Joanna Golonka Werbung und Werte

VS RESEARCH

Joanna Golonka

Werbung und Werte Mittel ihrer Versprachlichung im Deutschen und im Polnischen

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Albrecht Greule

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Das Buch wurde begutachtet von: Prof. Dr. Ulrich Engel, Heppenheim Prof. Dr. Albrecht Greule, Universität Regensburg Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung.

1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Christina M. Brian / Dr. Tatjana Rollnik-Manke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16576-9

Im Andenken an Herrn Dr. Edmund Gruszka†, Neurochirurg an der Universitätsklinik in Kraków

Geleitwort

Werte und Werbung? Wie passt das zusammen? Sind wir doch geneigt, in der Werbung, der es um Konsummaximierung geht, keine ethische Normgebung zu vermuten. Ist diese Einstellung falsch? Kann die Forschung doch Werte in der Werbung entdecken? Und welche? Diesem Fragenkomplex, der die klassische Werbeforschung bei weitem übersteigt und in philosophische, ja religiöse Zusammenhänge hineinführt, widmet sich engagiert und couragiert Joanna Golonka im vorliegenden Buch. Bemerkenswert ist darüber hinaus nicht nur, dass eine polnische Nachwuchswissenschaftlerin sich der schwierigen Fragestellung annimmt, sondern auch dass sie sie methodisch im Vergleich „Werte in der deutschen Werbung – Werte in der polnischen Werbung“ angeht. Die Sache wird auch deshalb spannend, weil Werte ja nicht nur Kategorien der Ethik sind, sondern auch solche der Marktwirtschaft. Also stehen sich schon zwei Wertbegriffe gegenüber. Hinzu kommt ein dritter „Wert“, nämlich der der individuellen Wertorientierung, wie Liebe, Familie, Freiheit, Glück und anderes mehr. Joanna Golonka bringt Licht in das verschwommene Verhältnis von Werbung und Werten, indem sie Werte als Konzeptionen des Wünschenswerten, die unser Handeln beeinflussen, bestimmt. Oder einfach: Werte sind all das, was für einen Menschen oder eine Personengruppe wertvoll ist. Darauf muss die Werbung via Werbebotschaften eingehen. Trotz der großen Palette an Werten muss sich die Werbung aber auch auf den Wertewandel einstellen, zum Beispiel auf den „Wertewandelschub“ in den 1960er und 1970er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland. Bekommen wir so durch die Recherchen der Verfasserin im ersten Teil des Buches die Geschichte der Werte und ihres Wandels vorgeführt, geht sie für Polen davon aus, dass sich seit 1989 – geradezu dramatisch – ein Wertewandel in Form einer Abkehr von dem 200 Jahre wenig geänderten Wertesystem vollzieht. Für die Werbeschaffenden ist aber wichtig, dass sich die meisten der Werte mit dem Konsum in Verbindung bringen lassen und sie in Werbebotschaften umge-

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Geleitwort

münzt werden können. Dabei gilt es mindestens drei Perspektiven zu unterscheiden: Werbung mit Werten (z.B. Versprechen von Werten durch Kauf und Konsum einer Marke), Werbung für Werte („Non-Profit-Werbung“, z.B. evangelistische Werbung für den Glauben) und Werte durch Werbung (beeinflusst die Werbung Werthaltungen der Rezipienten? Macht Kaufkonsum glücklich?) Wichtig ist darüber hinaus, wie Menschen, z.B. Frauen, als Träger von Werten in der Werbung eingesetzt wurden und werden. Was veranlasst eine polnische Nachwuchsgermanistin, die 1967 geboren wurde und 1986 das Abitur machte, eine solche Untersuchung zu schreiben? Der wissenschaftliche Weg Joanna Golonkas wäre eigentlich durch die Magisterarbeit in Rzeszów zum Thema „Deutsche Modalitätsverben und ihre polnischen Entsprechungen“ (1991) und ihre Dissertation in Gdansk/Danzig zur Vererbung verbaler Valenzmerkmale in Nominalphrasen des Deutschen und des Polnischen (1998, gedruckt 2002) vorgezeichnet gewesen und hätte weiterführen können in Richtung auf den interessanten und unter sprachdidaktischer Perspektive wichtigen Bereich „deutsch-polnische Grammatik kontrastiv“. Doch nach mehreren Forschungsaufenthalten am Institut für deutsche Sprache in Mannheim, wo Joanna Golonka besonders von Ulrich Engel betreut wurde, führte sie ein Stipendium der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (1999–2000) und ein Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung (2003–2005) an die Universität Regensburg, wo sie nicht nur germanistisch und interdisziplinär forschte, sondern auch beeindruckend lehrte. In jenen Jahren stellte in Regensburg Nina Janich ihre Dissertation zu den Fachlichkeitskonzepten in der Werbung und ihr Arbeitsbuch „Werbesprache“ (1999) fertig, Janja Polajnar arbeitete an ihrer Dissertation zu Kinderwerbespots (2005) und Sandra Reimann begann mit ihrer Arbeit zur Mehrmedialität in der werblichen Kommunikation (2008). Wir dürfen heute vermuten, dass von der Regensburger Sprachgermanistik und den interdisziplinären Kontakten, die sie hier über die Fachgrenze hinaus knüpfen konnte, nicht unwesentliche Anregungen auf das nunmehr als Habilitationsschrift vorliegende Werk von Joanna Golonka ausgingen. Umgekehrt kann die Schrift jetzt auch als Anstoß und Ansporn für den Regensburger Verbund für Werbeforschung (RVW) dienen, der enge Kontakte zur Werbeforschung in vielen europäischen Ländern unterhält und sich anschickt, die Werbung interdisziplinär und europaweit als Kulturgut zu erforschen und darzustellen.

Geleitwort

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Wie sehr die vorliegende Arbeit aber auf die vorausgehenden, im engen Sinn sprachwissenschaftlich-grammatischen Forschungsleistungen der Verfasserin fußt, wird im zweiten Teil deutlich: Der zentrale Gegenstand der Analysen von Joanna Golonka sind nämlich die Werte, die in der Anzeigen- und Fernsehwerbung vermittelt werden, und ihre sprachlichen Ausdrucksformen. An Hand eines komplexen und differenten Korpus präsentiert sie in vorbildlich systematischer Weise die sprachlichen Ausdrucksformen von Werten, mit deren Einsatz sowohl in deutscher als auch in polnischer Sprache geworben wird. Der eigene „Wert“ dieses Buches liegt für die Wissenschaft darin, dass mit Hilfe der kontrastiven Methode Werbung und ihre Wertevermittlung durch Sprachen ins europäische Blickfeld gerückt werden. Man darf wünschen, dass Joanna Golonkas Buch nicht nur durch die zuständigen Wissenschaften rezipiert wird, sondern auch von Politikern, von der Werbewirtschaft und der breiten Öffentlichkeit gelesen wird und auf Zustimmung stößt – oder auch auf Widerspruch. Albrecht Greule

Vorwort

Denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein. (Lukas 12,34) Denn welchen Nutzen hätte der Mensch, wenn er die ganze Welt gewönne und verlöre sich selbst oder nehme Schaden an sich selbst? (Lukas 9,25)

Mit dem vorliegenden Buch, das einen Beitrag zum gegenwärtigen allgemeinen Wertediskurs darstellt, habe ich mich in Gebiete gewagt, die von meinen bisherigen eher syntaktisch orientierten Forschungsinteressen weit entfernt liegen. Auch wenn ich im Folgenden Werbung untersuche, bewege ich mich über den üblichen Rahmen einer solchen Untersuchung hinaus, indem ich eine kaum bekannte Form der „Werbung für Werte“ als Zusatzkorpus analysiere. Dazu, dass mein Vorhaben gelingen konnte, haben viele beigetragen. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank. In besonderer Weise möchte ich Herrn Prof. Dr. Ulrich Engel danken, der mich als Erster auf dieses neue Forschungsgebiet hinwies und mich bei meinen Bemühungen von Anfang bis Ende mit Rat und Tat und viel ermutigender Freundlichkeit begleitet hat. Eine ebenso freundliche und wohlwollende Ermutigung hat mir immer auch Herr Prof. Dr. Albrecht Greule entgegengebracht. Er hat mein damals noch sehr unreifes Projekt positiv begutachtet und mich für zwei Stipendienaufenthalte an seinen Lehrstuhl nach Regensburg eingeladen, wo ich unter besten Bedingungen das neue Gebiet ergründen konnte. Dort in Regensburg haben mich bei meinen Forschungen vor allem die regelmäßigen Werbekolloquien sehr bereichert, die Prof. Greule aus Anlass meiner Ankunft in die Wege geleitet hat. Besonders hilfreich waren für mich dabei die Gespräche mit Frau Dr. Nina Janich, inzwischen Professorin an der Technischen Universität Darmstadt, und später auch Gespräche mit Frau Prof. Dr. Christiane Thim-Mabrey und Frau Dr. Sandra Reimann. Bei der Erforschung der interdisziplinären Fragestellungen wurde ich in weiterführenden Gesprächen von vier Professoren der Regensburger Universität unterstützt, Prof. Dr. Bernhard Laux/Werteforschung, Prof. Dr. Rainer Gömmel/Wirtschaft, Prof. Dr. Alexander Thomas/Sozialpsychologie und Prof. Dr. Hans Gruber/Pädagogik, denen ich an

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Vorwort

dieser Stelle besonders danken möchte. Wertvolle praktische Hilfe bei den Analysen meines deutschsprachigen Korpus habe ich von meinen Regensburger Freundinnen Elisabeth Ahrens und Ruth Lang bekommen, denen ich ebenfalls herzlich danken möchte. Sehr dankbar bin ich auch meiner Rzeszower Kollegin und Freundin, Frau Prof. Dr. Mariola Wierzbicka, für ihre zahlreichen Anregungen bei der Übersetzung polnischer Werbesprüche ins Deutsche. Schließlich möchte ich auch der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften und der Alexander von Humboldt-Stiftung meinen herzlichen Dank aussprechen, weil ich nur dank den beiden von ihnen finanzierten Stipendienaufenthalten an der Universität Regensburg mein Projekt zu einem erfolgreichen Abschluss bringen konnte. Die Alexander von Humboldt-Stiftung partizipiert außerdem an den Kosten der Publikation des vorliegenden Buches. Joanna Golonka

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort ............................................................................................................. 7 Vorwort ............................................................................................................... 11 Inhaltsverzeichnis ............................................................................................... 13 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ................................................................ 17 1 Werbung in Deutschland und in Polen – eine Einleitung ........................ 19 1.1 Zum Begriff ‚Werbung‘ ....................................................................... 19 1.2 Meilensteine der Werbegeschichte....................................................... 21 1.3 Funktionen und Wirkung der Werbung ............................................... 23 1.4 Werbung in der BRD nach 1945 – die Trends ..................................... 29 1.5 Werbung in der DDR und in den neuen Bundesländern ...................... 31 1.6 Werbung in Polen – Geschichte und Gegenwart .................................. 34 2 Der interdisziplinäre Rahmen .................................................................... 43 2.1 Werbung als Marketingkommunikation – der marktwirtschaftliche Rahmen ........................................................ 43 2.2 Werbung und Werte als Teil der Kultur – der kultursoziologische Rahmen .......................................................... 50 2.3 Werbung als Beeinflussungsinstrument – werbepsychologische Aspekte ............................................................. 58 2.3.1 Der Kaufentscheidungsprozess ................................................. 59 2.3.2 Gestaltung von Werbung .......................................................... 63 2.3.3 Werbewirkung .......................................................................... 66 2.4 Werbung als Sozialisationsfaktor – pädagogische Aspekte ................. 67 3 Werte ............................................................................................................ 75 3.1 Werte als relevantes Kulturphänomen ................................................. 75 3.1.1 Werte als Thema der Wissenschaft ........................................... 75 3.1.2 Begriffsklärung und Abgrenzung von verwandten Begriffen ... 77 3.1.3 Merkmale der Werte ................................................................. 81 3.1.4 Wertekategorien ........................................................................ 84 3.2 Zur gegenwärtigen Lage der Werte ...................................................... 91

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Inhaltsverzeichnis

3.3

3.2.1 Wertewandel und Wertewandelsforschung............................... 91 3.2.2 Zur Entwicklung und gegenwärtigen Lage der Werte .............. 97 3.2.2.1 Zur Entwicklung und gegenwärtigen Lage der Werte in Deutschland ............................................ 99 3.2.2.2 Zur Entwicklung und gegenwärtigen Situation der Werte in Polen ..................................................... 114 3.2.2.3 Gegenwärtige Lage der Werte in Deutschland und in Polen – ein Vergleich ..................................... 119 3.2.3 Wertewandel und Konsum ...................................................... 131 Werte und Werbung ........................................................................... 137 3.3.1 Werbung mit Werten .............................................................. 137 3.3.2 Werbung für Werte ................................................................. 141 3.3.2.1 Soziales Marketing, soziale Werbung ....................... 142 3.3.2.2 Christliche evangelistische Traktate .......................... 146 3.3.3 Menschen in der Werbung ...................................................... 152 3.3.4 Werte durch Werbung ............................................................. 154

4 Ausdrucksformen von Werten in der Werbung – Grundlegung .......... 157 4.1 Allgemeines ....................................................................................... 157 4.2 Die Macht des Wortes oder das persuasive Potenzial der Sprache .... 158 4.2.1 Sprachwissenschaftliche Ansätze ........................................... 159 4.2.2 Persuasion ............................................................................... 160 4.2.3 Die Sprache der Persuasion .................................................... 162 4.2.4 Mittel der sprachlichen Persuasion ......................................... 163 4.2.4.1 Antike und moderne Rhetorik und ihre Anwendung in der Gestaltung von Werbebotschaften................... 164 4.2.4.2 Semantische Dichte ................................................... 172 4.2.4.3 Latente Wirkungsmittel in der Sprache ..................... 174 4.3 Ausdrucksformen von Werten in der Werbesprache.......................... 181 4.3.1 Werbesprache: Begriffsbestimmung und Charakterisierung .. 181 4.3.1.1 Zum Begriff ............................................................... 181 4.3.1.2 Werbesprache als Untersuchungsgegenstand ............ 185 4.3.2 Sprachliche Mittel zum Ausdruck von Werten ....................... 188 4.3.2.1 Einige terminologische Erklärungen ......................... 189 4.3.2.2 Die pragmatische Perspektive ................................... 191 4.3.2.3 Ausdrucksformen von Werten auf der Wortebene .... 196 4.3.2.4 Ebenenübergreifende Phänomene ............................. 210 4.3.2.5 Ausdrucksformen von Werten auf syntagmatischer Ebene ......................................................................... 233 4.3.2.6 Ausdrucksformen von Werten auf der Textebene ..... 276

Inhaltsverzeichnis

4.4

4.5

15

4.3.2.7 Ausdrucksformen von Werten in der Werbung – zum Forschungsstand ................................................ 298 Nichtsprachliche Ausdrucksformen von Werten in der Werbung ...... 299 4.4.1 Sprachbegleitende nonverbale Ausdrucksformen ................... 300 4.4.1.1 Nonvokale Mittel....................................................... 300 4.4.1.2 Vokale Mittel............................................................. 303 4.4.1.3 „Körpersprache“ ........................................................ 304 4.4.2 Visuelle Ausdrucksformen von Werten in der Werbung ........ 305 4.4.2.1 Klassifizierung und Charakteristik der Werbebilder . 306 4.4.2.2 Wertevermittlung mit Sprache und Bildern ............... 310 4.4.2.3 Beitrag der Farben zur Wertevermittlung in der Werbung .................................................................... 316 4.4.3 Akustische Ausdrucksformen von Werten in der Werbung .... 319 Zur Rolle der medialen Werbeform für die Wertevermittlung........... 322

5 Ausdrucksformen von Werten in der Werbung – Korpusanalyse ....... 325 5.1 Zum Korpus ....................................................................................... 325 5.2 Das Analysemodell ............................................................................ 328 5.2.1 Analyse der Wertevermittlung ................................................ 328 5.2.2 Analyse der Ausdrucksformen von Werten ............................ 331 5.3 Thesen ................................................................................................ 332 5.4 Ergebnisse der Korpusanalyse ........................................................... 334 5.4.1 Werte....................................................................................... 334 5.4.1.1 Im Hauptkorpus gefundene Werte............................. 334 5.4.1.2 Im Zusatzkorpus gefundene Werte ............................ 339 5.4.2 Ausdrucksformen der einzelnen Werte ................................... 339 5.4.2.1 Preis ........................................................................... 342 5.4.2.2 Wirtschaftlichkeit und verwandte Werte ................... 370 5.4.2.3 Qualitätswerte............................................................ 377 5.4.2.4 Bedürfniswerte .......................................................... 412 6 Zusammenfassung und Fazit.................................................................... 431 7 Literaturverzeichnis.................................................................................. 437

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Abbildung 2: Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19:

SINUS-Milieus Deutschland 2007 .......................................... 54 SINUS-Milieus Polen 2002 .................................................... 55 Wesensbestimmung der Werbung als Kommunikation .............. 25 Erziehungsziele nach FELDKIRCHER (1997) und HABEL (1985) . 70 Die MASLOWsche Bedürfnishierarchie ....................................... 89 Katalog der Werte (WEHNER 1996) und der soziokulturellen Orientierungsgrößen (BAU 1994) ................................................ 90 Hauptsächlich am Wertewandel beteiligte Wertegruppen (KLAGES 1984) ............................................................................ 95 Spezielle Tendenzen des Wertewandels nach HILLMANN (1986) .......................................................................................... 96 Stärker im Westen oder im Osten Deutschlands betonte Werte, nach SCHMIDTCHEN (1997) ........................................... 107 Marktstrukturanalyse (Allensbacher Werbeträgeranalyse), Stand: 1999 ............................................................................... 108 Erziehungsziele in Deutschland und in Polen ........................... 123 Relevanz verschiedener Faktoren für eine gute Ehe ................. 126 Vertrauen in öffentliche Institutionen in Deutschland und Polen ............................................................. 129 Einschätzung möglicher Veränderungen im Land. Europäische Wertestudie 1999.................................................. 131 Merkmale der formalen Ausdrucksmittel in der Werbung ....... 184 Pragmatisches Modell für das Werben ..................................... 193 Kommunikationspotenzial von Bildern und sprachlichen Texten .................................................................. 311 Bedeutungen der Haupt- und Nebenfarben (nach HELLER 2004 und SZCZSNA 2001) ................................ 318 Das Korpus ............................................................................... 326 Inhaltliche Gliederung der Traktate .......................................... 328 Die hier verwendete Wertekategorisierung ............................... 329

18

Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22: Tabelle 23: Tabelle 24:

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Katalog der potenziellen werblichen Ausdrucksformen von Werten....................................................................................... 331 Im deutschen Hauptkorpus gefundene Werte ........................... 335 Im polnischen Hauptkorpus gefundene Werte .......................... 335 Verteilung der Werte aus einzelnen Wertekategorien im Hauptkorpus .............................................................................. 337 Wichtige Wertekonstellationen in Werbemitteln des Hauptkorpus .............................................................................. 338

1 Werbung in Deutschland und in Polen – eine Einleitung

1.1 Zum Begriff ‚Werbung‘ Das hier interessierende Phänomen wurde im deutschen Sprachraum seit 18421 bis in die 60er Jahre des 20. Jhs. mit dem Ausdruck Reklame bezeichnet, welcher auf das lat. clamo, clamare (‚schreien, zurückrufen’ und ‚deutlich hinweisen, bezeugen’) und das frz. réclame (‚zurückrufen’ oder ‚mehrmals rufen’)2 zurückzuführen ist. Zunächst neutral gebraucht, durchlief das Wort etwa seit den 20er Jahren des 20. Jhs. allmählich eine Bedeutungsverschiebung ins Negative (marktschreierische, aufdringliche Werbung, vgl. BEHRENS 1970: 4) und wurde zugleich in seiner ursprünglichen Bedeutung weitgehend von der neueren Bezeichnung Werbung verdrängt.3 Heute gebraucht man den Ausdruck entweder eindeutig missbilligend oder als historisierende Bezeichnung für die (Wirtschafts-)Werbung früherer Zeit.4 Mit dem polnischen Wort reklama wird früher wie heute wertfrei das Phänomen Werbung bezeichnet. Der heute geläufige Ausdruck Werbung ist ein Verbalnomen zum Verb werben, das schon im Althochdeutschen (als (h)werban) bekannt war. Seine Bedeutung hat sich aus ursprünglich ‚sich drehen’ über ‚sich hin und her bewegen, geschäftig sein’ bis hin zu ‚sich um jdn./etw. bemühen‚ jdn. für etwas/eine Idee usw. 1 2 3

4

S. SCHMIDER (1990: 28). S. ebd. Weitere begriffsgeschichtliche Ausführungen sind zu finden in KLOEPFER/LANDBECK (1991: 55f.). Nach RÖMER (1980: 12) gibt es keinen Wesensunterschied zwischen den beiden Begriffen. DOMIZLAFF (1982: 55) dagegen erwähnt, dass die Worte Reklame und Werbung „einen Unterschied zwischen veralteten und modernen, groben und verfeinerten oder auch aufdringlichen und anlockenden Methoden der Publikumsbeeinflussung verdeutlichen“ sollen. Vgl. Titel von Büchern und Ausstellungen wie WEISSER, Michael (1985): Deutsche Reklame. 100 Jahre Werbung 1870-1970. Ein Beitrag zur Kunst- und Kulturgeschichte. oder REINHARDT, Dirk (1993): Von der Reklame zum Marketing: Geschichte der Wirtschaftswerbung in Deutschland.

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1 Werbung in Deutschland und in Polen – eine Einleitung

gewinnen’ oder ‚eine bestimmte Zielgruppe für etwas (besonders eine Ware, Dienstleistung) zu interessieren suchen, seine Vorzüge lobend hervorheben’ (vgl. PFEIFER 1997: 1557 und DUDEN 2001: 1802) entwickelt. Werbung ist ein komplexes Phänomen, sie unterliegt ständigen Veränderungen und Anpassungszwängen, ist von einer Vielfalt sozialer, individueller und kultureller Faktoren abhängig. Man kann die Werbung unterschiedlich definieren – vor allem je nach der wissenschaftlichen Disziplin, nach deren Gesichtspunkten man sie betrachtet: So vielfältig wie die wissenschaftlichen Zugänge zum Thema Werbung, so verschieden sind auch die Definitionen des Phänomens. Der Schwerpunkt der jeweiligen Definition hängt in entscheidendem Maße davon ab, ob man Werbung auf den wirtschaftlichen Bereich beschränkt oder aber auch andere Erscheinungsformen des Phänomens unter dem Begriff Werbung subsumiert. Als vordergründig erweist sich also die Differenzierung der Werbeformen nach dem Kriterium der Werbeobjekte. SCHWEIGER/SCHRATTENECKER (1995: 11) unterscheiden folgende Erscheinungsformen der Werbung: 1.

Werbung für politische Zwecke – politische Werbung (früher auch ‚Propaganda’)

2.

Werbung für wirtschaftliche Zwecke – Wirtschaftswerbung (früher auch ‚Reklame’) 2A) Werbung für wirtschaftspolitische Ziele eines Staates – wirtschaftspolitische Werbung 2B) Werbung für die Ziele eines Betriebes als Ganzes – Firmenwerbung 2C) Werbung für Teilfunktionen eines Unternehmens 2Ca) Werbung zur Förderung des Absatzes – Absatzwerbung 2Cb) Werbung zur Förderung der Beschaffung – Beschaffungswerbung 2Cc) Werbung zur Gewinnung von Mitarbeitern – Personalwerbung

3.

Werbung für religiöse und kulturelle Zwecke – religiöse und kulturelle Werbung

Die Menschen in Polen und in Deutschland (als potenzielle Konsumenten) verstehen üblicherweise unter Werbung die unter 2Ca) verzeichnete Absatzwerbung als die omnipräsente, penetrante Form des Phänomens, und zwar obwohl die Werbung durchaus auch in außerwirtschaftliche, ja private Bereiche Eingang gefunden hat. In der vorliegenden Arbeit sind mit dem Begriff Werbung prinzipiell

1.2 Meilensteine der Werbegeschichte

21

alle Formen werblicher Kommunikation gemeint, auch wenn vielen Fachtexten das enge Verständnis von Werbung als nur der absatzfördernden Wirtschaftswerbung zugrunde liegt. Es wird gegebenenfalls differenziert zwischen dem weiten Verständnis des Phänomens (Werbung i.w.S.) als „eines Instruments, um Menschen zu bestimmten freiwilligen Handlungen zu veranlassen, z.B. zum Kauf einer bestimmten Ware, zur Inanspruchnahme konkreter Dienstleistungen oder zur Unterstützung bestimmter Ideen, Aktionen bzw. Institutionen“,5 und der engen Auffassung der Werbung i.e.S. (der kommerziellen Absatzwerbung). Das weite Verständnis des Phänomens ist mit folgenden Argumenten zu begründen: 1.

Der Einsatz von Werten ist nicht auf die Absatzwerbung beschränkt; Werte werden – als Werbeversprechen und als Werbeobjekte – auch in der Nonprofit-Werbung thematisiert, die im Unterschied zu der kommerziellen Werbung mit Werten als Werbung für Werte bezeichnet werden kann (s. Kap. 3.3).

2.

Als Hauptkorpus der Arbeit wurden – im Hinblick auf ihr Thema – ganze Werbeblöcke und sämtliche Anzeigen in ausgewählten deutschen und polnischen Publikumszeitschriften untersucht.6 Darunter finden sich gelegentlich auch Beispiele der (sozialen) Nonprofit-Werbung. Ausschließlich nichtkommerzielle Werbemittel (sog. Traktate, s. 3.3.2.2) umfasst das Zusatzkorpus der Arbeit.

1.2 Meilensteine der Werbegeschichte Im Gegensatz zu dem relativ jungen Terminus Werbung hat das durch ihn benannte Phänomen eine sehr lange Geschichte. Geschichte der Werbung ist zugleich Geschichte der menschlichen Kultur (vgl. BUCHLI 1970: 11). Es soll hier nicht die ganze zeitliche Entwicklung der Phänomens beschrieben werden, sondern es werden vielmehr nur die einzelnen relevanten „Meilensteine“ der Werbegeschichte genannt. Darunter verstehe ich Ereignisse, Erscheinungen, Entdeckungen, die die Entwicklung der Werbung entscheidend vorangetrieben haben:

5 6

Vgl. GOLONKA (2005: 153), in loser Anlehnung an WÖHE (1990: 687). Näheres zur Korpuswahl s. im Kap. 5.1.

22

1 Werbung in Deutschland und in Polen – eine Einleitung

1.

Entstehung von Markt, Handel, Wettbewerb und deren Entwicklung

2.

Erfindung der Schrift

3.

Erfindung des Papiers

4.

Erfindung des Buchdrucks

5.

Entdeckung neuer Kontinente und Kolonisierung der Welt

6.

Entstehung der Post und anderer Formen der Verbreitung von Informationen

7.

Erfindung und Entwicklung von Flug- und Anzeigenblättern und Presse

8.

Entstehung und Entwicklung von Städten

9.

Entwicklung der industriellen Produktion, dann der Massenproduktion

10. Entstehung von Läden und dann Warenhäusern 11. Einführung der allgemeinen Schulpflicht 12. Bevölkerungszuwachs 13. Vielfältige technische Erfindungen, moderne Technologien 14. Erfindung und Entwicklung so genannter neuer Medien wie Rundfunk, Fernsehen, Internet 15. Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerung 16. Entwicklung und stetig wachsende Bedeutung des Dienstleistungssektors 17. Wertewandel und sozialer Wandel (s. Unterkap. 3.2.1) 18. Fall der Berliner Mauer und Anfänge der freien Marktwirtschaft in Mittelosteuropa 19. Globalisierung, Konzentration der Wirtschaftsmacht, informatische Vernetzung der Welt

1.3 Funktionen und Wirkung der Werbung

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1.3 Funktionen und Wirkung der Werbung Die zwei wichtigsten Funktionen der Werbung sind Kommunikation7 und Beeinflussung. Werbung als Kommunikation Die kommunikative Funktion der Werbung kann man weiter spezifizieren, vor allem je nach dem jeweiligen Rahmen konkreter Werbemaßnahmen.8 Als Kommunikation hat Werbung unter anderen folgende Teilfunktionen (s. BROCKHAUS, Bd. 24, S. 73): Bekanntmachungsfunktion (sie weist auf Produkte, Dienstleistungen oder Ideen hin), Informationsfunktion (sie weist auf Merkmale wie Produkteigenschaften, -qualitäten, -verwendung, -preise oder auf Tatsachen wie z.B. Bezugsquellen hin), Suggestionsfunktion (mit Sprache, Bildern, Farben, Musik setzt Werbung emotionale Kräfte frei, die dem Umworbenen den Eindruck vermitteln, mit dem Werbeobjekt den Zielen seiner Wunsch- und Traumwelt näher zu kommen), Imagefunktion (durch die werbliche Präsentation wird das Werbeobjekt positiv von den Konkurrenzprodukten abgehoben) und Erinnerungsfunktion (durch mehrfaches Wiederholen der Werbebotschaft ruft Werbung Gedächtniswirkungen und Lernprozesse bezüglich des Werbeobjekts hervor). Man könnte noch die Unterhaltungsfunktion hinzufügen. Eine pragmatische Betrachtung der kommunikativen Funktionen von Werbung macht klar, dass Kommunikation immer mehr ist als bloße Information.9 Der Rahmen, in dem jeweils die werbliche Kommunikation eingesetzt wird, kann sehr unterschiedlich sein, vom Marketingrahmen über Wahlkampagne, Vorbereitung unterschiedlicher Aktivitäten, Verbreitung gesellschaftsrelevanter Ideen bis hin zur Bekanntmachung verschiedenartiger Bildungs- oder Kulturangebote oder Verbreitung von bestimmten Weltanschauungen oder Meinungen. Bei der Größe Sender muss man im Falle der Werbung im Regelfall wenigstens zwischen Primärsender (der werbetreibenden Institution wie Wirtschaftsunter-

7 8

9

Werbung gehört zu den Maßnahmen der Kommunikationspolitik der Unternehmen. S. dazu Kap. 2.1. So kann eine konkrete Wirtschaftswerbung bald zum Ziel haben, ein neues Produkt einzuführen oder seine Bekanntheit zu erhöhen, bald mehr dem Aufbau oder der Festigung des Images des Unternehmens oder der Marke dienen (vgl. SCHWEIGER/SCHRATTENECKER 1995: 10). Das am häufigsten vorgebrachte Argument gegen die Werbung ist, dass sie sich nicht auf bloßes Informieren beschränkt.

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1 Werbung in Deutschland und in Polen – eine Einleitung

nehmen, politischen Parteien, einer sozialen Gruppe/Organisation oder auch Einzelpersonen) und Sekundärsender (Werbeagentur im Falle der Absatzwerbung, engagierte Volontäre im Falle der Nonprofit-Werbung) unterscheiden. Hinzu kommen die Presenter, welche in der jeweiligen Werbemaßnahme das Werbeobjekt anpreisen. Die anvisierten Empfängergruppen werden vor allem im Falle der Wirtschaftswerbung mit großem Aufwand und größtmöglicher Präzision ermittelt. Im Falle vieler nichtkommerzieller Werbemaßnahmen (also außerhalb der großen Bereiche der ökonomischen und der Wahlwerbung) handelt es sich um das mehr oder weniger gezielte Ansprechen der interessierten Personen beziehungsweise um Interessenweckung bei sonstigen Personen. Unter den Empfängern der Werbung ist jeweils die Rolle der Meinungsführer zu berücksichtigen, die die jeweilige Werbebotschaft meist erfolgreich weiterverbreiten. Die Empfänger vor allem kommerzieller Werbebotschaften bilden keine undurchsichtige Masse, sondern sind in der Regel in möglichst klar umrissene Zielgruppen segmentiert. Eine entscheidende Rolle bei der Wahl der Werbestrategie und bei der Gestaltung der Werbung spielt die Frage, ob es sich um ein stark oder schwach involviertes Publikum (s. 2.3.1) handelt. Dementsprechend werden auch die zu vermittelnden Werte ausgewählt. Die Werbebotschaft ist das zentrale Element der Werbung. Sie wird mit Hilfe von auffällig und meist auch sehr aufwändig gestalteten (massenmedialen) Werbemitteln verbreitet. Sehr wichtig ist ihre Gestaltung, die darüber entscheidet, ob sie überhaupt beachtet und wie sie entschlüsselt wird. Die Werbebotschaft muss so konzipiert und gestaltet sein, dass sie bei den anvisierten Zielpersonen ankommt und im Sinne des Werbetreibenden verstanden wird. Eben die Werbebotschaft soll die Werte und Wertvorstellungen der Zielpersonen möglichst reibungslos und überzeugend zum Ausdruck bringen und eine direkte Verbindung zwischen ihnen und den beworbenen Produkten oder Ideen herstellen. Die Tabelle 1 fasst die wesensbestimmenden Merkmale des Kommunikationsmittels Werbung zusammen. Die heutige Werbung ist gezwungen, als Kommunikationsmittel unter besonders ungünstigen Bedingungen zu agieren. Vor allem fungiert sie in den allermeisten Fällen als Massenkommunikation, d.h. indirekt und nur in eine Richtung. Zusätzlich benachteiligend für die Werbekommunikation sind die Situation des Infor-

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Merkmale

Mittel Sender anvisierte Empfänger

Ziel

Funktion

Rahmen

– geplant und absichtlich – ohne formellen Zwang – öffentlich und unpersönlich – in eine Richtung – indirekt – bezahlt – informativ und/oder suggestiv – Teil der Kultur – gesellschaftliches Phänomen – allgegenwärtig

Kommunikation, Kontaktaufnahme, Verbreitung von Informationen, Anpreisen von Waren/Dienstleistungen, Versuch der Beeinflussung von Bedürfnissen, Meinungen, Verhalten. Interesse wecken, Absatz steigern, zum „Kauf“ anregen, positive Einstellungen hervorbringen, Profite bringen. massenmediale, auffällig gestaltete Werbemittel Unternehmen – Werbeagentur - Presenter sozio- und psychografisch ermittelte Zielgruppen, Meinungsführer.

Absatzwerbung (Werbung i.e.S.) eine Funktion im Marketing-Mix, wirtschaftliches Phänomen unter Einsatz von psychologischen Erkenntnissen mit sozialen Auswirkungen.

Werbung i.w.S Rahmen unterschiedlich, gesellschaftliches Phänomen in mehr oder weniger eingeschränktem Maße, manchmal unter Einsatz von psychologischen Erkenntnissen, mit Auswirkung auf das Denken und Verhalten von Individuen und/oder Gruppen. Kommunikation, Verbreitung von Informationen, Anpreisen von Meinungen/Verhalten, Versuch der Beeinflussung von Bedürfnissen, Meinungen, Verhalten. Interesse wecken, Zum bestimmten Verhalten/zur Verhaltensänderung anregen, Meinungen, Haltungen, Einstellungen positiv beeinflussen. auffällig gestaltete Werbemittel (auch massenmedial) Nur im konkreten Fall spezifizierbar sozio- und psychografisch ermittelte Zielgruppen bzw. mehr oder weniger zufällig ausgewählte Zielpersonen oder bereits bekannte Personen; Meinungsführer – nicht immer geplant oder absichtlich – ohne formellen Zwang – öffentlich/unpersönlich oder individuell/persönlich – in eine Richtung oder als beidseitige Kommunikation – indirekt oder direkt – nicht immer bezahlt – informativ und/oder suggestiv – Teil der Kultur – gesellschaftliches Phänomen – allgegenwärtig10

Tabelle 1: Wesensbestimmung der Werbung als Kommunikation

1.3 Funktionen und Wirkung der Werbung 25

Zu weiteren wichtigen Merkmalen der (ökonomischen) Werbung s. Hennecke (1999: 21ff.).

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1 Werbung in Deutschland und in Polen – eine Einleitung

mationsüberflusses11 sowie der Pluralismus und Relativismus bezüglich jeglicher Meinungen, Anschauungen, Ideen und Botschaften, die eine kritische Haltung gegenüber jeder neuen Botschaft fördern. Aus diesem Grund geht es in der heutigen Werbung immer mehr darum, aufzufallen, zu gefallen, einzuwirken, zu der gewünschten Handlung zu bewegen, und zwar möglichst so, dass der Umworbene es gar nicht bewusst nachvollzieht oder reflektiert. Diesem Zweck dienen die vielen Strategien des emotionalen, erlebnisorientierten Marketing (s. Kap. 2.1). Ein jede Art Werbung begünstigender Umstand ist dagegen die in westlichen Gesellschaften verbreitete Orientierungslosigkeit, die unter anderem durch Pluralität und Relativität verschiedener Sinnangebote mit verursacht wird. In solch einer Situation versucht Werbung auch eine Orientierungsfunktion zu erfüllen, genauso wie ihre Objekte, seien es Produkte i.w.S. oder Marken.12 Nicht zuletzt die Werte (als soziokulturelle Orientierungsgrößen, s. BAU 1994), von denen die Werbung reichlich Gebrauch macht, sollen darin als Träger von Sinn und Orientierung fungieren und auf diese Weise der Übertragung der Orientierungsfunktion auf Produkte13 dienlich sein. Werbung als Beeinflussung Beeinflussung ist neben Information und Unterhaltung die dritte Funktion menschlicher Kommunikation (vgl. WEHNER 1996: 13). Beeinflussung oder wenigstens Beeinflussungsabsicht ist außerdem vielleicht das wichtigste Wesensmerkmal werblicher Kommunikation, die immer auf konkrete Wirkung abzielt.14 In den meisten Definitionen der Werbung, mit Ausnahme derjenigen, die eine partnerschaftliche Harmonie zwischen Sendern und Empfängern im marktwirtschaftlichen Kommunikationsprozess stilisieren,15 findet sich wenigstens ein allgemeiner Hinweis auf diesen Aspekt.

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Und der „Werbeflut“ im Besonderen. Mehr dazu s. in 3.2.2.1 und 4.1. In den viel beschworenen heutigen Informationsgesellschaften westlicher Prägung ist beinahe jede Art von Information, einschließlich der Informationen über das vielfältige Angebot von Industrie, Handel, verschiedenen Organisationen usw. ohne große Mühe jedem zugänglich. Angesichts dieses informativen Überangebots, dem wir heute ausgesetzt sind, nehmen wir dem Großteil neuer Informationen gegenüber eine Abwehrhaltung ein. Zur Orientierungsfunktion der Marken s. auch Kap. 2.1. Die Bezeichnung Produkte soll im Folgenden stellvertretend für Werbeobjekte aller Art stehen. Anderer Meinung ist HENNECKE (1999: 27), die sich unter anderen auf FRITZ (1994) bezieht. Vgl. dazu weiter unten in diesem Abschnitt. ZIELKE (1991: 29) bezeichnet sie als „unternehmensfreundlich“ im Gegensatz zu den „emanzipationsorientierten“ Definitionen. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Definition der Wirt-

1.3 Funktionen und Wirkung der Werbung

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Sehr oft wird der persuasiwe Charakter der Werbung explizit betont.16 Werbung gilt vor allem für mehrere polnische Autoren als persuasive Kommunikation schlechthin (vgl OÓG 2001: 104, SKOWRONEK 1993: 5, BRALCZYK 1996: 5). Dieselbe Auffassung vertritt nachdrücklich WEHNER (1996: 11f.), die Persuasion für das konstitutive Merkmal der Werbung hält. Besonders das sog. SozioMarketing und andere Werbung für außerwirtschaftliche Zwecke zielt auf Beeinflussung von Einstellungen und Verhaltensweisen (vgl. MOSER 2002: 16, s. auch Tab. 1). Mehr zur Werbung als Beeinflussungsinstrument s. im Kap. 2.3. Anderer Meinung – dass der persuasive Aspekt in der Werbesprache heutzutage, angesichts neuerer Entwicklungstendenzen und der Anwendung innovativer Werbeformen in den Hintergrund trete – ist HENNECKE (1999: 27). Folgende Fakten nennt sie (S. 32ff.) zur Begründung dieser These: 1.

Geänderte gesellschaftliche, wirtschaftliche und kommunikative Bedingungen wie gesättigte, weitgehend homogenisierte Märkte, das Kultmarketing und die gestärkte Rolle der Marken (als Mythen), Übergang von einer produzierenden zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft, von der Leistungs- zur Erlebnis-, Spaß- und Freizeitgesellschaft. Die Werber müssen beachten, dass die neue Generation der Konsumenten die Werbung anders betrachtet als frühere Generationen. Außerdem sind die Abwehrreaktionen gegenüber der Werbung eher gestiegen;

2.

Veränderungen des Stellenwertes der Werbung: von einem bloß „verlängerten Arm der Wirtschaft und einem unter vielen Instrumenten im MarketingMix zu einem komplexen gesellschaftlichen und individuellen Kommunikationssystem, das in vielfältigen Wechselbeziehungen mit anderen gesellschaftlichen Systemen und Sphären steht, von der Einweg-Kommunikation

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schaftswerbung von WÖHE (1990: 687), der sie auffasst als betriebswirtschaftliche Funktion im Marketing-Mix eines Unternehmens, die für die Kommunikation zwischen den Marktpartnern zu sorgen hat. Auf diese neutrale Weise definieren die Werbung auch viele polnische Arbeiten oder Wörterbücher, vgl. SZYMCZAK (1998, Bd. 3, S. 36), JACHNIS/TERELAK (1998: 16) usw. In diesen Definitionen wird Werbung als Verbreitung von Informationen über Waren und Dienstleistungen (seltener werden auch Ideen erwähnt) aufgefasst, also zumeist auf ihre wirtschaftliche Erscheinungsform beschränkt. Unter Persuasion versteht WEHNER (1996: 13) ein „zielgerichtetes, planmäßiges Handeln mit der erklärten Absicht einer Beeinflussung grundsätzlich eigenständig entscheidender Personen“, dessen freie Entscheidung in eine erwünschte Richtung gesteuert werden soll. Die Freiheit der Entscheidung unterstreichen die Werbefachleute, vgl. die Schriften von Volker Nickel (dem Vorsitzenden des Zentralverbandes der Deutschen Werbewirtschaft), z.B. NICKEL (1997: 24f.). Mehr zur (sprachlichen) Persuasion s. im Kap. 4.2.

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1 Werbung in Deutschland und in Polen – eine Einleitung

zum Dialog mit dem Kunden, woraus sich die Notwendigkeit ergibt, die Eigenheiten und Eigenschaften der Kommunikationspartner zu berücksichtigen. Werbung tendiere einerseits dazu, sich selbst zu einer autonomen sozialen Sphäre zu entwickeln, und durchdringe andererseits zunehmend andere Sphären des gesellschaftlichen Lebens (vgl. HUTH 1995: 26); 3.

Veränderungen in der Ermittlung, Definierung und Strukturierung der Zielgruppen;

4.

Veränderungen des Charakters und der Gestaltung der Werbung, unter anderem aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten, die die neuen Medien offerieren, innovative Werbeformen: Änderung des traditionellen Werbedesigns, Ästhetisierung der Werbung, Entwicklung neuer Formen wie z.B. der Eigenparodie, Self-referential advertising. Noch grundlegender ist der Profilwandel: An die Stelle einer objektiven trete eine psychologische (emotionale) Produktdifferenzierung, indem Zusatzwerte wie „Freiheit“, „Frische“ oder „Exklusivität“ vermittelt werden, Werte, die sich häufig mit den aktuellen „Trends“ in der Gesellschaft bezüglich Lifestyle und Lebensgefühl deckten.

Die genannten Veränderungen betreffen die westlichen Gesellschaften und ihre Werbung. Nach 1989 spiegeln sie zunehmend auch die gesellschaftliche und die Werberealität in Mittel- und Osteuropa (also auch in Polen und in den neuen Bundesländern) wider, wobei auch Differenzen im Vergleich zu Westdeutschland anzunehmen sind. Alle genannten Wandlungsprozesse sind Tatsachen von sehr großer Bedeutung. Allerdings widerlegen sie keinesfalls die These, dass werbliche Kommunikation in erster Linie auf Persuasion abzielt. Ganz im Gegenteil: Die neuen Entwicklungen erweitern eher das Beeinflussungspotenzial der Werbung und die gestiegene Konkurrenz legt es nahe, davon Gebrauch zu machen.

1.4 Werbung in der BRD nach 1945 – die Trends

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1.4 Werbung in der BRD nach 1945 – die Trends Mit der Gründung der BRD im September 1949 wurden die allgemeinen politisch-rechtlichen und ökonomischen Bedingungen für die Entwicklung der Werbung geschaffen. In den darauf folgenden 50er Jahren stand der Wiederaufbau der Wirtschaft im Vordergrund. Diese Zeit des Aufbaus einer stabilen sozialen Marktwirtschaft werden auch „Zeit der Fresswelle“ (BAU 1994: 85) oder „Jahre der Bescheidenheit“ (WILDT 1994: 74) genannt, wegen der geringen Kaufkraft der Bundesbürger, die das Meiste von ihrem Monatseinkommen für die Befriedigung der Grundbedürfnisse wie Nahrung und Kleidung ausgeben mussten. Das Werbevolumen in den Medien war noch bescheiden, Werbung selbst war kein Instrument der aktiven Verkaufsförderung, sondern diente eher der Imagepflege von Marken (s. WEHNER 1996: 119) oder beschränkte sich auf die Information, dass die Ware wieder zu haben ist.17 In Westdeutschland war es die Werbung – so DIESENER/GRIES (1992: 58) – , „die im großen Stile erstmals wieder einlösbare – und somit überzeugende Versprechen formulierte“. Produktvertrauen entwickelte sich zum Vertrauen in den Staat, in das System. Die dominierenden Werte waren Qualität, Leistung, Zukunftsoptimismus, Aufstiegsstreben und andere arbeitsbezogene Werte. Werbung war schon damals „Antreiber einer gewollten Entwicklung“ (BAU 1994: 86), was unter anderem die ersten beiden Lifestyle-Kampagnen von Coca-Cola (Mach mal Pause) und Peter Stuyvesant (Der Duft der großen weiten Welt) bezeugen, die rein intuitiv „den Zeitgeist vorwegnehmen“, ohne sich auf eine wissenschaftliche Erforschung der Lebensstile als Einflussfaktor des Marketing zu stützen, die erst Ende der 60er anfing. Im Laufe der 60er Jahre entwickelte sich die bundesdeutsche Gesellschaft zu einer Konsum- und Wohlstandsgesellschaft. Als neues Werbemedium mit großem Einwirkungspotenzial setzte sich in der Zeit das Fernsehen durch.18 Es herrschten Wachstum, Prosperität und unbeschwerter Optimismus; Werbung thematisierte in allen Schattierungen die Überfluss-Idylle. Als typisch amerikanisches Werbeversprechen kamen schon seit Ende der 50er Jahre „Convenience“ und Bequemlichkeit (WEHNER 1996: 121), hinzu. Am Ende der 60er Jahre begann langsam „die erste Ermüdung des Wachstums“ (BAU 1994: 88), es kamen die 17 18

Endlich wieder ... und dazu in Friedensqualität – hieß es in einer Anzeige aus dem Jahr 1949 für die Nivea-Zahnpasta (s. KRIEGESKORTE 1992: 19). Die Zahl der Fernsehgeräte erhöhte sich von 84.000 im Jahre 1955 auf 3,4 Mio. 1960, was eine Vervierzigfachung bedeutet (vgl. BAU 1994: 87).

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1 Werbung in Deutschland und in Polen – eine Einleitung

ersten Anzeichen eines gesättigten Marktes zum Vorschein. Für die Zukunft war man nun darauf angewiesen, von psychologischen und anderen Erkenntnissen Gebrauch zu machen, eine interdisziplinäre Werbeforschung zu betreiben, die Rezipienten mehr in das Blickfeld zu nehmen, sich an die veränderten Bedingungen (Werte- und Orientierungswandel, Änderung der Einstellungen zu Objekten und zu Konsum, Marktsättigung und -homogenisierung usw.) anzupassen.19 Die 70er Jahre bedeuteten eine Verabschiedung der Werbung aus dem realen Leben. Ungeachtet dessen, dass die Gesellschaft mit gewaltigen Problemen konfrontiert wurde (wie Ölkrise, wachsende Inflation, steigende Arbeitslosigkeit, Terrorismus, Umweltskandale), dass sich seit den Studentenunruhen von 1968 vor allem in den jüngeren Generationen Verunsicherung und Zweifel verbreiteten, zelebrierte Werbung weiterhin ihre heile Welt „der ewig währenden Prosperität“ und versuchte sie aufrechtzuerhalten. Auf die veränderte soziale Situation reagierte sie nur mit differenzierterer Marktsegmentierung, mit den Erlebnis-, Lifestyle- und Imagestrategien (s. Kap. 2.1). So griff sie ausschließlich die für sie günstigen sozialen Wandlungen auf und blendete die gesellschaftskritischen Aspekte vorerst völlig aus. Es ist ein Beispiel dafür, dass Werbung die sie begünstigenden Trends zu verstärken und voranzutreiben vermag. Als Werbemotive traten in den 70er Jahren Humor, Witz, (Selbst)Ironie, Jugend und Jugendlichkeit, Popkultur und Sexualität auf. Es wurden immer mehr hedonistische und individualistische sowie verschiedene Erlebniswerte in den Werbebotschaften vermittelt. Erst in den 80er Jahren fanden auch gesellschaftsrelevante Probleme allmählich Eingang in die Werbung: Umweltproblematik, Atomenergie, Fitness, gesunde Ernährung, soziale Rollen von Mann und Frau usw. Als wichtige Motive kamen auch Ästhetik, Design, Stil und Kultiviertheit hinzu.20 Man beobachtete einen Abschied von der traditionellen, produktorientierten Reklame. Vielmehr lieferte die Werbung nun verstärkt Orientierungsangebote und Lebensstilempfehlungen. Es wurden spezifische, erlebnisbetonte und emotionalisierte Markenwelten aufgebaut, immer mehr basierte auf Inszenierung, Lifestyle21 und entsprechender 19

20 21

Zu den genannten Bedingungen s. mehr in 3.2.2.1, 3.2.3 und 2.1. Ende der 60er Jahren gelingt es der Werbung allerdings noch, die aufkommenden realen gesellschaftlichen Probleme zu ignorieren. SCHULZE (1992: 13) konstatiert: Design und Produktimage werden zur Hauptsache, Nützlichkeit und Funktionieren zum Accessoire. Beispielsweise die Kampagnen von Camel und Marlboro.

1.5 Werbung in der DDR und in den neuen Bundesländern

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Atmosphäre. Diese Entwicklung setzte sich in den 90er Jahren und in den ersten Jahren des 21. Jhs. fort. Das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts war die Zeit des Globalismus, andererseits des Individualismus, die Zeit der Modestile und aggressiver Sexualität. Es wurden Bilder an der Grenze der Akzeptanz angeboten, die den Bruch mit gesellschaftlichen und politischen Tabus bedeuteten. Im Kampf um Aufmerksamkeit werden heute die Markenbotschaften in immer neuere Kontexte gestellt. Ein positiv einzuschätzendes Phänomen der letzten Jahre ist die non-profit- und social-Werbung Heute zählt nicht so sehr das WAS, sondern das WIE des Werbeangebots. Unternehmen positionieren sich auf immer engeren Märkten als emotional geladene Marken.22

1.5 Werbung in der DDR und in den neuen Bundesländern Im östlichen Teil Deutschlands wurde am 7.10.1949 die DDR gegründet, die als ein vorzeigbares Beispiel der Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus dienen sollte. Unter den Bedingungen einer zentralisierten Planwirtschaft und mangelnder Konkurrenz, der Zensur und allumfassender Kontrolle der Partei wurde dort die Werbung mit einem ganz anderen Selbstverständnis und mit anderer Zielsetzung betrieben. Dies gilt vor allem für das 1959 ins Leben gerufene Werbefernsehen (tausend teletips). Die Werbung brauchte in der DDR nicht den Absatz zu fördern, da dort die Nachfrage von Anfang an das Angebot überstieg, gegebenenfalls wurde sie allerdings zur Lenkung des Absatzes eingesetzt.23 Die Funktion der „sozialistischen“ Werbung bestand darin, ein Gegenbild zur westlichen Werbung zu sein, die sozialistische Lebensweise zu propagieren, die Stärke des Sozialismus zu zeigen (HENNECKE 1999: 57ff.). Sie war betont sachlich (hat nur über den Gebrauchsnutzen informiert), schlicht, wertfrei und ohne Vermittlung jeglichen emotionalen Zusatznutzens. Überhaupt spielte die Konsumwerbung in der DDR eine sehr bescheidene Rolle und wurde in der eigenen Be-

22 23

Zu den Wertetrends s. Kapitel 3.2. Wenn es z.B. an Eiern fehlte, wies man auf die Schädlichkeit von Cholesterin hin (s. BAU 1994: 276).

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1 Werbung in Deutschland und in Polen – eine Einleitung

völkerung wie in der BRD kaum bemerkt.24 Wie die Werbung, waren auch die DDR-Produkte grau, karg, seriös, „ohne Reizwäsche“.25 Man erwähnt manchmal (z.B. SCHMIDER 1990, BAU 1994) den hohen ethischen Anspruch der DDR-Werbung. Dazu wäre zu sagen, dass er wahrscheinlich bloß Konsequenz der Mangelwirtschaft, der unvermeidlichen Kargheit war, die man ideologisch zu begründen und gegen den verhassten Westen auszuspielen suchte. In der politischen sozialistischen Propaganda, die in der DDR die höchste Priorität hatte und die von den Aktivitäten der Staatssicherheit unterstützt wurde, scheute man sich nicht vor Lügen und Halbwahrheiten, Manipulation, Druck, Repressionen usw. Dass auch die DDR-Werbung durchaus die üblichen Ausdrucksformen verwendete, beweist SCHMIDERs (1990) vergleichende Analyse der Verwendung bestimmter rhetorischer Mittel in der Inlandswerbung und der Werbung für Exportprodukte in der DDR einerseits sowie in der BRD-Werbung andererseits. Der Autor konstatiert auf S. 88: Für die Auslandwerbung der DDR, also unter Konkurrenzdruck, verlieren die „hohen ethischen Prinzipien“ weitgehend ihre Gültigkeit (Emphase und Konkretisierung). Wo dies nur eingeschränkt oder gar nicht gilt, ist es nicht klar zu entscheiden, ob die jeweilige Figur tatsächlich aus „ethischen“ Gründen oder aus Gründen der Glaubwürdigkeit in Anbetracht der geringen Konkurrenzfähigkeit vermieden wird (zum Beispiel Anspielung, Vergleich oder Übertreibung).

Die ersten Jahre der DDR waren von der Massenflucht ihrer Bürger in die BRD geprägt. Sie fühlten sich abgeschnitten von dem wirtschaftlichen Aufschwung im Westen und litten unter dem Terror der SED. Der Bau der Berliner Mauer am 13.08.1961 machte dieser Fluchtbewegung ein abruptes Ende. Seitdem begann die Phase wirtschaftlicher und politischer Stabilisierung, die mit weitgehender Isolation der DDR-Bürger und der Abgrenzung von dem anderen Deutschland in mehrerlei Hinsicht einherging. Offiziell wurde deutlich Abstand von dem Wiedervereinigungsgedanken genommen und die These von zwei deutschen Nationen verbreitet. Man verneinte die Existenz einer „deutschen Identität“ und versuchte eine eigenständige sozialistische „Sprachkultur“ nachzuweisen (vgl. SCHMIDER 1990: 10f.). Die Menschen arrangierten sich unter diesen Umständen mit der Zeit immer mehr mit ihrem Staat. Im Land wurde das Neue Ökonomische System eingeführt, die DDR wurde noch mehr von der Sowjetunion abhän24 25

Ausnahme war die bereits erwähnte DDR-Fernsehwerbung. S. HENNECKE (1999: 59). Als „Reizwäsche“ ist eine imageaufbauende Verpackung zu verstehen.

1.5 Werbung in der DDR und in den neuen Bundesländern

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gig gemacht. Die Lebensbedingungen hatten sich vorerst um einiges gebessert. Man baute eine DDR-Identität auf, eine „Ziel-Mentalität“ oder „Zielkultur“, wie sie HENNECKE (1999: 48) bezeichnet: Man befand sich ständig auf dem Weg zur Erreichung eines Ziels. Jeder Lebensbereich war diesem Streben untergeordnet.26 GÖSCHEL (1994: 52) spricht von einer „Zerrissenheit zwischen Gestern und Übermorgen“ und „Verachtung der Gegenwart“, von dem Zwang, „immer in Bezug auf etwas anderes noch nicht Erreichtes leben zu müssen“. Weil diese „Zielmentalität“ zugleich zur ständigen Nichterfüllung beinahe verurteilt war, waren ihre Folge Gefühle von Unzufriedenheit und Scheitern.27 Auf der anderen Seite hatten die DDR-Bürger – abgesehen vom sog. „Tal der Ahnungslosen“, wie man im Volksmund den Raum um Dresden nannte, wo man kein Westfernsehen empfangen konnte – stets Einblick in die bundesdeutsche Warenwelt, sie konnten Werbung im Westfernsehen anschauen und rezipieren. Aufgrund der dort beobachteten Warenvielfalt waren sie von der Überlegenheit der freien Marktwirtschaft überzeugt (vgl. HENNECKE 1999: 62). Westdeutschland identifizierte man fast ausschließlich über seine Produkte, über Marken, die auch durch die Vermittlung entsprechender Werte zu Symbolen von Wohlstand und Prosperität, Solidität und Qualität sowie zum Sinnbild der Überlegenheit der Marktwirtschaft über die Planwirtschaft wurden. Dies verstärkte sich noch, nachdem 1976 der beliebte Werbeblock des DDR-Fernsehens plötzlich gestrichen wurde, was das Ende der Werbeepoche in der DDR markierte. Seitdem wurde die Anpreisung der sozialistischen Identität und Lebensweise zur nahezu alleinigen Werbeaktivität im sozialistischen deutschen Staat. Es war die Zeit, in der der Widerspruch zwischen den beworbenen und den real erhältlichen Produkten immer größer wurde. Insofern waren die in einer ganz anderen Realität aufgewachsenen Ostdeutschen nicht vorbereitet auf die nach dem Mauerfall am 9.11.1989 auf sie hereinstürzende Waren- und Werberealität, unerfahren im Umgang mit den neuen marktwirtschaftlichen Gesetzen. So konnte man zunächst eine Explosion von Enthusiasmus unter anderem auch für die Westprodukte, die auf einmal vollen Geschäfte und zugleich eine völlige Ablehnung der Ostprodukte beobachten. Endlich durfte man an dem Markt unbeschränkt partizipieren; in dieser Hin26

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Die andere „Grundbefindlichkeit“ in der DDR bezeichnen DIESENER/GRIES (1992: 61) als „Vergleichsmentalität“ und verstehen darunter die ständig angestellten Vergleiche mit dem anderen Deutschland, vor allem mit seiner Warenwelt. Dagegen spricht HENNECKE (1999: 49f.) in Bezug auf die BRD von einer „Gegenwartskultur“, vom „Abwenden von Gestern“ und festem Verankern in der Gegenwart, indem man die Segnungen des Heute konsumierte und genoss.