Klinik der Lungentuberkulose

Leitthema Pneumologe 2007 · 4:151–162 DOI 10.1007/s10405-007-0146-z Online publiziert: 28. März 2007 © Springer Medizin Verlag 2007 T. Fuehner 1 · M....
Author: Nelly Hausler
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Leitthema Pneumologe 2007 · 4:151–162 DOI 10.1007/s10405-007-0146-z Online publiziert: 28. März 2007 © Springer Medizin Verlag 2007

T. Fuehner 1 · M. Stoll2 · F.C. Bange3 · T. Welte1 · M.W. Pletz1 1 Abteilung Pneumologie, Medizinische Hochschule Hannover 2 Abteilung Klinische Immunologie, Medizinische Hochschule Hannover 3 Abteilung Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene, Medizinische Hochschule Hannover

Redaktion

R. Loddenkemper, Berlin

Klinik der Lungentuberkulose Als Tuberkulose wird die Erkrankung durch humanpathogene, säurefeste Bakterien des Mycobacterium-tuberculosis-Komplexes bezeichnet. Im Jahr 1882 wurde der Erreger der Tuberkulose durch Robert Koch entdeckt, ihm zu Ehren wird anstelle von „Tuberkulose“ auch von „M. Koch“ gesprochen. Trotz effektiver Therapieoptionen sterben unverändert mehr Menschen an der Tuberkulose als an jeder anderen bakteriellen Infektionskrankheit. Der Mensch stellt als Wirt das einzig natürlich vorkommende Reservoir von Mycobacterium tuberculosis dar. Mycobacterium tuberculosis wird fast immer durch Aerosole (Größe von 1–5 μm Durchmesser) übertragen. Ein Drittel der Weltbevölkerung ist latent mit Mycobacterium tuberculosis infiziert. Schätzungsweise 5–10% der latent Infizierten entwickeln im Laufe ihres Lebens eine aktive Tuberkulose [7]. Etwa 8–9 Mio. Menschen erkranken jährlich an Tuberkulose, und knapp 2 Mio. Menschen sterben pro Jahr an den Folgen dieser Erkrankung, davon etwa 80% in nur 20 Ländern in Asien und Afrika [36]. In Deutschland nimmt der Anteil der im Ausland geborenen Patienten kontinuierlich zu und macht jetzt fast 50% aus [25].

Definitionen Offene Tuberkulose. Als offene Tuberkulose bezeichnet man die nachweisbare Erregerausscheidung. Der Nachweis, meist aus Atemwegssekreten, kann licht-

mikroskopisch oder kulturell erfolgen. Inzwischen ist die PCR der mykobakteriellen 16S-RNA der Goldstandard zur Differenzierung der mykobakteriellen Spezies. Als direkte Nachweismethode ist die PCR weniger sensitiv als die Kultur. Der positive Nachweis in Direktpräparat oder Kultur erfordert bei der Lungentuberkulose die vorübergehende Isolation des Patienten [28]. Wegen der geringen Sensitivität und unabhängig von der Methode ist die Gewinnung von mindestens 3 mikrobiologischen Proben erforderlich –, und ein 1-malig negatives Testergebnis schließt daher eine offene Lungentuberkulose nicht aus. Eine Antibiotikaresistenzbestimmung bei Erstisolaten ist obligat, um einer unzureichenden Therapie vorzubeugen. Latente Tuberkulose. Unter latenter Tuberkulose wird die klinisch stumme Persistenz von jederzeit reaktivierbaren Erregern verstanden. Die Diagnose erfolgt hier mit immunologischen Testverfahren, die die spezifische T-Zell-Antwort gegen Mycobacterium tuberculosis messen. Inzwischen obsolet ist der wenig sensitive Stempeltest. Sensitiver und spezifischer als der Intrakutantest ist ein neuerdings verfügbarer γ-Interferon-Test, dessen weitere Vorteile sind, dass er im Gegensatz zu den Hauttests ohne einen zweiten Wiedervorstellungstermin und in vitro durchgeführt werden kann. Das lebenslange Risiko eines latent mit Mycobacterium tuberculosis Infizierten, an einer behandlungsbedürftigen Tuberkulose zu erkranken, liegt für einen immunkompetenten Menschen zwischen 2 und über 20% und ist

in den ersten beiden Jahren nach Infektion am höchsten. Verschiedene Faktoren, wie beispielsweise immunkompromittierende Erkrankungen oder eine immunsuppressive Medikation, können das Erkrankungsrisiko erheblich steigern, so liegt das Risiko für eine Reaktivierung einer latenten Tuberkulose für HIV-Infizierte bei 5–10% pro Jahr. Die Indikation zur Chemotherapie einer latenten tuberkulösen Infektion ist individuell unter sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung zu stellen und setzt neben der Patientenmitarbeit eine intensive Aufklärung des Patienten sowie eine sorgfältige Kontrolle unter Therapie voraus [11, 27]. Sputumkonversion. Man spricht von einer Sputumkonversion, wenn 3 konsekutive Sputen eines Patienten mit zunächst positiven Sputen mikroskopisch negativ ausfallen. Das zeitliche Intervall zwischen den Sputumabnahmen wird nicht spezifiziert [5]. Typischerweise wird das Morgensputum von 3 aufeinanderfolgenden Tagen verwendet. Tuberkulinkonversion. Damit bezeichnet man das Auftreten eines positiven Ergebnisses im Hauttuberkulintest oder im γ-Interferon-Test bei zuvor negativ reagierenden Personen. Reaktivierung. Das Auftreten einer aktiven Tuberkulose nach einer bereits länger zurückliegenden Infektion wird als Reaktivierung bezeichnet. Reinfektion. Eine erneute exogene Infektion eines Patienten, der schon mit MycoDer Pneumologe 3 · 2007

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Leitthema 1.1 1.0 0.9

PCT ng·mL–1

0.8 0.7 0.6 0.5 0.4 0.3 0.2 0.1 0

HAP

CAP

AECB

TB

Kontrollgruppe

Patienten

Abb. 1 8 Procalcitoninkonzentration (PCT) bei Patienten mit nosokomialer Pneumonie („hospital-acquired pneumonia“, HAP; n=25), ambulant erworbener Pneumonie („community-acquired pneumonia“, CAP; n=26), akuter exazerbierter chronischer Bronchitis (AECB; n=26), Tuberkulose (TB; n=27) und Kontrollgruppe (keine Infektion der Lunge, n=25). Gezeigt sind die 25., 50. und 75. Perzentile mit Minima, Maxima und Ausreißern [22]

bacterium tuberculosis infiziert war oder es zum Zeitpunkt der erneuten Infektion noch ist, wird als Reinfektion bezeichnet.

Epidemiologie Für das Jahr 2004 lag die globale Inzidenz der Erkrankung bei 8,9 Mio., die Prävalenz der aktiven Tuberkulose bei 14,6 Mio. Menschen. Nachweislich verstorben sind in diesem Jahr 1,7 Mio. Menschen weltweit (WHO; [35]). Mit 3% aller Todesfälle liegt die Tuberkulose an 8. Stelle der weltweiten Todesursachenstatistik [9]. Die Ausbreitung von Tuberkulose wird durch Armut, Migration, medizinische Unterversorgung und die sich ebenfalls ausbreitende HIV-Infektion begünstigt. Das Erkrankungsrisiko für eine Tuberkulose bei HIVinfizierten ist je nach Immunstatus gegenüber der Normalbevölkerung um das 10bis 100-Fache erhöht [30]. Eine Koinfektion von HIV und Tuberkulose kommt bei 2‰ der Weltbevölkerung vor [9]. Die Hauptlast der Erkrankungen liegt in den Ländern der 3. Welt, insbesondere betroffen sind Zentralafrika und Südostasien. Die Inzidenz der Erkrankung nahm in den vergangenen Jahren jedoch auch in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion als Folge des politischen Umbruchs und der damit verbundenen sozialen Veränderungen zu. Demgegenüber sinkt die Inzidenz in West- und Zentraleuropa. Angesichts der globalen Zunahme der Tuber-

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kulose sind jedoch durch Zuwanderung aus Ländern mit hoher Erkrankungshäufigkeit auch Auswirkungen auf die Situation in den Industrienationen zu erwarten [4, 25].

Erreger und Pathogenese Mycobacterium tuberculosis gehört zum Genus Mycobacterium, das über 50 Spezies umfasst. Die wichtigsten Vertreter des sog. Mycobacterium-tuberculosis-Komplexes sind Mycobacterium tuberculosis, Mycobacterium bovis und Mycobacterium africanum [32]. Klinisch kann beim Menschen eine Infektion mit den 3 Spezies nicht unterschieden werden. Mycobacterium tuberculosis wird mit Abstand am häufigsten isoliert, Mycobacterium bovis spielt in Ländern mit Rindertuberkulose ein Rolle, während Mycobacterium africanum fast ausschließlich in West-, Zentralund Ostafrika vorkommt. Alle anderen Mitglieder des Genus werden als nichttuberkulöse (früher atypische) Mykobakterien bezeichnet. Ein virulenter Mycobacterium-bovis-Stamm wurde von Albert Calmette und Camille Guerin zwischen 1908 und 1921 durch 230 Kulturpassagen attenuiert. Dieser bis heute verwendete Impfstamm wurde ihnen zu Ehren BCG (Bacille Calmette-Guerin) genannt. Mycobacterium tuberculosis besitzt eine Länge von 1–5 μm und einen Durchmesser von 0,2–0,5 μm. Die Bakterien sind ae-

rob, stäbchenförmig und nicht sporenbildend. Aufgrund ihrer lipidreichen Zellwand sind die Erreger mit der auf Wasser basierenden Gram-Färbung nicht darstellbar. Alle Mykobakterien sind säurefest, d. h., sie lassen sich in der Ziehl-NeelsenFärbung im Gegensatz zu anderen Bakterien durch Säurealkohol nicht entfärben. Die Säurefestigkeit beruht hauptsächlich auf dem hohen Gehalt an Mykolsäuren, langkettigen und verzweigten Fettsäuren sowie anderen Zellwandlipiden. Die Penetration von Antibiotika in die Bakterienzelle wird durch den hohen Lipidgehalt der mykobakteriellen Zellwand erschwert. Das erklärt u. a. die schlechte Wirksamkeit vieler Antibiotika bei Tuberkulose. Lipoarabinomannan, ein weiterer Bestandteil der Zellwand, ist an der Interaktion zwischen Erreger und Wirt beteiligt und erleichtert das Überleben von Mycobacterium tuberculosis in Makrophagen [18]. Die Interaktion von Erreger und Wirt beginnt mit der Inhalation von erregerhaltigen Aerosolen. Im Alveolarraum werden die Erreger durch unspezifisch aktivierte Alveolarmakrophagen phagozytiert. Für das Abtöten phagozytierter Mykobakterien benötigen die Makrophagen jedoch die Hilfe der T-Zellen. Diese T-Zell-vermittelte Aktivierung erfolgt über Interferon-γ und TNF-α. Insbesondere humanpathogene Mykobakterien besitzen Pathogenitätsfaktoren, die ein intrazelluläres Überleben und Vermehren ermöglichen und dadurch mit den Makrophagen in die regionalen Lymphknoten gelangen können. E Der Befall regionaler Lymphknoten im Rahmen einer Primärinfektion wird als Primärkomplex bezeichnet. Dieses Initialstadium der Infektion verläuft in der Regel inapparent. Nach 2–4 Wochen kommt es zu einer Hypersensitivitätsreaktion, die zu einer Zerstörung nicht aktivierter Makrophagen, die proliferierende Erreger enthalten, führt. Aktivierte Makrophagen sezernieren proinflammatorische Zytokine mit chemotaktischem Effekt auf andere Makrophagen und präsentieren mykobakterielle Antigene gemeinsam mit dem MHC-II-Komplex. Dies führt zur Aktivierung spezifischer CD4+-T-Lympho-

Leitthema

Abb. 2 9 p.a.-Thoraxröntgenaufnahme: Ghon-Herde

direkt in die Alveolen gelangen. Größere Partikel sind nicht mehr alveolargängig und setzen sich somit auf der Schleimhaut der oberen Atemwege ab. Durch die mukoziliäre Clearance werden die Partikel aus dem Bronchialsystem eliminiert und abgehustet oder verschluckt. Die Ansteckungswahrscheinlichkeit eines gesunden Patienten hängt von der Intensität und Dauer des Kontaktes zur erkrankten Person ab, von dessen Infektiosität und den Umgebungsbedingungen. Patienten mit Nachweis säurefester Stäbchen in der Direktmikroskopie sind kontagiöser als Patienten, bei denen nur ein kultureller Nachweis aus dem Sputum gelingt (offene Tuberkulose). Patienten mit extrapulmonaler Tuberkulose können zwar Erreger ausscheiden – z. B. bei der Hauttuberkulose (Lupus vulgaris) oder bei der urogenitalen Tuberkulose –, aber nicht als Aerosol. Die Übertragung der Tuberkulose durch Schmierinfektionen ist aber sehr selten. Eine geschlossene, kulturell negative Lungentuberkulose, die rechtzeitig antimykobakteriell behandelt wird, ist ebenfalls nicht in der Lage, mittels infektiösen Aerosols zur Weiterverbreitung beizutragen. Eine effektive Prävention besteht demnach aus frühzeitiger Erkennung, Behandlung und Isolation von Personen mit einer offenen Lungentuberkulose.

Klinik der Lungentuberkulose

Abb. 3 9 Alte Tuberkulose rechts mit Hilusraffung

zyten. An dieser Stelle entscheidet sich der weitere klinische Verlauf: Dominiert eine Th1-CD4+-Lymphozyten-vermittelte Immunantwort, kommt es verstärkt zur Ausbildung von Granulomen mit verkäsender Nekrose (exsudativ). Überwiegt eine Th2-vermittelte Antwort, entstehen weniger Granulome, und es überwiegt die narbige Schrumpfung (produktiv). Durch die chronische inflammatorische Reaktionslage mit Produktion des auch anorektisch wirksamen TNF-α (früher Kachexin genannt) kommt es u. a. zu deutlichen Gewichtsverlusten. Hieraus resultiert die

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synonyme Bezeichnung „Schwindsucht“ für die Tuberkulose [3, 21].

Übertragung Mycobacterium tuberculosis wird von Patienten mit infektiöser Lungentuberkulose durch Husten, Niesen oder Sprechen übertragen. Diese Patienten scheiden mit der Atemluft alveolargängige Partikel (sog. Aerosole) von 1–5 μm Durchmesser aus. Die auch als Tröpfchenkerne bezeichneten Aerosole können mehrere Stunden in der Luft schweben und bei Inhalation

Bei der Tuberkulose wird aus klinischen und epidemiologischen Gründen eine pulmonale von einer extrapulmonalen Form unterschieden. Vor dem Aufkommen der HIV-Infektion war der ausschließlich pulmonale Befall wesentlich häufiger als die extrapulmonalen Manifestationen (~80%). Bei über der Hälfte der HIV-Infizierten kommt aber ein ausschließlich extrapulmonaler Befall oder neben dem pulmonalen ein zusätzlicher extrapulmonaler Befall vor [17, 31]. Aus pathogenetischer Sicht wird die Tuberkulose in eine primäre und postprimäre Form unterteilt. Anamnestisch ist die Exposition, also die Herkunft aus einem Hochprävalenzgebiet oder der Kontakt zu nachweislich Tuberkuloseinfizierten einer der wichtigsten Hinweise für die Tuberkulose, insbesondere bei einer entsprechenden – für

Zusammenfassung · Abstract sich alleine aber oft uncharakteristischen – Symptomatik.

Die Klinik der Lungentuberkulose ist vielfältig und oftmals wenig spezifisch, beweisend für die Diagnose ist letztlich der eindeutige Speziesnachweis mittels Kultur oder der mikroskopische färberische Nachweis, der durch Nukleinsäurenachweis (z. B. PCR) bestätigt wird. In Abhängigkeit einer zugrunde liegenden Primärinfektion, Reinfektion oder Reaktivierung und je nach Risikokonstellation und Abwehrlage des Patienten werden unterschiedliche klinische Verläufe beobachtet, die im Folgenden kurz umrissen werden. Die allgemeinen Symptome der Patienten sind unspezifisch. Häufig bestehen – oft nicht sehr hohes – Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust („Schwindsucht“) und Abgeschlagenheit [19]. Ebenfalls tritt oftmals zunächst unproduktiver, später produktiver Husten bis hin zur Hämoptoe auf. Bei peripheren Rundherden oder pleuraler Mitbeteiligung können auch pleuritische Beschwerden angegeben werden. Dyspnoe findet sich nur selten bei ausgedehntem Lungenbefall. Tuberkulose kann bei bestimmten Risikofaktoren auch ein ARDS auslösen und eine invasive Beatmung erfordern [10]. Der Lungenauskultationsbefund kann unauffällig sein, teilweise lässt sich jedoch ein Giemen bei partieller Obstruktion des Bronchus oder ein inspiratorisches Rasselgeräusch hören. Über großen Kavernen ist – selten, aber typisch – ein amphorisches Atemgeräusch zu hören. Der laborchemisch nachweisbare Anstieg proinflammatorischer Parameter (C-reaktives Protein und Procalcitonin) ist im Vergleich zu einer konventionellen, bakteriellen Pneumonie deutlich geringfügiger (. Abb. 1; [22]). Im Blutbild findet man meist eine nur mäßige Leukozytose und eine hypochrome Anämie.

ausgelöst. In Gebieten mit einer hohen Tuberkuloseprävalenz (Zentralafrika, Südostasien) kommt diese Form v. a. bei Kindern und Jugendlichen vor. Die primäre Lungentuberkulose ist meist in der Peripherie von Mittel- oder Unterfeldern der Lunge lokalisiert. Oftmals besteht dabei eine hiläre oder paratracheale Lymphadenopathie, die jedoch im Thoraxröntgenbild nur selten zu sehen ist. Dieser periphere kleine Rundherd plus eine regionale Hiluslymphadenopathie wird als Primärkomplex bezeichnet. Bei vielen Patienten schreitet die Krankheit nicht über das Stadium des Primärkomplexes hinaus, und es kommt zur spontanen Remission. Der periphere Rundherd stellt sich dann später als lokale, kleine Verkalkung dar (Ghon-Herd; . Abb. 2). Bei immunsupprimierten Patienten (z. B. bei HIV) oder bei Mangelernährung kommt es hingegen häufiger zu einem raschen Fortschreiten der Erkrankung. Der initiale Lungenherd nimmt hierbei schnell an Größe zu. Das Zentrum kann nekrotisieren, und es entsteht eine Kaverne. Durch Eindringen der Erreger in den Pleuraspalt oder bei subpleuralen Herden können Pleuraergüsse entstehen. Eine Pleurabeteiligung ist typisch für die primäre Tuberkulose. In Ländern mit einer hohen Inzidenz ist die Tuberkulose die häufigste Ursache für einen exsudativen Pleuraerguss. Selten kann bei der Ruptur einer Kaverne in die Pleura oder durch die Entstehung einer bronchopleuralen Fistel ein tuberkulöses Empyem entstehen. Eine Ausbreitung in mediastinale oder hiläre Lymphknoten kann zur Obstruktion von Bronchien führen, die die Entwicklung eines obstruktiven Emphysems oder von Bronchiektasen fördern. Im Zuge einer sekundären hämatogenen Streuung entstehen granulomatöse Läsionen in anderen Organen. Insbesondere bei immunsupprimierten Patienten kann es zu einer Generalisierung mit hypoerger Immunantwort (Miliartuberkulose) oder Anergie (Landouzy-Sepsis – s. unten) oder auch zu einer tuberkulösen Meningitis kommen.

Primäre Lungentuberkulose

Postprimäre Tuberkulose

Die primäre Lungentuberkulose wird durch Erstinfektion mit M. tuberculosis

Diese Formen entstehen durch endogene Reaktivierung der latenten Infektion. Sie

> Beweisend für die Diagnose ist

der Speziesnachweis mittels Kultur oder der mikroskopische färberische Nachweis

Pneumologe 2007 · 4:151–162 DOI 10.1007/s10405-007-0146-z © Springer Medizin Verlag 2007 T. Fuehner · M. Stoll · F.C. Bange · T. Welte · M.W. Pletz

Klinik der Lungentuberkulose Zusammenfassung Ein Drittel der Weltbevölkerung – mit großen regionalen Unterschieden – ist latent mit Mycobacterium tuberculosis infiziert. Eine Infektion mit dem Erreger manifestiert sich am häufigsten in der Lunge. Die Lungentuberkulose wird in eine primäre und eine postprimäre Form unterteilt. Abhängig von individuellen Risikofaktoren (z. B. HIV-Infektion, ethnische Zugehörigkeit), Exposition (z. B. Herkunft aus Hochprävalenzregion) und Stadium der Erkrankung (Primärinfektion, Reinfektion, Reaktivierung) können individuell sehr verschiedene klinische Bilder resultieren. An der Tuberkulose sterben weiterhin jährlich mehr Menschen weltweit als an jeder anderen bakteriellen Infektionskrankheit. Die frühzeitige Erkennung, effektive Behandlung und Isolation von Personen mit einer offenen Lungentuberkulose stellen die wichtigsten Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung dar. Schlüsselwörter Lungentuberkulose · Reaktivierung · Reinfektion · Tuberkulinhauttest · γ-Interferon-Test

Clinical aspects of pulmonary tuberculosis Abstract Pulmonary tuberculosis can be divided into primary and post-primary forms. Infected individuals can present with highly variable clinical pictures dependent on risk factors (e.g. HIV infection, ethnic background), exposition (e.g. origin in high prevalence regions) and stage (primary infection, reinfection, reactivation). More people continue to die from tuberculosis yearly than from any other bacterial infection. It is crucial to identify patients with active pulmonary tuberculosis in order to promptly initiate therapy and to prevent transmission of the disease. Keywords Pulmonary tuberculosis · Reactivation · Reinfection · Tuberculin skin test · Interferongamma assay

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Leitthema umgebendem Granulationsgewebe. Ein Tuberkulom kommt überwiegend in der Lunge vor, kann aber auch extrapulmonale Organe betreffen (z. B. Hirn, Milz, Leber). Tuberkulomentstehungen sind unter einer wirksamen antituberkulotischen Chemotherapie beschrieben und als Immunrekonstitutionsphänomen bezeichnet worden [33]. Eine Kavernenbildung ist möglich. Wegen der Differenzialdiagnose (z. B. Tumor) ist eine histologische Klärung anzustreben.

Abb. 4 9 Bilaterale kavernöse Tuberkulose

Kavernöse Tuberkulose (exsudative Lungentuberkulose) Einschmelzende Kavernen (. Abb. 4) bilden sich aus zentral verkäsenden Granulomen, die sich über einen sog. Drainagebronchus entleeren und Erreger ausscheiden. Diese Patienten geben besonders morgendliches Husten mit Auswurf an und sind hoch infektiös. Weitere Symptome können Hustenreiz, (sub)febrile Temperaturen, Nachtschweiß, Inappetenz oder Gewichtsverlust sein. Im Verlauf kann es zur bronchogenen Metastasierung in der gesamten Lunge kommen. Ausgedehnte Nekrosehöhlen können zur Zerstörung anliegender Strukturen/Organe führen.

Käsige Pneumonie (exsudative Lungentuberkulose) Abb. 5 9 Bilaterale pneumonische Tuberkulose

sind pulmonal meist in den apikalen und posterioren Oberlappensegmenten und weniger häufig in den oberen Segmenten des Lungenunterlappens lokalisiert, da das höhere Sauerstoffangebot in den besser perfundierten Oberlappen bessere Wachstumsbedingungen für die aeroben Mykobakterien bietet [2, 16, 23]. Der Lungenbefall kann sich als kleines Infiltrat bis hin zu einer ausgedehnten Kaverne manifestieren. Ein massiver Befall mehrerer Segmente oder Lappen mit Verschmelzung der Herde kann zu einer tuberkulösen Pneumonie (s. unten) führen, an der ein Drittel der unbehandelten Patienten innerhalb von wenigen Wochen verstirbt. Bei einer chronischen Verlaufsform, die von Allgemeinsymptomen wie Gewichts-

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verlust und Leistungsabfall (klassische „Schwindsucht“) begleitet wird, können einige Herde fibrosieren und verkalken, während in anderen Lungenabschnitten die Kavernen persistieren (. Abb. 3). Patienten mit einer chronischen Verlaufsform stellen daher – ohne ausreichende Behandlung – ein dauerhaftes Infektionsrisiko für ihre Umwelt dar.

Subformen der postprimären Tuberkulose

Hierbei handelt es sich meist um ein sehr schweres Krankheitsbild mit radiologisch nachweisbaren lobären oder segmentalen Infiltraten (. Abb. 5). Die Patienten leiden häufig unter Fieber mit akuten atemabhängigen Thoraxschmerzen (besonders bei pleuraler Mitbeteiligung), Dyspnoe, Tachykardie und produktivem Husten. Pleuraerguss oder -empyem können bei dieser Verlaufsform auftreten. Als mögliche Komplikationen kommen außerdem Abszesse mit Einschmelzungen oder sekundäre Streuungen vor. Wird bei Patienten mit einer solchen Klinik eine bakterielle Mischflora nachgewiesen, spricht dies nicht gegen eine Tuberkulose, sondern für eine Kolonisation bzw. Superinfektion des geschädigten Gewebes.

Tuberkulom Eine gute Abwehrlage kann zum sog. Tuberkulom führen – einem größeren tuberkulösen Rundherd, bestehend aus einem nekrotischen Zentrum („Verkäsung“) mit

Mediastinale Lymphknotentuberkulose Diese Form wird meist als Zufallsbefund im Thoraxröntgenbild entdeckt und

Leitthema tuberkulösen Herdes. Rezidivierende Pleuraergüsse (. Abb. 6) führen häufig zu einer Dyspnoe des Patienten. Der oft gekammerte, proteinreiche Erguss kann ohne Therapie zu einer Schwartenbildung führen mit restriktiver Lungenfunktionseinschränkung.

Zirrhotische Lungentuberkulose

Abb. 6 9 Ausgedehnter tuberkulöser Pleuraerguss links

Hierbei handelt es sich um eine Spätform einer meist ausgedehnten Tuberkulose, die häufig spät erkannt und/oder nicht ausreichend therapiert wurde. Wegen des schleichenden Verlaufs ist die Klinik meist symptomarm. In der Thoraxröntgenaufnahme zeigen sich häufig multiple Herde und Vernarbungen nebeneinander. Durch ausgedehnte regressive Prozesse entsteht ein Mischbild aus narbigen Veränderungen, sekundären Überblähungszonen und chronisch obstruktiven Atemwegserkrankungen. Zu den möglichen Komplikationen zählen Cor pulmonale, sekundäre pulmonale Hypertonie und COPD.

Tuberkulose bei HIV

Abb. 7 9 Silikotuberkulose in der p.a.-Aufnahme

Tuberkulose gehört zu den Aids-definierenden Erkrankungen. Das Risiko eines HIV-positiven Patienten, an einer Tuberkulose zu erkranken, ist ca. 100-fach erhöht. Der Krankheitsverlauf kann bei diesen Patienten besonders dramatisch sein. Gefürchtet sind dabei paradoxe Verschlechterungen, sog. immunrekonstitutionelle inflammatorische Syndrome (IRIS), die durch eine verstärkte proinflammatorische Immunitätslage sowohl unter antiretroviraler Therapie der HIV-Infektion als auch allein unter antimykobakterieller Chemotherapie auftreten können [34].

Silikotuberkulose kommt bei Kindern häufiger als bei Erwachsenen vor (Schwarzafrikaner häufiger als Europäer). Die Symptome der Patienten sind meist unspezifisch. Ausgeprägte Hiluslymphome können durch eine Bronchialobstruktion mit Atelektasen oder poststenotischer Pneumonie einhergehen. Zu den Differenzialdiagnosen gehören M. Boeck, maligne Lymphome und Metastasen solider Tumoren.

Bronchialschleimhauttuberkulose Die Patienten stellen sich häufig mit therapieresistentem Husten vor. Gewichtsver-

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lust, subfebrile Temperaturen und Leistungsminderung können ebenfalls auftreten. Radiologische Auffälligkeiten in der Thoraxröntgenaufnahme sind selten. Als mögliche Komplikationen kommen Atelektasen und poststenotische Pneumonien bei Obstruktion durch spezifische Granulome vor [15].

Pleuritis exsudativa tuberculosa Die Pleuritis exsudativa tuberculosa (eigentlich zu den extrapulmonalen Tuberkulosen zählend) entsteht oft durch Einbrechen eines postprimären pleuranahen

Bei einer prävalenten Silikose ist die Thoraxröntgenuntersuchung meist durch die vorbestehenden Veränderungen erschwert (. Abb. 7, 8). Tuberkulintest, Sputumbakteriologie und nötigenfalls invasive Diagnostik mit Bronchoskopie, bronchialer Lavage, BAL und transbronchialen Biopsien sollten folgen. Eine Silikotuberkulose neigt häufiger zu Reaktivierungen als andere Tuberkulosen.

Miliartuberkulose Die Miliartuberkulose ist die Folge einer massiven hämatogenen Aussaat von My-

kobakterien. Extrapulmonale Manifestationen sind hierbei fast regelhaft. Bei erwachsenen Patienten sieht man dieses Krankheitsbild im Rahmen eines Erstinfektes oder als Reaktivierung. Bei Kindern kommt dieses Krankheitsbild häufiger in Folge eines Erstinfektes vor. Die Läsionen bestehen typischerweise aus 1–2 mm großen, gelblichen, hirsekornähnlichen (milium=Hirsekorn) Granulomata. Die Symptome sind meist unspezifisch mit Fieber, Nachtschweiß, Appetitlosigkeit, Schwäche und Gewichtsverlust. Respiratorische Symptome können vorkommen. Beim Untersuchungsbefund können eine Hepatomegalie, Splenomegalie und Lymphadenopathie auffallen. Die für die Miliartuberkulose pathognomonischen Netzhauttuberkulome können sich bei der Spiegelung des Augenhintergrundes zeigen. In Thoraxröntgenaufnahmen ist häufig eine miliare, retikulonoduläre Musterung des Lungenparenchyms zu erkennen (. Abb. 9, 10). In frühen Stadien oder bei gleichzeitiger HIV-Infektion kann das Röntgenbild auch unauffällig sein, da (noch) nicht genügend spezifische Leukozyten für die Granulombildung zur Verfügung stehen. Ausgedehnte Infiltrate oder Pleuraergüsse können sich zusätzlich zeigen. Sputumproben fallen bei über 80% negativ aus. Das Blutbild kann eine Anämie, Leukozytose mit Neutrophilie oder eine Leukopenie aufweisen. Bei einer Leberbeteiligung zeigen sich pathologisch erhöhte Leberfunktionsparameter. In der Abdomensonographie ist dann häufig ebenfalls eine miliare Musterung des Leberparenchyms zu erkennen. γ-Interferonund Tuberkulintest bleiben meist negativ. Eine Bronchoskopie mit BAL oder transbronchialen Biopsien ist häufiger zielführend. Hinweise für eine ZNS-Beteiligung sollten unbedingt beachtet werden. Unbehandelt führt dieses Krankheitsbild zum Tode [14, 24] Die empirisch sofort einzuleitende Therapie steht daher bei klinischem Verdacht im Vordergrund.

Landouzy-Sepsis Hierbei handelt um die schwerste Form der Miliartuberkulose mit hämatogener Tuberkelbakterienaussaat. Es kommt zur

Abb. 8 7 Silikotuberkulose in der seitlichen Aufnahme

Abb. 9 7 p.a.-Thoraxröntgenaufnahme: Miliartuberkulose

massiven Absiedlung in alle Organe ohne immunologische Reaktion. Der Erregernachweis gelingt bei der Landouzy-Sepsis in der Blutkultur. Unbehandelt ist die Prognose infaust.

Diagnostik Die Anamnese und der klinische Befund der Tuberkulose können uncharakteristisch sein und zudem interindividuell sehr Der Pneumologe 3 · 2007

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Abb. 10 9 CT-SchichtThorax (ohne Kontrastmittel): Miliartuberkulose

variieren. Die Ausprägung radiologischer Befunde und Reaktivität im γ-Interferonund im Hauttest kann zusätzlich vom Immunstatus des Patienten abhängen.

fisch. Erst ab einer Keimdichte von 105– 106/ml ist mit einem sicher positiven Befund zu rechnen. > Die Kultur stellt immer

Bildgebung Die Thoraxröntgenaufnahme ist das wichtigste apparative Untersuchungsverfahren bei allen Formen der Tuberkulose. Aufgrund der geringen Sensitivität kann bei klinischem Verdacht damit eine Tuberkulose nicht ausgeschlossen werden. Die Computertomographie ist ein sensitiveres Verfahren zur Erkennung von atypischen Veränderungen der Lungentuberkulose (hiläre Lymphadenopathie, Infiltrate/Kavernen im Mittellappen/Unterlappen, solitäre Knoten, Pleuraerguss; [12, 20, 35]).

Mikrobiologische Nachweisverfahren Zur mikrobiologischen Diagnostik der pulmonalen Tuberkulose werden 3 an verschiedenen Tagen gewonnene Morgensputen verwendet. Produziert der Patient kein Sputum, besteht die Möglichkeit, durch Inhalation mit 5%iger oder 10%iger Kochsalzlösung Sputum zu provozieren. Bleibt die Sputumprovokation negativ, sollte eine bronchoskopische Materialgewinnung erfolgen [29]. Für die Diagnostik der extrapulmonalen Tuberkulose ist grundsätzlich jedes Material (Punktate, Biopsien etc.) geeignet. Die mikroskopische Untersuchung ist schnell (