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„Kein Zeichen vom Himmel“ (Predigt zu Markus 8,11-13)

Liebe Gemeinde, die Pharisäer und die Schriftgelehrten hatten Jesus schon lange beobachtet. Er war ein Lehrer wie sie, also ein Arbeitskollege. Doch dieser Kollege fiel auf. Er war anders. Von ihm ging eine ungewohnte Begeisterungskraft aus. War Jesus der Messias? War er der Gesandte Gottes? Das wollten die Pharisäer in Erfahrung bringen! Vor der Begegnung mit den Pharisäern schildert das Evangelium, wie eine grosse Menschenmenge Jesus nachfolgte in ein unwirtliches Gebiet. Dort, in der Wildnis, hörten ihm die Leute zu. Sie hungerten nach seinen Worten. Sie vergassen die Zeit. Drei Tage hielten sie sich bei ihm auf. – Jesus war beeindruckt von der Hingabe des Volkes, welches ihm an den Lippen hing. Nach 3 Tagen machte er sich Sorgen, ob sie genug zu Essen dabei hätten. – Er liess die Jünger das wenige Brot, welches vorhanden war, einsammeln. Es waren noch 7 Brote. Dann segnete er das Brot und lud alle zum Mahl ein. Nach dem Mahl waren 7 Körbe Brot übrig. Eine seltsame Geschichte. --- Literarisch ist die Schilderung dieser Begebenheit vollgepackt mit christlicher Symbolik. 3 Tage in der Wüste, das erinnert daran, dass Christus nach 3 Tagen im Tod zu neuem Leben kam. 7 Brote übriggebliebenes Brot, erinnert an die 7 Tage der Woche und an die Bitte: Gib uns heute unser tägliches Brot. ---- Was sagt nun diese Geschichte? 1. Die Menschen haben Lebenshunger. Jesus stillt ihren Hunger sogar in der Wüste. In drei Tagen empfangen sie neues Leben für ihre abgestorbenen Seelen. 2. Die Menschen können von Jesus an jedem Tag der Woche empfangen, was sie zum Leben brauchen. Dieses Geschehen rund um Jesus hat einen einzigartigen Charakter. Es ist nichts Sensationelles. Die Versammlung findet in Abgeschiedenheit statt, - ganz versteckt und ist doch öffentlich! - Über allem liegt Ruhe, Friede und schlichte Selbstverständlichkeit. Zuschauer oder Gaffer gibt es keine. Und doch ist diese Szene ein Wunder: Die Menschen lagern an der Quelle des Lebens. Sie laben sich satt mitten in der Einöde.

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Die Pharisäer sind beeindruck. Sie haben ein Sensorium für Ungewöhnliches. „Gib uns ein Zeichen des Himmels“, sagen sie! Die Reaktion Jesu ist brüsk: „Diesem Geschlecht wird gewiss kein Zeichen gegeben werden.“ Warum diese schroffe Zurückweisung? Ist das nicht lieblos? Derselbe Jesus hatte doch gesagt, das Liebesgebot sei das höchste Gebot und man solle sogar seine Feinde lieben. Und nun zeigt er den Pharisäern die kalte Schulter. Er läuft weg und lässt sie stehen. Das soll Liebe sein? --- Unbegreiflich; die religiöse Elite traut Jesus alles zu, sogar dass er ihnen ein Zeichen des Himmel geben könnte, und Jesus verweigert sich. Derselbe Jesus hatte auch gesagt: „Bittet, so wird euch gegeben werden.“ Na also, gilt das für die Pharisäer nicht? Sie bitten ihn um ein Zeichen - und er gibt es nicht. Liebe Gemeinde, ich bin überzeugt, dass Jesus auch an dieser Stelle aus Liebe handelte, ja dass er sogar die Bitte der Pharisäer erfüllt hat. Lassen Sie mich das erklären. Die Forderung der Pharisäer lautete: „Gib uns ein Zeichen des Himmels!“ und wir könnten ergänzen, „damit wir dir glauben.“ Sie denken, ihre Beziehung zu Jesus würde sich ändern, wenn sie ein Zeichen hätten. Diesen Pharisäerweg versuchen bis heute viele Menschen zu gehen. Es sind oft kluge Menschen. Sie suchen Anhaltspunkten, durch welche sie bestärkt werden könnten, dass wirklich ein Gott existiert. Das ist verständlich in einer Welt, in welcher so viel Ungerechtigkeit, soviel Übel, soviel Not anzutreffen ist; wo immer wieder die Frage auftaucht: Wenn es Gott gibt, warum sieht die Wirklichkeit aus wie eine gottlose Wüste? Die Suche nach Zeichen, oder nach Gottesbeweisen ist nur allzu begreiflich. Theologen, Philosophen und Naturwissenschaftler haben sich seit langem bemüht, geniale Gottesbeweise zu erbringen. Einige davon sind bestechend. Und dennoch greifen sie immer zu kurz. Das Denken gerät immer an die Grenze des Denkbaren, wo Undenkbares gedacht werden müsste. Die Naturwissenschaft kommt immer an die Grenze, wo Unerfahrbares erfahrbar werden müsste. Endliche Menschen können den Unendlichen nicht fassen. Die Pharisäer waren sogar einen Schritt weiter. Sie waren sich bewusst, dass sie sich selber kein Zeichen vom Himmel herunterholen können,

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aber darum bitten, dass es ihnen gegeben werde, das wäre doch eine Möglichkeit. Warum kam Jesus ihrer Bitte nicht nach? Sehen Sie, das Entscheidende ist folgendes: Jesus gab nicht etwas von sich oder etwas von Gott, nein, er gab sich selbst. Er selbst war das Zeichen vom Himmel. Im Johannesevangelium stehen die berühmten Worte Jesu: Ich bin das Leben. Ich bin die Wahrheit. Ich bin das Brot. Ich bin der gute Hirte. Ich bin die Tür. Ich bin Gottes Sohn. Und hier, wo sie ein Zeichen vom Himmel fordern, könnte eigentlich stehen: Ich bin das Zeichen vom Himmel. Genau das aber sehen die Pharisäer nicht! Jesus, dieser jüdische Lehrer, mit dem sie so oft diskutiert haben, der im gleichen Milieu gross geworden war wie sie, der soll das lebendige Zeichen vom Himmel sein, der soll der Messias sein? Er ist es!!!, ...... sagt uns das Evangelium. - Aber, er ist es nicht weil er Mirakel vollführt, nicht weil er irgendetwas Phantastisches vorzaubert. Er ist es, weil er aus Liebe und aus freiem Willen die Existenzbedingungen eines Menschen annimmt. Die französischen Existenzialphilosophen, allen voran Albert Camus, haben in ganzer Härte dargestellt, was es bedeutet, an die Existenzbedingungen des Menschseins gebunden zu sein. In letzter Konsequenz heisst das, dass der Mensch sterben muss. --- Und diese Existenzbedingungen des Menschseins hat Gott voll und ganz angenommen für sein Wesen in Christus. Der Unsterbliche wurde sterblich und hat in seiner Sterblichkeit die Sterblichkeit aufgelöst. Hätte Jesus irgendein himmlisches Zeichen gegeben, so hätte er sich über das Menschsein gestellt, aber genau das wollte er nicht. Er wollte sich unter das Menschssein oder in das Menschsein stellen. – Hätte er der Bitte der Pharisäer entsprochen, so wäre er nicht mehr der Christus gewesen. – Darum steht im Evangelium „sie versuchten“ ihn. Denn der grosse Versucher, der Gegenspieler von Jesus, will genau das. Er will, dass Jesus nicht mehr Jesus ist. Er will, dass es Jesus gar nicht gibt! In der Theologie sagt man: Gott hat sich in Jesus offenbart. Das ist schon wahr. Doch gleichzeitig muss man immer sagen, dass Gott sich in Jesus auch verborgen hat.

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Die Verborgenheit geht so weit, dass Jesus sich am Kreuz zurufen lassen muss: „Wenn du Gottes Sohn bist, dann steig herab!“ Jene, die dies rufen, haben dieselbe Geisteshaltung und die selbe Gottesvorstellung, wie diese Pharisäer da: Gib uns ein Zeichen vom Himmel!“ --- Es ist verrückt, aber das mächtigste Zeichen des Himmels war, dass Jesus nicht vom Kreuz herabstieg! Liebe Gemeinde, als Konsequenz meiner Darstellung, muss nun die Frage auftauchen: Ist es denn überhaupt möglich zu erfahren, dass Christus der göttliche Retter ist, wenn er Mensch ist wie alle andern? Ich antworte: „Ja, es ist möglich, aber es braucht die Einsicht durch Gottes Geist.“ Paulus schrieb deshalb: „Niemand kann sagen, Jesus ist der Herr, ausser im Heiligen Geist.“ Gott sei Dank hat Jesus versichert, wer auch immer ehrlich um Gottes Geist bitte, werde den Geist empfangen. Diese eine Bitte hat die Zusage Jesu, dass sie erfüllt werde. Darum bitten wir immer bei der Taufe und beim Abendmahl um Gottes Geist. Darum ist unter uns jede Seele bereit, in Jesus den göttlichen Erlöser zu erkennen. Diese Einsicht mag getrübt sein, sie mag bei einzelnen vielleicht erst nach dem Erdenleben klar werden. Doch das ändert nichts daran, dass die Seele jetzt schon bereit ist. Und die Pharisäer, in dieser Geschichte da? Jesus hat sogar ihre Bitte erfüllt, aber er hat sie indirekt erfüllt. Dass er ihnen kein Zeichen gab, ist auch ein Zeichen, das stärkst mögliche Zeichen. Jesus seufzte über die Pharisäer heisst es in diesem Abschnitt. Merken Sie, dass er auch die Pharisäer liebte? Hier muss Jesus den Weg der Zeichenlosigkeit gehen. Er bricht das Gespräch ab und geht. Er lässt sie nicht nur ohne Zeichen zurück, sondern auch ohne Worte. Aber auch die Wortlosigkeit ist eine Botschaft. Dieses Schweigen ist nicht leer. In einem Gedicht hat die jüdische Dichterin Mascha Kaléko wunderschön davon geschrieben. Ich lese ihr Gedicht zum Schluss. Es trägt den Titel „Mein schönstes Gedicht“: Mein schönstes Gedicht? Ich schrieb es nicht. Aus tiefsten Tiefen stieg es. Ich schwieg es.

Amen. Pfr. Carl Schnetzer / Kirchgasse 22 / CH-8903 Birmensdorf / 29. April 2018

29.04.2018 / Kein Zeichen vom Himmel / Mk. 8,11-13

Fürbittgebet Gott, unser Helfer, in Jesus Christus folgst du dem Menschen nach bis ins Äusserste. Weit mehr als wir dir nachfolgen, bist du uns schon nachgefolgt --- bis in die Gottesferne, bis in den Tod. Darum kann uns nichts mehr trennen von dir. Wir danken dir und bitten dich, Christ Kyrie! Christus, Wort des Lebens, wenn wir dich nicht verstehen, wenn deine Botschaft ein Rätsel bleibt, wenn dein Wort für uns bedeutungslos wird, dann gib uns ein Herz, welches dich hört in der Stille. Wir bitten dich, Christ Kyrie! Gott, du Liebe aller Liebe, du hast dich in Christus mit uns verbunden und du legst den Heiligen Geist in unser Herz, damit wir in Verbindung mit dir schöpferisch und heilbringend wirken können. Öffne unseren Sinn für die Würde des Menschseins und erfülle uns mit Freude darüber. Wir bitten dich: Christ Kyrie. Gott des Friedens, wir danken dir für alle Menschen, welche in Nordund Südkorea am Frieden arbeiten. Wir bitten um deinen Schutz und deinen Segen für ihr Wirken. Lass davon Hoffnung ausgehen in alle Regionen der Erde, damit überall der Friede wachsen kann. Wir bitten dich: Christ Kyrie Für die Menschen in den Spitälern und Pflegeeinrichtungen beten wir. Für jene, welche dort Tag und Nacht ihren Dienst tun beten wir. Schenke Vertrauen und Geborgenheit, damit die heilenden Kräfte wirken können. Höre auf unser Gebet, Christ Kyrie! In der Stille beten wir vor dir: STILLE

Ewiger und gütiger Gott du bist mit uns in Jesus Christus und im Heiligen Geist. Erhalte uns immer in dir. Amen.