Krankenhaus und Wettbewerb

Politik 6/2006 Krankenhaus und Wettbewerb GDK, Messe Düsseldorf und Medica in Berlin D ie Zukunft der Krankenhäuser liegt nach Aussage wesen. Das ...
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Politik

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Krankenhaus und Wettbewerb GDK, Messe Düsseldorf und Medica in Berlin

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ie Zukunft der Krankenhäuser liegt nach Aussage wesen. Das medizinisch Mögliche und Sinnvolle wachse von Prof. Dr. Hans-Fred Weiser in der Schaffung infolge neuen medizinischen Wissens und erweiterter menachfrage- und problemorientierter medizinischer dizinisch-technischer Verfahren (zum Beispiel Nano- und und organisatorischer Zentren, in deren Mittelpunkt auch Gentechnik) rasanter als die finanziellen Ressourcen. Zwiin Zeiten knapper Ressourcen der Patient mit seinen indi- schen Behandlungsmöglichkeit und -notwendigkeit schieviduellen Problemen steht. Die historische, methodenge- be sich der Zwang zur Rationalisierung und Rationierung. prägte Krankenhausstruktur als starres Angebot habe langfristig ausgedient. Bei fortwährender Optimierung des Als Praktiker der Krankenhauswirtschaft skizzierte der Vimedizinischen Wissens und einem permanenten Wandel zepräsident der Medizinischen Hochschule Hannover der sozialpolitischen Rahmenbedingungen werden sich (MHH), Dr. Andreas Tecklenburg, einen konkreten Weg, wie seiner Auffassung nach nicht nur die Teilbereiche der Me- sich ein Krankenhaus der Supra- und Maximalmedizin dizin, sondern das gesamte durch eine gezielte SpezialiGesundheitswesen schnelsierung sowie eine konse„Es wird umso mehr Behandlungsbedürftige geben, je besser ler denn je auf einem höhequente Kunden- und Prodie Medizin mit wirksamen Verfahren den Tod hinausschieben ren Spezialisierungs- und duktorientierung in dem aufkann. Diese medizinische Dynamik wird sich unabhängig vom Organisationsniveau weitergezeigten Spannungsfeld Wirtschaftsgeschehen entwickeln und muss unter den Geentwickeln. In diesem Diffepositionieren könne. Die sichtspunkten der medizinischen Sinnhaftigkeit und der ökorenzierungsprozess würden Festlegung von vier Schwernomischen Möglichkeiten künftiger Generationen eine Dissich zwangsläufig „moderne punkten in der Forschung kussion auslösen, an deren Ende ein neues, zumindest aber und leistungsfähige Struktuund die Ausrichtung der modifiziertes gesundheits- und sozialpolitisches Verständnis ren durch HorizontalvernetLeistungserbringung „in der stehen wird. … Die Politik muss sich ihrer Verantwortung für zung interessenskongruenTiefe statt in der Breite“ ereine behutsame und durchdachte Weiterentwicklung unseres ter Partner entwickeln“. Inschließe der MHH den naGesundheitswesens, das sich nur im sozial ausgerichteten folge wachsender Ressourtionalen und internationalen Wettbewerb entfalten und optimal weiterentwickeln kann, cenknappheit rechnet der Markt bei gleichzeitig starbewusst sein.“ amtierende Vorsitzende der ker Position im regionalen Prof. Dr. Hans-Fred Weiser Gesellschaft Deutscher Umfeld. Innovationen soKrankenhaustag allerdings wohl in medizinischen Verin den nächsten Jahren sowohl im ambulanten wie auch fahren als auch in neuen Versorgungsformen sowie in der im stationären Sektor „mit ethischen Entscheidungskon- Zusammenarbeit mit vor- und nachgelagerten Bereichen flikten“. Der medizinische Fortschritt und die demographi- garantierten den Patienten eine „Rund-um-Versorgung“ sche Entwicklung „werden zwangsläufig zu einer Leis- und bildeten die Basis für ein umfassendes Leistungsantungs- und Ausgabendynamik führen, die mit der Mobili- gebot, das dem der TUI in der Tourismusbranche ähnlich sierung verborgener Wirtschaftlichkeitsreserven, so über- werde und den Patienten viele Sorgen abnehmen könne. haupt noch vorhanden, nicht mehr aufgefangen werden kann“, so Weiser in seiner Eröffnungsansprache zum 2. In weiteren Vorträgen der Forumsveranstaltung im Atrium Berliner Frühjahrsforum der GDK am 10. Mai 2006, das die des Gebäudes der Deutschen Bank unweit „Unter den LinVeranstalter unter das Motto „Krankenhaus und Wettbe- den“ in Berlin standen einerseits wettbewerbshemmende, werb“ gestellt hatten. Dem 2. Berliner GDK-Frühjahrsforum andererseits leistungsnotwendige Aspekte der Krankenhauswirtschaft im Zentrum. Bankdirektor Norbert Mörs soll im kommenden Jahr ein 3. Auftritt folgen. (West LB AG, Düsseldorf) zeigte den Weg zur Überwindung Die Begriffe Wettbewerb und Planung spiegeln laut Prof. von Investitionshemmnissen durch PPP-Modelle auf. Ralf Weiser im Gesundheitswesen die „Kernelemente ord- Klaßmann (BDO Deutsche Warentreuhand AG, Köln) thenungspolitischer Gegenpole“ wider. Wettbewerb als Kern- matisierte das zurzeit virulente Thema der teilweise restrikelement der Marktwirtschaft solle auch im Krankenhaus- tiven steuerrechtlichen Bewertung innovativer Geschäftswesen sozial ausgerichtet, aber ebenso ein rational selek- ideen im Gesundheits- und Krankenhauswesen. Sein Fatierendes Expansionsinstrument und kein Verknappungs- zit war, dass die steuerrechtlichen Spielregeln nicht mehr mittel sein. Durch Wettbewerb unter den Leistungsanbie- zu den politisch gewollten Veränderungen in der Wirklichtern erzielbare betriebswirtschaftliche Kostensenkungen keit sozialer Dienstleistungen passen. müssten nicht zwangsläufig zu einer Einschränkung der Versorgung und auch gesamtwirtschaftlich nicht zu einer Die Nachmittagsvorträge von Wolfgang Kurth (Beratungsgesellschaft Advolar), Prof. Dr. Martin L. Hansis (Rhön-KliAusgabenreduzierung für die Krankenkassen führen. nikum AG) und Manfred Klocke (Ecclesia VersicherungsIm Rahmen der Forumsveranstaltung plädierte Prof. Dr. Dr. dienst) waren ganz der Fehlervermeidung in der KrankenPeter Oberender für eine weitergehende Öffnung eines al- hauspraxis gewidmet. Wolfgang Kurth zeigte an seinem lerdings staatlich regulierten Wettbewerbs im Gesundheits- Spezialgebiet, der Luftfahrt, eindrucksvoll auf, dass Risi475

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Politik Text: Peter Ossen, Fotos: Klaus Mihatsch

Prof. Dr. Hans-Fred Weiser (Foto Mitte), Chefarzt und Ärztlicher Direktor aus Rotenburg (Wümme), leitete als derzeitiger Vorsitzender der Gesellschaft Deutscher Krankenhaustag und Präsident des diesjährigen Krankenhaustages im November in Düsseldorf das gemeinsame Frühjahrsforum von GDK, Messe Düsseldorf und Medica am 10. Mai 2006 in Berlin.

komanagement ein elementares Instrument der Zukunftssicherung eines Unternehmens, ja einer ganzen Branche, darstellt. Bei weltweit ca. 16 000 Flugzeugen und ca. 150 000 Mitarbeitern allein im fliegenden Personal müsse sich die „Sicherheitskultur“ bereits im Führungsverhalten beweisen. Risikomanagement sei in der Luftfahrt absolutes „Topmanagement“. Notwendig seien unter anderem möglichst klare Vorgaben für Qualitätsziele und Verantwortlichkeiten sowie eine dezentrale Organisation. Laut Prof. Hansis besteht in der Krankenhauspraxis noch einiger Nachholbedarf an „geschlossenen Qualitätszyklen“. Der Zwang zur Transparenz – auch hinsichtlich der Fehlerquoten – könne in dieser Hinsicht für Besserung sorgen. Klocke plädierte für ein strategisches Risikomanagement und eine konsequente Auswertung von schadenbasierten Ereignissen, um den konkreten Handlungsbedarf für präventive Maßnahmen im Klinikalltag identifizieren zu können.

Lockerung der Sektorengrenzen noch unzureichend DKG-Präsident Dr. Rudolf Kösters hat die im Vertragsarztrechtsänderungsgesetz vorgesehene Regelung zur Tätigkeit eines Vertragsarztes sowohl in freier Praxis als auch in Kliniken und Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) als halbherzig kritisiert. Zwar solle der Vertragsarzt seine ambulante Praxistätigkeit auf die Hälfte reduzieren und auf Nebentätigkeitsbasis im Krankenhaus arbeiten können. Unverständlich sei jedoch, dass die Nebentätigkeit auf maximal 13 Stunden pro Woche begrenzt werde. Kösters: „Es sollte dringend klargestellt werden, dass eine unbegrenzte Nebentätigkeit für den Vertragsarzt möglich ist.“ Andernfalls bestehe die Gefahr, dass aufgrund von Ausle476

gungsschwierigkeiten der richtige Ansatz sektorenübergreifender Kooperationen ins Leere laufe. Gleichzeitig begrüßte der DKG-Präsident, dass der Vertragsarzt nunmehr parallel in Krankenhäusern und Medizinischen Versorgungszentren beschäftigt sein kann. Bedauerlich sei, dass für die Gründung von MVZ weiterhin Hürden – etwa der Nachweis einer fachübergreifenden Leistungserbringung – bestehen. Kösters machte deutlich, dass die DKG im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens Nachbesserungen erwarte. Zwar sei die Lockerung der Sektorengrenzen im Entwurf angedacht und damit als eine konsequente Weiterverfolgung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) zu werten. Zudem stärke der Gesetzentwurf die Kooperationsmöglichkeiten zwischen Kliniken und Vertragsärzten. Die konkrete Umsetzung bewege sich allerdings nach wie vor in starren Sektorengrenzen. Kösters betonte, die Bundesregierung nehme richtigerweise eine klare zeitliche Begrenzung der Anschubfinanzierung für die Integrierte Versorgung vor. Es sei jedoch nachdrücklich zu fordern, die Finanzierung zur Integrierten Versorgung auf eine neue Grundlage zu stellen. Die Aufbringung der Mittel über eine von den Kliniken und Vertragsärzten zu tragende Umlage führe zur Unterfinanzierung des Systems und sei kein zukunftsfähiger Weg. Es müsse eine Finanzierungsquelle geschaffen werden, die sich nicht aus Vergütungen für bereits erbrachte Leistungen speise. Unter diesen Voraussetzungen bezeichnete Kösters die vorgesehene eng befristete Verlängerung der Anschubfinanzierung um ein Jahr als vertretbare Übergangslösung.

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DKG zum Tarifabschluss der TdL mit ver.di in Potsdam Tarifvertrag wird Einschnitte im Krankenhaus fortsetzen DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum erklärte vor dem Hintergrund des Tarifabschlusses der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di: „Der Tarifkompromiss stellt für die Kliniken eine nahezu unüberwindbare Finanzierungshürde dar. Bereits der Abschluss für die nichtärztlichen Mitarbeiter bringt die Krankenhäuser in Finanznöte. Gänzlich unbezahlbar sind die Regelungen für die Ärztinnen und Ärzte, nach denen etwa ein Studienabgänger im ersten Berufsjahr 16 Prozent mehr Gehalt erhalten soll. Dies wird ohne scharfe Einschnitte für die Kliniken nicht zu verkraften sein. Mit den Lohnerhöhungen schieben die Krankenhäuser für Jahre einen Kostenblock in 3-stelliger Millionenhöhe vor sich her, der zu weiterer Arbeitsverdichtung und letztlich auch zu Personalabbau zwingt.“ Geradezu unverantwortlich sei es, dass dem Marburger Bund das für die Kliniken ohnehin schwierige Tarifergebnis noch nicht ausreiche und zur Durchsetzung höherer For-

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derungen die Streiks fortgeführt würden, Patienten auf dringende Operationen warten müssten und die Kliniken weiter geschädigt werden sollen. Für die Streiks gebe es keine Grundlage mehr. Die abfälligen Bewertungen der MB-Funktionäre zu den Vereinbarungen für die nichtärztlichen Beschäftigten zeugen nach Baums Aussage von wenig Sensibilität für deren Leistungen und die Finanzierungsprobleme des Gesundheitswesens. Mit seiner provokativ zur Schau gestellten Begünstigungsstrategie leiste der Marburger Bund einer zunehmenden Isolierung der ärztlichen Mitarbeiter gegenüber anderen akademischen Leistungsträgern im Krankenhaus Vorschub.

Ärzte intensivieren Streiks an allen Universitätskliniken und Landeskrankenhäusern Als Reaktion auf die Ankündigung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, mit dem Marburger Bund keine Tarifverhandlungen mehr führen zu wollen, haben die Ärztegewerkschaft sowie die Mediziner der Universitätskliniken und psychiatrischen Landeskrankenhäuser eine deutliche Ausweitung der Streiks beschlossen. Ab dem 29. Mai legten die

Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di haben sich am 19. Mai 2006 auf einen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) geeinigt. Der Tarifvertrag gilt für alle Beschäftigten der Länder, mit Ausnahme Berlins und Hessens, die aus der TdL ausgetreten sind. Der TV-L gilt auch für alle Ärzte an Universitätsklinika. Die Eckpunkte des Vertrags können auf der DKG-Webseite www.dkgev.de eingesehen werden.

• Wöchentliche Arbeitszeit 38,5 Stunden (West) bzw. 40 Stunden (Ost)

Der TV-L orientiert sich hinsichtlich der Eingruppierung und der Entgelttabelle am TVöD, der bereits für Kommunen und Bund gilt. Für die Beschäftigten an Universitätsklinika und Landeskrankenhäusern gelten gesonderte Regelungen zu Arbeitszeit und Vergütung.

Für Ärzte an Universitätsklinika wurde ebenfalls eine separate Regelung mit ver.di getroffen, die sich weitgehend am letzten Angebot der TdL an den Marburger Bund orientierte. Der gesonderte Teil für Ärzte enthält folgende Eckpunkte:

Allgemeine Bestimmungen

• Regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 42 Stunden

• Übernahme der Entgelttabelle TVöD (Bund)

• Reduzierung der Anzahl der Bereitschaftsdienststufen von 4 auf 2

• Bemessungssatz Ost 92,5 Prozent (bis 31. Dezember 2007 bzw. 31. Dezember 2009 für höhere Entgeltgruppen) • Die Jahressonderzahlung beträgt nach Entgeltgruppen gestaffelt 35 bis 95 Prozent (West) bzw. 30 bis 71,5 Prozent (Ost) • Einführung eines Leistungsentgelts zusätzlich zum Tabellenentgelt (ab 2007: 1 Prozent) • Einmalzahlungen für 2006 und 2007 • Lineare Gehaltssteigerung um 2,9 Prozent zum 1. Januar 2008 (West) bzw. 1. Mai 2008 (Ost) • Festlegung der wöchentlichen Arbeitszeit in jedem Bundesland nach einer bestimmten Formel (Durchschnitt aller Länder: 39,22 Stunden); im Tarifgebiet Ost einheitlich 40 Stunden Nichtärztliche Beschäftigte in Universitätsklinika • Umsetzung der Kr-Tabelle für den Pflegebereich (Anlage 1b BAT/BAT-O) wird noch in Arbeitsgruppe ausgehandelt

• Regelungen zum Bereitschaftsdienst analog zum TVöD mit Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf bis 24 Stunden und der wöchentlichen Arbeitszeit im Opt-out auf bis zu 54 (Stufen C+D) bzw. 58 Stunden (Stufen A+B) Ärzte

• Eigenständige Entgeltordnung und -tabelle auf Grundlage des letzten TdL-Angebots an den Marburger Bund

• Bereitschaftsdienstregelung mit Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf bis zu 24 Stunden und der wöchentlichen Arbeitszeit im Opt-out auf bis zu 66 Stunden • Weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen Des Weiteren wurde – analog zum TV-ZUSI bei den kommunalen Krankenhäusern – auch für die Universitätsklinika die Möglichkeit eines Zukunftssicherungs-Tarifvertrages eingeräumt. Aufgrund einer solchen Vereinbarung kann ein Beitrag der Beschäftigten in Höhe von bis zu 10 Prozent des Jahresbruttoeinkommens vereinbart werden. Dies soll für alle Beschäftigten gelten, auch für Ärzte. Der TV-L tritt zum 1. November 2006 in Kraft und hat eine Mindestlaufzeit bis 31. Dezember 2009. Die Regelung zur Arbeitszeit kann auf landesbezirklicher Ebene frühestens zum 31. Dezember 2007 gekündigt werden.

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Ärzte bundesweit an allen der TdL zugehörigen Kliniken wochenweise ihre Arbeit nieder. Der MB spricht von einer „intelligenten und patientenfreundlichen“ Streikform, da nach einer Woche Arbeitskampf stets eine Woche der Patientenversorgung folgen soll, um verschobene Operationen nachzuholen. Die Planung dieses alternierenden Systems reiche bis weit in die Fußball-Weltmeisterschaft und sei „die klare und unmissverständliche Antwort aller Mediziner auf das ignorante und abfällige Verhalten der Arbeitgeber“, so Dr. Frank Ulrich Montgomery. Das Vorhaben der TdL, den mit ver.di abgeschlossenen Tarifvertrag auch auf die 22 000 Universitätsärzte anwenden zu wollen, habe in den Kliniken eine Welle „beispielloser Empörung“ ausgelöst. Der MB will mit „konsequenter Arbeitsniederlegung und gezielter Steigerung der Erlösdefizite“ auf die Haltung der TdL reagieren. Der zwischen TdL und ver.di vereinbarte Tarifvertrag sei akademikerfeindlich, da Ärzte mit Einkommenseinbußen bis zu 8,5 Prozent rechnen und als einzige Berufsgruppe auf Gehaltssteigerungen bis Ende 2008 sowie auf Einmalzahlungen verzichten müssten. Auch sei für Mediziner ein in das Monatsgehalt eingerechnetes Weihnachtsgeld in Höhe von lediglich 30 Prozent vorgesehen, während andere Berufsgruppen bis zu 95 Prozent erhielten. Zudem sei der Wegfall des 25-prozentigen Zuschlages für Bereitschaftsdienste an Feiertagen und die Streichung des Besitzstandes, der die Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall regelt, nicht akzeptabel. Dagegen rechnete der Verband der Universitätsklinika vor, dass die Ärzteeinkommen auf der Basis der Vereinbarungen von TdL und ver.di an der Spitze der Einkommensskala liegen. Mehr könnten die Universitätsklinika finanziell nicht verkraften. Ansonsten drohten neue Zerreißproben mit den übrigen Wissenschaftlern und Professoren an den Universitäten. Die Ärzte verdienten aufgrund der Vereinbarung TdL-ver.di deutlich mehr als früher und erheblich mehr als andere Wissenschaftler. Selbst Oberärzte würden im Grundgehalt höhere Bezüge aufweisen als ordentliche W3-Professoren. Dabei seien weitere Einkommenskomponenten der Ärzte noch nicht enthalten. Bezahlte Überstunden und Bereitschaftsdienste, die über die Regelarbeitszeit hinausgingen, sowie Poolbeteiligungen an den Liquidationserlösen aus der Privatbehandlung von Chefärzten müssten noch hinzu gerechnet werden. Solche Extra-Zahlungen seien bei wissenschaftlichen Mitarbeitern aus dem nichtärztlichen Bereich absolut unüblich. Der VUD stellte in einer Vergleichsrechnung auf der Basis einer einheitlichen Wochenar-

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Fotos: Mihatsch

beitszeit von 38,5 Stunden fest, dass die Jahreseinkommen der Ärzte nach der Einigung TdL-ver.di zwischen 39,6 Tausend € (für Assistenzärzte im 1. Berufsjahr), 52,3 Tausend € (Facharzt im 6. Berufsjahr) und 65,5 Tausend € (Oberarzt im 13. Berufsjahr) liege. Dagegen betrage das Jahreseinkommen eines Wissenschaftlers im 1. Berufsjahr 35,7 Tausend €, im 6. Berufsjahr 45,9 Tausend € und im 13. Berufsjahr 51,7 Tausend €. Der Marburger Bund betonte, dass sein Ziel, mit einem arztspezifischen Tarifvertrag die Arbeitsbedingungen und die Einkommenssituation zu verbessern, nicht zu Lasten anderer Berufsgruppen gehen solle. „Zweifellos haben auch Schwestern und Pfleger bessere Arbeitsbedingungen verdient“, so Montgomery. Es liege aber an deren gewerkschaftlicher Interessenvertretung, solche Ziele zu formulieren und auch durchzusetzen. Montgomery forderte den TdL-Vorsitzenden Möllring abermals auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, um einen eigenständigen Arzt-Tarifvertrag zu vereinbaren. Trotz der aktuellen Konflikteskalation bestehe eine realistische Chance, die Tarifauseinandersetzung rasch zu beenden. Der Marburger Bund habe mit dem Abschluss für die Charité-Ärzte Ende April und mit der Einigung in Hamburg bewiesen, arztspezifische Tarifverträge abschließen zu können, die für beide Tarifpartner akzeptabel seien.

VUD: „Montgomery und Möllring auswechseln“ Der Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) forderte Ende Mai 2006 die „sofortige Auswechselung von Montgomery und Möllring als Verhandlungsführer“, nachdem Dr. Montgomery für den Marburger Bund eine weitere drastische Ausweitung der Ärztestreiks angekündigt hatte und der Verhandlungsführer der TdL nach Darstellung der FAZ eigene Verhandlungen mit dem Marburger Bund weiterhin ausgeschlossen habe. Beiden Verhandlungsführern fehle „jedes Zeitgefühl für eine Beendigung des sich seit Wochen hinziehenden Arbeitskampfes“, so VUD-Vorsitzender Rüdiger Strehl. „Sie taktieren auf dem Rücken von schwerstkranken Patienten und nichtärztlichen Mitarbeitern. Dabei gefährden beide die wirtschaftliche Existenz von Großbetrieben, die oftmals in ihrer Region die größten Arbeitgeber sind“. Es sei zu vermuten, dass es bei der Tarifauseinandersetzung inzwischen kaum noch um die

Politik Sache gehe, sondern um die Profilierung und Eigenständigkeit des Marburger Bundes einerseits und den Überlebenskampf der Tarifgemeinschaft der Länder andererseits, deren Existenzberechtigung nach dem Tarifabschluss von Potsdam mit vielfältigen Sonderregelungen pro Bundesland zunehmend diskutiert werde. „Noch höhere Vergütungen sind wirtschaftlich nicht darstellbar“, so Strehl. Zudem wachse das Unverständnis bei vielen Universitätsklinika aus den Bundesländern, die der TdL unterworfen seien (insbesondere NRW, Bayern, Baden-Württemberg u.a.), über die willkürliche Platzierung der Streiks unter der Führung von Dr. Montgomery. Obwohl in anderen Ländern die Kürzungen der vergangenen Jahre drastischer ausfielen, werde dort der Arbeitskampf nicht über Streiks geführt. Als Beispiel nannte Strehl das Land Hessen, das aus der TdL ausgetreten sei. Die Teileinigungen von Berlin und Hamburg, deren Universitätsklinika als eigene Arbeitgeber ohne die TdL verhandeln, entsprächen bei weitem nicht den Forderungen des Marburger Bundes, würden aber als Teileinigungen akzeptiert und bewirkten die Aussetzung der Streiks. Der wirtschaftliche Schaden der Universitätsklinika belaufe sich inzwischen auf mehr als 100 Mio. €.

■ VUD vergleicht Standorte und nennt Erlösausfälle Der VUD legte am 18. Mai in Berlin die Ergebnisse einer „Blitzumfrage“ an allen Klinikstandorten vor. Eine beim VUD erhältliche Tabelle gibt Auskunft über die bisherigen Tarifbedingungen in den Ländern und zeigt die verschiedenen Ausgangssituationen der einzelnen Länder für Verhandlungen. Diese sind durch unterschiedliche Kürzungen in den vergangenen 2 Jahren entstanden. Der VUD schlüsselt in seiner Veröffentlichung die jeweiligen Verhandlungspartner im Tarifstreit für wissenschaftliches und nichtwissenschaftliches Personal auf. Der Verband forderte die Verhandlungspartner auf, die festgefahrenen Tarifgespräche auf der zwischenzeitlich in München und in Dresden erzielten Kompromissbasis weiterzuführen. Allerdings wurde auf nicht akzeptable Verwerfungen in den Vergütungen beamteter und angestellter Ärzte hingewiesen.

Bund, so das Klinikum der Universität München, LMU. Der Vorstand der LMU, Prof. Dr. Klaus Peter (Ärztlicher Direktor) und Günter Auburger (Verwaltungsdirektor) sieht die finanzielle Gesamtsituation der hochschulmedizinischen Einrichtungen laut einer Pressemitteilung vom 26. Mai 2006 als „nachhaltig geschwächt“ an. Ohne eine Finanzierungszusage für die tariflich zu erwartenden Mehrbelastungen werde die Entwicklung im Zusammenhang mit weiteren Belastungen (unter anderem Mehrwertsteuererhöhung, Erlösausfälle infolge des DRG-Systems, steigende Energiekosten) für zahlreiche Universitätsklinika in Deutschland zu „existenziellen Problemen“ führen. Bereits jetzt müssten schwächer gestellte Klinika ihre faktische Zahlungsunfähigkeit einräumen.

■ Verhandlungen VKA – Marburger Bund am 9. Juni Die nächste entscheidende Runde der Tarifverhandlungen findet am 9. Juni 2006 zwischen dem Marburger Bund und der Vereinigung der kommunalen Arbeitsgeberverbände (VKA) in Köln statt. Sollte es in diesen Verhandlungen zu keiner Einigung kommen, drohen auch in den kommunalen Krankenhäusern Streiks analog der Situation im Bereich der Universitätsklinika. Die bereits zitierte Vergleichsrechnung des VUD vom 30. Mai 2006 weist aus, dass die Ärzteeinkommen nach dem TVöD teilweise niedriger liegen als in dem zwischen TdL und ver.di abgeschlossenen Vertrag, insbesondere nach dem 6. und 13. Berufsjahr. Dies gilt auch für den Vergleich mit dem alten BAT. Allerdings müssen in dieser Frage die leistungsbezogenen Vergütungskomponenten des TvÖD mit in die Betrachtung einbezogen werden, die sich bei wachsender Zahl der Berufsjahre speziell in der Gruppe der Ärzte als entscheidende Leistungsträger in der Bezahlung deutlich auswirken werden.

Aufstand der Ärzte gegen Budgetierung und Gängelung Sechs freie ärztliche Verbände haben in Berlin die „Allianz deutscher Ärzteverbände“ gegründet. Zum ersten Sprecher des auf der Rechtsform der Arbeitsgemeinschaft agierenden Zusammenschlusses wurde der Vorsitzende des NAV-Virchow-Bundes, Dr. Maximilian Zollner, gewählt. Die

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Auch einzelne Universitätsklinika richteten sich mit Appellen zum Weiterverhandeln an die TdL und an den Marburger

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Sprecherfunktion wechselt halbjährlich zwischen den Verbandsvertretern. Zu den Gründungsmitgliedern zählen unter anderem der Internistenverband (BDI), die Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände (GFB) und der Hartmannbund. Weitere fachübergreifende Verbände können Mitglied werden. Der Marburger Bund, die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung sollen als „kooptierte, beratende Mitglieder ohne Stimmrecht“ aufgenommen werden können. Die Allianz betrachtet den Arztberuf als einen Freien Beruf, der der Gesundheit des Einzelnen und der gesamten Gesellschaft dient. Diese Freiheit der ärztlichen Berufsausübung setze Therapiefreiheit, eine vertrauensvolle Patienten-ArztBeziehung sowie eine leistungsgerechte Vergütung voraus. Die gegenwärtigen Rahmenbedingungen schränken die notwendigen Freiheiten nach Überzeugung der Verbände in unerträglichem Maße ein: „Reglementierung, Bürokratisierung und Budgetierung prägen das ärztliche Umfeld; staatliche Rationierung bestimmt mehr und mehr die Patientenbehandlung. Die Ärztinnen und Ärzte sind nicht länger bereit, für diese Leistungseinschränkungen gegenüber den Patienten die Verantwortung zu übernehmen.“

Die Mittelknappheit der Krankenkassen stehe in völligem Gegensatz zu den Leistungsversprechen der Politiker. Diesen Widerspruch wollen die Ärzte nicht länger hinnehmen. Die Demonstrationen von Zehntausenden von Ärzten in den vergangenen Wochen seien als ein „Protest gegen Demotivation und Bevormundung“ zu verstehen. Die Ärzte setzten sich für den Erhalt einer wohnortnahen und flächendekkenden Versorgung aller Versorgungsbereiche in Deutschland und für eine „moderne Medizin für alle“ ein. Scheinbar unbeeindruckt von den massiven Demonstrationen führe die Politik ihren Kurs der Rationierung, Budgetierung und Bürokratisierung weiter fort. Die Ärzte-Allianz wolle gegenüber der Politik unmissverständlich einfordern, dass gesundheitspolitische Entscheidungen in Deutschland „nur noch mit den Ärztinnen und Ärzten gemeinsam getroffen werden können“. Die Allianz garantiere ein gemeinsames und geschlossenes Auftreten. Anlässlich der Gründung der „Allianz Deutscher Ärzteverbände“ hat der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Köhler, in Berlin erklärt: „Wir sehen die Gründung der Allianz Deutscher Ärzteverbände mit Interesse. Wir hoffen, dass uns der neue Verband bei der Interessenvertretung der niedergelassenen Ärzte unterstützen wird.“ Vor der KBV-Vertreterversammlung am 22. Mai in Magdeburg sagte Köhler: „Völlig unabhängig davon, in welchem arbeitsrechtlichen Verhältnis Ärzte arbeiten: Sie sind Angehörige eines freien Berufes und den Grundsätzen des freien Berufes verpflichtet, nämlich persönlicher Leistungserbringung, Eigenverantwortung und fachlicher Unabhängigkeit. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich künftig wohl immer mehr Niedergelassene dafür entscheiden werden, in größeren Organisationseinheiten wie Medizinischen Versorgungszentren tätig zu sein.“ ■

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Die Freiberuflichkeit des Arztberufes bedinge Vertrauen in die persönliche Leistungserbringung. Staat und Krankenkassen hingegen wollten die Patientenbehandlung von der Diagnose bis zur Therapie reglementieren, programmieren und kontrollieren. Die fortwährende Zerstörung des Arztberufes und das grundlegende Misstrauen in die Freiberuflichkeit seien „unerträglich geworden“. Die freien Ärzteverbände wollen deshalb „für eine echte Freiberuflichkeit“ kämpfen. Ärzte seien keine „staatlichen Mangelverwalter.“ Das Finanzdesaster im Gesundheitswesen ist nach Überzeugung der Ärztevertreter durch politische Fehlentscheidungen, eine Quersubventionierung anderer Sozialversicherungsbereiche zu Lasten der GKV, die Ausweitung der versicherungsfremden Leistungen sowie vor allen Dingen durch die erodierende Einnahmebasis der GKV verursacht worden. „Die Ärzte haben, ihrem beruflichen Selbstverständnis folgend, den Mangel bis heute auf eigene Kosten

subventioniert. Jetzt allerdings ist dieses Geschenk an den Sozialstaat nicht mehr leistbar. Die Allianz Deutscher Ärzteverbände fordert unverzüglich einen ehrlichen Kassensturz im Gesundheitswesen und eine Nachhaltigkeit in der Finanzierung.“

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