Krankenhausplanung und Wettbewerb

„Krankenhausplanung und Wettbewerb“ Dipl.-Gesundheitsökonom Andreas Götz 1. Krankenhausplanung Status Quo Die zunehmende ökonomische Bedeutung des Ge...
Author: Rosa Albert
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„Krankenhausplanung und Wettbewerb“ Dipl.-Gesundheitsökonom Andreas Götz

1. Krankenhausplanung Status Quo Die zunehmende ökonomische Bedeutung des Gesundheitswesens, beispielsweise aufgrund des sich ausdehnenden Marktvolumens infolge der demographischen Entwicklung und des medizinisch-technischen Fortschritts, ist unbestritten. Eine besondere Bedeutung hat dabei die Krankenhausversorgung. Mit 70.998 Mio. € entfielen 26% der Ausgaben für Gesundheit des Jahres 2009 auf die akutstationäre Krankenhausversorgung.1 Mit der DRG-Einführung und der damit verbundenen Abkehr vom „Kostendeckungsprinzip“ hat die Wettbewerbsintensität in diesem Bereich deutlich zugenommen. Die Frage nach der Sicherstellung und Ausgestaltung einer flächendeckenden Versorgung in einem wettbewerblichen System bleibt weiterhin bestehen. Die Sicherstellung einer flächendeckenden medizinischen Versorgung der Bevölkerung entspringt dem Sozialstaatsprinzip.2 Der Sicherstellungsauftrag bei der Versorgung mit stationären Krankenhausleistungen liegt bei den Ländern. Diese sind verpflichtet eine bedarfsgerechte Versorgung mit leistungsfähigen Krankenhäusern zu gewährleisten. Hierzu stellen die Länder Krankenhauspläne und Investitionsprogramme auf, eine gesetzliche Regelung über die „Engmaschigkeit“ der Versorgung existiert jedoch nicht.3 Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der juristischen Literatur wurden folgende wesentlichen Inhalte der Krankenhauspläne definiert4: 1. Eine Krankenhauszielplanung, d.h. eine Festlegung der Ziele, die das Land mit der Planung verfolgt und nach welchen es sich bei einer Auswahl zwischen mehreren Krankenhäusern orientiert. 2. Eine Bedarfsanalyse, d.h. eine Ermittlung des gegenwärtigen Versorgungsbedarfes sowie die Feststellung des zukünftigen Bedarfs an Krankenhausleistungen (Bedarfsprognose). 3. Eine Krankenhausanalyse, d.h. eine Beschreibung der existierenden Versorgungsbedingungen in den einzelnen Krankenhäusern, die bereits in den Krankenhausplan aufgenommen sind. 4. Der Abschluss der Krankenhausplanung liegt in der Versorgungsentscheidung, die auf der Grundlage der vorherigen Analysen gefällt wird. Dennoch unterscheiden sich die Krankenhauspläne der einzelnen Bundesländer voneinander. Während in einigen Bundesländern die festgelegte Bettenanzahl je Fachrichtung ausgewiesen wird (z. B. Bayern), werden in anderen Bundesländern nur die Gesamtbettenkapazität sowie die vorzuhaltenden Fachrichtungen festgelegt

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Vgl. Statistisches Bundesamt (2011a). Vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2005), S. 118. 3 Vgl. Neubauer et al (2007), S. 65. 4 Vgl. Quaas (2007), S. 548. 2

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(z. B. Baden-Württemberg).5 Auch unterscheiden sich die Krankenhauspläne bzgl. der Vorgaben zur Notfallversorgung oder zu Qualitätskriterien und –festlegungen. So werden beispielsweise in Hessen Mindestanforderungen zu vorzuhaltenden Fachabteilungen, Erreichbarkeit und Kapazitäten im Krankenhausplan festgelegt, während in anderen Bundesländern keine Vorgaben hierzu existieren. Im Krankenhausplan Rheinland-Pfalz finden sich zahlreiche Strukturvorgaben zu StrokeUnits, zum Bereich Diabetologie sowie zu Brustzentren, die in dieser Form in anderen Bundesländern nicht Bestandteil des Krankenhausplans sind.6 Die bekannteste und am längsten verwendete Methode zur Ermittlung des Bettenbedarfs ist die sog. Hill-Burton-Formel, bei der die Parameter Einwohnerzahl, Krankenhaushäufigkeit, Verweildauer sowie Auslastungsgrad zur Ermittlung der Planbetten eingehen.7 Ergänzend werden in einigen Bundesländern Gutachten in Auftrag gegeben, in denen durch Berücksichtigung der demographischen Entwicklung sowie Expertenmeinungen (z. B. bzgl. Verweildauerentwicklung) eine Prognose des zukünftigen Bettenbedarfs vorgenommen wird.8 Mit Aufnahme in den Krankenhausplan erwirbt das Krankenhaus einen Anspruch auf Fördermittel, gleichzeitig gilt die Aufnahme in den Krankenhausplan als Abschluss eines Versorgungsvertrages zwischen den Krankenkassen und dem Krankenhaus.9 Im Kern handelt es sich bei der Krankenhausplanung um eine staatliche Angebotsplanung, die trotz der Einführung des Wettbewerbs auf dem Krankenhausmarkt beibehalten wurde. Die Wettbewerbsintensität hat mit der Einführung des DRG-Systems und nicht zuletzt durch bestehende Überkapazitäten, faktischer Wahlfreiheit des Patienten bei der Krankenhauswahl, aber auch durch den Einfluss weiterer Anspruchsgruppen an Intensität in den letzten Jahren deutlich zugenommen.10 2. Grundelemente eines liberalisierten Gesundheitssystems Es stellt sich daher die Frage, wie eine Krankenhausplanung in einem liberalen und wettbewerblichen Gesundheitssystem aussehen kann. Wettbewerb kann dabei im Gesundheitswesen auf folgenden Interaktionsebenen stattfinden:11 • Patient – Leistungserbringer (Behandlungsvertrag) • Krankenversicherung – Versicherter (Versicherungsvertrag) • Krankenversicherung – Leistungserbringer (Versorgungsvertrag). Der Kern eines liberalisierten Gesundheitssystems besteht in der grundsätzlichen Vertragsund Kooperationsfreiheit zwischen Kostenträgern und 5

Vgl. Götz/ Baierlein (2011), S. 30. Vgl. Deutsche Krankenhausgesellschaft (2009), S. 48ff. 7 Vgl. Götz/ Baierlein (2011), S. 30. 8 Vgl. Platzköster et al (2009), S. 425f., Deutsche Krankenhausgesellschaft (2009), S. 13ff. 9 Gem. § 8 KHG sowie § 108 SGB V; Die Möglichkeiten der Kündigung von Versorgungsverträgen sowie die Situation und die Entwicklung der Investitionsförderung werden im Folgenden nicht weiter vertieft. 10 Vgl. hierzu z. B. Neubauer (2007), S. 61ff, Hacker/Götz (2010), S. 616ff. 11 Vgl. Zerth (2005), S. 32. 6

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Leistungserbringern.12 Ein Kontrahierungszwang ist daher aus marktwirtschaftlicher und ordnungspolitischer Sicht abzulehnen und die Angebotsplanung durch Vertragswettbewerb über den Markt vorzunehmen. Bei freier Marktallokation hat das jedoch zur Konsequenz, dass die Mengen- und Kapazitätsplanung über den Vertragswettbewerb und Direktverträge erfolgt und damit regionale Unterschiede die Folge sein werden. Kern der ordnungspolitischen Auseinandersetzung mit der Sicherstellung ist die Frage, wie eine institutionelle und organisatorische Lösung aussehen muss, wenn infolge zu geringer Nachfrage eine Kapazitätsvorhaltung stationärer Krankenhausleistungen nicht (ausreichend) erfolgt. Dabei ist festzuhalten, dass es sich bei der Frage der Sicherstellung der bedarfsgerechten Versorgung um eine normative Festlegung handelt, die die Verfügbarkeit, die Erreichbarkeit sowie ggf. die Qualität der stationären medizinischen Versorgung festschreibt.13 3. Krankenhausplanung und Wettbewerb Für ein Modell, das die Allokation über den Markt und die Sicherstellung einer Versorgung mit stationären Krankenhausleistungen vereint, bietet sich eine Differenzierung der stationären Krankenhausleistungen an. Diese Differenzierung der Krankenhausleistungen in Teilbereiche kann auf mehreren Kriterien beruhen, wobei festzustellen ist, dass es sich im Kern bei der Zuordnung zu einem Bereich um eine bewertende Entscheidung handelt. Bezogen auf die stationären Krankenhausleistungen zeigt sich die Sinnhaftigkeit einer Aufteilung in „NichtNotfälle“ (elektive Krankenhausleistungen) und „Notfälle“ (Notfallbehandlungen).14 In Abhängigkeit der Dringlichkeit, der Planbarkeit sowie des Zugangsweges (selbständig oder mit Rettungswagen/Notarztwagen) erfolgt eine Zuordnung der stationären Krankenhausleistungen zu einem der beiden Bereiche. Da seit der DRGEinführung standardisierte Datensätze gemäß § 21 KHEntgG zur Verfügung stehen, ist es sinnvoll, diese für eine Zuordnung zu verwenden und vorhandene Falldaten nach Aufnahmegrund und -anlass auszuwerten. DRGs, bei denen die Patienten in der Regel selbständig, nicht mit der Aufnahmeart „Notfall“, mit hoher Planbarkeit und geringer Dringlichkeit (kein unmittelbarer Zeitdruck) ein Krankenhaus aufsuchen, werden der Kategorie „Nicht-Notfall“ zugeordnet. DRGs bei denen Patienten im Normalfall per Notarztwagen, mit hoher Dringlichkeit und geringer Planbarkeit sowie der Aufnahmeart „Notfall“ in das Krankenhaus eingeliefert werden, werden der Kategorie „Notfall“ zugeordnet. Dabei wird deutlich, dass diese Differenzierung von der Definition der Dringlichkeit abhängig ist, was verdeutlicht, dass die Frage der Kapazitätsvorhaltung für Notfälle immer Ausfluss einer normativen und bewertenden Entscheidung ist. Mitunter können weitere Kriterien bei der Zuordnung einfließen, beispielsweise das Potenzial der Risikoselektion durch Krankenkassen.15 Die

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Vgl. Oberender/ Zerth (2007), S. 398. Vgl. hierzu auch Oberender/ Götz (2010), S. 49. 14 Vgl. Zerth (2005), S. 57, Leber et al (2007), S. 18. 15 Vgl. Leber et al (2007), S. 18. 13

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Grenzziehung wird für einen Teil der Leistungen nicht eindeutig möglich sein, wobei dies wie folgt gelöst werden kann: 1.) Abschließende normative Zuordnung zu einem der beiden Leistungsbereiche 2.) Zuordnung in Abhängigkeit der jeweils vorliegenden Aufnahmeart Für sämtliche Leistungen, die der Kategorie „Nicht-Notfälle“ zugeordnet werden, muss zukünftig keine zentrale Kapazitätsplanung mehr erfolgen. Krankenhäuser bzw. ihre Träger sowie Krankenkassen können anstatt dessen individuell Vor-Ort Versorgungsverträge verhandeln, die neben dem Preis, die vorzuhaltenden Kapazitäten sowie ggf. Mengenbudgets auch verschiedene Qualitätsparameter und Strukturvorgaben beinhalten sollten. Da für derartige Leistungen eine weitergehende Wohnortunabhängigkeit unterstellt werden kann, wären die durch eine wettbewerbliche Steuerung entstehenden Unterschiede in der regionalen Verfügbarkeit und Erreichbarkeit hinnehmbar und ein Staatseingriff in Form einer zentralen Planung obsolet. Festzuhalten ist, dass die Preisgestaltung nicht mittels eines Höchstpreises begrenzt werden sollte, da damit eine gewünschte Steuerungsund Anreizfunktion des Preises limitiert wird.16 Für Leistungen, die dem Bereich „Notfälle“ zugeordnet sind, muss ebenfalls ein selektives Kontrahieren mit Vertragswettbewerb als Steuerungsinstrument angestrebt werden. Die Sicherstellung der bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung kann in einem ersten Schritt dadurch gewährleistet werden, dass eine Ablehnung der Behandlung für Leistungen aus diesem Bereich unabhängig von geschlossenen Verträgen grundsätzlich verboten und damit ausgeschlossen wird.17 Den Ländern würde im Rahmen der Sicherstellung die Aufgabe obliegen, nach den Verhandlungsrunden der Kostenträger und Krankenhäuser zu prüfen, inwiefern eine Erreichbarkeit und Verfügbarkeit der als Notfälle definierten Krankenhausleistungen gewährleistet ist. Hierzu müssen im Vorfeld ebenfalls Mindestanforderungen normativ festgelegt werden, deren Einhaltung durch die Länder regelmäßig überprüft wird. Hierzu bietet sich eine Abbildung über Zugangsindikatoren an, die eine räumliche Beziehung zwischen dem Herkunftsort der Patienten und den nächsten Krankenhäusern beinhaltet. Beispielsweise kann die Entfernung zwischen Angebot und Nachfrage in Form von Fahrtzeiten des Individualverkehrs verwendet werden.18 Auf Basis der §21-Daten, die den zuständigen Landesbehörden gemäß § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KHEntgG in der Regel übermittelt werden, genauso wie die vereinbarten Leistungsbudgets inkl. Aufstellung der vereinbarten Leistungsstruktur (Formular E1), kann eine Überprüfung erfolgen. Werden beispielsweise definierte Fahrzeiten im Durchschnitt oder für einen bestimmten Prozentsatz der Bevölkerung des Bundeslandes unterschritten, so greift die zuständige Landesplanungsbehörde ein. Dieser Eingriff kann über zwei verschiedene Formen erfolgen: 1.) Ausschreibung der Leistung durch das Land 2.) Gewährleistung eines Sicherstellungszuschlages 16

Vgl. Götz/ Baierlein (2010), S. 31; Oberender/ Zerth (2010), S. 43. Vgl. Götz/ Baierlein (2010), S. 31; Oberender/ Götz (2010), S. 49. 18 Vgl. Metzner (2009), S. 407f. 17

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Wird für einige Bereiche der Notfallversorgung die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung nach Verhandlungen zwischen Kostenträgern und Krankenhäusern nicht sichergestellt, dann schreibt die Landesbehörde die Leistungen öffentlich (für einen definierten Zeitraum) aus und alle Leistungserbringer können sich an dieser Ausschreibung beteiligen und entsprechende Versorgungsangebote einreichen. Den Zuschlag erhält der Anbieter, der bereit ist, die staatlichen Auflagen während des ausgeschriebenen Zeitraums zu den niedrigsten Kompensationsforderung zu erfüllen. Nach Ablauf des Zeitraums werden die Leistungen wieder der „individuellen“ Vertragsverhandlung überlassen. Eine neue Ausschreibung durch das Land erfolgt nur, wenn die Kriterien der Sicherstellung erneut unterschritten werden. Alternativ besteht die Möglichkeit, dass bei Nicht-Erreichen der Mindestkriterien durch individuelle Vertragsverhandlungen ein Sicherstellungszuschlag gewährleistet wird, der den Krankenhäusern zusätzlich zu den von den Krankenkassen angebotenen Vergütungen gewährt wird, damit sie die entsprechenden Leistungen weiterhin anbieten. Im Kern handelt es sich hier um einen Ausgleichsfonds, über den die Finanzierung der Sicherstellungslast gewährleistet wird. Problematisch ist jedoch, dass dies lediglich eine Finanzierungsmöglichkeit der Sicherstellungslast darstellt, aber die Maßnahmen, mit denen die Länder auf die Vorhaltung der entsprechenden Kapazitäten für die Notfallversorgung Einfluss nehmen will, weitestgehend offen bleiben. Zudem wird strittig werden, wie eine entsprechende Vergütungshöhe und der Anteil, der über den Sicherstellungszuschlag und der Anteil, der von den Krankenkassen zu tragen ist, ermittelt wird. Des Weiteren handelt es sich de facto um eine externe staatliche Subvention, die auf Preisbildung und Allokation über den Markt Einfluss nimmt. Auf der Basis des zu Grunde liegenden Leitbildes eines liberalen und wettbewerblichen Gesundheitssystems ist dies abzulehnen.19 In einem derartigen System lassen sich für die Krankenhausplanung in Zuständigkeit der Länder zwei wesentliche Funktionen identifizieren: Zum Einen besteht der Großteil des Planungsprozesses aus der Überwachung und Kontrolle der Einhaltung der definierten Zielgrößen. Den Ländern obliegt das Monitoring der stationären Versorgungsstrukturen bzgl. des Zugangs, der Kapazität sowie ggf. der Qualität der erbrachten Leistungen. Hierzu ist die Nutzung der Informationen der DRG-Daten nach § 21 KHEntgG unerlässlich.20 Zum Anderen obliegt es dem Land, wenn eine Unterversorgung festgestellt wird, dann und nur dann im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens die flächendeckende, bedarfsgerechte Versorgung für einen befristeten Zeitraum sicherzustellen.

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Vgl. Zerth (2005), S. 91f. Vgl. Mahlzahn/ Wehner/ Fahlenbrach (2011), S. 64f., Platzköster et al (2009), S. 428; Die Diskussion inwiefern einer Krankenhausplanung auf DRG-Basis als Eingriff in das Grundrecht der Krankenhäuser auf eine freie Berufsausübung (Art. 12 GG) gewertet werden könnte, wird an dieser Stelle nicht weiter vertieft.

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4. Ausgewählte Leistungsgebiete Häufig werden die Möglichkeiten und Grenzen der Zuordnung von Krankenhausleistungen zu den Kategorien „Notfall“ bzw. „Nicht-Notfall“ diskutiert, wobei eine konkrete Analyse der Ist-Situation in die emotionsgeladene Diskussion bisher wenig Eingang findet. Im Folgenden soll daher exemplarisch zur Veranschaulichung und Versachlichung die Analyse zweier Krankenhausleistungsbereiche erfolgen. Als eine klassische Leistung der Grund- und Regelversorgung wurde die Unterbindung und Stripping von Venen („Varizenchirurgie“) gewählt. Üblicherweise wird diese Operation mit den DRGs F39A und F39B abgerechnet.21 Insgesamt wurden diese DRGs in Deutschland bei 84.678 Fällen im Jahr 2009 erbracht, was 0,66% aller DRG-Fälle entspricht. In Bayern sind 0,66% aller DRG-Fälle des Jahres 2009 (16.929 Fälle) diesem Leistungsspektrum zuzuordnen.22 Eine Analyse auf Basis der §21-Daten ausgewählter Krankenhäuser zeigt, dass diese medizinische Leistung zwischen 0,07% und 0,17% des Budgetvolumens einnimmt, wobei erwähnt werden muss, dass es sich hier um Krankenhäuser der Grund-, Schwerpunkt- sowie der Maximalversorgung handelt und der Anteil derartiger Patienten bei Krankenhäusern, die sich auf dieses Leistungsgebiet spezialisiert haben, deutlich darüber liegen kann. In den analysierten Krankenhäusern betrug der Anteil der „Nicht-Notfälle“ zwischen 83,3% und 100%, so dass auch vor dem Hintergrund der hohen Planbarkeit derartiger Eingriffe eine Zuordnung zu dem oben skizierten „Nicht-Notfall-Bereich“ möglich ist.23 Um die derzeitige Versorgungssituation abzuschätzen, wurde im Rahmen einer InternetRecherche ermittelt, welche Krankenhäuser in Bayern diese Leistung derzeit anbieten. Auf der Basis des „Verzeichnis der Krankenhäuser und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen in Deutschland 2009“24 wurden alle in Frage kommenden Krankenhäuser in Bayern ermittelt und anschließend mittels Analyse der Qualitätsberichte und unter Verwendung von Internetportalen, wie www.weisseliste.de, die Krankenhäuser identifiziert, die diese Leistung erbringen. Die so ermittelten Krankenhäuser (203 Krankenhäuser) wurden in ein gängiges Straßenkarten- und Geocodingtool überführt. Zur Abschätzung der Ist-Situation des Versorgungsgrades wurde eine 20 Minuten Fahrtzeitenzone um jedes Krankenhaus gezogen. Im Ergebnis zeigte sich, dass fast die gesamte Bevölkerung in Bayern innerhalb von 20 Minuten ein Krankenhaus mit Varizenchirurgie erreichen kann, wobei naturgemäß Unterschiede zwischen ländlichen Regionen und Ballungsräumen zu verzeichnen sind. Trotz der vergleichsweise geringen Dringlichkeit bei derartigen Eingriffen kann eine Vollversorgung angenommen werden.

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Vgl. InEK (2010). Vgl. Statistisches Bundesamt (2010). 23 Quelle: Eigene Analyse §21-Datensätze. 24 Statistisches Bundesamt (2011b). 22

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Abbildung 1:

Versorgungssituation Varizenchirurgie in Bayern 2009

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von MS MapPoint Die Überführung einer derartigen Leistung in einen Vertragswettbewerb würde eine wettbewerbliche Strukturbereinigung ermöglichen, da diese Operationen im Katalog ambulantes Operieren nach §115b SGB V enthalten sind und in Deutschland nach wie vor vergleichsweise häufig ambulant erbracht werden.25 Seitens der Kostenträger bestünde mittels selektiven Kontrahierens die Möglichkeit, durch entsprechende Vertragsmodelle Einsparpotenziale im Hinblick auf die Kostenausgaben zu heben, während ausgewählte Krankenhäuser eine weitere Profilbildung ihres Leistungsangebots im Wettbewerb vornehmen könnten. Nach Freigabe dieser Leistung für das selektive Kontrahieren, bestünde im Rahmen der Versorgungsforschung die Möglichkeit, die Versorgungssituation nach einem definierten Zeitraum (zwei bis fünf Jahre) erneut zu erheben, um so die Auswirkungen eines Vertragswettbewerbes auf die medizinische Versorgung sowie die Erlös- und Kostensituation zu evaluieren und zu einer weiteren Versachlichung der Diskussion beizutragen.

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Vgl. z. B. Oberender/ Götz (2011), S. 59.

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Als beispielhafte medizinische Leistung für eine dem Bereich „Notfällen“ zuzuordnende Leistung wurde die Herzchirurgie gewählt. Zwar ist mit einem Anteil von 11,6% Notfalloperationen im Jahr 200926, das Kriterium der hohen Dringlichkeit offensichtlich nicht erfüllt, dennoch kann auf Grund der hohen Spezialisierung sowie des hohen Anteils an Sterbefällen bei ischämischer Herzkrankheiten, Klappenkrankheiten, Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienzen und angeborener Fehlbildungen eine normative Zuordnung zu dieser Kategorie vorgenommen werden. Im Jahr 2008 entfielen insgesamt 26,1% aller in Deutschland erfassten Todesursachen auf o.g. Krankheitsbilder.27 Derzeit liegt hier der Eigenversorgungsgrad in Bayern, d.h. alle an bayerischen Einwohnern durchgeführte Herzoperationen in Bayern im Verhältnis zu allen an bayerischen Einwohnern durchgeführten Herzoperationen, bei 94%28, was auch durch nachstehende Abbildung einer 60-Minuten-Fahrtzeitenzone um jedes Herzchirurgische Zentrum illustriert werden kann. Abbildung 2:

Versorgungssituation Herzchirurgie in Bayern 2009

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von MS MapPoint 26

Vgl. Bruckenberger (2010), S. 84. Vgl. Bruckenberger (2009), S. 21. 28 Vgl. Bruckenberger (2009), S. 85. 27

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Für die Herzchirurgie liegt auf Grund des jährlich erscheinenden Herzberichts, herausgegeben von Bruckenberger, eine umfassende Versorgungsanalyse mit einer Vielzahl von Leistungskennzahlen, Morbiditätsziffern uvm. vor, die verwendet werden könnten, um die Auswirkungen der Anwendung der oben vorgestellten Neugestaltung der Krankenhausplanung systematisch zu erfassen. 5. Fazit und Ausblick Mit der Einführung von Wettbewerb als Steuerungsinstrument im deutschen Krankenhausmarkt muss das System der Krankenhausplanung neu überdacht und den Anforderungen eines liberalen und wettbewerblichen Gesundheitssystems angepasst werden. Die Krankenhausplanung muss weg von einer zentralen Angebotsplanung hin zu einer Monitoring- und Überwachsungsfunktion transformiert werden. Den Ländern obliegt es, die Allokation über den Wettbewerb zu überwachen und nur in definierten Ausnahmefällen mit möglichst marktkonformen Instrumenten einzugreifen. Ein derartiges System impliziert jedoch auch einen Anpassungsbedarf und die Einführung von mehr wettbewerblichen Elementen auf den anderen Interaktionsebenen im Gesundheitswesen. Neben der Abschaffung der dualistischen Finanzierung ist auch die Einführung krankenkassenindividueller Beitragssätze zu nennen. Nur wenn den Krankenkassen das Recht eingeräumt wird, den Beitragssatz eigenständig und z. B. auch in Abhängigkeit vom Wohnort des Patienten zu erheben, kann ein derartiges System etabliert werden. Um die Patienten als Nachfrager weiter zu befähigen, muss eine weitergehende Preistransparenz, aber auch eine Preissensibilisierung durch Kostenerstattungstarife oder Selbstbehalttarife hergestellt werden. Die Frage der Sicherstellung unter Wettbewerb wird langfristig nicht an den Sektorengrenzen enden können. Bereits heute ist durch die Möglichkeiten der Krankenhäuser Leistungen ambulant zu erbringen (z. B. ambulante Operationen nach § 115b SGB V, hochspezialisierte Leistungen nach § 116b SGB V, vor- und nachstationäre Leistungen nach § 115 a SGBV) eine Verzahnung mit dem ambulanten Versorgungsbereich vorhanden, die mittel- bis langfristig eine nach Sektoren getrennte Diskussion und Festlegung der Sicherstellung der medizinischen Mindestversorgung der Bevölkerung obsolet machen wird.

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Literaturverzeichnis

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