Kokosnuss geklaut? Wer hat die

78 Reise Reise Wer hat die Kokosnuss geklaut? H SEYC ELLEN Man muss nicht kriminell werden, um sich einen Familienurlaub auf den Seychellen leis...
Author: Frieder Kraus
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Kokosnuss geklaut? H SEYC

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Man muss nicht kriminell werden, um sich einen Familienurlaub auf den Seychellen leisten zu können. Denn vom Klischee des Luxusreiseziels ist die Inselgruppe im Indischen Ozean weiter entfernt als der Nordpol vom Südpol. Eine Probe aufs Exempel ...

Text und Fotos: Michael Neumann

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m Frühjahr hat es nicht geklappt, im Sommer schon gleich­ gar nicht. Doch jetzt bin ich fällig, meine Frau besteht völlig zu Recht auf einen FAMILIENURLAUB. Aber Mitte November? Dem Schmuddelmonat überhaupt, schamhaft versteckt zwischen Goldene­m Oktobe­r und dem ersten relevanten Auftritt von Frau H ­ olle? Hilft nichts, Zeitfenster ist Zeitfenster. Also wohin? Die üblichen Last-Minute-Ziele in Südeuropa scheide­n schon aus Prinzip aus. Zudem ist dort das Wetter so spät im Jahr auch keine Bank. So zieht der Finger auf der Weltkarte immer weiter­e Kreise. Kinderfreundliche Destination fernab der üblichen Pfade gesucht, bei der Sonne, Strand und Sandburgen mit ­außergewöhnlichen Naturlandschaften und Outdoor­­akti­vitäten eine harmonisch­e Symbiose eingehen. Oder als Ein­zeiler: Wir wollen Palmen UND Berge! Nach zwei, drei Wochen Sondierungsphase, bei der auch das Fernweh von früher wieder aufflammt, als man noch ohne Kinder im Schlepp zigeunermäßig durch die Welt zog, rückt Thailand in den Fokus. Ein völlig anderer Kulturkreis, eine tolle Küche und zahllose Optionen in Sachen Unterkunft und Ausflüge. Doch wie steht es >

Solange nicht auch Mami untergeht …

Manchmal machen’s einem die Seychellen nicht einfach.

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in Thailand mit Impfungen, Malaria und wilden Tieren? Immerhin habe­n wir ein Krabbelkind dabei, das derzeit seine orale Phase hat. Heißt für Nichteltern: Alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, wird gegrabscht, ausgiebig angesabbert, abgekaut und in den ­Hamsterbacken gebunkert. Okay, das Malaria­risiko ist minimal, doch eine Hepatitis-A-Impfung wird empfohlen, und die ein oder andere Giftschlange wurde dort auch schon gesichtet. Somit scheidet Thailand schon in der Vorrunde aus. Auf dem Weg zurück nach Europa nimmt der Finger eine­n kleinen Schwenk nach Süden und bleibt an einem grünen Mückenschiss im Indischen Ozean hängen: den Seychellen. In­begriff des Inselparadieses und Fototapete schlechthin. Noch mal Orakel Google befragt: akzeptable Flugzeit (keine zehn Stunden mit einmal Umsteigen in Dubai), akzeptabler Flugpreis (750 Euro statt 1000 wie nach Thailand), wenig Zeitverschiebung (drei Stunden), keine Impfungen, keine giftigen Tiere. Auf zum Bacardi-Beach Aber die Seychellen können sich doch nur die Reichen und wenig­e Schöne leisten, oder? Werbewelten aus den Neunzigern, in denen sorglose Menschen in wehenden weißen Kleidern auf Segel­jachten vor bizarren Granitfelsen kreuzten, Raffaello-Kugeln einwarfen und mit Bacardi nachspülten, prägen noch heute die gemeine Vorstellung von den Seychellen. Dazu kommen Super­luxusresorts wie >

Fotos: Thomas Lipke

Anders als in vielen asiatischen oder afrikanischen Ländern gibt es auf den Seychellen keine giftigen Tiere, die unvorsichtigen Kindern gefährlich werden könnten.

Welche Farbe kommt denn heute auf den Teller?

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Graf Zahl? Nein, nur einer von Abertausenden Flughunden.

Fehlt nur noch der T-Rex – im prähistorischen Palmenwald des Vallée de Mai.

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Frégate Islan­d, die von Bill Gates und Konsorten gern mal komplett gebucht werden, was dann an die 100 000 Dollar kostet – pro Tag! Doch auch diese Medaille hat zwei Seiten, wie Google weiß. So gibt es neben dem Fünf-Sterne-Tourismus auch für Max Mustermann und Otto Normalverdiener Möglichkeiten, die Seychelle­n zu ent­decken, ohne den Dispo zu sprengen. Nur eines wollen die Insulaner keinesfalls: Camping. Zelt und Schlafsack können also zu Hause bleiben. Die Zauberworte heißen vielmehr Bungalow mit Selbstversorgung und essen gehen, wo die Locals essen gehen.

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Morgens Wandern, mittags Siesta am Strand, abends Sonnenuntergang gucken – der Seychellen-Triathlon.

Touchdown im Paradies Schon beim Landeanflug steht den Kindern der Mund offen. Wow, alles so schön grünblau hier. Losgeflogen im Münchener Herbstgrau, könnte der Kontrast kaum größer ausfallen. Die Temperaturen auf dem Rollfeld tun ein Übrigens, uns davon zu überzeugen, eine goldrichtige Entscheidung getroffen zu haben: 28 Grad und ein laues Lüftchen. Yes! Als ersten Stopp steuern wir die Bucht Beau Vallon auf der Haupt­ insel Mahé an, keine 45 Minuten vom Flughafen entfernt. Hier gönne­n wir uns zudem den Luxus eines Hotels mit Vollpension zum Ankommen, Runterkommen und Eingewöhnen – ein bisschen ­Raffaello muss schon sein. Obwohl der Strand auch bei den Einheimischen sehr beliebt ist, findet an dem zwei Kilometer langen Halbmond aus Sand jeder seine Palme zum Drunterliegen oder Raufklettern. Das Beste an der Bucht ist aber der nahe Nationalpark Morne Seychellois mit dem gleichnamigen 905 Meter hohen Berg. Dort erstreckt sich ein ­ausgeschildertes Wanderwegenetz über Dutzende Kilometer. Und da nur die Wenigsten zur Badehose auch die Bergstiefel dabei­haben, hat man diese nahezu für sich allein. Aufgrund der ­Überschaubarkeit des Gebiets ist der allenthalben empfohlene Wander­führer zwar nicht notwendig, doch überaus praktisch. Wer sonst könnte einem Flora und Fauna besser erklären als ein Ein­ heimischer, der die Insel wie seine Westentasche kennt? Und sieht, was ein Stadtindianer niemals sieht? Die Überreste einer von

Achtung! Jährlich sterben 150 Menschen durch fallende Kokosnüsse

Schweizer Mönchen betriebenen Zimtdestille etwa, wo vor über 100 Jahren Parfümessenzen gewonnen wurden. Oder die Frucht des Muskatnussbaums, aus der man die von einem rötlichen ­Samenmantel umschlungene Nuss pulen kann. Ohne Führer hätte man allein mit dem Offensichtlichen sein Tun: die stete Steigung des Trails, die hohe Luftfeuchte und die immer wieder grandiosen Ausblicke auf den Indischen Ozean, bevor sich der Trail wieder im Dschungel verliert. So vergehen die ersten Tage wie im Flug: Wandern in den Morgenstunden, dann Siesta unter Palmen, nachmittags ein bisschen auf

dem aufblasbaren SUP-Board durch die Bucht paddeln und Fisch­e gucken, abends Strandwanderung mit Sonnenuntergang und zu guter Letzt, wenn die Kinder selig schlummern, ein Drink unterm Sternenzelt. Fototapetenwechsel Wer die Seychellen in ihrer ganzen Vielfalt erleben will, muss jedoc­h irgendwann die Koffer packen und umziehen. Praslin, die zweitgrößte der über 100 Inseln und am besten per Schnellfähre

POWER YOUR LIFE FROM THE SUN

erreichbar, ist unsere zweite Station. Hier locken zwei absolute Natur­wunder: der Palmenwald im »Vallée de Mai« und der Strand Anse Lazio, dem das Prädikat »schönster Strand der Welt« ­an­haftet. Ob dem so ist, sei dahingestellt, doch der Mix aus weißem Strand, braunen Granitfelsen, grünen Palmen und knallblauem Wasser begeistert selbst Sonnenallergiker mit Sandflohphobie. Und wer nun glaubt, dass es am Strand der Strände entsprechend zugeht, kennt die Seychellen schlecht. Bereits wenige Meter vom Parkplatz entfernt findet sich ein stilles Fleckchen, an dem wir uns fühlen, als hätte Robinson einst nicht Freitag getroffen, sondern Jane – und eine Familie gegründet. Die Kinder wühlen im Sand und fördern Muscheln statt Zigarettenstummel zutage, während wir dem meditativen Rascheln der Palmwedel lauschen. Ja, Herr Doktor, so geht’s ... möge uns jetzt nur keine Kokosnuss auf den Kopf fallen. Auf dem Rückweg ist ein Stopp im »Maital« Pflicht. Dieser Palmen­ urwald ist mit 19,5 Hektar der wohl kleinste Nationalpark der Welt und wurde 1983 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt. Die Landschaft ist ein Überbleibsel eines prähistorischen Waldes, der bereits existierte, als die Granitfelsen der Seychellen noch zum Kontinent Gondwana gehörten. Dort gedeiht auch die Coco de Mer, eine getrenntgeschlechtliche Palme, deren Nuss aussieht wie der Hintern einer etwas korpulenteren Dame. Dass noch dazu der männliche Blütenstand aussieht wie ein meter­langer eregierter >

Sag dem kalten Wetter auf Wiedersehen Wir wollen den Vögeln keine Federn stehlen, sondern glauben an die Vorteile der modernen Technologie.

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Magische Nacht nach dem Abstieg vom Mt. Beerenberg. Die vulkanische Insel Jan Mayen im Nordatlantik. Foto: Fredrik Schenholm

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Die neuen XXL-Kalender im Posterformat sind da!

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Mattis messerscharfe Erkenntnis: Und der Haifisch, der hat Zähne.

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Selbst notorische Strandverweiger konvertieren auf den Seychellen über kurz oder lang und fallen dem Müßiggang anheim.

Penis, beflügelt die Fantasie um diese sinnlich geformte und bis zu 30 Kilogramm schwere Nuss beinahe ins Pornografische. Und das erklären Sie jetzt mal Ihren Kindern ... Kleine Pfade durchziehen den Park und ergeben zusammen­ genommen eine etwa zweistündige und absolut kindgerechte Wanderun­g. Wer Glück hat, sieht auch ein Chamäleon oder einen der schwarzen Vasapapageien. Diese gelten als vom Aussterben ­bedroht, die einzig bekannte Population von vielleicht 30 Tieren existiert hier auf Praslin. Den nächsten Ortswechsel machen wir als Tagestour. Mit der Fähr­e geht es nach La Digue, der Postkarteninsel schlechthin. Keine­ zehn Quadratkilometer groß, kann man sie ganz bequem per ­Fahrrad und zu Fuß erkunden. Alternativ stehen noch Ochsen­ karren zur Verfügung und zwei, drei Taxis. Absolutes Highlight ist der Strand S ­ ource d’Argent mit seinem Kartenhaus aus turm­hohen Granitmurmeln. Ist das Prädikat »schönster Strand der Welt« ­eigentlich schon vergeben?

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Paddeln im Paradies

Früchtchen: Sam, Kalle und die Nuss der Coco-de-Mer-Palme.

Letzte Station unserer Reise ist die kleine Insel Cerf vor der ­Hauptstadt Victoria. Hier kommt endlich das Faltboot, das wir ­bisher aufgrund der recht giftigen Brandung noch kein ­einziges Mal a­ ufgebaut haben, zum Einsatz. Direkt vor unserem Bungalow ­breitet sich der Nationalpark Sainte Anne Marine aus mit seinen sechs kleinen Inseln und einer Wasserfläche von zehn Quadrat­ kilometern. Da sich weite Teile innerhalb eines Riffs be­finden,­ sind die Bedingungen meist vom Typ Ententeich und ideal zum >

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Tom Randall / photo: Franz Faltermaier for E.O.F.T.

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Auch wir finden den Piratenschatz des Korsaren La Buse auf Moyenne nicht – wohl aber das Vermächtnis des Brendon Grimshaw.

Familienpaddeln. Von einem nahen Hotel leihen wir noch ein ­Sit-on-Top-Kajak dazu und stechen zu diversen Touren in See. Letztes Ziel unseres Urlaubs ist die Insel Moyenne, auf der der ­Legende nach ein Schatz des Korsaren La Buse liegt, der 1730 auf La Réunion zum Tode verurteilt durch den Strick starb. Eines vorneweg: Den Schatz im kolportierten Gesamtwert von 30 Millionen Pfund haben auch wir nicht gefunden, dafür aber das skurile ­Refugium des 2012 verstorbenen Brendon Grimshaw. Der britische Zeitungsredakteur hat die einstmals völlig abgeholzte Insel 1962 für 20 000 Dollar erworben und wiederaufgeforstet. Seine ­unermüdlichen Mühen führten 2009 dazu, dass man Moyenne zum Nationalpark ernannte – und das Vallée de Mai nunmehr nur noch zweitkleinster Nationalpark ist. So soll verhindert werden, dass Investoren, die Grimshaw bereits 50 Millionen für sein 300 mal 500 Meter großes Eiland g­ eboten haben und die a­ ndernorts auf den Seychellen eine Art Landplage geworden sind, sich die ­Insel unter den Nagel reißen. Zeit seines Lebens war Grimshaw zudem ein rechter Spaßvogel. ­So markierte er etwa die selbst angelegten Wege über die Insel mit ­dicken roten Farbklecksen. Und die 109 Riesenschildkröten, die die Wege bevölkern, gleich mit. So kann es passieren, dass mancher angepeilte Farbklecks plötzlich Beine bekommt. Auf dem Rückweg drehen wir eine letzte Runde um Cerf Islan­d. Durchs flache Wasser huschen papageibunte Fische, und kleine Rochen, die beim Abtauchen ihren Schwanz aus dem W ­ asser heben, scheinen uns zum Abschied zuzuwinken. Servus, Seychellen!