Predigt an der Christnachtfeier über Matthäus 1, 18 – 25 vom 24. Dezember 2016 gehalten von Pfarrer Martin Keller Lesung aus Matthäus 1, 18-25 Die Geburt Jesu „Mit der Geburt Jesu Christi aber verhielt es sich so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt. Noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte es sich, dass sie schwanger war vom heiligen Geist. Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht blossstellen wollte, erwog, sie in aller Stille zu entlassen. Während er noch darüber nachdachte, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen, denn was sie empfangen hat, ist vom heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk von ihren Sünden retten. Dies alles ist geschehen, damit in Erfüllung gehe, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: «Siehe, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben. Das heisst: ‹Gott mit uns›.» Als Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Er erkannte sie aber nicht, bis sie einen Sohn geboren hatte; und er gab ihm den Namen Jesus.“

Predigt

“Josef - ein Mann ohne Worte“ Liebe Gemeinde wenn man die Figuren in der Krippe betrachtet, kann man sich so einiges überlegen. Ganz klar stehen Maria und das Jesuskind im Zentrum, wobei man 1

sich nicht ganz im Klaren darüber ist, wer in diesem Bild wichtiger ist: das Kind oder Maria. Wenn es bei der Rollenverteilung für ein Krippenspiel darum geht, welche Figur die beliebteste sei, ist es ganz eindeutig Maria. Und jede erfahrene Sonntagsschulhelferin weiss, dass jedes Mädchen wenigstens einmal in seiner Karriere die Maria spielen will. Die Kleinen kann man noch als Hirten, Schäfchen oder sogar Sternlein unterbringen, die grösseren Buben schon weniger, die ziehen dann die finstere Gestalt des bösen Königs Herodes vor. Wenn dann noch einer von den Grossen vorig bleibt, dem es schon nicht mehr so recht ist, in eine aktive Rolle zu schlüpfen, wo man am Ende noch etwas sagen, geschweige denn singen sollte, dann greift man halt auf den heiligen Josef zurück. Der ist praktisch zu besetzen: ein Schlapphut auf den Kopf, ein Wolltuch um die Schultern und einen Wattebart ums Kinn, den Stock und die Laterne in die Hand - und fertig ist die Figur. Und machen muss er gar nichts - nur dastehen und ernst dreinschauen - für so etwas lässt sich ein Junge noch knapp motivieren. Alle anderen Figuren haben ihren Auftritt. Da ist in erster Linie wieder Maria zu nennen, die über ihre unerwartete Rolle als werdende Mutter nachdenkt und eben nicht so recht weiss, was ihr da geschieht. Immerhin kann man ihr im Krippenspiel noch ein anderes Kind als Erzengel Gabriel vorbei schicken, der sie auf ihre Rolle vorbereitet, wie ein Chef, der einen Mitarbeiter zu einer schwierigen und ungeliebten Arbeit verknurren muss - und das geht ja dann so: Der Direktor kommt mir ernstem Gesicht zur Mitarbeiterin und teilt mit, dass es eine schwierige Aufgabe zu bewältigen gibt, die er nicht jedem anvertrauen kann und: „Da, liebe Maria, da habe ich an Sie gedacht. Ihnen traue ich als einziger zu, die Sache zu einem guten Ende zu bringen.“ Und schon ist überrumpelte Person motiviert und übernimmt den Job, ohne über die Konsequenzen richtig nachgedacht zu haben. Und so lässt sich Maria dann auf ihre Mutterschaft ein, wobei sie immer noch nicht richtig verstanden hat, wie das gehen soll - schwierig. Da muss schon ein Erzengel Hand anlegen, dass es gut kommt. Aber die Rollen kann man wunderbar ausschmücken! Auch die anderen Personen in diesem Drama kommen zu Wort: die Hirten auf dem Felde, die als erste ein himmlisches Feuerwerk samt Begleitmusik erleben dürfen - die biblische Uraufführung einer gigantischen Lightshow, über die sie in lauten Jubel ausbrechen und dem Jesuskind verschiedene Geschenke bringen dürfen von den warmen Pantoffeln bis zum Plüschtierchen. 2

Da sind die eher randständigen Menschen damit gemeint. Hirten galten damals nicht viel. Man verachtete sie als Tagediebe und Nichtsnutze. Man traute ihnen auch nicht über den Weg - in etwa die gleichen Vorurteile, wie sie Fahrende, Zigeuner oder Asylanten auch bei uns antreffen, oder die Bettler und die Obdachlosen in den Städten. Pfarrer Siebers Kostgänger. Es ist ja ein schöner und wertvoller Zug an der weihnächtlichen und der christlichen Botschaft überhaupt, dass Randständige oder Ausgegrenzte nicht nur einbezogen, sondern sogar ins Zentrum gestellt werden und man sich um sie kümmert nicht nur an den offenen Weihnachtsfeiern sondern permanent. Das geht manchmal so weit, dass die anderen, weniger Randständigen fast etwas verloren gehen. Aber davon später. Auch Ausländer kommen ins Spiel, aber nur solche, die wir hier auch haben wollen, also Mächtige und Reiche, die etwas bringen, keine zusätzlichen armen Schlucker. Von denen haben wir genug, das meint ja jedes Volk auf der Welt. Nein, aber drei gescheite Köpfe mit Visionen und vor allem mit Geld. Die vertreten die fremden Völker bei uns und im Krippenspiel: Silicon Valley und Oligarchen in einem. Und so kommen Caspar, Melchior und Balthasar ins Spiel, immer sehr beliebte Rollen, weil sich die Schauspieler mit prächtigen Stoffen, Kronen und Federhüten verkleiden und mit ihrem Wissen und ihrer Weisheit beim elterlichen Publikum punkten können. Eher im dunklen Hintergrund aber dennoch prägend gibt der böse Herodes die Kontrastfigur gegenüber den drei Königen ab. Da sind die Lichtgestalten und dort der Finsterling, ein schlechter und verlogener Kerl in dessen unsympathische Erscheinung man als Schauspieler so viel Abgründiges und Schräges legen kann - eine wahre Freude, wenn man auch unsägliches einmal laut sagen möchte. Es ist ja nur ein Krippenspiel. Sogar die Tiere und alle anderen Kreaturen bekommen im Krippenspiel eine Stimme: singende Schafe, tanzende Sternchen, Schneeflöcklein, der behäbige Ochs und der starrköpfige Esel haben ihren Part, auch wenn sie in der biblischen Weihnachtsgeschichte gar nicht vorkommen. Das macht nichts: das Christkind ist zu allen gekommen und alles strömt zu ihm von den himmlischen Heerscharen bis zu den geringsten aller Lebewesen. In all den Figuren und Gestalten kann ein Spielleiter schwelgen. Nur einer steht immer abseits, wortlos, einsam - wie bestellt und nicht abgeholt: Josef. Man braucht ihn zwar, aber er ist immer irgendwie vorig. Eben wie in der Rollenbesetzung vorhin: Einer, der da herumsteht, aber eigentlich keine richtige Rolle spielt - das ist die Figur des Josef. Darum ist er auch so seltsam farblos, man kann sich mit ihm nicht so richtig identifizieren. Dabei müsste das ja nicht so sein. 3

Zunächst wird Josef in den Stammbäumen Jesu genannt. Matthäus beschreibt das so: „Jakob zeugte Josef, den Mann Marias; von ihr wurde Jesus geboren, welcher der Christus genannt wird.“ Matth. 1, 16 und Lukas weiss: „Und er, Jesus, war etwa dreissig Jahre alt, als er zu wirken begann. Er war, wie man annahm, ein Sohn des Josef, der war Sohn des Eli.“ Lk. 3,23 In beiden Versionen wird Josef immerhin als Mann Marias vorgestellt. Bei Matthäus wird er als Vater verschwiegen, während Lukas Jesus ganz unbeschwert als Sohn Josefs bezeichnet. Die Bemerkung „wie man annahm“ muss noch nicht auf eine wunderbare Zeugung hinweisen oder dergleichen, sondern meint einfach, dass man nie so ganz sicher sein kann, was die Väter betrifft. Es kann auch ein Hinweis darauf sein, dass die familiären Umstände in der Familie Jesu mindestens zur Zeit seiner Geburt nicht so ganz klar waren. Mehr nicht. Was man aber bei beiden Stammbäumen herauslesen kann, ist die Tatsache, dass Josef die Verbindung zu König David sichert, was den Evangelisten wichtig war, damit die alttestamentlichen Prophezeiungen, wonach der Messias aus dem Haus und dem Stamme Davids sein müsse, sonst nicht in Erfüllung gingen. Lassen wir jetzt das einmal beiseite und schauen, wie es mit Josef weitergeht. Er wird nun eindeutig als Verlobter Marias genannt, der feststellen muss, dass da irgendetwas gegangen ist. Nun steht er vor der schwierigen Entscheidung, was er tun soll. Er wird als gerechter Mann beschrieben, das heisst, er sucht einen Weg, wie er seine Maria vor einer Verurteilung schützen könnte, denn diese unerwartete Schwangerschaft würde ihr als Ehebruch ausgelegt und mit dem Tod bestraft. Josef zeigt keinerlei Zeichen von Wut oder Eifersucht, sondern sucht nur nach einer für alle gangbaren Lösung. Er will Maria gerade nicht bestraft sehen. Und da gab es damals nur den Weg, dass er die Verlobung auflöst. Er musste ja von sehr irdischen Vorgängen ausgehen. 4

Da erst bequemt sich der Himmel, Josef über seine Rolle aufzuklären. Und unter diesem Aspekt nimmt Josef die Aufgabe an, sich als leiblicher Vater Jesu auszugeben. Er akzeptiert aus Liebe zu Maria auch das Kuckuckskind. Da ist also schon sehr viel echte Liebe mit ihm Spiel. Und er sagt kein Wort - ein anderer hätte ziemlich ausgerufen. Josef will das im Stillen abmachen, er betrachtet diesen göttliche Eingriff, wir würde heute sagen „Missbrauch“, als seine private Angelegenheit und meidet deshalb jede Oeffentlichkeit, wohl wissend, dass diese nur Schaden brächte. Aber sehr göttlich und weihnächtlich ist der Himmel mit diesem Mann nicht umgegangen. Es geschieht mit Josef genau das, was aus der Ethik Jesu und auch der späteren christlichen Tradition heraus als verpönt gilt: Menschen für einen eigennützigen Zweck zu instrumentalisieren. Zu Rettung der himmlischen Gerechtigkeit ist noch zu sagen: dass es Matthäus mit seinem manipulierten Jesaja Zitat war, der aus einer „jungen Frau Maria“ die „Jungfrau Maria“ machte, Josef und dem Himmel dieses Schlamassel eingebrockt hat und Heerscharen von verschrobenen Theologen zu den hirnrissigsten Spitzfindigkeiten verleitete, die sich für Mann, Frau und Kind bis heute verheerend auswirken. Für zwei Sachen hat Josef ungefragt bereits gesorgt: dass Jesus einen richtigen Vater hat und dass er aus der Familie Davids abstammt. Und er hat ein eindrückliches Beispiel von treuer Liebe gegeben, indem er zu seiner Frau gehalten hat und sie unter keinen Umständen fallen lassen wollte. Er hat des weiteren seine Liebe auch da bewiesen, wo er Maria zu nichts drängte, bis sie ihren ersten Sohn geboren hatte. Mit ihr zusammen hatte er noch mehrere Kinder darunter auch Töchter. Solange er mit seiner Familie zusammen war, kann man Josef direkt als Vorbild für einen hingebungsvollen und umsichtigen Vater nehmen. Er ist im Uebrigen in der ganzen heiligen Familie der einzige, der einer Arbeit nachging. Josef wird so zum Inbegriff des langweiligen, gewöhnlichen Durchschnittsbürgers, der regelmässig arbeiten geht, für seine Familie sorgt und seine Steuern bezahlt - und das dankt man ihm damit, ihn nicht weiter zu beachten. Er kommt nur noch einmal prominent zum Zug, als es darum ging, dem Zugriff des Kindsmörders Herodes zu entfliehen, indem er seine Familie nach Aegypten in Sicherheit brachte. Ein letztes Mal erscheint er, als sein Sohn im Alter von zwölf Jahren einen Ausbruchsversuch machte und lieber mit den Gelehrten disputierte, als seinen Pflichten nachzukommen. Josef schweigt. Maria schimpft. Und dann verschwindet er in der Vergessenheit wie so viele andere, die nichts anderes tun, als sich zu bemühen, ihr Leben anständig, pflichtbewusst und treu zu führen ohne ein Aufhebens zu machen. Das gibt eben keine News und darum 5

gehen diese Menschen immer wieder vergessen oder werden als nützliche Idioten gebraucht und dann auf die Seite gestellt. Für Gewaltherrscher, Kriegsherren, Spekulanten, Eroberer und andere gibt es Denkmäler - nur für den einfachen Mann, der seinen Job macht, gibt es keines - ausser die Figur des Josef in der Krippe. Dafür ist er immer gut: den Kopf hinhalten für Entscheide, die andere treffen, Menschen zu bewahren, die in Gefahr sind, seinen Lebensunterhalt selber zu verdienen und sich im Uebrigen nicht vorzudrängen. Er lässt sich aus seiner eigenen Welt hinausdrängen und kommt so Gott ganz nahe, der seine Gegenwart und Nähe auch damit sichert, indem er sich nicht die Welt unter den Nagel reisst, sondern sich aus dieser Welt verdrängen lässt, um ohne Gewalt und Macht, Liebe, Wärme und Geborgenheit zu ermöglichen. Die Kirche hat es ihm nicht gedankt. Der Josefstag, der „Seppitag“ ist eher eine feuchtfröhliche Angelegenheit, aber immerhin ein Feiertag, an dem die anderen Josefs für einmal nicht krampfen müssen sondern in der Beiz hocken können. Nur im 19. Jahrhundert, als die Kirche bemerkte, wie sie ihre Gläubigen unter der Arbeiterschaft zu verlieren begann, besann man sich auf Josef und widmete ihm den 1. Mai als Tag von „Josef dem Arbeiter“. Genützt hat es nichts. Die Arbeiter wollten sich nicht mehr mit den Versprechungen auf ein besseres Jenseits zufrieden geben, sondern wollten dieses elende Diesseits in ein besseres verwandeln, um es mit Worten des Dichters Heinrich Heine zu sagen: „Den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen.“ Da wäre Josef wahrscheinlich nicht weit gewesen, wenn es so ums Konkrete ging. Noch ein letztes: Im Himmel hat man Wahlen abgehalten und alle wurden an die Urnen gerufen, die Engel, die Heiligen, die Seligen etc. Bei der Auszählung sah man, dass alle brav die CVP, die EVP und einige sogar die EDU gewählt hatten. Nur ein einziger Stimmzettel galt der PdA - den Kommunisten. Das gab einen gewaltigen Aufruhr und man suchte nach dem Sünder. Pfarrer Josef Zysiadis konnte es nicht gewesen sein, weil er im Welschland sein Leben weiterhin geniesst - aber Josef! Das war das Stichwort! Man stellte Josef zu Rede und der gab zum ersten Mal trotzig zur Antwort: „Jawoll. Das war ich. Und wenn es euch nicht passt, dann nehme ich die Frau und den Sohn aus dem Geschäft und dann könnt ihr mal sehen, wo ihr bleibt!“ Also mit Josef, dem stillen bescheidenen Mann ohne Worte, sollte man doch immer rechnen. Amen.

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