Kapitel 1 – Einleitung I.  Hintergrund und Forschungsfrage Sieht man von politischen Dauerbrennern wie der Reform des Schulwesens oder aktuellen Problematiken wie der Flüchtlingskrise ab, so prägte wohl kein anderes Thema die innenpolitische und mediale Diskussion der vergangenen Jahre mehr als das Ringen um eine zufriedenstellende Lösung für die Kärntner Landes- und Hypothekenbank.1 1896 auf der Basis einer kaiserlichen Genehmigung gegründet, brachte die Bank zum 31. Dezember 1990 ihr gesamtes bankgeschäftliches Unternehmen in eine Aktiengesellschaft, die „Kärntner Landes- und Hypothekenbank Aktiengesellschaft“ ein. Die Entwicklung der Bank in den folgenden Jahren, die eng an die Person Jörg Haiders geknüpft ist, könnte man in Anlehnung an den österreichischen Literaten Franz Grillparzer als die Geschichte eines raschen Glücks und jähen Endes beschreiben: Bis zum Jahr 2006 expandierte die unter dem Namen Hypo Alpe-Adria-Bank International (HBInt) am südosteuropäischen Markt agierende Bank enorm. Aus vormals neun Fi­lia­ len wurden zweihundert, die Bilanzsumme stieg von 1,9 auf 30 Mrd Euro an. Vom Kärntner Erfolgsmodell wie geblendet, beteiligte sich 2007 die Bayrische Landesbank an der HBInt, woraufhin Jörg Haider in der ZIB 2 verkündete: „Kärnten wird reich“.2 Parallel mit der Bilanzsumme erhöhte sich auch die Summe der Ausfallshaftungen, die das Land Kärnten gegenüber der Bank übernahm. Einem Budget von rund zwei Mrd Euro in den Jahren 2003 bis 2007 standen zugunsten von Gläubigern der HBInt eingegangene Haftungen des Landes Kärnten in der Höhe von 7,7 Mrd im Jahre 2003 und 23,1 Mrd Euro zum Ende des Jahres 2007 gegenüber. Schon bei Eingehen der Verbindlichkeiten war klar, dass Kärnten im Falle einer Insolvenz der HBInt

  1 Vgl etwa Die Presse, Hypo: Ein Drama in 5 Akten, (17.11.2015).   2 Müller/Zahradnik, Die Bürgschaft: Ein Kärntner „Drama“ in mehreren Akten, ecolex 2015, 933 (933).

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Kapitel 1 – Einleitung

nicht in der Lage sein würde, die Haftungen aus dem Landesbudget zu begleichen.3 Als die Bank 2009 kurz vor der Insolvenz stand, erfolgte die Notverstaatlichung der HBInt. Die Republik versuchte damit einerseits den Konsequenzen, die eine Insolvenz der Bank auf das Land Kärnten nach sich gezogen hätten, aus dem Weg zu gehen und andererseits dem Eintritt eines Einlagensicherungsfalls vorzubeugen.4 Bis zum Jahr 2014, als sich die Bundesregierung dazu entschloss, die HBInt in eine Abbaueinheit zu überführen, musste die Republik der Bank bereits mehr als fünf Mrd Euro an Rekapitalisierungsgeldern zur Verfügung stellen. Zur Abwicklung der HBInt wurde das Bundesgesetz zur Schaffung einer Abbaueinheit (GSA) 5 geschaffen, dessen erklärtes Ziel darin bestand, die Abwicklung der HBInt nicht konterkarierenden Bestrebungen einzelner Gläubiger auszusetzen (Art 1 GSA). Ergänzt wurde das GSA durch das Bundesgesetz über Sanierungsmaßnahmen für die HYPO ALPE-ADRIA-BANK INTERNATIONAL AG (HaaSanG).6 Mit Verordnung (HaaSanV) 7 der FMA wurde das HaaSanG am 7. August 2014 zur Anwendung gebracht. Das mittlerweile vom VfGH aufgehobene HaaSanG sah ein Erlöschen aller bis zum 1. Juli 2019 fälligen „Sanierungsverbindlichkeiten“ der – durch das HaaSanG ins Leben gerufenen Abbaueinheit – HETA ASSET RESOLUTION AG (HETA) vor und statuierte gleichzeitig die Unwirksamkeit der diesen Gläubigern gegen das Land Kärnten als Ausfallbürge zustehenden Forderungen.8 In Umsetzung der auf der „Bank Recovery and Resolution Directive“ (BRRD) basierenden BankenabwicklungsRL9 wurde das am 1. Jänner 2015 in Kraft getretene Bundesgesetz über die Sanierung und Abwicklung von Banken (BaSAG) 10 erlassen. Auf Basis einer Übergangsregelung (§ 162 Abs 6 BaSAG) wurde die HETA in das Abwicklungsregime des BaSAG überführt. Am 1. März 2015 erließ die FMA ein bis zum 31. Mai 2016 laufendes Schuldenmoratorium, welches auch sämtliche Forderungen miteinbezog, die das HaaSanG für erloschen oder gestundet erklärt hatte. Mit dem Schuldenmoratorium sollte einer etwaigen Aufhebung des HaaSanG und der dazu ergangenen HaaSanV durch den VfGH „vorgebaut“ 11 werden. Tatsächlich   3 Potacs/Wutscher, Zur verfassungs-, unions- und völkerrechtlichen Beurteilung des HaaSanG, JRP 2014, 248 (250).    4 Vgl RV 178 BlgNR XXV. GP 10.    5 BGBl I 51/2014.    6 BGBl I 51/2014.    7 BGBl II 195/2014.   8 Potacs/Wutscher, JRP 2014, 248 ff.    9 RL 2014/59/EU des EP und des Rates v 15.5.2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen.  10 BGBl I 98/2014.  11 Müller/Zahradnik, ecolex 2015, 934.

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I.  Hintergrund und Forschungsfrage

hob der VfGH sowohl das HaaSanG als auch die HaaSanV am 3. Juli 2015 zur Gänze auf. In seinem Erkenntnis stellte der VfGH abschließend klar, dass eine gesetzliche Haftungserklärung eines Bundeslandes durch spätere gesetzliche Maßnahmen nicht völlig entwertet werden dürfe.12 Demgegenüber wurde der vom HG Wien gestellte Antrag auf Aufhebung des § 162 Abs 6 BaSAG vom VfGH als zu eng gefasst zurückgewiesen.13 Werden im Zuge einer erneuten, weiter gefassten Anfechtung die Einbeziehung der HETA in das BaSAG oder jene Regelungen, auf die sich der Mandatsbescheid der FMA stützt,14 vom VfGH aufgehoben, wären die Abwicklungsversuche der HETA gescheitert.15 Da der Bund nicht gewillt ist, der Bank weitere Gelder zur Verfügung zu stellen, wäre ein ordentliches In­sol­ venz­ver­fah­ren über die Bank einzuleiten. Dadurch würden jedoch auch die Ausfallshaftungen des Landes Kärnten schlagend werden. Dies hätte mangels ausreichender finanzieller Mittel zur Begleichung der Haftungen die materielle Insolvenz des Landes zur Folge. Um ein derartiges Szenario zu vermeiden, wurde das jüngst aus Anlass des Generalvergleichs mit dem Freistaat Bayern ergangene Gesetz zur Änderung des FinStaG, des BaSAG und des ABBAG (iwF: GeneralvergleichsG) 16 erlassen. Dieses ermächtigte den Finanzminister nicht nur zum Abschluss des bereits über die Bühne gegangenen Generalvergleichs mit dem Freistaat Bayern,17 sondern enthält auch eine Art „Sonderinsolvenzrecht für das Land Kärnten“.18 § 2a FinStaG räumt dem Bundesminister für Finanzen das Recht ein, den „Gläubigern [der HETA] ein Angebot zu unterbreiten, das auf den Rang der Forderung Bedacht nimmt und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der HETA (der zu erwartenden Quote aus einer Gläubigerbeteiligung) und des betroffenen Bundeslandes (Ausgleichszahlung für die Haftung) angemessen berücksichtigt“.19 Die Crux dieser Regelung besteht darin, dass die Durchsetzbarkeit der Haftung all jener Gläubiger, die dem Angebot nicht zugestimmt haben, auf die Höhe der mit den teilnehmenden Gläubigern ausverhandelten Ausgleichzahlung begrenzt wird. Allerdings tritt diese Rechts 12 Müller/Zahradnik, ecolex 2015, 934; Hilkesberger/Schöller, Sanierung und Abwicklung von Banken in Österreich nach dem BaSAG, ÖBA 2015, 553.  13 VfGH 7.10.2015, G 315/2015-11, G 387/2015-11, V 100/2015-11, Rz 25 ff.  14 VfGH 7.10.2015, G 315/2015-11, G 387/2015-11, V 100/2015-11, Rz 27.  15 Müller/Zahradnik, ecolex 2015, 934.  16 Bundesgesetz aus Anlass des Generalvergleichs mit dem Freistaat Bayern, mit dem das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz, das Finanzmarktstabilitätsgesetz und das ABBAG-Gesetz geändert werden, BGBl I 127/2015.  17 BMF, Österreich und Bayern besiegeln Hypo-Generalvergleich,  (17.11.2015).  18 Müller/Zahradnik, ecolex 2015, 934.  19 824 BlgNR XXV. GP.

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Kapitel 1 – Einleitung

wirkung nur dann ein, wenn dem Angebot mindestens zwei Drittel des ausstehenden Gläubigernominales zustimmen.20 Wie am 20. Jänner bekannt gegeben wurde, wird jenen HETA-Gläubigern, die Inhaber sogenannter „Senior Schuldtitel“ sind, vom Kärntner Ausgleichs-Zahlungsfonds (K-AF) ein Rückkaufangebot mit einer Quote von 75 Prozent unterbreitet, während Inhaber von Nachrangverbindlichkeiten nur 30 Prozent erhalten sollen.21 Ob die erforderliche Mehrheit der Gläubiger, die für ihre Entscheidung bis zum 11. März Zeit haben, zustande kommt, ist in Anbetracht der Tatsache, dass bereits wenige Stunden nach Bekanntwerden der Offerte die erste Absage durch das Konsortium der deutschen Versicherungen erteilt wurde, mehr als zweifelhaft.22 Friedrich Munsberg, Sprecher des „Par-Investorenpools“, dem etwa auch die Hypo Niederösterreich angehört, erklärte bereits im vergangenen November, einen Schuldenschnitt nicht akzeptieren zu wollen: Das Land Kärnten habe für die eingegangenen Verbindlichkeiten gerade zu stehen, etwa indem es beim Bund einen Kredit aufnimmt und diesen über 50 Jahre zurückbezahlt.23 Wird der angebotene Vergleich allerdings nicht akzeptiert, schickt dann – wie Die Presse vor kurzem titelte – das eine Bundesland das andere in den Konkurs?24 Ist dies überhaupt möglich, hat nicht der Bund für die Schulden der Länder einzuspringen? Wie das Schwert des Damokles hängt das mitunter als „Supergau“ 25 bezeichnete Insolvenzszenario seit mehreren Jahren über dem Bundesland Kärnten. Doch was meinen Journalisten und Politiker überhaupt, wenn sie vom Bankrott, vom Konkurs oder von der Insolvenz eines Bundeslandes sprechen? Die Beantwortung der Fragen nach der Möglichkeit, dem Ablauf und den Konsequenzen eines (möglichen) In­sol­venz­ver­fah­rens über Gebietskörperschaften steht im Mittelpunkt dieser Arbeit. Immerhin ist es ja nicht ganz ausgeschlossen, dass nach dem HaaSanG auch das GeneralvergleichsG nicht  20 824 BlgNR XXV. GP.  21 Die Presse, „Mehr geht nicht“: Heta-Rückkaufangebot liegt vor, (20.1.2016).  22 Der Standard, Heta: Erste Ablehnung von Kärntner Rückkaufangebot, (20.1.2016).  23 Die Presse, Hypo-Generalvergleich: Wien zahlt 1,23 Mrd. Euro an München, (17.11.2015).  24 Die Presse, Lauter Theaterdonner um den Rückkauf von Hypo-Anleihen, (17.11.2015).  25 Die Presse, Kärnten: „Vielleicht letzte Chance, einen Supergau abzuwenden“, (17.11.2015).

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II.  Aufbau der Dissertation

den gewünschten Erfolg bringt26 und ein Insolvenzantrag über das Vermögen des Landes Kärnten gestellt wird. Eng mit der Insolvenz(un)fähigkeit von Gebietskörperschaften verknüpft ist die Frage, ob der Bund für die Schulden der Länder aufkommen muss (Bail-out) oder diese in einer finanziellen Krise zumindest zu unterstützen hat. Die Bedeutung und Aktualität dieser Fragen erweist sich etwa daran, dass ihre positive oder negative Beantwortung ausschlaggebend für die Verhandlungsposition der im Rahmen des § 2a FinStaG schon bald über die Bühne gehenden Verhandlungen über den Rückkauf der HETA-Anleihen ist:27 Bejaht man etwa die Möglichkeit der Durchführung eines In­sol­venz­ver­fah­rens bei gleichzeitiger Verneinung einer Einstandspflicht des Bundes für die Verbindlichkeiten der Länder, so verfügt der BMF über ein starkes Druckmittel, die Gläubiger zur Zustimmung zu bewegen und es nicht auf eine Insolvenz der HETA ankommen zu lassen. Scheitern die Verhandlungen, so wäre demnach nicht ein Bail-out des Bundes die Folge, sondern ein geordnetes In­sol­ venz­ver­fah­ren über das Vermögen der HETA und damit aller Voraussicht nach auch über das des Bundeslandes Kärnten. Über den konkreten Anlassfall Kärnten hinaus bezweckt diese Arbeit dem In­sol­venz­ver­fah­ren das ihm oft zugeschriebene diabolische Gesicht zu nehmen. Geordnete Insolvenz wird nicht verstanden als der Endpunkt einer Fehlentwicklung, sondern als Prozess, der einem öffentlichen Schuldner einen konstruktiven Neuanfang („fresh start“) ermöglicht. Angesichts der enormen Verschuldung, die Gemeinden, Länder und der Bund angehäuft haben, wird das In­sol­venz­ver­fah­ren als eine Option eingeführt, wie mit finanziellen Krisen öffentlicher Schuldner in Zukunft umgegangen werden kann.

II.  Aufbau der Dissertation Am Beginn dieser Arbeit steht die Auseinandersetzung mit einem Problemkreis, der bis zur Griechenlandkrise nicht im europäischen Bewusstsein verankert war: Dem „Staatsbankrott“. Beginnend mit einer kurzen Geschichte staatlicher Schuldenkrisen wird gezeigt, dass das „Dogma der unbegrenzten Zahlungsfähigkeit des Staates“ 28 keineswegs den realen Gegebenheiten entspricht und in einem von Kapitalmärkten geprägten System staatlicher Finanzierung beinahe anachronistisch anmutet. Kapitel 2 legt auch in vielerlei weiterer Hinsicht das Fundament für die weitere Arbeit: So wird etwa da 26 Vgl Müller/Zahradnik, ecolex 2015, 934.  27 Die Presse, Kärnten: 1,2 Mrd. für die Landeshaftungen,  (26.11.2015).  28 Lewinski, Öffentlichrechtliche Insolvenz und Staatsbankrott (2011) 1.

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Kapitel 1 – Einleitung

rauf eingegangen, ob und unter welchen Voraussetzungen staatliches Vermögen dem Zugriff von privaten Gläubigern unterliegt, welche Möglichkeiten einem Staat zukommen, sich von seinen Verbindlichkeiten zu dispensieren oder wann von einer Insolvenz eines Staates bzw seiner Untergliederungen gesprochen werden kann. Kapitel 3 und 4 beschäftigen sich mit der Insolvenz von Gemeinden und Möglichkeiten der Vermeidung derselben. Um die Frage nach der In­sol­venz­ fähig­keit von Gemeinden zu beantworten, erfolgt in Kapitel 3 eine intensive Auseinandersetzung mit § 15 EO, dem einzigen positivrechtlichen Anhaltspunkt der Insolvenz von Gebietskörperschaften. § 15 EO diente dem OGH 1933 als Anknüpfungspunkt, zum ersten und bisher einzigen Mal die Eröffnung eines Konkursverfahrens über eine Gebietskörperschaft zuzulassen. Neben verfahrens- und materiellrechtlichen Fragestellungen im Umkreis von § 15 EO werden Argumente behandelt, welche für und gegen die In­ sol­venz­fähig­keit von Gemeinden sprechen. Aus aktuellem Anlass (HETAErkenntnis) wird ein besonderes Augenmerk auf die Vereinbarkeit von gebietskörperschaftlicher Insolvenz mit dem Grundrecht auf Eigentum gelegt. Mittel- und Höhepunkt der Arbeit bildet Kapitel 5, in dem auf die Frage nach der In­sol­venz­fähig­keit von Bundesländern eingegangen wird. Auf den Ergebnissen der vorherigen Kapitel fußend, erfolgt zunächst eine Analyse der Stellung der Länder im österreichischen Staatsaufbau. Ein entscheidendes Kriterium zur Beurteilung des Ausmaßes an Selbstständigkeit spielt dabei die finanzielle Eigenständigkeit. Der anschließende Rechtsvergleich mit der Rechtordnung der BRD stellt die Verknüpfung und entscheidende heuristische Hilfe zur Beantwortung zweier im Zentrum dieser Arbeit stehender Fragen: Zum einen der Frage des Bestehens einer Einstandspflicht des Bundes (Bail-out) und zum anderen der der Anwendbarkeit der In­sol­venz­ord­ nung auf Bundesländer. Kapitel 6 rundet die Arbeit mit der Skizzierung des Ablaufs eines In­sol­ venz­ver­fah­rens über Bundesländer ab. Basierend auf einer Auseinandersetzung der Entwicklung des „Sonderinsolvenzrechts“ für Kärnten und internationalen Ansätzen wird das Sanierungsverfahren nach der IO als taugliche Option präsentiert, finanzielle Krisen von Bundesländern zu bewältigen. Kapi­tel 7 resümiert die Arbeit.

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