Januar 2012 April 2016

Barometer Konjunktur- und Zinsperspektiven

Volkswirtschaft und Research IKB Deutsche Industriebank AG Dr. Klaus Bauknecht Chefvolkswirt +49 211 8221 4118 [email protected] Dr. Carolin Vogt +49 211 8221 4492 [email protected] Oleksiy Artin, CFA [email protected] Ralf Heidrich [email protected] Margit Hogenkamp [email protected] Daniel Schönekäs [email protected] Eugenia Wiebe [email protected]

Konjunktur Deutschland: Moderate Belebung, aber vorerst keine Aussicht auf kräftiges Wachstum

2

Kapitalmärkte: Negative Zinsen sind nicht optimal ebenso wenig wie eine restriktive Fiskalpolitik

4

Brexit - Stichtag 23. Juni 2016: Implikationen für Europa, Ausblick für Euro und Pfund

6

Stärkeres BIP-Wachstum im ersten Quartal ist möglich • Anzeichen mehren sich, dass Weltkonjunktur sich festigt • Exporten und vor allem Investitionen in Deutschland fehlen Schwung • Binnenkonjunktur stützt • Weiterhin nur moderates BIP-Wachstum zu erwarten

EZB-Politik steht in der Kritik • Negative Zinsen mit möglichen unerwünschten Folgen für Sparer, Banken und Konjunktur • Doch passive Fiskalpolitik ist eher verantwortlich für niedrige Zinsen als Geldpolitik • Reformmüdigkeit der Staaten begrenzt Wachstumsaussichten

Brexit würde deutsche und europäische Konjunktur negativ beeinflussen • Nicht nur Handelsströme wären betroffen, ein grundlegender Vertrauensverlust könnte sich ergeben • Pfund verliert nicht unbedingt weiter an Wert gegenüber Euro, da Euro-Konjunktur auch unter Druck geraten würde im Fall des Brexit

Euro-Zone: Konjunkturausblick stabil, Geldpolitik der EZB dennoch richtig

9

Globale Konjunktursorgen lassen nach • Schwellenländer mit der Tendenz zur Stabilisierung • Hat die EZB überreagiert? Eher nicht • EZBEinfluss kann ohne fiskalische Unterstützung nur begrenzt bleiben • Aktivere Fiskal- und Reformpolitik ist gefordert

Wechselkurs: Ist der Euro überbewertet, oder ist der aktuelle Kurs fundamental gerechtfertigt?

12

Trotz ausgeweitetem Zinsdifferenzial als Folge der divergierenden Geldpolitik konnte der Euro ggb. US-Dollar aufholen • Fundamental ist EuroAufwertung nicht zu erklären • Daher ist von einer kurzfristigen Korrektur auszugehen • Mit Festigung der Euro-Konjunktur und einer zögerlichen Fed sollte der Euro wieder an Wert zulegen

IKB-Barometer

April 2016

Auftragseingang des Verarbeitenden Gewerbes in % zum Vorjahresmonat

40

IKB-Prognose 2016

Ausland

30

Reale Veränderung in %, kalenderbereinigt

20 10 0 -10

Inland

-20 -30 -40 1998

2000

2002

2004

2006

2008

2010

2012

2014

2016

BIP-Wachstum

1,4

Privater Verbrauch

1,6

Bauinvestitionen

2,2

Ausrüstungen

1,0

Exporte

2,2

Importe

3,6

Quelle: Statistisches Bundesamt (reale gleitende 3-Monats-Zuwachsraten in %)

Konjunktur Deutschland: Moderate Belebung, … Die deutsche Wirtschaft dürfte im ersten Quartal wieder relativ gut gewachsen sein; die Daten hierzu werden erst Mitte Mai vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht. Wir gehen davon aus, dass das Expansionstempo der Gesamtwirtschaft mit 0,3 % zum Vorquartal ähnlich gut war wie im Abschlussquartal 2015. Dabei könnte es sogar auch besser ausgefallen sein, da insbesondere die Industrie im Januar ihre Produktion überraschenderweise sehr kräftig ausgeweitet hat. Zwar sank die industrielle Erzeugung im Februar gegenüber dem Vormonat leicht um 0,5 %, dennoch ist der durchschnittliche Stand des vierten Quartals 2015 in den ersten beiden Monaten 2016 bereits um starke 2 % überschritten worden. Dies geht auf den außerordentlich kräftigen Zuwachs im Januar zurück, bei dem auch ferienbedingte Produktionseinschränkungen im Dezember 2015 eine Rolle gespielt haben. Vor diesem Hintergrund fiel die Gegenbewegung im Februar vergleichsweise moderat aus. Damit blieb die generelle Expansion der Industrie bestehen und fiel stärker aus als im vierten Quartal 2015. Ebenso konnte die Bauindustrie in den ersten zwei Monaten des Jahres stark zulegen. Der durchschnittliche Stand des vierten Quartals wurde um 4,7 % bereits deutlich überschritten. Hier dürfte die gute Wetterlage das Baugewerbe begünstigt haben. Im Gegensatz zu den Industriedaten ist die Entwicklung des Einzelhandels zwar moderater ausgefallen, aber auch hier war die Dynamik stärker als im Abschlussquartal 2015. Das Plus der Durchschnittswerte Januar/Februar gegenüber dem des vierten Quartals betrug 0,4 % im Vergleich zu 0,1 % in den Monaten September bis Dezember 2015. Ein Signal, dass auch der private Konsum im ersten Vierteljahr wieder ein bedeutender Wachstumstreiber war. Vom Außenhandel sind dagegen, wenn überhaupt, nur geringe Impulse zu erwarten. Für das zweite Quartal zeichnet sich bereits ein Tempoverlust ab. Dafür sprechen die verhaltenen Auftragseingänge in der Industrie. Diese sind im Februar gegenüber dem Vormonat mit 1,25 % kräftig zurückgegangen. Der Stand des Schlussquartals 2015 wurde damit im Durchschnitt der ersten beiden Monate des laufenden Jahres leicht unterschritten (-0,25 %). Als guter Vorlaufindikator für das Folgequartal deutet auch das ifo Geschäftsklima mit einem relativ schwachen Durchschnittswert für die ersten drei Monate des Jahres auf eine Verlangsamung der Wirtschaftsdynamik im zweiten Quartal hin. Darüber hinaus laufen die günstigen Witterungseinflüsse aus. Insgesamt ist also damit zu rechnen, dass die deutsche Wirtschaft im ersten Vierteljahr relativ dynamisch wachsen, im zweiten aber leicht nachlassen könnte. Der weitere Verlauf des Jahres stellt sich wieder günstiger dar, das Wachstum bleibt aber moderat. Der private Konsum dürfte mit Einkommenszuwächsen, dem soliden Arbeitsmarkt und der vermehrten Kaufkraft infolge geringer Inflation nach wie vor der Wachstumstreiber bleiben. 2

IKB-Barometer

April 2016

… aber vorerst keine Aussicht auf kräftiges Wachstum Deutschland: Aktuelle Konjunkturdaten Veränderung in %: Durchschnitt Januar/Februar zum 4. Quartal 15

-8,0 -6,0 -4,0 -2,0 0,0

2,0

4,0

6,0

Industrieproduktion Bauproduktion Einzelhandelsumsätze

Exporte Importe Auftragseingänge

Quellen: Statistisches Bundesamt; IKB

Deutschland: ifo Geschäftsklima 2010 = 100; kalender- und saisonbereinigt

130 120

Lage

110

Klima

Aber auch die Industrie, insbesondere die Exportwirtschaft könnten zumindest wieder leicht zulegen, denn inzwischen mehren sich die Anzeichen, dass sich die internationale Konjunktur nicht weiter abschwächt (s. Beitrag S. 9). Insbesondere in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften dürfte sich die Dynamik bereits etwas belebt haben. Allerdings werden die Produktionszuwächse insgesamt wohl mäßig bleiben. So verringert sich in den USA der Expansionsgrad der Geldpolitik langsam und der starke Dollar bremst die Auslandsnachfrage. Im Euroraum fällt der Impuls der starken Abwertung des Euro im vergangenen Jahr weg. Die chinesische Wirtschaft wird weiter mit dem Strukturwandel sowie der hohen Verschuldung vieler staatlicher Industrieunternehmen zu kämpfen haben und in Japan dürfte die Produktion wieder ausgeweitet werden, da der Rückgang zum Jahresende vor allem auf temporäre Faktoren zurückzuführen ist. Jedoch ist deutlich geworden, dass die mit hohen Erwartungen gestartete Wirtschaftspolitik („Abenomics“) keinen selbsttragenden Aufschwung anstoßen konnte.

100

Das Konjunkturbild eines anhaltenden moderaten Aufschwungs der deutschen Wirtschaft spiegelt 90 sich auch im ifo Geschäftsklima wider. Zwar hat 80 sich Index in der aktuellen April-Umfrage leicht eingetrübt, doch die grundsätzlich anhaltend po70 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 sitive Stimmung steht im Einklang mit dieser soliden Entwicklung. So hat die ErwartungsQuellen: ifo; IKB komponente nach einem starken Rückgang im Februar jetzt den zweiten Monat in Folge zugeDeutschland: Reales BIP-Quartalswachstum legt. Die Lagebeurteilung hat sich zwar leicht In % zum Vorquartal; kalender- und saisonbereinigt; Simulation auf verschlechtert, bleibt aber nach wie vor auf eiBasis des ifo Index nem hohen Niveau. 1,2 Erwartungen

0,8 0,4 0,0 -0,4 -0,8 2012Q1

Das Konjunkturbild des letzten Jahres hält an. Ein hauptsächlich von der Binnennachfrage getriebener moderater Aufschwung, bei dem der Industrie- und Exportsektor weiter um Wachstum kämpft sowie immer wieder aufkommende Unsicherheiten die Unternehmensinvestitionen nicht anspringen lassen. Eine kräftige Belebung der Simulation Investitionen ist nach wie vor – trotz sehr guter Finanzierungskonditionen und guter Auslastung 2013Q1 2014Q1 2015Q1 2016Q1 – nicht in Sicht und bleibt damit ein Hemmnis für BIP-Wachstum, historisch und erwartet nachhaltiges kräftiges Wachstum. Ober- und Untergrenze

Quellen: Statistisches Bundesamt; IKB

Dr. Carolin Vogt, [email protected]

3

IKB-Barometer

April 2016

Rendite 10-jähriger Bundesanleihen und Inflationsrate in % 10 10-jährige Bundesanleihen in % 8

6

4

2 Preisindex der Lebenshaltung in % ggb. Vorjahresmonat 0

-2 1985

1987

1989

1991

1993

1995

1997

1999

2001

2003

2005

2007

2009

2011

2013

2015

Quellen: Statistisches Bundesamt; Bundesbank

Kapitalmärkte: Negative Zinsen sind nicht optimal … EZB-Zinssätze; in % 6

5 4 3

2 1 0 -1 2008

2010

2012

2014

Hauptrefinanzier ungssa tz Einl agesatz Spitzenrefinan zie rungssatz

Quellen: EZB; IKB

2016

Die geldpolitische Ausrichtung der EZB ist in den letzten Monaten deutlich expansiver geworden. Grund war vor allem die Sorge um die globale Konjunktur. Inzwischen scheint sich diese Unsicherheit etwas zu legen. Chinesische Konjunkturdaten sorgen ebenso wie der globale Handel für etwas Entwarnung. Auch in der EuroZone haben sich die Konjunkturbefürchtungen bisher nicht erfüllt (siehe Beitrag S. 9). PMI-Indikatoren wichtiger Euroländer deuten nach wie vor auf ein moderates Wachstum hin. Der Arbeitsmarkt zeigt ebenfalls Verbesserungen, wenn auch nur in kleinen Schritten. So steht die EZB vor allem aus deutscher Sicht in der Kritik, eine gewisse Überambition zu zeigen.

Insbesondere wird der negative Einlagenzinssatz kritisiert. Seine Effektivität, aber auch die Gefahr von unerwünschten Nebeneffekten stehen im Fokus. Der Erfolg anderer Notenbanken mit negativen Zinsen wie in der Schweiz, Dänemark oder Japan ist zwar ebenso umstritten; doch die EZB scheint nach wie vor von ihrer Politik überzeugt zu sein, auch wenn sie zugibt, dass eine länger andauernde Phase von äußerst niedrigen Zinsen durchaus unerwünschte Nebeneffekte haben könnte. Zu nennen wären hier negative Zinsen für private Sparer sowie ein erhöhter Profitabilitätsdruck für Banken, der sich kontraproduktiv auf die Kreditvergabe auswirken könnte. Doch die aktuellen negativen Zinsen in der Euro-Zone müssen im Kontext der gesamten Maßnahmen und Herausforderungen gesehen werden. EZB-Präsident Draghi brachte es auf den Punkt, als er darauf hinwies, dass es in den letzten vier Jahren nur die EZB gab, die konjunkturstützende Maßnahmen umgesetzt hat. Sicherlich hat sich der fiskalpolitische Raum erst ergeben müssen, doch mit den aktuellen Renditen hat die Fiskalpolitik bedeutenden Handlungsspielraum gewonnen. Skeptiker verweisen hierbei auf einen möglichen reduzierten Handlungsdruck der Staaten, ihre Sparmaßnahmen umzusetzen. Die eigentliche Gefahr in der Euro-Zone liegt jedoch in der grundsätzlichen Reformmüdigkeit und somit in den langfristigen Wachstumsperspektiven, die der Notenbank relativ wenig Alternativen lassen (siehe IKB Kapitalmarkt News vom 17 März 2016).

4

IKB-Barometer

April 2016

… ebenso wenig wie eine restriktive Fiskalpolitik Nicht wegen der EZB sind die Zinsen niedrig, sondern eher wegen der passiven Fiskalpolitik. So ist es auch diese Politik, die für die außerordentlich expansive und womöglich an ihre Grenzen stoßende Geldpolitik verantwortlich ist. Nicht die Abschaffung oder das Horten von Bargeld sollte deshalb diskutiert werden, sondern die Rolle der Fiskalpolitik in einem Umfeld, in dem Notenbankpolitik nicht mehr optimal sein kann.

Aktuelle Renditen deutscher Staatsanleihen in % 1,2 1,0 0,8

0,6 0,4 0,2 0,0 -0,2 -0,4 -0,6 -0,8

3M

1Y

3Y

5Y

7Y

9Y

10Y 15Y 20Y 30Y

Quellen: Bloomberg; IKB

Euro-Zone: Inflation; in % zum Vorjahresmonat 4,5 4,0 3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 -0,5 -1,0 2007

2009

2011

2013

Die Fed hält sich mit der Fortsetzung ihrer Zinswende weiter bedeckt. Im Fokus stehen klar die Einflüsse einer Zinsanhebung auf die Wirtschaft und weniger die Konsequenzen eines langfristig niedrigen Zinsniveaus. So wird die Fed auch nur agieren, wenn ihr die Realwirtschaft und der Außenwert des US-$ den Raum dafür geben. Die IKB erwartet zwei Fed-Zinsanhebungen 2016 sowie eine kurzfristige Aufwertung des US-$ gegenüber dem Euro (siehe Beitrag S. 12).

2015

Quellen: EZB; IKB

Wechselkurse; 1 Euro = … 1,45

0,84

1,40

0,82

1,35 0,80

1,30 1,25

0,78

1,20

0,76

1,15

0,74

1,10 0,72

1,05 1,00 2014

2015 EUR/USD (linke Skala)

Die kurz-, wie auch mittelfristigen Wachstumsaussichten der Euro-Zone sind durch die aktuelle Reformmüdigkeit eher begrenzt. Dies spricht für anhaltende niedrige Renditen. Doch mit einer Inflationsrate, die gemäß IKB-Schätzungen Ende 2016 bei rund 1 % liegen sollte, und einer Wirtschaft, die – wenn auch nur moderat – wächst, sind die aktuellen Renditen deutscher Staatsanleihen als nicht nachhaltig einzuschätzen.

0,70 2016 EUR/GBP (rechte Skala)

Ein Ja zu einem Austritt Großbritanniens aus der EU wäre eine schlechte Nachricht für Europa unabhängig von den Implikationen für das Königreich. Denn wird die britische Wirtschaft im Fall ihres Austritts durch unklare Handelsbeziehungen (auch mit Drittländern) belastet, dann wird auch Europa in Mittleidenschaft gezogen, und das nicht alleine nur wegen der Handelsbeziehungen. So gehen Befürworter eines Brexit von bevorzugten Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU im Falle eines Austritts aus. Erweisen sich dann die pessimistischen Prognosen für Großbritannien als übertrieben oder die Briten bekommen einen Sonderstatus, so würde dies die europäische Gemeinschaft und Solidarität alles andere als festigen (siehe Beitrag S. 6). Dr. Klaus Bauknecht, [email protected]

Quellen: Bloomberg; IKB

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IKB-Barometer

April 2016

Brexit - Stichtag 23. Juni 2016: Implikationen für Europa, Ausblick für Euro und Pfund Welche Bedeutung hat ein Brexit für die deutsche und europäische Konjunktur? Die Spekulationen über den Ausgang des britischen Referendums halten an. Umfragewerte geben kein klares Zeichen, auch, weil ein großer Teil der Briten noch keine konkrete Meinung zu haben scheint. Volkswirte hingegen haben schon eifrig gerechnet, was ein Brexit für Großbritannien bedeuten könnte. Da die Ergebnisse jedoch sehr stark von Annahmen abhängen, sind die Prognosen breit gestreut. Im Vordergrund steht hierbei vor allem die Unsicherheit, wie sich die britischen Handelsbeziehungen mit der EU und dem Rest der Welt nach einem möglichen Austritt gestalten würden. Auch die Rolle Schottlands ist fraglich. Andere Überlegungen beschäftigen sich damit, was ein Brexit für die EU und Deutschland bedeuten könnte. Im Falle eines Austritts wird viel von der Ausgestaltung zukünftiger Handelsbeziehungen abhängen. Und es gibt noch weitere Aspekte zu berücksichtigen: Was bedeutet etwa ein möglicher Brexit für die Struktur der EU, und entwickelt sich Großbritannien zu einem Modell für andere Nettozahler der EU? Die Kombination aus schwacher europäischer Konjunktur, anhaltend hoher Arbeitslosenquoten sowie Uneinigkeiten innerhalb der EU – Beispiel Flüchtlingsproblematik – könnte unerwartete Konsequenzen für diese mit sich bringen. Ein EU-Austritt Großbritanniens beinhaltet somit selbst bei einer schnellen Einigung der beteiligten Parteien gewisse Risiken für die Euro-Zone und damit auch für Deutschland; vor allem, wenn ein Brexit andere EUStaaten zu ähnlichen Überlegungen animieren würde. Wie das aktuelle Referendum in den Niederlanden zeigt, liegen solche Gedanken gar nicht so fern. Sollten sich mögliche Verhandlungen um den Austritt hingegen hinziehen und für anhaltende Unsicherheit über die zukünftige Ausgestaltung der EU-Verträge sorgen, wird dies wiederum das Unternehmervertrauen und damit die Wachstumsaussichten belasten. So bergen ein schneller ebenso wie ein langwieriger Austritt Großbritanniens Risiken für Europa und seine Konjunkturaussichten. Abb. 1: Einfluss eines Rückgangs der britischen Wachstumsrate um einen Prozentpunkt auf das deutsche BIP Nega tive Auswirkung in Prozentpunkten 0,6

0,5

0,4

0,3

0,2

0,1

0,0 t

t+1

t+2

t+3

t+4

Quellen: Bloomberg; IKB

Der Einfluss eines Brexit auf die Euro-Zone liegt nicht nur in möglichen Konsequenzen für die Handelsströme; denn der BIP-Rückgang wäre nicht nur konjunkturell bedingt. Um den möglichen Einfluss einer eskalierenden Unsicherheit in seiner Gesamtheit zu greifen, hat die IKB ein VAR-Modell geschätzt, welches den Zusammenhang von BIP-Wachstum in Großbritannien, Euro-Zone und Deutschland widerspiegelt. Selbstverständlich wird das deutsche BIP nicht nur durch das britische Wachstum und das der Euro-Zone bestimmt. Es geht eher darum, dass die Volkswirtschaften in Beziehung zueinander stehen, und dass ein Schock in einer Wirtschaftseinheit Einfluss auf die BIP-Wachstumsraten anderer Wirtschaftseinheiten hat. Je größer der historische Gleichlauf der Wachstumsraten von Großbritannien, Deutschland und Euro-Zone ist, desto höher wird der Einfluss einer Abweichung des britischen BIP-Wachstums auf Deutschland und die Euro-Zone sein. In diesem Modell wird unterstellt, dass sich die Wachstumsraten nicht voneinander lösen kön-

6

IKB-Barometer

April 2016

nen, sodass ein Schock in der britischen Konjunktur entsprechende Einbrüche in der Leistung der anderen Wirtschaftseinheiten „mit sich zieht“. Modellschätzungen deuten darauf hin, dass ein Rückgang des britischen BIP von 1 % das deutsche BIP mit fast 0,5 % belasten könnte. Dies mag als überraschend hoch angesehen werden, da nur rund 7,5 % der deutschen Exporte nach Großbritannien gehen. Doch wie vorher beschrieben, geht es bei der Simulierung eines Brexit um mehr als nur eine reduzierte Nachfrage von Exporten, vor allem, wenn der britische BIP-Einbruch bedeutend ist und somit Konfliktpotenzial in Europa andeutet. Ein deutlicher Einbruch der britischen Wirtschaft würde signalisieren, dass der Brexit unkontrolliert stattfindet. Das langfristige Risiko eines „erfolgreichen“ Brexit für die EU würde allerdings mit diesem Modell auch nicht unbedingt repräsentiert. Laut einiger Studien könnte ein Austritt Großbritanniens durchaus zu einem Rückgang der britischen Wirtschaftsleistung um 2 bis 3 % führen. Dies dürfte das deutsche Wachstum mit rund einem Prozentpunkt in Mitleidenschaft ziehen (Abb. 1). Angesichts dieser Szenarien dürften die Briten und auch die EU im Fall der Fälle bemüht sein, einen schnellen und koordinierten Austritt zu gewährleisten. Wie ist der Ausblick für das Pfund? Das Pfund hat als Folge der Unsicherheit rund um einen mögliche Brexit bereits in den letzten Monaten an Wert verloren. Entscheiden sich die Briten für einen Verbleib, ist sicherlich mit einer Korrektur bzw. Aufwertung zu rechnen, weil mögliche Zinsanhebungen der BoE in 2017 wieder in den Vordergrund rücken könnten. Auch sollte die britische Wirtschaft im dritten Quartal 2016 einen Aufholeffekt als Folge von zunehmenden Investitionen zeigen. Entscheiden sich die Briten für einen Austritt und zeichnet sich eine schnelle und konstruktive Lösung mit der EU ab, ist nicht unbedingt von einer weiteren Abwertung auszugehen, auch wenn die Volatilität kurzfristig hoch bleiben könnte. Mittelfristig könnte in diesem Szenario das Pfund gegenüber dem Euro sogar deutlich an Wert gewinnen. Zeichnet sich keine schnelle Einigung ab, wird die Realwirtschaft Großbritanniens vermehrt in Mitleidenschaft gezogen und das Pfund wird weiter unter Druck gesetzt, auch, weil die BoE erneut unterstützende Konjunkturmaßnahmen einführen müsste. Wie oben beschrieben, würde in solch einem Szenario allerdings ebenso die europäische Wirtschaft belastet, was sich wiederum im Euro-Wechselkurs zeigen sollte. Somit ist insgesamt von einer deutlichen Abwertung des Pfund gegenüber dem Euro nicht unbedingt auszugehen, wohl aber von einer Abwertung gegenüber dem US-Dollar. Die IKB geht in ihren Prognosen von einem Verbleib Großbritanniens in der EU aus, sodass von einer Aufwertung des Pfund im dritten Quartal auszugehen ist. Selbst bei einem Brexit rechnet die Bank nicht mit einer bedeutenden und nachhaltigen Abwertung des Pfund gegenüber dem Euro. Abb. 2: Stochastische Simulation: Britisches Pfund je Euro 1,0

Simulation 0,9 0,9 0,8 0,8 0,7 0,7 0,6 2008

2009

2010

2011

2012

Fundamentalwert

2013

2014

2015

2016

2017

Ober- und Untergrenze

Quellen: Bloomberg; IKB

7

IKB-Barometer

April 2016

Fazit: Die Folgen eines Brexit für die britische Wirtschaft sind nicht zu unterschätzen, vor allem, wenn ein möglicher EU-Austritt unkoordiniert stattfinden bzw. wenn es mit der EU und anderen Handelspartnern zu keiner schnellen Einigung kommen sollte. Solch eine Entwicklung würde nicht nur die Handelsströme belasten, sondern auch für erhöhte Unsicherheit sorgen, was das britische BIP deutlich belasten dürfte. Doch ein ähnliches Bild gilt auch für EU und Deutschland, da die Unsicherheit über die politische wie auch konjunkturelle Zukunft der EU nach einem möglichen Brexit das Unternehmervertrauen besonders belasten könnte. Gemäß IKB-Schätzungen sollte ein britischer BIP-Einbruch von rund 3 Prozentpunkten als Folge eines Brexit das deutsche BIP um bis zu 1 Prozentpunkt belasten. Aus dieser Prognose folgt allerdings, dass das Pfund bei einem Brexit gegenüber dem Euro nicht unbedingt weiter an Wert verlieren sollte, da auch der Euro durch eine Konjunktureintrübung unter Druck geraten dürfte. So mag das mögliche Abwertungspotenzial des Pfund zum Euro durchaus begrenzt sein, vor allem, wenn sich der Prozess des Brexit für Großbritannien und EU als schwierig erweisen sollte. Die IKB erwartet jedoch, dass die Briten am 23. Juni mehrheitlich gegen einen Austritt stimmen werden, was im dritten Quartal 2016 eine Aufwertung des Pfund gegenüber dem Euro mit sich bringen sollte.

Dr. Klaus Bauknecht, [email protected]

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IKB-Barometer

April 2016

Euro-Zone: Konjunkturausblick stabil, Geldpolitik der EZB dennoch richtig Im Dezember 2015 sowie im März 2016 hat die EZB ihre geldpolitische Lockerung fortgesetzt. So hat sie das Aufkaufprogramm ausgeweitet und den Einlagenzins deutlich ins Negative bzw. den Leitzins auf 0 % gesenkt. Gründe für die schon seit September erwarteten Maßnahmen waren die Befürchtungen, die Inflationsrate könnte weiter sinken und die Sorge um die konjunkturelle Erholung in der Euro-Zone. Die Erwartungen für die globale Konjunktur waren, vor allem aufgrund der Entwicklungen in China, ebenfalls eingetrübt. Zwar deutete der weiter fallende Ölpreis auf eine steigende reale Kaufkraft in den Industrieländern; doch für viele Schwellenländer wurde der Preisverfall zur ernsthaften Bedrohung ihrer binnenwirtschaftlichen Stabilität. Dies wiederum belastet die Exportnachfrage vieler Industrieländer. So hat das makroökonomische Umfeld die EZB zu einer deutlichen Ausweitung ihrer bereits schon damals expansiven Geldpolitik genötigt. Abb. 1: Kerninflationsrate in den USA und in der Euro-Zone in % ggü. Vorjahr 3,0

2,5

2,0

1,5

1,0

0,5

0,0 2007

2008

2009

2010

2011

2012

USA

2013

2014

2015

2016

Euro-Zone

Quellen: Bloomberg; Eurostat; IKB

Welche der skizzierten Erwartungen haben sich erfüllt? Richtig ist, dass die Inflationsrate - allerdings nur die allgemeine - erneut deutlich gesunken ist. Die Kerninflationsrate ist in der Euro-Zone und in den USA relativ stabil geblieben. Inflationserwartungen scheinen allerdings eher auf die allgemeine Inflation zu reagieren. Mit der sich abzeichnenden Stabilisierung des Ölpreises sollte die allgemeine Inflationsrate im Jahresverlauf aufgrund von Basiseffekten und einer grundsätzlich stabilen Kerninflationsrate ansteigen. Die Deflationsrisiken haben sich somit trotz der kurzfristig sinkenden Inflationsrate nicht erhöht. Die IKB erwartet Ende 2016 eine Inflationsrate in der Euro-Zone von rund 1 %, während die Kerninflationsrate dann bei 1,4 % liegen sollte. Die unerwartet hohe Inflationsrate im März hat bereits dazu geführt, dass die Inflationsprognosen der EZB für 2016 wohl eher eine Revidierung nach oben als nach unten benötigen könnten. Tabelle 1: Änderung des Außenwertes der Währung zum US-Dollar, in % Januar bis Dezember 2015

Seit Januar 2016

Brasilien

-47,0

13,6

Südafrika

-32,5

6,1

Türkei

-24,4

4,7

Malaysia

-22,1

10,8

Russland

-24,0

9,5

Mexiko

-16,1

-1,3

Argentinien

-51,2

-10,1

Indonesien

-9,9

5,9

China

-4,4

1,5

Indien

-4,5

0,2

Quellen: B lo o mberg; IKB

9

IKB-Barometer

April 2016

Öl-, wie auch andere Rohstoffpreise scheinen ihren Tiefpunkt erreicht zu haben. Die Zahl der Marktbeobachter, die dauerhaft einen Ölpreis von rund oder sogar unter US-$ 20 erwarten, nimmt ab. Der US-$ hat zudem seit Jahresanfang gegenüber den Währungen vieler Schwellenländer an Wert verloren, sodass sich deren Kaufkraft in US-$ stabilisieren bzw. erholen sollte. Allerdings bleiben die Rohstoffpreise sowie die internationale Kaufkraft vieler rohstoffexportierender Länder auf einem niedrigen Niveau. Für viele Schwellenländer, deren Bevölkerung ihren Lebensstandard nach unten anpassen muss, ist es auch weiterhin eine schwierige Phase. Die Sorge um die chinesische Konjunktur hatte im September 2015 eine Korrektur auf den Aktienmärkten eingeleitet. Seitdem haben globale Institutionen wie IWF und OECD ihre Prognosen für das Weltwachstum nach unten angepasst. Immer wieder wurde in den letzten Monaten betont, dass sich die Weltwirtschaft abkühlt. Als Beweis hierfür wurde unter anderem der Welthandel genannt, dessen Wachstum sich deutlich verlangsamt hat. Auch wenn ein nachlassender Welthandel nicht unbedingt nur aus der konjunkturellen Entwicklung resultiert, sondern ebenso mit der Globalisierung von Produktionsprozessen zu tun hat, so lässt ein rückläufiges Handelsvolumen eine sicherlich legitime Sorge über die globalen Konjunkturperspektiven aufkommen. Gemessen an der Anzahl von Containerabwicklungen in den 80 größten Häfen der Welt ist solch eine Abkühlung bereits seit Anfang 2015 deutlich zu erkennen. Der Index hat sich in jüngster Zeit erholt und liegt aktuell rund 1,5 % über seinem Tiefstand von Oktober 2015. Diese Erholung mag sich als eher überschaubar erweisen; doch ist die aktuelle Befürchtung einer globalen Abkühlung im Handel im Vergleich zu September oder Dezember 2015 wenig nachvollziehbar. Abb. 2: Containerumschlagindex Index (2010 = 100) 125

120

115

110

105 2012

2013

2014

2015

2016

Quellen: RWI/ISL; IKB

Zusammenfassend lässt sich feststellen:  Die chinesische Wirtschaft zeigt sich weiterhin robust. Der PMI für das Verarbeitende Gewerbe konnte im März 2016 das erste Mal seit Mitte 2015 wieder über die 50-Punkte-Schwelle ansteigen, während der Caixian-PMI-Index im März das höchste Niveau seit April 2015 erreicht hat. Auch die Pkw-Neuzulassungen haben sich seit dem Einbruch Mitte 2015 wieder gefangen. Zahlen für die ersten beiden Monate von 2016 deuten im Jahresvergleich auf ein Wachstum von fast 5 % hin. Zwar mag die chinesische Industrie langsamer wachsen, doch aufgrund der strukturellen Veränderungen der Wirtschaft sollte dies niemanden überraschen.  Die US-Wirtschaft gewinnt erneut an Fahrt und der ISM-Index konnte seit Dezember, vor allem aber in jüngster Zeit, ebenfalls zulegen. Der US-Arbeitsmarkt zeigt verlässlich solide Zahlen, der US-Häusermarkt bleibt robust . Allerdings zeigt der NFIB-Index immer noch keine nachhaltige Erholung bei der Stimmungslage mittelgroßer US-Firmen.  Die PMIs in der Euro-Zone haben sich als überraschend stabil erwiesen, auch wenn sie sich nicht deutlich verbessert haben, blieben sie über der Expansionsmarke von 50 Punkten. Die Industrieproduktion sollte trotz eines Rückgangs im Februar zum BIP-Wachstum im ersten Quartal 2016 beitragen. Die Kreditvergabe zeigt weiterhin eine stabile, wenn auch nur moderate Erholung. 10

IKB-Barometer

April 2016

 Auch wenn der ifo Index für Deutschland im April um 0,1 Zähler leicht nachließ, deutet er aufgrund seines Niveaus auf ein relativ stabiles, wenn auch nur moderates Wachstum hin. Tabelle 2: Entwicklung ausgesuchter Konjunkturindikatoren Land

Index

Dezember 15

März / April* 2016

USA

ISM Index

48,0

51,8

China

Caixin PMI

49,4

51,3

Euro-Zone

Markit-PMI

54,3

53*

Ifo Index

108,7

106,6*

Deutschland

Quellen: B lo o mberg; ISM ; M arkit; Ifo ; IKB

Einschätzung Insgesamt deuten im Vergleich zu Ende 2015 wichtige realwirtschaftliche Konjunkturindikatoren auf eine konjunkturelle Erholung hin. Die Befürchtungen der Notenbanken und insbesondere die der EZB, die noch einmal deutlich nachgelegt hat, haben sich bisher nicht bestätigt. Die globale Konjunktur mag weiterhin anfällig sein, doch ein globaler Konjunktureinbruch ist heute weniger wahrscheinlich als im Dezember letzten Jahres. Und auch der Rückgang der Inflation sollte sich als eher kurzfristig erweisen. Einzig enttäuschend für die globale Konjunktur verlief die Entwicklung in Japan, dessen Volkswirtschaft allerdings schon lange nicht mehr als bedeutender globaler Wachstumstreiber angesehen wird. Aufgrund dieser Ausgangssituation ist es nicht überraschend, dass sich die EZB aktuell nicht zu einer Diskussion über Helikopter-Geld hinreißen lässt. Sicherlich ist das Konjunkturbild der Euro-Zone alles andere als überzeugend, um kurzfristig einen entscheidenden Rückgang in der Arbeitslosenquote sicherzustellen; doch gibt es auch weiterhin keine Anzeichen dafür, dass die Konjunktur vor einem erneuten Einbruch steht. Das Licht am Horizont ist jedoch weniger der jüngsten EZB-Politik zu verdanken; denn sie alleine ist nicht ausreichend, um die Konjunktur entsprechend zu stimulieren. Die Effektivität vor allem ihrer jüngsten Maßnahmen ist – isoliert betrachtet – anzuzweifeln. Benötigt wird kurzfristig eine Nachfragestimulierung durch die Fiskalpolitik, um den Raum für Reformen auf der Angebotsseite sicherzustellen. Beides kommt – wenn überhaupt – nur schleppend voran und das, obwohl die EZB durch ihre Niedrigzinspolitik seit Jahren die Schuldentragfähigkeit vieler Euro-Länder sicherstellt. Die EZB-Maßnahmen mögen im Kontext ihres Einflusses und der aktuellen Konjunkturentwicklung womöglich als übertrieben angesehen werden. Sind Geld- und Fiskalpolitik jedoch insgesamt zu beurteilen, so ist eher die Passivität der Fiskalpolitik in Frage zu stellen (siehe auch IKB Kapitalmarkt News vom 17. März 2016). Ursache der niedrigen Zinsen ist weiterhin die Passivität der Fiskalpolitik und nicht der „Aktionismus“ der EZB.

Fazit Die globalen wie regionalen Konjunktursorgen von Notenbanken und Institutionen wie IWF und OECD haben sich bis dato nur eingeschränkt bestätigt. Aktuelle Konjunkturindikatoren deuten eher auf eine Erholung in den letzten Monaten hin. Auch viele Schwellenländer scheinen sich aufgrund steigender Rohstoffpreise und aufwertender Wechselkurse zumindest zu stabilisieren. Die Inflationsrate in der Euro-Zone ist zwar erneut gesunken, doch dies ist nur temporär, während die Kerninflationsrate in den USA und in der Euro-Zone stabil ist oder sogar nach oben tendiert. Hat die EZB also überreagiert? Eher nicht, da ihr Einfluss ohne fiskalische Unterstützung begrenzt ist. Die Lösung für ein steigendes bzw. auf Sicht normales Zinsniveau liegt in einer aktiveren Fiskal- wie auch Reformpolitik in der Euro-Zone, um das Wachstum kurz- wie langfristig anzuheben. Hier scheint sich jedoch weiterhin wenig zu bewegen.

Dr. Klaus Bauknecht, [email protected]

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IKB-Barometer

April 2016

Wechselkurs: Ist der Euro überbewertet oder ist der aktuelle Kurs fundamental gerechtfertigt? Der Unterschied bei der geldpolitischen Ausrichtung von USA und Euro-Zone könnte nicht größer sein. Die EZB weitet ihre Bilanz noch für eine unbefristete Zeit aus und drückt durch ihre Zinspolitik die Zinskurve selbst für mittelfristige Renditen ins Negative. Die Fed hingegen hält ihre Bilanz konstant und hat zumindest den Versuch gestartet, eine Zinswende einzuleiten. Aus dieser Perspektive müsste der US-Dollar gegenüber dem Euro deutlich aufwerten; das erwarten auch viele Prognostiker. Doch der Euro hält sich erstaunlich stabil. Wichtiger Treiber für den EUR/USD-Wechselkurs ist der Unterschied zwischen den langlaufenden US- und den deutschen Renditen, also das risikofreie Renditedifferenzial. Aktuell ist dies mit rund 160 bp extrem ausgeweitet, was aufgrund der unterschiedlichen Geldpolitik nicht verwunderlich ist. Dieses Differenzial deutet wiederum auf einen Aufwertungsdruck für den US-Dollar hin. Doch auch andere Treiber des Wechselkurses, wie die ansteigende Risikoaversion der Märkte, sprechen für eine US-Dollar Stärke, da in Zeiten konjunktureller Unsicherheit der Greenback als sicherer Hafen gilt. Eine der wenigen Variablen, die für einen relativ starken Euro spricht, ist die im Vergleich mit den USA deutlich niedrigere Inflationsrate in der Euro-Zone bzw. die trotz ausweitender Geldmenge und Notenbankbilanz anhaltende Furcht vor einer möglichen Deflation. Unterschiedliche Inflationsraten sind allerdings eher langfristige Treiber für die Entwicklung von Wechselkursen. Auch folgt die Inflationsrate oftmals eher dem Wechselkurs als anders herum, da eine deutliche Ab- oder Aufwertung die Inflationsentwicklung beeinflusst. Abb. 1: Zinsdifferenz zwischen US- und deutschen Anleihen; Differenz der Kerninflation zwischen USA und Euro-Zone in % 2,0

1,5

1,0

0,5

0,0

-0,5

-1,0 2005

2007

2009

2011

Zinsdifferenz 10-jähriger Anleihen

2013

2015

Inflationsdifferenz

Quellen: Bloomberg; Eurostat; IKB

Die US-Langfristzinsen sind Ende 2015 von 2,2 % auf aktuell 1,8 % gesunken. Verantwortlich dafür ist die zaudernde Haltung der Fed bzw. die mittlerweile klaren Signale von Fed-Präsidentin Janet Yellen, die Zinsen nur zögerlich anzuheben. Lagen die allgemeinen Erwartungen Ende 2015 bei noch rund vier Zinsanhebungen von 25 bp in 2016, so haben sie sich inzwischen auf zwei Anhebungen reduziert. Und selbst diese beiden Anhebungen dürften nur bei einer anhaltend robusten bzw. einer sich wieder aufhellenden USKonjunktur erfolgen. Von einer ursprünglich vielleicht einmal angedachten ambitionierten US-Zinswende kann also keine Rede sein, was den jüngsten, wenn auch moderaten Rückgang der US-Renditen erklärt. Diese zögerliche Fed-Politik war ein Hauptgrund, warum die IKB in den letzten Jahren nie eine Parität beim EUR/USD-Wechselkurs erwartet hat. Doch der Eurokurs wird nicht nur durch die zögerlich Fed unterstützt, sondern auch durch die Konjunktur in der Euro-Zone, die sich trotz globalen Gegenwinds relativ robust zeigt. Allerdings hat diese Entwicklung bisher wenig Einfluss auf die deutschen Langfristzinsen, die nah an der 0 %-Grenze gehandelt werden. Deshalb verharrt das Zinsdifferenzial trotz zögerlicher Fed und sinkender US-Renditen auf einem anhaltend hohen Niveau von über 150 bp.

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IKB-Barometer

April 2016

Die Aussage der EZB, der Tiefpunkt bei den kurzfristigen Zinsen sei erreicht, mag auch für die relative Stärke des Euro verantwortlich sein. Mit dieser Aussage hat EZB-Präsident Draghi für Bewegung auf den Märkten gesorgt und die Erwartung von noch tieferen negativen Zinsen gedämpft. Wie bei der US-Zinserwartung, sollte sich diese Entwicklung bereits in den Renditen spiegeln. Doch auch, wenn das Zinsdifferenzial ein entscheidender Treiber der EUR/USD-Entwicklung darstellt, lässt sich nur unter Berücksichtigung aller bedeutenden Treiber beurteilen, ob der EUR/USD-Wechselkurs aus fundamentaler Sicht aktuell eher über- oder unterbewertet ist. Die IKB berechnet schon seit Jahren ein fundamentales Modell für den EUR/USD-Wechselkurs. Dabei handelt es sich um ein fundamentales oder Fair-Value-Modell, das den EUR/USD-Wechselkurs mit Hilfe makroökonomische Variablen prognostiziert. Das Modell gibt das Niveau des EUR/USD-Wechselkurses wider, welches auf Grund volkswirtschaftlicher Daten zu erwarten wäre. Doch gerade Devisenkurse sind bekannt dafür, dass sie überreagieren und dem Herdentrieb folgen, sodass Modellschätzungen in erster Linie nicht als Prognosen, sondern eher als Referenzwert anzusehen sind. Wenn also die Modellabweichung gravierend wäre und eine deutliche Differenz zwischen aktuellem Kurs und Fair-Value-Kurs andeuten würde, könnte dies dennoch auf Korrekturpotenzial deuten, vor allem, wenn die Modellabweichungen historisch keinen systematischen Verlauf aufweisen und das Modell deshalb auch weiterhin als repräsentativ für die Entwicklung des EUR/USD-Wechselkurses angesehen werden kann. Abb. 2: EUR/USD -Wechselkurs und Modellschätzung 1,6 1,5 1,4 1,3 1,2 1,1 1,0 0,9 0,8 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

EUR/USD

Fair-Value-Modell

Quellen: Bloomberg; IKB

Abb. 2 vergleicht den EUR/USD-Wechselkurs und die IKB Fair-Value-Modellschätzung. Für das erste Quartal 2016 ist eine Abweichung zu erkennen. Während der aktuelle Wechselkurs bei ca. EUR/USD 1,14 liegt, läge der fundamental richtige Wert bei 1,04. Nun können zwei Entwicklungen stattfinden. Entweder der Euro wertet ab oder der fundamentale Wert wertet auf. Anders gesagt, entweder der Markt korrigiert den Kurs als Folge sich verändernder Erwartungen oder die fundamentalen Treiber ändern sich, so wie es der Markt aktuell zu erwarten scheint – zum Beispiel durch eine deutliche Einengung des Zinsdifferenzials. Folglich sollte der US-Dollar erneut aufwerten, sofern die US-Wirtschaft nicht enttäuscht (US-Renditen fallen weiter) und die Euro-Zone überrascht (Inflationserwartungen und damit Renditen steigen). Da die Modellabweichung gravierend ist, ist solch eine Aufwertung sehr wohl auch kurzfristig (im zweiten Quartal) möglich. Wie ist nun die Einschätzung der IKB zum weiteren Verlauf des EUR/USD-Wechselkurses? Eine Aufwertung im Verlauf von 2016 auf oder unter Parität erachtet die Bank weiterhin als unwahrscheinlich. Die Fed wird die Zinsen kaum soweit erhöhen, dass diese Entwicklung eintritt, zumal ein aufwertender US-Dollar die Fed von weiteren Zinsanhebungen abhalten könnte. Auch sollte sich in der zweiten Jahreshälfte 2016 die Inflationsrate in der Euro-Zone etwas normalisieren und eine, wenn auch überschaubare Korrektur bei den deutschen Langfristzinsen verursachen. Denn die aktuellen Niveaus sind aufgrund der Konjunkturentwicklung in der Euro-Zone und einer zu erwartenden Inflationsrate von ca. 1 % zum Jahresende 2016 aus fundamentaler Sicht nicht nachvollziehbar. Mit einer steigenden Inflationsrate – auch wenn vor allem als Folge von Basiseffekten – ist mit einer gewissen Korrektur der Renditen zu rechnen, ähnlich wie im Jahr 2015. Abb. 3 zeigt die fundamentale Entwicklung des EUR/USD-Wechselkurses basierend auf den beschriebenen Annahmen. Kurz13

IKB-Barometer

April 2016

fristig ist aufgrund des Zinsdifferenzials mit einer Aufwertung des Euro zu rechnen. Eine anhaltende Aufwertung gegenüber dem US-Dollar ist allerdings vor allem in 2017 nicht zu erwarten. Abb. 3: Fundamentalentwicklung US-Dollar

1 Euro in US-Dollar

1,6

Prognose

1,5

1,4

1,3

1,2

1,1

1,0 2010

2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

1 Euro in US-Dollar Quellen: Bloomberg; IKB

Fazit: Trotz eines ausweitenden Zinsdifferenzials als Folge der divergierenden Geldpolitik von Fed und EZB konnte der Euro gegenüber dem US-Dollar in jüngster Zeit Boden gut machen. Das Fair-Value-Modell der IKB deutet allerdings darauf hin, dass diese Entwicklung nicht durch die aktuell fundamentalen Treiber des EUR/USD-Wechselkurses erklärt werden kann. Das Fair-Value-Gap, also der Unterschied zwischen eigentlichem und fundamental berechneten Wechselkurs, kann sich durch eine Aufwertung des US-Dollar ebenso schließen wie durch sich verändernde volkswirtschaftliche Rahmenbedingungen. Basierend auf den IKBAnnahmen bzgl. Zins- und Inflationsentwicklung in 2016 ist jedoch eher von einer kurzfristigen Korrektur des Wechselkurses auszugehen. Nachhaltig sollte diese Aufwertung des US-Dollar allerdings nicht sein, sofern Inflation und Konjunktur der Euro-Zone sich in 2017 zunehmend festigen und die Fed weiterhin eher zögerlich agiert. Ansonsten wäre das aktuelle Aufwertungspotenzial des US-Dollar unter Umständen größer.

Dr. Klaus Bauknecht, [email protected]

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IKB-Barometer

April 2016

Daten auf einen Blick (27. April 2016) Gesam tw irtschaft Mrd. €

Reale Veränderung in % zum Vorjahr (kalenderbereinigt)

2015

2013

2014

2015

2016p

2.965,0

0,4

1,6

1,4

1,4

1.622,0

0,8

1,0

1,9

1,6

Staatsverbrauch

580,0

0,8

1,7

2,4

2,5

Ausrüstungsinvestitionen

197,0

-2,0

4,5

3,9

1,0

Bauinvestitionen

292,0

-1,1

3,0

-0,2

2,2

Exporte

1.405,0

1,8

3,9

4,9

2,2

Importe

1.202,0

3,5

3,7

5,4

3,6

1,5

0,9

0,2

0,2

Veränd. in % zum Vorjahr

Feb 16

Mrz 16

Apr 16

105,7

106,7

106,6

Dez 15

Jan 16

Feb 16

110,0

110,5

109,2

Dez 15

Jan 16

Feb 16

BIP Privater Verbrauch

Verbraucherpreise Frühindikatoren Index* 2010 = 100 ifo-Geschäftsklima

2015 108,1 2015

Auftragseingänge**

110,1

0,1 Veränd. in % zum Vorjahr 0,9

Produktion und Handel** Index* 2010 = 100

2015

Veränd. in % zum Vorjahr

Verarbeitendes Gew erbe

110,2

0,4

110,1

112,4

111,8

Bauhauptgew erbe

118,9

-0,7

122,1

121,4

129,2

Einzelhandel (ohne Kfz)

105,6

2,7

107,4

107,3

106,9

Außenhandel nom inal*** 2015

Veränd. in % zum Vorjahr

Dez 15

Jan 16

Feb 16

Warenexporte Mrd. €

1.195,8

6,4

92,0

88,6

99,5

Warenimporte Mrd. €

948,0

4,2

73,1

75,2

79,3

Veränd. in % zum Vorjahr

Jan 16

Feb 16

Mrz 16

Arbeitsm arkt** 2015 Erw erbstätige in Mio. Arbeitslose in Mio. Arbeitslosenquote in %

42,963

0,8

43,274

43,324

-

2,793

-3,6

2,737

2,728

2,728

6,2

6,2

6,2

in 3 Monaten

in 6 Monaten

in 9 Monaten

Ende 2017

6,4

Wechselkurse 27.04.16 1 € = ... US-$

1,13

1,10

1,06

1,05

1,13

1 € = ... SFR

1,10

1,12

1,12

1,12

1,13

-0,25

-0,25

-0,25

-0,25

-0,25

USD 3-Monats-Libor

0,63

0,70

0,80

1,00

1,90

10-jährige Bundesanleihen

0,29

0,20

0,40

0,60

1,20

10-jährige US-Staatsanleihen

1,91

1,90

2,10

2,20

2,60

Zinsen in % 3-Monats-Euribor

p = Prognose; v = vorläufig * Durchschnittswerte; ** saisonbereinigt; *** Spezialhandelsstatistik; Quellen: Bloomberg; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank; Statistisches Bundesamt; IKB- Prognosen

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IKB-Barometer

April 2016

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(Stand: 27. April 2016) 16