Klinische Pathophysiologie

Klinische Pathophysiologie Bearbeitet von Walter Siegenthaler, Hubert Erich Blum, Beatrice Amann-Vesti, Christian Arnold, Robert Bals, Felix Beuschle...
Author: Dörte Dittmar
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Klinische Pathophysiologie

Bearbeitet von Walter Siegenthaler, Hubert Erich Blum, Beatrice Amann-Vesti, Christian Arnold, Robert Bals, Felix Beuschlein, Michael Böhm, Ulrich Büttner, Rainer Düsing, Fikret Er, Michael Fromm, Steffen Gay, Michael Geißler, Roland Gärtner, Michael Hallek, Sigrid Harendza, Ulrich Hoffmann, Reinhard Hohlfeld, Dieter Häussinger, Lothar Kanz, Stefan Kaufmann, Michael Kindermann, Jürgen Kohlhase, Karl-Anton Kreuzer, Ulrich Laufs, Andreas Link, Michael Ludwig, Christoph Maack, Stephan Martin, Darius Moradpour, Ulf Müller-Ladner, Peter P. Nawroth, Christoph Neumann-Haefelin, Wolfgang H. Oertel, Oliver G. Opitz, Rolf Ostendorf, Ulf Panzer, Eberhard Passarge, Hans-Hartmut Peter, Werner J. Pichler, Martin Reincke, Werner O. Richter, Felix Rosenow, Tom Schaberg, Bruno Scheller-Clever, Karsten Schepelmann, Werner A. Scherbaum, Andre Schneider, Jochen Schopohl, Henning Schwacha, Abdul Nasser Semmo, Konstanze Spieth, Rolf A.K. Stahl, Peter Staib, Eggert Stockfleth, Christian Strasburger, Federico Tató, Rudolf Tauber, Friedrich Thaiss, Robert Thimme, Claus Franz Vogelmeier, Katja C. Weisel, Ulrich Wenzel, Walter Zidek, Reinhard Ziegler, Michael Zimmermann, Marek Zygmunt, Arnold von Eckardstein

überarbeitet 2006. Buch. 1232 S. Hardcover ISBN 978 3 13 449609 3 Format (B x L): 19,5 x 27 cm

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Lunge und Atmung R. Bals und C. Vogelmeier Frühere Bearbeitung: F.-V. Kohl und P. von Wichert

27.1

Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie ... 753

Verhältnis von Ventilation zu Perfusion ... 764 Funktionelle Störungen ... 765

Leitsymptome der respiratorischen Insuffizienz ... 766

Atemregulation ... 753 Chemorezeptoren ... 753 Atemzentrum ... 754

Einfluss von Muskeln, Skelett und Nerven ... 754 Atemmuskeln ... 754 Knöcherner Thorax und Wirbelsäule ... 754 Nerven ... 755

27.2

Spezielle Pathophysiologie ... 767 Respiratorische Insuffizienz ... 767

Akute respiratorische Insuffizienz ... 767 Chronische respiratorische Insuffizienz ... 769 Pathophysiologische Konsequenzen der Beatmungstherapie ... 769

Ventilation ... 755 Inspiration, Recoil und Exspiration ... 755 Dehnbarkeit ... 756 Widerstände ... 757 Extrapulmonale Einflüsse auf die Ventilation ... 757

Pathologische Atmungsformen und Atmungsstörungen ... 757 Schlafbezogene Atmungsstörungen ... 757

Obstruktive Ventilationsstörungen ... 769 Asthma bronchiale ... 769 Chronisch obstruktive Lungenerkrankung ... 772 Mukoviszidose (zystische Fibrose) ... 774

Restriktive Lungenerkrankungen ... 775 Lungenfibrose ... 775

Analyse der Ventilation ... 758 Spirometrie ... 758 Bodyplethysmographie ... 759 Messung der Diffusionskapazität ... 760 Sauerstoffbindung ... 761

Lungenkreislauf ... 762 Lungendurchblutung ... 762 Rechtsherzkatheteruntersuchung ... 762

Lungenentzündung, Pneumonie ... 776 Erkrankungen der Lungenperfusion ... 777 Pulmonale Hypertonie ... 777 Cor pulmonale ... 778 Lungenembolie ... 778 Lungenstauung und Lungenödem ... 779 Höhenlungenödem ... 779

Blutgasuntersuchung ... 763 Schlafbezogene Atemstörungen ... 779 Belastungstests ... 764 Erkrankungen der Pleurahöhle ... 780 Pleuraerguss ... 780 Pneumothorax ... 781 Siegenthaler, Blum, Klinische Pathophysiologie (ISBN 3134496097), 䊚 2006 Georg Thieme Verlag KG

27.1 Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie

27.1

Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie

Die Atmung hat das Ziel, die Sauerstoffaufnahme (VO2) und die Kohlendioxidabgabe (VCO2) den jeweiligen Bedürfnissen des Organismus anzupassen. Das reibungslose Funktionieren der Atmung setzt hochkomplexe Interaktionen zwischen den einzelnen Komponenten der äußeren Atmung (Tab. 27.1) und dem Zellstoffwechsel (Abb. 27.1) voraus.

Der O2-Bedarf und die CO2-Produktion des Körpers hängen von vielfältigen Faktoren ab, wie z. B. der physischen Aktivität. Die Ventilation muss an diese Bedürfnisse entsprechend angepasst werden. Für diese Aufgabe existiert ein komplexer Regelkreis, der über Chemorezeptoren aktiviert wird. (Abb. 27.2).

Chemorezeptoren

Atemregulation Die Steuerung der Atmung ist darauf ausgerichtet, den Sauerstoff- sowie den Kohlendioxidgehalt und die Wasserstoffionenkonzentration (pH) im arteriellen Blut konstant zu halten. Dazu müssen Sauerstoffund Kohlendioxidpartialdrücke (paO2 und paCO2) in engen Grenzen bleiben. Tabelle 27.1

Komponenten der äußeren Atmung

➤ Atemregulation ➤ Ventilation ➤ Diffusion

Es werden nach der Lokalisation periphere und zentrale Chemorezeptoren unterschieden.

Periphere Chemorezeptoren. Im Sinus caroticus und im Aortenbogen finden sich Chemorezeptoren für paCO2, paO2 und pH. Sie werden aktiviert, wenn der paCO2 ansteigt und/oder der pH-Wert absinkt (Azidose). Darüber hinaus reagieren sie auf ein Absinken des arteriellen paO2. Grundsätzlich führt ein verminderter arterieller paO2 dann zu einer besonderen Aktivierung der Ventilation, wenn gleichzeitig ein erhöhter paCO2 vorliegt (respiratorische Globalinsuffizienz, s. u.).

➤ Perfusion ➤ Ventilations-Perfusions-Verhältnis

Abb. 27.1 Schematische Darstellung der Systeme, die die Effektivität des Gasaustauschs beeinflussen, und deren Interaktionen. . V. O2 = Sauerstoffaufnahme, VCO2 = Kohlendioxidabgabe.

Abb. 27.2 Prinzipien der Atemregulation. Die Regulation der Atmung erfolgt mittels eines komplexen Systems mit vielfältigen Afferenzen.

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Lunge und Atmung

Unter bestimmten klinischen Bedingungen kann diese besonders ausgeprägte Aktivierung der Ventilation bei respiratorischer Globalinsuffizienz jedoch entfallen. Dies ist insbesondere bei Patienten mit ausgeprägtem Lungenemphysem vom Blue-Bloater-Typ (Details s. u.) der Fall. Hier kann eine Adaptation des Organismus dahingehend stattfinden, dass die Regelung der Atmung nur noch über den paO2 erfolgt. Eine therapeutische Sauerstoffgabe (und damit eine Steigerung des paO2) kann dann zu einem Sistieren des Atemantriebs führen. Zentrale Chemorezeptoren. In der Medulla oblongata befinden sich zentrale Chemorezeptoren, die auf einen Anstieg des paCO2 und/oder Veränderungen des pH-Wertes reagieren. Etwa 70% der Atemantwort auf den paCO2 geht von diesen Rezeptoren aus. Auf eine Veränderung des paO2 antworten die zentralen Chemorezeptoren nicht.

Atemzentrum Prüfung. Durch den CO2-Rückatmungsversuch kann die Empfindlichkeit des Atemzentrums auf Veränderungen des paCO2 analysiert werden. Der Proband inhaliert ansteigende Konzentrationen von CO2. Die Antwort darauf wird als Atemzeitvolumen gemessen. Einfluss des Schlaf-Wach-Rhythmus. Im Schlaf ist die Ansprechbarkeit des Atemzentrums gegenüber dem paCO2 herabreguliert. Auch der Tonus der quer gestreiften Muskulatur ist reduziert. Daher manifestieren sich Störungen der Atmungsregulation primär zunächst im Schlaf.

Einfluss von Muskeln, Skelett und Nerven Zu den extrapulmonalen Komponenten, deren Fehlfunktion Auswirkungen auf die Ventilation haben, gehören Atemmuskeln, das Thoraxskelett und nervale Verbindungen (Tab. 27.2).

Tabelle 27.2 Extrapulmonale Faktoren mit potenziellen Auswirkungen auf die Ventilation ➤ Thoraxskelett ➤ Muskeln

Atemmuskeln Zwerchfell. Während die Exspiration passiv erfolgt, ist die Inspiration ein aktiver Vorgang. Dazu wird eine Reihe von Muskelgruppen aktiviert, von denen das Zwerchfell der wichtigste Muskel für die Ventilation darstellt. Etwa zwei Drittel der Ventilation werden durch die Bewegungen des Zwerchfells gewährleistet. Insbesondere beidseitige Zwerchfelllähmungen können daher zu einer kritischen Verminderung der Ventilation führen. Atemhilfsmuskeln. Neben dem Zwerchfell sind an der Ventilation die Interkostalmuskulatur, die Parasternalmuskeln und die Skalenusmuskeln beteiligt. Wenn Patienten aufgrund einer pulmonalen Erkrankung eine deutlich erhöhte Atemarbeit verrichten müssen, kann auch der Einsatz weiterer sog. Atemhilfsmuskeln wie M. sternocleidomastoideus, M. pectoralis major, M. rectus abdominis, M. obliquus externus und internus abdominis und Mm. intercostales interni erforderlich werden. „Atempumpe“. Atemmuskeln verbrauchen etwa 5% der gesamten aufgenommenen Sauerstoffmenge. Dieser Anteil kann bei Lungenerkrankungen auf bis zu 50% ansteigen. Bei schwer kranken Patienten kann die chronische Überlastung der Atemmuskulatur zu einem Erschöpfungszustand mit respiratorischer Globalinsuffizienz führen (= Versagen der „Atempumpe“, wobei der Begriff Atempumpe veranschaulichen soll, dass die Atemmuskeln die Funktion einer Pumpe haben).

Auch genuine Muskelerkrankungen, die die Atemmuskulatur mit einbeziehen, können ein Versagen der Atempumpe zur Folge haben. Dazu gehört insbesondere die Gruppe der angeborenen Muskeldystrophien.

Knöcherner Thorax und Wirbelsäule Neben der Atemmuskulatur ist die Architektur des knöchernen Skeletts, des Thorax und der Wirbelsäule von Bedeutung für den Atemvorgang. Primär knöcherne Veränderungen. Bei ausgeprägten knöchernen Thoraxveränderungen und/oder einer Formänderung der Wirbelsäule können Ursprünge und Ansätze der Atemmuskeln verändert und dadurch die Funktion der betroffenen Muskeln behindert sein. Die für die Atmung wesentlichsten Auswirkungen hat eine ausgeprägte Kyphoskoliose mit daraus folgender Störung der Thoraxarchitektur (Abb. 27.3).

➤ neuromuskuläre Verbindungen ➤ Nerven ➤ Rückenmark ➤ Zentralnervensystem (Atemzentrum)

Primär pulmonale Erkrankungen. Auch pulmonale Erkrankungen wie eine schwere chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) können eine erhebliche Änderung der Thoraxstruktur nach sich ziehen.

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27.1 Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie

Nerven Auch neuromuskuläre Erkrankungen können zu einer kritischen Einschränkung der Ventilation und einer daraus resultierenden respiratorischen Insuffizienz führen. Dazu zählen Infektionen wie die Poliomyelitis, Erkrankungen der Nervenscheiden wie das Guillain-Barré-Syndrom und die amyotrophe Lateralsklerose (Details s. u.).

Ventilation Inspiration, Recoil und Exspiration Abb. 27.3 Thoraxröntgenbild eines Patienten mit schwerer Kyphoskoliose.

Inspiration. Während der Inspiration vergrößert sich das Thoraxvolumen. Als Konsequenz davon sinkt – in Abhängigkeit von der Intensität der Inspiration – der Druck in den Alveolen gegenüber dem Außendruck ab.

Bei der COPD entwickelt sich aufgrund der im Thorax gefesselten Luftmenge ein Fassthorax (der Sagittaldurchmesser nimmt deutlich zu), darüber hinaus kommt es zu einer Horizontalstellung der Rippen und einer Tiefstellung des Zwerchfells. Durch diese Alterationen wird die Effektivität der Ventilation erheblich eingeschränkt.

Elastische Rückstellkräfte (Recoil). Das Lungenparenchym entwickelt elastische Rückstellkräfte, die auf eine Verkleinerung des Lungenvolumens hinwirken. Im Gegensatz dazu zielen die elastischen Rückstellkräfte der Thoraxwand auf eine Vergrößerung des Thoraxraums. Unter physiologischen Bedingungen halten sich beide Kräfte das Gleichgewicht (Abb. 27.4).

Abb. 27.4 Interaktion von Lunge und Brustwand. Pleuraraum und Lunge sind schematisch am Ende der Exspiration (a) und während der Inspiration (b) dargestellt. a Am Ende der Exspiration sind die Atemmuskeln entspannt. Die nach innen gewandten elastischen Rückstellkräfte der Lunge werden neutralisiert durch die nach außen gerichteten Rückstellkräfte der Brustwand. Der intrapleurale Druck beträgt -5 cmH2O, der Alveolardruck 0 cmH2O, der transmurale Druck-

gradient damit 5 cmH2O. Da Alveolardruck und Atmosphärendruck identisch sind, kommt es zu keinem Luftfluss. b Während der Inspiration führt die Kontraktion der Atemmuskeln zu einem negativeren intrapleuralen Druck. Der transmurale Druckgradient steigt an und die Alveolen dehnen sich, wodurch der Alveolardruck negativ wird. Damit kommt es zu einem Einströmen von Luft in die Alveolen.

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Die wichtigste pathologische Störung dieses Gleichgewichts stellt das Lungenemphysem dar. Hier sind die elastischen Rückstellkräfte des Gewebes aufgrund des durch das Empyhsem bedingten Parenchymverlustes reduziert. Damit nimmt das Lungenvolumen zu. Exspiration. Die Ausatmung erfolgt unter Normalbedingungen passiv. Bei forcierter Atmung entwickeln sich aber positive Exspirationsdrücke. Die Hypothese des „Punktes gleichen Drucks“ (= equal pressure point) (Abb. 27.5 ) stellt eine Möglichkeit dar, die forcierte Exspiration zu analysieren. Zu jedem Augenblick einer forcierten Exspiration ist an einem bestimmten Punkt im Bereich der Atemwege der Druck im Innern genauso groß wie der Druck außen. An diesem Punkt ist der transmurale Druckgradient 0 (Doppelpfeil in Abb. 27.5). Oberhalb dieses Punktes ist der Druck außen höher als der Druck innen. Damit wird der transmurale Druck negativ und der Atemweg kann kollabieren, sofern die nach außen gerichteten Traktionskräfte im Alveolarbereich bzw. die Knorpelspangen der Bronchien das Lumen nicht offen halten. Während der forcierten Exspiration wird der Punkt gleichen Drucks nach distal wandern – von den großen zu den kleinen Atemwegen. Der Grund dafür ist, dass bei ansteigender Muskelanspannung der intrapleurale Druck zunimmt und sich parallel bei abnehmendem Lungenvolumen auch der Recoil im Alveolarbereich verringert. Während der Punkt gleichen Drucks nach distal wandert, steigert sich die dynamische

Abb. 27.5 Schematische Darstellung der dynamischen Kompression der Atemwege und der Hypothese des Punktes gleichen Drucks (= equal pressure point hypothesis) während forcierter Exspiration. Das äußere Rechteck symbolisiert den Pleuraraum, der Kreis den Alveolarbereich und das vom Kreis nach oben zeigende Rechteck die Atemwege. a Passive Exspiration. Der intrapleurale Druck beträgt ⫺8 cmH2O, der alveoläre elastische Rückstelldruck + 10 cmH2O, der Alveolardruck + 2 cmH 2O.

Kompression, und die Atemwege beginnen zu kollabieren. Das Volumen, bei dem der Kollaps erfolgt, bezeichnet man als Closing Volume. Ein erhöhtes Closing Volume ist ein früher Hinweis auf eine Erkrankung der kleinen Atemwege wie eine COPD.

Dehnbarkeit Die Lungendehnbarkeit oder Compliance beschreibt das Verhältnis zwischen Volumenänderung (δV) und Druckänderung (δP) und ist ein Maß für die Dehnbarkeit unabhängig von den Strömungsverhältnissen (Compliance C = δV/ δP). Transpulmonaler Druck. Die Volumenänderung ist mit spirometrischen Verfahren (s. u.) leicht zu messen. Ein größeres Problem stellt die Erfassung der Druckänderung der Lunge dar. Der für die Lungendehnbarkeit relevante Druck ist der sog. transpulmonale Druck, worunter man die Druckdifferenz zwischen dem Pleuraspalt und den Alveolen versteht. Der transpulmonale Druck ist die treibende Kraft für den Luftstrom. Der Druck im Pleuraspalt kann erfasst werden über die Messung des Drucks im unteren Ösophagus, welcher durch eine Ösophagussonde mit Druckabnehmer gemessen wird. Der Druck in den Alveolen entspricht dem Munddruck bei geöffneter Glottis und Atemstillstand. Aus diesen beiden Größen kann der transpulmonale Druck bestimmt werden.

b Forcierte Exspiration bei gleichem Ausgangsvolumen. Der intrapleurale Druck beträgt + 25 cmH2O, der alveoläre elastische Rückstelldruck + 10 cmH2O, der Alveolardruck + 35 cmH2O. Die roten Pfeile markieren den Punkt, an dem der Druck in den Atemwegen und der intrapleurale Druck identisch sind. Weiter oben (= proximal) unterschreitet der intrabronchiale Druck den Alveolardruck. Sind die Atemwege instabil (Beispiel: Emphysem), können die Atemwege bei forcierter Exspiration in diesem Bereich kollabieren.

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Normwert. Beim Gesunden beträgt die Compliance 0,27 l/mmHg (0,2 l/cmH2O). Das bedeutet, dass sich das Volumen in der Lunge um etwa 200 ml vermehrt, wenn der intrapleurale Druck während der Einatmung um etwa 1 cmH2O negativer wird.

Die Elastizität des Interstitiums der Lunge, die im Wesentlichen durch das darin enthaltene Bindegewebe bestimmt wird, kann durch verschiedene pathophysiologische Veränderungen reduziert werden. Dazu zählen eine vermehrte Bildung von Bindegewebe (Lungenfibrose) oder ein Austritt von Flüssigkeit in die Alveolen (Lungenödem). Diese Prozesse bedingen somit also eine Verminderung der Compliance, während das Lungenemphysem im Gegensatz dazu über den Gewebsverlust zu einer Steigerung der Compliance führt, da sich die Lunge schon bei geringeren transpulmonalen Drücken dehnt.

Widerstände Die Atemmuskulatur muss den transpulmonalen Druckaufbau bewerkstelligen und dabei folgende Widerstände überwinden: ➤ elastische Widerstände von Lunge und Thorax, ➤ Reibungswiderstände des Luftstroms in den Atemwegen, ➤ Trägheitswiderstände bei der Beschleunigung von Luft und Gewebe. Die Trägheitswiderstände sind gering und können vernachlässigt werden. Daher bestimmen die Gewebeeigenschaften der Lunge und die Strömungsverhältnisse in den Bronchien die Höhe des transpulmonalen Drucks.

Extrapulmonale Einflüsse auf die Ventilation Störungen der Ventilation sind nicht nur durch Veränderungen im Lungenparenchym möglich, vielmehr können auch extrapulmonale Faktoren die Ventilation beeinträchtigen. Dazu zählen die o. g. Störungen der Atemregulation sowie Veränderungen von Muskeln und Skelettsystem. Besondere Bedeutung haben auch pathologische Atemmuster.

Pathologische Atmungsformen und Atmungsstörungen Es werden im Wesentlichen folgende pathologischen Atmungsformen beobachtet (Abb. 27.6): ➤ Kussmaul-Atmung: vertiefte Atmung mit normaler oder sogar erhöhter Atemfrequenz (kommt bei metabolischer Azidose vor). ➤ Cheyne-Stokes-Atmung: periodisch ab- und zunehmende Atemtiefe mit Hypopnoe- und Apnoepha-

Abb. 27.6 Spirogramme bei pathologischen Atmungsformen. a Normale Atmung. b Kussmaul-Atmung. c Cheyne-Stokes-Atmung. d Seufzer-Atmung. e Biot-Atmung.

sen. Wird bei Störungen im Bereich des Atemzentrums oder schwerer Herzinsuffizienz beobachtet. ➤ Seufzer-Atmung: initial tiefer Atemzug, dann periodische Verminderung der Amplitude, regelmäßige Pausen; findet sich beim obstruktiven SchlafapnoeSyndrom, aber auch beim Pickwick-Syndrom. ➤ Biot-Atmung: periodische Atmung; im Gegensatz zur Cheyne-Stokes-Atmung ist das Atemzugvolumen zwischen den Apnoephasen jedoch uniform. Es ist nicht klar, ob beide Formen von periodischer Atmung durch den gleichen Mechanismus bedingt sind. Von klinisch überragender Bedeutung sind Störungen der Atmung durch intermittierenden Verschluss des Pharynx. Diese Störungen treten insbesondere im Schlaf auf.

Schlafbezogene Atmungsstörungen Schlafbezogene Atmungsstörungen gehen mit Phasen von Atemstillstand (Apnoe) oder herabgesetzter Atmung (Hypopnoe) von mindestens 10 Sekunden Dauer einher. Dabei werden phänomenologisch obstruktive Apnoen (d. h. Sistieren des Flusses bei weitergehenden Thoraxexkursionen), zentrale Apnoen (d. h. Sistieren von Atemfluss und Atemexkursionen) und Mischformen beobachtet. Der Schlaf besteht aus einer zyklischen Abfolge von Traumschlaf- (einhergehend mit schnellen Augenbewegungen, daher „rapid eye movement = REM“) und Tiefschlafphasen (Non-REM), wobei zu Schlafbeginn Non-REM- und zum Ende REM-Schlaf-Perioden domi-

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Lunge und Atmung

Abb. 27.7 Atemfluss und Thoraxbewegungen bei obstruktiver und zentraler Schlafapnoe.

nieren. Im REM-Schlaf kommt es schon physiologisch zu einer Verminderung des Atemantriebs. So ist z. B. die Antwort (= Steigerung der Ventilation) auf einen Anstieg des paCO2 um 10 mmHg im REM-Schlaf gegenüber dem Wachzustand um 80% reduziert. Darüber hinaus erschlafft die Skelettmuskulatur (Ausnahme: Zwerchfell). Dadurch wird die funktionelle Residualkapazität (s. u.) vermindert und der Strömungswiderstand in den oberen Atemwegen gesteigert. Auch bei Gesunden finden sich in der Phase des Einschlafens und im REMSchlaf Atemmuster wie bei Patienten mit schlafbezogenen Atmungsstörungen. Im pathologischen Fall endet die Atmungsstörung aber nicht spontan, vielmehr wird die Apnoe aktiv mit einem Apnoe-terminierenden Mechanismus beendet, der sich als Folge der Steigerung der Vigilanz (Arousal) einstellt. Wiederholte Weckreaktionen bedingen eine Zerstörung der Schlafarchitektur (Schlaffragmentierung) (Abb. 27.7).

Analyse der Ventilation Spirometrie Die Spirometrie ist das historisch älteste Verfahren der Lungenfunktionsdiagnostik. Sie dient dazu, statische und dynamische Lungenvolumina zu messen. Lungenvolumina. Die wichtigsten dieser Volumina sind in Abb. 27.8 dargestellt. In den Empfehlungen vieler internationaler Fachgesellschaften wird dem nach einer maximalen Inspiration in der ersten Sekunde forciert ausgeatmeten Volumen (FEV1) die höchste Bedeutung zugemessen. Dieser Parameter ist deshalb so weit verbreitet, weil er leicht zu messen ist, eine hohe Reproduzierbarkeit aufweist und zumindest bei der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) mit der Prognose korreliert ist. Obstruktive und restriktive Ventilationsstörungen. Mittels der Spirometrie kann festgestellt werden, ob eine obstruktive oder eine restriktive Ventilationsstörung vorliegt. Die Differenzierung dieser Ventilationsstörungen erfolgt über die Berechnung des Verhältnisses zwischen FEV1 und Vitalkapazität. Häufiger wird die bei forcierter Exspiration gemessene Vitalkapazität (FVC) (Abb. 27.9) herangezogen, die aber selbst durch eine ob-

Abb. 27.8 Statische und dynamische Lungenvolumina. TLC = totale Lungenkapazität, IVC = inspiratorische Vitalkapazität, IC = inspiratorische Kapazität, VT = Tidalvolumen/Atemzugvolumen, ERV = exspiratorisches Reservevolumen, FRC = funktionelle Residualkapazität, RV = Residualvolumen, AF = Atemfrequenz, FEV1 = exspiratorisches Volumen in der ersten Sekunde der Ausatmung.

struktive Ventilationsstörung beeinflusst werden kann. Liegt eine Obstruktion vor, wird die FVC im Allgemeinen kleiner gemessen als die bei Ruheatmung erfasste inspiratorische Vitalkapazität (IVC). Wird der Quotient FEV1/FVC gebildet, kann möglicherweise eine obstruktive Ventilationsstörung maskiert werden. Besser ist es, den Quotienten FEV1/IVC zu bestimmen. Technisch wird dazu heutzutage ein Pneumotachograph verwendet, der eine Messung der Flüsse am Mund ermöglicht und durch Integration der gemessenen Flüsse eine Volumenberechnung erlaubt. Fluss-Volumen-Kurve. Auf diese Weise kann auch die Aufzeichnung einer Fluss-Volumen-Kurve erfolgen (Abb. 27.10). Die Fluss-Volumen-Kurve ermöglicht die Darstellung der atemmechanischen Verhältnisse am Ende der Exspiration. Während der exspiratorische Spitzenfluss (PEF) eine Aussage über die großen Atemwege ermöglicht, charakterisieren die exspiratorischen Flüsse bei 50% (MEF 50) und 75% (MEF 25) ausgeatmeter Vitalkapazität die Obstruktion in der mitarbeitsunabhängigen Endphase der Exspiration. Diese beschreibt vorwie-

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27.1 Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie

Abb. 27.11 Auswirkungen der Lungenüberblähung auf verschiedene Lungenfunktionsparameter bei Patienten mit Lungenemphysem. TLC = totale Lungenkapazität, IC = inspiratorische Kapazität, FRC = funktionelle Residualkapazität, VT = Tidalvolumen/Atemzugvolumen, RV = Residualvolumen.

Abb. 27.9 Schematisierte Darstellung eines Spirogramms mit Atemzugvolumen (VT), inspiratorischer Vitalkapazität (IVC), exspiratorischem Volumen in der ersten Sekunde (FEV1) und forcierter Vitalkapazität (FVC). Für die Bestimmung von VT und IVC atmet der Patient langsam, für die Bestimmung von FEV1 und FVC mit maximaler Geschwindigkeit.

tät (IC) ist das Volumen, das nach normaler Ausatmung bei maximaler Inspiration eingeatmet werden kann. Diese Parameter sind voneinander abhängig. So sind z. B. bei einem Patienten mit einer hochgradigen COPD aufgrund der damit verbundenen Überblähung die FRC und das RV vermehrt, im Gegenzug ist die IC vermindert (Abb. 27.11). Totraum. Als Totraum wird das Volumen bezeichnet, das am Gasaustausch nicht teilnimmt. Dabei wird zwischen dem anatomischen Totraum und dem funktionellen Totraum unterschieden. Der anatomische Totraum ist gegeben durch die Volumina von Mund, Nase, Pharynx, Larynx, Trachea und Bronchien (150 – 180 ml). Der funktionelle Totraum kann in Abhängigkeit von pathologischen Zuständen vergrößert sein. Damit wird eine überproportionale Steigerung der Ventilation notwendig mit entsprechender Belastung der Atemmuskulatur. Dazu kommt es vor allem dann, wenn Lungenareale belüftet, aber nicht perfundiert werden. Hier spricht man von einer Störung des Ventilations-Perfusions-Verhältnisses (s. u.).

Bodyplethysmographie Abb. 27.10 Schematische Darstellung der in- (IN) und exspiratorischen (EX) Fluss-Volumen-Kurve. Durch forcierte Inspiration werden der inspiratorische Spitzenfluss (PIF) und der maximale inspiratorische Fluss bei 50% der Vitalkapazität (MIF50) bestimmt, durch forcierte Exspiration werden der exspiratorische Spitzenfluss (PEF) sowie die exspiratorischen Flüsse bei 25% (MEF75), 50% (MEF50) und 75% (MEF25) ausgeatmeter Vitalkapazität (FVC = forcierte Vitalkapazität) erfasst.

gend die Obstruktion die kleinen Atemwege (Durchmesser ⬍ 2 mm). Funktionelle Residualkapazität und Residualvolumen. Die funktionelle Residualkapazität (FRC) ist das Volumen, das nach einer normalen Ausatmung in der Lunge zurückbleibt. Das Residualvolumen (RV) ist der Teil der totalen Lungenkapazität (TLC), der nach maximaler Ausatmung in der Lunge verbleibt. Die inspiratorische Kapazi-

Die Bodyplethysmographie (Abb. 27.12) stellt das gegenwärtig beste Verfahren zur Quantifizierung des Atemwegswiderstandes dar. Darüber hinaus kann damit das intrathorakale Gasvolumen gemessen werden. Prinzip. Die genannten Analysen können unter Ruheatmungsbedingungen erfolgen. Außerdem ist die Mitarbeit des Patienten von nicht so großer Bedeutung wie bei den spirometrischen Verfahren. Der Proband befindet sich mit dem ganzen Körper (daher Bodyplethysmographie) in einer luftdicht verschließbaren Kammer. Die Atemluft wird durch einen Pneumotachographen geleitet, damit kann der Atemfluss in In- und Exspiration gemessen werden. Über Drucksensoren werden die Druckänderungen in der Kammer registriert, die durch die Atembewegungen ausgelöst werden. Diese Druckänderungen geben gewissermaßen ein Negativ der Alveolardruckänderungen wieder.

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lationsstörungen ist das IGV sehr häufig höher als die FRC. Die bodyplethysmographische Messung des IGV beruht auf dem Boyle-Mariotte-Gesetz, wonach das Produkt aus Druck (P) und Volumen (V) unter isothermen Bedingungen konstant ist. Bei Verschluss des Atemrohrs ist V das im Moment des Verschlusses im Thorax befindliche Volumen (= IGV). Über eine Eichkonstante kann aus der Verschlussdruckkurve das IGV abgeleitet werden.

Abb. 27.12 Bestimmung des Atemwegswiderstandes mit der Ganzkörperplethysmographie. a Die Volumenänderung der Lunge in In- und Exspiration bewirkt eine Änderung des Kammerdrucks (δPB). Simultan wird mit ei. nem Pneumotachographen die Flussänderung am Mund (δV) registriert. b Danach wird ein Ventil im Atemrohr geschlossen. Die Druckänderungen in der Kammer (δPB) werden gegen die Druckänderungen am Mund (δPM) aufgetragen.

Volumenkorrektur. Der Atemwegswiderstand ist volumenabhängig. Dies muss berücksichtigt werden, sonst besteht die Gefahr, dass bei Probanden, deren Lungen zum Zeitpunkt der Messung nur geringe Luftvolumina enthalten (Kinder, Patienten mit restriktiven Ventilationsstörungen), fälschlich eine Obstruktion der Atemwege konstatiert wird. Diese Volumenkorrektur erfolgt durch Angabe der spezifischen Resistance (sRaw), die das Produkt aus Raw und IGV darstellt, oder der spezifischen Conductance (sGaw), dem Kehrwert der sRaw.

Messung der Diffusionskapazität Atemwegswiderstand (Raw). Grundsätzlich berechnet sich der Atemwegswiderstand wie ein Ohm-Widerstand, also als Quotient aus Spannung (= Druckdifferenz) und Stromstärke (= Atemfluss). Die gleichzeitige Registrierung von Fluss und Druck ergibt die ResistanceSchleife. Aus ihr kann der Winkel β abgeleitet werden. Das so gewonnene Diagramm lässt noch keine Rückschlüsse auf den bronchialen Strömungswiderstand zu, da er statt des Alveolardrucks den Kammerdruck enthält. Deshalb muss festgestellt werden, welcher Alveolardruck welcher Änderung des Kammerdrucks entspricht. Dazu ist es erforderlich, Kammerdruck und Alveolardruck gegeneinander zu registrieren. Der Alveolardruck entspricht dem Munddruck, wenn das Atemrohr verschlossen ist und damit keine Strömung und kein Druckgefälle mehr möglich ist. Technisch wird dazu ein Ventil aktiviert, das das Atemrohr verschließt, und der Proband wird aufgefordert, gegen diesen Widerstand zu atmen. Die jetzt festgestellten Druckänderungen in der Kammer (δPB) werden gegen die Druckänderungen am Mund (δPM) registriert (Verschlussdruckkurve). Die Steigung der erhaltenen Geraden (tgα) wird durch die Steigung der Fluss-Druck-Kurve (tgβ) dividiert. Der gewonnene Wert entspricht dem Atemwegswiderstand (tgα/tgβ = Raw). Intrathorakales Gasvolumen (IGV). Aus der Verschlussdruckkurve lässt sich noch ein zweiter Parameter bestimmen, das intrathorakale Gasvolumen (IGV). Wird das Atemrohr am Ende einer normalen Inspiration verschlossen, entspricht das jetzt im Thorax befindliche Gasvolumen eines Gesunden der funktionellen Residualkapazität (FRC). Während mit den Fremdgasmethoden zur Bestimmung der FRC nur Volumen erfasst werden können, die in offener Verbindung mit dem Bronchialsystem stehen, gehen bei der bodyplethysmographischen Messung des IGV alle intrathorakal befindlichen Gasvolumina ein, auch wenn sie nicht mit dem Tracheobronchialbaum in Verbindung stehen. IGV und FRC sind damit nur bedingt vergleichbar. Bei obstruktiven Venti-

Diffusion. Die vom Sauerstoff in der Alveole zu überwindende Strecke beträgt an der Grenzfläche zwischen Epithel und Endothel unter physiologischen Verhältnissen nur einen Mikrometer. Der PO2 in den Alveolen beträgt in der gesunden Lunge etwa 100 mmHg, wohingegen im venösen Blut der pulmonalen Kapillaren der PO2 nur etwa 40 mmHg ausmacht. Somit besteht ein erhebliches Druckgefälle, das den Gasaustausch begünstigt. Die Diffusion von Sauerstoff weist erhebliche Reserven auf, bereits nach einem Drittel der Verweildauer des Blutes in den Lungenkapillaren hat die O2-Spannung im Erythrozyten die alveoläre O2-Spannung erreicht. Fick-Diffusionsgesetz. Dieses Gesetz (Abb. 27.13) beschreibt den Weg und den Widerstand der Sauerstoffmoleküle aus der Alveole bis zum Erythrozyten. Die Messung der Diffusionskapazität (Transferfaktor) für Sauerstoff ist mess-und rechentechnisch komplex. Aus diesem Grund wird für die Analyse der Diffusion Kohlenmonoxid verwendet, das eine sehr hohe Affinität zum Hämoglobin aufweist. Der Austausch von Kohlenmonoxid zwischen der Alveolarluft und dem Blut wird im Wesentlichen nur von der Beschaffenheit der alveolokapillären Membran determiniert. Damit eignet sich die Kohlenmonoxidaufnahme des Blutes aus einem Luftgemisch, das eine definierte Kohlenmonoxidkonzentration enthält, als Maß für die Diffusionskapazität. Messverfahren. Es werden 2 Messverfahren unterschieden: die Einatemzug-(Single Breath)Methode und die Steady-State-Methode. ➤ Bei der Einatemzugmethode wird ein Gasgemisch, bestehend aus 0,3% Kohlenmonoxid, ca. 10% Helium und Luft eingeatmet, die Luft dann bei maximaler Inspiration für 10 s (Apnoephase) angehalten und danach ausgeatmet. In der Ausatemluft werden die Gaskonzentrationen analysiert. Die Kohlenmonoxidaufnahme während der Apnoe ist ein Maß für die Diffusionskapazität (Abb. 27.14).

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27.1 Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie

Abb. 27.15 Typische pathophysiologische Konstellationen, die eine Verminderung der Diffusionskapazität der Lunge nach sich ziehen. Schematisch dargestellt sind eine Alveole mit zuführendem Atemweg, die Alveolarmembran und Lungenkapillaren. Abb. 27.13 Fick-Diffusionsgesetz. . V = DM (PA - PC) DM =

kAα d MW

. V = geförderte Gasmenge PA = alveolärer Gasdruck PC = kapillärer Gasdruck k = Diffusionskonstante der Membran A = Membranfläche d = Membrandicke α = Löslichkeitskoeffizient des Gases in der Membran MW = Molekulargewicht des Gases

rung der Diffusionsstrecke oder zu einer Verminderung des Gefäßquerschnitts (Abb. 27.15) kommt.

Die Diffusionsstrecke nimmt zu bei diffusen parenchymatösen Lungenerkrankungen wie der idiopathischen Lungenfibrose, der Gefäßquerschnitt verringert sich z. B. bei einem Lungenemphysem durch Verlust von Kapillaren, aber auch bei einer Lungenembolie durch Verlegung von Kapillaren. Auch Verdickungen der Gefäßwand, wie sie z. B. bei der pulmonalen Hypertonie vorkommen, verringern die Diffusionskapazität. Da in das Messergebnis nicht nur der Durchtritt des Testgases durch die alveolokapilläre Membran, sondern auch die Durchblutung der Kapillaren, die Hämoglobinkonzentration und die Homogenität der Ventilation eingehen, handelt es sich bei den genannten Messgrößen eigentlich nicht um die Bestimmung der reinen Diffusionskapazität. Vor diesem Hintergrund hat sich der Begriff Transferfaktor eingebürgert.

Abb. 27.14 Analyse der Gasaustauschfähigkeit der Lunge über Bestimmung des Transferfaktors für Kohlenmonoxid mit der Einatemzugmethode. TLC = totale Lungenkapazität, IVC = inspiratorische Vitalkapazität, RV = Residualvolumen.

➤ Die Steady-State-Methode beruht darauf, dass dem Patienten bei Ruheatmung über eine Reihe von Atemzügen und die Bestimmung des Atemminutenvolumens ein Testgas angeboten wird, bis ein Steady State erreicht ist. Die Einatemzugmethode ist schneller und besser reproduzierbar, allerdings können eine Reihe von Patienten nicht 10 s die Luft anhalten, andere haben so geringe Lungenvolumina, dass das notwendige Totraumauswaschvolumen nicht erreicht wird. Vielfach wird die Diffusionskapazität in Bezug auf die Lungengröße normiert mithilfe des sog. Diffusions- oder Transferkoeffizienten. Hier wird die Diffusionskapazität durch das Lungenvolumen zum Zeitpunkt der Apnoe dividiert (DL/VA; TL/ VA).

Sauerstoffbindung Bindung an Hb. Der größte Teil des die alveolokapilläre Membran überwindenden Sauerstoffs wird an Hämoglobin (Hb) gebunden. Ein Gramm Hb bindet 1,34 ml O2. Bei normalem Hb-Gehalt enthält das arterialisierte Blut daher mehr als 20 ml O2/100 ml Blut. Der physikalisch gelöste Anteil ist im Vergleich dazu mit 0,3 ml/100 ml praktisch bedeutungslos. Die physikalisch gelöste Sauerstoffmenge steigt erst dann erheblich an, wenn Sauerstoff in hohen Konzentrationen gegeben wird. Der Druckgradient zwischen Alveolen und Blut garantiert die Sättigung von Hb mit O2 auch bei beschleunigter Durchblutung (Abb. 27.16). O2-Abgabe. Der steile Teil der Bindungskurve fördert die O2-Gabe in der Peripherie. Der paO2 bleibt trotz Entsättigung ausreichend hoch. Damit kann Sauerstoff kontinuierlich in das Gewebe diffundieren.

Einflussfaktoren. Die Diffusionskapazität wird immer dann vermindert, wenn es entweder zu einer Verbreite-

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Lunge und Atmung

Abb. 27.16 Sauerstoffbindungskurve. Auf der Abszisse ist der Partialdruck (paO2), auf der linken Ordinate die Sättigung (SaO2), auf der rechten Ordinate der Sauerstoffgehalt angegeben. Verschiebung der Bindungskurve durch Anstieg von Temperatur (Temp) und Partialdruck für Kohlendioxid (paCO2), Abfall des pH und Änderung des Erythrozytenstoffwechsels (Vermehrung von DPG?).

Auch respiratorische und metabolische Azidose, Temperaturerhöhung (Fieber) und Anämie verschieben die Bindungskurve nach rechts mit daraus resultierender verbesserter Sauerstoffabgabe ans Gewebe.

Lungenkreislauf

Druckgleichgewicht. Das Verhältnis zwischen Herzzeitvolumen, Druckgefälle und Widerstand in der Lungenstrombahn verhält sich analog dem Ohm-Gesetz. Daraus ergibt sich, dass sowohl Veränderungen des Widerstandes als auch des Herzzeitvolumens eine Veränderung des Drucks im kleinen Kreislauf induzieren können. Es gilt jedoch zu beachten, dass auch bei sehr starker Steigerung des Herzzeitvolumens im Rahmen von körperlicher Anstrengung bis zur Maximalleistungsfähigkeit keine signifikante Steigerung des Drucks im kleinen Kreislauf resultiert. Dies kommt dadurch zustande, dass bei Steigerung des HZV und damit verbundenem vermehrtem pulmonalem Blutfluss bereits offene Lungengefäße ihren Durchmesser erweitern und zusätzliche Gefäße eröffnet werden (Rekruitment). Auf diese Weise sinkt der Strömungswiderstand sogar ab. Physiologischerweise besteht auf niedrigem Druckniveau ein Druckgleichgewicht zwischen Kapillaren, Interstitium und Alveolen. Lymphsystem. Das Lymphsystem der Lunge ist lediglich in der Lage, etwa 5 – 10 ml/h abzutransportieren. Übersteigt der mittlere pulmonale Kapillardruck akut 25 – 30 mmHg, ist das Lymphsystem überfordert und Flüssigkeit tritt in den Alveolarbereich aus. Aufgrund der hydrostatischen Kräfte kommt es zuerst zu einer Ansammlung von Flüssigkeit in den basalen Abschnitten.

Rechtsherzkatheteruntersuchung Der Rechtsherzkatheter (Abb. 27.17) ermöglicht die Bestimmung von zentralvenösem Druck, rechtem Vorhof- und Ventrikeldruck, pulmonalarteriellem Druck, pulmonalkapillärem Verschlussdruck (entspricht dem Druck im linken Vorhof), Herzminutenvolumen und Herzindex (Herzminutenvolumen pro m2 Körperoberfläche).

Lungendurchblutung Pulmonalarterieller Druck. Die Höhe des pulmonalarteriellen Drucks wird bestimmt durch das die Lunge durchfließende Herzzeitvolumen (HZV), den Druck im linken Vorhof und den pulmonalen Gefäßwiderstand (W):

Druckmessung im Lungenkreislauf. Der Katheter wird in die Lungenstrombahn über eine der großen Körpervenen und das rechte Herz eingeschwemmt. An der Spitze des Katheters findet sich ein Druckabnehmer, der die Messung der Drücke in der Pulmonalarterie (systolisch,

PA - PL = HZV · W PA = pulmonalarterieller Druck PL = Druck im linken Vorhof HZV = Herzzeitvolumen W = Widerstand Gefäßwiderstand. Dieser berechnet sich nach dem Hagen-Poiseuille-Gesetz und wird damit in erster Linie durch den Gefäßradius bestimmt, da dieser in der 4. Potenz eingeht:

W = 8 x η · l / π · r4

η = Blutviskosität l = Gefäßlänge r = Gefäßradius

Abb. 27.17 Schematische Darstellung der Rechtsherzkatheteruntersuchung mit dem Swan-Ganz-Katheter. PAP = pulmonalarterieller Druck, PCP = pulmonalkapillärer Druck.

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27.1 Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie

diastolisch, Mitteldruck) erlaubt. Ein an der Katheterspitze befindlicher Ballon kann gefüllt und damit der Querschnitt des betroffenen pulmonalarteriellen Austritts verlegt werden. Der jetzt an der Spitze gemessene Druck entspricht dem pulmonalkapillären Druck, der wiederum dem Druck im linken Vorhof und damit dem linksventrikulären enddiastolischen Druck gleicht, sofern keine Mitralstenose besteht. Damit kann bei der Rechtsherzkatheteruntersuchung nicht nur eine pulmonale Hypertonie diagnostiziert, sondern auch deren Ursache (in der Lungenstrombahn = präkapillär bzw. vom linken Herzen fortgeleitet = postkapillär) eingegrenzt werden.

Tabelle 27.3 Normwerte der Hämodynamik im kleinen Kreislauf unter Ruhebedingungen

Bestimmung des Herzzeitvolumens. Gekühlte 0,9%ige Kochsalzlösung wird in einen Schenkel des Katheters injiziert, der sich ungefähr 10 cm proximal der Katheterspitze in die Blutbahn öffnet. Von dort wird das Kochsalz mit dem Blutstrom in Richtung Katheterspitze transportiert. Dort befindet sich ein Thermistor, der den Temperaturunterschied über die Zeit analysiert. Anhand der Fläche unter der Temperaturkurve kann auf das Herzzeitvolumen rückgeschlossen werden (sog. Indikatorverdünnungsmethode). Pulmonalvaskulärer Widerstand. Dieser kann auf folgende Weise aus den Rechtsherzkatheterdaten abgeleitet werden: PAPMittel - PCPMittel PVR = HZV · 80

PVR = pulmonalvaskulärer Widerstand PAPMittel = pulmonalarterieller Mitteldruck PCPMittel = pulmonalkapillärer Mitteldruck HZV = Herzzeitvolumen Normwerte. Die Normwerte für die hämodynamischen Werte des kleinen Kreislaufs finden sich in Tab. 27.3. Der pulmonalarterielle Mitteldruck beträgt etwa 15 mmHg. Damit ist der Blutdruck im kleinen Kreislauf unter physiologischen Bedingungen um den Faktor 10 niedriger als im großen Kreislauf.

Parameter

Normwert

Herzminutenvolumen (l/min)

6–8

Rechtsatrialer Druck (mmHg)

4–6

Pulmonalartieller Druck (mmHg) ➤ systolisch

15 – 30

➤ diastolisch

3 – 12

➤ Mittel

9 – 16

Pulmonalkapillärer Druck (mmHg)

6–9

Pulmonalvaskulärer Widerstand (dyn ⫻ s ⫻ cm-5)

67 ⫾ 23

Blutgasuntersuchung Die Blutgase geben die Effizienz von Ventilation, Diffusion, Perfusion und Ventilations-Perfusions-Verhältnis wieder. Die Blutgase zeigen üblicherweise erst bei fortgeschrittenen Krankheitsstadien pathologische Veränderungen, allerdings können latente Störungen durch Belastungsuntersuchungen offen gelegt werden. Durchführung. Üblicherweise wird arterialisiertes Kapillarblut aus dem hyperämisierten Ohrläppchen gewonnen. Die mit diesem Verfahren erzielten Werte stimmen mit durch arterielle Punktion erhaltenen Daten sehr gut überein, sofern der Patient nicht als Folge eines Schockzustandes eine zentralisierte Kreislaufsituation aufweist. Die Blutabnahme erfolgt mittels heparinisierter Mikrokapillaren. Die Messung geschieht mit Mikroelektroden, die den paO2, den paCO2und den pH analysieren. Normwerte. Die Normwerte sind in Tab. 27.4 dargestellt. In venösen Blutproben sind naturgemäß der paO2 und die SaO2 niedriger und der paCO2 höher als im arteriellen Blut bzw. im arterialisierten Kapillarblut (Tab. 27.4). Säure-Basen-Status. Störungen des Säure-Basen-Haushalts sind aus klinischer Sicht von großer Bedeutung. Zur Beurteilung des Säure-Basen-Status und seiner möglichen Störungen (Tab. 27.5) benötigt man neben den ge-

Tabelle 27.4

Normwerte für Blutgase und Säure-Basen-Status

Parameter

Einheit

Arteriell

paO2

mmHg

paCO2

mmHg

35 – 45

pH

Kapillär

Venös

7,35 – 7,45

7,35 – 7,45

7,35 – 7,40

*

*

35 – 45

35 – 45

40 – 50 55 – 70

SaO2

%

92 – 96

92 – 96

Standardbikarbonat

mmol/l

22 – 26

22 – 26

24 – 30

Basenüberschuss (BE)

mmol/l

⫺3 bis + 3

⫺3 bis + 3

⫺3 bis + 3

* abhängig von Alter, Geschlecht, Gewicht

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