JUGENDARBEIT IN BRANDENBURG

JUGENDARBEIT IN BRANDENBURG Herausgeber: Landesjugendring Brandenburg e. V. und Landesjugendamt des Landes Brandenburg JUGENDARBEIT IN BRANDENBURG ...
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JUGENDARBEIT IN BRANDENBURG

Herausgeber: Landesjugendring Brandenburg e. V. und Landesjugendamt des Landes Brandenburg

JUGENDARBEIT IN BRANDENBURG

Herausgeber: Landesjugendring Brandenburg e. V. und Landesjugendamt des Landes Brandenburg

INHALT

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VORWORT

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EINLEITUNG

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KINDHEIT UND JUGEND IN BRANDENBURG LEBENSPHASEN – LEBENSLAGEN – SOZIALISATIONSINSTANZEN 3.1. Vorbemerkungen 3.2. Bevölkerungsstruktur und geopolitische Rahmenbedingungen 3. 3. Sozialisationsinstanz Familie und sozioökonomische Lagen in Brandenburg 3. 4. Arbeitslosigkeit /Jugendarbeitslosigkeit 3.5. Gefährdungen: Kriminalität und Sucht 3.6. Andere Sozialisationsinstanzen: Schule 3.7. Andere Sozialisationsinstanzen: Jugendhilfe 3. 8. Lebensbedingungen und Entwicklungsperspektiven junger Menschen

8 10 13 14 15 16 17 20

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ZUR JUGENDARBEIT – ALLGEMEIN

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AUF DEN BLICKWINKEL KOMMT ES AN

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AUSGEWÄHLTE HANDLUNGSFELDER DER JUGENDARBEIT 6.1. 6.2. 6.3. 6.4. 6.5. 6.5.1. 6.5.2. 6. 6. 6.7. 6.8. 6.9. 6.10.

Zur Jugendkulturarbeit Zur internationalen/interkulturellen Jugendarbeit Zu multimedialen Ansätzen in der Jugendarbeit Zur außerschulischen Bildungsarbeit Zur geschlechterdifferenzierenden Jugendarbeit Zur Mädchenarbeit Zur Jungenarbeit Sozialarbeit an Schulen Mobile Jugendarbeit/Streetwork Jugendkoordination im ländlichen Raum Jugendarbeit durch Initiativen Folgerungen

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PRINZIPIEN UND ANSÄTZE VON JUGENDARBEIT

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PROFESSION UND EHRENAMT 8.1 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.3 8.3.1 8.4

9

40 42 44 45 46

48

53 55

56 57

HERAUSFORDERUNGEN AN DIE JUGENDARBEIT 9.1. 9.2. 9.3. 9.4. 9.5.

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Vorbemerkungen Welche Unterstützungsmechanismen braucht freiwilliges Engagement unter sich ändernden gesellschaftlichen Bedingungen? Gesellschaftliche Anerkennung/Rahmenbedingungen Ausbildung und Qualifizierung Professionelle als Partner für Freiwillige Anforderungen an Profis MitarbeiterInnen in der Kinder- und Jugendarbeit Perspektiven/Herausforderungen

28 30 33 35 36

Jugend und Gewalt Jugend und Bildung Jugend und Behinderung Jugend und EU-Osterweiterung Jugendliche Aussiedler

58 61 63 64 66

LISTE DER BETEILIGTEN

68

IMRESSUM

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VORWORT Zum ersten Mal wird mit dieser Handreichung versucht, die Jugendarbeit in Brandenburg in ihrer Komplexität allen jugendpolitisch Verantwortlichen und den haupt- wie ehrenamtlich Tätigen näher zu bringen. Damit haben wir das Ziel verfolgt, die Bedeutung der Jugendarbeit als Sozialisationsinstanz neben Familie und Schule stärker in das Bewusstsein zu bringen und eine Diskussion zu beginnen, die eine nachhaltige fachliche Stärkung befördert. Der Jugendarbeit liegt ein umfassender Anspruch zu Grunde, der im Kinder- und Jugendhilfegesetz formuliert ist: »… sie soll junge Menschen zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.« Diesem hohen Anspruch zu genügen bedarf ständiger Diskussion über die geeigneten Ansätze und Möglichkeiten der Jugendarbeit, denn Jugendarbeit entwickelt und muss sich genauso entwickeln, wie sich die Lebenslagen für junge Menschen in unserer Gesellschaft stetig verändern. Für die Erstellung dieser Handreichung war eine Arbeitsgruppe verantwortlich, die durch den Unterausschuss Jugendarbeit des Landesjugendhilfeausschuss zusammengestellt wurde. Ihr gehörten Vertreter der Jugendämter, von freien Trägern der Jugendarbeit und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesjugendamtes an. Im Rahmen einer Anhörung wurden zudem Vertreter der Praxis der Jugendarbeit vor Ort gebeten, ihre Perspektiven und Sichtweisen auf ihr Handlungsfeld darzustellen. Der Arbeitsgruppe und vor allem den Praxisvertretern sei herzlich gedankt für ihre Mitarbeit. Als Herausgeber wünschen wir den Leserinnen und Lesern neben Erkenntnisgewinn vor allem Orientierung für die Diskussion in und über die Jugendarbeit, und – nicht zuletzt – Spaß bei der Lektüre.

Dr. Doris Scheele Landesjugendamt Brandenburg

Tino Kunert Landesjugendring Brandenburg

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2 EINLEITUNG

Jugendarbeit ist kein klar strukturiertes System wie etwa Schule, und dies ist sicher einer der wesentlichen Gründe, warum es vielen so schwer fällt zu durchschauen, was Jugendarbeit eigentlich ist. Und es ist einer der Gründe, warum diese Handreichung entstanden ist. Jugendarbeit ist vielgestaltig, bunt, teilweise unbequem und sperrt sich vehement dagegen, ein »geschlossenes« Bild abzugeben. Wir haben versucht, uns diesem Bild dennoch anzunähern und es uns zur Aufgabe gemacht, dem Betrachter zu klarerer Sicht zu verhelfen. Die Annäherung erfolgt zunächst, indem der Rahmen für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in Brandenburg beschrieben wird. Die Bevölkerungsentwicklung, Bedingungen für schulisches und berufliches Lernen, die Situation der Familien im Land und vieles mehr prägen die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen. Im Weiteren nähern wir uns der Jugendarbeit im Allgemeinen und in der Betrachtung beispielhaft beschriebener Handlungsfelder im Besonderen. Hier wird für den Betrachter schon deutlicher, worum es eigentlich geht, welche Farben und Facetten möglich sind.

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Sodann kommen wir schon zum Kern: den Prinzipien der Jugendarbeit. Wenn schon Jugendarbeit vielgestaltig in ihren Erscheinungsformen ist, so ist sie doch klar in ihren Prinzipien: Freiwilligkeit und Wertgebundenheit. Jugendarbeit kennt keine Verpflichtung zur Teilnahme, wird in aller Regel von freien gesellschaftlichen Gruppen getragen und ist daher von ähnlicher Pluralität und unterschiedlichen Wertbindungen wie unsere Gesellschaft. Wesentlich für die Jugendarbeit ist, dass sie seit je zum größeren Teil von (oftmals selbst noch jugendlichen) Ehrenamtlichen getragen wird und damit Subsidiarität beispielhaft gelebt wird. Dennoch ist auch Jugendarbeit ein Arbeitsfeld für hauptamtlich angestellte Fachkräfte. Denn ohne deren Unterstützung in Beratung, Betreuung und Begleitung in persönlichen Problemlagen kommt auch Jugendarbeit nicht aus. Die Jugendarbeit steht vor Herausforderungen – auch in Brandenburg. Wir haben versucht, einige hervorzuheben ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Jugend und Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit ist weit davon entfernt, allein ein Jugendproblem zu sein. Dennoch ist die Jugendarbeit, wie Schule und Familie, in besonderer Weise betroffen, birgt aber auch die Chance, mit langem Atem und klaren Orientierungen diesem demokratiefeindlichen Phänomen etwas entgegenzusetzen. Jugend und Bildung wie auch Jugend und Behinderung sind bislang weithin ausgeklammerte Herausforderungen, die aus unserer Sicht jedoch zwingend stärkere Beachtung verdienen. Spätestens seit dem Bekanntwerden der PISA-Ergebnisse muss klar sein, daß auch die Jugendarbeit sich ihrem Bildungsauftrag stärker im – gleichberechtigten – Verbund mit der Schule widmen muss. Jugendliche mit Behinderungen sind in der Jugendarbeit kaum anzutreffen, auch diesem Thema wird nachgegangen und Perspektiven werden formuliert. An vielen Stellen werden Sie Einfügungen finden, die die Sicht der Praxis wiedergeben. Hierzu hat die Arbeitsgruppe, die diese Handreichung erstellt hat, im Rahmen einer Anhörung Verantwortliche aus den Handlungsfeldern der Jugendarbeit gebeten, ihre Sicht der Dinge einzubringen. Damit wollten wir sicherstellen, daß nicht wie so oft über, sondern die Praxis selbst ihre je spezifischen Herausforderungen und Perspektiven beschreibt.

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3 KINDHEIT UND JUGEND IN BRANDENBURG LEBENSPHASEN – LEBENSLAGEN – SOZIALISATIONSINSTANZEN 3.1.

Vorbemerkungen Jugendhilfe – und damit auch und gerade die Arbeit mit jungen Menschen, die »Jugendarbeit« im engeren Sinne- soll »dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen« (Kinder- und Jugendhilfegesetz [KJHG], § 1). Die dafür erforderlichen Angebote hat die Jugendarbeit, getragen von Verbänden, Gruppen und Initiativen der Jugend, von anderen Trägern der Jugendarbeit und den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe, zur Verfügung zu stellen (vgl. KJHG § 11). Um Aussagen machen zur können zur Umsetzung dieser bundesgesetzlich vorgegebenen Normen – Aussagen also über die Planung und Schaffung notwendiger Angebote in der Jugendarbeit –, erscheint es geboten, die derzeit für junge Menschen in Brandenburg bestehenden Lebensbedingungen anhand ausgewählter Parameter näher zu beschreiben. Dem liegt ein Modell der Sozialisation1 zu Grunde – wobei unter Sozialisation sehr verkürzend der Prozess des Hineinwachsens von Individuen in eine Gesellschaft verstanden werden soll und davon ausgegangen wird, dass junge Menschen in unterschiedlichen (i.d.R. altersmäßig einzugrenzenden) Phasen mit jeweils spezifischen Anforderungen konfrontiert werden. Bei deren Vermittlung wirken, in unterschiedlicher Intensität, eine Reihe von Sozialisationsinstanzen mit –

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wie – – – – – – –

die Familie, andere Beziehungssysteme (wie Freunde, »peer-groups«), der Kindergarten, die Schule, aber auch soziale Großgebilde wie die Wirtschaft bzw. ihre Ordnung, Kirchen, Verbände, Parteien und ähnliche, »sinnstiftende« Organisationen, die (Massen-) Medien, der soziale Raum schlechthin, in dem sich – nicht nur junge – Menschen bewegen.

Sozialisation ist mithin als lebenslanger Prozess zu begreifen.

Bevölkerungsanteil 2001 im Land Brandenburg nach Altersgruppen (Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik Land Brandenburg)

16,3%

27,6%

29,6%

65 Jahre und älter

45 bis 65 Jahre

25 bis 44 Jahre

13,7% 15 bis 25 Jahre

8,6% 6 bis 14 Jahre

4,2% bis 5 Jahre

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3. 2.

Bevölkerungsstruktur und geopolitische Rahmenbedingungen Zu Beginn des Jahres 2003 lebten im Land Brandenburg knapp 2,6 Millionen Menschen, im Durchschnitt also 88 auf jedem der knapp 30 000 Quadratkilometer Landesfläche: damit ist Brandenburg nach Mecklenburg-Vorpommern das am dünnsten besiedelte Land der Bundesrepublik. Die meisten Menschen wohnen in den an Berlin angrenzenden Regionen; die Bevölkerungsdichte sinkt mit der Entfernung von Berlin und beträgt bspw. in der Uckermark lediglich 50 Pers./qkm. Für Brandenburg ist zudem die hohe Anzahl von kleinen Gemeinden in ländlich geprägten Räumen charakteristisch: Zwei Drittel aller Gemeinden bzw. Ortsteile von Gemeinden des Landes haben weniger als 500 Einwohner. Weniger als 40 Prozent der Landesbevölkerung leben in Orten mit mehr als 10 000 Einwohnern. Auch junge Menschen erleben ihr Land zweigeteilt: als »äußeren Entwicklungsraum« mit vergleichsweise geringer Infrastruktur, die u. U. zu weiten Wegen zwingt (um zur Discothek, ins Kino, aber auch z.B. zum Kindergarten, zur Schule, zum Arzt oder in eine Bibliothek zu gelangen) oder als »engeren Verflechtungsraum«, auch »Speckgürtel« genannt, mit deutlich dichterer Siedlungs- und soziokultureller Infrastruktur sowie seiner Anbindung an die Großstadt Berlin – durch S- und Regionalbahnanschlüsse vielerorts auch von jungen Menschen aus Brandenburg erreichbar und deren Mobilität wie Aktionsradien z.T. erheblich erweiternd.

3 Bevölkerungsentwicklung im Land Brandenburg (1991 = 100%) (Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik Land Brandenburg)

130 %

engerer Verflechtungsraum

120 % 110 %

Land insgesamt

100 % 90 %

äußerer Entwicklungsraum

80 % 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001

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Zwar hat die Bevölkerung Brandenburgs bis 2001 wieder leicht zugenommen: Prognosen belegen gleichwohl, dass sie sich bis zum Jahre 2015 – auf Grund von Geburtenrückgang, Sterberate und Abwanderung – insgesamt um ca. 100 000 verringern wird – das entspricht in etwa der heutigen Einwohnerzahl des gesamten Landkreises Prignitz. Der anhaltende Bevölkerungsrückgang beträfe dann vor allem den »äußeren Entwicklungsraum« Brandenburgs – Studien gehen von einer förmlichen »Entleerung« mancher Gegenden aus –, während in Berlin nahen Gebieten – wie etwa dem Landkreis Potsdam-Mittelmark – weitere, z.T. erhebliche Wanderungsgewinne vorhergesagt werden. Sinken wird jedoch in allen Teilräumen die Zahl der Kinder und Jugendlichen um 30 bis 40 Prozent, gleichzeitig wird der relative Anteil der Senioren zunehmen. Der natürliche Bevölkerungsrückgang wird zudem verstärkt durch deutliche Abwanderungsbewegungen, die durch Zuzugsgewinne nicht kompensiert werden: nahezu 17 000 junge Menschen haben Brandenburg allein in 2001 verlassen, um in Berlin und anderen – vor allem westlichen – Bundesländern einen Job zu finden 2. Derzeit ist etwa ein Viertel der Bevölkerung Brandenburgs jünger als 25 Jahre (rund 720 000). Der Anteil der unter 20-jährigen bemisst sich jedoch nur noch auf 15 Prozent (oder 370 000) und wird sich bis 2015 auf ca. 12 Prozent verringern – Anzeichen dafür, dass Brandenburg bald ein »vergreistes Land« werden könnte, wie eine Migrations-Studie der Europa-Universität Frankfurt/Oder bereits 1997 feststellte. In Brandenburg leben in etwa gleich viele Jungen wie Mädchen; allerdings scheint sich das Geschlechterverhältnis zu verändern: schon seit einigen Jahren stehen laut Geburtsstatistik je 100 Mädchen 103 Jungen gegenüber. Dabei liegt die Lebenserwartung eines neugeborenen Mädchens gegenwärtig bei 79,2 Jahren und die eines neugeborenen Knaben bei 71,9 Jahren.

Bevölkerungsentwicklung im Land Brandenburg nach ausgewählten Altersgruppen (1991 = 100%) (Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik Land Brandenburg)

Alter 65 und älter

130 % 120 % 110 % 100 % 90 % 80 % 70 %

Alter 0 und bis 15

60 % 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001

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Knapp 6 000 (das sind rund 1,2 %) der unter 18-jährigen BrandenburgerInnen gelten als schwerbehindert 3. Andere Beeinträchtigungen junger Menschen sind statistisch nur partiell erfasst: so weisen bspw. für 1999 die vom MASGF dokumentierten Ergebnisse der landesweiten Einschulungsuntersuchungen nach, dass fast jedes 10. Kind unter Sprachstörungen leidet oder bis zu 16 % adipös (= stark übergewichtig) sind. Im Land Brandenburg leben rund 48 800 Ausländer (Stand Ende 2001), das entspricht einem Anteil von rund 1,9 % an der gesamten Bevölkerung. Dies ist deutlich weniger als der Bundesdurchschnitt, der bei 9 % Ausländern an der Gesamtbevölkerung liegt. Noch geringer ist die Zahl deutschstämmiger Einwanderer. Schätzungsweise kommen jährlich rund 4 000 Spätaussiedler nach Brandenburg, von denen ein Großteil allerdings nach Berlin oder in die alten Bundesländer umzieht. Zur Zeit geht das Sozialministerium von insgesamt rund 20 000 Spätaussiedlern in Brandenburg aus. Wegen ihres Rechtsanspruches auf Einbürgerung in Deutschland werden sie statistisch nicht gesondert erhoben.

3

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Ein weiteres brandenburgisches Spezifikum stellen die rund 20 000, überwiegend im Süden des Landes wohnhaften Sorben/Wenden dar, deren Brauchtum und kulturelle Identität es zu pflegen und zu erhalten gilt. Grundlagen dafür sind bspw. mit dem Sorben / Wenden Gesetz (SWG) geschaffen worden. Die Ostgrenze Brandenburgs zu Polen ist zugleich (z.Zt. noch) die Außengrenze der Europäischen Union und damit auch die (im Binnen- wie im Außenverhältnis wirkende) Grenze der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 4. Trotz erster Annäherungsversuche in den vergangenen zehn Jahren, z.B. durch deutsch-polnische Jugend-Kulturtage, eine Vielzahl von deutsch-polnischen Jugendbegegnungen, viele weitere Projekte oder durch Schulpartnerschaften 5, sind die nachbarschaftlichen Beziehungen noch nicht so ausgebildet wie in anderen grenznahen Regionen Deutschlands. Eine Intensivierung dieser Beziehungen – vor allem im Hinblick auf die angestrebte Osterweiterung der EU – stellt auch für den Jugend(arbeits-)bereich weiterhin eine große Herausforderung dar.

3.3.

Sozialisationsinstanz Familie und sozioökonomische Lagen in Brandenburg »Die Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen werden vorrangig bestimmt von der Lebensqualität der Familien, in denen sie aufwachsen – insbesondere von der emotionalen Wärme, mit denen sich Eltern ihren Kindern zuwenden können und von ihren Einkommensverhältnissen« – so der 9. Jugendbericht der Bundesregierung (1994, S. VII). 1997 lebten in Brandenburg knapp drei Viertel aller Kinder in Familien mit verheirateten bzw. zusammenlebenden Eltern – 27 Prozent der unter 15-Jährigen wurde von Alleinerziehenden großgezogen, darunter 83 Prozent von Frauen. Der Anteil der Haushalte mit drei oder mehr Personen (das sind zumeist Haushalte mit Kindern) hat sich jedoch von 1991 bis 1997 deutlich von 49 auf rund 36 Prozent verringert, so dass im Sozialbericht des Landes gewarnt wird: »Familien mit Kindern, jenem Humankapital, das existenzielle Mindestvoraussetzung aller solidarischen sozialen Sicherungssysteme ist, drohen auch in Brandenburg zu einer Minderheit zu werden.« 6 Das verfügbare Haushaltsnettoeinkommen von Familien in Brandenburg ist zwar in den letzten 10 Jahren kontinuierlich gestiegen, aber nicht überall in gleichem Maße. So ist weiterhin ein regionales Einkommensgefälle erkennbar – die Höhe des Pro-KopfEinkommens nimmt von den Zentren über deren Umland hinaus zu den zentrenfernen, ländlichen Räumen in Brandenburg deutlich ab. Von den Familien mit Kindern verfügt mittlerweile rund die Hälfte über ein monatliches Familiennettoeinkommen von mehr als 2000 €, auf rund 12 Prozent ist jedoch auch der Anteil einkommensschwächerer Familien mit einem Einkommen unter 900 € gestiegen. Dementsprechend wächst die Anzahl der Empfänger von laufenden Hilfen zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe im engeren Sinne): etwa 30 000 Haushalte, in denen rund 23 000 Kinder und Jugendliche (unter 18 Jahren) lebten, erhielten Ende 1998 Sozialhilfe: das sind 4,5 Prozent – oder jeder 15. – der jungen Menschen in Brandenburg (zum Vergleich: 1994 waren es ein Drittel weniger) 7. Diakonisches Werk und Caritasverband hatten bereits 1997 in einer gemeinsamen Studie darauf aufmerksam gemacht, dass auf je 10 Empfänger von Sozialhilfe knapp 17 »verdeckt arme Personen« kommen, die faktisch unter dem gesetzlich fixierten soziokulturellen Existenzminimum leben. Hochgerechnet auf das Land Brandenburg wären das weitere ca. 40 000 junge Menschen, die in ihrem familialen Umfeld zumindest zeitweise mit Problemen materieller Unterversorgung konfrontiert sind. Betroffen von verdeckter Armut sind überproportional viele Alleinerziehende (i.d.R. Frauen) mit 2 oder mehr Kindern. Kinder aus sozial benachteiligten Familien sind nicht nur weniger gesund, höheren Gesundheitsrisiken ausgesetzt und generell schlechter versorgt. »Armut gefährdet die Gesundheit« stellte das Landesgesundheitsamt bereits 1997 in der Untersuchung »Zur Gesundheit der Schulanfänger« bündig fest und spricht von einem »Teufelskreis«: Wenn Kindern aufgrund ihres sozialen Umfeldes bereits wichtige Grundfähigkeiten fehlten – z.B. »gutes Sprechen und Sprachverständnis sowie eine gewisse psychische Belastbarkeit« (S. 21) –, sinke ihre Chance auf bessere Schul- und Ausbildung und damit auch die Aussicht auf einen Arbeitsplatz. Soziale Benachteiligungen beeinträchtigen also generell die Lebens- und Entfaltungschancen – gerade junger Menschen – in der Gesellschaft insgesamt.

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3.4.

Arbeitslosigkeit/Jugendarbeitslosigkeit Eine Ursache wachsender sozialer Ungleichheit in Brandenburg ist die anhaltende Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosenrate hat sich seit 1997 zwar stabilisiert, allerdings auf hohem Niveau – sie liegt im Landesdurchschnitt bei 17 Prozent (im Dezember 2002 bei 17,8 Prozent), im Berlin nahen Raum darunter, in den nordwestlichen und nordöstlichen Landesteilen sowie im ehemals stark industrialisierten Süden des Landes teilweise erheblich darüber. Rund 240 000 Menschen beziehen in Brandenburg Arbeitslosengeld oder -hilfe, weitere 12 000 sind in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) und rund 11 000 in Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM) vorübergehend beschäftigt (Stand jeweils Dezember 2002). Eine zunehmende Anzahl von Kindern und Jugendlichen wächst in erwerbslosen Haushalten auf. Analysen des Landesamtes für Statistik und Datenverarbeitung (Bericht »Kinder in Brandenburg« 1998, bes. S.17) verdeutlichen, dass ein »genereller Trend zur verstärkten Erwerbslosigkeit vor allem bei alleinerziehenden Frauen« festgestellt werden kann: so stieg der Anteil der erwerbslosen alleinerziehenden Frauen von rund 14 Prozent in 1991 bis Ende 1997 auf über 33 Prozent an – mehr als 30 000 Kinder unter 15 Jahren sind davon betroffen.

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Die ungünstigen Bedingungen am Arbeitsmarkt haben aber auch für Jugendliche selbst den Übertritt von der Ausbildung in die Beschäftigung verschärft. Ausdruck dafür ist die gewachsene Jugendarbeitslosigkeit. Die Arbeitslosenquote junger Leute betrug bspw. im August 1999 18,4 Prozent, im Dezember 2002 weiterhin 16 Prozent (knapp 27 000 unter 25-Jährige, davon rund 7 000 unter 20-Jährige). Rund 60 000 Ausbildungsplätze stehen in Brandenburg zur Verfügung bzw. waren Ende 1998 besetzt, aber nur 4 von 10 jungen Menschen, die eine Ausbildung absolviert haben, werden danach auch in ein Arbeitsverhältnis übernommen. Etwa die Hälfte der in Brandenburg arbeitslos gemeldeten jungen Menschen hat jedoch erst gar keine Ausbildung aufgenommen oder diese abgebrochen. Hinzuzurechnen zu den Arbeitslosenzahlen ist nach Beobachtungen der Bundesanstalt für Arbeit zudem die wachsende Gruppe der Nichterwerbstätigen, die weder in Ausbildung noch in einem Beruf waren, noch arbeitslos gemeldet sind – bundesweit waren das 1995 schon über 80 000 junge Menschen, für Brandenburg liegen keine gesonderten Zahlen vor. Aber auch für Brandenburger Jugendliche gilt, dass die zunehmende Perspektivlosigkeit nach der Ausbildung bzw. der damit einhergehende Mangel an Arbeitsplätzen eine der Ursachen ist für den Anstieg der Zahlen arbeitsloser Jugendlicher ohne Ausbildung insgesamt.

3.5.

Gefährdungen: Kriminalität und Sucht Arbeitslosigkeit der Eltern wie eigene Perspektivlosigkeit wirkt sich nach Erkenntnissen des Landeskriminalamtes (LKA) auch auf die Jugendkriminalität in Brandenburg aus: trotz gesunkener Tatverdächtigtenzahlen insgesamt weist die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für die unter 21-Jährigen einen Anstieg aus: d.h. rund 36 000 junge Menschen sind u.a. wegen – Diebstahlsdelikten (52 %), – Sachbeschädigung (19,5 %), – Körperverletzung (15 %) oder – Rauschgiftdelikten (8 %) auffällig geworden (vgl. die LKA-Dokumentationen zur Jugendkriminalität 2000 und 2001). Mit fast 5 900 Fällen in 2000 (zum Vergleich: rd. 4 800 Fälle in 1999) erreichte die Drogenkriminalität das bisher höchste Niveau im Land Brandenburg. Die Landessuchtbeauftragte stellt ein erhebliches Anwachsen der Anzahl von jungen Menschen fest, die abhängig von illegalen Drogen sind. Deutlich wird, dass junge Menschen in Brandenburg nicht nur überproportional als Tatverdächtige in Erscheinung treten – sie sind auch zunehmend Opfer von Straftaten: so werden rund 40 Prozent aller polizeilich bekannt gewordenen Körperverletzungen an Kindern und Jugendlichen verübt; knapp 77 Prozent aller Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind unter 21 Jahre alt. 8 Als eine der wesentlichen Ursachen steigender Kriminalität unter Kindern wie Jugendlichen benennt das LKA zerrüttete familiäre Verhältnisse, oft einhergehend mit nur einem Elternteil und schwachen Bindungen an das Elternhaus – so stammt bspw. der größte Teil der jugendlichen Intensivtäter aus solchen, i.d.R. gleich unter mehrfachen Aspekten, sozial benachteiligten Familien.

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3.6.

Andere Sozialisationsinstanzen: Schule Offenbar sind Eltern/Familien immer weniger in der Lage, ihren Kindern gegenüber Bildungs- und Erziehungsaufgaben umfassend wahrzunehmen oder ihnen tragfähige Zukunftsperspektiven zu eröffnen, daher erhalten andere gesellschaftliche Sozialisationsinstanzen zwangsläufig eine größere Bedeutung.

3

Neben der Familie kommt vor allem der Schule eine erhebliche Relevanz zu als Institution, die jungen Menschen das Hineinwachsen in die Gesellschaft ermöglichen soll. Denn neben der Vermittlung elementarer Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen und von – je nach Schulart bzw. -stufe unterschiedlichem Wissen – leistet die Schule auch einen wesentlichen Beitrag zur Vermittlung gesellschaftlicher Normen und Wertvorstellungen, ist mithin ein Lernort für soziale Kompetenz schlechthin. Befördert werden sollen an Brandenburgs Schulen etwa »Schlüsselqualifikationen« wie »Kooperationsfähigkeit, Leistungsfähigkeit, Kreativität, Verstehen und Anwenden, Kommunikationsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Selbstständigkeit, Konfliktfähigkeit«. Schule soll Eltern dabei unterstützen, »Kinder und Jugendliche in eine Welt hineinwachsen (zu lassen), die nur im verantwortungsvollen Miteinander gut funktioniert« (Bildungsminister Steffen Reiche im Vorwort der MBJS-Broschüre »Das Brandenburgische Schulgesetz – was steckt dahinter«, Potsdam, 2000 S.4). Mit neuen Unterrichtsangeboten – z.B. dem Schulfach »Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde« (LER) oder dem Projekt »Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus im Unterricht« – und Strukturmaßnahmen – z.B. der Erhaltung von wohnortnahen »Kleinen Grundschulen«, Versuchen mit »flexiblen Eingangsstufen« oder der Förderung von Informationstechnologien, bspw. der Initiative »m.a.u.s.«/Medien an unsere Schulen – will die Bildungspolitik in Brandenburg dem Bedeutungswandel der Institution Schule Rechnung tragen. 374 000 (in 2000 noch: 422 000) Schülerinnen und Schüler werden im Schuljahr 2002/03 an 1 069 allgemein bildenden und beruflichen Schulen des Landes Brandenburg von rund 26 000 hauptamtlichen Lehrkräften unterrichtet.

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3.7.

Andere Sozialisationsinstanzen: Jugendhilfe Familienergänzende Betreuungs- und Erziehungsleistungen für Kinder und Jugendliche sowie Beratungs- und Unterstützungsangebote werden in Brandenburg weiterhin von öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe vorgehalten und erbracht. Das System der Jugendhilfe ist mithin – neben Familie/Eltern und Schule – eine weitere wichtige Sozialisationsinstanz für junge Menschen, z.B.

in der Kindertagesbetreuung:

Jedes Kind im Land Brandenburg hat – so garantiert Artikel 27 der Landesverfassung – einen Anspruch auf Erziehung, Bildung, Betreuung und Versorgung in einer Kindertagestätte (Krippe, Kindergarten, Hort). Entsprechend hoch ist der Versorgungsgrad (Sozialbericht MASGF 1999, Berechnungen des MBJS 2001): – – –

ca. 46 Prozent der 0- bis 3-jährigen Kinder haben einen Krippenplatz ca. 93 Prozent der 3- bis 6-jährigen Kinder sind in einem Kindergarten untergebracht ca. 38 Prozent aller schulpflichtigen Kinder bis zur 6. Klasse besuchen einen Hort.

In den landesweit rund 1 900 Kindertagestätten sind ca. 9 800 ErzieherInnenStellen mit entsprechenden Fachkräften besetzt. Beide Zahlen werden sich noch weiter verringern – aufgrund sinkender Kinderzahlen (s.o.) sowie der differenzierten Absenkung von Betreuungsansprüchen bzw. – zeiten, die das in 2000 verabschiedete neue Kita-Gesetz vorsieht. Zugleich zeigt sich eine Tendenz, wenngleich regional unterschiedlich ausgeprägt, dass zunehmend mehr Kinder in Tagespflegestellen (durch »Tagesmütter«) betreut werden, 1999 waren das lediglich 138.

in der Jugend-/Jugendsozialarbeit:

In Brandenburg gibt es eine große Vielfalt an Einrichtungen, Diensten und Angeboten in diesem Bereich, z.B. – – – –

mind. 1 250 Jugendfreizeiteinrichtungen (-clubs, -räume, -treffs, -cafés etc.) ca. 60 Ferieneinrichtungen (-lager, -zeltplätze) für Kinder und Jugendliche, einschließlich 4 ausgewiesener Familienferienstätten ca. 20 Einrichtungen der Jugendberufshilfe 6 Jugendbildungsstätten

sowie Jugendherbergen und Schullandheime, die nicht nur, aber auch im Rahmen der Jugendarbeit 9 von Gruppen für Seminare, Begegnungen oder Freizeiten genutzt werden. Allein im Landesjugendring Brandenburg sind 31 landesweit wirkende Jugendverbände organisiert, hinzu kommen eine nicht überblickbare Anzahl von Vereinen, Gruppen und Initiativen, die z.T. nur auf örtlicher Ebene tätig sind, für junge Menschen vor Ort aber Ansprechpartner sind und Angebote vorhalten. Dazu zählen auch solche, die Kindern und Jugendlichen politische Beteiligungsmöglichkeiten eröffnen (wie Kinderbüros, Kinder- und Jugendparlamente, Kinderversammlungen u.ä. – die Infostelle

17

Kinderpolitik des Deutschen Kinderhilfswerks 10 listet für Brandenburg rund 20 derartige Initiativen auf). Ebenso unterbreiten die Wohlfahrtsverbände Angebote im Bereich der Jugendarbeit. Das MBJS hat errechnet (Kinder- und Jugendbericht 1998, S. 54), dass im Durchschnitt in den Jugendamtsbereichen je 1 000 Kindern und Jugendlichen zwei Beschäftigte in Einrichtungen der Jugendarbeit zur Verfügung stehen. Knapp die Hälfte der in diesem Bereich insgesamt tätigen ca. 1 500 MitarbeiterInnen 11 verfügen über eine sozialpädagogische Ausbildung: 8 SozialarbeiterInnen oder ErzieherInnen stehen im Schnitt 10 Beschäftigte ohne einschlägige Qualifikation gegenüber – Beschäftigte, die i.d.R. auch nicht fest, sondern nur vorübergehend angestellt sind und aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit (ABM, SAM) finanziert werden. Nicht bekannt ist die Anzahl der ehrenamtlich Tätigen, die z.T. kurzfristig (z.B. als BegleiterInnen von Ferienmaßnahmen), aber auch längerfristig (z.B. als BetreuerInnen in Sportvereinen, Anleiter bei der Jugendfeuerwehr o.ä.) eingesetzt werden und deren Erfahrungen und Engagement unverzichtbares Element einer funktionierenden Jugendarbeit sind (s.a. Kap. Profession und Ehrenamt). Angaben zur Nutzung von Angeboten und Maßnahmen der Jugendarbeit durch Kinder und Jugendliche können immer nur Momentaufnahmen sein – das Statistische Jahrbuch 2002 weist für das Jahr 2000 diese Relationen aus:

3

– – –

Kinder- u. Jugenderholung 1 240 Maßnahmen mit 71 838 TeilnehmerInnen Außerschulische Jugendbildung 1 219 Maßnahmen mit 48 319 TeilnehmerInnen Internationale Jugendarbeit 253 Maßnahmen mit 7 934 TeilnehmerInnen

Im Jahr 2001 wurden für alle Leistungsbereiche der Jugendhilfe in Brandenburg insgesamt 771 Mio € ausgegeben. (Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik; Bericht v. Nov. 2002) Davon entfielen auf: 23,2% Hilfen zur Erziehung, Eingliederung für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche, Hilfen für Volljährige und Inobhutnahmen

(Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik Land Brandenburg)

6,0% Jugendarbeit 66,7 % Tageseinrichtungen für Kinder

0,7 % Jugendsozialarbeit 0,2 % Mitarbeiterfortbildung 2,6 % sonstige Ausgaben 0,4 % Unterbringung von Eltern mit ihren Kindern

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Eine Besonderheit für in Brandenburg lebende junge Menschen ergibt sich aus der geografischen Nähe dieses Bundeslandes zu Polen: den größten Anteil an geförderten Jugendbegegnungen macht der Jugendaustausch mit den polnischen Nachbarn aus – in 2000 knapp 100 Maßnahmen. Vier Fünftel aller Maßnahmen im internationalen Bereich werden im Übrigen von freien Trägern durchgeführt. Etwa 20 Prozent (nach Angaben in der Shell-Jugendstudie 2 000 allerdings rund 28 Prozent) der 15- bis 21-jährigen BrandenburgerInnen sind Mitglieder in Vereinen – zudem mit deutlich ausgeprägten geschlechtstypischen Differenzen, nur ein Bruchteil – weniger als ein Viertel der Mitglieder bspw. in Sportvereinen – sind Mädchen. Der Organisationsgrad junger Menschen in Brandenburg ist damit insgesamt wesentlich geringer als in den alten Bundesländern, wo er bei über 50 Prozent liegt (vgl. Kinder- u. Jugendbericht ‘98, S. 24). in den Hilfen zur Erziehung

Kinder und Jugendliche sowie ihre Familien bzw. Personensorgeberechtigten finden in Brandenburg inzwischen ein ausgebautes Netz von Beratungseinrichtungen sowie eine breite Palette – wenngleich wiederum regional unterschiedlich ausgeprägt – von familienergänzenden sowie familienersetzenden Hilfs- und Betreuungsangeboten vor, z.B. – 46 Erziehungs- und Familienberatungsstellen, – 5 Kinder- und Jugendnotdienste, ergänzt durch ein landesweit geschaltetes Hilfstelefon bes. für jugendliche Gewalt-Opfer sowie Telefonbereitschaften einzelner örtlicher Jugendämter – rund 5 000 Heimplätze (einschl. Wohngemeinschaften und betreutem Einzelwohnen) – ca. 60 Tagesgruppen (mit rund 500 Plätzen) Immer mehr jungen Menschen werden vorübergehend oder auf Dauer Hilfen zur Erziehung außerhalb des Elternhauses gewährt – ihre Anzahl ist in den letzten 10 Jahren beständig gestiegen: von rund 4 000 in 1990 auf 6 270 in 1999, seither leicht rückläufig – z.Zt. (Stand 31. 12. 2001) 5 578, davon – Erziehung in einer Tagesgruppe 398 Kinder und Jugendliche – Vollzeitpflege in einer anderen Familie 1 778 Kinder und Jugendliche – Heimerziehung (einschl. sonstiger 3 331 Kinder und Jugendliche, betreuter Wohnformen) davon 1 295 in Pflegefamilien – intensive sozialpädagog. Einzelbetreuung 91 Kinder und Jugendliche In weiteren rund 1 300 Fällen (Stand Ende 1998) ist sozialpädagogische Familienhilfe gewährt worden oder sind flexible Einzelhilfen (wie Erziehungsbeistand, Betreuungshelfer, Soziale Gruppenarbeit) zum Tragen gekommen. Über die Anzahl der in diesem Bereich der Jugendhilfe insgesamt Beschäftigten (einschl. Honorarkräften) liegen derzeit keine aktuellen Angaben vor – ausgegangen werden kann von rund 2 500 Personen12, dem komplexen Arbeitsfeld angemessen überwiegend sozialpädagogische Fachkräfte, z.T. mit entsprechenden Zusatzqualifikationen.

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3.8.

Lebensbedingungen und Entwicklungsperspektiven junger Menschen In den letzen Jahren haben sich die Lebenssituationen junger Menschen und ihrer Familien »stark differenziert« – das bedeutet (vgl. Kinder- und Jugendbericht 1998, S. 116): einerseits sind die Anforderungen an Eltern – ihre Leistungs- und Orientierungsfähigkeit, aber auch ihre Erziehungsfähigkeit angesichts einer pluralistischen Gesellschaft mit ihren zahlreichen positiven wie negativen Möglichkeiten – gestiegen. Andererseits ist das Vertrauen in die Zukunft bei vielen, nicht zuletzt bei den jungen Menschen selbst, deutlich gesunken – vor allem wegen zunehmender, teilweise über einen längeren Zeitraum andauernder Arbeitslosigkeit, begleitet von zahlreichen negativen Folgewirkungen wie Überschuldung, Armut, Alkoholismus, zerbrechende Familienstrukturen, Reduzierung der erzieherischen Kompetenz der Familien. Aus den unterschiedlichen Lebensbedingungen und Entwicklungsperspektiven junger Menschen in Brandenburg und den auf sie einwirkenden Sozialisationsfaktoren ergeben sich weitreichende Konsequenzen für ihre psychosozialen Dispositionen und damit auf ihre individuellen wie gesellschaftlichen Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten.

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Einige Schlaglichter: Junge BrandenburgerInnen leben in bzw. mit Widersprüchen.

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sie sind heimatverbunden – und streben dennoch fort: 71 % äußern sich zwar »eher zufrieden« mit dem Leben am Heimatort, zwischen 44 und 59 % wollen dennoch wegziehen, sind – so nennt es das Deutsche Jugendinstitut (DJI) in einer Studie – »migrationswillig« (zit. nach Kinder- u. Jugendbericht 1998 des MBJS, S. 10 + 11), auf Grund der Ausbildungsplatzsituation und der generell geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt.



sie sind in hohem Maße familienorientiert: 92 % beurteilen das Verhältnis zu den eigenen Eltern als gut oder zufriedenstellend – und erleben doch, so wiederum das DJI in seiner Studie, zunehmend »Auflösungsprozesse familialer Beziehungen«: bspw. sind 16 % der Landjugendlichen und 26 % der Stadtjugendlichen »Scheidungskinder«.



sie schätzen das Zusammensein mit Freunden, oder gehören einer »Clique« an: die Peergroup-Bezogenheit ist bei mehr als zwei Dritteln sehr hoch – dennoch, so die DJI-Forscher weiter, fühlen sich nur zwischen 2 und 11 % einer jugendkulturellen Gruppe zugehörig, deren jeweilige gruppentypischen Symbole, Stilmerkmale, Auffassungen und Wertorientierungen sich prägend auf ihren Lebensalltag auswirken

Junge Menschen in Brandenburg sind engagiert und haben dennoch wenig Interesse an Politik



Jugendliche und junge Erwachsene sind »relativ stark engagiert«: Im bürgerschaftlichen Engagement – also in der freiwilligen oder ehrenamtlichen Betätigung vor allem in sozialen Handlungsfeldern – weist die Altersgruppe der unter 20-Jährigen mit Abstand den größten Anteil auf – knapp 40 % sind ehrenamtlich tätig (so eine Studie des Landesamtes für Soziales und Versorgung in Brandenburg vom November 2001)



Vorhandene politische Mitwirkungsmöglichkeiten, z.B. auf kommunaler Ebene, werden von jungen Menschen offenbar »nur sehr eingeschränkt genutzt« (Kinderu. Jugendbericht 1998, S. 26). – Mit einer Kampagne »einmischen – mitmischen; Kinder und Jugendliche bestimmen mit« versucht das MBJS seither gemeinsam mit einer Vielzahl von Kommunen und Verbänden, jungen Menschen Möglichkeiten zu eröffnen, sich stärker an der Gestaltung ihrer Lebenswelten zu beteiligen



Allerdings bekundet nur jede/r Dritte (34,9 %), Interesse an Politik zu haben – dementsprechend haben auch nur 27,6 % an den letzten Wahlen teilgenommen (Shell-Jugendstudie 2000).

Junge BrandenburgerInnen sind auch EuropäerInnen



Das Interesse an den europäischen Nachbarn wächst, gemessen an den seit Jahren ständig steigenden Zahlen von internationalen Jugendbegegnungen – den weitaus größten Anteil daran wiederum haben Begegnungen zwischen jungen BrandenburgerInnen mit ihren polnischen Nachbarn. Ein weiteres Indiz für diese Tendenz: mehr und mehr SchülerInnen hierzulande lernen die polnische Sprache.



Andererseits: Skepsis gegenüber »fremden Einflüssen« ist unter jungen BrandenburgerInnen generell verbreitet. Positive Auswirkungen des europäischen Zusammenschlusses auf ihr persönliches Leben erwarten nur 6,6 % (im übrigen Bundesgebiet ist es fast jede/r Fünfte) – lt. Shell-Studie 2000.

Think positive – think big



Nur knapp 12 % sehen die persönliche Zukunft als eher »düster«, fast viermal so viele junge BrandenburgerInnen sind hingegen zuversichtlich gestimmt (lt. Shell-Jugendstudie 2000) – und rund 70 % geben an, eigene Ziele und Interessen zu verfolgen. Nicht zuletzt die zunehmende Verbreitung neuer Medien und Kommunikationsformen – in Schule oder Beruf, aber auch in der Freizeit bzw. im »Privaten« – und ihre Nutzung durch junge Menschen wirkt dabei unterstützend.

Gewaltbereitschaft unter jungen BrandenburgerInnen ist weiterhin hoch.



Viele, zu viele junge Menschen – knapp 30 Prozent aller Jugendlichen – sind allerdings »völlig oder teilweise bereit, Gewalt zur Interessensdurchsetzung einzusetzen« (Sturzbecher 2002, S. 192).

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Das Ausmaß gewaltakzeptierender Einstellungen hat sich seit Jahren kaum geändert, ist zwar bei Mädchen/jungen Frauen deutlich geringer ausgeprägt als bei Jungen/ jungen Männern, aber jede/r zweite stimmt Aussagen ganz oder teilweise zu wie »Mit Gewalt schaffen Jugendliche klare Verhältnisse« oder »Der Stärkere soll sich durchsetzen« (vgl. Sturzbecher 1997, S. 176).



Die Bereitschaft, Gewalt anzuwenden, korrespondiert mit ideologischen Grundorientierungen wie Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, politischem Extremismus (30 % der in Bezug auf politische Gegner »hochgradig Gewaltbereiten« versteht sich als »rechts«, 3 % als »links«) – aber auch mit Gewalterfahrungen, dem alltäglich erlebten »Gewaltklima« in verschiedenen Lebenskontexten wie Familie, Schule, Freizeit: jeder fünfte junge Mensch ist nahezu täglich mit Gewaltaktionen konfrontiert (Sturzbecher a.a.O., S.188ff.).

Junge Menschen leben – auch – in Brandenburg in einer »Risikogesellschaft« (Ulrich Beck)

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13



Kindheit und vor allen Dingen Jugend findet immer weniger in nicht-pädagogisch institutionalisierten Bereichen wie Familie, Schule, Jugendhilfe statt, sondern mehr und mehr »im Sozialisationsmodus von Medien, Markt, Mode, Werbung und peer groups« (Griese 1999, S.36).



Auf dieses eher postmoderne Modell von Kindheit und Jugend als Selbstsozialisation, als selbstorganisierte Entwicklung und Erfahrung, als individuelle Leistung und Lebensentwurf sind junge Menschen unzureichend bis gar nicht vorbereitet und reagieren entsprechend. Die tradierten Sozialisationsinstanzen wie Familie, Schule und nicht zuletzt die Jugendhilfe sind daher gefordert, auch ihrerseits für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (neue) Wege zu weisen.

Anmerkungen Zahlenangaben im Text – z.T. gerundet – sind, sofern nicht durch Quellenangaben direkt belegt, Veröffentlichungen des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik entnommen, insbes. dem Statistischen Jahrbuch, sowie der Ministerien für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen (MASGF) bzw. Bildung, Jugend und Sport (MBJS) des Landes Brandenburg, Statistiken des Landesarbeitsamtes BerlinBrandenburg und des Landesjugendamtes. Zahlen widerspiegeln i.d.R. Momentaufnahmen der sozialen Wirklichkeit: ein großer Teil der hier verwendeten Angaben ist auch zu finden in den »Brandenburger Sozialindikatoren 2000«, hrsg. vom MASGF, Sept. 2000. Dieser Indikatorensatz wird regelmäßig aktualisiert – Informationen dazu auch im internet unter: http://www.brandenburg.de/land/masgf.

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vgl. dazu u.a. den Elften Kinder- u. Jugendbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren Frauen und Jugend, Februar 2002, bes. S. 122 ff. aus der Antwort von Jugendminister Steffen Reiche Anfang Dez. 2001 auf eine parlam. Anfrage vgl. »Behindertenquote« 1997 lt. MASGF: Brandenburger Sozialindikatoren 2000, S. 94 s.a. Reimund Krämer: Aktiv in Europa. Die ostdeutschen Länder in der pEuropäischen Union – eine vorläufige Bilanz, Potsdam 2002 nach Angaben des MBJS existierten im Schuljahr 2001/2002 bereits 116 brandenburgisch-polnische Schulpartnerschaften, über 1200 brandenburgische SchülerInnen lernten Polnisch hrsg. v. MASGF 1999, S. 62 Berechnungen des Landesgesundheitsamtes v. April 2002 belegen, dass es im Jahr 2000 bereits knapp 32000 Sozialhilfeempfänger im Alter von 0 bis 25 Jahren gab vgl. dazu die Broschüre »Jugendkriminalität – Probleme, Fakten, Hinweise« (Hg. Aktion Kinder- und Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Brandenburg e.V. u.a.), 3. erg. u. aktual. Aufl. Oranienburg u.a. 2000, bes. S. 19 f. vgl. u.a. ProMix-Datenbank 3.0 (2002) »Brandenburg« der Stiftung Demokratische Jugend, Berlin vgl. aktualisiert im Internet http://www.kinderpolitik.de/landkarte/content/index.html für das Jahr 2000 weist das Statist. Jb. 2002 knapp 2000 in der Jugendarbeit tätige Personen aus im Vergleich dazu auch die Analyse der Kinder- und Jugendhilfestatistik an der Universität Dortmund in ihrer 2002 für das LJA Brandenburg durchgeführten Studie »Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung... in Brandenburg«, S.32–34 vgl. auch den Begriff von der »40 zu 60- Gesellschaft« in: Horst W. Opaschowski (2002) »Wir werden es erleben. Zehn Zukunftstrends... «, S. 59 ff.

Weitere verwendete Literatur: div. Studien von Dietmar Sturzbecher u.a. - Jugend in Brandenburg '93 (1993) - Jugend und Gewalt in Ostdeutschland(1997) - Jugend in Ostdeutschland: Lebenssituation und Delinquenz (2001) - Jugendtrends in Ostdeutschland: Bildung, Freizeit, Politik, Risiken. Längsschnittanalysen zur Lebenssituation und Delinquenz 1999 – 2001 (2002) Deutsche Shell (Hg.) 13. + 14. Jugendstudie (2000 bzw.2002) Hartmut M. Griese (1999) »Chancen und Risiken in Kindheit und Jugend« in: Wolfgang Gernert (Hg.) Agenda 21 für die Jugend - Bestandsaufnahme, Handlungsfelder, Perspektiven, S. 26-40 Dietrich Kirchhöfer (2002) »Kinder in Ostdeutschland«, in: Deutsches Kinderhilfswerk e. V. (Hg.), Kinderreport Deutschland – Daten, Fakten, Handlungsfelder, Perspektiven, S. 26 – 40

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4 ZUR JUGENDARBEIT – ALLGEMEIN

Das SGB VIII, § 11 formuliert einen eindeutigen Auftrag: »Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen.« Hierbei handelt es sich nicht um eine freiwillige Aufgabe, sondern um eine Pflicht, der vor Ort, bedarfsgerecht und an den Interessen junger Menschen anknüpfend sowie von dieser Zielgruppe mitbestimmt und mit gestaltet, nachzukommen ist. Das SGB VIII zählt folgende Schwerpunkte zur Jugendarbeit:

– – – – – –

Außerschulische Jugendbildung mit allgemeiner, politischer, sozialer, gesundheitlicher, kultureller, naturkundlicher und technischer Bildung; Jugendarbeit in Sport, Spiel und Geselligkeit; arbeitswelt-, schul- und familienbezogene Jugendarbeit; Internationale Jugendarbeit; Kinder- und Jugenderholung; Jugendberatung.

Hinzu kommt die nach § 12 SGB VIII ebenso pflichtige Förderung der JugendverbändeGruppen und ihrer Zusammenschlüsse (»Ringe«), die im übrigen das Aufgabenspektrum des § 11 gleichermaßen abdecken. Ziel einer präventiven Jugendarbeit sollte immer sein und bleiben, die Lebenskompetenz junger Menschen zu stärken, ihnen Mut zum

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Leben machen. Deshalb soll Jugendarbeit Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten bieten, Toleranz, Solidarität, Dialog-, Kompromiss- aber auch Konfliktfähigkeit einzuüben und zu praktizieren und dabei die «unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen berücksichtigen« (KJHG, § 9 Abs. 3). Jugendarbeit ist demzufolge eine »Regelleistung«, die sich nicht auf Problemgruppen beschränkt, sondern allen Jugendlichen offen steht. Hierbei kommt es insbesondere darauf an, Kindern und Jugendlichen

– – –

Hilfen zur Lebensgestaltung und Hilfen zur Orientierung in Problemlagen zu geben, die Vielfalt verschiedener Leitbilder, Richtungen, Haltungen und Werte aufzuzeigen und dafür Orientierungen aufzuzeigen, zur Selbstbestimmung, Selbstorganisation und gesellschaftlichen Mitverantwortung anzuregen und zu befähigen und gemeinsame Wege für das Entdecken von Sinn und Inhalt des Lebens zu erschließen.

Jugendarbeit muss bereits im Vorfeld von gesellschaftlichen Problemlagen präventiv wirken und nicht vor die Herausforderung gestellt werden, die Folgen zu beseitigen. Dieser Anspruch wird jedoch häufig durch mangelnde finanzielle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen eingeengt. Angebote der Jugendarbeit zeichnen sich durch Vielfalt der Träger und Angebotsformen aus und sind stark ausdifferenziert. Die Träger der Jugendhilfe unterscheiden sich nach konfessionellen, gesellschaftlichen, politischen, humanitären Leitbildern und Wertorientierungen. Die Jugendarbeit ist deshalb auf ein hohes Maß an Kooperation angewiesen. Insofern ist die Zusammenarbeit mit anderen freien Trägern, öffentlichen Gruppen und Bürgern im Gemeinwesen ein wesentlicher Bestandteil. Auch wenn die Darlegung von Interessenlagen gegenüber politisch Verantwortlichen und Parteien u.a. auch durch die Verwaltungsstrukturen und den fehlenden direkten Zugang sich häufig als schwierig erweist, muss der Kontakt im Sinne der Schaffung einer Lobby für die Belange von Kindern und Jugendlichen immer wieder gesucht werden. Unterstützend wirkt dabei eine möglichst enge Verzahnung von Jugendarbeit und Jugendhilfeplanung. Entsprechend § 79 SGB VIII haben die öffentlichen Träger der Jugendhilfe die Gesamtverantwortung für die Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII einschließlich der Planungsverantwortung. Sie haben dabei einen angemessenen Anteil der für die Jugendhilfe bereitgestellten Mittel für die Jugendarbeit zu verwenden (§ 79 Abs. 2, SGB VIII). Diese Aufgaben sind keine freiwilligen Leistungen, sondern unbedingte Pflichtaufgaben des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe. Insbesondere § 85 SGB VIII in Verbindung mit § 11 SGB VIII beschreibt die Aufgaben der Jugendarbeit als kommunale Pflichtaufgabe. Diese Beschreibung kann jedoch nicht dahingehend interpretiert werden, dass Angebote im Bereich der Jugendarbeit in erster Linie von den öffentlichen Trägern oder den Gemeinden ohne Jugendamt wahrgenommen werden müssen. Der Jugendhilfe liegt die Vorgabe zu Grunde (§ 4 Abs. 2 SGB VIII), dass Angebote der Jugendhilfe vorrangig von freien Trägern organisiert und durchgeführt werden und folgt damit dem Grundsatz der Subsidiarität. Eine kontinuierliche Förderung der freien Träger bildet dafür eine wichtige Basis. Öffentliche Träger haben die freien Träger zu fördern und zu beraten und sollen sich bei Bedarf an Veranstaltungen freier Träger beteiligen.

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5 AUF DEN BLICKWINKEL KOMMT ES AN

Anders als in anderen Feldern der Jugendhilfe sind die Facetten der Jugendarbeit schwer fassbar. Auf den Blickwinkel kommt es an, aus dem Jugendarbeit betrachtet wird. Unabhängig vom gewählten Blickwinkel wird es Nahtstellen, Schnittstellen oder Unschärfen zwischen den Handlungsfeldern der Jugendarbeit geben. Bei der Orientierung an den Trägern der Jugendarbeit, also an den öffentlichen oder freien Trägern mit ihren Verbänden, Vereinen oder Initiativen, sowie Instituten oder z.B. Bildungsstätten treten Missverständnisse auf, sofern nicht auch die Ebenen von Bund, Land, Kreis oder Kommune Berücksichtigung finden. Ein für alle Seiten befriedigendes Raster der Jugendarbeit lässt sich nur schwer entwickeln und wird als starr und unhandlich zu verwerfen sein. Die Orientierung auf Zielgruppen, z.B. Mädchen und Jungen, ausländische Jugendliche und Migranten, gewaltbereite Jugendliche, homo- und bisexuelle junge Menschen, Drogenkonsumenten, behinderte junge Menschen, straffällige Jugendliche oder aidsinfizierte junge Menschen trägt dem Ansatz und dem Verständnis von umfassender Jugendarbeit nicht ausreichend Rechnung.

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Die regionale Orientierung auf ländliche, kleinstädtische und städtische Regionen beeinträchtigt ebenfalls die Gesamtschau auf die vielfältigen und differenzierten Angebote der Jugendarbeit. Die Diskussion um professionellen und ehrenamtlichen Einsatz von Fachkräften könnte sich als Zerreißprobe zwischen den Akteuren in der Jugendarbeit entpuppen. Jugendarbeit lebt – im Gegensatz zu den übrigen Bereichen der Jugendhilfe – sowohl von ehrenamtlichem als auch von professionellem Engagement. Und auch die Produktorientierung im Hinblick auf die offene Jugendarbeit und die verbands- oder gruppeninterne Jugendarbeit erfasst nicht das weite Spektrum der in der Praxis anzutreffenden Jugendarbeit. Als reizvoll dürfte es sich erweisen, Jugendarbeit im Zusammenwirken mit diversen Kooperationspartnern im Gemeinwesen zu definieren. Das sind z.B. Eltern, Schule, Kindertagesstätten und Horte, Polizei, Wirtschaft und Unternehmen oder kommerzielle Anbieter. Diese Beispiele zeigen, dass die Praxis der Jugendarbeit sehr viele Gesichter oder Farben hat und eine Vielzahl von Varianten und Gestaltungsformen kennt und sich deshalb – anders als Schule – einer allgemein verbindlichen Beschreibung weitgehend entzieht. Der Grund für diese Vielfalt ist vielleicht darin zu sehen, dass die Praxis der Jugendarbeit sich nicht als Produkt einer leitenden Theorie entwickelte, sondern historisch additiv zu Stande gekommen ist. Was immer sich als notwendig für die Unterstützung und Förderung der Jugend erwies, bzw. zumindest dafür gehalten wurde und sich nicht im Schulwesen verankern ließ, wurde in die Programme der Jugendarbeit aufgenommen und den bisherigen Aufgaben hinzugefügt. Erst in den siebziger Jahren begannen Erziehungs- und Sozialwissenschaften sich des Feldes der Jugendarbeit systematisch anzunehmen. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, quasi beispielhaft einige ausgewählte Bereiche der Jugendarbeit darzustellen, ohne diese gegeneinander abzugrenzen oder zu werten.

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6 AUSGEWÄHLTE HANDLUNGSFELDER DER JUGENDARBEIT

6.1.

Zur Jugendkulturarbeit Dem Angebot eines schnellen Konsums durch junge Menschen wird hier eine Orientierung im Sinne von phantasievollem Unterwegs-Sein entgegengesetzt. Auf den Verbrauch unendlich reproduzierbarer Massengüter wird verzichtet, der Prozess der Selbstgestaltung von einmaligen, personenbezogenen Gegenständen steht im Mittelpunkt. Vom Entwurf über die Produktion bis hin zum künstlerischen Ergebnis ist die Individualität des jungen Menschen gefragt. Kinder bedürfen einer Schulung des Sehens, der Entfaltung von Gestaltungsfähigkeiten, einer Orientierung an inhaltlichen Werten und Entwicklung von ästhetischen Maßstäben. Dem Missverhältnis zwischen Bilderkonsum und Eigenaktivität kann entgegen gewirkt werden. Das kritische Einlassen auf moderne Prozesse – das Durchschauen von Techniken, das Kennenlernen und Abarbeiten am Material sowie das bewusste Einsetzen oder Ablehnen von Methoden – sollte die bloße Verweigerung ablösen. Handlungsfähigkeit und Konstruktivität sind nicht nur Möglichkeiten, sich den Verführungen der Erlebnisgesellschaft zu entziehen sondern sind auch Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie.

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Kinder- und Jugendkulturarbeit als kulturelle Bildungsarbeit

– – – – – – –

findet im Querschnitt des Jugendhilfe-, Kultur-, Bildungs- und Erziehungsbereichs statt bezieht sich auf eine außerschulische kulturelle Praxis, die mehr meint als kulturelle Geselligkeit und Unterhaltung (und dennoch Spaß macht) ist abzugrenzen von rein sozialpädagogischen Zugängen und greift auf einen weiten Kultur- und Bildungsbegriff zurück schließt Formen der kulturellen/künstlerischen Betätigung wie auch Formen der Rezeption ein setzt auf freiwilligen Zugang, selbstbestimmtes Lernen und die Vielfalt von Lern- und Arbeitsformen läßt sich als eine Arbeitsform definieren, in der Alltags- und Lebenserfahrungen von Kindern und Jugendlichen der Ästhetik und der Kunst begegnen bezieht veränderte Bedingungen der Kindheit und Jugend und daraus entstehende Aufgaben in ihre Konzeption ein.

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Die Sicht der Praxis:

Jugendkulturarbeit ist ohne kompetente, motivierte und kreative Fachkräfte nicht möglich. Auf dem 2. Arbeitsmarkt sind diese nicht zu finden. Nachdem die Anschubförderung durch das Land Brandenburg zur Förderung der Jugendkulturarbeit beendet wurde, konnte die Kommunale Selbstverwaltung diese Lücke nicht schließen. Zur Planungssicherheit in Form mittelfristiger Leistungsverträge muss Jugendkulturförderung Pflichtaufgabe werden. Es setzen sich in der Jugend Wertvorstellungen durch, welche auf extreme Art polarisieren. Jugendkulturarbeit muss sich deshalb offen und integrativ gestalten. Die Ausweitung des 610-Stellen-Programms ist anzustreben.

6 6.2.

Zur internationalen/interkulturellen Jugendarbeit Internationale und interkulturelle Jugendarbeit soll junge Menschen befähigen, andere Kulturen und Gesellschaftsordnungen sowie internationale Zusammenhänge kennen zu lernen und sich mit ihnen auseinander zu setzen. Sie soll ihnen darüber hinaus bewusst machen, dass sie für die Sicherung und demokratische Ausgestaltung des Friedens, der Freiheit und der sozialen Gerechtigkeit in der Welt mitverantwortlich sind. Internationale und interkulturelle Jugendarbeit ist ein probates Mittel Fremde und Fremdes zu erleben und daraus Vertraute und Vertrautes werden zu lassen. Was internationale Jugendarbeit leisten kann, kann nirgends sonst vermittelt werden. Internationale Jugendbegegnungen sind Projekte gegen Vorurteile, Fremdenfeindlichkeit, Ängste und für mehr Weltoffenheit auf beiden Seiten. Sie erweitern den Horizont und helfen, eigene Lebensumstände zu relativieren. Sie berühren Denken und Gefühle. Junge Menschen kommunizieren mit anderen Jugendlichen, sind kreativ, werden bestätigt und erfahren neue Dimensionen. Internationale Jugendarbeit beeinflusst im multiplikatorischen Sinne nicht nur die teilnehmenden Jugendlichen sondern auch deren Familien, Freunde, Mitschüler/innen etc. Gleichaltrige reflektieren die authentischen Berichte ihrer Freunde und Mitschüler/-innen ganz anders als die Aussagen der Eltern, Lehrer/-innen oder Sozialpädagogen. Jugendliche selbst sind die besten Multiplikatoren.

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Diese Erfahrungen basieren in erster Linie auf der Begegnung mit jungen Menschen aus anderen Ländern. Junge Menschen aus Brandenburg und junge Menschen aus anderen Ländern erleben die Zeit, die sie miteinander verbringen, gemeinsam und intensiv. Dies umso intensiver, wenn die Unterbringung in Gastfamilien geschieht. Ferienaufenthalte von deutschen Kindern oder Jugendlichen im Ausland zählen ebenso wenig wie gemeinsame Ferienaufenthalte von deutschen und ausländischen Kindern oder Jugendlichen – wie häufig missverstanden – in die Kategorie der internationalen Begegnung. Programminhalte, die sich überwiegend an den drei »B’s« (»Baden, Basteln, Berlin«) orientieren, bieten keine ausreichende Grundlage, um von der Verwirklichung des Begegnungscharakters innerhalb der internationalen Jugendarbeit zu sprechen. Internationale und interkulturelle Jugendarbeit achtet bei der Ausgestaltung des Programms insbesondere darauf, dass es eine klare Orientierung auf begegnungsfördernde und nicht begegnungshemmende Programminhalte gibt. Dies schließt nicht aus, dass ein internationaler Jugendaustausch auch touristische oder freizeitliche Elemente beinhaltet. Der Grundcharakter jedoch ist durch gemeinsame projektorientierte Arbeit in kleineren binationalen Gruppen geprägt. Junge Menschen kommen sich durch die gemeinsame Arbeit an konkreten Projekten näher und lernen sich unkompliziert, nicht aufgesetzt und – indirekt – gesteuert kennen. Thematisch lassen sich folgende Schwerpunkte ausmachen: die Bereiche der musisch-kulturellen, kreativ-gestalterischen oder sportlichen Jugendarbeit gehören ebenso zum Repertoire wie politische, historische und gesellschaftliche Bildung. Zum internationalen Jugendaustausch hinzuzuzählen sind zudem gemeinsame mehwöchige Workcamps. Durch die gemeinsame Grenze Brandenburgs zu Polen nimmt dieser Austausch eine alles überragende Bedeutung ein. Insbesondere die Regionen im östlichen Teil Brandenburgs haben hieran den weit überwiegenden Anteil. Erfreulicherweise nimmt die Zahl der grenzüberschreitenden Kurzzeitprogramme innerhalb einer Stadt oder einer Region zu. Hier wird Nachbarschaft alltäglich praktiziert und eingeübt. Im Hinblick auf den Beitritt Polens zur Europäischen Union und der damit verbundenen Freizügigkeit u.a. in der Ausbildungs- und Arbeitsplatzwahl wird es zukünftig wesentlich stärker als bisher darauf ankommen, die brandenburgischen Jugendlichen insbesondere im sprachlichen Bereich auf die offene Grenze zum östlichen Nachbarn vorzubereiten. Wenig bis keine Beachtung hat bisher der Erwerb von Schlüsselqualifikationen und sozialen Kompetenzen wie z.B. Kommunikationsfertigkeiten, Verbesserung des eigenen Lernens und Auftretens, interkulturelle Wahrnehmung und globales Bewusstsein, Teamfähigkeit, Umgang mit Problemlösungen, Selbstreflektion etc. in der internationalen Jugendarbeit gespielt. Mit dem Ziel der »Employability« (Arbeitsfähigkeit, Verwendbarkeit) erhalten in Großbritannien Teilnehmer/-innen an internationalen Jugendbegegnungen seit zwei Jahren ein Zertifikat, das ihnen den Erwerb der beschriebenen Kompetenzen bescheinigt. So sollen die Lernerfahrungen beim Jugendaustausch für die spätere Ausbildungs- und Arbeitssuche nutzbar gemacht werden. Der internationale Jugendaustausch bietet den Jugendlichen einen Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt, den sie besser als bisher nutzen sollten.

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Die Sicht der Praxis:

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Auf polnischer Seite nehmen »die Besten« teil, auf deutscher Seite gibt es Probleme, überhaupt genügend Teilnehmer zu finden Bei Deutsch-Israelischen Projekten bereitet die Finanzierung auf israelischer Seite Probleme, da israelische Partner kaum gefördert werden Die Fördermöglichkeiten Deutsch-Tschechischer Maßnahmen haben sich verbessert

Internationale Jugendarbeit





– –

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Empfehlungen:

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braucht kompetente Veranstalter – Träger mit Verantwortung und Konzept, um z.B. die durch internationale Maßnahmen erworbenen Fertigkeiten und Fähigkeiten im Sinne von Schlüsselqualifikationen für eine angestrebte Berufswahl oder -ausübung zu attestieren ist politische Bildungsarbeit. Weltoffenheit und Toleranz muss in der Projektarbeit höchste Priorität haben. Stichworte sind: Menschenrechte, demokratische Kultur, Minderheiten-Mehrheiten-Probleme, Partizipation, Transparenz, (mediale) Kommunikation, Zivilcourage, Solidarität, Umwelt... ist interkulturelle Wertevermittlung. Internationale Jugendbegegnungen helfen Vorurteile und Ängste zu überwinden, sie berühren Denken und Fühlen hat Multiplikatoreneffekte. Sie wirkt nicht nur unter den teilnehmenden Jugendlichen, sondern berührt Familien, Freunde und Mitschüler eher als Aussagen von Eltern, Lehrern und Fachkräften. Das Bild »des Ausländers« wird in Deutschland und das Bild »des Deutschen« wird im Ausland relativiert.

Beteiligung junger Menschen beider Seiten an der Themenauswahl und Einbindung in die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung des Projekts Touristische Unternehmungen sollte nicht mehr als 20% der Maßnahme ausmachen Die Unterbringung in Gastfamilien sollte bevorzugt werden. Die Erstbegegnung sollte in Deutschland stattfinden Das Projekt sollte durch intensive Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten zum Abschluss ein Zertifikat zur Bestätigung von erworbenem Können, Wissen und Verständnis erhalten.

6.3.

Zu multimedialen Ansätzen in der Jugendarbeit Nach einer Phase der Skepsis und der Wahrnehmung als Modeerscheinung hat sich mittlerweile ein allgemeiner Grundkonsens gebildet, dass die sogenannten Neuen Medien und die neuen Kommunikationsmöglichkeiten dauerhaft Einzug in den gesellschaftlichen Alltag gehalten haben, diesen in erheblichem Maße verändern und schon verändert haben. Die Phase der allgemeinen Skepsis ihrerseits wurde abgelöst von einer Euphorie über die vielfältigen Möglichkeiten des Internets. Nunmehr ist auch diese Phase abgeklungen und das Internet und noch in stärkerem Maße der E-Mail-Verkehr ist als alltägliches Arbeitsmittel akzeptiert und wird intensiv genutzt. Die bereits 1996 durch das Landesjugendamt des Landes Brandenburg aufgemachte Forderung danach, dass man sich die neuen Medien für seine eigenen Zwecke nutzbar machen müsse, ist längst Realität geworden. Inzwischen kann in der Jugendarbeit auf vielfältige Erfahrungen zurückgegriffen werden:



in pädagogisch betreuten sogenannten Internettreffs oder Internetcafes haben junge Menschen die Möglichkeit, ihren Bedürfnissen entsprechende Informationen zu sammeln, Mails an Freunde zu verschicken oder in Chats mit Gleichaltrigen bzw. Gleichgesinnten einfach mal »abzuschalten«.



die vielfältigen multimedialen Möglichkeiten haben Einzug in die normale und alltägliche Projektarbeit gehalten. Projektdokumentationen werden mit Hilfe von Digitalkameras und digitaler Bildbearbeitung erstellt, auf CD-ROM gebrannt und so verteilt oder sie werden gleich in Form von kleinen Websites ins Internet gestellt und dort einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.



Anders als viele andere Handlungsfelder und Angebotsformen in der Jugendarbeit besitzt der Bereich der multimedialen Arbeitsformen in der Jugendarbeit mehr Schnittstellen zu diesen. Dann etwa wenn es z.B. um die Bereiche der außerschulischen Jugendbildung, der Freizeitarbeit, der offenen Jugendarbeit, des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes oder der geschlechterdifferenzierten Jugendarbeit geht. Multimediale Arbeitsformen in der Jugendarbeit stellen mittlerweile ein eigenes Handlungsfeld dar.

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Die Sicht der Praxis:

Gerade in einem ländlich strukturierten Bundesland wie Brandenburg bleibt eine der großen Herausforderungen nach wie vor, die ländlichen Regionen nicht von der technischen Entwicklung abzukoppeln und auf größere Ballungszentren zu konzentrieren. Auch wenn die Ausstattung von Jugendclubs aufgrund einer Ausstattungsinitiative des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport, der Stiftung Demokratische Jugend, der Kinder- und Jugendstiftung und der Landesarbeitsgemeinschaft Multimedia Brandenburg e.V. hier erste Verbesserungen gebracht hat, ist ein erheblicher Bedarf weiterhin festzustellen. Nur wer über die erforderliche Technik verfügt, kann sich mit anderen vernetzen. Nur wer über die technischen Möglichkeiten verfügt, kann für sich die Bildungs- oder Informationsvorzüge nutzen.

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Weitere Herausforderung bleibt nach wie vor die Erhöhung der Medienkompetenz der in der Jugendarbeit tätigen Multiplikatoren. Dies schließt den Umgang mit den neuen Medien ebenso ein wie die Erarbeitung und Entwicklung pädagogisch-didaktischer Modelle dafür bzw. den wachsamen Umgang mit jugendschutzrelevanten Angeboten im Internet. Umfangreiche Fortbildungsangebote, die auch bis in die entlegeneren Regionen des Landes Brandenburg reichen, sind unabdingbare Voraussetzung der Herausbildung von Informationseliten entgegen zu wirken. Ein Zusammenspiel der unterschiedlichsten Fortbildungsträger (Jugendbildungsstätten, Sozialpädagogisches Fortbildungswerk, Medienpädagogisches Zentrum, Fachhochschulen, Universitäten, andere Fortbildungsträger) bündelt an dieser Stelle Kräfte und wirkt ressourcenorientiert. Auch in diesem Bereich ist durch das Wirken der Landesarbeitsgemeinschaft Multimedia Brandenburg e.V. ein wesentlicher Grundstein gelegt. In der Vergangenheit hat die männliche Dominanz in der Arbeit mit Computern ganz allgemein bereits dazu geführt, dass der weibliche Anteil dabei vergleichsweise geringer war. Durch vielfältige Angebotsformen (Computerkurse für Frauen u.ä.) wurde versucht, diesem Missverhältnis zu begegnen. Eine Angleichung hat sicherlich stattgefunden, auch wenn die männliche Dominanz hierbei nicht vollständig egalisiert werden konnte. Nunmehr ist die Entwicklung bereits einen Schritt weiter, und es geht nicht mehr nur um die Arbeit mit dem Computer generell. Inwieweit hierbei geschlechtsspezifische Ansätze als ein Handlungsfeld von Jugendarbeit heute noch auf das Interesse und die Bedürfnisse junger Menschen treffen, ist an anderer Stelle zu diskutieren. Eine der großen Herausforderungen im Land Brandenburg besteht weiterhin darin, das »Netz« zu dem zu machen, was es im eigentlichen Sinne auch tatsächlich ist: Eine Vernetzung von Informationen, Angeboten, Trägern etc. Das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport hat in diesem Sinne den weiteren Ausbau des Jugendservers Brandenburg unter www.jugendinfo.com finanziell gefördert. Mit einer breit angelegten Ausstattung der Stadt- und Kreisjugendringe des Landes Brandenburg verfolgt das Landesjugendamt die Zielstellung, dass diese Informationen und Angebote aus ihrer jeweiligen Region auf der gemeinsamen Plattform »Jugendserver Brandenburg« zur Verfügung stehen.

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6.4.

Zur außerschulischen Bildungsarbeit Außerschulische Jugendbildung soll junge Menschen zur Auseinandersetzung mit und der Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen befähigen – mit dem Ziel, einen eigenen politischen Standort zu finden. Demokratie lebt von der Aktivität ihrer Bürgerinnen und Bürger. Es reicht für eine lebendige Demokratie nicht aus, dass die Rechte der Bürgerinnen und Bürger in der Verfassung zu verankern sind; das in der Gesellschaft erreichte Maß an Freiheit, Menschenwürde, gesellschaftlicher Partizipation und sozialer Gerechtigkeit muss durch Aktivität und Engagement ständig gesichert und weiterentwickelt werden. Die methodischen und inhaltlichen Ansätze der außerschulischen Jugendarbeit knüpfen auch an die gewachsene Emanzipation von Kindern und Jugendlichen in gesellschaftlichen Kontexten an. In der Familie, in Schule und Beruf ist die »Demokratisierung« von Kindheit und Jugendalter in gleichem Maße auch in der Jugendarbeit nachzuvollziehen, wie sie durch gewünschte gesellschaftliche Entwicklungen in den letzten 50 Jahren zu konstatieren sind. Konkret: Außerschulische Jugendbildung

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umfasst die Bereiche allgemeine, politische, soziale, gesundheitliche, kulturelle, naturkundliche und technische Bildung § 11 Abs. 3 SGB VIII orientiert sich an den Interessen junger Menschen sowie an deren gesellschaftsrelevanten und -kritischen Fragestellungen gibt Hilfestellungen und Orientierungspunkte zur Entwicklung persönlicher Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen und Verhaltensweisen vermittelt zukunftsfähige Schlüsselqualifikationen, Kompetenzen und Inhalte und fordert zur Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Werten und Normen heraus regt zur Beschäftigung mit unterschiedlichen Lebenszielen und Lebensentwürfen und Lebensformen an beteiligt junge Menschen am Bildungsprozess und fördert Eigeninitiative und Eigenverantwortung reagiert flexibel auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und greift wichtige lokale, nationale und internationale Fragen der Politik und Gesellschaft auf berücksichtigt die Spezifik der Geschlechter sowie gleichgeschlechtlicher Lebensweisen mit unterschiedlichen sozialpädagogischen Konzepten schafft in Abgrenzung und/oder Ergänzung zur Schule die Grundlagen für ein lebenslanges Lernen als eine Voraussetzung für die persönliche Entwicklung und die Gestaltung der Gesellschaft trägt zur Befähigung bei, gesellschaftliche Auseinandersetzungen mit friedlichen Mitteln führen zu können, das Verhältnis des Menschen zur Natur und seine Stellung in der Natur zu erkennen und zu verstehen, Toleranz gegenüber anderen Kulturen, Lebensformen, Weltanschauungen und Glaubensbekenntnissen zu fördern und überkommene Geschlechterrollen in Frage zu stellen und damit die gesellschaftliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern.

Angebote der außerschulischen Jugendbildung sind, auch wenn es sich um selbst organisierte Veranstaltungen handelt, Dienstleistungen, die jedem jungen Menschen unabhängig seiner individuellen und finanziellen Voraussetzungen zu ermöglichen sind. Sie schaffen einerseits Voraussetzungen für Begleitung und Beratung von jungen Menschen; andererseits befähigen sie junge Menschen, ihre Interessen selbst zu vertreten.

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6.5.

Zur geschlechterdifferenzierenden Jugendarbeit Neben den gesetzlichen Bestimmungen, nach denen geschlechtsdifferenzierte Jugendarbeit immer als Querschnittsaufgabe der Jugendhilfe verstanden werden muss, bilden vor allen Dingen gesellschaftliche Rahmenbedingungen sowie die praktische Ausgestaltung der Jugendhilfeangebote den Hintergrund für die notwendige Einrichtung von Mädchen und Jungenarbeit.

6.5.1.

6

36

Zur Mädchenarbeit

»Mit der Entwicklung geschlechterspezifischer Ansätze in der Jugendhilfe, insbesondere für die Mädchenarbeit, wird dem Umstand Rechnung getragen, dass sich die Lebenslagen, sozialen Chancen und die Formen der Lebensbewältigung von Mädchen und Jungen, jungen Frauen und jungen Männern auch heute noch unterscheiden. Aus diesen Unterschieden erwachsen für die Entwicklung der persönlichen Identität und der sozialen Integration von Mädchen und jungen Frauen nach wie vor Benachteiligungen.« 14 Zwar existieren in den Leistungsbereichen der Jugendhilfe zum Teil eine Vielfalt sehr ausdifferenzierter mädchenspezifischer Handlungsansätze. Die Umsetzung davon scheitert jedoch oftmals an strukturellen Rahmenbedingungen (Fachpersonal, Räume, Sachkosten,…) sowie einer vermeintlich geschlechtsneutralen Sicht und nicht zeitgemäßen jungenzentrierten Konzepten. In einer 1999 veröffentlichten Broschüre »Mädchenarbeit im Land Brandenburg« hat das »Brandenburgische Mädchen- und Frauennetzwerk« (jetzt: LAG – Mädchenpolitisches Netzwerk) u.a. sein Verständnis von Mädchenarbeit dargestellt. Darin heißt es: »Die praktische Arbeit setzt bei den Interessen und Stärken der Mädchen an, wertet weibliche Eigenschaften um, misst sie nicht mit männlichen Maßstäben. Die Mädchen werden mit ihren Widersprüchen akzeptiert. Ansätze von Eigenständigkeit, Selbstbehauptung und Gegenwehr werden positiv verstärkt. Den Mädchen werden Bedingungen geboten, in denen sie ihre ureigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten erkennen, sich ausprobieren können, ohne jemandem etwas beweisen zu müssen. Die Mädchen haben Raum, eigene Wünsche und Neigungen zu erkennen, sich selbst anzunehmen, eigene Werte zu formulieren und den Mut zu finden, sich dafür einzusetzen. Sie können Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und entsprechend Selbstbewusstsein entwickeln. Es geht darum, den Mädchen verschiedene Lebensmuster aufzuzeigen, die es ihnen ermöglichen, ihren Weg selber zu suchen und bewusst ihre Entscheidungen zu treffen. Mädchenarbeit kann sowohl in reinen Mädchenprojekten, in koedukativen Freizeiteinrichtungen, in Angeboten ambulanter und stationärer Hilfen zur Erziehung und auch in Schule stattfinden. Abhängig von den einzelnen Bedingungen kann sich Mädchenarbeit einen inhaltlichen Schwerpunkt (Sexualität, Berufsorientierung, Lebensplanung, Gewaltprävention, Integration...) setzen oder themenübergreifend arbeiten.« Angebotsformen sind u.a.: Selbsterfahrungsgruppen, Gesprächsforen, erlebnispädagogische Fahrten, Projekttage in Schulen und Freizeiteinrichtungen, Schnupperkurse im handwerklich- technischem Bereich, PC-Workshops, Freizeitaktivitäten uvm.

»

Die Sicht der Praxis:

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Geschlechtsdifferenzierte Arbeit ist keine Selbstverständlichkeit und löst häufig Erklärungszwänge aus Meistens wird gefragt: Mädchenarbeit, was ist das? Es herrscht große Unkenntnis, nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch bei Trägern, Ämtern und Fachkräften Oft sind die Fachfrauen Einzelkämpferinnen Mädchen stehen nicht immer in der Öffentlichkeit zu der Bindung zu ihrem Mädchenprojekt Mädchenarbeit führt häufig zu einer Ost-West-Debatte zwischen den Fachkräften und Beteiligten Inhalte sind z.B. Kreativangebote, Gespräche zu gemeinsam ausgewählten Themen, Lernen am Computer, Gestaltung von Clubveranstaltungen, Beratung von Mädchen zu bestimmten Fragen...

Alle Aktivitäten in der Projektarbeit sind darauf gerichtet, dass die Mädchen anfangs ihre Situation reflektieren. Das heißt:

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Solidarität und Zuhörbereitschaft aufzubauen Zusammenhänge von subjektivem Erleben und gesellschaftlichen Bedingungen verdeutlichen Problembewusstsein für eigene Belange entwickeln Eigenständigkeit und Durchsetzungsvermögen fördern und ihr Selbstbewusstsein stärken. Sich auf Beziehungsarbeit einzulassen, die von professioneller Nähe wie auch Distanz bestimmt ist.

Grundlagen für die Arbeit in Mädchenprojekten:

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Altersspanne nicht zu groß halten Geduld, Verlässlichkeit und Kontinuität bieten Mädchen dort abholen, wo ihre Interessen sind, nicht mit »emanzipatorisch-feministischen Parolen« überfordern An Erfahrungen anknüpfen und nicht unterfordern Keine Arbeit gegen Jungen Methodenvielfalt nutzen Mädchen in die Öffentlichkeitsarbeit einbeziehen Sich parteilich für Mädchen einsetzen Die Arbeit als einen Interessen- und fachpolitischen Auftrag verstehen

Allgemein:

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Kritisch mit eigener Biografie umgehen Erfahrungen anderer Frauen nutzen Geschlechtshomogene Gruppen entstehen lassen Geschützte Räume als Experimentierfeld anbieten Kolleginnen und Kollegen in Freizeiteinrichtungen sollen sich ihrer Vorbildrolle im Hinblick auf das Geschlechterverhalten bewusst werden Verbündete in benachbarten Einrichtungen und Behörden suchen

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6.5.2.

Zur Jungenarbeit Jungen und Männer sind, folgt man z.B. den Gesundheitsstatistiken, das »schwächere« Geschlecht. Sie sind körperlich und psychisch deutlich anfälliger. Es gibt offensichtlich bedeutsame geschlechtsspezifische Risikofaktoren und Ursachen. Daher kann der männliche Sozialisationshintergrund, wie z.B. das Konzept von Männlichkeit in unserer Gesellschaft, nicht mehr ausgeblendet werden. Mit dem geschlechtsbewussten Blick auf Jungen wird z.B. deutlich, das Jungen zwischen traditionellen männlichen Rollenanforderungen und ihren tatsächlichen Empfindungen und Bedürfnissen hin und her schwanken. Besonders Bedürfnisse nach Nähe und Anerkennung oder auch Gefühle der Ohnmacht, der Angst, der Verunsicherung und der Hilflosigkeit werden von Jungen häufig unterdrückt, abgespalten oder ausschließlich auf strategische Art und Weise zum Ausdruck gebracht. Da viele Jungen in ihrer Sozialisation von Männern allein gelassen werden, dient vor allen die Gleichaltrigengruppe als Übungsfeld für das »richtige« Junge- bzw. Mannsein. Dabei orientieren sich die Jungen an Männlichkeitsbildern, wie sie in unserer Gesellschaft kulturell vorherrschend sind und u.a. durch Medien und Konsumbilder vermittelt werden.

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Mit dem Hintergrundwissen der männlichen Sozialisation und den typischen männlichen Bewältigungsmustern gelingt es typisches Jungenverhalten umzudeuten und die dahinter liegenden Befindlichkeiten und Bedürfnisse wahrzunehmen. Beispielsweise wird »sexistische« Anmache mit diesem Deutungshintergrund zu einem Signal des Jungen, das seine Hilflosigkeit im Kontaktversuch zu Mädchen deutlich macht. Aber auch Antigewaltarbeit, die männliche Sozialisationsmuster, Rollenanforderungen und Verunsicherungen in der Identität außer acht lässt, scheitert oder bleibt wirkungslos. Jungen brauchen Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Entwicklungsaufgaben und aktuellen Lebensproblematiken. Sie benötigen z.B. Freiraum, Modelle, Wissen und Handlungskonzepte zur Bewältigung körperlicher Veränderungen, der Erprobung und Gestaltung von Sexualität und Partnerschaft, der Lösung von Konflikten und der Entwicklung einer eigenen Lebensperspektive. Hierzu benötigen sie insbesondere anwesende männliche Modelle. Von Jungenarbeit zu reden, bedeutet also auch darüber zu reden wie es gelingen kann, mehr Männer in die Erziehungsverantwortung zu nehmen. Mit diesem Hintergrund wird deutlich, dass Jungenarbeit nicht damit geschehen ist, dass man Jungen Räume oder Geräte zur Verfügung stellt. Und Jungen ist auch nicht wirklich geholfen, wenn sie Frauen gegenüber stehen, die ihnen nicht gewachsen sind und sie nur reglementieren wollen oder sie Männern gegenüber stehen, die z.B. selbst in ihrer Männlichkeit verunsichert sind. Jungenarbeit beinhaltet die Kenntnis der männlichen Sozialisation, die Deutungskompetenz von jungentypischen strategischen und ritualisierten Verhaltensmustern und auch die Fähigkeit zur Reflexion der eigenen Geschlechterrolle.

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Die Sicht der Praxis:

Jungenarbeit kann sowohl in reinen Jungenprojekten als auch in koedukativen Freizeiteinrichtungen stattfinden. Zumeist wird ein bestimmter inhaltlicher Schwerpunkt gesetzt wie z.B. Sexualität, Berufsorientierung, Lebensplanung, Gewaltprävention, usw… Angebotsformen sind u.a.: Gruppenarbeit, erlebnispädagogische Fahrten, außerschulische Bildungsmaßnahmen, Projekttage in Schulen und Freizeiteinrichtungen, Kurse, Workshops usw..

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6.6.

Sozialarbeit an Schulen Das Arbeitsfeld Sozialarbeit an Schulen hat sich im Land Brandenburg durch die Unterstützung der Strukturen durch Landesförderungen, durch die Begleitung der inhaltlich-konzeptionellen Arbeitsschwerpunkte und durch die Qualifizierung der in diesem Bereich Beschäftigten zu einem handlungsfeldübergreifenden Angebot der Jugendhilfe am Ort Schule etabliert. Die »Empfehlungen des MBJS (Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg) zur Durchführung des Projektes »Sozialarbeit an Schulen« 1994 und zur »Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung der Sozialarbeit an Schulen in Brandenburg« 1998 bilden die Grundlage für dieses Arbeitsfeld. Nach ihnen werden unter dem Begriff – Sozialarbeit an Schulen – entwicklungsbegleitende Hilfen für alle Kinder und Jugendlichen einer Schule sowie einzelfallbezogene Hilfen für sozial Benachteiligte und für solche in individuellen Konfliktlagen charakterisiert. Konzeptionell verbindet Sozialarbeit an Schulen Ansätze der offenen Jugendarbeit, der aufsuchenden Sozialarbeit, der Hilfen zur Erziehung, der schulbezogenen Jugendsozialarbeit und der Jugendberufshilfe. Die Angebotsstruktur umfasst Beratung, Einzelfallhilfe, soziale Gruppenarbeit, offene Angebote und Freizeitmaßnahmen.

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Lebensweltorientierung und präventive Ausrichtung sowie die Unterstützung der Sozialisation von Jugendlichen sind Anforderungen an die Sozialarbeit an Schulen, die sie durch die Anbindung am Ort Schule, der Lebenswelt von Jugendlichen mit spezifischen Mitteln umzusetzen vermag. Wesentliche Aspekte dabei sind die Nähe zu den Jugendlichen und die Präsenz an deren Lern- und Lebensort, die zur Wirksamkeit der Schulsozialarbeit beitragen und damit alle Kinder und Jugendlichen erreichen kann. Im Hinblick auf die derzeit geführte Bildungsdebatte sollten die Chancen unbedingt ausgebaut werden, die sich aus der Kooperation von Jugendhilfe und Schule ergeben können, zumal festzustellen ist, dass bei der Sozialisation der Kinder und Jugendlichen sowohl entwicklungsbedingt, als auch auf Grund zunehmender Angebote aus dem Umfeld das Elternhaus an Bedeutung abnimmt. Dieser Trend setzt sich fort und die beiden anderen Sozialisationsinstanzen – Schule und Jugendhilfe – müssen diesen Prozess kompensieren. Es wird unerlässlich sein, dass Jugendhilfe und Schule zusammenarbeiten und sich dabei nicht nur aufeinander zubewegen, sondern sich auch verändern. Bei dieser Aufgabe kommt nach Ansicht vieler Praktiker der Schulsozialarbeit eine Brücken- bzw. Scharnierfunktion zwischen beiden Bereichen zu.

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Die Sicht der Praxis:

Vielerorts fordert Schule die Einrichtung und Kontinuität von Sozialarbeit an Schulen. Dies ist nicht immer gleichzusetzen mit der Akzeptanz, die dieses Handlungsfeld mit seinen eigenen Erfahrungen und Kompetenzen erfordert. Sozialarbeit an Schulen richtet sich mit eigenen sozialpädagogischen Angeboten vorrangig an Kinder und Jugendliche. Diese erwarten jedoch keine zusätzlichen Erziehungsangebote in pädagogisierten Räumen. Sozialarbeit an Schulen widmet sich besonders Kindern und Jugendlichen mit sozialen Benachteiligungen und/oder individuellen Beeinträchtigungen. Vor Ort erscheint es SozialarbeiterInnen, vor allem aber Lehrkräften legitim, Beeinträchtigungen vorrangig im schulischen Kontext zu sehen. Durch Sozialarbeit an Schulen erhebt die Jugendhilfe den Anspruch, institutionsübergreifend arbeiten zu wollen. Der Impuls, die Annäherung der Systeme voranzutreiben, geht vorrangig von der Jugendhilfe aus. Sozialarbeit an Schulen gerät als Handlungsfeld der Jugendhilfe zunehmend unter Legitimationsdruck. Dabei läuft sie Gefahr, sich auf die Rolle des Alleininitiators beim Aufwerfen bestimmter Problemlagen (Schulverweigerung, Drogenkonsum und Sucht...) festzulegen und behindert sich somit selber in der Ausübung ihrer Profession. Sozialarbeit an Schulen verändert den Lebensraum Schule. Dabei kann sie dazu beitragen, die Atmosphäre des Schulalltags zu gestalten. Dies erfordert jedoch die kritische Auseinandersetzung mit schulischen Anspruchshaltungen. Die Forderungen der Praxis:



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Eindeutigere Positionierung zur Sozialarbeit an Schulen bis auf die kommunale Ebene (z.B. Gemeindevertretungen und Stadtverordnetenversammlungen) ist dringend erforderlich Damit auch Schaffung effektiver Kooperationsstrukturen in den Gemeindeund Stadtverwaltungen Regelmäßige Fortbildung, Beratung und Supervision sind unerlässlich Erreichen einer gleichberechtigten Partnerschaft zwischen LehrerIn und SozialarbeiterIn

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6.7.

Mobile Jugendarbeit / Streetwork Mobile Jugendarbeit und Streetwork verstehen sich als eigenständige Arbeitsbereiche. Sie wenden sich Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu, für die der öffentliche Raum aus Notwendigkeit oder eigener Entscheidung heraus zentraler Sozialisations-, Aufenthalts- oder Lebensraum ist. Die Spezifik beider Arbeitsbereiche lässt sich aus dem Zusammenhang von Arbeitsinhalten und Arbeitsprinzipien erklären: Arbeitsinhalte: Mobile Jugendarbeit/Streetwork

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Sind Sozialarbeit im öffentlichen Raum, auf der Straße Sind Interessenvertretung der Adressaten Sind zielgruppen-, problemlagen- und arbeitsfeldübergreifend Beinhalten eine Vielfalt von Methoden und Handlungsarten der Sozialarbeit Umfassen klientenbezogene soziale Hilfsangebote und infrastrukturelle Tätigkeiten sowie Querschnittsfunktionen von Sozialarbeit Können im Bereich der Primär-, Sekundär- oder Tertiärprävention wirken.

Arbeitsprinzipien:

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Aufsuchen der Klientel Lebenswelt- und Alltagsorientierung Niedrigschwelligkeit Akzeptierende Haltung Freiwilligkeit Kritische Parteilichkeit Vertraulichkeit Transparenz Authentizität Ganzheitlichkeit

Personelle Bedingungen:

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Schriftlicher Arbeitsauftrag und Arbeitsplatzbeschreibung für langfristige tarifgerechte Arbeitsverträge Teamarbeit (gemischtgeschlechtlich) Fachliche Qualifikation Vertrauensschutz und Wahrnehmung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers

Materielle Bedingungen:

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Kommunikationsmöglichkeiten durch geeignete Anlaufstellen Verfügungsgeld Honorarmittel Fahrtkosten – Mittel für Mobilität Mittel für Aktivitäten und Materialien

Fachliche Begleitung und Reflexion:

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Supervision und Praxisbegleitung Mitarbeitergespräche Interne und externe Fortbildung Einarbeitungszeit für Fachkräfte in neuen Projekten

Strukturelle Rahmenbedingungen:

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Weitestgehende Teamautonomie Vernetzung zwischen den Projekten und Standorten Aufbau und Pflege verbindlicher Zugänge zu Kooperationsund Ansprechpartnern in Behörden.

Die Sicht der Praxis:

Die Rahmenbedingungen für die Umsetzung von Straßensozialarbeit sind in der Praxis unzureichend, vielmehr wird Streetwork oft als Billigvariante der Problembekämpfung und -beseitigung verstanden. Paradoxerweise sind Projekte der Straßensozialarbeit an den Standorten oder in den Regionen, innerhalb derer sie wirken, in der Regel nicht etabliert und als eigenständiges Angebot sozialer Arbeit anerkannt und werden gleichzeitig mit der Lösung komplexer Problemlagen überfordert, deren Relativierung ein eher gesamtgesellschaftliches Vorgehen erfordern würde.

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6.8.

Jugendkoordination im ländlichen Raum (siehe hierzu die Broschüre: Jugendkoordination im ländlichen Raum. Ein Handbuch für die Gemeinden Brandenburgs, aus der Praxis – für die Praxis, Nov. 2000) Angestellt bei Trägern der freien oder öffentlichen Jugendhilfe und tätig für und in Gemeinden oder Ämtern sollen Jugendkoordinatoren im ländlichen Raum für die Bereitstellung bedarfsgerechter Angebote für junge Menschen in nicht selten zehn bis zwanzig Gemeinden sorgen. Sie kämpfen mit nicht klar definierten Handlungsrahmen und unklaren Aufgaben- und Rollenbeschreibungen. Eine klare Formulierung von Arbeitsschwerpunkten ist deshalb vonnöten. Diese wiederum kann und darf nicht in alleiniger Aktivität der Jugendkoordinatoren im ländlichen Raum geschehen. Aus diesem Grund muss es auf eine ausgehandelte Prioritätensetzung ankommen, die gemeinsam von Anstellungsträger, vom Amt, dem örtlichen Jugendamt, dem Jugendkoordinator und den Jugendlichen selbst erarbeitet wird. Im Rahmen dieser Prioritätensetzung ergibt sich eine klarere Rollenerwartung und -beschreibung.

6

Gerade aus der Vielschichtigkeit an Aufgaben und Erwartungen muss es mittels einer abgestimmten Vertragsgestaltung zumindest zwischen dem Jugendkoordinator, dem Jugendamt und dem Anstellungsträger zu einer Rollenklärung und einer Arbeitsgrundlage kommen, die dem Jugendkoordinator eine zielgenaue Orientierung für sein praktisches Tun gibt. Wie die Diskussionen gezeigt haben, stehen die Jugendkoordinatoren im ländlichen Raum sehr häufig im Zentrum eines sie vielfach überfordernden Dreiecks. Sie sind

1. (Angebots-)Koordinator und -vernetzer zwischen den Vereinen, Initiativen, Jugendlichen und Ämtern, 2. Organisator und »Macher« in der Vorbereitung und Durchführung von eigenen Freizeitangeboten bzw. bei der Betreuung der Jugendtreffs und Jugendräume und 3. sie sind die »mobilen Sozialarbeiter« und Ansprechpartner für Jugendliche bei Problemen jeglicher Art. Genau in diesem Dreieck muss die Klärung der Erwartungen und des Rollenverständnisses ansetzen. Jugendkoordinatoren im ländlichen Raum können nicht alles gleichzeitig sein! Sie sind weder Jugendsozialarbeiter noch Jugendclubleiter. Sie sind keine Hausmeister, die sich um die Öffnungszeiten und den Zustand der Jugendräume zu kümmern haben. Ihre Tätigkeit ist eine, die sich pädagogisch legitimiert. Demzufolge gehören rein organisatorische oder verwaltungstechnische Tätigkeiten nicht zu ihrem Aufgabenfeld. Genau an diesem Punkt können die Gemeinden oder das örtliche Jugendamt unterstützend tätig werden. Sie sollten – im Sinne einer Servicestelle – den Jugendkoordinator von verwaltungstechnischen Aufgaben entlasten. Diese Aufgabenverteilung ist zwischen den Beteiligten im Vorfeld zu klären. Der Jugendkoordinator ist nicht für die Gemeinde tätig! Er ist im Auftrag der Gemeindevertretung für die dort lebenden Jugendlichen tätig!

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Jugendkoordinatoren im ländlichen Raum können und sollen den Gemeinden oder Ämtern die Verantwortung für die dort lebenden jungen Menschen nicht abnehmen. Andererseits können sich die Gemeinden ihrer Verantwortung für die Schaffung von Angeboten der Jugendarbeit nicht mit Verweis auf die in ihrem Bereich tätigen Jugendkoordinatoren entledigen. Die Verantwortung der Gemeinden für die Jugendarbeit als ihnen obliegende Pflichtaufgabe bleibt bestehen und erschöpft sich nicht darin, sich anteilig an der Finanzierung der Stelle für den Jugendkoordinator zu beteiligen. In einem Aufsatz zur Jugendarbeit im ländlichen Raum macht Krafeld entsprechend darauf aufmerksam, dass ein »effektives Angebot von Jugendarbeit nicht in einem Personalangebot – vielleicht plus Haus – besteht, sondern in einem entsprechend für das konkrete Arbeitsfeld sachgerechten Verbund von Personalmitteln, Raumangebot, Ausstattung, konsumtiven Mitteln und Fortbildungs- und Beratungsmitteln.« 15

6.9.

Jugendarbeit durch Initiativen Jugendinitiativen werden nur am Rand wahrgenommen. Sie sind jedoch für die Entwicklung und den Erhalt einer demokratischen Gesellschaft, wie auch für die Entwicklung einer selbstverantwortlich handelnden Persönlichkeit von immenser Bedeutung. Sie bieten für Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, Eigeninitiative zu entwickeln, Grenzen und den Umgang mit diesen zu erfahren. Die Teilhabe an Jugendinitiativen ist für Jugendliche oft die erste direkte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Die Erfahrungen, die Jugendliche im Rahmen dieser Prozesse machen, sind ausschlaggebend für die weiter empfundene Verantwortung und Motivation, sich in gesellschaftliche Prozesse einzubringen. Es gibt immer Jugendinitiativen und es gibt sie überall. Sie sind flexibel, spontan und in den verschiedensten Gebieten tätig. Jugendinitiativen sind kurzlebig. Das ist kein Manko. Initiativen setzen Impulse und manifestieren keine Strukturen. Sie haben die Funktion, innerhalb einer Kommune Lebendigkeit zu erhalten und das kommunale Leben mitzugestalten und zu bereichern. Jugendinitiativen brauchen Räume. Es müssen einerseits Räumlichkeiten gegeben werden, gleichzeitig aber auch Inhalte mitbestimmt und gestaltet werden können. Dabei ist die Unterstützung durch Fachkräfte und Ämter unerlässlich.

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Die Sicht der Praxis:

Es liegt in der Verantwortung der Fachkräfte der Jugendhilfe in den Kommunen oder Institutionen, in welchem Maß Jugendinitiativen gefördert werden. Es liegt im Ermessen der Kommunen, Initiativen mehr Möglichkeiten zur Gestaltung zu geben. Dazu müssen Ressourcen auch für Initiativen unkompliziert zugänglich sein, ohne dass Zwang zur Anbindung an eine Institution besteht. Es gibt Erfahrungen, dass Kommunen Initiativen erst dann wahrnehmen, wenn sie als Problem identifiziert sind (durch Lautstärke oder Beschwerden). Es wird immer wieder versäumt, Initiativen, die kein Problem darstellen, als Bereicherung zu sehen und entsprechend zu fördern. Viele Fördermöglichkeiten sind für Initiativen nicht nutzbar, da die Antragsverfahren zu kompliziert, zu langwierig oder nicht an den Bedürfnissen von Initiativen orientiert sind. Eine an den Bedürfnissen von Initiativen ausgerichtete Förderweise wäre wünschenswert.

6

6.10.

Folgerungen Angesichts der vielfältigen Darstellungen einiger ausgewählter Handlungsfelder der Jugendarbeit wird erkennbar, dass das Spannungsfeld zwischen Praxis und Vision immens ist. Aber gerade darin kann die Chance der Entwicklung liegen, das Prozesshafte, wie es verschiedentlich beschrieben ist, birgt die Dynamik, die der Jugendarbeit zu eigen ist. In diesem Spannungsbogen finden sich die Begriffe wieder, die im Umfeld von Jugendarbeit gerne angesiedelt werden, nämlich: Prävention und Selbstzweck, Partizipation und Selbstfindung, Ehrenamtlichkeit und Professionalität.

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Ein Vergleich oder eine Wertung zwischen den verschiedenen Handlungsfeldern ist nicht statthaft und würde die Farben der Vielfalt praktischer Jugendarbeit verblassen lassen. Die verschiedenen Handlungsfelder stehen gleichberechtigt nebeneinander und ergänzen sich. Deshalb muss ein hier oder da anzutreffender Wettbewerb einmünden in kooperierende Bemühungen zwischen Trägern und Projekten in der Jugendarbeit. Einen wesentlichen Beitrag hierzu könnten »Runde Tische« auf der Ebene der Ämter gerade in ländlichen Regionen leisten. Hinsichtlich der dargestellten Personalsituation in der Jugendarbeit muss festgestellt werden, dass die Personalstrukturen in der Jugendarbeit mehr als in anderen Bereichen der Jugendhilfe von ABM- und SAM-Förderungen geprägt sind und schon deshalb Kontinuität nur schwer zu erzielen ist. In der fachlichen Diskussion der Jugendhilfe erhält das Thema Qualität bei den öffentlichen und freien Trägern zunehmende Bedeutung. Das trifft auch auf die Jugendarbeit zu, die sich einem verschärften Legitimationsdruck ausgesetzt sieht. Dies mag unter anderem damit zusammenhängen, dass aufgrund der Heterogenität der Arbeitsfelder noch weitgehend fachlich verbindliche Standards und Qualitätskriterien fehlen. Dies gilt sowohl für die Strukturqualität und Prozessqualität, als auch für die Ergebnisqualität. Es ist verfehlt, wenn sich die politische und gesellschaftliche Bewertung der präventiven Wirkung der Jugendarbeit an kurzfristigen Ergebnissen orientiert. Die Kontrolle des Erfolgs einer präventiven Arbeit erscheint i.d.R. kaum möglich, da methodisch ein »Nicht-Zustand« nicht belegbar ist. Dieser Umstand führt in der politischen und fiskalischen Betrachtung zu der Annahme, Mittel dort am ehesten einsparen zu können, wo Beeinträchtigungen kurzfristig nicht anzunehmen sind, Proteste überhörbar sind und eine Lobby für die Jugendarbeit fehlt. Die im Kinder- und Jugendbericht 1998 des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) dargestellten Standards der Jugendarbeit bedürfen einer kontinuierlichen Weiterentwicklung. Das MBJS schätzt im Kinder- und Jugendbericht aber auch ein, dass die fachliche Entwicklung der Jugendhilfe in Brandenburg insgesamt gefährdet ist. Als generelles Hemmnis zur Entwicklung der Fachlichkeit stellt sich in etlichen Handlungsfeldern der Mangel bzw. die zögerliche Umsetzung bewährter Qualitätsstandards dar. In diesen Kontext gehört auch die Aussage, dass durch unzureichende Finanzausstattung der öffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe oftmals nicht ausreichend Fachpersonal vorhanden ist, auf Fortbildung und Supervision verzichtet wird, kurz, die Struktur, der Rahmen für die Leistungserbringung gegenüber den jungen Menschen hohe Defizite aufweist. Durch solche Mängel wird deutlich, dass die öffentlichen örtlichen Träger der Jugendhilfe nicht hinreichend gerüstet sind, die zunehmend schwierigen Lebenssituationen zu bearbeiten. Die Steigerung von Fachlichkeit kann nur gelingen, wenn finanzielle und kompetente fachliche Ressourcen zur Umsteuerung zur Verfügung stehen und die bestehenden Angebote mit den Methoden des Qualitätsmanagement wirkungsvoller gestaltet werden. Hierbei ist festzustellen, dass die mittel- und langfristig wirksam werdenden präventiven Angebote der so wichtigen Jugendarbeit, bei weitem nicht die Beachtung erfahren, die ihnen gebühren. Jugendarbeit muss auf eine strukturell gesicherte Basis gestellt werden und quantitativ und qualitativ weiterentwickelt werden.

14 15

»Frauen in der Bundesrepublik Deutschland«, herausgegeben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, im März 1998; S.19 Krafeld, Prof. Dr. Franz Josef: Jugendarbeit im ländlichen Raum in: Jugendhilfe 34 (1996), Seite 211

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7 PRINZIPIEN UND ANSÄTZE VON JUGENDARBEIT

Jugendarbeit im Land Brandenburg ist – sozialräumlich orientiert, vielfältig und vernetzt.

In einer kleinräumigen Sozialraumanalyse werden unter Berücksichtigung der Ressourcen der dort lebenden Kinder, Jugendlichen und Familien die Defizite der Region und der Versorgungsstruktur benannt und die Gründe dafür offengelegt. Darüber hinaus findet eine planerische Auseinandersetzung mit den Interessen und Wünschen der Kinder und Jugendlichen statt. Auf der Basis dieser Sozialraumanalyse und der erfolgten Bedarfsplanung sollten dann Angebote entwickelt werden, die sich an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen dieser bestimmten Region orientieren. Aufgabe ist es darüber hinaus, die unterschiedlichen Initiativen, Gruppen und Vereine einer bestimmten Region in Kontakt zu bringen und diese Kontakte zu fördern. Gleiches gilt u.a. auch für Kindertagesstätten, Horte und Schulen. Durch die damit möglich gewordene Vernetzung wird den Kindern und Jugendlichen eine Vielfalt an abgestimmten Aktivitäten angeboten.

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Jugendarbeit im Land Brandenburg hat einen – präventiven Ansatz.

Sie entwickelt soziale Kompetenz und fördert die Hilfe zur Selbsthilfe. Es sind Arbeitsansätze anzustreben, die Jugendliche in ihrer Entwicklung fördern und sie beim Finden, Formulieren und Wahrnehmen eigener Interessen unterstützen. Ihnen sollen Lernfelder zur Verfügung gestellt werden, in denen sie eigene Fähigkeiten entdecken und entwickeln können. Die angemessene Übernahme von Verantwortung für bestimmte Bereiche durch die Jugendlichen selbst wirkt dabei unterstützend. Zur Lösung von Konflikten werden gewaltfreie und selbstbestimmte Formen der Auseinandersetzung praktiziert. Jugendarbeit im Land Brandenburg ist – geschlechtsspezifisch orientiert.

Sie geht von der Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen aus, fördert den Abbau von Benachteiligungen und die Chancengleichheit von Mädchen und jungen Frauen. Bei allen Angeboten werden die unterschiedlichen Lebenslagen von Jungen und Mädchen berücksichtigt, Benachteiligungen abgebaut und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen gefördert. Ziel ist die Chancengleichheit für Mädchen und junge Frauen, die Förderung ihrer Selbstbestimmung, Eigenständigkeit und Unabhängigkeit sowie ihre gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

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Jugendarbeit im Land Brandenburg beteiligt – Kinder und Jugendliche an allen sie betreffenden Angelegenheiten.

Sie fördert ihre Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungs- und Planungsprozessen. Kinder und Jugendliche werden entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen beteiligt. Die Beteiligung an gesellschaftlichen Planungs- und Entscheidungsprozessen wird gefördert und die Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen am Gestaltungsprozess unterstützt. Ziel ist es, die aktive Beteiligung junger Menschen an gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen zu ermöglichen, Barrieren für die Umsetzung von Beteiligung und der Entwicklung von Eigeninitiative abzubauen und zusätzliche Handlungsspielräume aufzuzeigen. Selbstverantwortung, Selbstverwaltung und Eigeninitiative werden unterstützt und differenziert nach den jeweiligen Bedingungen und Möglichkeiten gefördert. Jugendliche werden in alle wesentlichen und sie betreffenden Entscheidungsprozesse einbezogen. Die inhaltliche Arbeit wird mit den Jugendlichen gemeinsam entwickelt. Die Möglichkeit, Jugendlichen Verantwortung zu überlassen, wird genutzt. Jugendliche werden bei der eigenständigen Lösung von Problemen beraten und unterstützt; Strukturen für ihre Selbstorganisation werden geschaffen.

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Jugendarbeit im Land Brandenburg fördert – Toleranz, Solidarität und Integration.

Die Förderung von Toleranz und Solidarität, Internationalität und Begegnung ist ein Schwerpunkt der Jugendarbeit im Land Brandenburg. Jugendarbeit ist integrativ. Sie grenzt einzelne Gruppen (Ausländer, schwierige Kinder und Jugendliche, Behinderte,...) nicht aus, sondern regt die Entwicklung von Konzepten zur Integration dieser Gruppen an. Es wird auf ein gleichberechtigtes Verhältnis zwischen den Geschlechtern, Altersgruppen und sozialen Schichten geachtet. Die Interessen benachteiligter Gruppen werden besonders berücksichtigt und Benachteiligungen entgegengewirkt.

Jugendarbeit in Brandenburg unterstützt und fördert – bürgerschaftliches und ehrenamtliches Engagement.

Ziel der Jugendarbeit ist es auch, eine demokratische und solidarische Gesellschaft mit zu gestalten. Dazu sind angemessene politische, wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen notwendig. Ehrenamtliche Arbeit bedeutet Teilhabe und Mitwirkung, Bürgernähe und Einflussnahme auf die vielfältigen Belange der Gesellschaft.

Jugendarbeit in Brandenburg ist geprägt – durch eine prozesshafte Überprüfung und Weiterentwicklung ihrer Arbeitsansätze.

Eine Evaluation der Arbeit und der in der Region bereitgestellten Angebote entwickelt diese weiter und passt sie im Sinne eines permanenten Prozesses an die sich verändernden Interessen und Lebenslagen der jungen Menschen an.

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8

PROFESSION UND EHRENAMT

8.1

Vorbemerkungen Freiwilliges Engagement ist für unsere Gesellschaft unverzichtbar und ein wesentliches Merkmal von Jugendarbeit. Die verschiedensten Ausprägungen in der Jugendarbeit sind erst durch das freiwillige Engagement von BürgerInnen möglich. In der Repräsentativerhebung des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von 1999 16 wurde festgestellt, dass sich 22 Millionen Menschen freiwillig in den verschiedensten Bereichen unserer Gesellschaft engagieren. Ehrenamt, Freiwilligenarbeit, Selbsthilfe und vielfältige Formen bürgerschaftlichen Engagements sind Facetten, die freiwilliges Engagement insgesamt ausmachen. Wenn hier von freiwilligem Engagement geschrieben wird, sind diese Bereiche mitzudenken. Ebenfalls in der o.g. Studie wurde festgestellt, dass jeder dritte freiwillig Engagierte seine ausgeübte Tätigkeit als »Ehrenamt« (32 %) bezeichnet. Häufiger wird jedoch die Bezeichnung »Freiwilligenarbeit« (48 %) gewählt. Die Begriffe »Initiativenoder Projektarbeit« (7%), »Bürgerengagement« (6%) oder »Selbsthilfe« (2%) wurden seltener genannt. Die Engagementquote in Brandenburg liegt bei 28 % (Bürger ab 14 Jahren). Der Durchschnitt beträgt in den alten Bundesländern 34 %. Dieser prozentuale Unterschied spiegelt sich auch in der Gruppe der 14 bis 24-Jährigen wider. So ist unter den Jugendlichen in den neuen Bundesländern jeder Dritte nicht aktiv, in den alten Bundesländern ist es nur jeder Vierte. Grundsätzlich ist jedoch diese Altersgruppe im Osten wie im Westen die Aktivste beim freiwilligen Engagement.

Engagementquote nach Bundesländern

Baden-Württemberg .......... 40 % Hessen .......... 39 % Bayern .......... 37 % NRW .......... 35 % Rheinland-Pfalz/Saarland .......... 34 % Schleswig Holstein .......... 34 % Niedersachsen/Bremen .......... 31 % Hamburg .......... 31 % Sachsen .......... 30 % Thüringen .......... 29 % Mecklenburg-Vorpommern .......... 28 % Sachsen-Anhalt .......... 28 % Brandenburg ......... 28 % Berlin .......... 24 %

53

Hier noch einige Zahlen aus dem Bereich Jugendarbeit in Brandenburg, die nur einen Ausschnitt darstellen und keinen vollständigen Überblick über die Anzahl der freiwillig Engagierten im Land Brandenburg aufzeigen. Seit 1999 wurden durch das Landesjugendamt 1 205 JugendleiterCards (Juleica) ausgestellt. Die Ausbildung zur JugendleiterIn (Voraussetzung für den Erhalt einer Juleica) ist ein wesentlicher Bestandteil bei der Qualifizierung von freiwillig Engagierten. Der Landesjugendring Brandenburg e.V. hat als Arbeitsgemeinschaft der landesweit tätigen Jugendverbände 31 Mitgliedsverbände mit ca. 300 000 Mitgliedern. Zusätzlich gibt es aber noch andere landesweite und regionale freie Träger, die sich im Arbeitsfeld Jugendarbeit engagieren, jedoch nicht Mitglied im Landesjugendring Brandenburg sind. Für diesen Bereich liegen keine Zahlen vor.

8

54

Die Wahrnehmung, dass das »Freiwillige Engagement« in der Krise ist, wird durch die Bundesuntersuchung nicht bestätigt. Vielmehr muss von einem Wandel beim »Freiwilligen Engagement« gesprochen werden. Die Motivationen, die Bürgerinnen zum ehrenamtlichen Engagement oder Jugendliche zur Eigeninitiative treiben, haben sich wie auch die gesellschaftlichen Bedingungen verändert. So wird man heute solche Motive wie den Wunsch nach Kontakten und Spaß, nach Selbstbestimmung und Anerkennung, nach Selbsterfahrung und selbstbestimmter Hilfeleistung, nach Einflussnahme auf regionale Defizite sowie nach gesellschaftlicher Teilhabe am häufigsten finden. Freiwilliges Engagement wird nicht mehr nur unter dem Aspekt dauerhafter Pflichterfüllung betrachtet. Vielmehr rücken hier der persönliche Bezug zum Thema und die Möglichkeit autonomen Handelns in den Vordergrund. Tendenziell wird kein auf Dauer verpflichtendes Engagement angestrebt, sondern eher ein Engagement auf Zeit, oft spontan auf eine bestimmte Situation bezogen und möglichst mit konkreten Resultaten. Es kann hier die projektbezogene Arbeit (z.B. Organisation eines Rockevents) beobachtet werden wie auch die durch Mitgliedschaft in verschiedenen Vereinen (z.B. Freiwillige Feuerwehr, Evangelische Jugend, Jugendclub e.V.) langjährige Tätigkeit.

8. 2

Welche Unterstützungsmechanismen braucht freiwilliges Engagement unter sich ändernden gesellschaftlichen Bedingungen ? Auf der Grundlage von veränderten Motivationen zum freiwilligen Engagement werden andere Formen zur Unterstützung von Eigeninitiative/Ehrenamt benötigt.

8. 2.1

Gesellschaftliche Anerkennung/Rahmenbedingungen

Gesellschaftliche Anerkennung durch die Kommune, den freien Träger, Hauptamtliche, Mitbürger sollte selbstverständlich sein. Für freiwilliges Engagement sollte eine angemessene staatliche finanzielle Förderung in der Jugendarbeit gewährleistet sein, z.B. auch im Sinne einer Aufwandsentschädigung. Für den Jugendbereich geltende gesetzlichen Grundlagen gemäß SGB VIII, § 73 in Verbindung mit § 11 sind dafür vorhanden. Weiterführende unterstützende Regelungen und Ausführungsbestimmungen sollten für das AGKJHG erarbeitet werden, die u.a. die Besonderheiten eines Flächenlandes wie Brandenburg berücksichtigen. Außerdem sollten vorhandene Rahmenbedingungen für Freiwillige wie z.B. bezahlte Freistellung, Recht auf Inanspruchnahme des Bildungsurlaubs, flexible Aufwandsentschädigungen u.ä. staatlich durchsetzbar gemacht werden. Einige Neuregelungen sind laut Bundesgesetz schon ab 2002 gültig, wie z.B. das Personenbeförderungsgesetz, Künstlersozialversicherung. Informationen dazu erhält man unter www.freiwillig.de. 8. 2.2

Ausbildung und Qualifizierung

Durch Aus-, Fort- und Weiterbildungen werden außer fachspezifischem Wissen auch Schlüsselqualifikationen wie soziale Kompetenz, Selbständigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Leitungskompetenz, Teamgeist, Flexibilität u.a. erworben. Die JugendgruppenleiterInnenausbildung zum Erwerb der Juleica ist ein konkretes Beispiel dafür. Weiterhin gibt es regional sowie auch landesweit organisierte Fortbildungsangebote. Schlüsselqualifikationen, die Jugendliche z.B. bei der Mitarbeit im Jugendverband, beim Betreuen von Jugendgruppen oder beim Aufbau von Jugendräumen erlangen, werden zunehmend auch von LehrmeisterInnen und ArbeitgeberInnen bei Bewerbungen um Ausbildungs- und Arbeitsplätze eingefordert. Eine Dokumentation solcher Schlüsselqualifikationen ist bisher über das Brandenburgische Schulgesetz, § 146 vom 12.04.1996 in Verbindung mit den Verwaltungsvorschriften über schulische Zeugnisse (VV-Zeugnisse-VV Zeu) vom 1.12.1997 bereits möglich: » § 13 Sonstige schulische Zeugnisse und zeugnisähnliche Bescheinigungen (2)… Sie dokumentieren die Teilnahme an Prüfungen oder anderen schulischen Veranstaltungen oder geben zusätzliche Informationen, die getrennt von Zeugnissen vergeben werden können.«17 Um diese gesetzliche Möglichkeit im Sinne von neuen Arbeitsmarktanforderungen zu nutzen, bedarf es sicher noch Kommunikationsprozesse im Schulbereich. Vielleicht wäre hier auch eine Dokumentationsmöglichkeit zu schaffen, die nicht durch die Schule erfolgen sollte. Eine entsprechende landesweite Regelung könnte im AGKJHG festgeschrieben werden.

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8.2.3

Professionelle als Partner für Freiwillige

Hauptamtlich Tätige und die jeweiligen Institutionen müssen sich als Partner für ehrenamtlich engagierte Personen verstehen, die nicht nur die Ziele ihres Trägers im Auge haben, sondern auch die Interessen, Motive und die Optimierung der Arbeitsbedingungen für Ehrenamtliche. Da Brandenburg besonders durch eine ländliche Struktur geprägt ist, nehmen die in fast allen Amtsbereichen tätigen JugendkoordinatorInnen eine Schlüsselposition für freiwillig Engagierte ein. Für dieses Arbeitsfeld sind innovative Unterstützungsmechanismen von großer Bedeutung (siehe Abschnitt »Jugendkoordination«). Eine Schlüsselqualifikation von sozialpädagogischen Fachkräften ist die Befähigung zur Arbeit mit Freiwilligen. Dies sollte bei den Ausbildungsgängen an Fachhochschulen berücksichtigt werden. Welche Möglichkeiten und welche Grenzen hat freiwilliges Engagement ?

Ehrenamtlich/freiwillig Tätige können Probleme ihres Jugendclubs, ihres Vereins u.ä. aus eigenem Erleben am besten darstellen, da sie selbst ganz konkret von einem bestimmten Defizit vor Ort betroffen sind. Daraus lassen sich dann oft von allen akzeptierte Lösungen entwickeln. Freiwilliges Engagement eröffnet die Möglichkeit der Teilhabe, der Mitgestaltung, der Mitwirkung und der Einflussnahme in allen Bereichen der Gesellschaft. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Ehrenamt für finanzpolitische Defizite herhalten darf. Die Gesamtverantwortung für eine ausgewogene Jugendarbeit kann nicht nur von ehrenamtlichem Engagement und jugendlicher Eigeninitiative getragen werden. Hier gilt vielmehr ein Miteinander von »Laien« und »Profis« – so viel Freiwillige wie möglich, aber auch so viel ausgebildete Fachkräfte wie nötig. Freiwillige sollten nicht überfordert werden – portionierte Verantwortung ist hier gefragt.

8 8. 3 8.3.1

Anforderungen an Profis MitarbeiterInnen in der Kinder- und Jugendarbeit sollten in der Regel:



– – – – – – –

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Kenntnisse über die Lebenslagen und -verhältnisse von Kindern und Jugendlichen, über ihre sozialkulturellen Orientierungen und Stilpräferenzen sowie gesellschaftlichen Verortungswünschen haben Kenntnisse über die institutionellen Strukturen des bundesdeutschen Sozial- und Jugendhilfesystems haben über rechtliche Kodifizierungen informiert sein, das Kinder- und Jugendhilfegesetz und entsprechende länderbezogene Ausführungsbestimmungen kennen subjekt-, milieu- und lebenswelt- sowie gesellschaftsbezogene soziologische und psychologische Wissensbestände gelernt haben über das Netzwerk sozialpädagogischer Hilfs- und Beratungsangebote allgemein und ortsbezogen Bescheid wissen Kenntnisse über politisch administrative Strukturen der BRD und über sozialstaatliche Rahmenbedingungen haben Kenntnisse über die Reproduktionsbedingungen gesellschaftlicher Ungleichheit sowie Kenntnisse über den Einsatz von unterschiedlichen Methoden und Evaluationsformen, Organisationskonzepten und Kommunikationsformen haben und

… folgende praktische Fertigkeiten haben:

– – – – – – – –

8.4

kommunikative Fähigkeiten handwerkliche, sportliche und kulturelle Kompetenzen rhetorische Fähigkeiten schriftliche Ausdrucksfähigkeiten situationsangemessene Spontaneität emphatische, biographie- und ethnographieorientierte Wahrnehmungs-, Verstehens- und Beratungskompetenz Organisations-, Planungs-, Verwaltungs- und Kooperations»können« Motivation zu Ehrenamtlichkeit und Eigeninitiative

Perspektiven/Herausforderungen 1. Neubestimmung des Verhältnisses von Ehrenamt und Erwerbstätigkeit, das auf Gleichberechtigung beider Seiten beruht 2. Nebeneinander von »Profis« und »Laien« 3. Werbung für Ehrenamt (z.B. Freiwilligenagentur) – automatischer Nachwuchs ist nicht die Regel 4. unterschiedliche Gratifikationsmöglichkeiten erkennen 5. ideelle Förderung und Pflege des Ehrenamtes 6. Ehrenamt nicht überfordern (kein Schlüsseldienst) 7. Befähigung zur Arbeit mit Ehrenamtlichen – Schlüsselqualifikation von sozialpädagogischen Fachkräften

16

17

Freiwilliges Engagement in Deutschland, Ergebnisse der Repräsentativerhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichen Engagement, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Schriftenreihe Band 194.1 bis 194.3 Verwaltungsvorschriften über schulische Zeugnisse (VV-Zeugnisse-VV Zeu) vom 1.12.1997

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9 HERAUSFORDERUNGEN AN DIE JUGENDARBEIT

9.1.

Jugend und Gewalt Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft in Brandenburg

Amadeu Antonio Kiowa aus Angola wurde in der Nacht vom 24. auf den 25. November 1990 in Eberswalde von jugendlichen Skinheads zu Tode geprügelt – und die ebenfalls tödliche Hetzjagd auf den Algerier Omar Ben Noui im Februar 1999 in Guben markiert keineswegs das Ende einer Spirale rechtsextremistisch und rassistisch motivierter Gewalttaten gegen Personen in Brandenburg. Ein kontinuierlicher Anstieg der gegen Personen gerichteten Delikte auch in den letzten Jahren (laut Generalstaatsanwalt von 1999: 66 und 2000: 78 auf mindestens 86 in 2001) wie der »politisch motivierten Kriminalität« insgesamt ist zu beobachten: in 2001 wurden rund 1 900 Delikte gezählt, die der rechten Szene zuzuordnen sind (von Propagandadelikten wie Hakenkreuzschmierereien bis zur versuchten Tötung) sowie weitere rund 100 Delikte linksextremistisch motivierter TäterInnen. – Nach Angaben des Innenministeriums gab es in Brandenburg im vergangenen Jahr rund 600 gewaltbereite Rechtsextremisten, damit etwa genauso viele wie im Jahr 2000, die zudem in ihrem unmittelbaren Umfeld nicht selten mit Duldung, Nachsicht, mitunter sogar offener Zustimmung rechnen können. Das Gros der gewaltbereiten Rechtsextremisten und mit ihnen Sympathisierender ist zwischen 15 und 20 Jahre alt. So stellt Dietmar Sturzbecher 18 u.a. fest, dass die Gewaltbereitschaft und die ausgeprägte Fremden-

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feindlichkeit unter Brandenburgs Schülern »über ein enges Beziehungsgeflecht miteinander verbunden sind«. Jüngste Studien 19 belegen seither »schwach rückläufige Tendenzen«, was die Verbreitung der Ausländerfeindlichkeit betrifft, sowie generell einen »nachlassenden Rechtsextremismus« unter brandenburgischen Jugendlichen – möglicherweise Ausdruck dessen, dass eingeleitete (Präventions-) Strategien allmählich greifen. Dennoch aber ist es – trotz des Handlungskonzeptes »Tolerantes Brandenburg« und – des landesweiten »Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit« sowie – der Schaffung eines Landespräventionsrates, – trotz zahlreicher Initiativen von Kommunen, Institutionen wie Kirchen und Schulen und dem Engagement einzelner BürgerInnen, von (Jugend-) Verbänden und Initiativen (stellvertretend für viele sei die »Aktion Noteingang« erwähnt, die inzwischen bundesweite Beachtung und Anerkennung gefunden hat), – trotz Unterstützung auch durch die Bundesebene (z.B. durch das Förderprogramm »Xenos«) bisher nicht gelungen, Rechtsextremismus und Rassismus im Land Brandenburg wirksam einzudämmen.

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Entsprechende Konzepte (z.B. »akzeptierende Jugendarbeit«) und Strukturen (z.B. Landesarbeitsgemeinschaft Streetwork/Mobile Jugendarbeit) müssen auch in den Jugendhilfestrukturen noch weiter verankert, erprobt und ausgebaut werden. Angezeigt ist für die Zukunft eher eine verstärkte Vernetzung bereits bestehender Einrichtungen mit dem Ziel der gegenseitigen Qualifizierung sowie die Verstetigung vorhandener Angebote als die Auflegung von neuen Programmen und die Schaffung weiterer Strukturen.

9

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9.2.

Jugend und Bildung Jugendarbeit in Brandenburg unternimmt vielfältige Versuche, die Kooperation mit Schulen zu verstärken. Ziel ist es dabei immer, Jugendlichen eine an ihren Bedürfnissen und Interessenlagen orientierte Freizeitgestaltung zu bieten und schulische Bildungsprozesse zu unterstützen. Die Kooperation beruht dabei sowohl auf der schlichten Raumnutzung von Schulen in der Nachmittagszeit als auch auf der abgestimmten gemeinsamen Gestaltung von außerschulischer Jugendbildung in den verschiedensten Themen- und Wissensbereichen. Die von der Jugendarbeit gewünschte und angebotene Kooperation erfährt jedoch immer wieder Grenzen der Zusammenarbeit. Die Grenzen liegen im rechtlichen und versicherungsrechtlichen Bereich oder in unterschiedlichen inhaltlichen und pädagogischen Zielen. Grenzen der Kooperation sind jedoch leider auch da zu verzeichnen, wo Lehrer oder Schule nicht bereit und motiviert sind, über die Unterrichtszeit und den engen schulischen Rahmen hinaus Verantwortung zu übernehmen. Dennoch oder gerade aus diesem Grunde und vor dem Hintergrund der Ergebnisse von Leistungsvergleichen schulischer Bildungsprozesse sollte die Kooperation von Jugendarbeit und Schulen neu belebt werden. Die Diskussion über Bildung und deren Rahmenbedingungen muss über den schulischen Rahmen hinaus früher und breiter geführt werden. Die Gestaltung und die notwendigen Rahmenbedingungen für gelingende Bildungsprozesse als Teil des Hineinwachsens von Kindern und Jugendlichen in die Gesellschaft darf dabei weder ideologisch noch institutionell begrenzt geführt werden. Kinder und Jugendliche sehen sich schon von einer sehr frühen Phase an mit Ansprüchen und Erwartungen von Eltern, ErzieherInnen, LehrerInnen und AusbilderInnen an ihre Fähigkeiten und Kompetenzen konfrontiert. Für gelingende Bildungsprozesse sind daher folgende Faktoren entscheidend: 1. Kinder und Jugendliche müssen sich selbst in der Lage sehen, diese Erwartungen erfüllen zu können. 2. Die Bildungsziele müssen für Kinder wie für Jugendliche eindeutig formuliert und von allen Verantwortlichen getragen werden. 3. Kinder und Jugendliche sind lernende und lernen wollende Subjekte Bildungsprozesse sind immer eingebettet in Entwicklungsphasen und in den Prozess der Persönlichkeitsentwicklung. Bildungsprozesse und ihre Wirkungen sind mithin ganzheitlich zu denken: Gelingen oder Nichtgelingen von Bildungsprozessen bzw. dem Nichterreichen von Bildungszielen liegt immer ein Faktorenbündel zu Grunde. Wir müssen uns wieder vergegenwärtigen, dass Kinder und Jugendliche lernen wollen. Die Aneignung von Fähigkeiten und Kompetenzen, beginnend mit frühen motorischen und sprachlichen Aneignungen, die Entwicklung von sozialen Kompetenzen über die der Schule zugeordneten Aneignungsprozesse sind letztlich vom Kind gewollte Annäherungen an wahrgenommene Fähigkeiten und Kompetenzen seiner familiären, sozialen und schulischen Umgebung. Kooperation von Schule und Jugendarbeit ist mehr als dies in Vereinbarungen und Absprachen heute realisiert wird. Die besondere Chance und Rolle der Jugendarbeit ist mit ihrem Fokus verbunden, auf Freiwilligkeit der Teilnahme zu setzen und über

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Schulformgrenzen hinweg Angebote zu entwickeln. Kinder und Jugendliche unterschiedlicher sozialer und ethnischer Herkünfte und mit Behinderungen können hier gemeinsam ihren Interessen folgen. Die Entwicklung und die dabei gewachsene jeweilige Rollenzuschreibung der Sozialisationsinstanzen Familie, Jugendhilfe und Schule und der jeweils sehr eigene institutionelle Rahmen lässt Kooperation bislang nur in sehr begrenztem Umfang zu. Im Kern muss es dazu kommen, dass auch Schule sich (wieder) zur Aufgabe der »Erziehung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten« (KJHG § 1) nicht nur bekennt, sondern sich auch fachlich und personell darauf einstellt. Jugendarbeit ist gefordert, für Bildung außerhalb der Schule, aber mit Blick auf gemeinsam mit der Schule entwickelte Lernkonzepte stärker als bisher Verantwortung zu übernehmen, und auch hier muss die Bereitschaft sowie die fachliche und personelle Fähigkeit wachsen. Jugendarbeit und Schule sollten sich vor Ort zusammentun, um »neues Lernen« im Sinne ganzheitlicher Ansätze zu entwickeln.

9

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9.3.

Jugend und Behinderung In der Praxis der Jugendarbeit tauchen junge Menschen mit Behinderungen auch heute noch nur am Rande auf; seelisch und geistig Behinderte noch weniger als Körperbehinderte, die hier im Vordergrund stehen sollen. Unabhängig davon gilt das eine oder andere hier Gesagte auch für diese Formen der Behinderung. Körperbehindert ist, wer infolge einer Schädigung der Stütz- oder Bewegungsorgane in seiner Daseinsgestaltung so stark beeinträchtigt ist, dass er jene Verhaltensweisen, die von Mitgliedern seiner wichtigsten Bezugsgruppen in der Regel erwartet werden, nicht oder nur unter außergewöhnlichen individuellen und sozialen Bedingungen erlernen bzw. zeigen kann und daher zu einer langfristigen schädigungsspezifischen individuellen Interpretation wichtiger sozialer Rollen finden muss.20 Im Wesentlichen geht es hierbei um Kinder und Jugendliche mit Mobilitätsbeeinträchtigungen oder Aktivitätseinschränkungen. Jugendarbeit lässt sich häufig (und fast ausschließlich) gegenüber behinderten jungen Menschen vom Gedanken der Integration leiten und meint damit eher Eingliederung, seltener Vervollständigung oder Vereinigung, also: Prozesse zur Eingliederung in eine soziale Gruppe, in die Gesellschaft und Kultur. Bei sozialer Integration geht es (jedoch) nicht nur um das Integriert-Sein in die sozialen Institutionen wie Kindergarten, Schule, Beruf und Verein, sondern um die sozialisierende, formende Wirkung im alltäglichen Miteinander. Erst durch dieses gemeinsame Leben und Lernen kann eine entstigmatisierende und normalisierende Wirkung erwartet werden.21 Die alltägliche Begegnung zwischen Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen ermöglicht Erfahrungen, von denen beide Gruppierungen profitieren und die zur Überwindung von erlebter Isolation Behinderter verhelfen. Dies geschieht z.B. durch Förderung der Kommunikation und Kontaktbereicherung, durch Abbau von Vorurteilen und durch die Solidarisierung mit behinderten Menschen. Wenn soziale Integration als ein Wechselspiel zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen verstanden wird, dann bedeutet dies für die Praxis







in regionalen Planungsprozessen »behindert« und »nicht behindert« zu denken und zu planen und Integration als ressortübergreifende Querschnittsaufgabe in allen Verwaltungsbereichen zu verstehen. Nur so wird z.B. ein barrierefreier Zugang zu Spiel-, Kultur- und Freizeitangeboten gewährleistet für Träger der Behindertenarbeit einen angemessenen Umgang beim Gebrauch des Begriffs »Integration«. Behindertenarbeit ist zwar unbedingt nötig, jedoch nicht immer und ausschließlich zwingend integrativ. Ebenso sind »Alleinvertretungsansprüche« von Trägern der Behindertenarbeit der Entwicklung von Kooperationsbemühungen abträglich für die Kinder und Jugendarbeit bei allen Freizeitstätten, aber auch Maßnahmen für einen barrierefreien Zugang zu sorgen und Sonderprogramme für behinderte Kinder und Jugendlichen weitgehend zu vermeiden. Dies bedarf sowohl einer langfristigen Planung als auch einer ernsthaften Kooperation und Koordination aller in einer Region tätigen Träger der Jugendarbeit.

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9.4.

Jugend und EU-Osterweiterung Mit dem Beitritt Polens zur EU im Jahr 2004 sind weitreichende Auswirkungen auf Brandenburg zu erwarten. Einerseits rückt Brandenburg seine europapolitische Randlage verlassend ins Zentrum der europäischen Union und ihres wirtschaftlichen Geflechts. Andererseits erwartet die Landesregierung Brandenburg Probleme infolge der Osterweiterung für den Arbeits- und Dienstleistungsmarkt. Eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit in der Grenzregion ist aufgrund der räumlichen Nähe und der zu erwartenden Pendlerströme nicht auszuschließen. Die Vorbereitung der Bevölkerung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die alle Politikbereiche einschließt. Jugendarbeit als ein Teil der Jugendhilfe kann hier einen nicht unwesentlichen aber dennoch nur begrenzten Beitrag leisten. So gilt es, die Kinder und Jugendlichen u.a. auf die Freizügigkeit der Ausbildungsund Arbeitsplatzwahl bzw. auf den EU-Beitritt Polens ganz allgemein »fit zu machen« – und zwar mit den Mitteln und Instrumenten, die der Jugendarbeit zur Verfügung stehen.

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Polen ist als ein allgegenwärtiges und selbstverständliches Thema in der Jugendarbeit zu verankern. Projekte der außerschulischen Jugendbildung und der internationalen Jugendarbeit führen dazu Polen als Land, als Kultur, als Gesellschaft näher und besser kennen zu lernen – und zwar gemeinsam mit polnischen Jugendlichen. Gemeinsame Exkursionen an Orte der westlichen Grenzregion Polens bilden das Bewusstsein für die gemeinsame Grenzlage, für die Selbstverständlichkeit des Grenzüberschreitenden heraus. Das Landesjugendamt ist hier mit der zweisprachigen Veröffentlichung der Broschüre »Jugendbildungsstätten in Brandenburg« einen ersten Schritt gegangen. Als Erfolg hat sich die Ausrichtung der »(Brandenburger) Jugendkulturtage« als binationale Veranstaltung erwiesen. Alle Fachkräfte und Multiplikatoren der Jugendarbeit sind und bleiben aufgerufen, bei der Planung ihrer Veranstaltungen die Möglichkeit der polnischen Beteiligung bzw. sogar der gemeinsamen Ausrichtung von Projekten zu berücksichtigen. Längerfristige Auslandsaufenthalte z.B. im Rahmen des Europäischen Freiwilligenjahres oder eines sonstigen Freiwilligenjahres erweitern nicht nur den Horizont, sondern führen zu einer fundierten sprachlichen Qualifikation und Landeskenntnis, die sich im abzeichnenden europäischen Binnenmarkt mit Polen bei der Ausbildungsoder Arbeitsplatzwahl förderlich auswirken. Insbesondere im Bereich der berufsvorbereitenden Maßnahmen können die Jugendlichen auf den gemeinsamen Arbeitsmarkt schon im Vorfeld seiner Einführung vorbereitet werden. Ein erfreulicher Nebeneffekt bei dieser Form des Austausches ist, dass Jugendliche erreicht werden, die man normalerweise nicht mit dem allgemeinen Jugendaustausch erreicht. Die Publizierung dieser Möglichkeiten und die Verbreitung diesbezüglicher Informationen stellt eine der zukünftigen Hauptaufgaben dar. Alle Bemühungen, Jugendlichen das jeweils andere Land näher zu bringen, sind zum Scheitern verurteilt, solange die Multiplikatoren und Fachkräfte der Jugendarbeit keinen Bezug zu dieser Thematik und über wenig bis keine Kenntnisse über Strukturen oder aktuelle Problemlagen im anderen Land haben. Die bereits bestehende Angebotspalette ist erheblich zu erweitern, um den Erfahrungsaustausch zwischen den Fachkräften zu fördern. Vorstellbar sind berufsbezogene Praktika oder Hospitationen, die neben der Herstellung von Partnerkontakten auch der Wissenserweiterung dienen.

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Ein 1999 vom Landesjugendamt organisierter Fachkräfteaustausch zwischen den brandenburgischen und polnischen Jugendbildungsstätten trug diesem Umstand Rechnung und hat zu vielfältigen Kontakten zwischen den Bildungsstätten (übrigens binational wie national...) geführt. Das durch das Landesjugendamt 1996 ins Leben gerufene Deutsch-Polnische Jugendforum »Von Nachbar zu Nachbar« in Schloss Trebnitz ist über die Jahre zur Tradition geworden und hat einen über die Grenzen (in alle Himmelsrichtungen...) Brandenburgs hinausgehenden Stellenwert bekommen. Das große Interesse an dieser Veranstaltung hat mittlerweile dazu geführt, dass es vergleichbare Jugendforen zum Themenbereich des allgemeinen Jugendaustausches auch in Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern gibt. Seit zwei Jahren widmet sich das Deutsch-Polnische Jugendforum in Schloss Trebnitz dem Themenbereich der berufsorientierten und berufsvorbereitenden Maßnahmen. Im Bereich der Fachkräfteprogramme besteht dennoch erhebliches Potential für noch ausdifferenziertere Veranstaltungsformen.

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9.5.

Jugendliche Aussiedler Während bis zur Mitte der 80er Jahre Aussiedlerfamilien und jugendliche Aussiedler von weiten Teilen der Gesellschaft kaum wahrgenommen wurden, änderte sich dies mit ihrer wachsenden Zahl bis zur Mitte der 90er Jahre 22. Obwohl die Zahl der Aussiedler seit 1996 wieder rückläufig ist, stellen jugendliche Aussiedler eine Herausforderung an die Jugendarbeit dar. Insgesamt liegt die Zahl der Aussiedlungen im Zeitraum von 1950 bis 1999 in der Bundesrepublik bei 1 885 342. Das entspricht ungefähr einem Anteil von 2/3 der Bevölkerung im Land Brandenburg. Etwa 50% der Aussiedler sind jünger als 27 Jahre 23.

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Viele jugendliche Aussiedler verließen gegen ihren Willen ihre Heimat und erlebten biografische Brüche in der Phase der Pubertät, einer Zeit also, die wesentlich zur Orientierung und Selbstfindung dient. Sie erleben Anfeindungen aus der einheimischen Bevölkerung und erkennen, dass sie hier unerwünscht sind. Mangelnde deutsche Sprachkenntnis erschweren die Orientierung im alltäglichen Leben und schulische und berufliche Perspektiven werden verschüttet. Der folgerichtige Rückzug in die eigene Gruppe, die Verständnis und Anerkennung bietet, wird von einheimischen Bürgern in »integrationsunfähig« und als »fehlende Integrationsbereitschaft« missverstanden und uminterpretiert, angesichts einer vermeintlichen »Cliquenbildung mit Alkohol- und Drogenmissbrauch«. Vor dem Hintergrund von Aussiedlerquartieren in Brandenburg stellt hier die Jugendarbeit tatsächlich eine Herausforderung für Kommunen, Jugendverbände, Sportvereine und Initiativen dar. Wenn die Zuwanderung von Aussiedlern politisch gewollt war und ist, muss die Aufgabe darin bestehen, auch mit Mitteln der Jugendarbeit die Integration jugendlicher Auswanderer zu unterstützen. Dabei ist Integration als ein andauernder und wechselseitiger Prozess zu verstehen der die Identitätsfindung, die kulturelle Bindung und die gesellschaftlichen Veränderungen berücksichtigt. Im Sinne eines präventiven Beitrags zur dauerhaften Integration muss Jugendarbeit durch außerschulische Bildung die formelle und die informelle Bildung ergänzen. Voraussetzung für ein Gelingen dieses Ansatzes – so zeigen Beispiele aus Brandenburg – ist eine umfassende Kooperation zwischen den beteiligten Instanzen und Institutionen vor Ort. Diese gewährleistet eine Entwicklung über den sozialpädagogischen Ansatz hinaus, ermöglicht eine begleitende Beratung und wirkt in den sozialen Nahraum junger Aussiedler. Jugendarbeit im Umfeld von Aussiedlerfamilien muss neben allen Integrationsbemühungen grundsätzlich das Gemeinwesen und die Quartiere mit im Auge haben und auf (infra)strukturelle Verbesserungen abzielen, die den jungen Menschen die Erfahrung von Geborgenheit vermittelt und Orientierung anbietet. Letztlich ist die Jugendarbeit mit Aussiedlern immer auch eine politische Arbeit, die über die noch am ehesten anzutreffende Lobbyarbeit hinausgeht, zumal die aufnehmende Gesellschaft an den Barrieren zwischen den beiden Gruppierungen bei mangelnder Aufnahmebereitschaft kräftig mitbaut.

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18 19 20 21 22

23

vgl. Dietmar Sturzbecher (2001) Jugend in Ostdeutschland... , Kap. 4, 5 u. 8, bes. S. 184-185 und Längsschnittanalysen, bes. S. 52 und 55 sowie 209 siehe Lit.-Angaben zu Kap. 3 Schramm, Einführung in die Heilpädagogik, Köln 1996 Hobmair, Hermann, Pädagogik, Köln 1995 Aussiedlerzahlen aus der ehemaligen Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten: 1987 = 14.488, 1989 = 98.134, 1991= 147.320, 1994 = 213.214, 1996 = 172.181, 1999 = 103.599, insgesamt seit 1950 = 1.885.342 (nach http://compuserve.de/PavelGrotkamp/ ) Feststellung zum Beschluss der Delegierten des 40. Bundestages der DJO (Februar 1996)

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LISTE DER BETEILIGTEN

Ständige Mitglieder der Arbeitsgruppe Budach, Dirk Frenz, Doreen Grahl, Ina Hoffmann Matthias Mittelstädt, Gerhard Mones, Bernd Pieper, Detlef Schlencker, Astrid

10

Berlin-Brandenburgische Landjugend e.V. Landesjugendamt Brandenburg Jugendamt Frankfurt /Oder Landesjugendamt Brandenburg Landesjugendamt Brandenburg Landesjugendring Brandenburg e.V. Landesjugendamt Brandenburg Jugendamt Oberhavel

Experten

Begung, Marianne Dedek, Susann Demtschuk, Katrin Gedamke, Regine Gutschmidt, Brigitte Härtel, Monika Hub, Babett Janke, Regine Kaiser, Ulli Krannich, Lutz Lang, Susanne Meisel, Ralph Quäk, Sascha Richter, Michaela Schwering, Pierre Stopa, Jörg Tannert, Antje Thiele, Thomas Walde, Andrew Walde, Christian Wolff, Gabriele

Landesjugendamt Brandenburg Amt Ahrensfelde /Blumberg Integration e.V. Rathenow DRK Kreisverband Gransee e.V. Treff 92, Fürstenberg e.V. Sozialpädagogisches Institut, Brandenburg LAG Mobile Jugendarbeit/Streetwork DRK Fürstenberg Bund der Deutschen Katholischen Jugend Barnimer Alternative e.V. Demokratisches Jugendforum Brandenburg LAG Multimedia Brandenburg e.V.. LAG Mobile Jugendarbeit /Streetwork e.V. DRK Kreisverband Gransee e.V. NANÜ, Wittstock RAA Brandenburg e.V. Niederlassung Strausberg Mädchen Zukunftswerkstatt Teltow Arbeitskreis der Stadt- und Kreisjugendringe KJHG Konkret e.V. Märkischer Kulturbund Strausberg e.V. Märkischer Sozialverein e.V., Oranienburg

In die Erarbeitung der Broschüre wurden außerdem einbezogen

Die für die Jugendförderung zuständigen Fachkräfte der Stadt- und Kreisjugendämter durch die von ihnen übermittelten Erfahrungen und die mit ihnen geführte inhaltliche Diskussion zu den hier dargestellten Arbeitsfeldern der Jugendarbeit.

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Herausgeber: Landesjugendring Brandenburg e.V. Luisenplatz 8 14471 Potsdam Tel. (0331) – 90 97 – 90 Fax (0331) – 90 97 – 918 [email protected] Landesjugendamt des Landes Brandenburg Hans-Wittwer-Straße 6, 16321 Bernau Tel. (03338) – 7 01 – 801 Fax (03338) – 7 01 – 802 [email protected] Redaktion: Gerhard Mittelstädt, Bernd Mones Grafik und Illustration: Martina Kohl, Berlin Tel. (030) – 69 53 26 – 11 Fax (030) – 69 53 26 – 12

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