelder, 4 Bde., Berlin 1903-1931; Heerwesen und Kriegführung der Griechen und Römer (HdAW, Bd. IV, 3, 2), München 1928. Vgl. dazu detailliert Hanson, Modern Historiography, S. 9-11.