Kommunikationsprozesse an Hochschulen und ihre Schwachstellen

Kommunikationsprozesse an Hochschulen und ihre Schwachstellen Dr. Christian Berthold Bielefeld 31. März 2008 www.che-consult.de Definitionen Kommun...
Author: Catharina Bauer
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Kommunikationsprozesse an Hochschulen und ihre Schwachstellen Dr. Christian Berthold Bielefeld 31. März 2008

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Definitionen Kommunikation ƒ ...bezeichnete im Mittelalter eine Wehranlage. ƒ Bisher gibt es keine gültige Definition. ƒ communicare: teilen, mitteilen, teilnehmen lassen; gemeinsam machen, vereinigen • Kommunikation ist daher mehr als der Austausch von Informationen, • umfasst ein gemeinsames Handeln, das auf Verständigung zurückgeht.

ƒ Ziele beschreiben dabei die Dimension der Verständigung. ƒ Zwecke dagegen beschreiben die Veränderung in der Außenwelt, • können Zielerreichung voraussetzen (Plan schmieden), • können Information voraussetzen. • Die Informationsdimension liegt also quer dazu: – bei Zielen (informieren, damit jemand im Bilde ist, keinen Widerstand leistet, nicht überrascht wird etc.) – bei Zwecken (damit jemand seine Arbeit anders ausrichten kann).

(Unterschied zur Information: kein Anspruch auf Interesselosigkeit/Neutralität)

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Definitionen

Kommunikation

Information

Ziele

Zwecke

ƒ Verständigung

ƒ Veränderung

ƒ Überzeugung

ƒ Wirkung in der Außenwelt

ƒ gemeinsame Position

ƒ gemeinsame Aktion

ƒ Handlungskonzept

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Definitionen Organisationskommunikation (Unternehmenskommunikation) ƒ Kommunikation in Organisationen (Schwerpunkt dieses Kurses) ƒ Kommunikation von Organisationen Nikodemus Herger: Organisationskommunikation. Beobachtung und Steuerung eines organisationalen Risikos (2004)

Management ƒ „the art of getting things done through people“ (Mary Parker Follet) ƒ Planung, Organisation, Führung, Koordination, Controlling ƒ oft im Gegensatz zu: Verwaltung ƒ hier also vielleicht: die aktive und planvolle Gestaltung von Kommunikation an Hochschulen

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Definitionen Planvolles Vorgehen bedeutet unter anderem… ƒ Man hat Informationen über den „zu managenden“ Bereich (Analyse), ƒ in diesem Fall also über Kommunikation ƒ externe Kommunikation: Presseclippings, Rankings … ƒ interne Kommunikation: Kaffeepausen, Flurfunk, offizielle Kommunikation, Vertraute….?

ƒ Man hat ein strategisches Ziel (also ein strategische Kommunikationsziel) ƒ externe: im Leitbild oder der Vision ƒ intern: z.B. Unterstützung eines Veränderungsprozesses

ƒ Man verfügt über Instrumente und Kompetenzen zur Umsetzung: ƒ extern: Pressearbeit, Öffentlichkeitsarbeit…. ƒ intern: eine lange Liste von Sitzungen/meetings über Aushänge, Rundschreiben, Vollversammlungen, Telefonate, E-Mails, bis Kaffeerunden und Vier-AugenGespräche.

ƒ Man verfügt über Instrumente des Controllings und der Qualitätssicherung: ƒ extern: Auswertung von Presseclippings, Rückmeldungen von Zielgruppen, Befragungen ƒ intern: Befragungen, Rückmeldungen aller Art. HSK Kommunikationsmanagement | Berthold | Bielefeld 31.03.2008

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Beispiel 1: Stille Post ƒ Der Präsident sagt im Senat, man müsse mal darüber nachdenken, ob die gegenwärtige Struktur der Fakultäten noch zeitgemäß sei. ƒ Ein Senator raunt zu seinem Nachbar: „das kann ja nur die Fakultäten 2 und 5 betreffen, die jetzt doch fusioniert werden sollen“. ƒ Dieser Nachbar schreibt noch am selben Tage seinem Freund, dem Dekan der Fakultät 5, eine E-Mail, dass der Präsident eine Fusion der Fakultäten 3 und 5 angedeutet habe. ƒ Der Dekan berichtet am nächsten Tag in seinem Fakultätsrat, dass der Präsident im Senat wohl über die Fusion mit 5 gesprochen habe. ƒ Der Fakultätsrat entrüstet sich, dass es ja wohl eine Frechheit sei, dass der Präsident die Fusionen der Fakultäten schon im Senat verkünde, obwohl die Fakultäten noch gar nichts davon wissen. ƒ Ein Lokalreporter wird von einem Fakultätsmitglied unterrichtet und schreibt eine Meldung in der Zeitung. ƒ …das tägliche Kommunikationschaos…

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Beispiel 2: Kommunikationsfronten ƒ Die Verwaltung sagt über die Fachbereiche: „ja die Wissenschaftler…die halten sich doch an keine Regel, verursachen ständig Chaos“ ƒ Die Verwaltungskräfte im Fachbereich über die HochschullehrerInnen: „ja die Herrn Professoren … kommen Dienstag, gehen Donnerstag, sonst nicht zu erreichen… “. ƒ Die Sportwissenschaftler über die Historiker: „ja die Historiker: können über alles schön reden, gemessen haben die noch nie was“ ƒ Die Historiker über die Sportwissenschaftler: „ah der Herr Professor Feldaufschwung schreibt uns…“ ƒ Alle Fachbereiche über die Verwaltung: „…da geht ja eh nichts voran, pünktlich Feierabend, aber nichts bewegen…“ ƒ Im Rechenzentrum über den Fachbereich Jura: „die Bücherfüchse haben wieder den Stecker ihres Rechners nicht eingesteckt…“ ƒ …

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Beispiel 3: Hamburger Maulkorberlass Aufs tand der P d , e r n U e rofes ni Ha in e ( " D m e eutsc burg soren a af ndert ) r t s . n hland "Be he hu .05.07 f u nk 25 e : .05.0 erzi gel 10 n l ge o F e 7) i t i p m " t s t i s r t (S a f l hau b-Er Fernse er "Maulkor 4.07) rg .0 Hambu nbar (fzs 30 ffe greift o Zu d en B UNCOV es Univ ER: Prof ersitä trebunge essoren p rotestier n ts Mein en gege ungs präsiden der Ham n "Maulkor äuße tin, d burg auf d b e i r " a e u r 24.05.07 Präs s zu besc ng aller U freie öffe id n h n He Bund ialverwal ränken, w iversitäts tliche ftig t u m itglie H und W demokrat ng "gene as der eV a der m i h s m i c d s b " ist, ie urg orwü (BdW sensch her Wis g Me ibt de aftler sens i 12.0 er rfe c r i ( ( h U n 4.07) BdW N a un ni - Di DR i) ein ftlerinne g un e s e Erk n 0 f r 9.0 eih d lärun g ab. 5.0 eit 7) HSK Kommunikationsmanagement | Berthold | Bielefeld 31.03.2008

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Beispiel 4: Strategieprozess an einer Musikhochschule ƒ Prozessauftakt in Form einer Zukunftswerkstatt Ö sehr hoher positiver Mobilisierungseffekt

ƒ Einrichtung einer Projekt-Homepage Ö hohe Transparenz Ö geringe Nutzung

ƒ Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen und Fragestellungen nehmen Arbeit auf Ö hohe Akzeptanz

ƒ AG Leitbild / Profil / Strategie Ö entwirft Leitbild - mit auch noch hoher Akzeptanz Ö beschreibt künftige Profil – mit Akzeptanz, aber ernsthaften und intensiven Debatte Ö leitet Schlussfolgerungen für den Stellenplan ab (Umwidmungen) ƒ dann war die Krise da….!!

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Kommunikatives Handeln (Habermas) Grundidee von Habermas: In der Idee der Kommunikation ist immer schon der Anspruch auf Wahrheit, auch auf Wahrhaftigkeit und auf Verständigung enthalten. ÖDarin ist die Idee enthalten, dass man im 'herrschaftsfreien Diskurs' die eigenen Interessen zugunsten der rationalen Argumentation zurückstellt bzw. diese Interessen kenntlich macht. ÖWer sich auf Kommunikationsprozesse einlässt, hat sich (seit der Aufklärung) darauf eingelassen, dass der zwanglose Zwang des besseren Arguments gelten soll. HSK Kommunikationsmanagement | Berthold | Bielefeld 31.03.2008

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Kommunikatives Handeln (Habermas) ƒ Hauptkritik: ƒ keiner kann seine Interessen wirklich zurückstellen ƒ oder die Benennung der eigenen Interessen hilft nicht weiter, weil keiner beurteilen kann, wie sehr die Interessen die Argumentation ggf. korrumpieren. ƒ Zeit (solche Aushandlung dauert im Zweifel zu lange) ƒ Das ist hier von Belang, weil Wissenschaft dem Ideal der rationalen Argumentation anhängt – und zwar per definitionem, ƒ und weil viele Hochschulmitglieder die Ansprüche des wissenschaftlichen Diskurses auch auf die Hochschulen übertragen. ÖDem steht die simple Behauptung entgegen, Hochschulen seien halt Organisationen (mehr oder weniger wie jede andere). ÖIn jedem Fall aber gilt, dass auch an Hochschulen Entscheidungen getroffen werden müssen, und dass diese unter Zeit- (und Finanz-) druck stehen. HSK Kommunikationsmanagement | Berthold | Bielefeld 31.03.2008

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Neue Steuerung… ƒ …ist der wesentliche ideologische Hintergrund der Hochschulreform in Deutschland. ƒ Ausgangsgedanke: Die dezentrale Entscheidung ist der zentralen überlegen ƒ Das passt auf Hochschulen besonders gut (Stichwort Expertenorganisation): – Hochschulen können eher wissen, welche Studiengänge aktuell sind als Ministerien – Fakultäten können besser entscheiden, welche Vertiefungen in einem Studiengang benötigt werden als Präsidien ƒ kleines Problem: Die dezentralen Kompetenzträger sind nicht nur die Experten, sondern sie haben immer auch eigene Interessen. – Das Neue Steuerungsmodell versucht dieses Problem mit der Orientierung am Ergebnis (output/outcome) zu lösen. – ex-post-Steuerung – Zielvereinbarungen – Kennzahlenorientierung HSK Kommunikationsmanagement | Berthold | Bielefeld 31.03.2008

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Neue Steuerung in der Hochschulpolitik Leistungsorientierung

Autonomie

Akkreditierung, Evaluation, Ranking

Haushaltsflexibilisierung

Indikatorsteuerung

Globalbudget Studiengänge Organisationsautonomie Personalautonomie

Staat Rahmenbedingungen Wettbewerb Ziele

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Berichtswesen Controlling KLR Wissensbilanz

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Besonderheiten der Hochschulen ƒ

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keine Linienorganisation – man kann wenig anordnen – es ist oft unklar, wer betroffen ist – hoher Grad an Dezentralität – keine Führungskultur hohe Freiheitsgrade – man kann wenig anordnen – man weiß nicht, wann wer im Hause ist – zum Teil geringe Verbindlichkeit – öffentliche Dienst-Kultur (u. a. geringe Identifikation über die Außenwelt) wissenschaftliche Kultur – Wissenschaftler/innen interessiert alles – sie können zu allem sofort etwas sagen – sie können leicht Argumentationen aufbauen oder zerlegen – Wissenschaft ist kommunikativ Funktionsdiversität – wenig gemeinsame Ziele – jede/r identifiziert sich mit seinem Fach – vielleicht noch mit dem Institut – aber kaum mit der Hochschule insgesamt geringer Grad an Standardprozessen

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Besonderheiten der deutschen Hochschulen ƒ deutsche Selbstverwaltungskultur ƒ Mitwirkung der Gruppen in Gremien ƒ Gremienhochschule entspricht / widerspricht der Idee der dezentralen Kompetenzen gemäß neuer Steuerung ƒ systematischer Konflikt zwischen 'politischem Mandat' und Entscheidungsauftrag – Gremien entscheiden nicht – tragen keine Verantwortung – Nichtangriffspakte ƒ z. T. noch vermehrt durch Konflikt zwischen Interessen der Gruppe und der eigenen Einrichtung ƒ Widersprüche zwischen den Anforderungen von Forschung und Lehre können an Massenuniversitäten nicht kompensiert werden

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Aktuelle Entwicklungen ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ

Stärkung der zentralen Kompetenzen bzw. der Funktionsträger (Dekan/in / Präsident/in) Entmachtung der Gremien Entflechtung von Entscheidung und Kontrolle Verlagerung der Entscheidung auf 'verantwortliche Experten' (Funktionsträger) Reduktion der Gremien und Kommissionen zugunsten von Arbeitgruppen Übertragung von Kompetenzen vom Ministerien auf Hochschulen zum Teil Kompensation des Kontrollverlustes durch Hochschulrat

Ö Versuch, die Entscheidungs- /Handlungsfähigkeiten der Hochschulen zu stärken

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Spannungen ƒ

Informationsflut versus Selektion – Wer zu viel Information erhält, selektiert nicht mehr angemessen (Konflikt zwischen Menge und Zeit), – ist überfordert und nimmt gar nichts mehr wahr, – fühlt sich leicht schlecht informiert. – Paradebeispiel Umlaufmappen

ƒ

Transparenz versus Datenschutz – nicht alles sollte transparent sein, – weil die Zeit nicht reicht, – weil die beiden zentralen Kommunikationsfunktionen (Ziel + Zweck) nicht erreicht werden können (schnelle harte Entscheidung tut Not) – aber Transparenz schafft Beteiligung, verringert Widerstände

ƒ

Unterrichtung versus Überzeugung – Dezentrale Kompetenz ist in Hochschulen oft notwendig und gefordert. – die Mitwirkung von zu vielen Beteiligten verkompliziert die Kommunikation – und erschwert die Entscheidungsfindung.

ƒ

Glaubwürdigkeitsparadox – – – –

die Face-to-face-Kommunikation ist die, der man meisten traut, das ist durch empirische Studien gut belegt (Ö die Macht des Flurfunks), kostet aber auch am meisten Zeit. Offenheit stärkt Glaubwürdigkeit, ist oft aber nicht realisierbar.

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Was ist zu tun? Ausgangshypothesen ƒ Man kann ohnehin nie genug kommunizieren. ƒ Der Aufwand für gute und erfolgreiche Kommunikation ist enorm hoch. ƒ Die Zeit für solche Kommunikation reicht nie aus (sollte aber eingeplant werden). ƒ Die Eventualfälle gescheiterter Kommunikation sind kaum antizipierbar. ƒ Ein Großteil erfolgreicher Kommunikation geht (bislang) auf Intuition zurück, ƒ aber auch auf Vorbildfunktionen (schlechte Kommunikation ebenso)

Î nicht am Ziel idealer Kommunikation orientieren, sondern an Risikoreduktion Î alternative Kommunikationsformen einbeziehen Î auf Kommunikationskultur achten HSK Kommunikationsmanagement | Berthold | Bielefeld 31.03.2008

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Was ist zu tun? ƒ

Risikoanalyse in drei Dimensionen: a) kontinuierliche Kommunikation b) Projektkommunikation c) Krisenkommunikation

zu a) kontinuierliche Kommunikation, z. B. • • • • •

Mehrheiten gehen verloren. Glaubwürdigkeit der Führungspersonen leidet. Bereiche erhalten Informationen nicht, die sie für die Arbeit brauchen. Wichtige Hinweise aus dezentralen Bereichen werden nicht berücksichtigt. …

zu b) Projektkommunikation • • • • • •

Die Zustimmung zu den Veränderungen wird nicht erreicht (Mehrheiten?). Widerstand formiert sich, wird unakzeptabel. (Wieder)wahlen werden gefährdet. Dezentrale Kompetenz wird nicht einbezogen. Akzeptanz wird nicht aufgebaut. …

zu c) Krisenkommunikation • • •

Das Ansehen der Hochschulen wird massiv geschädigt. Positive Nachrichten werden überlagert. …

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Was ist zu tun? ƒ in allen drei Feldern ƒ ƒ ƒ ƒ

die Risikoanalysen um Stärken und Schwächen ergänzen an den Risiken orientierte Ziele beschreiben darauf hin die Instrumente auswählen Regeln überdenken ƒ Informationspflichten ƒ „Push-“ versus „Pull-Prinzip“ ƒ Kommunikationskultur pflegen ƒ Wie kommuniziert man (vor allem über andere / Flurfunk)? ƒ Kommunikation ist eine Daueraufgabe Ö nach fast jeder Aktivität klären, was an wen kommuniziert wird Ö Kommunikationslinien abstecken

ƒ Kommunikation ist Führung ƒ Ein (bescheidenes) Kommunikations-Controlling aufbauen ƒ ƒ ƒ

an den Zielen orientiert gelegentlich Zwischenbilanz zur Kommunikation / Information evtl. in Befragungen oder bei Sitzungen aufgreifen

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danke für Ihre Kommunikationsprozesse an Hochschulen und ihre Schwachstellen Aufmerksamkeit…. Dr. Christian Berthold Bielefeld 31. Januar 2008

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