KAPITEL 2 ARBEIT UND LEBEN

KAPITEL 2 | ARBEIT UND LEBEN Wo Kraniche landen Sie bewirtschaften Almen, ziehen Tiere auf, retten Flüchtlinge, züchten Blumen: Wie Flugbegleiter der...
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KAPITEL 2 | ARBEIT UND LEBEN

Wo Kraniche landen Sie bewirtschaften Almen, ziehen Tiere auf, retten Flüchtlinge, züchten Blumen: Wie Flugbegleiter der Lufthansa entschleunigen, wenn sie nicht um die Welt fliegen. | Von Annette Bruhns

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Gelernt ist gelernt Mit ihrem persönlichen Almkonzept überzeugte Beate von Bremen, hier auf dem Feldberg im Taunus, sogar die angestammten Chiemgauer.

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Neu-Bäuerin Kabinenchefin Christine Hauter züchtet Pferde, hier mit Rappstute Fenja.

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DOPPELLEBEN – EINES IN DER LUFT UND EINES AM BODEN.

MARKUS HINTZEN / SPIEGEL WISSEN (L.); CELIA PETERSON / AGENTUR FOCUS / SPIEGEL WISSEN (R.)

ALDO SARDINI HAT ZWEI LEBEN:

Er ist Flugbegleiter bei der Lufthansa in Deutschland. Von Frankfurt aus fliegt er nach Hongkong, Rio, Addis Abeba, in wechselnden Crews, mit immer neuen Passagieren, stets zu Diensten, stets lächelnd. Nachts, wenn die Gäste schlafen oder ihre Filme schauen, schweifen seine Gedanken nach Hause, zu Süleyman, zu Younas oder Mubarak. Nachts ist Aldo Sardini im Oman. Dort spielt sein zweites Leben. „Wenn ich länger als 15 Tage weg bin, werde ich nervös“, sagt der Steward. Seit zehn Jahren wohnt er im Oman, in Hörweite rauschender Wellen, unter wie vom Spritzbeutel geformten Bergkuppen. Um in seinem Traumland zu leben, hat Sardini im Fischerdorf Qantab ein altes Strandhaus umgebaut. Zwei Zimmer kann er vermieten, mit Bad. Denn reich ist der Gastarbeitersohn aus Gelsenkirchen nicht; etwa 1900 Euro netto im Monat verdient der Flugbegleiter mit seiner 75-Prozent-Stelle. Ohne Pensionsgäste könnte er sich den Oman nicht leisten: „Ich putze auch selbst“. Trotz der Doppelbelastung fühlt sich der 43-Jährige selten erschöpft. „Im Ernst: Ich liebe die Fliegerei“, sagt Sardini, „und ich liebe mein Leben im Oman. Auch wenn ich hier immer viel zu tun habe.“ Dass Maskat acht Flugstunden von seinem ersten Wohnsitz in Offenbach entfernt ist, erwähnt er nicht einmal. Dabei pendelt der Italiener mindestens einmal im Monat. Die paradoxe Erfahrung, dass zwei Aufgaben am Ende weniger anstrengen als eine einzige, teilt Sardini mit etlichen Kollegen. 18 000 Flugbegleiter arbeiten bei der Kranich-Airline. Unter ihnen sind einige, die sich wie Sardini einen Ausgleich zum Jetlag-Beruf gesucht haben. Sie kennen sich untereinander nicht oder nur flüchtig; jeder von ihnen verfolgt seine Suche nach Glück und Sinn auf ganz eigene Weise. Aber sie ähneln einander, erfüllt vom Doppelleben in der Luft – und am Boden. Während der Italiener sein Paradies in der Ferne gefunden hat, ist es bei anderen das aufwendige Hobby zu Hause, das soziale Engagement oder Verantwortung für Tiere. Möglich machen das die flexiblen Arbeitszeitmodelle des Unternehmens. Jeder Flugbegleiter bei Lufthansa kann sein individuelles Teilzeitmodell beantragen, und

Zweite Heimat Im Oman betreibt Aldo Sardini ein einfaches Gästehaus.

er kann sogar bei der Aufteilung mitreden. Die einen arbeiten zum Beispiel einen Monat und bleiben den nächsten daheim, die anderen arbeiten ein halbes Jahr durch und das andere gar nicht. Selbst in Vollzeit kann man auf zehn freie Wochen am Stück kommen – wenn man sich die Ruhetage nach den Langstreckenflügen zusammenlegt. So kann das Kunststück gelingen, gleichzeitig Stewardess zu sein und Tiere zu züchten – wie bei Christine Hauter. D I E T I E R M U TTE R

Hauter, 52, arbeitet auf einer 50-ProzentStelle. Trotzdem wäre Rehkitz Rudi beinahe verhungert. Denn nur von ihr, seiner Ersatzmama, nahm der kleine Bock sein Fläschchen. Hauter hatte das Kitz sechs Wochen lang alle zwei Stunden gefüttert – im Juni aber musste sie fliegen. Im Wildgehege auf dem Hof in der Eifel hängt ein leerer Fahrradflaschenhalter am Zaun, mit Öffnung nach unten. Genutzt hat die Vorrichtung nichts. „Ich hab in Neu-Delhi gesessen und geheult, als ich hörte, dass Rudi

die Flasche nicht anrührt.“ Damals halfen ihr die Kollegen, sie übernahmen einen Monat lang ihre Einsätze. Rudi kam durch. Seit 30 Jahren arbeitet die Eifelerin bei Lufthansa. Vor 15 Jahren heiratete sie einen Landwirt und fing an, Pferde zu züchten, Trakehner. „Später kamen die Kitze dazu. Und einmal sogar drei Wildschweinfrischlinge.“ Sie schmunzelt bei dem Gedanken an die niedlichen Tiere, die in ihrer Küche schon Asyl gefunden hatten. Damals hat sie alles mit Tüchern ausgelegt – und noch mehr geputzt als sonst. „Ich kann nicht anders“, sagt die gepflegte Frau mit dem Pferdeschwanz, „ich brauche Sauberkeit und Ordnung.“ Ihre erste Amtshandlung als Neu-Bäuerin war es, die Pferdeställe täglich zu entmisten. „Sonst faulen die Hufe“, sagt sie fachmännisch. Es ist keine Seltenheit, dass Christine Hauter morgens noch in Gummistiefeln die Forke schwingt und mittags in Uniform den ersten Champagner ausschenkt. Alles begann 1991. Damals stieg sie zur Purserette auf, zur Kabinenchefin. Auf den

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Karriereschritt bei Lufthansa reagierte sie dann mit einer Entscheidung, die sie „die beste meines Lebens“ nennt: Sie kaufte sich ihr erstes Pferd, Taipan, einen Trakehnerwallach. „Die Gehaltserhöhung hat das ermöglicht.“ Taipan brachte sie ihrem Jugendtraum näher: mit Tieren zu arbeiten. „Ich hab Kunstgeschichte studiert, weil mein Abi nicht gut genug für Veterinärmedizin war.“ Das Ersatzfach Kunstgeschichte wich dann rasch dem Fliegen. Hauter kommt gut damit zurecht, dass die Crews, die sie leitet, jedes Mal neu zusammengewürfelt sind: „An Bord sind wir alle per du. Ich weiß oft nach einer halben Stunde Gespräch von einer wildfremden Kollegin, dass sie sich Sorgen um ihr Kind macht, weil es nicht in die Krippe wollte, oder dass ihre Schwester Brustkrebs hat. Dieser sehr persönliche Umgang erleichSehr positiv tert das Miteinander.“ Trotzdem wurde ihr damals bewusst, Die echten Riesen-Sonnendass sie mehr Verbindlichkeit brauchte. blumen von Hans-Peter Deshalb suchte sie sich gleich noch einen Schiffer werden im April Reitverein für sich und Taipan. „Ich wollte ausgesät. dauerhaft im Kontakt mit anderen sein, Verantwortung übernehmen.“ Auch bei der Beziehung ihres Lebens zögerte Christine Hauter nicht lange. „Schon ein halbes Jahr nach dem Dinner, letzt zu uns, etwa weil sie angefahren worbei dem ich meinen Mann kennenlernte, den sind.“ Der Tod gehört zum Bauernlewar die Hochzeit, im November 1997. Eine ben dazu. Qualvoll fand die PferdezüchteKollegin hatte uns einander vorgestellt, sie rin die erste Totgeburt bei einem ihrer eigenen Pferde. Ein anderes Jungtier verenahnte, dass wir uns mögen würden.“ Ihre Mutter erklärte sie damals für ver- dete fast, weil die Mutter es nicht säugen rückt. „Der Pönterhof ist 200 Jahre alt. Er wollte. „Da war Matthäi am Jüngsten! Ich war so heruntergekommen wie eine ukrai- musste mit beiden in die Klinik.“ Heute ist nische Kolchose, allein hat mein Mann die Tenja, das Fohlen von einst, eine herrliche viele Arbeit nicht geschafft.“ Hauter redu- Rappstute, die schon preisgekrönte Fohlen zierte damals den Job und stürzte sich in zur Welt gebracht hat. In drei Jahren, mit 55, geht Hauter in die Arbeit: Dächer erneuern, Ställe renoRuhestand, wie bei Lufthansa üblich. Sie vieren, Hof pflastern, Garten anlegen. Heute ist der Pönterhof eine Oase inmit- freut sich darauf. Ihr Zweitjob wird dann, ten der 100 Hektar Ackerland. Zum Anwe- endlich, ihr eigentlicher. Weniger arbeiten sen gehört eine Jagd. Die drei Wildschwei- wird sie wohl nicht: „Ich will dann noch ne, Maria, Josef und Balthasar, die das Paar Hühner anschaffen. Und zwei Pfaue.“ in der Küche aufpäppelte, hatten die Muttersau bei einem Jagdunfall verloren. „Die D ER SON N E N B LU ME N MA N N drei waren so süß! Sie liefen wie Hunde Hans-Peter Schiffer, 39, scheint mit seinen hinter mir her.“ „heliantus annuus“, den Sonnenblumen, Die meisten Rehkitze, die Hauter bisher verwandt: Etwas ansteckend Fröhliches aufgezogen hat, hat sie wieder ausgewil- liegt in seinen Zügen. „Je müder ich auf eidert. Manche starben aber auch in ihrer nem Flug bin, desto mehr lache ich“, verrät Obhut: „Die Tiere kommen ja schwer ver- der Mann aus Kaarst bei Köln. „Sonst

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wird’s immer schlimmer mit der Müdigkeit.“ Sogar die Nörgler an Bord seien gegen ihn nicht gefeit: „Der schwierigste Gast ist hin und weg, wenn ich ihn anzwinkere und frage: Und? Was kann ich für Sie tun?“ Früher war der Flugbegleiter einmal Beamter am Familiengericht. „Diese ewigen Streitereien auf dem Rücken der Kinder, das war nichts für mich.“ Der Wechsel zur Lufthansa 1999 tat dem sensiblen Mann gut: „An Bord sind alle sehr positiv.“ Das, was dem Mann vom Lande da oben allerdings fehlt, ist ausgerechnet Luft – Frischluft. „Man ist ja viel in Städten unterwegs.“ Nach seinen ersten Flugjahren leuchteten ihn in einem Laden Riesensonnenblumen an, auf einer Samentüte. Schiffer griff zu. Und hatte Glück: Eine der Pflanzen wurde auf Anhieb vier Meter hoch, die Nachbarn staunten, zeigten hoch, „schau mal“. Der Überraschungserfolg spornte ihn an. Damals, 2001, lag der Rekord für die höchste Sonnenblume der Welt bei 7,76 Metern. „Da kommst du nie ran“, unkte sein Vater. Schiffer probierte alle chemischen Mittel

FOTOS: MARKUS HINTZEN / SPIEGEL WISSEN

D E R L E B E N S R H Y T H M U S S T E L LT S I C H T O TA L U M .

Sein Freund stammt aus Brasilien, wo die Sonne häufig scheint. Schiffer hat dort schon oft überwintert. Er mag die Brasilianer, ihre Sprache spricht er fast akzentfrei. Nur für Sonnenblumen sei es da nicht gut: „Ich habe in Rio die kleinste heliantus annuus der Welt gezüchtet: 15 Zentimeter bloß, der Stängel strohhalmdünn.“ Schiffers Sonnenblumen lieben seine Heimat mit ihrem grauen Himmel. Und die Leute von Kaarst, das hat ihr Bürgermeister öffentlich verkündet, verehren ihren Blumenmann. Der hat jetzt angefangen, auf Riesenköpfe zu züchten, mit 60 Zentimeter Durchmesser. Die Großkopfeten werden nur anderthalb Meter hoch. „Man wird ja nicht jünger“, sagt Schiffer entschuldigend. D I E SA MA R I TE R I N

Erste Hilfe Als Sanitäterin versorgt Ilka Oberländer Notfallpatienten und Flüchtlinge.

durch, die die konventionelle Landwirtschaft hergab. Er experimentierte sogar mit der Pille, wegen der Hormone. „Half alles nicht: Bei drei Metern war immer Schluss.“ 2005 ging der Kaarster für seine Blumen sogar in Teilzeit. Er arbeitet jetzt 66 Prozent und hat den Sommer frei. Im August, wenn die Pflanzen bis zu 15 Zentimeter täglich in die Höhe schießen, muss er mehrmals am Tag in schwindelerregende Höhen klettern, bis tief in die Nacht. Nach jedem neuen Blatt bindet er die Stängel wieder an den Bambusstangen fest. „Die Arbeit kann mir keiner abnehmen, nicht mal mein Partner. Der hat Höhenangst.“ Mit der Teilzeit ging es aufwärts: 2005 knackte Schiffer die fünf Meter, 2006 erreichte eine Sonnenblume 6,73 Meter. Sein Einsatz beim Binden hat Folgen beim Fliegen. „Ich muss mir vor jedem neuen Flug mit Bimsstein erst mal die Hornhaut abschmirgeln“, erzählt Schiffer und zeigt seine Handflächen, sie sind sauber. Damals war er auf natürliche Bodenbearbeitung umgestiegen. Im Winter gräbt Schif-

fer alle Baumwurzeln aus, und seine Lieblinge düngt er mit Humuserde, Kompost. Richtig geholfen aber habe ihm der Einsatz eines Mondkalenders. Er sät jetzt bei steigender Tide. Und tatsächlich: Die erste Blume, die über acht Meter kam – und dem Steward einen Weltrekord bescherte –, hatte er am 9. April 2009 ausgesät, „genau im Vollmond“. „Ich kann nicht beschreiben, was ihr Anblick in mir ausgelöst hat“, sagt Schiffer. Ihm war, sagt er, „als wollte sie eine gute Nachricht verkünden“. Er strahlt. Die Kollegen an Bord holen sich in den Pausen bei ihm gern Tipps für den Garten. Vor allem aber lobten sie seine Ausstrahlung, berichtet Schiffer stolz. „Sie sagen, mein Gemüt passt zu den Sonnenblumen.“ Seit 2009 steht der Steward im Guinness-Buch der Rekorde, bald auch mit seiner bislang höchsten Blume von 8,23 Metern. In einem Fernsehbeitrag sieht man ihn bei der offiziellen Messung des Prachtstücks. Als das Ergebnis verkündet wird, stöhnt Schiffer überwältigt: „Lieber Gott danke ... danke“.

Als Ilka Oberländer im Oktober im Irak ankam, lebten dort schon Tausende SyrienFlüchtlinge in den Notzelten. „Die meisten sind wahnsinnig stark. Dabei haben sie in ihrer Heimat alles verloren.“ Die Stewardess hat dort zwei Wochen als Sanitäterin gearbeitet. Einmal, erzählt sie, habe eine junge Mutter plötzlich gellend geschrien. „Was hab ich falsch gemacht?“, habe sie ihren Übersetzer erschrocken gefragt. „Nichts! Sie betet gerade für dich“, erklärte er ihr. Im nächsten Moment sei ihr die Frau um den Hals gefallen und habe sie geküsst. „Sie war so dankbar, dass ich ihr fünf Monate altes Baby behandelt hatte. Es litt an Lungenentzündung.“ Die 41-Jährige verstand; sie ist selbst seit zweieinhalb Jahren Mutter. Oberländer hatte schon neun Jahre lang als medizinisch-technische Assistentin gearbeitet, bevor sie 1995 bei Lufthansa anfing: „Ich hatte Fernweh.“ Ursprünglich wollte sie nur ein Jahr bleiben. „Aber ich war begeistert. Die immer neuen Crews, das war so spannend, und vor allem: Es funktionierte.“ Der Job gefällt ihr bis heute, „ich muss immer etwas erkunden. Neulich hatten wir einen Zwischenstopp in Lyon, es regnete, aber ich bin trotzdem zur Kathedrale losgezogen.“ So lange sie diesen Drang habe, wolle sie weiterfliegen. 2001 reduzierte sie auf 86 Prozent, „ich wollte im Dezember und Januar frei haben“. Schon damals stand dahinter ein anderer Impuls, der sie neben ihrer Neugier stets antreibt: der Wunsch zu helfen. Mal hat sie drei Monate in einem Waisenhaus in Indien gearbeitet; ein andermal stieg sie aus, um argentinische Straßenkinder zu versorgen.

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I M VO R L E TZ T E N S O M M E R R I T T SIE DURCH DIE MONGOLEI. Beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) der Unmenschlichkeit geflohen; weil er heuerte sie 2004 an. Die Flugbegleiterin nicht auf sein Volk schießen wollte. Die absolvierte einen Sanitätshelferlehrgang, Wärme und der Respekt bei uns waren für heute ist sie Rettungssanitäterin und gibt ihn etwas ganz Neues.“ selbst Erste-Hilfe-Kurse. Ehrenamtlich versorgt sie bei Großveranstaltungen Notfall- D I E P R EI SS AU F DE R A L M patienten, bei Konzerten oder Weihnachts- Als Erste kamen die Einheimischen. Missmärkten. „Geld ist nicht wichtig. Für mich trauisch, was „die Preiß“ da wohl treibe, zählt das Zwischenmenschliche“, sagt die stiegen sie hoch zur Nesslauer Alm. „Der Bayerin. Sie ist nicht getauft, aber „ich habe Reihe nach erschien das ganze 600-Seeleneine Art Glauben, ein Gottvertrauen“. Kaff, um zu gucken“, erzählt Beate von BreVielleicht schafft sie es damit, ihre ver- men, in Wirklichkeit keine norddeutsche schiedenen Pflichten zu koordinieren: ge- „Preußin“, sondern gebürtige Schwäbin. genüber ihrem kleinen Sohn, der Lufthan- „Die hatten gehört, dass da jetzt ’ne Stewarsa, dem ASB. „Alles eine Frage der Organi- dess die Hütte bewirtschaftet.“ sation. Mein Sohn besucht zwei Krippen, Was sie vorfanden, gefiel den Chiemgaueine in der Nähe der Firma meines Mannes, ern gut – die meisten kamen wieder. „Ich eine hier in Hofheim. Und ich fliege nur hatte schließlich mein persönliches Almnoch 50 Prozent.“ Gewiss, wenn Tim sich konzept“, erklärt von Bremen, „Rosenblätin den Krippen nicht wohl fühlte, müsste ter in der Tränke, Gänseblümchen auf den sie das Ehrenamt aufgeben. „Aber es klappt Wurstplatten, ein Herzlich-willkommenprima.“ Schild.“ Die Wirtin selbst bediente im roten Zwei Wochen lang war Ilka Oberländer Dirndl und mit Lufthansa-Lächeln. im Herbst im Nordirak; sie hat dort eine Gelernt ist gelernt, Beate von Bremen, Ambulanz für die Kriegsflüchtlinge mit auf- 53, ist eine Top-Kraft, Purserette auf der gebaut. „Der ASB hat das hervorragend or- größten Maschine, dem A 380, gleichzeitig ganisiert, mit drei Teams für je zwei Wo- Teamleiterin für 150 Flugbegleiter. „Ich archen. Jeden Tag Einsatz von 10 bis 22 Uhr, beite Vollzeit, 50 Prozent im Büro in Frankdann Feedbackrunde, Tiefschlaf. Es war furt, 50 Prozent in der Luft.“ gut für den Kopf.“ Und für die Seele: Gleich Beate von Bremen scheint weit mehr als am ersten Tag hat die blonde Frau mit zwei Leben zu leben. Im Moment ist sie Flüchtlingskindern gesungen und getanzt. Single, eine attraktive Frau mit langen rotAm meisten habe sie das Lob ihres Über- braunen Haaren, „künstliche Extensions, setzers berührt. Er nannte die zwei Wo- eigentlich bin ich der Kurzhaartyp“. Verchen an der Seite der deutschen Sanitäter heiratet war sie zweimal; ihre Tochter erdie schönsten seines Lebens. „Er war ja vor zog sie allein. Sie hat Sport studiert und ist

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Fitnesstrainerin, sie trägt fetzige Fummel und fährt ein Mercedes-SLK-Cabrio, sie malt in Öl. Sportflugzeuge steuert die Hobbypilotin selbst, „ich war letzten Sommer auf fast allen Nordseeinseln“. So eine kann auch noch nebenbei für ein paar Wochen eine Alm bewirtschaften. Oder, wie vorletzten Sommer, einen Monat durch die Mongolei reiten. So eine hat die Kraft, immer wieder in das benachbarte Hospiz zu fahren, um mit den todkranken Kindern zu malen. Nur an eine Regel hält sich die Führungskraft strikt, um die eigenen Ressourcen zu schonen: „Wenn ich fliege, und auch vor Ort an den Flugzielen, ist der E-Mail-Account offline und das Handy aus. Genauso wie im Urlaub. Da müssen meine Leute durch.“ Auf die Alm kam sie durch den Tipp eines Ex-Freunds. Er wusste, dass die Betreiberfamilie eine Besetzung für die Berghütte im Juni suchte – Beate von Bremen, selbst auf einem Hof aufgewachsen, sagte spontan zu. Die Familie lieh ihr ein Auto mit Allradantrieb, und so fuhr sie, immer am Bergbach entlang, auf die Alm in 1100 Meter Höhe. Da oben, im Funkloch, war sie plötzlich mutterseelenallein. Sie entwickelte eigene Rituale. Ganz früh stand sie morgens auf, zog sich warm an und setzte sich, in eine Decke gehüllt, draußen auf die Bank. Ende Mai fielen noch letzte Schneeflocken. Dann, ab Juni, konnte sie die ersten Blüten bewundern, Krokusse, Enziane. Manchmal sah sie Gämse. Und sie lauschte dem Geläut von Kuhglocken – ihrer Kühe, 21 gehören zur Alm. Nach dem Frühstück ging sie die Tiere zählen – „für den Fall, das ein Rind fehlt, gibt’s ein Satellitentelefon“. Dann kam die Arbeit: Sie rühr-

MICHAEL REUTER (4. V. L.)

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Momentaufnahme [1] Teilzeit-Wirtin Beate von Bremen vor ihrer Hütte auf der Nesslauer Alm, [2] Tiermutter Christine Hauter mit Pflegekitz, [3] Wahl-Omaner Aldo Sardini mit Freunden beim SchischaRauchen, [4] Sonnenblumenzüchter Hans-Peter Schiffer und sein 8,15Meter-Spross, [5] Sanitäterin Ilka Oberländer 2012 im Irak

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te Teig an, buk Brot, Kuchen, Kaiserschmarrn. Ab elf Uhr trafen die ersten Wanderer ein. Nachmittags, gegen 16 Uhr, stellte die Almwirtin auf den ersten 500 Metern ins Tal Grablichter auf, „für die späten Heimwanderer“. Auf das Entzünden der Kerzen in der Dämmerung habe sie sich immer gefreut wie ein Kind – auf das Geräusch des Streichholzes, den Duft des Zunders, den glimmenden Docht. Abends ging Beate von Bremen oft schon um sieben Uhr ins Bett. Für sie als Nachtmensch war das eine neue Erfahrung: „Mein Rhythmus hat sich total umgestellt.“ Im Mai steigt die Purserette wieder einen Monat auf ihre Alm. Es ist die Abgeschiedenheit, die die berufsmäßig Weltreisende lockt. Und: „Ich hab da jetzt Freunde.“ DER OMA N ER

Aldo Sardini hat eine Mission. Er will das weitergeben, was er selbst im Oman erlebt hat: Gastfreundschaft und Liebe zum Land. Deshalb hilft er Graziela und Daniele, einem Paar aus Udine in Norditalien. Eine Woche Jahresurlaub verbringen die beiden Tankstellenbetreiber in dem arabischen Land. Dummerweise können sie kein Englisch, und ohne Englisch ist es schwierig, den Oman auf eigene Faust zu erkunden. Vor drei Tagen hat das Paar zufällig den Deutsch-Italiener kennengelernt. Seitdem ist er ihr unentgeltlicher Fremdenführer. „Salam alaikum“, sagt Aldo Sardini und drückt dem Verkäufer die Hand. Auf Arabisch umsäuselt er den Mann im Souvenirladen auf dem „Suk“, dem Markt, nippt am dargebotenen „arab coffee“ mit Rosenwasser und Kardamom. Auf Englisch kommt

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er dann zur Sache. „Meine Gäste sind keine reichen Kreuzfahrer, also please, vernünftige Preise, ja?“ Sardini strahlt den Verkäufer an. Hinter seinem Rücken zeigt er Graziela drei Finger. Mehr als drei Omani-Rial soll die Touristin nicht für die steinerne Schildkröte bieten. Gestern hat Sardini seinen neuen Bekannten die alte Hauptstadt Nizwa gezeigt; 180 Kilometer im Süden. Heute Abend, zum Abschied, will er mit ihnen Schischa rauchen, an Maskats Promenade. Er liebt Schischa, den aromatischen Tabak Arabiens, der genüsslich aus den langen Wasserpfeifen gesogen wird. „Man wird davon nicht high“, sagt er. „Man chillt, man trifft Freunde, man redet.“ Vor zehn Jahren verschlug es Aldo Sardini zum ersten Mal nach Maskat, bei einem Layover, wie die mehrtägigen Ruhetage bei Lufthansa heißen. „In der Disco vom Sheraton lernte ich zwei Omaner kennen. Am nächsten Tag haben sie mich abgeholt und mir ihr Land gezeigt: Wadis, Moscheen. Und Buchten, die sich tief in die Küste hinein schlängeln.“ Sogar Qantab hat er damals schon gesehen, das Fischerdorf in Hauptstadtnähe, in dem er jetzt wohnt. Bereits einen Monat nach dem Layover war Sardini wieder da – als Tourist. Seither hat er alle Urlaube im Oman verbracht. „Ich habe immer nach meinen Wurzeln gesucht“, sagt er und scherzt: „Vielleicht war ich in einem früheren Leben mal ein Nomade im Oman.“ Sechs Jahre alt war Aldo, als seine Eltern mit ihm und seinen sechs Geschwistern von Rom in den Ruhrpott umzogen. Als er bei Lufthansa anfing, ließ er sich versuchsweise in Barcelona nieder, „die billigen Flüge und die Möglichkeit, Ruhetage

und Urlaub am Stück zu nehmen, machten das möglich“. Aber Spanien wurde nicht zur Heimat. 2002 zog er in sein Vaterland weiter, nach Genua. Süleyman, Sardinis bester Freund, hört zu. Er grinst. Der Omaner hat Aldo damals in Genua besucht und ihm auf den Kopf zu gesagt: „Du bist hier nicht glücklich.“ Das war 2005. Seitdem hat Sardini seinen Zweitwohnsitz in Oman. Sardinis Freund ist 29 und ein traditioneller omanischer Mann. Er trägt die bodenlange Dischdascha, ist verheiratet, hat zwei Kinder und arbeitet als Polizist. „Seine Mutter hat mich schon zum Ramadanfest eingeladen“, sagt Aldo. Eine große Ehre sei das: Normalerweise trennten die Omaner strikt zwischen Familie und Freunden. Aldo Sardini ist Single. Aber allein bleibt er im Oman selten. Ständig schicken ihm die Freunde „WhatsApp“-Nachrichten, rufen an, kommen vorbei. Man trifft sich zum Frühstück, isst gemeinsam Mittag. Für drei Euro gibt es schon köstlich gewürzten frischen Fisch, „man muss nur wissen, wo“. Von Haus aus sei er eigentlich „der nervöse Typ“, sagt der Steward. „Hier habe ich endlich gelernt, mal die Ruhe zu genießen.“ Am späten Nachmittag, wenn das Licht schwindet, sei es in Qantab am schönsten. Dann kommen die alten Männer, setzen sich in ihren weißen Gewändern an den Strand und ratschen. Die Jungen spielen Fußball im Sand, bis der Muezzin zum Gebet ruft. „Und dann ziehen die Sterne auf“, sagt Sardini schwärmerisch, „bis der ganze Himmel glitzert. Hier gibt’s ja fast nie Wolken.“ Von diesem Anblick träume er, nachts, im Flieger, auf dem Weg nach Hongkong, Rio oder Addis Abeba.

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