Kommunikationstechnik I

Kommunikationstechnik I Prof. Dr. Stefan Weinzierl Wintersemester 2004/05 Kommunikationstechnik I 1. Grundlagen der Akustik 1.1 1.2 1.3 Schallfe...
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Kommunikationstechnik I Prof. Dr. Stefan Weinzierl

Wintersemester 2004/05

Kommunikationstechnik I 1.

Grundlagen der Akustik

1.1 1.2 1.3

Schallfeldgleichungen ..................................................................................... 3 Schallpegel ...................................................................................................... 8 Schallausbreitung im Raum .......................................................................... 10

2.

Hören

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

Anatomie des Hörorgans ............................................................................. Funktionen des Hörsystems ...................................................................... . Psychometrische Methoden in der Akustik ................................................ Hörschwelle, Hörfeld, Frequenz- und Zeitbewertung ............................... Lautheit und Verdeckung ............................................................................

3.

Elektroakustische Wandler I: Mikrofone

3.1 3.2 3.3 3.4 3.5

Mechanischer Teil ............................................... ........................................ Empfängerprinzip und Richtcharakteristik ................................................ Elektrischer Teil ............................................................................................. Besondere Bauformen .................................................................................. Messwerte und Datenblatt ...........................................................................

4.

Elektroakustische Wandler II: Lautsprecher

4.1 4.2. 4.3 4.4 4.5. 4.6

Grundlagen der Schallabstrahlung: Monopolquellen ................................. Dipolquellen ................................................................................................... Der eindimensionale Kolbenstrahler ........................................................... Der elektrodynamischer Lautsprecher ........................................................ Bauformen von Lautsprechern .................................................................... Gehäuseprinzipien ........................................................................................

5.

Aufnahmetechnik und Audiobearbeitung

5.1 5.2 5.3

Stereofonie .................................................................................................... 66 Aufnahmeverfahren ...................................................................................... 67 Audiobearbeitung .......................................................................................... 72

6.

Literaturverzeichnis

20 21 23 26 27

31 33 37 43 44

47 48 53 55 58 64

........................................................................... 77

2

1.

Grundlagen der Akustik

1.1

Schallfeldgleichungen

Die wichtigsten physikalischen Größen zur Beschreibung von Schallfeldern sind Schalldruck und Schallschnelle. Im Bereich des hörbaren Schalls, also oberhalb der absoluten Hörschwelle und unterhalb der Schmerzschwelle des menschlichen Gehörs, nehmen sie folgende Amplituden an: Schalldruck Schallschnelle

p v

[Pa]=[N/m2] [m/s]

20 µPa ... 20 Pa 50 nm/s … 50 mm/s

Die Herleitung der Wellengleichung für die Schallausbreitung, d.h. für die Fortpflanzung einer Druckstörung, die dem atmosphärischen Gleichdruck überlagert ist, durch ein Medium, beruht auf • • •

einem Zusammenhang zwischen Druck, Temperatur und Dichte im Ausbreitungsmedium (Materialgesetz) einer Massenbilanz für ein Volumenelement im Medium einer Impulsbilanz für ein Volumenelement im Medium

Für gasförmige Medien (Luft) mit dem Druck p, dem Volumen V und der Temperatur T gilt

pV =

M RT M mol

(1.1)

(Zustandsgleichung idealer Gase) R=8,314 Nm/K (Allgemeine Gaskonstante) Mmol: Molare Masse = „Molekulargewicht in Gramm“

Schallvorgänge verlaufen aufgrund der hohen Geschwindigkeit der Druck- und Dichteänderungen adiabatisch, d.h. ohne Wärmetransportvorgänge. Dann gilt

p ρ = ( )κ p0 ρ0

(1.2)

(Adiabatengleichung) p0, p: Statischer Druck, Wechseldruck ρ0, ρ: Statische Dichte, Wechseldichte κ: Adiabatenexponent (κ=1,4 für zweiatomige Gase)

Zur Herleitung der eindimensionalen Wellengleichung, d.h. für ebene Wellen, die sich geradlinig in eine Richtung ausbreiten, betrachtet man ein Volumenelement ∆V=S∆x mit der Kantenlänge ∆x und der Seitenfläche S.

3

S v(x)

v(x+∆x) x

Abb. 1 .1

x+∆x Volumenelement zur Herleitung der Schallfeldgleichungen

Die Formulierung von Massenbilanz, Impulsbilanz und Adiabatengleichung im Grenzfall ∆t→0 und ∆x→0 für dieses Volumenelement führt auf die eindimensionale Schallfeldgleichung (Herleitung z.B. Cremer/Möser03, S.21ff.):

∂2 p 1 ∂2 p − =0 ∂x 2 c 2 ∂t 2

(1.3)

∂v 1 ∂p =− ∂t ρ 0 ∂x

(1.4)

mit der Abkürzung c =

RT M mol

(1.5)

(T in Kelvin)

Allgemeine Lösungen dieser Schallfeldgleichung sind Funktionen der Gestalt

x p ( x, t ) = f (t ± ) c

(1.6)

Daraus folgt, dass die zunächst nur als Abkürzung eingeführte Konstante c die Bedeutung einer Schallausbreitungsgeschwindigkeit hat. In der Umgebung der üblichen Raumtemperatur von T=293 K kann die Temperaturabhängigkeit in (1.5) linearisiert werden, und man erhält als Faustformel

c ≈ 331,4 + 0,6 ⋅ θ

(1.7)

θ: Temperatur in °C c: Schallgeschwindigkeit in m/s

4

Für mehrdimensionale Schallausbreitung lauten die Schallfeldgleichungen

1 ∂2 p ∆p − 2 =0 c ∂t 2

(1.8)

1 ∂v =− gradp ∂t ρ0

(1.9)

In kartesischen Koordinaten ist ∆ = divgrad =

∂2 ∂2 ∂2 + + ∂x 2 ∂y 2 ∂z 2

(Laplace-Operator),

grad = (

die Abbildung grad bildet einen Skalar auf einen Vektor ab mit

∂ ∂ ∂ ; ; ) ∂x ∂y ∂z

(Gradient)

In Analogie zum ohmschen Gesetz der Elektrotechnik definiert man die Schallkennimpedanz als Quotient von Schalldruck (Ursache) und Schallschnelle (Wirkung) in einer ebenen Welle: Def.:

Z0 =

p ( x, t ) v ( x, t )

(1.10)

Z0: Schallkennimpedanz, Wellenwiderstand

Die Schallkennimpedanz ist ein Kennwert für das Medium, in dem sich eine Schallwelle ausbreitet. Die Analogie von elektrischer und akustischer Impedanz sollte allerdings nicht überstrapaziert werden, da man bei manchen Problemen, etwa der Schallabstrahlung, auch die Schnelle als Ursache und den Druck als Wirkung auffassen kann. Weitere wichtige Schallfeldgrößen sind die Schallleistung P einer Schallquelle in [W] und die Schallintensität (Schallleistungsflächendichte) als die durch ein Flächenelement S hindurchtretende Schallleistung in [W/m2]. Die Intensität ist also ein Vektor, der in Richtung der Wellenausbreitung zeigt. Somit ist

P = ∫ I ⋅d S

(1.11)

d S : vektorielles Flächenelement, senkrecht auf S Die Schallintensität I ergibt sich als Produkt von Schalldruck und Schallschnelle:

I = p⋅v

(1.12)

(1.12) ist keine Definitionsgleichung, sondern ergibt sich aus dem Erhaltungssatz für die Schallenergie. Zwei idealisierte Schallfeldgeometrien spielen in der Akustik eine wichtige Rolle: Die ebene Welle und die Kugelwelle. Für eine ebene Welle ist mit (1.4) und dem Ansatz (1.6):

5

v=− ⇒

1

ρ0

∂p

p

∫ ∂x dt = ρ

0

c

Z0 = ρ0c

(1.13)

Die Impedanz ist rell, d.h. Schalldruck und Schallschnelle sind in Phase und stehen in einem konstanten Verhältnis. Die Schallintensität der ebenen Welle ist entfernungsunabhängig. Für die Intensität einer idealisierten, kugelförmig abstrahlenden Quelle (Monopol) mit der Schallleistung P, als deren Erzeuger man sich eine „atmende Kugel“ vorstellen kann, gilt mit (1.11):

I=

P 4πr 2

(1.14)

Aus der 1/r2 - Abhängigkeit für die Intensität (1.14), mit I ~ p2 aus (1.11) und (1.13) und der Annahme radial verlaufender Kugelwellen ergibt sich als Ansatz für den Schalldruck eines Monopols:

p (r , t ) =

A j ( ω t − kr ) e r

(1.15)

A: Konstante k: ω/c=2π/λ (Wellenzahl)

Wie sich die Konstante A aus den Eigenschaften des abstrahlenden Körpers ableiten lässt, soll in Kap. 4.1 in Zusammenhang mit der Schallabstrahlung wieder aufgegriffen werden. Mit (1.15.) und (1.9) lässt sich jedoch bereits jetzt für die Schallschnelle ableiten:

v(r , t ) =

A 1 1 ( + )e j (ωt − kr ) r ρ 0 c jωρ 0 r

(1.16)

Für den Wellenwiderstand gilt dann mit (1.10):

Z0 =

1

(1.17)

1 1 + ρc jωρr

Für die Schallkennimpedanz in einer Kugelwelle können somit zwei Grenzfälle unterschieden werden: (a):

1/ωρr >> 1/ρc



Z0 = jωρr

p ~ 1/r und v ~ 1/r2



r c/ω = λ/2π („Fernfeld“)

6

Z0 = ρc



p ~ 1/r und v ~ 1/r

Im Fernfeld sind Druck und Schnelle in Phase. Dies ist konsistent mit (1.11), da sich das Schallfeld eines Monopols in weiter Entfernung von der Quelle näherungsweise wie eine ebene Welle verhält. Der Wellenwiderstand ist reell und beschreibt die Last durch die Verdichtung des Mediums (Massenreaktanz).

v ~ 1/r2

v ~ 1/r

Abb. 1.2

Verlauf der Schallschnelle beim Übergang von Nahfeld zu Fernfeld

Die Grenze zwischen Nah- und Fernfeld ist somit eine frequenzabhängige Größe. Der überproportionale Anstieg der Schallschnelle im Nahfeld führt bei Mikrofonen, die als Gradienten- bzw. Schnelleempfänger ausgelegt sind, zu einer Überbetonung tiefer Frequenzen (Nahbesprechungseffekt).

7

1.2

Schallpegel

Bei Angaben zum Schalldruck wird in der Regel nicht der Schalldruck p selbst, sondern der Schalldruckpegel Lp verwendet. Es gilt

L p = 20 log

p p = 10 log( ) 2 ; p0 p0

(1.18)

„Einheit“: [dBSPL] Bezugswert ist der gerade wahrnehmbare Schalldruck bei 1 kHz: p 0 = 2 ⋅ 10

Abb. 1.3

−5

Pa

Schalldruckpegel von Alltagsgeräuschen

8

Auswendig sollte man die Logarithmen log2 ≈ 0.3 und log10 = 1 kennen. Somit führt ein Verhältnis von 2:1 beim Schalldruck auf einen Pegel von 6 dB, ein Verhältnis von 10:1 auf 20 dB. Für Größen, die zum Quadrat des Schalldrucks proportional sind, gilt ein Vorfaktor von 10:

LI = 10 log

Schallintensitätspegel

I

[dB];

I0 P LW = 10 log [dB]; P0

Schalleistungspegel

I0 = 10-12 W/m2 P0 = 10-12 W

Pegelrechnung: •

Rückrechnung:



Multiplikation:

p1 = 10

Addition:

Abb. 1.4

20

⋅ p0

(1.19)

Wegen log(ab) = loga + logb gilt L



L p1

p1p2

= Lp1 + Lp2

(1.20)

L p1+p2 muss im Amplitudenbereich gerechnet werden (→ Rückrechnung)

Hörfläche für Sprache und Musik

9

1.3

Schallausbreitung im Raum

1.3.1

Reflexion und Beugung

Das Reflexionsgesetz kann aus dem Huygens-Prinzip abgeleitet werden: „Jeder Punkt einer Welle kann als Ausgangspunkt einer neuen Kugelwelle betrachtet werden“ Bsp.: Reflexion einer ebenen Welle an einer Wandfläche

Abb. 1.5

Huygens-Prinzip: Die von links oben einfallende Wellenfront löst an der Grenzfläche Sekundärwellen aus, die sich zu reflektierten Wellenfronten überlagern. Nur für Eingangswinkel=Ausgangswinkel (α=β) überlagern sich die reflektierten Wellen konstruktiv.

Das Huygens-Prinzip liegt auch der Schallfeldreproduktion durch Wellenfeldsynthese (WFS) zugrunde, bei dem ein Lautsprecherarray (Sekundärquelle) als Sender von einzelnen Kugelwellen wirkt und dadurch das Schallfeld einer (nicht vorhandenen) Primärquelle nachbildet.

Abb. 1.6

Huygens-Prinzip (links) und Realisation durch Wellenfeldsynthese (mitte), Nachbildung virtueller Klangquellen durch WFS (rechts)

10

Im Falle der Schallreflexion an einer großen Wandfläche führt das Huygens-Prinzip auf das Reflexionsgesetz „Einfallswinkel = Ausfallswinkel“ (Abb. 1.7, links). Bei gekrümmten Oberflächen werden die einfallenden Schallstrahlen entweder gestreut (konvexe Oberflächen) oder zu einem Brennpunkt gebündelt (konkave Oberflächen, Abb. 1.7, rechts).

Abb. 1.7

Schallreflexion an ebenen (links) und gekrümmten Flächen (rechts)

Die Schallreflexion nach dem Prinzip „Einfallswinkel = Ausfallswinkel“ gilt nur, wenn die vom Schall getroffene Fläche im Verhältnis zur Schallwellenlänge hinreichend groß ist. Kommt die Dimension eines Hindernisses in die Größenordnung der Wellenlänge oder darunter, wird nur ein Teil der Schallenergie reflektiert, ein anderer Teil wird um das Hindernis gebeugt. Somit bildet sich kein klar abgrenzbarer Schallschatten mehr. Die Pegelabnahme des Schalls bei der Beugung um ein Hindernis lässt sich experimentell bestimmen (Abb. 1.8), sie lässt sich aus dem Huygens-Prinzip aber auch theoretisch ableiten.

Abb. 1.8

Pegelabnahme von Schall der Wellenlänge λ beim Empfänger E nach Beugung um ein Hindernis der Höhe heff

11

1.3.2

Stehende Wellen

Für eine ebene Welle, die senkrecht auf eine schallharte Wand auftrifft, überlagern sich hin- und rücklaufende Welle so, dass es unmittelbar vor der Wand zu einem Druckbauch und einem Schnelleknoten kommt:

Abb. 1.9

Druck und Schnelle vor einer schallharten Wand

Im Gegensatz zur fortschreitenden Welle kommt es durch die Überlagerung von hin- und rücklaufender Welle also zu ortsfesten Auslöschungen und Verstärkungen von Druck und Schnelle im Abstand von λ/4. Für Wegdifferenzen zwischen hin- und rücklaufender Welle von ∆x = kλ, d.h. Abständen von der Wand von ∆x = kλ/2 kommt es zu Druckbäuchen und Schnelleknoten. Für Wegdifferenzen zwischen hin- und rücklaufender Welle von ∆x = (2k-1)λ/2, d.h. Abständen von der Wand von ∆x = (2k-1)λ/4 kommt es zu Druckbäuchen und Schnelleknoten. Gilt dieser Abstand für zwei gegenüberliegende, parallele Wändem bildet sich ein stationärer Zustand, eine stehende Welle. Sie entsteht dann, wenn der Wandabstand ein Vielfaches von λ/2 beträgt. Aus wellentheoretischer Perspektive sind stehende Wellen sog. Eigenschwingungen eines Raums, d.h. Lösungen der homogenen SFGL (1.8) und (1.9), d.h. der SFGL ohne äußere Anregung. Bei mehrdimensionaler Betrachtung ergeben sich für einen rechteckförmigen Raum Eigenschwingungen bei den Frequenzen

f lmn = flmn: Lx, Ly, Lz:

c l m n ( )2 + ( )2 + ( )2 Ly Lz 2 Lx

(1.21)

Frequenz der lmn-Mode (l,m,n ∈ N) Wandabstand in x-, y-, z-Richtung

Ein-, zwei- und dreidimensionale Eigenschwingungen werden als axiale, tangentiale und oblique Moden bezeichnet. Für die Modenanzahl N, die sich bis zu einer Frequenz f ausbildet, gilt näherungsweise:

N =(

πS f f E f 4π V )( ) 3 + ( )( ) 2 + ( )( ) c 3 4 c 8 c

(1.22)

V: Raumvolumen S: Gesamtoberfläche E: Summe aller Kantenlängen = 4(L+B+H)

12

Abb. 1.10

Axiale, tangentiale und oblique Moden für einen Rechteckraum (9x7,5x6 m)

Die Anzahl der Moden pro Frequenzbreite ∆f und erst Recht pro Frequenzintervall ∆f/f nimmt mit steigender Frequenz zu. Probleme mit Inhomogenitäten durch im Spektrum klar separierte Eigenschwingungen treten also vor allem in kleinen Räumen und niedrigen Frequenzen auf. Eigenschwingungen treten nicht nur in Rechteckräumen, sondern auch in schiefwinkligen Räumen auf. Sie können dort jedoch nicht mehr so einfach wie in (1.21) berechnet, sondern müssen durch numerische Verfahren ermittelt werden (Abb. 1.11).

Abb. 1.11

Die (4,0,0)-Mode in einem Rechteckraum und einem schiefwinkligen Raum

Eine gleichmäßige Modenverteilung über die Frequenz lässt sich nur durch günstige Raumproportionen erreichen, insbesondere dürfen die Eigenfrequenzen verschiedener Raumdimensionen nicht zusammenfallen. Günstige Verteilungen ergeben sich für Proportionen (normiert auf die Höhe H=1) wie H/B/L =

{

1 1 1

1.14 1.28 1.60

1.39 1.54 2.33

13

1.3.3

Absorption

Bei der Behandlung stehender Wellen wurde zunächst eine ungedämpfte Wandreflexion angenommen. In Wirklichkeit verteilt sich die auf eine Wand treffende Schallenergie auf mehrere Anteile.

Ea

Ed

Er

Ew Abb. 1.12

Schallfluss bei Wandreflexionen

Ea: Auftreffende Schallenergie Er: Reflektierte Schallenergie Ed: Durchtretende Schallenergie Ew: Wandverluste durch Absorption, Körperschall u.a.

Def.: Schallabsorptionsgrad

α=

Ea − Er Ea

(1.23)

Der Schallabsorptionsgrad ist abhängig von der Schalleinfallsrichtung. Er wird messtechnisch bestimmt a.

im Kundtschen Rohr; durch Anregung mit einer ebenen Welle wird die Schallabsorption bei frontalem Schalleinfall gemessen.

Abb. 1.13 b.

Messaufbau zur Bestimmung des Absorptionsgrads im Kundtschen Rohr

im Hallraum; durch Einbringen in ein diffuses Schallfeld und Messung der Nachhallzeit (s.u. – Sabine-Formel) wird der mittlere Absorptionsgrad über alle Einfallsrichtungen bestimmt.

14

Der Schallabsorptionsgrad ist außerdem eine stark frequenzabhängige Größe. Dies erklärt sich aus den verschiedenen Absorptionsmechanismen, die in unterschiedlichen Frequenzbereichen wirksam werden.

1.3.3 .1

Poröse Absorber

Ihre Wirkungsweise beruht darauf, dass die schwingende Luft in den Poren oszilliert und dabei durch viskose Reibungskräfte Energie verliert. Dies geschieht dort am stärksten, wo die stärkste Bewegung stattfindet, also im Schnellebauch der Schallwelle. Da unmittelbar vor der Wand keine Luftbewegung stattfindet, liegt das Schnellemaximum eine Viertel-Wellenlänge von der Wand entfernt. Poröse Absorber werden wirksam, wenn die Dicke des Absorbers größer ist als eine Viertel-Wellenlänge, d.h. für

d≥

λ

(1.24)

4

d: Schichtdicke des porösen Absorbers

Allerdings gilt dies nur für senkrechten Schalleinfall. Bei schrägem Schalleinfall kann die Absorption bereits eine Oktave unter der nach (1.24) berechneten Frequenz einsetzen. Poröse Absorber (Teppiche, Vorhänge, Materialien mit rauhen Oberflächen wie Tapeten oder Sandstein) wirken als Höhenabsorber.

1.3.3.2

Resonanzabsorber

Resonanzabsorber sind schwingende Konstruktionen vom Feder-Masse-Typ. Sie lassen sich bei einer bestimmten Frequenz besonders leicht anregen und entziehen dem Luftschall dort besonders viel Energie. Die Resonanzfrequenz eines Feder-Masse-Systems liegt bei

f0 =

1 2π

D

m

(1.25)

D: Federkonstante [N/m] m: Masse [kg]

Sie liegt somit umso tiefer, je größer die schwingende Masse und je niedriger die wirksamen Rückstellkräfte sind. Bei Plattenabsorbern wirkt eine Platte (Scheibe, Folie) als Masse. Ihre Biegesteife und/oder das dahinterliegende Luftpolster bis zu einer schallharten Rückwand bilden die Feder, auf der die Platte schwingt. Die Resonanzfrequenz liegt bei

f0 =

600 m⋅d

(1.26)

m: Flächengewicht der Platte [kg/m2] d: Abstand von der Wand [cm]

Plattenabsorber wirken selektiv und vorwiegend als Tiefenabsorber. Auch natürliche Raumbegrenzungsflächen wie Fensterscheiben, Türen oder Holzparkettboden wirken als Plattenabsorber.

15

Helmholtzresonatoren sind Systeme, bei denen die Luft in einer Querschnittsverengung auf dem dahinterliegenden Luftpolster schwingt. Die Resonanzfrequenz liegt bei

f0 =

c 2π

S V (l + l i + l a )

(1.27)

S: Querschnittsfläche der Lochung V: Volumen des dahinterliegenden Luftpolsters l: Lochungslänge, i.a. Dicke der Abdeckplatte li, la: Mündungskorrekturen, die von der Geometrie der Lochung abhängen

Abb. 1.14

Schema eines Helmholtzresonators und praktische Ausführungsform

Helmholtzresonatoren wirken in der Regel als Mittenabsorber. Durch Einbringen von Strömungswiderständen oder durch verschiedene Lochgrößen in derselben Platte kann die Breite des wirksamen Frequenzbereichs erhöht werden.

1.3.4

Statistische Raumakustik Nachhall und diffuses Schallfeld

Die statistische Raumakustik nimmt eine homogene Schallenergiedichte im Raum an (diffuses Schallfeld). Dann gilt folgende Energiebilanz:

P ⋅ ∆t = V ⋅ ∆E + PV ⋅ ∆t

(1.28)

P: Zugeführte Leistung V: Raumvolumen E: Energiedichte PV: Verlustleistung

Unter der Annahme, dass der Verlust proportional zur vorhandenen Energiemenge ist, gilt

PV = γ ⋅ E ⋅ V

(1.29)

γ: Verlustkonstante

16

Für ∆t→0 folgt aus (1.28) die Differentialgleichung

dE P = −γ ⋅ E dt V

(1.30)

E (t ) = E 0 e −γt

(1.31)

Für eine zum Zeitpunkt t=0 abgeschaltete Quelle (P=0) führt (1.30) auf die Lösung

Im diffusen Schallfeld gilt

E=

p eff

2

(1.32)

ρc 2

(Ohne Herleitung). Für den Schalldruck gilt dann

p eff (t ) = p eff (0) ⋅ e −γt 2

(1.33)

und für den Schalldruckpegel

 p eff L p (t ) = 10 log  p0

Abb. 1.15

2

  = L p (0) − γt10 log e 

(1.34)

Schalldruck und Schalldruckpegel im statistischen Nachhall

Die Nachhallzeit T ist definiert als die Zeitspanne, in der der Schalldruckpegel um 60 dB abfällt. Gemessen wird dabei nur ein Pegelabfall von 30 dB und die Zeit verdoppelt. Mit den Eigenschaften des Raums (Volumen, Oberfläche, Absorptionsgrad) ist die Nachhallzeit über die Eyringsche Formel verknüpft:

17

T=

0.163 ⋅ V 4oV − S ln(1 − α m )

(1.35)

αm: Mittlerer Absorptionskoeffizient o: Luftabsorptionskoeffizient

o steigt mit der Frequenz und mit sinkender Luftfeuchtigkeit (Abb. 1.16).

Abb. 1.16:

Luftabsorptionskoeffizient

Für kleine α (α1 stehen somit für bevorzugte Abstrahlrichtungen.

Abb. 1.17

Überlagertes Schallfeld einer stationären Quelle

Literatur: Möser M (2007) Technische Akustik. 7. Auflage, Springer Verlag, Kap. 2.1 – 2.4, Kap. 7 Weinzierl S (2008) Grundlagen. In: Weinzierl S (Hrsg) Handbuch der Audiotechnik. Springer Verlag, Kap. 1 weiterführend: Kuttruff H (2000) Room Acoustics. 4. Auflage, Taylor & Francis

19

2.

Hören

2.1

Anatomie des Hörorgans

Das Ohr gliedert sich bei Säugetieren und Menschen in ein äußeres Ohr, Mittelohr und Innenohr. Das äußere Ohr umfasst die Ohrmuschel und den äußeren Gehörgang, der durch das Trommelfell vom Mittelohr abgeteilt wird. Der leicht gebogene Gehörgang (Ohrkanal) hat beim Erwachsenen eine durchschnittliche Länge von 2,3 cm und einen Durchmesser von 6-8 mm. Das Trommelfell hat einen Durchmesser von 10 mm. Das Trommelfell ist ein akustischer Druckempfänger, d.h. der Druck im Mittelohr muss dem atmosphärischen Außendruck entsprechen, was durch Druckausgleich über die eustachische Röhre erreicht wird, die vom Mittelohr in den Rachenraum reicht. Im luftgefüllten Mittelohr, auch Paukenhöhle genannt, befindet sich die Kette der Gehörknöchelchen: Hammer, Amboss und Steigbügel. Der Hammergriff ist mit dem Trommelfell verwachsen und überträgt die Schwingungen des Trommelfells auf Amboss und Steigbügel, der mit dem ovalen Fenster der Ohrschnecke im Innenohr verbunden ist.

Abb. 2.1

Anatomischer Aufbau des Ohres

Kolbenartige Bewegungen des Steigbügels auf die Bindegewebehaut des ovalen Fensters lösen wellenförmige Bewegungen der Flüssigkeit aus, mit denen die Schnecke gefüllt ist. Der Druckausgleich findet am runden Fenster statt. Die Ohrschnecke (Kochlea) mit einer „ausgerollten“ Länge von 3,2 cm ist ein über 2,5 Windungen eingerollter Schlauch, der in Längsrichtung in drei Kammern unterteilt ist, die Scala verstibuli, Scala tympani und Scala media. Auf der Basilarmembran, der Trennwand zwischen Scala Media (Schneckengang) und Scala tympani, befindet sich das Cortische Organ mit den eigentlichen Rezeptoren (Haarzellen), welche die physikalischen Vorgänge im Innenohr als Nervenimpulse an die Hirnrinde weiterleiten. Die Kochlea ist der einzige Körperteil, der bereits im pränatalen Stadium (4. bis 5. Schwangerschaftsmonat) vollständig ausgebildet ist und nach der Geburt nicht mehr wächst.

20

Abb. 2.2

Mittelohr und Ohrschnecke

2.2

Funktionen des Hörsystems

Bereits der äußere Gehörgang trägt durch Resonanzen zu einer Verstärkung von Frequenzen zwischen 2 und 4 kHz bei. Äußeres Ohr und Mittelohr, wo das Hebelsystem der Gehörknöchelchen ebenfalls eine frequenzabhängige Übertragung bedingt, sind somit für die frequenzabhängige Empfindlichkeit des Ohres verantwortlich, wie sie in der Hörschwelle zum Ausdruck kommt. Druckbewegungen am ovalen Fenster bewirken Wellen, die entlang der Basilarmembran laufen und die erstmals von Georg von Békésy als Wanderwellen beschrieben wurden (Nobelpreis 1961).

Abb. 2.3

Schematische Darstellung einer Wanderwelle auf der Basilarmembran

Aufgrund der Elastizität der Basilarmembran steilen sich diese Wellen an unterschiedlichen Orten der Basilarmembran auf. Durch hohe Frequenzen ausgelöste Wellen erreichen ihr Maximum in der Nähe des ovalen Fensters, durch tiefe Frequenzen ausgelöste Wellen in Richtung der Schneckenspitze (Helicotrema). Nach Erreichen der maximalen Amplitude fällt die Welle abrupt ab. Die Auslenkung der Basilarmembran an dieser Stelle führt zu einer Schwerbewegung der Haarzellen, die eine Öffnung der Ionenkanäle und damit die Auslösung eines Aktionspotenzials in der zugehörigen Nervenfaser zur Folge hat.

21

Abb. 2.4

Corti-Organ

Die biophysikalischen Eigenschaften der Basilarmembran bewirken also eine FrequenzOrts-Transformation im Innenohr. Leitet man die elektrische Aktivität bestimmter Fasern des Hörnervs ab, so stellt man eine besondere Empfindlichkeit jeder Faser für eine bestimmte Frequenz (Bestfrequenz) fest, d.h. einen Pegel, bei der sich die Nervenfaser über ihre Ruheschwelle hinaus zu erregen. Der charakteristische Verlauf dieser Abstimmkurven – zu hohen Frequenzen steiler als zu tiefen Frequenzen – bedingt eine entsprechende Empfindlichkeit des Gehörs für Störschall: Gegen Beeinflussung durch tieffrequente Anteile ist es schlechter geschützt als gegen Beeinflussung durch hohe Frequenzen.

Abb. 2.5

Abstimmkurven des Hörnervs: Notwendige Schallpegel zur Erregung bestimmter Nervenfasern über ihre Ruheschwelle hinaus

22

2.3

Psychometrische Methoden in der Akustik

Das Problem der Psychophysik besteht in der Angabe eines Maßes für Empfindungen. Während man bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Empfindungen nur durch Selbstbeobachtung (Introspektion) klassifizierte, gehen die Grundlagen der modernen Psychophysik auf G.T. Fechner zurück (Elemente der Psychophysik, 1860), der als Maß für die Empfindungsstärke E die (physikalisch messbare) Größe des auslösenden Reizes S benutzte. Um als Skala verwendet werden zu können, muss darüber hinaus ein Nullpunkt und eine Einheit bestimmt werden. Als Nullpunkt eignet sich die absolute Reizschwelle, die gerade eben eine Empfindung auslöst. Als Einheit schlug Fechner den ebenmerklichen Reizunterschied ∆S (just noticeable difference, JND). Nach dem empirisch gefundenen Weberschen Gesetz ist die Empfindung des Unterschiedes zweier Sinneseindrücke ∆E proportional zum Quotienten aus der Änderung der Reizintensität ∆S und der absoluten Reizintensität S.

∆E ∝

∆S S

(2.1)

Durch Integration ergibt sich das Weber-Fechnersche Gesetz:

E = k ⋅ log S + C

(2.2)

(K, C: Konstanten)

Ebenfalls auf Fechner gehen die traditionellen Untersuchungsmethoden zur Bestimmung einer Reiz-Empfindungsskala, insbesondere für die absolute Reizschwelle und die Unterschiedsschwelle, zurück, nämlich das Herstellungsverfahren, das Grenzverfahren und das Konstanzverfahren. Beim Herstellungsverfahren verändert die Versuchsperson (VP) einen Reiz so lange, bis er eine bestimmte Empfindung hervorruft. Beim Grenzverfahren werden Änderungen am Reiz durch den Versuchsleiter, nicht durch die Versuchsperson vorgenommen. So wird etwa ein Ton schrittweise leiser gemacht (absteigendes Grenzverfahren), bis ihn die VP nicht mehr hört. Eine Kombination beider Verfahren ist zum Beispiel das BékésyVerfahren zur Bestimmung der Hörschwelle mit gepulsten Sinustönen oder Dauertönen: Die Intensität der Töne nimmt kontinuierlich zu (typischerweise mit 2,5 dB/s, → aufsteigendes Grenzverfahren), bis die VP einen Knopf drückt und die Reizänderung umkehrt. Somit pendelt sich die Messkurve um die gesuchte Hörschwelle ein. Das Ergebnis der Messung wird üblicherweise als Tonschwellenaudiogramm, d.h. als Hörverlust (hearing loss) relativ zur durchschnittlichen Verlauf der Hörkurve der Gesamtpopulation für 7 Frequenzen im Oktavabstand von 125 Hz bis 8 kHz angegeben:

Abb. 2.6

Tonschwellenaudiogramm

23

Beim Konstanzverfahren werden Reize in gleichmäßiger Abstufung um die gesuchte Reizintensität verteilt dargeboten. Die Darbietung erfolgt in zufälliger Reihenfolge, sodass die Änderung der Reizintensität nicht (wie beim Grenzverfahren) vorhersehbar ist. Die Reizintensität, die von den Versuchspersonen in 50% der Fälle z.B. als „gehört“ eingestuft wird, wird als Schwellwert definiert.

Abb. 2.7

Bestimmung der Unterschiedsschwelle nach dem Konstanzverfahren PSG: Punkt subjektiver Gleichheit; UI: Unsicherheitsintervall

Durch das Konstanzverfahren lässt sich ein Schwellwert – oder bei Lautheitsvergleichen ein Punkt subjektiver Gleichheit (PSG, s. Abb. 2.7) – ermitteln. Die Streuung der Werte um diesen Schwellwert, d.h. der zufällige „Messfehler“ der Versuchspersonen analog zum Messfehler bei physikalischen Experimenten, ist darüber hinaus ein Maß für die Unterschiedsschwelle der Versuchspersonen. Beim Konstanzverfahren wird aus der Differenz der 75%- und 25%-Werte ein Unsicherheitsintervall gebildet, das halbe Unsicherheitsintervall entspricht der Unterschiedsschwelle (JND). Neben dem zufälligen Fehler treten häufig auch systematische Fehler auf, die das Ergebnis konstant in eine bestimmte Richtung beeinflussen. Solche Fehler können in der Natur der untersuchten Prozesse oder in der gewählten psychometrischen Methodik begründet sein. Methodische Probleme bei psychoakustischen Experimenten sind z.B. •

Zeitfehler Der zuletzt dargebotene Reiz wird subjektiv anders – in der Regel stärker – gewichtet.

• Maskierungseffekte

Nacheinander angebotene Reize beeinflussen sich gegenseitig, z.B. durch Verdeckung.



Ankereffekte Einflüsse durch die Verteilung der Reizintensitäten um den erwarteten Schwellwert.

• Aufmerksamkeit/Ermüdung

Nichtkonstante Aufmerksamkeit während des Versuchsablaufs, Ermüdung bei zu langer Versuchsdauer.



Habituations- und Antizipationsfehler Bei vorhersehbarem Versuchsablauf (z.B. beim Grenzverfahren) bleibt die VP zu lange bei einer Antwort (Habituation) oder nimmt einen erwarteten Wechsel der Antwort vorweg (Antizipation).

Ein genereller Mangel aller traditioneller Messverfahren ist das sog. Kriterienproblem: Die VP muss stets ein implizites Kriterium setzen, ab welcher Empfindungsstärke sie mit „ja“ (z.B. „gehört“, „lauter“) antwortet. Setzt sie ein striktes Kriterium, wird sie nur antworten, wenn sie ihrer Sache sicher ist, setzt sie ein „laxes“ Kriterium, wird sie auch bei

24

geringen Intensitäten mit „ja“ antworten, auch auf die Gefahr hin, bei einem eigentlich nicht gehörten Reiz mit „ja“ zu reagieren. Solche Antworttendenzen (response bias) hängen erfahrungsgemäß mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen zusammen, so setzen z.B. ältere Personen in der Regel ein strikteres Kriterium als jüngere. Die Antwort der VP setzt sich somit aus einem sensorischen Anteil und einem Entscheidungsanteil zusammen, die bei klassischen Verfahren unauslösbar konfundiert sind. Die moderne Psychophysik kennt zwei Lösungsstrategien für dieses Problem: • •

Die Minimierung nichtsensorischer Einflüsse (Forced-Choice-Verfahren) Die Ermittlung getrennter Maße für Empfindlichkeit und Antwortneigung (Signalentdeckungstheorie)

Bei der Anwendung von Forced-Choice-Verfahren werden zwei Beobachtungsintervalle definiert. Das Testsignal wird nur in einem Intervall präsentiert und die VP muss lediglich entscheiden, in welchem der beiden Intervalle das Signal auftrat. Sie kann somit kein eigenes Antwortkriterium setzen (z.B. eine „Jasage“-Tendenz) und im Gegensatz zu traditionellen Verfahren gibt es hier objektiv richtige und falsche Antworten. Um sich im Laufe des Versuchs der gesuchten Reizintensität anzuhähern, d.h. weder auf Rateniveau zu fallen noch in den Bereich perfekter Unterscheidungsleistungen, werden ForcedChoice-Verfahren meist mit adaptiver Reizauswahl kombiniert, d.h. die Reizintensität wird nach einer falschen Antwort erhöht, nach einer richtigen Antwort erniedrigt (einfaches Up-Down-Verfahren). Auf diese weise nähert sich die VP dem gesuchten Schwellwert.

Abb. 2.8

Schwellenmessung nach dem Forced-Choice-Verfahren mit 2-Down/1-UpRegel

In der Signalentdeckungstheorie werden psychoakustische Messungen auf „Ja/Nein“Entscheidungen zurückgeführt, bei Schwellwertmessungen etwa „gehört/nicht gehört“. Wird der VP eine große Anzahl an Versuchsdurchgängen mit und ohne Signal angeboten, gibt es vier mögliche Ergebnisse des Signalentdeckungsexperiments:

Signal kein Signal

gehört Treffer (hit) Falscher Alarm (false alarm)

nicht gehört Verpasser (miss) Korrekte Zurückweisung (correct rejection)

Aus einem Vergleich der „hit“- und „false alarm“-Raten lässt sich ein Maß für die sensorische Empfindlichkeit gewinnen; aus einem Vergleich der „miss“- und „false-alarm“-Raten,

25

also der Tatsache, ob die VP eher einen vorhandenen Ton verpasst als einen nicht vorhandenen als „gehört“ zu klassifizieren, lässt sich ein Maß für die Antwortneigung der VP extrahieren. Die zugrunde liegende statistische Theorie ist aufwendig.

2.4

Hörschwelle, Hörfeld, Frequenz- und Zeitbewertung

Das Hörfeld (Hörfläche, Abb. 1.4) ist der Bereich hörbaren Schalls. Es wird nach unten durch die Ruhehörschwelle, nach oben durch die Schmerzschwelle begrenzt und durch die Kurven gleicher Lautstärkepegel (Isophone) strukturiert. Letztere wurden zuerst von Fletcher und Munson (1933) gemessen und in der erneut von Robinson & Dadsons (1956) gemessenen Form vereinheitlicht. Die Hörschwelle, insbesondere oberhalb von 2 kHz, ist altersabhängig.

Abb. 2.9

Veränderung der Hörschwelle mit zunehmendem Alter

Wegen der frequenzabhängigen Empfindlichkeit des Gehörs taugt der Schalldruckpegel allein nicht als Maß für die subjektive Lautheit von Schallereignissen. Ein subjektives Lautheitsmaß ist das Phon, wobei der Phonpegel bei 1 kHz mit dem Schalldruckpegel übereinstimmt und ansonsten den Kurven gleicher Lautheit folgt.

Abb. 2.10

A-, B-, C- und D-Frequenzbewertungskurven

26

Üblich in der akustischen Messtechnik ist die Bewertung des gemessenen (physikalischen) Schalldruckpegels mit einer Frequenzbewertungskurve, d.h. einem Filter das die Empfindlichkeit des Gehörs simuliert. Der bewertete Schalldruckpegel wird dann mit dem Zusatz „dB(A)“ oder dBA angegeben. Die A-Kurve entspricht in etwa der Empfindlickeit des Gehörs bei 60 Phon. Die DKurve wird eingesetzt zur Bewertung von Fluglärm und enthält aufgrund der hohen Belastung durch diesen Geräuschtyp einen Aufschlag von bis zu 10 dB bei hohen Frequenzen. Schallpegelmesser überführen den Schallwechseldruck durch einen Effektivwertgleichrichter in einen Effektivwert. Bei diesem Vorgang findet auch eine Zeitbewertung statt mit unterschiedlichen Einstellungen Anstiegs- und Abfallzeit.

Zeitbewertung slow fast impulse

Anstiegszeit 1s 125 ms 35 ms

Abfallzeit 1s 125 ms 1,5 s

2.5 Lautheit und Verdeckung Ebenmerkliche Unterschiede in Amplitude und Frequenz können durch Modulation von Dauertönen ermittelt werden (Modulationsschwellen) oder durch Vergleich von Tönen, die durch eine Pause getrennt sind (Unterschiedsschwellen). Bei Modulationen reagiert das Gehör bei einer Modulationsfrequenz von 4 Hz am empfindlichsten auf Schalländerungen. Der Modulationsgrad m bezeichnet das Verhältnis

m=

Abb. 2.11

pˆ 2 pˆ 1

(2.3)

Ebenwahrnehmbarer Modulationsgrad von Weißem Rauschen bei sinusförmiger Modulation in Abhängigkeit von der Modulationsfrequenz (links) – Amplitudenmodulierte Schwingung (rechts)

Während der ebenwahrnehmbare Modulationsgrad für Rauschen pegelunabhängig ist, sinkt er für Sinustöne mit steigendem Pegel.

27

Abb. 2.12

Ebenwahrnehmbarer Modulationsgrad eines 1 kHz-Tons in Abhängigkeit vom Pegel bei einer Modulationsfrequenz von 4 Hz

Auch wenn die Phon-Skala die Empfindlichkeit des Gehörs für verschiedene Frequenzen berücksichtigt, ist es keine Verhältnisskala, aus der sich ablesen ließe, wann ein Ton als doppelt so laut oder halb so laut empfunden wird. Zu diesem Zweck wurde durch Hörversuche eine Lautheitskurve (Sone-Skala) für die Verhältnislautheit ermittelt.

Abb. 2.13

Lautheitsfunktion für einen 1 kHz-Ton (Sone-Skala)

Durch die Anwesenheit eines Klangs werden die Hörschwellen für andere Klänge verändert (Mithörschwelle). Töne und Geräusche können sich gegenseitig verdecken (Abb. 2.14). Die Mithörschwellen verläuft in der Regel zu hohen Frequenzen hin flacher als zu tiefen Frequenzen, d.h. tiefe Töne verdecken hohe besser als umgekehrt.

Abb. 2.14

Mithörschwelle eines Tones, verdeckt durch Schmalbandrauschen der Mittenfrequenz 1 kHz

28

Durch Verdeckungsexperimente wurde eine grundlegende Eigenschaft des Gehörs im Bezug auf die Frequenzanalyse ermittelt: Erhöht man die Bandbreite des auf einen zu entdeckenden Ton zentrierten Maskierungsrauschens, so steigt der zur Entdeckung des Tons notwendige Schallpegel (Mithörschwelle, Abb. 2.15). Ab einer bestimmten Bandbreite des Rauschens (400 Hz in Abb. 2.15) bleibt der zur Entdeckung notwendige Pegel konstant. Offensichtlich passiert das Störrauschen einen auf die Frequenz des Sinustons zentrierten auditiven Filter, der verhindert, dass weit von der Signalfrequenz entfernt liegende Schallanteile die Signalerkennung beeinträchtigen.

Abb. 2.15

Mithörschwelle eines 2 kHz-Tons in Abhängigkeit von der Bandbreite des maskierenden Rauschens

Die durch dieses Filter vorgegebene Analyseeinheit wird als Frequenzgruppe bezeichnet. Bei der Spektralanalyse zerlegt das Ohr komplexe Schalle in Anteile, die einer Frequenzgruppenbreite entsprechen. Die Bandbreite dieser Frequenzgruppen, die z.B. mit dem geschilderten Versuch (Abb. 2.15) ermittelt werden kann, ist näherungsweise gegeben durch ∆f = 25 + 75 (1.4 fm2 + 1)0.69

(2.3)

∆f: Bandbreite der Frequenzgruppe fm: Mittenfrequenz in kHz Nach diesem auf Zwicker zurückgehenden Modell ergeben sich für den Hörbereich 24 Frequenzgruppen mit zu hohen Frequenzen zunehmender Bandbreite. Jede Frequenzgruppe entspricht einer Region von 1.3 mm Länge auf der Basilarmembran. Verdeckung geschieht nicht nur auf der Frequenzachse sondern auch im Zeitbereich, d.h. ein Störschall kann sowohl nachfolgende Schalle als auch, wenn auch in geringerem Maße, vorangehende Schalle maskieren (Abb. 2.16).

29

Abb. 2.16

Vor- und Nachverdeckung von Sinustönen. Gestrichelt die Hörschwelle ohne Maskierung

Literatur: Ellermeier W, Hellbrück J (2008) Hören - Psychoakustik - Audiologie. In: Weinzierl S (Hrsg) Handbuch der Audiotechnik. Springer Verlag, Kap. 2.1 – 2.2 Möser M (2007) Technische Akustik. 7. Auflage, Springer Verlag, Kap. 1 weiterführend: Gelfand SA (2004) Hearing. An Introduction to Psychological and Physiological Acoustics. 4. Auflage, Marcel Dekker

30

3.

Elektroakustische Wandler I: Mikrofone

Mikrofone wandeln Schallfeldgrößen (Druck, Schnelle) in Spannung, indem sie eine schwingungsfähig montierte Membran einer durch das Schallfeld einwirkenden Kraft exponieren. Mikrofone werden unterschieden durch ihr • Empfängerprinzip Bedingt durch Konstruktion von Kapsel und Einbau der Membran reagieren Mikrofone entweder auf den Schalldruck (Druckempfänger) oder auf den Druckgradienten (Gradientenempfänger) bzw. die Schallschnelle (Schnelleempfänger). Das Empfängerprinzip hat Auswirkungen auf Richtcharakteristik, Nahfeldverhalten und Frequenzgang. • Wandlerprinzip Anhand des Prinzips der mechanisch-elektrischen Wandlung unterscheidet man u.a. elektrostatische, elektrodynamische und piezoelektrische Wandler, um nur einige der gebräuchlichsten zu nennen. Das Wandlerprinzip hat Auswirkungen auf den Frequenzgang und die elektrischen Kenngrößen des Mikrofons.

3.1

Mechanischer Teil

Die Membran ist ein schwingungsfähiges Element. Falls der lineare Bereich von Rückstellkraft und Reibungskraft nicht überschritten wird, gilt das Newtonsche Gesetz

F = m⋅a + r ⋅v + D⋅ x

(3.1)

m: schwingende Masse r: Reibungswiderstand D: Rückstellkraft (Federsteife)

Die Rückstellkraft besteht aus der Federsteife der Einspannung und der Steife des hinter der Membran eingeschlossenen Luftpolsters. Für harmonische Zeitverläufe – und alle hier interessierenden Zeitverläufe lassen sich als Überlagerung von Sinusfunktionen darstellen – gilt

{

}

F (t ) = Re Fˆ ⋅ e jωt bzw. x(t ) = Re xˆ ⋅ e jωt

(3.2)

F = m ⋅ &x& + r ⋅ x& + D ⋅ x bzw. F = m ⋅ v& + r ⋅ v + D ⋅ ∫ vdt

(3.3)

{

}

Die Kraftgleichung

geht dann über in die Form

31

F = (−ω 2 m + jωr + D) ⋅ x D F = ( jωm + r + )⋅v jω

bzw.

(3.4)

Welche Ursache die auf die Membran wirkende Kraft F hat, hängt vom Empfängerprinzip ab (S. Abschnitt 3.2). Auf eine einseitig dem Schallfeld ausgesetzte Membran wirkt der Schalldruck p und es gilt

F = p⋅S

(3.5)

S: Membranfläche

Auf eine von beiden Seiten dem Schallfeld zugängliche Membran wirkt der Druckunterschied zwischen Vorder- und Rückseite der Membran und es gilt

F =S⋅

∂p ⋅ ∆x ∂x

Für harmonische Verläufe der Form p ( x, t ) = pˆ e

ω  ∂p    = k ⋅ pˆ = ⋅ pˆ c  ∂x  max

(3.6)

j (ωt − kx )

gilt (3.7)

bis zu einer Frequenz fü, die durch die Wegdifferenz ∆x zwischen Vorder- und Rückseite gegeben ist.

Abb. 3.1

Frequenzgang eines Druckgradientenempfängers mit 25 mm Wegdifferenz zwischen Vorder- und Rückseite der Membran

Die Wegdifferenz zwischen Vorder- und Rückseite wird daher sinnvollerweise so festgelegt, dass sie der halben Wellenlänge der höchsten zu übertragenden Frequenz entspricht.

32

Die Frequenzgänge für den Druckempfänger sind entsprechend

x S = p ( D − ω 2 m) 2 + ω 2 r 2

(3.8)

für den Ausschlag x der Membran und

v = p

S (

D

ω

(3.9)

− ω ⋅ m) 2 + r 2

für die Schnelle v. In logarithmischer Auftragung erscheinen die Proportionalitäten mit ω oder mit 1/ω durch Geraden mit einer Steigung von 6 dB/Oktave (Abb. 3.2). Für den Gradientenempfänger dreht sich die Kurve wegen

 ∂p    ∝ ω ⋅ pˆ um 6 dB/Oktave „nach links“.  ∂x 

Abb. 3.2

Frequenzgang für den Ausschlag (links) und die Schnelle (rechts) einer Mikrofonmembran bei gegebenem Druck (ausgezogen) und gegebenem Druckgradienten (gestrichelt)

3.2

Empfängerprinzip und Richtcharakteristik

3.2.1

Druckempfänger

Kennzeichen ist ein von der Membran abgeschlossenes Luftvolumen. Die Membran wird durch die dem statischen Luftdruck überlagerten Schalldruckschwankungen so weit ausgelenkt bis die Druckänderung in der Kapsel und die Spannung der Membran dem äußeren Druck das Gleichgewicht bieten.

33

p0+p≈

p0

Kapillare

Abb. 3.3

Prinzip des Druckempfängers

Um langsame Schwankungen des äußeren Luftdrucks auszugleichen, ist eine Ausgleichskapillare vorgesehen (Abb. 3.3). Druckempfänger sind bei tiefen Frequenzen allseitig gleich empfindlich. Bei hohen Frequenzen, sobald die Wellenlänge in die Größenordnung des Membrandurchmessers kommt, macht sich die Ortsabhängig des Schalldrucks auf der Membranoberfläche bemerkbar. Die auf die Membran wirkende Kraft ergibt sich allgemein durch Druckintegration über die Oberfläche S der Membran:

F = ∫ pdS

(3.10)

S

Bei kleinen Wellenlängen und schrägem Schalleinfall treten auf der Membran Regionen mit gegenphasigen Anteilen auf, wodurch die Membrankraft für bestimmte Einfallsrichtungen zu Null werden kann.

Abb. 3.4

Richtcharakteristik durch die integrierende Wirkung des Druckempfängers für verschiedene Verhältnisse von Wellenzahl k und Radius b einer kreisförmigen Membran: kb=2.5 (links), kb=5 (mitte), kb=10 (rechts)

34

Gängig sind Membrandurchmesser von 1.5-2 cm (Kleinmembranmikrofone) bis 2.5 cm (Großmembranmikrofone).

3.2.2

Gradientenempfänger

Kennzeichen ist eine von beiden Seiten dem Schallfeld ausgesetzte Membran, deren Bewegung durch den Druckunterschied (Gradient) von Vorder- und Rückseite ausgelöst wird. Für eine frei im Schallfeld befindliche bzw. symmetrisch aufgebaute Membran ergibt sich eine achtförmige Richtcharakteristik (Abb. 3.5 mitte). Indem der Druckausgleich auf der Membranrückseite durch sog. akustische Laufzeitglieder (Schallkanäle, akustische Reibungswiderstände) verzögert bzw. behindert wird, lassen sich andere Richtcharakteristiken erreichen (Abb. 3.5 rechts).

p(x1)

p(x2)

Abb. 3.5

Prinzip des Druckgradientenempfängers (links) - Mit Gradientenkapseln erreichbare Richtcharakteristiken (rechts)

3.2.3

Richtwirkung von Mikrofonen

Die Richtwirkung von Mikrofonen lässt sich als Überlagerung eines Druck- und eines Gradientenanteils beschreiben. Für den Übertragungsfaktor s (Def. s.u.) gilt dann s(θ) = A + Bcosθ

(3.11)

A: Druckanteil B: Gradientenanteil

mit der Normierung s(0°) = 1 und A + B = 1. Auch wenn prinzipiell jedes Verhältnis von Druck- und Gradientenanteil konstruktiv realisiert werden könnte, gibt es eine Reihe gängiger, standardisierter Richtcharakteristiken, die es erlauben, das Richtverhalten unbekannter Mikrofone im Voraus einzuschätzen. Sie reichen vom reinen Druckempfänger (Kugel) bis zu Mikrofonen mit zunehmendem Gradientenanteil von der „Breiten Niere“ bis zur „Acht“ (Tab. 3.1). Aus der Mikrofongleichung nach (3.11) ergeben sich eine Reihe von Kenngrößen für das Richtverhalten, die für die Praxis der Mikrofonaufnahme von Bedeutung sind. Dazu gehören:

35



Seitwärtsdämpfung [20 log s(90°)] und Rückwärtsdämpfung [20 log s(180°)]



Auslöschwinkel [θ so dass s(θ)=0]



Bündelungsgrad γ (Directivity Factor) Er gibt an, um wieviel die über alle Einfallsrichtungen aufgenommene Schalleistung des Mikrofons größer wäre, wenn das Mikrofon bei gleichem Übertragungsfaktor Kugelcharakteristik hätte.



Relativer Abstandsfaktor DSF (Distance Factor) Gibt an, in welchem Verhältnis ein Mikrofon weiter von der Schallquelle entfernt aufgestellt werden kann als ein Kugelmikrofon bei gleichem Verhältnis von Direktschall und Diffusschall.

Kugel

Breite Niere

Niere

Superniere

Hyperniere

Acht

Omnidirectional

Sub-Cardioid

Cardioid

Super-Cardioid

Hyper-Cardioid

Bidirectional

A

1

0,66

0,5

0,37

0,25

0

B

0

0,33

0,5

0,63

0,75

1

s (0°)

1

1

1

1

1

1

Seitendämpfung

0 dB

-3,5 dB

-6 dB

-8,7 dB

-12 dB

- ∞ dB

Rückwärtsdämpfung

0 dB

-9,5 dB

- ∞ dB

-11,4 dB (∅)

-6 dB (∅)

0 dB

θ (-3 dB)

+/- 83°

+/- 65°

+/- 57°

+/- 52°

+/- 45°

θ (-6 dB)

+/- 120°

+/- 90°

+/- 78°

+/- 70°

+/- 60°

Auslöschwinkel ψ

-

-

+/- 180°

+/- 125°

+/- 110°

+/- 90°

Bündelungsgrad γ

1

2,1

3

3,7

4

3

Distance Factor

1

1,4

1,7

1,9

2

1,7

Tab. 3.1

Gängige Richtcharakteristiken von Mikrofonen

∅: Phasengedreht

Die tatsächliche Richtcharakteristik weicht, vor allem bei höheren Frequenzen, mehr oder weniger stark von der idealen Richtcharakteristik nach (3.11) ab. Gründe sind zum einen die – bereits beim Druckempfänger angesprochene – „integrierende“ Wirkung der Membran über ihre Oberfläche (3.10) sowie eine durch Abschattung und Druckstau vor der Membran hervorgerufene Richtwirkung bei hohen Frequenzen.

3.2.4

Akustische Störeffekte

Für Wellenlängen, die in die Größenordnung der Mikrofonabmessungen kommen, stellt das Mikrofon ein akustisches Hindernis dar: Auftreffender Schall wird ganz oder teilweise reflektiert. Schallwellen, die frontal auf die Membran auftreffen, üben als Folge des Druckstaus eine um bis zu 6 dB größere Kraft auf die Membran aus. Seitlich oder rückwärtig einfallende Schallwellen werden durch die Kapsel abgeschattet. Beide Effekte führen somit zu einer Erhöhung der Richtwirkung bei hohen Frequenzen.

36

Gradientenempfänger weisen außerdem eine erhöhte Empfindlichkeit für tiefe Frequenzen auf (Nahbesprechungseffekt) als Folge des Verlaufs von Gradient und Schnelle im Nahfeld (s. (1.16) und Abb. 1.2).

37

3.3

Elektrischer Teil

3.3.1

Kontaktmikrofon & Kohlemikrofon

Erster elektroakustischer Wandler war das von Philip Reis 1861 vorgestellte Kontaktmikrofon. Eine dem Schallfeld ausgesetzte Membran berührte im Ruhezustand gerade einen am Gehäuse befestigte Kontakt, sodass über einen äußeren Lastwiderstand ein Gleichstrom I floss. Durch die im äußeren Schallfeld zu Schwingungen angeregte Membran wurde der Kontakt zusätzlich angedrückt bzw. ganz unterbrochen. Die Schallwandlung war somit ausgesprochen nichtlinear, die Nulldurchgänge wurden jedoch richtig übertragen, was – wie wir heute wissen – ausreicht, um Sprache zu verstehen.

Abb. 3.6

Prinzip des Kontaktmikrofons (links) und Verlauf von Membranausschlag ξ und Strom i

Eine Weiterentwicklung war das Kohlemikrofon, das anstatt eines einzelnen Kontakts einen zwischen Membran und Gegenelektrode eingebrachten Kohlegrieß benutzte, dessen ohmscher Widerstand durch den auf den Kohlegrieß ausgeübten Druck moduliert wurde. Das Kohlemikrofon war bis Anfang der 30er Jahre, also auch in der Frühzeit des Rundfunks (regelmäßiger Sendebetrieb in Deutschland seit 1923) und des Tonfilms (kommerzielle Verbreitung seit 1927) der am weitesten verbreitete Mikrofontyp.

Abb. 3.7

Prinzip des Kohlemikrofons (links) und Verlauf der Klemmenspannung

3.3.2

Dynamisches Mikrofon

Elektrodynamische Mikrofone nutzen zur Wandlung die magnetische Induktion: Wird ein elektrischer Leiter in einem Magnetfeld senkrecht zu den magnetischen Feldlinien bewegt, wird eine Spannung induziert. Eine verbreitete Bauart ist das Tauschspulmikrofon, bei dem eine an der Membran befestigte Spule in den Luftspalt eines Permanentmagneten eintaucht. Dabei ist

38

Ui = Blv

(3.12)

Ui: Induktionsspannung B: magn. Induktion im Luftspalt l: Leiterlänge v: Membranschnelle

Permanentmagnet

Schwingspule und Membran

Abb. 3.8

Prinzip des Tauschpulmikrofons

Das Mikrofon kann somit als Spannungsquelle betrachtet werden mit U = Blv – (Ri+jωL)I

(3.13)

Ri, L: Ohmscher, induktiver Innenwiderstand

Wird der Kreis mit dem Lastwiderstand Ra geschlossen, ergibt sich mit I = U/Ra:

U=

Ra Bl ⋅v R a + R i + jω L

(3.14)

als Zusammenhang zwischen Wandlerspannung und Membranschnelle (elektrisches Prinzip). Mit (3.4) und (3.5) folgt somit für den Übertragungsfaktor U/p:

Ra BlS U = p ( jωm + r + s )( jωL + Ri + Ra ) jω

Abb. 3.9

(3.15)

Übertragungsmaß des Tauchspulmikrofons

39

Der Frequenzgang des Übertragungsmaßes Gup = 20log(U/p) weist somit bis zur mechanischen Resonanzfrequenz

ω = sm

einen Anstieg mit ω (entsprechend 6 dB/Oktave im

Pegel) auf, oberhalb der Resonanz einen Abfall mit –6 dB/Oktave. Oberhalb der elektrischen Knickfrequenz ω=R/L, die in der Praxis stets höher als die mechanische Resonanzfrequenz liegt, wächst der Abfall auf –12 dB/Oktave. Der Frequenzgang, der auf den ersten Blick unbrauchbar erscheint, wird durch eine Reihe von konstruktiven Maßnahmen „begradigt“. Zum einen wird die Breite des Resonanzgipfels durch zusätzliche Reibungswiderstände (absorbierende Stoffe mit großen Reibungsoberflächen) erhöht, gleichzeitig wird der Luftraum im Gehäuse in verschieden große Volumina unterteilt, die durch Schläuche mit der für die Membran wirksamen Luftsteife verbunden sind, und deren Hohlraumresonanz zugunsten der Linearisierung des Frequenzgangs abgestimmt wird (Abb. 3.10).

Abb. 3.10

Schematischer Aufbau des Tauchspulmikrofons

3.3.3

Kondensatormikrofon

Beim Kondensatormikrofon bildet die dünne, bewegliche Membran und die in geringem Abstand fest montierte Gegenelektrode einen Kondensator, dessen Kapazität durch die Membranauslenkung x moduliert wird.

Abb. 3.11

Prinzip des Kondensatormikrofons

40

Im Ruhezustand gilt für die Kapazität eines Kondensators mit dem Plattenabstand d

C0 ∝

1 d

(3.16)

Wird der Membranabstand um die Auslenkung x verändert, gilt

C∝

1 d−x

(3.17)

Da die Proportionalitätskonstante in (3.16) und (3.17) gleich ist, folgt daraus

C = C0

1 1− x

(3.18)

d

Am Kondensator liegt eine Gleichspannung U0 an, die Ausgangsspannung U wird über einen ohmschen Widerstand R abgegriffen. U0 liegt typischerweise zwischen 20 und 200 V, bei Studiomikrofonen zwischen 40 und 100 V. Für die Kondensatorspannung gilt

UC =

Q Q = (1 − x ) d C C0

(3.19)

und für die Ausgangsspannung

U =U0 −UC

(3.20)

Die durch die Auslenkung x bedingte Kapazitätsänderung führt auch zu einer Modulation der Ladung auf den Platten:

Q = Q0 + q Mit Q0=U0C0 und

(3.21)

q = ∫ Idt ergibt sich

U =U0 −

Q C

(Maschenregel)

= U 0 − (Q0 + q ) =U0

1 (1 − x ) d C0

1 x − ⋅I d jω C 0

(3.22)

(Bei Vernachlässigung des quadratischen Terms, d.h. für q1/RC0 fließt somit nahezu kein Strom im Kreis, mit Q≈Q0 folgt daher aus (3.19) näherungsweise

41

U =U0

x d

(3.23)

Für den Übertragungsfaktor Gup des Kondensatormikrofons als Druckempfänger gilt mit (3.22), (3.4) und (3.5):

U R⋅I ⋅S Gup = = = p F

RS

U0

d

1 (−ω m + jωr + D)( + R) jωC 0

(3.24)

2

Der Frequenzgang ist somit ein Bandpass, der zu tiefen Frequenzen durch die elektrische Knickfrequenz ω=1/RC0 begrenzt, die sehr tief, typischerweise bei etwa 10 Hz gelegt wird. Zu hohen Frequenzen wird der lineare Bereich durch die mechanische Resonanzfrequenz der Kapsel begrenzt, die typischerweise bei 8-15 kHz liegt.

Abb. 3.12

Frequenzgang des Kondensatormikrofons

Als Membranmaterial wird in der professionellen Studiotechnik heute vornehmlich goldbeschichtetes Polyester verwendet oder goldbeschichtetes PVC (Polyvenylchlorid), sowie Nickel, Aluminium oder Stahl. Die verwendete Dicke variiert je nach Material zwischen ca. 1 bis 10 µm, der Durchmesser liegt bei Großmembrankapseln im Bereich um 25 mm (1“), bei Kleinmembrankapseln um 13 mm (½“). Die erreichten Übertragungsfaktoren liegen in einem Bereich von 1-50 mV/Pa. Die Betriebsspannung für den Kondensator kann entweder durch eine Batterie oder durch externe Zufuhr geliefert werden. Im Audiobereich hat sich die sog. Phantomspeisung durchgesetzt.

42

Abb. 3.13

Phantomspeisung für Studiomikrofone

Die Phantomspeisung nach DIN 45596 mit 48 V Gleichspannung wird gleichzeitig über beide Tonadern und über den Kabelschirm dem Mikrofon zugeführt. Die Spannung liegt zwischen beiden Tonadern und dem Kabelschirm, zwischen den Tonadern selbst liegt keine Potentialdifferenz. Auch dynamische Mikrofone (in symmetrischer Leitungsführung!) können daher angeschlossen werden, ohne dass die Versorgungsspannung abgeschaltet werden muss.

3.3.3

Elektretmikrofon

Kondensatormikrofone können auch als sog. Elektret-Mikrofone gefertigt werden. Dabei wird ein dauerpolarisiertes Material auf Gegenelektrode oder Membran aufgebracht. Dieses so genannte Elektret (z. B. durch Elektronenbeschuss polarisierte Teflonfolie), welches als elektrostatisches Äquivalent eines Permanentmagneten angesehen werden kann, macht die Bereitstellung einer externen Polarisationsspannung entbehrlich. Während man bei einer Elektretmembran materialabhängigen Limitierungen bei der akustischen Abstimmung der Kapsel unterworfen ist, hat eine elektretbeschichtete Gegenelektrode keinen solchen Nachteil. Daher wird heute in der Regel die letztere, so genannte „BackElektret“-Technologie angewandt.

3.3.4

Kristall- oder Piezowandler

Kristallmikrofone arbeiten mit dem in verschiedenen Kristallen, Keramiken und Kunststoffen auftretenden piezoelektrischen Effekt. Im Piezomikrofon ist die Membran starr mit dem Kristall verbunden. Wird der Kristall verformt, so gibt er eine Spannung U ab mit

U =δ ⋅ x

(3.25)

δ ist der materialabhängige, sog. piezoelektrische Koeffizient. Falls die Auslenkung x der Membran weitgehend proportional zur Verformung des Materials ist, können durch Kristallwandler einfache und billig herzustellende Mikrofone realisiert werden, wie sie z.B. in Telefonen zum Einsatz kommen. In der Audiotechnik findet man Piezowandler auch als Körperschallabnehmer, die als pickup z.B. bei Kontrabässen und Gitarren verbreitet sind.

43

3.4

Besondere Bauformen

3.4.1

Doppelmembranmikrofone

Kondensatormikrofone mit umschaltbarer Richtcharakteristik in DoppelmembranBauweise besitzen auf beiden Seiten der Gegenelektrode eine Membran. Sie bilden ein System mit zwei Kapseln in Nierencharakteristik, die in entgegengesetzte Richtungen ausgerichtet sind. Durch entsprechende Beschaltung lassen sich die beiden Mikrofonsignale einzeln schalten oder mit unterschiedlicher Polarität addieren, wodurch alle gängigen Charakteristiken wie Kugel, Niere oder Acht erreicht werden. Großmembranmikrofone mit umschaltbarer Richtcharakteristik (z.B. Neumann U47, U87, TLM170) gehören zu den am weitesten verbreiteten Mikrofontypen in der professionellen Studiotechnik.

Abb. 3.14

Kondensatormikrofon in Doppelmembran-Bauweise: Kapsel (links) und Beschaltung (rechts)

3.4.2

Grenzflächenmikrofone

Auch: Pressure Zone Microphone (PZM) oder Boundary Layer Microphone (BLM). Bei einem Grenzflächenmikrofon ist die Membran bündig in die Oberfläche einer Platte eingesetzt. Die Platte bildet zusammen mit der Fläche, auf die sie aufgebracht wird (meist der Boden, seltener Seitenwände oder andere Flächen wie die Innenseite eines FlügelDeckels) eine Schallreflexionsfläche, an deren Oberfläche eine Drucküberhöhung (Druckstau) von +6dB vorliegt. Dies gilt dann, wenn die Ausdehnung der Reflexionsfläche mindestens in der Größenordnung der Wellenlänge liegt. Da sich das Mikrofon zudem für alle Frequenzen stets im Druckbauch befindet (vgl. 1.3.2), treten keine Probleme mit den ortsabhängigen Druckmaxima und -minima stehender Wellen im Raum auf.

Abb. 3.15

Aufbau eines Grenzflächenmikrofons

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3.4.3

Richtrohrmikrofone

Bei Richtrohrmikrofonen (Interferenzempfänger, Shotgun Microphone) wird ein Rohr mit seitlichen Öffnungen vor einen Gradientenempfänger aufgesetzt. Seitlich eintreffender Schall wird zum Teil durch die Öffnungen in das Rohr hineingebeugt und interferiert mit Schallwellen, die die Membran mit kleinerem oder größerem Umweg erreichen. Durch Auslöschungen wird daher seitlich einfallender Schall bedämpft, während frontal auf das Rohr treffender Schall nicht behindert wird. Dadurch erhöht sich die Richtwirkung des Gradientenempfängers zu einer keulenförmigen Charakteristik. Typische Anwendungsbereiche sind Film- und Fernsehproduktionen, wo Schallquellen aus optischen Gründen nicht aus der Nähe aufgenommen werden können.

Abb. 3.16 (rechts)

Aufbau eines Richtrohrmikrofons (links), Richtcharakteristik bei 4 kHz

3.5

Messwerte und Datenblatt

Folgende Kennwerte sind üblich, um Mikrofone durch Herstellerangaben in Datenblättern oder bei elektroakustischen Messreihen zur charakterisieren. Übertragungsfaktor, Übertragungsmaß Quotient aus eff. Ausgangsspannung und eff. Schalldruck am Ort des Mikrofons, wenn das Mikrofon aus dem SF entfernt ist, meist bei 1000 Hz gemessen und angegeben in mV/Pa. Man unterscheidet den Leerlauf- und Betriebsübertragungsfaktor, je nachdem, ob mit sehr hochohmigem Abschluss oder mit betriebsmäßigem Abschluss (Nennabschlussimpedanz, s.u.) gemessen wird. Das Übertragungsmaß ist der Pegel des Übertragungsfaktors (der 20fache Zehnerlogarithmus), bezogen auf einen nicht festgelegten Bezugswert. Nennimpedanz, Nennabschlussimpedanz Die Nennabschlussimpedanz ist der Mindest-Abschlusswiderstand, also die höchste zulässige Belastung, für die das Mikrofon ausgelegt ist. Üblich sind Werte zwischen 200 und 1000 Ω. Die Nennimpedanz ist der Quell- bzw. Innenwiderstand, d.h. der an die Klem-

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men angelegten Spannung und dem dabei fließenden Strom bei Belastung mit der Nennabschlussimpedanz. Üblich sind Werte zwischen 150 und 200 Ω. Frequenzgang Verlauf des Übertragungsmaßes über der Frequenz bei frontal einfallendem Schall. Da dies in der Praxis nur Direktfeld bzw. im Freifeld gegeben ist, wird der in Datenblättern verzeichnete Frequenzgang auch als Freifeldfrequenzgang bezeichnet. Der Diffusfeldfrequenzgang, d.h. der über alle Schalleinfallsrichtungen gemittelte Frequenzgang, wird üblicherweise nicht angegeben. Mikrofone mit linearem Diffusfeldfrequenzgang weisen jedoch im Freifeld, d.h. aus 0°-Einfallsrichtung, eine Überhöhung von 6-8 dB bei einer Frequenz (je nach Kapselgröße) von 8-12 kHz aufgrund des Druckstaus vor der Membran und der Abschattung durch die Kapsel auf. Grenzschalldruckpegel Der Pegel des einwirkenden Schalls, bei dem das Ausgangssignal des Mikrofons ein definiertes Maß an nichtlinearer Verzerrung erreicht. Üblicherweise sind dies 0,5 % Gesamtklirrfaktor, es werden aber auch Werte von 1 % oder (bei modernen Röhrenmikrofonen) ein zusätzlicher Wert für 3 oder gar 5 % angegeben. Die Angabe bezieht sich i. d. R. auf 1 kHz, darüber hinaus können zusätzliche Angaben für andere Frequenzen – üblicherweise 40 Hz und 5 kHz – gemacht werden. Ersatzgeräuschpegel Für die Angabe von Störspannungen existieren diverse Größen mit jeweils unterschiedlichen Frequenzbewertungen. Die als Effektivwert in µV angegebene Eigenstör- oder Fremdspannung wird heute praktisch nicht mehr in Datenblättern erwähnt. Die so genannte Geräuschspannung, auch als Fremd- oder bewertete Störspannung bezeichnet, wird entweder als nach der Bewertungskurve von DIN 45405 / CCIR-Empfehlung 468-3 gewichteter Quasi-Spitzenwert oder aber als nach der „A-Kurve“ von DIN IEC 651 gewichteter Effektivwert berechnet. Die zugehörigen logarithmischen Maße sind der auf 1 V bezogene Geräusch- oder bewertete Störpegel in dBV bzw. dBu. Während der Geräuschspannungs- oder -pegelabstand in der Studiotechnik allgemein als Differenz zwischen Aussteuerungsgrenze und bewertetem Störpegel definiert ist, gilt für die Berechnung bei Mikrofonen die Differenz zwischen dem Übertragungsmaß (also dem Pegel, den das Mikrofon bei 1 Pa abgibt) bei 1 kHz und dem bewerteten Störpegel. Die Angabe erfolgt entweder mit auf 1 V bezogenem Übertragungsmaß und nach CCIR 468-3 bewertetem Störpegel in dB bzw. dBqps oder mit auf 0,775 V bezogenem Übertragungsmaß und nach DIN IEC 651 bewertetem Störpegel in dB(A). Die Größe „Ersatzgeräuschpegel“ oder „-lautstärke“ gibt den Schalldruckpegel an, der am Mikrofon eine Ausgangsspannung verursachen würde, die dessen bewerteter Störspannung äquivalent ist. Sie berechnet sich aus der Differenz zwischen dem Bezugspegel von 94 dB (1 Pa) und dem Geräuschspannungsabstand, wobei die Angabe ebenfalls mit CCIR- oder A-bewertetem Störpegel erfolgen kann. Dieser wird u. a. auch als A-bewerteter Äquivalentschalldruckpegel angeführt. Dynamikumfang Der Dynamikumfang des Mikrofons ist die Differenz zwischen Grenzschalldruck- und Ersatzgeräuschpegel, wiederum nach CCIR- und A-Bewertung. Für die Gewichtung nach der „A-Kurve“ ergeben sich jeweils um ca. 10 dB bessere Werte, je nach Rauschspektrum kann der Unterschied auch einige dB kleiner oder größer sein.

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Tab. 3.2 zeigt die den Datenblättern der Hersteller entnommenen technischen Daten der gängigsten Kondensatormikrofone im Audiobereich.

Tab. 3.2

Mikrofon-Daten von Kondensatormikrofonen (Zusammenstellung von E. Sengpiel, www.sengpielaudio.com)

Literatur: Schneider M (2008) Mikrofone. In: Weinzierl S (Hrsg) Handbuch der Audiotechnik. Springer Verlag, Kap. 7 Möser M (2007) Technische Akustik. 7. Auflage, Springer Verlag, Kap. 11.1 – 11.3

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4. Elektroakustische Wandler II: Lautsprecher 4.1 Grundlagen der Schallabstrahlung: Monopolquellen Für das (örtliche) Schallfeld einer radial nach außen laufenden Kugelschallwelle lautet der die Wellengleichung erfüllende Ansatz (vgl. 1.15):

p (r ) =

A − jkr e . r

(4.1)

Ein solches rotationssymmetrisches, kugelförmiges Schallfeld bezeichnet man auch als Monopolfeld und den dazugehörigen Schallstrahler als Strahler 0.ter Ordnung. Anschaulich lässt sich ein solcher Strahler als „atmende Kugel“ vorstellen, ähnlich einem Luftballon der sich periodisch mit Luft füllt und wieder entspannt. Ein solcher Strahler wird vollständig durch die auf seiner Oberfläche angetroffene Schnelle beschrieben. Diese Schnelle ist an jedem Punkt der gedachten Hüllfläche gleich. Die Ausrichtung der Schnellevektoren ist jeweils normal zur Hüllfläche. Der bisher unbekannte Proportionalitätsfaktor A kann nun mithilfe des sog. akustischen Trägheitsgesetzes (vgl. Kapitel 1.1) aus der Schnelle an der Kugeloberfläche hergeleitet werden. Es galt:

ρ

∂v ∂p =− . ∂t ∂r

(4.2)

Angewendet auf harmonische Zeitsignalverläufe, kann man mit

∂v = jωv ∂t

(4.3)

folgende Bedingung für die radiale Schnelle aufstellen:

v=

j ∂p . ωρ ∂r

(4.4)

Unter Anwendung der Kettenregel können wir den Schalldruckverlauf in (4.1) nun also differenzieren und erhalten für die Schnelle

v=

j  e − jkr A . 1 −  ρc  kr  r

(4.5)

Auf der Oberfläche einer Kugel mit dem Durchmesser r=a liegt die Schnelle v=va vor. Damit bestimmen wir den Faktor A für den Fall der bekannten Hüllflächenschnelle va zu:

A = ρc ⋅ v a ⋅

a j 1− ka

e − jka .

(4.6)

48

Nehmen wir an, dass die beschriebene Quelle immer klein im Vergleich zu den von ihr abgestrahlten Wellenlängen ist, d.h.

ka = 2π

A = jωρv a a 2

a

λ

« 1, können wir (4.6) näherungsweise als (4.7)

schreiben, und damit in das Schallfeld des Monopolstrahlers einsetzen:

p(r ) = jωρv a a 2

e − jkr . r

(4.8)

Wie man an (4.8) sieht, verursacht die Schallabstrahlung eine zeitliche Differenzierung der Oberflächen- bzw. Membranschnelle des Strahlers:

p(r ) ~ jωv =

∂v . ∂t

(4.9)

Das bedeutet direkt, dass Schallvorgänge die mit plötzlichen Änderungen der Schallschnelle einhergehen bedeutend lauter ablaufen als solche mit kontinuierlichen Schnelleänderungen (z.B. beim plötzlichen bzw. langsamen Öffnen einer Sektflasche). Auch wenn die „atmende Kugel“ eine Idealisierung darstellt, lässt sich das so beschriebene Schallfeld näherungsweise zur Beschreibung aller Strahler anwenden mit kleinen Abmessungen im Vergleich zur abgestrahlten Wellenlänge. Solche Quellen, deren Schallerzeugung physikalisch auf dem Ausstoßen (z.B. Autoauspuff) oder periodischem Aus- und Einsaugen (Lautsprecher im tieffrequenten Betrieb) von Luftvolumen beruht, nennt man auch Volumenquellen. Als quellbeschreibende Größe führen wir den Volumenfluss Q ein, dieser wird von der Strahlerschnelle v durch die gedachte Öffnungs- oder Hüllfläche S befördert:

Q = ∫ v∂S . S

(4.10)

Für die atmende Kugel mit der Oberfläche kann der Volumenfluss

Q = v a ⋅ 4πa 2

(4.11)

schließlich in (4.8) eingesetzt werden

jωρ e − jkr p(r ) = Q . 4π r

4.2

(4.12)

Dipolquellen

Das zusammengesetzte Schallfeld zweier gegenphasiger Monopole ergibt ein Dipolschallfeld. In der Praxis kommt dies recht häufig vor. So arbeiten im Ganzen schwingende Flächen, z.B. im Fahrtwind vibrierende Außenspiegel oder tieffrequent betriebene Lautsprechermembranen ohne Gehäuse als Dipole.

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Abb. 4.1

Modell für eine akustische Dipolquelle

Die Darstellung als gegenphasig schwingende Monopolquellen, führt auf eine nicht richtungsunabhängige Schallabstrahlung. Ein leicht vorzunehmendes Hörexperiment verdeutlicht dies: Man schlage ein Stimmgabel an, halte sie senkrecht mit den beiden Enden vor ein Ohr und drehe sie langsam um sich selbst. In Abhängigkeit von der Ausrichtung der Stimmgabel-„pole“ lassen sich dabei Maxima und Minima in der Lautstärke feststellen. Durch die begrenzten Abmessungen des Strahlers kommt es unterhalb einer Grenzfrequenz zum Massekurzschluss zwischen Vor- und Rückseite der Membran. Ihre Bewegungen sind dann noch so langsam, dass das während einer Halbperiode in eine Richtung verschobene Volumen noch währenddessen um die Membran herumfließen kann und so die Druckdifferenz ausgleicht. Dies führt zu einer im Vergleich zum Monopol geringeren Effektivität bei der Abstrahlung tiefer Frequenzen. Allgemein gilt für das Schallfeld zweier Quellen Q1 und Q2

p (r , ϑ ) =

e − jkr  jωρ  e − jkR .  Q1 + Q2 4π  R r 

(4.13)

Die weiteren Berechnungen beziehen sich auf folgendes Koordinatensystem

Abb. 4.2

Schallfeld zweier Monopolquellen im Koordinatensystem

In der Nähe der Quellen (r 10:1), als Kompressor zur Einengung des Dynamikbereichs (threshold > 5 dB, ratio 1:1 bis 10:1), als Expander zur Vergrößerung des Dynamikbereichs oder als Gate zur Ausblendung von Störschall unterhalb einer einstellbaren Pegelschwelle.

5.3.4 Räumliche Bearbeitung Eine räumliche Wirkung geht von einzelnen Reflexionen (Delay) aus, die entweder alleine oder im Zusammenspiel mit einem Nachhallprogramm dem Direktsignal hinzugefügt werden. Die Wirkung von einzelnen Reflexionen, wie sie durch Delays erzeugt werden, hängt vor allem von ihrer Verzögerungszeit ab. Kurze Verzögerungszeiten unter 10 ms erzeugen in der Mischung mit dem Original Verfärbungen durch Kammfiltereffekte. Bei Verzögerungszeiten zwischen 10 und 50 ms (bei geringerem Pegel auch bis 100 ms) verschmilzt die Reflexion mit dem Direktsignal und erhöht dessen Lautheit. Bei Verzögerungszeiten oberhalb von 100 ms wird eine diskrete Reflexion hörbar, ähnlich einer Schallreflexion an einer harten Rückwand im Saal, wodurch die Assoziation einer Raumgröße entsteht. Mehrere im Panorama nach außen gelegte Delays tragen zur Verbreiterung einer monophonen Signalquelle bei. Bei rhythmisch klar strukturierten Stücken werden die Delays häufig im Rhythmus der Musik verzögert („Achteldelay“, „Vierteldelay“). Die von kurzen Delays ausgehenden Klangverfärbungen durch Kammfiltereffekte werden dann als besonderer Effekt hörbar, wenn die Verzögerungszeit und damit die Lage der Peak- und Notchfrequenzen in einem Phaser oder einem Flanger ständig verändert wird. Dabei lässt sich die Verzögerung innerhalb gewisser Grenzen (typischerweise 200 µs bis 10 ms) durch eine definierte Steuerspannung modulieren. Diese Steuerspannung kann ein Sinus oder auch ein von außen angelegtes Fremdsignal sein.

Drive

Mix

∆t

Abb. 5.14

Flanger - Prinzipschaltbild

Monofon abgenommene Signale werden häufig durch einen Chorus im Panorama verbreitert. Der Chorus erzeugt eine Reihe von Reflexionen, deren Verzögerungszeit und Tonhöhe sich statistisch verändern und jeweils im Panorama links oder rechts außen erscheinen. Durch die Tonhöhenvariation entsteht zusätzlich der Eindruck einer Stimmvermehrung. Künstlich generierter Nachhall wurde bereits vor Einführung der Digitaltechnik durch unterschiedliche akustische und elektronische Installationen (Hallräume, Hallplatten, Hallfolien, Hallfedern) erzeugt. Seit Anfang der 80er Jahre kommen fast ausschließlich digitale Hallprogramme zum Einsatz. Sie basieren auf Delaynetzwerken, die einzelne Raumreflexionen nachbilden und die frequenzabhängigen Absorptionseigenschaften der Wände ü-

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ber Filter nachahmen. Durch Fortschritte im Design dieser Algorithmen und zunehmende DSP-Leistung haben diese Programme inzwischen eine von realem Nachhall kaum noch unterscheidbare Qualität erreicht. Eine andere Strategie verfolgen sog. Faltungsgeneratoren. Bei ihnen wird die Impulsantwort eines realen Raums für eine bestimmte Position von Sender und Empfänger im Raum messtechnisch bestimmt. Diese Impulsantwort wird in Echtzeit mit dem Eingangssignal gefaltet. Dieses Prinzip wurde in den vergangenen Jahren sowohl in einigen Standalone-Effektgeräten (Sony DRS-777, Yamaha SREV 1) DSP-basiert realisiert, also auch in Form von Software-Plugins wie Altiverb, Space Designer implementiert. Alle Programme greifen auf eine Bibliothek von Impulsantworten zurück, die in Konzertsälen, Kirchen oder anderen Räumen mit speziellen Eigenschaften aufgenommen wurden. Zum Teil wurden auch Impulsantworten von anderen Effektgeräten aufgenommen und deren Verhalten auf diese Weise „kopiert“. Im Unterschied zu konventionellen, synthetischen Nachhallalgorithmen kann – abgesehen von Nachhallzeit und Pegel – der Nachhall in seinen einzelnen Parametern nicht mehr verändert werden.

Input

y[n] =



∑ x[k ]h[n − k ]

k = −∞

Output

Empfänger Sender

Abb. 5.15

Nachhallgenerierung durch Faltung mit der Impulsantwort

Literatur: Weinzierl S (2008) Aufnahmeverfahren. In: Weinzierl S (Hrsg) Handbuch der Audiotechnik. Springer Verlag, Kap. 13 Maempel H, Weinzierl S, Kaminski P (2008) Audiobearbeitung. In: Weinzierl S (Hrsg) Handbuch der Audiotechnik. Springer Verlag, Kap. 13

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6. Literaturverzeichnis Ballou, Glen M.: Handbook for Sound Engineers, 3. Auflage, Focal Press 2002 Boré, Gerhart: Mikrophone. Arbeitsweise und Ausführungsbeispiele, Georg Neumann GmbH, Berlin (auch online auf www.ak.tu-berlin.de) Borwick, John: Microphones. Technology and Technique, Focal Press, London 1990 Borwick, John (Hrsg.): Sound Recording Practice, Oxford University Press, New York 1976 Dickreiter, Michael: Handbuch der Tonstudiotechnik, 2 Bde., 6. Auflage, Saur, München 1997 Dickreiter, Michael: Mikrofon-Aufnahmetechnik, Hirzel Verlag, Stuttgart 2003 Gelfand, Stanley A.: Hearing. An Introduction to Psychological and Physiological Acoustics, 4. Auflage, Marcel Dekker, New York 2004 Gernemann, Andreas: Unterlagen zu Tonstudiotechnik-Kursen, http://www.uni-koeln.de/phil-fak/muwi/ag/umdruck/umdruck Görne, Thomas: Mikrofone in Theorie und Praxis, 7. Auflage, Elektor-Verlag, Aachen 2004 Hall, Donald E.: Musikalische Akustik. Ein Handbuch, Mainz 1997 Hellbrück, Jürgen & Ellermeier, Wolfgang: Hören. Physiologie, Psychologie und Pathologie, Hogrefe Verlag, Göttingen 2004 Katz, Bob: Mastering Audio. The Art and the Science, Focal Press 2002 Meyer, Jürgen: Akustik und musikalische Aufführungspraxis, 4. Auflage, Verlag Erwin Bochinsky 1999 Möser, Michael: Technische Akustik, 7. Auflage, Springer, Berlin 2007 Pawera, Norbert: Mikrofonpraxis. Technik, Akustik und Aufnahmepraxis für Instrumente und Gesang, PPV Medien 2003 Pieper, Frank: Das P.A. Handbuch, 2. Auflage, GC Carstensen Verlag 2001 Rumsey, Francis: Spatial Audio, Focal Press, Oxford 2001 Sengpiel, Eberhard: Forum für Mikrofonaufnahmetechnik und Tonstudiotechnik, http://www.sengpielaudio.com Warstat, Michael & Görne, Thomas: Studiotechnik. Hintergrund und Praxiswissen, Elektor-Verlag, Aachen 1994 Watkinson, John: The Art of Sound Reproduction, Focal Press, Oxford 1998 Webers, Johannes: Handbuch der Tonstudiotechnik: Analoges und digitales Audio Recording bei Fernsehen, Film und Rundfunk, 9. Auflage, Franzis, Feldkirchen 2007 Weinzierl, Stefan (Hrsg) Handbuch der Audiotechnik, Springer Verlag, Berlin 2008 Wuttke, Jörg: Mikrofonaufsätze, 91 S., Schalltechnik Dr.-Ing. Schoeps GmbH, Karlsruhe 1998 (auch online auf www.ak.tu-berlin.de) Zollner, Manfred & Zwicker, Eberhard: Elektroakustik, Springer Verlag, Berlin 1998

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