Kein Ersatz fiktiver Heilbehandlungskosten

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Rechtsanwalt Christian Schuler Tel.: 040.530 280 Fax: 040.530 28-150 Mail: [email protected] Internet: www.roggelin.de

Kein Ersatz fiktiver Heilbehandlungskosten Wer im Wege der Leistungsklage die Kosten einer noch nicht durchgeführten zahnärztlichen Behandlung als Schadenersatz fordert, muss seine Behandlungsabsicht behaupten und gegebenenfalls nachweisen. Ob die Behauptung glaubhaft ist, kann das Gericht anhand von Indizien (z.B. Art der Gesundheitsbeeinträchtigung, bisherige Maßnahmen des Geschädigten) beurteilen. Im Honorarprozess des Zahnarztes kann der Patient nicht nach den §§ 280, 249 BGB mit den Kosten eines Privatgutachtens aufrechnen, wenn er keine Absicht hat, die Mängel der zahnärztlichen Leistung zu beheben. OLG München, Beschluss vom 01.02.2006, 1 U 4756/05 Gründe: I. Der Kläger, ein Zahnarzt, fordert vom Beklagten rechnerisch unstreitiges Honorar in Höhe von 11.784,25 € für prothetische Leistungen, die der Beklagte teilweise für mangelhaft hält. Der Beklagte hat behauptet, die Kosten für die - unstreitig bisher nicht durchgeführte erforderliche Nachbehandlung würden 7.569,40 € betragen. Mit diesem Betrag und dem Honorar für ein während des Rechtsstreits von dem Zahnarzt Dr. W. erstattetes Privatgutachten in Höhe von 835,50 € hat der Beklagte gegen die Honorarforderung aufgerechnet. Der Kläger hat das Vorliegen von Mängeln bestritten. Er bringt vor, der Beklagte wolle die von seiner Krankenversicherung bereits erhaltene Erstattung für sich behalten. Das Landgericht München I hat mit Endurteil vom 12.08.2005 der Zahlungsklage stattgegeben und das Bestehen der Gegenansprüche des Beklagten verneint. Es hat ausgeführt, weder sei die Leistung des Klägers völlig unbrauchbar, noch könne mit den Kosten einer künftigen Heilbehandlung aufgerechnet werden, da diese nicht planbar seien. Der Beklagte hat gegen das Urteil in Höhe der von ihm geltend gemachten Gegenansprüche in Höhe von 8.404,90 € Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 21.12.2005 begründet. Zum Hinweis des Senats vom 27.12.2005, dass er eine Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO beabsichtige, hat der Beklagte mit einem weiteren Schriftsatz vom 23.01.2006 Stellung genommen. Der II.

Kläger

beantragt

die

Zurückweisung

der

Berufung.

Die Berufung des Beklagten ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsvorbringen vermag das etwas knapp und ohne Rechtsprechungsnachweise formulierte, im Ergebnis aber zutreffende Urteil des Landgerichts nicht zu entkräften. Der Honoraranspruch des Klägers ist nicht durch Aufrechnung mit den behaupteten Schadenersatzansprüchen teilweise erloschen. Ein Zurückbehaltungsrecht steht dem Beklagten ebenfalls nicht zu. 1) Nach der herrschenden Meinung hat der Zahnarzt keinen Honoraranspruch nach § 611 BGB, wenn seine Leistung völlig unbrauchbar ist (Übersicht bei OLG Zweibrücken MedR 2002, 201/202). In diesem Fall kann der Patient nach § 280 BGB beziehungsweise nach altem Recht wegen positiver Forderungsverletzung Rückzahlung verlangen, wenn er die Rechnung schon bezahlt hat (nach OLG Oldenburg MDR 1996, 155 gemäß § 812 BGB). Ungeklärt ist, ob es im Honorarrechtsstreit, also wenn der Zahnarzt klagt, einer eindeutigen Aufrechnungserklärung des Patienten mit einem Gegenanspruch bedarf. Begründen lässt sich diese Rechtsprechung damit, dass die Höhe des Honorars bei völliger Unbrauchbarkeit der Leistung den (geschätzten) Mindestschaden des Patienten darstellt. Die veröffentlichten Entscheidungen des Senats (OLGR München 1998, 247; 1998, 306-307; 2000, 76-77) bemühen sich um eine dogmatische Präzisierung. Denkbar ist entweder eine ausdrückliche Aufrechnungserklärung oder die Anwendung des Grundsatzes der unzulässigen Rechtsausübung ("dolo petit"). Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu dieser Frage liegt, soweit ersichtlich, noch nicht vor. Das verschiedentlich als Beleg zitierte Urteil BGH NJW 1978, 814 betrifft die Mängel einer Schotteraufbereitungsanlage und die Reichweite von § 635 BGB a. F., also gerade keinen Dienstvertrag. Ein gewisser Wertungswiderspruch der angeführten Rechtsprechung zum unten näher erörterten Rechtssatz, dass ein Ersatz fiktiver Heilbehandlungskosten nicht erfolgt, ist in den Fällen erkennbar, in denen der Patient eine aus zahnmedizinischer Sicht völlig unbrauchbare Versorgung nicht austauscht. 2) Im konkreten Fall besteht wegen der behaupteten Mängel der Versorgung weder eine Aufrechnungsmöglichkeit des Beklagten, noch steht ihm ein Zurückbehaltungsrecht zu. a) Nach dem vom Beklagten vorgelegten Privatgutachten von Dr. W. vom 12.01.2005, auf das er sich im Rechtsstreit stützt, liegt keine völlig unbrauchbare Leistung vor, wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat und der Beklagte in der Berufung nicht in Zweifel zieht. Er kann sich also auf die oben unter 1) zitierte Rechtsprechung nicht berufen. Der Schadenersatzanspruch richtet sich also nach den Kosten der Fehlerbeseitigung unter Abzug so genannter Sowiesokosten. b) Die Ausführungen zu § 280 BGB in der Berufungsbegründung berücksichtigen nicht, dass dieser Anspruch nicht unabhängig von den Regelungen des Schadenersatzrechts in den §§ 249 ff BGB gesehen werden kann. Bei Personenschäden besteht für den Anspruch aus § 249 Abs. 2 BGB eine Zweckbindung, da der Geschädigte andernfalls entgegen der Wertung des § 253 Abs. 1 BGB aus ideellen Schäden ein finanzielles Geschäft machen könnte (Palandt/Heinrichs, BGB 65. Aufl., § 249 Rn 6 m. w. N.). Nach BGH NJW 1986, 1538 kann der Verletzte Behandlungskosten gemäß § 249 Satz 2 BGB daher nur verlangen, wenn er die Absicht hat, die Behandlung auch tatsächlich

durchführen zu lassen. Ein Ersatz fiktiver Heilbehandlungskosten findet nicht statt (ähnlich OLGR München 2000, 76). Eine vertiefte Erörterung des Problems für das zahnärztliche Behandlungsverhältnis findet sich bei OLG Köln VersR 2000, 1021. Danach kann der Anspruch auf den Ersatz der Nachbehandlungskosten, sofern sie noch nicht angefallen sind, üblicherweise nur im Wege der Feststellungs- oder Freistellungsklage geltend gemacht werden. Eine Vorschussklage sei dem Schadenersatzrecht fremd. aa) Das Landgericht hat in der Ladungsverfügung vom 03.03.2005 darauf hingewiesen, dass mit den Kosten eines Nachbehandlers erst dann aufgerechnet werden könne, wenn sie tatsächlich angefallen seien. Diese Aussage geht, worauf der Beklagte zu Recht hinweist, über die zitierte Rechtsprechung hinaus, da sie keine Ausnahmen zulässt. Die Auffassung des Landgerichts hat im konkreten Fall jedoch viel für sich. Der Erfahrung des Senats aus zahlreichen Zahnarztsachen entspricht, dass Sachverständige insbesondere wegen Unsicherheiten hinsichtlich des anzuwendenden Steigerungssatzes bei der GOZ und der Höhe der Laborkosten nur die Größenordnung der Kosten einer prothetischen Mängelbeseitigung, aber keinen genauen Betrag angeben können. Im Ergebnis würde der Ersatz von Heilbehandlungskosten damit dem Schadenersatz nach Gutachten für Kfz-Schäden (fiktive Schadensberechnung) angenähert. Dies ist für den behandlungswilligen Patienten durchaus problematisch, da er über den gutachtlich geschätzten Betrag hinausgehende tatsächliche Kosten konsequenterweise nicht mehr nachfordern könnte (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB 65. Aufl. § 249 Rn. 14 m. w. N.). Der vom BGH entschiedene Fall NJW 1986, 1538 unterscheidet sich dadurch vom vorliegenden Verfahren, dass die Nachbehandlungskosten (für eine kosmetische Narbenoperation) feststanden. bb) Letztlich kann die Frage offen bleiben, ob die Auffassung des Landgerichts zutrifft, denn es fehlt an dem nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erforderlichen Nachweis der Behandlungsabsicht. Entgegen dem erstmaligen Vorbringen im Schriftsatz vom 23.01.2006 ergibt sich aus dem bisherigen Vortrag des Beklagten nicht überzeugend, dass er eine Nachbehandlung anstrebt. Die bloße Behauptung kann nicht genügen, da es faktisch im Belieben des Geschädigten steht, ob er nach dem Obsiegen im Prozess den erhaltenen Betrag für eine Sanierung der Prothetik verwendet. Vielmehr muss er die Nachbehandlungsabsicht nachweisen (BGH a. a. O. 1539). Die Absicht zur Durchführung einer Behandlung kann sich aus der Behandlungsbedürftigkeit einer Verletzung und den zu ihrer Behandlung getroffenen Maßnahmen ergeben (BGH a. a. O.). Irgendwelche Maßnahmen hat der Beklagte, obwohl die Behandlung mehr als zwei Jahre zurückliegt, und der Kläger schon im Juli 2003 eine Mangelbeseitigung abgelehnt haben soll, nicht ergriffen. Dies spricht gegen das Vorliegen stärkerer behandlungsbedingter Schmerzen. Wenn es dem Beklagten nur darauf angekommen wäre, vor einer Sanierung die Mängel der Versorgung zu dokumentieren, hätte er schon im Jahre 2003 auf Feststellung klagen oder ein selbständiges Beweisverfahren anstrengen können. Im Schriftsatz des Beklagten vom 23.01.2006 wird auf die Schriftsätze vom 14.09.2004 und 04.01.2005 verwiesen, in denen behauptet wurde, eine (Zahnfleisch-)tasche im linken Unterkiefer sei nicht ordnungsgemäß verschlossen worden, weise eine Narbenbildung auf und verursache Schmerzen. Das vom Beklagten selbst eingeholte Privatgutachten von Dr.

W., auf das er gemäß Schriftsatz vom 14.02.2005 seinen behaupteten Schadenersatzanspruch von 7.569,40 € stützt, bestätigt diesen Vorwurf nicht. Zudem liegt auf der Hand, dass die Absicht der Wiederholung der Wundbehandlung einer Zahnfleischtasche - die der Beklagte jederzeit hätte vornehmen können - nicht belegt, dass man mehrere Brücken durch einen anderen Zahnarzt erneuern lassen will. Der Schwerpunkt der Mängelrügen im Gutachten von Dr. W. liegt bei Kronenrandungenauigkeiten. Die Erfahrung des Senats aus zahlreichen Zahnarztsachen zeigt, dass diese aktuell keine Beschwerden bereiten und oft nur durch Zufall im Zusammenhang mit ganz anderen Behandlungsfehlervorwürfen entdeckt werden. Es handelt sich um keine "Verletzung", aus deren Natur auf die Nachbehandlungsabsicht des Patienten geschlossen werden kann. c) Die "dolo petit" Einrede des § 242 BGB, die man als Minus der erklärten Aufrechnung ansehen kann, ist ebenfalls nicht möglich, da es am Nachweis der Behandlungsabsicht des Beklagten fehlt. Wollte man sie unabhängig davon anerkennen, könnte der Beklagte auf unabsehbare Zeit den Honoraranspruch abwehren, ohne eine Beseitigung der behaupteten Mängel der Prothetik vornehmen zu müssen. Dies widerspräche im Ergebnis dem unter b) erörterten Rechtsgrundsatz, dass fiktive Heilbehandlungskosten nicht ersatzfähig sind. d) Auf die Richtigkeit der erstmals im Schriftsatz des Beklagten vom 23.01.2006 aufgestellten Behauptung, seine private Krankenversicherung habe die Rechnungen des Klägers noch nicht bezahlt, und den im Hinweisbeschluss vom 27.12.2005 angenommenen Anspruchsübergang auf die M. Krankenversicherung a. G. kommt es nicht an. Der Senat weist allerdings darauf hin, dass zumindest hinsichtlich eines Teilbetrags von 6.480,05 € das Gegenteil des jetzigen klägerischen Vorbringens durch die Anlage K 3 (Schreiben des M. Vereins vom 09.07.2003) belegt wird. 3) Hinsichtlich der Kosten des Privatgutachtens in Höhe von 835,50 € hat das Landgericht eine Aufrechnungsmöglichkeit ebenfalls zu Recht verneint, obwohl der Beklagte die Rechnung des Dr. W. bezahlt hat. Dies gilt wiederum unabhängig davon, ob beziehungsweise in welcher Höhe der Beklagte Erstattungen von seiner Krankenversicherung erhalten hat und Schadenersatzansprüche nach § 67 Abs. 1 VVG auf diese übergegangen sind. Die Kosten eines zahnärztlichen Privatgutachtens können nach den §§ 280, 249 BGB geltend gemacht werden, wenn sie zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind (Palandt/Heinrichs, 65. Aufl., § 249 BGB Randnr. 40 m. w. N.). Der Patient ist nicht zur Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nach den §§ 485 ff ZPO gezwungen. Er darf zudem nicht auf das prozessuale Kostenerstattungsverfahren verwiesen werden. Bei der Aufrechnung mit einem Schadenersatzanspruch kommt es nicht darauf an, ob die Gegenforderung irgendeine Konnexität mit der Hauptforderung hat. Dennoch ist die vielleicht in der Formulierung etwas missverständliche Begründung des Landgerichts, mit der es einen Anspruch des Beklagten verneint hat, im Ergebnis richtig. Für die zweckentsprechende Rechtsverfolgung im Honorarprozess war das Privatgutachten nicht erforderlich, weil der Beklagte seine Behandlungsabsicht nicht nachgewiesen hat. Ferner war von Anfang an absehbar, dass es sich bei der Abgrenzung zwischen Dienstvertrag und Werkvertrag, sowie dem Grundsatz, dass Personenschäden nicht "nach Gutachten" abgerechnet werden können, nicht um zahnmedizinische Tatsachenfragen

handelt. Die völlige Unbrauchbarkeit der Leistungen des Klägers wird weder im Privatgutachten von Dr. W. bewiesen noch vom Beklagten behauptet. Eine andere Klage, nach der die Erforderlichkeit des Privatgutachtens beurteilt werden könnte, ist - jedenfalls nach dem Parteivorbringen - nirgendwo anhängig. Eine isolierte Klage auf Ersatz von Gutachterkosten erscheint dem Senat selbst bei großzügiger Auslegung von § 249 BGB zudem nicht möglich. Das bloße Informationsinteresse des Beklagten wird durch die §§ 249, 280 BGB nicht geschützt. Ein Ersatz der Gutachtenkosten käme sowieso nur (gegebenenfalls anteilig) in Betracht, wenn die Versorgung des Klägers tatsächlich die behaupteten Mängel aufweisen sollte. Die Kosten der erforderlichen Beweisaufnahme über die Fehlerhaftigkeit der Zahnbehandlung würden den dreistelligen Streitwert weit übersteigen, ohne für die hypothetische Hauptsache eine Bindungswirkung zu entfalten. Dieselbe Erwägung gilt im Rahmen einer Aufrechnung. Sollte sich der Beklagte zu einer Behandlung entschließen, bleibt es ihm unbenommen, in einem etwaigen künftigen Aktivprozess gegen den Kläger die Kosten des Privatgutachtens von Dr. W. mit geltend zu machen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung entspricht der Darstellung in der Berufungsbegründung vom 21.12.2005.