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Jim Kollins'

SHOTS Band 1

LESEPROBE

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INHALT Vorwort Kurzgeschichten 010 Die letzte Partie 025 Osterfeuer 036 Schnittblumen 041 Die schwarze Katze 048 Beach Savage Nachtgedanken 064 Urbaner Herbst 068 In zehn Jahren 070 Glück zu Leid 071 Grimms Perversionen: Rotkäppchen Fantasy, Horror & Science Fiction 078 Vom silbernen Zeitalter und von den Magierkriegen 091 Von der zweitjüngsten Göttin Bannung 098 Die Legende von der Borkensteiner Bestie 101 Pesht 104 Die Hexe 117 Fisch Fantasy Scripts 128 Der Brief der Nekromanten 135 Das Loch 154 Vision einer Seherin

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INHALT (Fortsetzung) Gedichte 158 Seelenlose Stümpfe 159 Tod 160 Die Nekropolen und der Gigant 162 Quell der Finsternis 164 Musensterben 166 Erinnerung an einen Toten

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Vorwort Dieser erste Band meiner „SHOTS“, wie ich meine Kurzgeschichten und Gedichte für gewöhnlich nenne, enthält eine kleine Auswahl dessen, was ich über viele Jahre hinweg (zumeist nach spontanen Einfällen) nieder geschrieben habe. Es handelt sich dabei um mal mehr und mal weniger persönliche Erzählungen, Ansichten oder Kommentare in Geschichten- und Gedichtform. Einige wenige dieser Geschichten habe ich in den vergangenen Jahren probehalber auf meiner Autoren-Webseite ausgestellt, um die Meinung meiner Leser hierüber zu erfahren. Die Resonanz war zumeist positiv und ich bekam einige Anfragen, ob ich nicht noch weitere meiner Geschichten online stellen könnte, was ich of verneint und manchmal mit einem „vielleicht“ beantwortet habe. Dieses Buch soll meine treuesten Fans und Freunde nun in zweierlei Hinsicht trösten. Einerseits, weil ich wegen anhaltender Babypause in diesem Jahr keinen neuen Roman herausbringe, andererseits, weil hiermit eine über-fällige kleine Geschichten- und Gedichtsammlung er-scheint, in der zum größten Teil unveröfentlichtes Mate-rial aus meinen bisherigen Schöpfungsepochen aber auch einige bereits bekannte „Klassiker“ enthalten sind. Da ich mir nicht vorstellen kann, dass diese Zusammenstellung für eine breite Leserschaf von Interesse ist, veröfentliche ich das Buch nicht unter einer ISBN-Nummer wie meine Romane, sondern ausschließlich auf meiner Autoren-Webseite. Ich wünsche all meinen Lesern schauriges Vergnügen mit dem vorliegenden Werk. Jim Kollins im November 2013 5

Kurzgeschichten

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Schnittblumen (April 2011)

Viertel nach fünf. Kein Sonnenstrahl in Sicht. Hauptkommissar Bumske hatte in den letzten vierundzwanzig Stunden nur ein paar Minuten geschlafen. Zu wenig, um sich von den Strapazen eines Tages und einer Nacht erholen zu können. Vorsorglich schluckte er eine Aspirin und packte die Zigarettenschachtel aus dem Handschuhfach in seine Jackentasche. Wer weiß wie lange das hier dauern wird. dachte er. Jemand klopfe an die Scheibe der Fahrertür. „Morgen, Chef.“ knurrte Wachtmeister Wariczek. „Keine schöne Uhrzeit für so einen Mist, aber wir haben jetzt eine Serie, schätze ich.“ Bumske stieg aus und streckte seine Glieder, bevor er sich umsah. Er befand sich in der Einkaufsmeile, die jeder Bürger der Stadt kannte. Ein Streifenwagen, ein Kleintransporter der Polizei und ein Lieferwagen mit der Aufschrif 'Blumen-Gröneke – da blüht dir was!' standen vor dem kleinen Blumengeschäf, das neben dem riesigen Warenhaus einer Kette etwas unscheinbar wirkte. Passanten sah er keine und der Eingangsbereich war bereits abgesperrt worden. So weit, so gut. dachte er, zog eine Zigarette aus der Tasche, klemmte sie zwischen die Zähne und zündete sie an. Wariczek, der sich wieder aufgerichtet hatte und den Hauptkommissar um zwei Köpfe überragte, räusperte sich. „Erkältet?“ nuschelte Bumske. 7

„Alles in bester Ordnung, Chef.“ erwiderte Wariczek und deutete auf die Eingangstür. „Wollen wir?“ „Nee.“ knurrte Bumske und sog Rauch in seine Lungen. „Aber müssen wir wohl.“ Gemeinsam gingen sie zum Geschäf hinüber. Ein junger Beamter vor der Tür, dessen Name Bumske gerade nicht in den Sinn kam, grüßte den Hauptkommissar füchtig. Als sie an ihm vorbei gehen wollten, hielt der Uniformierte sie auf. „Äh, an einem Tatort ist rauchen nicht erlaubt.“ sagte er und deutete auf die Zigarette, die Bumske zwischen Daumen und Zeigefnger der rechten Hand trug. Der Hauptkommissar rang sich ein müdes Lächeln ab und klopfe dem jungen Mann auf die Schulter. „Ich weiß.“ füsterte er zurück und folgte Wariczek nach innen. „Das ist der zweite Blumenladen, der erste war der in der Hansemann-Straße. Wir haben hier das gleiche Verbrechen, nur mehr Opfer.“ berichtete Wariczek knapp. „Scheiße.“ grummelte Bumske. „Dann werden wir ja bald einen Namen haben.“ „Einen Namen?“ „Ja, Presse und Autoren denken sich doch gern Namen für diese Knalltüten aus. Blumenladen-Mörder, Schnittblumen-Züchter, oder wie wär's mit 'Der Schnitter' oder 'Der Gärtner'? Das klingt gleich nach einem Krimi.“ „Naja …“ murmelte Wariczek und enthielt sich seiner Meinung. Stattdessen führte er den Hauptkommissar in das Innere des Geschäfes. Rechts und links säumten Aufauten und Regale voller Topfpfanzen den schmalen Raum. Weiter geradeaus mündete der Eingangsbereich in einen 8

großen, hell erleuchteten Raum, in dem es gelegentlich blitzte. Ofenbar war der Fotograf feißig. Der Anblick traf Bumske nicht unvorbereitet, denn noch immer sah er die Schweinerei in der HansemannStraße vor seinem geistigen Auge. Tatsächlich war der Mörder hier auf die gleiche Art und Weise vorgegangen. Entlang der Rückwand des großen Raumes, wo eine mit Haken ausgestattete Holzvertäfelung zahlreiche kleine und mit Grünpfanzen gefüllte Hängetöpfe hielt, hatte der Täter drei große, bauchige Tontöpfe aufgereiht. Anschließend hatte er seine Opfer nackt ausgezogen, dort hinein gestellt und sie an die Rückwand gebunden, damit sie nicht umfallen konnten. Dann hatte er ihnen die Beine unterhalb der Knie abgesägt, ihnen beim Sterben zugesehen und als sie zuguterletzt nur noch mit den Beinstümpfen im eigenen Blut gebaumelt hatten, hatte er an jedem Topf ein Schildchen befestigt, auf dem der Name einer Pfanze geschrieben stand. Bumske ging näher an die Töpfe heran, beugte sich vor und betrachtete die Zettel. „Fliegenpilz, Vogelbeere und Efeu.“ rezitierte Wariczek augenblicklich. Bumske nickte. „Gifiges Zeug.“ murmelte er, blickte auf und in die Gesichter der Toten, deren Köpfe schlaf herab hingen. Die Augen der Frauen waren noch geöfnet. „Der Kerl muss eine ordentliche Wut auf diese Mädels gehabt haben. Sind das alles Mitarbeiterinnen von dem Laden?“ „Die Inhaberin und zwei ihrer Angestellten.“ bestätigte Wariczek. „Wer hat sie gefunden? Und überhaupt: wieso um diese Zeit? So früh morgens ist doch normalerweise kein Angestellter eines Blumenladens auf den Beinen, oder?“ 9

Wariczek zog einen Notizblock aus der Brusttasche und blätterte darin herum. „Der Lieferant wollte gegen halb fünf eine Ladung Schnittblumen abliefern.“ sagte Wariczek. Bevor Bumske eine weitere Frage stellen konnte, fuhr der Wachtmeister fort. „Bald ist Ostern und die Blumengeschäfe haben mehr zu tun. Das ist ihre Saison und die meisten kleineren Läden schieben Überstunden, um den Kundenandrang bewältigen zu können. Der Lieferant hat ausgesagt, dass die Inhaberin und ihre Angestellten schon früh mit dem Binden von fertigen Blumensträußen beginnen wollten.“ Der Hauptkommissar gab sich mit dieser Erklärung zufrieden. Dann überlegte er, während er an seiner Zigarette sog und Asche in einen Blumentopf schnippte. „Aufälligkeiten? Foltermerkmale?“ „Nichts dergleichen. Nichtmal Würgemale oder Spuren von Handschellen. Wir schätzen, dass er sie erst, wie bei dem anderen Fall, mit einem Tranquilizer kampfunfähig gemacht und dann die Tat in aller Ruhe vollzogen hat. Sie müssen den Täter gekannt oder ihm vertraut haben, anders lässt sich kaum erklären, dass sie sich ihm quasi ausgeliefert haben.“ „Ok, das heißt mal wieder warten auf 's Labor. Was sagen die Spuren?“ „Der Tatort war sauber, keine Fußspuren, keine Fingerabdrücke. Der Täter hat sogar ordentlich gefeudelt, damit keine Spritzer zu sehen sind.“ Bumske sog ein letztes Mal an der Zigarette und drückte sie in einem Blumenkübel aus, der auf Augenhöhe hing. „Aber es gibt da noch etwas.“ fügte Wariczek hinzu. „Na?“ fragte der Hauptkommissar und gähnte. Allmählich freute er sich auf sein Bett. 10

„Diesen Ring haben wir da drüben auf dem Tresen gefunden. Sieht nach einem Ehering aus.“ Der Wachtmeister reichte Bumske eine kleine, durchsichtige Tüte, in der ein blanker, goldener Ring glänzte. Der Hauptkommissar erkannte ihn auf der Stelle, denn es war sein eigener. Unwillkürlich tastete er nach seinem Ringfnger, dann sah er auf und Wariczek in die Augen, der ihn anstarrte. „Na sowas.“ murmelte Bumske, zog den Ring aus der Tüte und steckte ihn auf den Finger. „Den hab ich wohl gestern beim Einkaufen hier verloren.“

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Nachtgedanken

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Urbaner Herbst (Herbst 2007)

Der Mond wirkt trüb. Obwohl der Himmel klar und frei von Wolken ist, kann sein Licht das der Stadt nicht übertrefen. Seine Konturen verschwimmen zu einer blassen, halbkreis-förmigen Masse in blau-schwarzer Unendlichkeit. Wo sind die Sterne? Es scheint als hätten sie sich zurück gezogen und wollen sich nicht zeigen. Manchmal zeigt sich ein kleines Licht hier und dort, doch möglicherweise ist dies nur die Signalleuchte eines Flugzeuges. Mein Blick wandert herab zu einem kleinen Waldstreifen. Eigentlich ist es nicht einmal das, eher eine absichtlich gepfanzte, wohlgeordnete Gruppe von Bäumen hinter einem weit ausladenden, kurz geschnittenen Rasen. Ihre lang gewachsenen Äste sind ineinander verzweigt, als wollten sie nacheinander greifen. Es scheint, als suchen sie geradezu die Nähe des Nächsten, wollen sich umarmen und festhalten, um nicht in Einsamkeit sterben zu müssen. Ihre Blätter sind längst welk und fallen herab, um mit einem leisen Seufzen den Boden zu küssen. Es weht kein Wind, doch man sieht ihnen ihre Schwäche an. Das Jahr ist hart zu ihnen gewesen. Ein verregneter Frühling, ein heißer Sommer, ein schwerer Sturm im Herbst. Kinder haben hier ihren Unrat zwischen den Stämmen entsorgt, ein Mann hat eine tote Frau im Plastiksack zwischen den Wurzeln vergraben. Jeden Tag und jede Nacht hat ihnen der Wind das Gif der Stadt zugetragen. 13

Sie sind traurig, alt und krank. Sie wünschen sich eine bessere Aussicht als die hohen, grauen und roten Fassaden von Altbauten. Die stehen dicht an dicht und umschließen den Park gnadenlos, eine tote Mauer, ein Gefängnis. Sie träumen von einer Zeit, in der ihre Vorfahren enger beieinander standen, so wie sie als Samen gefallen und dann als Schösslinge gewachsen waren, manchmal sogar die Stämme und Wurzeln umeinander geschlungen in zeitloser Liebkosung. Ich bemitleide sie, doch ich kann nichts für sie tun. Ich bin selbst nur eine Trauerweide, deren Äste längst gekürzt wurden, da sie über den Fußweg ragen. Es schmerzt, wenn die Männer kommen um zu sägen und zu brechen, doch ich ertrage es, denn gegenüber darf ich mit meinem hängenden Gezweig den kleinen See streicheln. Wenn die Enten kommen und hier und dort knabbern, kitzelt es sogar und ich muss lachen. Auch zu mir ist das Jahr hart gewesen, doch ich habe jederzeit soviel trinken dürfen, wie ich mochte. Ich bin stolz auf die Blüten, die ich im nächsten Jahr wieder zur Schau stellen werde und wenn sich dann und wann eine Biene zu mir verirrt, erinnert sie mich vielleicht an die Schönheit der Fortpfanzung. Nur das Fahrrad, das man mir vor die Wurzeln warf und das im schwarzen Wasser vor sich hin rostet, besorgt mich ein wenig. Vielleicht wird es mir nicht gut tun, von dem scharf schmeckenden Metall zu kosten?

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Aber vielleicht mache ich mir auch nur zu viele Gedanken. Wenn die Hunde kommen und an meinen Stamm urinieren, ist es jedes mal wie ein kleiner Hauch von Kraf den ich aufnehmen darf. Obwohl ihre Ausscheidungen ein herrlicher Dünger sind, haben sie doch längst einen Beigeschmack, den ich nicht mehr einordnen kann. Vielleicht liegt es daran, dass ihre Nahrung und Medikamente in den letzten Jahrzehnten so speziell geworden sind. Da kommt ein junges Paar heran geschlendert. Sie halten sich bei den Händen. Ich muss seufzen, denn ich vermisse eine Liebkosung wie die ihre, ich stehe ganz allein an meinem See und es geschah noch nie, dass jemand kam und meinen Stamm in seine Arme nahm, einfach weil er mich gern hatte. Ich sehe zu, wie sie sich küssen und näher kommen, unter meinen Ästen verweilen, mit denen ich sie vor fremden Blicken schütze. Es ist ein schöner Anblick, bis er ein Messer aus der Tasche nimmt. Er klappt es auf und das Mädchen lächelt erwartungsvoll. Dann beginnt er in meine Rinde zu schneiden. Es macht mir nichts aus, ich bin ohnehin verkrüppelt und wie sollte ich mich auch wehren? Mit seinem Werkzeug formt er ein Herz und ritzt dann die Zeichen K plus M hinein. Nach getaner Arbeit küssen sie sich abermals, bevor sie weiter gehen. Dann wird es plötzlich schwarz in den Häusern und auf den Wegen. Ein Stromausfall, scheint mir. So etwas passiert manchmal, alle paar Jahre. Ich wende meinen Blick nach oben, nutze die Gelegenheit. Es dauert einen Augenblick, doch dann sehe ich endlich die Sterne und der Mond tritt nun scharf wie eine wunderbar geformte, 15

wenn auch etwas zu dick geratene Sichel hervor. Von drüben, hinter der Wiese, vernehme ich ein erleichtertes Seufzen. Die Bäume sind froh, dies noch einmal gesehen zu haben. Vielleicht ist es für sie das letzte Mal.

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Gedichte

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Die Nekropolen und der Gigant (Oktober 2009)

Achtzehn sind wir, weit und breit, Stehen drüber, drunter, droben. Warten, dass das Tor entzweit, Dass unser Schicksal uns enthoben. Die Stimme singt so klar und hell, Ein Engelsgleiches Wesen. Ich zur Geliebten sie erwähl, So kann endlich ich genesen. Auf und Nieder schauen wir und bangen, Dass unser Herz zerrissen wird. In uns‘rem Leib die Toten sangen, Dass Leid und Trauer ward erhört. Ich kann nicht Fort, nicht Geh‘n. Gebunden an die heil‘ge Statt. Seh vorüber hier die Zyklen ziehn, Bis man mich erlöset hat. Nun ist‘s gescheh‘n, Die Zeit gekommen! Die Prophetin, sie hat uns geseh‘n, In Uns‘ren Leibern wird sie stehn, Das Schicksal wird entnommen!

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Nicht Zeit noch Müh sind hier von Wert, Bin nimmer ich allein. Der Lebenskelch sich weiter leert, Die Flut kommt, wäscht mich rein.

ENDE DER LESEPROBE

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