Jugend im Dritten Reich

Jugend im Dritten Reich Ein Diavortrag von Hans Hain (Jahrgang 27) Vom Nationalsozialismus im Allgemeinen und vom Kriegsgeschehen werde ich Ihnen wen...
Author: Kathrin Maier
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Jugend im Dritten Reich Ein Diavortrag von Hans Hain (Jahrgang 27)

Vom Nationalsozialismus im Allgemeinen und vom Kriegsgeschehen werde ich Ihnen wenig erzählen, ich werde mich in meinem Vortrag auf die Maßnahmen und Ereignisse konzentrieren, welche die Jugend in dieser Zeit direkt betrafen.

Mobilmachung der Jugend für Hitler Die Geschichte der Hitlerjugend beginnt bereits 1922. Denn die Nationalsozialisten wussten genau, wie wichtig es für ihr Vorhaben war, die Jugend auf ihre Seite zu bringen, und investierten folglich frühzeitig in den Aufbau einer Jugendorganisation. Hitler sagte: "Wer die Jugend hat, hat die Zukunft!" Seit 1926 hieß die NS-Jugendorganisation "Hitlerjugend". 1933 wurden alle Jugendorganisationen außer der katholischen Jugend verboten; viele Mitglieder der "Wandervögel", der Pfadfinder und der evangelischen Jugend gingen zur HJ über.

An den rasant steigenden Mitgliederzahlen der HJ lässt sich ablesen, wie energisch unter den Nationalsozialisten "Jugendarbeit" vorangetrieben wurde:

Jahr

Anzahl der Ortsgruppen

1926

80

Ortsgruppen

1929

450

Ortsgruppen

Ende 1933 1936

Anzahl der Mitglieder 700 Mitglieder 13 000

Mitglieder

568 288

Mitglieder | ca. 600 Ts.

5 437 601

Mitglieder | ca. 5,5 Mio.

2 Da die Nationalsozialisten gerade in einer christlichen Erziehung eine enorme Gefahr für die Verbreitung ihres Gedankengutes sahen, wurde 1936 auch die katholische Jugend verboten: Verbot der katholischen Jugendverbände

Aus: J. Neuhäusler, Kreuz und Hakenkreuz, Teil 1

Die Polizeidirektion München teilt mit: Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit erläßt die Polizeidirektion folgende ortspolizeiliche Vorschrift: § 1 Das Tragen von einheitlicher Kleidung, von uniformähnlichen Bekleidungsstücken sowie von Abzeichen, durch welche die Zugehörigkeit zu einer katholischen Jugend- oder Jungmänner-Organisation zum Ausdruck gebracht wird, ist verboten. § 2 Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften werden mit Haft bis zu sechs Wochen oder mit Geldstrafe bis zu 150 Mark bestraft. § 3 Die vorstehenden Vorschriften treten mit der Verkündigung in Kraft…

Einige katholische Jugendgruppen trafen sich allerdings trotz dieses Verbotes weiterhin regelmäßig heimlich in Privatwohnungen. Nach dem Verbot der katholischen Jugend gab es nur noch einen, und zwar pflichtmäßigen Verband junger Deutscher - die Hitlerjugend: Das Gesetz über die Hitlerjugend vom 1.12.1936 Von der Jugend hängt die Zukunft des deutschen Volkes ab. Die gesamte deutsche Jugend muß deshalb auf ihre künftigen Pflichten vorbereitet werden. Die Reichsregierung hat daher das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird: § 1. Die gesamte deutsche Jugend innerhalb des Reichsgebietes ist in der Hitlerjugend zusammengefaßt. § 2. Die gesamte deutsche Jugend ist außer in Elternhaus und Schule in der Hitlerjugend körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen. § 3. Die Aufgabe der Erziehung der gesamten deutschen Jugend in der Hitlerjugend wird dem Reichsjugendführer der NSDAP Übertragen. Er ist damit "Jugendführer des Deutschen Reiches". Er hat die Stellung einer Obersten Reichsbehörde mit dem Sitz in Berlin und ist dem Führer und Reichskanzler unmittelbar unterstellt. § 4. Die zur Durchführung und Ergänzung dieses Gesetzes erforderlichen Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften erläßt der Führer und Reichskanzler ...

Die HJ war kein Verein, bei dem man sich gelegentlich traf. Sie war eine straff geführte, nach der NS-Doktrin ausgerichtete halbmilitärische Organisation, in der jeder ein Rädchen

3 in einem großen Plan – einem aggressiven Plan – war, auch wenn uns das damals kaum bewusst wurde. So wurde ich zum Beispiel in den Jahren 1943 und 1944 ungefragt zu 13 Schulungen und drei militärischen Einsätzen bei der Heimatflak kommandiert. Woher nahm der Staat das absolute Verfügungsrecht über jeden einzelnen?

Dieses Ermächtigungsgesetz und einige weitere ließen Hitler zum allmächtigen Führer werden, der niemandem mehr Rechenschaft schuldig war und der bedingungslosen Gehorsam forderten konnte. Durch dieses Gesetz beherrschte die NS-Partei alle Lebensbereiche wie Wirtschaft, Kultur und Justiz und bestimmte weitgehend auch das Leben der einzelnen, besonders der Jugend. Einige Schlagworte von damals lauteten:

"Du bist nichts, dein Volk ist alles!" "Führer befiehl – wir folgen dir."

Mit Zwang allein kann jedoch keine Jugendorganisation aufgebaut und erhalten werden. Die Jungend wurde deshalb mit raffinierten psychologischen Mitteln eingefangen. Womit kann man Jugend begeistern? Zum Heranwachsen gehört ein langsames Hinauswachsen aus dem Elternhaus. Die HJ förderte diesen Prozess in ihrem Sinn und gab Gelegenheit zu Erfahrungen, die die Jugend ansprechen: 

4  Ideal handeln - sich für eine Idee einsetzen, nationalsozialistischen Vorbildern nachstreben,  Bildung von Gemeinschaften mit Gleichaltrigen mit der Möglichkeit, Leistung zu erbringen, sich zu bewähren, Rang und Namen zu erwerben, befehlen dürfen,

 Abenteuer erleben und bestehen: Motorrad fahren, Segelfliegen, Segeln und – was man sonst nicht darf - mit Waffen umgehen.



5 All das waren Angebote, die der Hitlerjugend offen standen bzw. aufgedrängt wurden. Wie sah nun der Lebenslauf eines jungen Deutschen nach Hitlers Auffassung aus? Hitler und die Jugend Aus: W. Jäger u. a., Es begann am 30. Januar, 1958, Rede Hitlers in Reichenberg / Sudetenland im Dezember 1938 Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln, und wenn diese Knaben mit zehn Jahren in unsere Organisation hineinkommen und dort zum ersten Mal überhaupt eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später zum Jungvolk, in die Hitlerjugend, und dort behalten wir sie wieder vier Jahre. Und dann geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände unserer alten Klassenund Standeserzeuger (Lachen), sondern dann nehmen wir sie sofort in die Partei, in die Arbeitsfront, in die SA, in der SS, in der NSKK und so weiter. Und wenn sie dort zwei Jahre oder anderthalb Jahre sind und noch nicht ganze Nationalsozialisten geworden sein sollten (Lachen), dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs und sieben Monate geschliffen, alles mit einem Symbol, dem deutschen Spaten (Lachen). Und was dann nach sechs oder sieben Monaten noch an Klassenbewußtsein oder Standesdünkel da oder da noch vorhanden sein sollte, das übernimmt dann die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre (Beifall), und wenn sie nach zwei, drei oder vier Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die SA, S5 und so weiter und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben. Und wenn mir einer sagt, ja da werden aber doch immer noch welche überbleiben: Der Nationalsozialismus steht nicht am Ende seiner Tage, sondern erst am Anfang! (Sieg-Heil-Rufe) Wie verlief unser Jugendleben unter Hitler? Wo das möglich war, begann die nationalsozialistische Erziehung bereits im Kindergarten, wie folgende "Gebete" an den Führer zeigen: Vor dem Essen: Führer, mein Führer, von Gott mir gegeben, beschütz' und erhalte noch lange mein Leben! Hast Deutschland gerettet aus tiefster Not, Dir danke ich heute mein täglich Brot. Bleib noch lange bei mir, verlaß mich nicht, Führer, mein Führer, mein Glaube, mein Licht! Heil, mein Führer! Dank sei Dir für diese Speise, Beschützer der Jugend, Beschützer der Greise! Hast Sorgen, ich weiß es, doch kümmert's Dich nicht, ich bin bei Dir bei Nacht und bei Licht. Leg ruhig Dein Haupt in meinen Schoß, bist sicher, mein Führer, denn Du bist groß. Heil, mein Führer!

"Anruf" der Kinder bei der Kinderspeisung der NSV-Ortsgruppe Reinau / Köln

6 Die Jugendorganisation der HJ war folgendermaßen aufgebaut:  Mit 10 Jahren kam man zum Jungvolk bzw. zu den Jungmädchen,  mit 14 Jahren wurde man automatisch zur HJ (Hitlerjugend) bzw. zum BDM (Bund Deutscher Mädchen) überwiesen,  mit 17 Jahren erfolgte für Jungen und Mädchen die Einberufung zum RAD (Reichsarbeitsdienst),  mit 18 Jahren begann für Männer die Dienstzeit bei der Wehrmacht. Die Ziele und Methoden dieser nationalsozialistischen Erziehung definierte Hitler folgendermaßen: ... Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muß weggehämmert werden. In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird. Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. Jugend muß das alles sein. Schmerzen muß sie ertragen. Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein. Das freie, herrliche Raubtier muß erst wieder aus ihren Augen blitzen. Stark und schön will ich meine Jugend. Ich werde sie in allen Leibesübungen ausbilden lassen. Ich will eine athletische Jugend. Das ist das Erste und Wichtigste. So merze ich die Tausende von Jahren der menschlichen Domestikation aus. So habe ich das reine, edle Material der Natur vor mir. So kann ich das Neue schaffen. Ich will keine intellektuelle Erziehung. Mit Wissen verderbe ich mir die Jugend. Am liebsten ließe ich sie nur das lernen, was sie ihrem Spieltrieb folgend sich freiwillig aneignen. Aber Beherrschung müssen sie lernen. Sie sollen mir in den schwierigsten Proben die Todesfurcht besiegen lernen. Das ist die Stufe der heroischen Jugend. Aus ihr wächst die Stufe des Freien, des Menschen, der Maß und Mitte der Welt ist, des schaffenden Menschen, des Gottmenschen. In meinen Ordensburgen wird der schöne, sich selbst gebietende Gottmensch als kultisches Bild stehen und die Jugend auf die kommende Stufe der männlichen Reife vorbereiten... Aus: H. Rauschning, Gespräche mit Hitler, 1940

Leben im Jungvolk

Die Aufnahme der 10-jährigen erfolgte in einer Großveranstaltung mit militärischem Zeremoniell – Uniformen, Fahnen, Marschmusik, mit älteren Kameraden und NS-Prominenz. In Uniformen – Braunhemden – in Reih und Glied angetreten erfolgte die Vereidigung auf die Fahne.

7 Der Fahnenkult spielte für die Nationalsozialisten eine große Rolle. Beim Hitlerputsch 1923 wurde die Hakenkreuzfahne vom Blut der Erschossenen befleckt; diese "Blutfahne" war eine NS-Reliquie. Alle späteren Fahnen wurden durch die Berührung mit dieser Reliquie "geweiht". Jede Fahne war nicht nur ein Symbol, sondern sozusagen ein Stellvertreter für Hitler höchstpersönlich. Deshalb musste jede Fahne mit erhobenem Arm gegrüßt werden.

Der Eid, den die 10-jährigen Kinder auf die Fahne leisten mussten, lautete folgendermaßen: Vor dieser Blutfahnen, die für unseren Führer steht, schwöre ich, all meine Kraft und Stärke dem Erretter unseres Landes Adolf Hitler zu weihen. Ich bin willens und bereit, mein Leben für ihn zu geben – so wahr mir Gott helfe.

Die Zeremonie endete mit dem Absingen des Fahnenliedes: Unsere Fahne (Text von Baldur v. Schirach, Weise von Hans-Otto Borgmann) 2. Jugend! Jugend! Wir sind der Zukunft Soldaten. Jugend! Jugend! Träger der kommenden Taten. Ja, durch unsere Fäuste fällt, wer sich uns entgegenstellt. Jugend! Jugend! Wir sind der Zukunft Soldaten. Jugend! Jugend! Träger der kommenden Taten. Führer, wir gehören dir, wir, Kameraden, dir! Unsere Fahne …

8 Der Alltag im Jungvolk war straff organisiert. Zweimal wöchentlich mussten die Jungen in Uniform antreten und zu einem Gruppenlokal marschieren; wer fehlte, brauchte eine Entschuldigung der Eltern. Im Mittelpunkt der Ausbildung stand die Schulung in der Geschichte des Nationalsozialismus; der Führerlebenslauf musste auswendig gelernt werden. – Es handelte sich dabei natürlich um einen sehr geschönten Lebenslauf: kein Wort von den nicht einmal mittelmäßigen Leistungen an der Oberrealschule Linz, die Hitler mit 16 Jahren ohne Abschluss verließ. Kein Wort von der zweimaligen Abweisung an der Kunstakademie Wien, kein Wort davon, dass Hitler seinen Lebensunterhalt durch Malen und Skizzen auf Postkarten verdiente und als Hilfsarbeiter in München arbeitet. Gepriesen wurde die glorreiche Zeit als Kriegsfreiwilliger 1914 – 18, in der es Hitler allerdings nur zum Gefreiten brachte. Ein weiterer Bildungsinhalt war das Lernen von Liedern nationalen Inhalts. Die gängigen Weihnachtslieder sollte beispielsweise durch folgendes ersetzt werden: Hohe Nacht der klaren Sterne (Text und Weise von Hans Baumann) 2. Hohe Nacht mit großen Feuern, die auf allen Bergen sind – heut muß sich die Erd erneuern wie ein junggeboren Kind. 3. Mütter, euch sind alle Feuer, alle Sterne aufgestellt, Mütter, tief in eurem Herzen schlägt das Herz der weiten Welt.

Ein weiteres viel gesungenes NS-Lied war etwa: Volk, ans Gewehr! (Text und Weise von Arno Pardun) 2. Viele Jahre zogen ins Land, geknechtet das Volk und belogen. Das Blut unserer Brüder färbte den Sand, um heilige Rechte betrogen. Im Volk geboren erstand uns ein Führer, gab Glaube und Hoffnung an Deutschland uns wieder. I: Volk, ans Gewehr! :I 3. Deutscher, wach auf und reihe dich ein, wir schreiten dem Siege entgegen! Frei soll die Arbeit, frei wolln wir sein und mutig und trotzig verwegen. Wir ballen die Fäuste und werden es wagen, es gibt kein zurück mehr und keiner darf zagen! I: Volk, ans Gewehr! :I 4. Jugend und Alter - Mann für Mann umklammern das Hakenkreuzbanner. Ob Bürger, ob Bauer, ob Arbeitsmann, sie schwingen das Schwert und den Hammer für Hitler, für Freiheit, für Arbeit und Brot. Deutschland, erwache, ende die Not! I: Volk, ans Gewehr! :I

9 In besonderer Weise wird folgender Liedtext mit der NS-Zeit verbunden: Es zittern die morschen Knochen der Welt vor dem großen Krieg. Wir haben die Schrecken gebrochen, für uns war's ein großer Sieg. Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Scherben fällt. Denn heute, da hört uns Deutschland und morgen die ganze Welt. Gesungen wurde in der 4. Zeile bekanntermaßen meist: "Denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt. "

Es ist mir unverständlich, wie wir diese Worte singen konnten, ohne uns dabei viel zu denken. – Und die Erwachsenen, die sich vielleicht dabei etwas gedacht haben, haben wohl weislich geschwiegen. - Und was, wenn sie uns darauf aufmerksam gemacht hätten? Da gibt es die Geschichte von dem HJ-Jungen, der erzählte, sein Vater habe gesagt, Hitler sei verrückt. Dies hatte zur Folge, dass der Vater ins KZ Dachau geschickt wurde und dort umkam.

Anlässe zu Massenveranstaltungen gab es in der NS-Zeit immer: Hitlers Geburtstag, Tag der Machtergreifung, Führerreden, Sportveranstaltungen, Siegesfeiern …

10 Der Alltag bei Jungvolk war geprägt von sportlicher Ertüchtigung: Laufen, Springen, 15 km-Lauf, Rad fahren. Trotz hoher Anforderungen wollte keiner als "Versager" gelten und gab sein Bestes. Ziel war das Erlangen eines Leistungsabzeichens, der Siegernadel. Überhaupt wurde größter Wert auf Gesundheitserziehung gelegt: kein Rauchen, kein Alkohol, "Erhärtung" – nicht nur bei den gängigen Sportarten, sondern etwa im Sportarten wie Boxen. Darüber hinaus waren die Jungen vom Jungvolk ununterbrochen unterwegs für Sammlungen für das Winterhilfswerk, einer Art NS-Caritas. Gesammelt wurde wegen Materialmangels Altmetall, Altpapier, Altglas, Altkleider, Knochen etc. Als Anreiz wurde bei den Sammelaktionen eine Siegergruppe ermittelt, über die dann in der Zeitung berichtet wurde.

Ähnlich wie das Jungvolk waren die Jungmädchen organisiert. Besonderes Erziehungsziel war hier wie auch später beim BDM die Vorbereitung auf die Rolle als Ehefrau und Mutter. Die Mädchen lernten deshalb alles, um deutsches Volkstum pflegen und an ihre Kinder weiter geben zu können: Volkslieder und Volkstänze etwa. Besonderer Wert wurde auch hier auf die Pflege von Gesundheit und Natürlichkeit gelegt, etwa mit Parolen wie "Ein deutsches Mädchen schminkt sich nicht!" Auch die Mädchen betrieben viel Sport und konnten für ihre Leistungen die Siegernadel erreichen. Später beim RAD waren die jungen Frauen häufig als Dienstmägde in der Landwirtschaft eingesetzt und sollten helfen die Männer zu ersetzen, die an der Front waren.

11 Die Jahre in der Hitlerjugend Der Übergang vom Jungvolk bzw. den Jungmädchen zur HJ und zum BDM erfolgte automatisch mit 14 Jahren. Die HJ war wie das Jungvolk militärisch gegliedert in: Kameradschaft → Schar → Gefolgschaft → Stamm → Bann → Gebiet

Die HJ-Jungen mussten weiter zweimal in der Woche antreten, mussten noch mehr marschieren und singen, mussten endlos marschieren und marschieren und das immer unter dem Absingen von Marschliedern. Zusätzlich standen Geländespiele ebenso auf dem Programm wie Scharfschießen und Gruppenkämpfe.

Rank und schlank Zäh wie Leder Flink wie Windhunde Hart wie Kruppstahl

… so sollte nach Hitlers Vorstellungen die Jugend sein, mit der er die Welt erobern wollte. Wie

ich

den

Dienst

im

12 Jungvolk und allgemein in der HJ empfunden habe? Das dauernde Herummarschieren mit einem Marschlied auf den Lippen wurde zu einer unvermeidlichen, wenn auch ungeliebten Routine. Auch die Inhalte der politischen Schulung in der HJ habe ich ohne Kritik einfach als gegeben hingenommen, wie das so üblich war. In meinem Elternhaus wurde aus Sorge wegen möglicher Repressalien über die politische Situation nicht gesprochen, allerdings wurde Hitler und seine Ideologie auch mit keinem Wort gutgeheißen. Man schwieg und war in diesen Zeiten des Umbruchs und der Veränderungen schlicht und einfach damit beschäftigt, ein Auskommen zu finden. Unangenehm waren mir jedoch die häufigen Massenveranstaltungen - ich war wohl schon damals zu individualistisch, um ein "Bad in der Menge" genießen zu können – und die markigen Sprüche und Lieder. Das beliebte NS-Schlagwort "siegesbewusst" klingt mir bis heute im Ohr. Ausgesprochene Abscheu empfand ich dagegen den Fahnenkult und das Gerede von "heiligen Vaterland". Begründet wurde dieser innere Widerstand wahrscheinlich durch meine religiöse Grundhaltung. Mit meinem Eintritt in die Flieger-HJ bin ich dem allen weitgehend entkommen. Hier ging es eigentlich nur noch ums Fliegen, um eine technische, flugphysikalische Ausbildung mit für mich traumhaften Flugerfahrungen in der Praxis; nationalsozialistische Agitation fand kaum noch statt. Wozu wir im Endeffekt ausgebildet wurden, dass wir später als bereits halbfertige Piloten zur Luftwaffe kommen würden, daran dachten wir alle nicht: zu sehr hat uns das Fliegen begeistert.

Anders als beim Jungvolk mussten und konnten sich die Jungen in der HJ spezialisieren. Das Spezialgebiet konnten wir nach eigenen Vorlieben wählen. Zur Auswahl standen:  allgemeine HJ (Fußvolk, Infanterie)  Reiter-HJ  Nachrichten-HJ (Ausbildung im Morsen etc.)  Motor-HJ  Marine-HJ (Bootsfahren, Lernen von Flaggensignalen etc.)  Spielmannszug (Trommeln, Fanfarenblasen etc.)

13 und schließlich - zum Glück für mich:  Flieger-HJ (Segelfliegen)

Wehrertüchtigungslagen Unabhängig von der jeweiligen Spezialausbildung gab es für alle HJ-Jungen in den Schulferien dreiwöchige Wehrertüchtigungslager. Im März 1943 wurden auf Befehl Hitlers 206 Lager eingerichtet, in denen die Hitlerjungen einer vormilitärischen Schulung unterzogen wurden. Das bedeutet für uns drei Wochen intensive Infanterieausbildung durch Soldaten. Durch harten Drill sollten uns Soldatentugenden wie Tapferkeit, Sauberkeit, Ordnung, Abhärtung, körperliche Fitness und unbedingter Gehorsam ohne Widerrede anerzogen werden. Die 1. Woche stand unter dem Motto "Wir kämpfen". Dazu gehörte eine Schulung im Kartenlesen und Orientieren,

14 im unbemerktem Anschleichen und Beobachten ("alles sehen nicht gesehen werden"),

im Umgang mit Waffen - Schießen und Handgranaten- werfen,

und schließlich im Training militärischer Taktik durch Gruppenkampf im Gelände.

Motto der 2. Woche war "Wir opfern!" Zusätzlich zu den militärischen Übungen wurden uns die NS-Leitsätze eingebläut: "Du bist geboren, um für Hitler zu sterben!" – "Du bist nichts, dein Volk ist alles!" In der 3. Woche mit dem Motto "Wir siegen!" lag der ideologische Schwerpunkt auf dem Nahebringen der Fahnenverehrung. Die Waffen-SS bemühte sich verständlicherweise sehr darum, derart geschulte Hitlerjungen als Freiwillige anzuwerben. Es gab sogar eine SS-Division mit dem Namen Hitlerjugend, eine sehr tapfere Einheit mit entsprechend hohen Verlusten.

15 Ausbildung zum Segelflieger bei der Flieger-HJ Meine Wahl fiel, als ich zur Hitlerjugend kam und mich für ein Spezialgebiet entscheiden musste, zunächst auf die Nachrichten-HJ. Ein Postfernmeldebeamter versuchte uns das Morsen beizubringen – das war mir jedoch zu langweilig. Folglich wechselte ich zur MotorHJ. Hier wies uns ein Automechaniker in Fahrzeugtechnik und Verkehrsregeln ein; ich legte den Führerschein der Klasse 4 ab und fuhr gelegentlich auf Leichtmotorrädern. Überredet von Klassenkameraden ging ich schließlich zur Flieger-HJ. Nach einer ärztlichen Fliegertauglichkeitsprüfung wurde ich aufgenommen – jedoch nicht bevor ich eine Erklärung unterschrieben hatte, die einen Verzicht auf Rechtsansprüche bei Flugunfällen enthielt. Natürlich unterschrieb man ohne Zögern diese "Verzichtserklärung". In der Flieger-HJ wechselten Werkstattdienst und Flugdienst ab. In den Werkstattstunden wurden wir profimäßig an Maschinen von einem Fachmann der Holz- und Metallbearbeitung dazu ausgebildet, Segelflugteile zu bauen. Zusätzlich erhielten wir Unterricht in Flugphysik, Wetterkunde und Verhalten in Gefahrensituationen. Das, was uns jedoch begeisterte, war der Flugbetrieb …

… anfangs mit dem Schulgleiter SG 38 auf dem Fluggelände Kohlbruck / Passau.

16 Anschließend wurde man jeweils auf einen bestimmten Flugplatz zum Üben und Ablegen der Leistungsnachweise einberufen.

In Reisberg bei Regensburg legte ich die A-Prüfung ab – mit einem Gummiseilstart am Berghang und einer Flugdauer von ca. 40 sec. Nach der Landung eines Flugschülers schleppte die ganze Mannschaft den Schulgleiter wieder den langen Steilhang hinauf.

In Mallersricht bei Weiden waren Motorwindenstarts an der Reihe, die eine Flugdauer von ca. 2,5 min ermöglichten. Wir mussten nach dem Hochstart auf etwa 50 m ein genaues Flugprogramm und eine Ziellandung absolvieren und konnten damit die die B-Püfung ablegen.

17 Der Motorwindenstart mit einer Grunau in Mallersricht - endlich ein vernünftiges Flugzeug! - führte zu einer Flugdauer von ca. 4 min; ich absolvierte meine C-Prüfung.

Den Luftfahrerschein Klasse 1 machte ich in Pocking in Beisein eines Fluglehrers, einem Feldwebel der Luftwaffe, mit einer Grunau und dem Doppelsitzer Kranich. Nach einem Flugzeugschleppstart in etwa 500 m Höhe blieb man ca. 15 min in der Luft und musste ein genaues Flugprogramm mit abschließender Ziellandung absolvieren. Bei diesem Flug hatte man sogar einen Fallschirm umgeschnallt, was jedoch bestenfalls das Gefühl von Bedeutung, nicht die Sicherheit erhöhte: An einen erfolgreichen Absprung im Gefahrenfall war kaum zu denken; die Pilotenkanzel war sehr eng, sodass man Schwierigkeiten gehabt hätte, schnell herauszukommen.

Auf diese Prüfungen folgten weitere Schulungen, z.B. der Fallschirmwartlehrgang in Hannover und – was das militärische Ziel unserer HJ-Jungen-Ausbildung sehr deutlich werden ließ - die Nachtjägertauglichkeitsprüfung in München und vor allem die Sonderschulung im Dezember 44 / Januar 45 in Brünn / Medlan in der Slowakei.

18 Bei dieser Schulung starteten wir mit Winden oder meist durch Flugzeugschlepp und flogen bis zu 25 min in einer Flughöhe über 1 000 m verschiedene Segelflugzeuge …

– auch solche Hochleistungsmodelle.

Geübt wurden Gefahrenflüge, z.B. Trudeln und Absturzübungen, Kunstflug – Turn und Looping, und immer genaue Ziellandungen. Der Drill war soldatisch hart: Der Tag begann mit einer "Ehrenrunde" um das Flugplatzgelände – barfuss und nur mit Shorts bekleidet über Eis und Schnee. Geflogen wurde tagsüber; nachts stand die Bewachung des Flughafens auf dem Programm. Dass uns diese Maßnahmen auf den Dienst bei der Luftwaffe vorbereiteten, war uns bewusst - was wir jedoch nicht wussten, dass wir es mit einer Vorschulung für den Raketenjäger Me 163 zu tun hatten. Nur andeutungsweise war von einem sehr schnellen Flugzeug die Rede, das man entwickelt hatte … Die Me 163 war ein kleines Flugzeug, das, von Raketentreibstoff getrieben, in 3,2 min auf 12 000 m steigen konnte und fast Schallgeschwindigkeit erreichte. Voll getankt wog das Flugzeug 4,5 t, leer etwa nur noch die Hälfte. War der Treibstoff verbraucht – und das war er nach ca. 6 min, sobald man die Gipfelhöhe erreicht hatte - dann war der Vogel ein Segelflugzeug, allerdings eines mit sehr schlechten Flugeigenschaften.

19 Wegen einer Gesamtflugdauer von weniger als 10 min wurde die Me 163 nur zum Objektschutz von kriegswichtiger Industrie, z.B. der Leuna-Treibstoffwerke, eingesetzt. Erst wenn die feindlichen Bomber schon sehr nahe waren, sollte der Pilot mit Höchstgeschwindigkeit steil nach oben starten, sollte dabei einen Bomber abschießen, in 10 000 m Höhe umkehren, im Sinkflug noch einen Bomber abschießen und dann sicher landen – was problematisch war. Da das Modell noch nicht ausgereift war, wurden manchmal Treibstoffleitungen undicht, was dazu führte, dass das Flugzeug - vor allem bei harten Landungen – explodierte. Und angesichts der schlechten Segelflugeigenschaften der Me 163 waren wiederum selbst bei guten Piloten harte Landungen sehr wahrscheinlich. Der größte Teil der Me 163-Piloten kam folglich ums Leben. Nicht nur wegen der Gefährlichkeit dieses Raketenflugzeuges gab es zu wenig Piloten, die sich dazu bereit erklärten, die Me 163 zu fliegen – man setzte übrigens bis zuletzt nur Freiwillige ein. Zwar gab es zu Ende des Krieges genug "beschäftigungslose" Flieger, da der Feind ja die absolute Luftüberlegenheit hatte und die deutsche Luftwaffe kaum mehr zum Einsatz kam, doch die alt erfahrenen Piloten wussten nach dem Fall von Stalingrad, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war, und verfolgten eine Strategie des Überlebens. Ein Flug mit der Me 163 kam jedoch einem Selbstmordversuch nahe. So hatte man die Idee, die voll ausgebildeten Segelflieger der HJ für die Me 163 vorzuschulen und hoffe auf die Risikofreude und Ahnungslosigkeit der Jugend. Ich habe diesen Teufelsvogel nicht mehr geflogen – der Krieg ging zu Ende, bevor man mich fragen konnte, und in den letzten Wochen durfte die Me 163 ohnehin nicht mehr starten, da zuvor viele wehrlos bei der Landung von Tieffliegern abgeschossen worden waren. Hätte ich mich dazu bereit erklärt, eine Me 163 zu fliegen? Die Anfangsstarts der Me 163 waren Flugzeugschleppflüge durch schwere Großflugzeuge – solch einen Start hätte ich schon einmal gerne erlebt. Für mich blieb es bei der Vorschulung in Brünn, die übrigens durchgeführt wurde, als die Russen schon bis Breslau und Budapest vorgerückt waren. Nichts davon war uns bekannt und nichts davon, dass der Krieg längst verloren war, war im Ausbildungslager zu spüren: Routine wie gewohnt, bis zuletzt.

20 Die Zeit bei Flaksoldat

Die Fliegerlaufbahn, die ich in den Jahren 1943 / 44 bei der HJ absolvierte, war jedoch nur ein Aspekt meiner "Jugendzeit", die ich unter Hitler verbrachte, gleichzeitig war ich von Herbst 43 bis Herbst 44 auch noch Flaksoldat. Wie alle Gymnasiasten und Realschüler der 10. Jahrgangsstufe (HJ-Führer waren ausgenommen) wurde auch ich zusammen mit meinen Mitschülern von der Oberrealschule Passau im Herbst 1943 als Luftwaffenhelfer eingezogen und vereidigt: Ich verspreche, als Luftwaffenhelfer allzeit meine Pflicht zu tun, treu und gehorsam, tapfer und einsatzbereit, wie es sich für einen Hitlerjungen geziemt.

100 Luftwaffenhelfer sollten 70 Soldaten für die Front freimachen.

21 Für die Verwendung als Luftwaffenhelfer gab sehr genaue und eigentlich humane Dienstvorschriften:  Einsatz nur am Heimatort,  regelmäßiger Schulunterricht,  häufiger Urlaub nach Hause,  freie religiöse Betätigung,  weiterer regelmäßiger HJ-Dienst. Von diesen Vorschriften haben wir allerdings nie etwas erfahren oder sie gar erlebt, sie standen nur auf dem Papier. Faktisch taten wir vollen Dienst wie Soldaten – mit allen Risiken. Der Kontakt mit dem Elternhaus beschränkte sich auf sehr gelegentliche Post; Urlaub erhielten wir bestenfalls einmal im Vierteljahr. Für Schulunterricht oder religiöse Betätigung gab es einfach keine Gelegenheit; lediglich als wir in Passau stationiert waren, erhielten zwei Monate lang Unterricht. Auch weiterlaufenden HJ-Dienst gab es – Gott sei Dank – nicht; wir hätten uns auch erbittert gewehrt. Denn wir waren doch wirklich vollwertige Soldaten und keine Hitlerjungen mehr. Zwar mussten wir auf unseren Wehr-machtsuniformen die HJ-Binde tragen – juristisch durften wir mit unseren 16, 17 Jahren noch keine Soldaten sein – doch sobald wir auf Urlaub unsere Batterie verließen, nahmen wir die verhassten HJ-Binden verbotenerweise sofort ab. Wichtig war, dass immer Schulklassen gemeinsam eingezogen wurden und auch durchwegs gemeinsam Dienst taten, sodass wir weiter in der vertrauten Gemeinschaft blieben trotz aller Probleme, die damit verbunden sind. Der Umgang miteinander war erwartungsgemäß keineswegs nur freundlich. Noch wichtiger war jedoch, dass wir ungeheures Glück hatten: Es ist uns nichts passiert, was uns den Ernst und das Risiko unseres Dienstes, den wir wie ein Kriegsspiel absolvierten, bewusst gemacht hätte – hätten wir begriffen, welchen Gefahren wir ausgesetzt waren, wäre die Belastung für uns viel größer gewesen. Weniger Glück hatten da die Luft-

22 waffenhelfer vor allem im Rheinland, in Hamburg und Berlin; sie hatten zum Teil schwere Verluste zu verzeichnen. Im September 1943 wurde ich in Regensburg Weichs an der leichten 2cm-Flak an einem Solo- und einem Vierlings-Geschütz ausgebildet.

Gut, dass es zu der Zeit damals dort noch keine feindlichen Tiefflieger gab – wir hätten auf den ungeschützten freistehenden Flaktürmen aus Blech keine Überlebenschance gehabt.

Ende 43 folgte dann die Ausbildung an der schweren 8,8-Flak in Regensburg Kneiting, wir wurden zum Schutz der Messerschmidt-Flugzeugwerke eingesetzt. Dabei erlebte ich mehrere Großangriffe von US-Fliegern bei Tag. Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, den glitzernden Regen von Bomben auf sich zufliegen zu sehen. Wir konnten die Bomben gut

23 beobachten – wir standen ja im Freien. Direkt getroffen wurde unsere Batterie jedoch nicht. Nachdem die Flugzeugwerke zerstört worden waren, wurden wir mit unseren Geschützen nach Stuttgart Vaihingen verlegt. Da wurde es richtig gefährlich – vor allem nachts. Ein feindliches Pfadfinderflugzeug setzte an vier verschiedenen Stellen "Christbäume" – lang leuchtende Raketen an Fallschirmen – und in das so markierte Viereck luden die Bombenflugzeuge Sprengbomben und Unmengen von Phosphorbrandbomben ab. – Wir wunderten uns, dass die alten Flaksoldaten bei den Angriffen sichtlich Angst hatten, wir wussten ja nicht, wie gefährlich das, was wir wie ein "Kriegsspiel" erlebten, in Wirklichkeit war. Nach den Angriffen ging es in die Stadt zum Feuerlöschen. Im Sommer 44 wurde ich schließlich zur schweren 8,8 - Heimatflakbatterie nach Passau Oberstadler abkommandiert, die Batterie lag am Berg nördlich des Kachletwerkes, das wir schützen sollten.

Wir schossen auch fleißig auf vorbei fliegende Bomber – aber alle haben es unversehrt überlebt.

24 An einer Kanone arbeiteten acht Leute. Der K1 (Kanonier 1) richtete nach Werten, die er über Kopfhörer übermittelt bekam, die Rohrhöhe aus, der K2 die Seitenrichtung. Der K3 schob die Granate ins Rohr und zog nach Beendigung aller Einstellungen auch ab. Dieser K3 war merkwürdigerweise immer ein russischer Kriegsgefangener, der freiwillig gegen bessere Verpflegung diese Schwerstarbeit leistete. Der K4 stellte die Zündungszeit ein, der K7 stellte die Granate dazu in einen Stellbecher. K5, K6 und K8 transportierten die schweren Granaten. Bei Dauerfeuer sollten alle 3 sec ein Schuss fallen, 10 km hoch – die Bomber flogen meist in 9 000 m Höhe - und 15 km weit. Als man uns nach Passau zurückkommandiert hatte, bekamen wir in einem nah gelegenen Wirtshaussaal auch wieder Schulunterricht von unseren früheren Lehrern; wir schrieben sogar Schulaufgaben. Allerdings hatten wir das Gefühl, dass unsere Lehrer gütiger waren als früher: Es war ja nie sicher, ob es eine nächste Schulstunde überhaupt geben würde. Überraschenderweise hatte übrigens meine laufende Ausbildung als Segelflieger Vorrang vor dem Flakdienst; als Mitglied der Flieger-HJ wurde ich zwischendurch immer wieder zu Fliegerschulungen abkommandiert. Intermezzo beim Reichsarbeitsdienst Der Jahrgang 1926 wurde vergleichsweise früh zum RAD eingezogen; unser Jahrgang 1927 jedoch erst im Spätsommer 1944.

25 Ich hatte Glück und kam an den Flughafen Pocking, wo wir Schützengräben und Einmannlöcher ausheben mussten. Dazu der übliche Drill: Marschieren und exerzieren, jedoch statt mit Spaten mit einem Gewehr.

Weniger Glück hatten die RAD-Männer, die an der Ostfront die 8,8 Geschütze im Erdeinsatz gegen das vorrückende russische Heer bedienen mussten, also als Reservesoldaten eingesetzt waren.

Die letzten Kriegswochen als Mitglied der Wehrmacht Im März 1945 bekam ich den Einberufungsbefehl zur Wehrmacht, und zwar zur Infanterie nach Prag. Da wurde mir mulmig, wusste ich doch inzwischen, dass die Russen bereits in der Tschechoslowakei waren. Auf meinen Protest beim NS-Fliegerchor hin – ich sei doch ausgebildeter Flieger, kein Infanterist – landete ich tatsächlich wieder auf dem Flugplatz Pocking. Doch da flog schon niemand mehr, abgesehen von den amerikanischen Tieffliegern natürlich, die alle Me 263, unsere neuesten Turbinenjäger, zerschossen, die man in Waldschneisen aufgestellt hatte. Tiefflieger – das waren gefürchtete silberne Jagdflugzeuge vom Typ Mustang, die in freier Jagd auf alles schossen, was sich bewegte: auf Eisenbahnzüge und Autos ebenso wie auf Bauern bei ihrer Arbeit auf dem Feld. Ende April wurde der Flugplatz aufgelöst und wir wurden in kleine Kampfgruppen aufgeteilt - ein Mercedes PKW voller Leute mit Panzerfäusten fuhr ziemlich ziellos durch die Gegend. Als ich gerade als Tieffliegerbeobachter auf dem Kotflügel saß, stießen wir auf die Amerikaner. Hätten sie doch bloß "hands up" gerufen – wir wären mit Wonne in die

26 Gefangenschaft gegangen. Leider schossen sie sofort. Einige Kugeln erwischen mich, den Leutnant auf dem Beifahrersitz 23 Stück. Und damit war der Krieg endlich auch für mich zu Ende.

Hitler hat unsägliches Leid über Europa gebracht, aber sein Regime bedeutete auch großes Leid und Vernichtung für das eigene Volk. Sicherlich verstehen Sie nach meinem Vortrag, dass es in unser aller Interesse ist, wenn wir sagen: So etwas darf nie wieder geschehen. Dementsprechend ist mir unverständlich, dass es immer noch Leute gibt, die die Gedankenwelt des Dritten Reiches hochhalten, und ich bin sprachlos, wenn ich in Passau diese

Neonazis

aufmarschieren

sehe, die in Hitler ein Ideal sehen.

27 Solche Menschen müssen auf mehr als auf einem Auge blind sein, denn die menschenverachtenden Mechanismen und katastrophalen Folgen des NS-Regimes auch für das eigene Volk sind doch nun allen bekannt.

Diese Bilder von zu Soldaten gepressten Kindern müssen nicht kommentiert werden - sie zeigen Hitlerjungen, deren großes Glück darin besteht: Sie haben überlebt – im Gegensatz zu vielen anderen.



28 Die Haltung der Nationalsozialisten gegenüber den Kirchen bringt Reichleiter Bormann in folgendem Schreiben zum Ausdruck: Christentum und Nationalsozialismus sind unvereinbar Aus: W. Hafer, Der Nationalsozialismus, Rundschreiben des Reichsleiters Bormann von 1942 Nationalsozialistische und christliche Auffassungen sind unvereinbar. Die christlichen Kirchen bauen auf der Unwissenheit der Menschen auf und sind bemüht, die Unwissenheit möglichst weiter Teile der Bevölkerung zu erhalten, denn nur so können die christlichen Kirchen ihre Macht bewahren. Demgegenüber beruht der Nationalsozialismus auf wissenschaftlichen Fundamenten. Das Christentum hat unveränderliche Grundsätze, die vor fast zweitausend Jahren gesetzt und immer mehr zu wirklichkeitsfremden Dogmen erstarrt sind. Der Nationalsozialismus dagegen muß, wenn er seine Aufgabe auch weiterhin erfüllen soll, stets nach den neuesten Erkenntnissen der wissenschaftlichen Forschungen ausgerichtet werden... ... Aus der Unvereinbarkeit nationalsozialistischer und christlicher Auffassungen folgt, dass eine Stärkung bestehender und jede Förderung entstehender christlicher Konfessionen von uns abzulehnen ist. Ein Unterschied zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen ist hier nicht zu machen. Aus diesem Grunde ist daher auch der Gedanke einer Errichtung einer evangelischen Reichskirche unter Zusammenschluß der verschiedenen Evangelischen Kirchen endgültig aufgegeben worden, weil die Evangelische Kirche uns genauso feindlich gegenübersteht wie die Katholische Kirche. Jede Stärkung der Evangelischen Kirche würde sich lediglich gegen uns auswirken … ... Zum ersten Male in der deutschen Geschichte hat der Führer bewußt und vollständig die Volksführung selbst in der Hand. Mit der Partei, ihren Gliederungen und angeschlossenen Verbänden hat der Führer sich und damit der deutschen Reichsführung ein Instrument geschaffen, das ihn von der Kirche unabhängig macht. Alle Einflüsse, die die durch den Führer mit Hilfe der NSDAP ausgeübte Volksführung beeinträchtigen oder gar schädigen könnten, müssen ausgeschaltet werden. Immer mehr muß das Volk den Kirchen und ihren Organen, den Pfarrern, entwunden werden. Selbstverständlich werden und müssen die Kirchen, von ihrem Standpunkt betrachtet, sich gegen diese Machteinbuße wehren. Niemals aber darf den Kirchen wieder ein Einfluß auf die Volksführung eingeräumt werden. Dieser muß restlos und endgültig gebrochen werden. Nur die Reichsführung und in ihrem Auftrage die Partei, ihre Gliederungen und angeschlossenen Verbände haben ein Recht zur Volksführung. Ebenso wie die schädlichen Einflüsse der Astrologen, Wahrsager und sonstigen Schwindler ausgeschaltet und durch den Staat unterdrückt werden, muß auch die Einflußmöglichkeit der Kirche restlos beseitigt werden. Erst wenn dieses geschehen ist, hat die Staatsführung den vollen Einfluß auf die einzelnen Volksgenossen. Erst dann sind Volk und Reich für alle Zukunft in ihrem Bestande gesichert. Wir würden die Fehler, die in den vergangenen Jahrhunderten dem Reich zum Verhängnis wurden, wiederholen, wenn wir nach dem Erkennen der weltanschaulichen Gegnerschaft der christlichen Konfessionen jetzt noch irgendwie zur Stärkung einer der verschiedenen Kirchen beitragen würden. Das Interesse des Reichs liegt nicht in der Überwindung, sondern in der Erhaltung und Verstärkung des kirchlichen Partikularismus. M. Bormann, Reichsleiter

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