KAPITEL IV DAS RINGEN DER MÄCHTE

KAPITEL IV DAS RINGEN DER MÄCHTE Der erste Weltkrieg ERICH LESSING / AKG Taktische Manöver auf Kosten der Zivilisten, Bündnispoker und Naturkatastr...
Author: Hedwig Schenck
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KAPITEL IV

DAS RINGEN DER MÄCHTE

Der erste Weltkrieg ERICH LESSING / AKG

Taktische Manöver auf Kosten der Zivilisten, Bündnispoker und Naturkatastrophen prägten die Jahre nach 1635. Es war die grausamste Zeit.

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Plünderung eines Dorfes Zeitgenössisches Gemälde von Sebastian Vrancx

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Von WOLFGANG BEHRINGER lle Schlachten schienen geschlagen, die Konfessionsbünde waren aufgelöst und der Religionskrieg vorüber. Gustav Adolf war tot, Wallenstein ebenso, alle Parteien kampfesmüde – mit dem Frieden von Prag schien der Krieg am 30. Mai 1635 überwunden. Aber es kam anders. Denn der Religionskonflikt war längst zum gesamteuropäischen Machtkampf eskaliert. Noch vor dem Prager Frieden hatte Frankreich unter König Ludwig

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Dabei war Deutschland eigentlich nur noch Nebenschauplatz einer Auseinandersetzung, die man den ersten echten Weltkrieg nennen kann: Spanien wurde von Frankreich unter Beteiligung Hollands und Englands weltweit, auch auf den Ozeanen, angegriffen. Immerhin regierte König Philipp IV. von Spanien und Portugal die führende Weltmacht. In Europa reichte die Sphäre seiner Macht von den Spanischen Niederlanden bis Sizilien, in Übersee von Florida über Mexiko bis Peru; hinzu kamen Stützpunkte in Afrika und Asien sowie die Inselgruppe der Philippinen.

Spaniens König Philipp IV. (Gemälde von Diego Velazquez, 17. Jh.)

Spaniens, der sich 1655 mit der Eroberung Jamaikas durch die Engländer weiter fortsetzen sollte. Der erste europäische Weltkrieg endete 1660 mit dem Frieden zwischen England und Spanien. Aber auch wenn Mitteleuropa seit 1635 nur noch ein Schauplatz unter mehreren war und der Westfälische Frieden 1648 nur Teile des gesamten Kriegsszenarios befriedete, galten die 13 Kriegsjahre dazwischen doch schon in der zeitgenössischen Wahrnehmung als besonders schreckliche Periode. Immer lauter, immer drastischer erscholl während dieser letzten Phase die Antikriegspropaganda, vor allem von Geistlichen und Intellektuellen. Der schlesische Dichter Andreas Gryphius (1616 bis 1664), der damals noch am akademischen Gymnasium in Danzig studierte, schrieb zu Beginn des Spanisch-Französischen Krieges sein bis heute berühmtes Sonett: Thränen des Vaterlandes / Anno 1636 Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr den ganz verheeret! Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun Hat aller Schweiß, und Fleiß, und Vorrat auf gezehret. Die Türme stehn in Glut, die Kirch’ ist umgekehret. Das Rahthaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun, Die Jungfern sind geschänd’t, und wo wir hin nur schaun, Ist Feuer, Pest, und Tod, der Herz und Geist durchfähret.

XIII. am 19. Mai 1635 Spanien den Krieg erklärt und war damit vom verdeckten zum offenen Kampf übergegangen. Das verhieß für Deutschland nichts Gutes. Seit Kaiser Karl V. war der spanische König Chef des Hauses Habsburg, dem auch Kaiser Ferdinand II. angehörte. So blieben Deutschland kaum vier Monate Frieden, bis Frankreich am 18. September 1635 auch dem Kaiser den Krieg erklärte. Damit begann für Deutschland die schlimmste Zeit des Krieges, denn neben kaiserlichen, spanischen und schwedischen standen nun bald auch französische Truppen im Reich.

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Dreimal sind schon sechs Jahr, Doch auch Holland, England, Schweals unser Ströme Flut, den und Frankreich gründeten jetzt KoVon Leichen fast verstopfft, lonien in Amerika und stellten die spasich langsam fort gedrungen, nische Vorherrschaft auf den Meeren in Frage. Die Niederländer eroberten 1637 Doch schweig ich noch von dem, die Festung Elmina in Westafrika, die was ärger als der Tod, den transatlantischen Sklavenhandel Was grimmer denn die Pest, kontrollierte, sowie 1641 spanische Fesund Glut und Hungersnot, tungen in Malaysia und Taiwan. Die EngDas auch der Seelen Schatz länder setzten sich in Indien fest. Immer so vielen abgezwungen. wieder wurden spanische Silberschiffe Gryphius stellt noch die Gewissensgekapert. Als 1639 eine große spanische Flotte not in den Vordergrund – doch welcher vor Dover den Holländern unterlag, war Konfession jemand angehörte, darum das ein Anzeichen für den Niedergang ging es künftig immer weniger. Die

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ALFREDO DAGLI ORTI / BPK

Hier durch die Schanz und Stadt, rinnt allzeit frisches Blut.

Seeschlacht von Downs 1639: England besiegt Spanien Zeitgenössisches Gemälde von Pieter van Soest

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Schlussjahre des Krieges stürzten Mitteleuropa in Agonie, nicht etwa, weil ständig überall Schlachten geschlagen worden wären. Auch war den Heerführern klar, dass man Handel und Landwirtschaft nicht völlig ruinieren durfte, denn die Armeen mussten sich ja aus der Gegend, die sie gerade besetzt hielten, ernähren. Dass das Elend dennoch immer weiter zunahm, lag am Zusammentreffen vieler Faktoren. So mochte kaum jemand investieren, weil überall und jederzeit mit Kämpfen zu rechnen war. Zudem gingen die Fronten hin und her: Mal standen die Schweden vor Wien oder die Franzosen in Bayern, dann standen die Spanier vor Paris oder die Kaiserlichen in Mecklenburg. Wegen dieses endlosen Wirrwarrs wird die Spätzeit von vielen Chronisten nur knapp dargestellt – gab es ja praktisch keine Helden und keine hehren Ziele mehr. Hinzu kam, dass die Bauern oft genug mit Feinden zu kämpfen hatten, welche die Historiker normalerweise nicht interessieren: Regen, Frost und Reif, Stürmen und Überschwemmungen, Mäusen, Wildschweinen und Wölfen, Missernten, Mangelernährung und Krankheiten bei Mensch und Vieh. Nicht alle diese Plagen traten infolge des Krieges auf, man könnte auch von Pech sprechen, denn die Endphase des Krieges fiel mit einer Kältephase der „Kleinen Eiszeit“ zusammen.

Magdalena Haidenbucher (1576 bis 1650), Äbtissin des Klosters Frauenchiemsee, hat das Jahr 1635 nicht als Kriegszeit erlebt, sondern klagt in ihren Aufzeichnungen vor allem über die vielen Todesfälle durch Seuchen. Die Epidemien verbreiteten sich großflächig, der Krieg hingegen fand immer noch auf relativ kleinem Raum statt, wenn auch das Anwachsen der Armeen mehr Geld und Menschenleben als früher kostete. Für den Prior und späteren Abt des Benediktinerklosters Andechs, Maurus Friesenegger (1590 bis 1655), begann das Jahr 1635 mit einer großen Hungersnot bei gleichzeitiger ungewöhnlicher Kälte und einer geschlossenen Schneedecke bis Pfingsten, also Ende Mai. Spätfröste, Saatgutmangel und eine Mäuseplage führten zu einer Missernte. Und dann kam auch noch die Seuche. „Den ganzen Herbst grassierte wiederum die leidige Pest, sowohl in Baiern, also vorzüglich in Schwaben, das doch bisher mehr als viele andere Provinz sowohl an Contagion, als Krieg gelitten hatte. Besonders nahm dieses Übel die Reichsstädte her, die die ersten waren, so den Feind aus Septentrio her gerufen haben. Augsburg, das vorher 80 000 Einwohner zählte, hatte nach ihrer Proscription nicht mehrer als 18 000 derselben, und so verhielt es sich auch mit Ulm.“ Ihre Furcht und die tatsächlichen Erlebnisse brachten viele Menschen zum

Schreiben, so dass es gerade aus der letzten Kriegsphase besonders viele aufschlussreiche Selbstzeugnisse gibt. Neben lokalen Chronisten sind es Privatpersonen und örtliche Autoritäten, die ihre Eindrücke schildern, darunter Kirchenleute aller Konfessionen, aber auch Fürsten und Stadtbürger, vereinzelt sogar Bauern oder Soldaten. Manche dieser Lebensberichte sind inzwischen Klassiker ihres Genres. arum war Frankreich an einer Verlängerung des Krieges interessiert? 1620 hatten spanische Truppen die Graubündner Alpenpässe besetzt, um die „spanische Heerstraße“ über das Herzogtum Mailand, die spanische Freigrafschaft Burgund und Luxemburg bis in die Spanischen Niederlande abzusichern. Das aber wirkte aus der Sicht Frankreichs vor allem als bedrohliche Einkreisung. Im Gegenzug hatte Frankreich daher unter Kardinal Richelieu das zum Reich gehörende Herzogtum Lothringen eingenommen und seit den 1620er Jahren ein Bündnissystem geknüpft, das unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit die Gegner Habsburgs versammelte: die islamischen Osmanen – die allerdings gerade durch einen Krieg mit Persien beschäftigt waren – ebenso wie die cal-

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„Den ganzen Herbst grassierte die leidige Pest. Besonders nahm dieses Übel die Reichsstädte her.“ SPIEGEL GESCHICHTE

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vinistischen Fürsten von Siebenbürgen und die niederländischen Generalstaaten, die katholische Seerepublik Venedig und einige deutsche Fürsten wie den Erzbischof von Trier oder den protestantischen Söldnerführer Bernhard von Sachsen-Weimar, dazu das lutherische Schweden. Zur Zeit des Prager Friedens hatte Paris also seinen Angriff nicht nur auf Spanien, sondern auch in Deutschland gut vorbereitet. Zunächst attackierte Frankreich 1635 im Zusammenspiel mit den holländischen Generalstaaten die Spanischen Niederlande, mit anfangs denkbar bitteren Folgen: Kardinalinfant Ferdinand, ein Bruder des spanischen Königs, drang

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bei seinem Gegenangriff fast bis Paris vor. Erst nachdem die Armee der Generalstaaten am 10. Oktober 1636 die Festung von Breda eingenommen hatte, wendete sich das Kriegsglück allmählich zugunsten Frankreichs. Schweden hatte seinen Waffenstillstand mit Polen 1635 verlängert und konnte daraufhin Truppen aus Preußen und dem Baltikum nach Norddeutschland verlegen. Das Bündnis der Ostseemacht mit Frankreich sah eine Zangenbewegung gegen die habsburgischen Erblande vor. Doch der Plan war nicht leicht auszuführen. Erst 1638 konnte der schwedische Oberbefehlshaber Johan Banér in Richtung Böhmen marschieren.

Gleichzeitig eroberte der protestantische Söldnerführer Bernhard von Sachsen-Weimar im Auftrag Frankreichs die Festung Breisach und damit das habsburgische Elsass. Breisach war seit Jahren von einer spanischen Garnison gehalten worden, die nicht militärisch besiegt werden konnte. Die Belagerung der Stadt begann im Juni und zog sich bis zum 17. Dezember 1638 hin. Wie die Chroniken berichten, musste die Stadt am Ende aus Hungersnot übergeben werden: Selbst Pferde- und Rattenfleisch reichte nicht mehr zur Ernährung der Einwohner aus; sogar tote Menschen sollen gegessen, ja Kinder auf den Stra-

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„Soldaten überfallen ein Fuhrwerk von Reisenden“ Gemälde von Sebastian Vrancx, um 1620

ßen heimlich gefangen und geschlachtet worden sein. Nach dem Fall von Breisach lag Süddeutschland offen für die Invasion. „Also beschließen wir dieses Jahr wieder in Furcht und Schröcken“, schrieb der Prior von Andechs, „vielleicht noch schröcklicher, wenn wir nicht fast schon an alles Übel gewöhnt wären.“ Wenig später allerdings starb Bernhard von Weimar, und der Krieg verlagerte sich auf andere Schauplätze. 1639

drangen die Schweden unter Banér wieder in Böhmen ein und legten zahlreiche Städte in Schutt und Asche. In Katalonien und Portugal brachen 1640 mit französischer Unterstützung Aufstände aus. Tatsächlich erreichte das seit 1580 mit Spanien verbundene Königreich Portugal unter Johann von Braganza (1604 bis 1656) die noch heute bewahrte Unabhängigkeit. Scharenweise desertierten in den Niederlanden portugiesische Soldaten, um über Amsterdam in ihre Heimat zu gelangen; Holland half dabei natürlich gern. Auch der Aufstand in Katalonien diente Frankreichs Interessen: Langfristig sollte er im Pyrenäenfrieden von 1659 dazu führen, dass das Roussillon um die Stadt Perpignan französisch blieb. Durch die Oberpfalz drangen um die gleiche Zeit schwedisch-französische Truppen brennend und sengend bis Regensburg vor, wo sie Anfang des folgenden Jahres sogar den Reichstag bedrohten. Beinahe wäre die Kaiserin auf der Jagd in die Hände der Feinde geraten. Das schwedische Heer konnte mühelos über die gefrorene Donau setzen. Dann aber saßen die Truppen plötzlich in der Falle, weil Ende Januar Tauwetter einsetzte: „Und nun war den schwedischen Räuber-Horden der Rückweg abgeschnitten“, protokollierte Prior Friesenegger mit spürbarer Genugtuung, „und nicht wenige, die sich noch dem Eis als ihrer einzigen Zuflucht anvertrauten, ersoffen samt Beute in der Donau.“ Doch solche Rückschläge blieben vereinzelt. Frankreich entwickelte sich dank seiner Bündnisse während der letzten Phase des Dreißigjährigen Krieges immer mehr zur dominierenden Macht in Mitteleuropa. Nach ihrem Sieg in der zweiten Schlacht von Breitenfeld im November 1642 war die schwedisch-französische Übermacht so drückend, dass Paris sich ganz auf den Kampf in den Spanischen Niederlanden konzentrieren konnte. Im Mai 1643 erlitt die spanische Flandernarmee bei Rocroi, im heutigen Département Ardennes, eine vernichtende Niederlage. Es war das militärische Gesellenstück des 22-jährigen, seit kurzem mit einer Nichte Richelieus verheirateten Louis II. de Bourbon, des späteren Prince de Condé.

n seiner Nordgrenze entlastet und im Besitz des Elsass, wandte sich Frankreich als Nächstes gegen Süddeutschland. Der Abt von Andechs schrieb: „Da die Französisch-Schwedische Armee Württemberg schon großen Teils besetzet und schon manchen Ausfall in Schwaben machte, so konnten wir nichts anderes als voll Angst an unsere Flucht denken.“ Fürs Erste indessen konnte der bayerische General Johann von Werth im November 1643 bei Tuttlingen die Invasionstruppen zurückwerfen; acht Monate später bestätigte eine verlustreiche Schlacht bei Freiburg im Breisgau noch einmal dieses Resultat. Schweden konnte es sich nun sogar leisten, seine Armee zweizuteilen. Abgesichert durch ein Kriegsbündnis mit Siebenbürgen im Rücken des Kaisers, überfiel General Lennart Torstensson im Herbst 1643 Dänemark. Während Schweden damit endgültig zur nordeuropäischen Großmacht aufstieg, musste der besiegte Ostsee-Konkurrent erhebliche Gebietsverluste hinnehmen und Zollfreiheit im Sund gewähren. Auch das Herzogtum Pommern und die Bistümer Bremen und Verden in Deutschland wurden schwedisch; sie blieben es bis zum Ende des Alten Reiches 1806. Im Dezember 1644 begann der Friedenskongress in Münster, aber das dämpfte die militärischen Ambitionen keineswegs. So schlug am 6. März 1645 ein schwedisch-protestantisches Heer bei Jankau in Böhmen die kaiserliche Armee so vernichtend, dass Kaiser Ferdinand III. den Gegnern fortan praktisch schutzlos ausgeliefert war. Die gewohnten spanischen Unterstützungsgelder blieben aus, und besonders schwächte den Habsburger, dass Siebenbürgens Fürst Georg Rakoczi, der fast ganz Ungarn besetzt hatte, damit drohte, auf Seiten Frankreichs in den Krieg einzutreten. Österreichs Schmach steigerte sich, als Schwedens Armee, eine Spur der Verwüstung hinterlassend, bis vor die Tore der Kaiserstadt Wien rückte. Gleichzeitig drängten aus dem Westen die Franzosen. Im Mai konnte der französische Angriff noch einmal abgewehrt werden, doch im August 1645 unterlag das baye-

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Dank seiner Bündnisse wurde Frankreich gegen Kriegsende zur dominierenden Macht in Europa. SPIEGEL GESCHICHTE

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rische Heer in der Schlacht von Alerheim nahe Nördlingen. Große Teile Süddeutschlands waren nun in französischer Hand. Die regionale Katastrophe ergab Sinn vor allem in einem größeren Zusammenhang: Mit der Besetzung Lothringens und des Elsass sowie Süddeutschlands hatte General Henri de la Tour d’Auvergne, Vicomte de Turenne (1611 bis 1675), ein Schwiegersohn Wilhelms I. von Nassau-Oranien, 1646 die spanische Militärstraße endgültig zerstört. Die Spanischen Niederlande waren nun vom Nachschub auf dem Landweg abgetrennt. Zwischen 1646 und 1648 brachten zwei weitere französisch-schwedische Verwüstungsfeldzüge Süddeutschland in Not. Der Abt von Andechs beobachtete im September 1646 auf seiner Flucht „Dinge, die kaum auszuhalten waren“:

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nur einmal, die andere ganze Trecks obdachloFrage unterdrückte der ser Familien. Schmerz), so war die „Ich sah Kinder, daAntwort: Wo Gott und von jedes mit seinem unser Schutzengel uns Päckchen daher weinte, hinführt, ich weiß es Mütter, die mehrere Kinnoch nicht. Und so mag der, 2 auf dem Rücken es auf allen Straßen ausund eines auf den Argesehen haben.“ men daherschleppten, Nicht einmal das EinMänner, die ihre Karren treffen von kaiserlichen mit Kleidern, Nahrungsund bayerischen TrupMitteln, Kranken und penteilen brachte AbhilKindern beladen, mühfe, weil man „die Feinde sam dahinzogen, oder und Freunde, die Franein oder mehrere Stücke zösisch-Schwedischen Vieh vor ihnen hertrieFreibeuter und die Kaiben, und dieß waren Prinz Louis, der „Grand serlichen Emissarios meistens meine lieben Condé“ (Porträt, 18. Jh.) nicht mehr unterscheiUntertanen und sonst geschätzte Nachbarn. Wenn ich fragte, den konnte, weil die Kaiserlichen ärger wohin sie ziehen wollen (und ich fragte als die Schweden verfuhren“.

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ULLSTEIN BILD (O.); INTERFOTO (U.)

Die Schlacht von Rocroi 1643 Anonymes Gemälde im Nationalmuseum von Versailles

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Für Zivilisten wurde das Leben zur Hölle. „Wer sich nicht schon vorhin weit hinweg geflüchtet hatte, der musste sich jetzt in Wäldern und finstern Abwegen verbergen“, schrieb Maurus Friesenegger. „Sie raubten, plünderten und marterten ohne zu denken, dass sie Menschen sind und mit Menschen umgehen. Ohne Unterschied des Alters und des Geschlechts banden sie die Menschen, entblößten sie ganz und schändeten die einen zu Tode und die anderen jagten sie bei sehr kalter Herbstzeit ganz nackend von sich. Solche Bestien machet der anhaltende Krieg aus den Menschen!“ Selbst nach dem Ulmer Waffenstillstand 1647, als bayerische Truppen wieder die Kontrolle übernehmen konnten, besserte sich die Lage nicht wesentlich, weil auch die neuen Machthaber übel hausten. 1648 begann der Krieg gar von neuem. „Nun hatten wir 4 Armeen um Gauner im Kriegstross uns, die baierische und kaiserliStich nach Jacques Callot, 19. Jahrhundert che, und die schwedische und französische“, klagte Friesenegger im Ok- oberten und katholische Adlige und tober. „Übrigens war es hart, zu bestim- Geistliche aus ganz Süddeutschland an men, welche Partei die ärgere wäre. Es der österreichischen Grenze Zuflucht kamen Rotten an und gingen wieder ab, suchten, und dann wieder 1646 bis 1648. „Mit ganzer Macht“ seien Franzosen ohne zu wissen, wer sie wären, Freund oder Feind, freilich keiner ohne allen und Schweden „auf unser liebes VaterSchaden.“ Zuletzt eroberten schwedische land gezogen, auch etliche Städte, MärkTruppen noch weite Teile Böhmens; die te, Klöster, Kirchen, Schlösse und Dörfer Belagerung Prags wurde lediglich abge- in Aschen gelegt, die Leute erbärmlich brochen, weil die Friedensverhandlungen gemartert, die Klosterfrauen und geistliche Herren erbärmlich umgegangen, schon zu weit vorangeschritten waren. Hingen all die vom Machtkalkül dik- so dass viele sich in die Wildnis, in Mootierten Manöver dieser letzten Jahre se und Höhlen flüchteten und erbärmüberhaupt noch miteinander zusam- lich umkamen“, berichtet Äbtissin Haimen? Der Historiker Siegfried H. Stein- denbucher, damals 71. „Ist ein solches berg verkündete 1947 die radikale These, Elend gewesen, dass bei Mannsgedenden Dreißigjährigen Krieg habe es über- ken kein solches Elend gewesen wie in haupt nicht gegeben, sondern nur eine dieser Not, und wegen des Winters war Abfolge regional begrenzter Auseinan- die Flucht desto elender. Viele Personen dersetzungen innerhalb eines weiteren und besonders Kinder sind erfroren, verHorizonts europäischer Kriege bis 1660. hungert und erbärmlich umgekommen.“ Im Frühjahr 1648 zogen sich viele Für einzelne Regionen trifft diese ketzerische Deutung erstaunlich gut zu. nochmals „in die Wälder und Wildnisse“ Nach Frauenchiemsee im Osten Bayerns zurück, „so dass sie nicht mehr anders etwa kam der Krieg in dreißig „Kriegs- ausgesehen haben wie die wilden Leute, jahren“ nur zweimal: 1632 bis 1634, als bis auf die Knochen abgemagert und die die Schweden große Teile Bayerns er- Haut ganz schwarz und gelb. Sie wollten

nur noch, die Erde würde sie verschlingen. Und viele Leute haben verzweifelt“ – während der Kurfürst bis zur Nachricht vom Friedensschluss Ende Oktober in Salzburg Zuflucht fand. Von den ursprünglichen Motiven des Konfliktes war am Ende so gut wie nichts mehr übrig. In den letzten 13 Jahren hatten Katholiken gegen Katholiken, Lutheraner gegen Lutheraner und Calvinisten gegen Calvinisten gekämpft. Die Religion hatte als Kriegsgrund in Europa ausgedient. Bedauerte Gryphius 1636 noch den Gewissenszwang, so fasste jetzt ein anderer schlesischer Poet, Friedrich von Logau, die Kriegserfahrung illusionslos zusammen: Abgedanckte Soldaten Würmer im Gewissen, Kleider wol zerrissen, Wolbenarbte Leiber, Wolgebrauchte Weiber, Ungewisse Kinder, Weder Pferd noch Rinder, Nimmer Brot im Sacke, Nimmer Geld im Packe, Haben mit genummen, Die vom Kriege kummen: Wer dann hat die Beute? Eitel fremde Leute.

Manche Teile des Kontinents waren zerstört, einige mussten sogar neu besiedelt werden. Aber man darf auch nicht übertreiben: Mitteleuropa war einige Jahre in Agonie versetzt, besaß aber genügend Energie und Ressourcen für einen Wiederaufbau aus eigener Kraft. Trotz dreier schlimmer Kriegsjahre konnte Abt Friesenegger nach seiner Rückkehr aus dem Salzburger Exil Ende 1648 folgende Bilanz ziehen: „Mein Kloster fand ich bei meiner Rückkehr ganz unverletzt. Der Getreidekasten war aber ganz leer … Pferde und Vieh befanden sich an Zahl und Güte in besserem Stand, als ich mir zu hoffen gewagt hatte, und das gab uns Hoffnung, unsere Ökonomie bald wieder herzustellen. … Wenn man hierorten schon Schaden gelitten, hatte man doch nicht so viel zu klagen, wie in andern, weiter entlegenen Orten.“ Wolfgang Behringer, 55, hat an der Universität des Saarlandes den Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit inne.

Mitteleuropa war einige Jahre in Agonie versetzt, besaß aber genügend Ressourcen für den Wiederaufbau. SPIEGEL GESCHICHTE

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