Jesus als der neue Tempel Joh 2,19

Gt 08020 / p. 725 / 1.10.2007 Jesus als der neue Tempel Joh 2,19 Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen wil...
Author: Ina Blau
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Gt 08020 / p. 725 / 1.10.2007

Jesus als der neue Tempel Joh 2,19 Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn ›auferstehen lassen.

Sprachlich-narrative Analyse (Bildlichkeit) Bei Joh 2,19 handelt es sich um die johanneische Variante des so genannten Tempelwortes Jesu. Dieses bildet den Höhepunkt der johanneischen Erzählung von der Tempelreinigung Jesu (Joh 2,13-22), welche im vierten Evangelium im Gegensatz zu den synoptischen Evangelien bereits am Beginn der öffentlichen Tätigkeit Jesu verortet wird. Der johanneischen Erzählung zufolge reiste Jesus im Anschluss an das in Kana vollbrachte Weinvermehrungswunder nach Jerusalem, um dort an den Passafeierlichkeiten teilzunehmen. Die Zustände im Tempelbezirk veranlassen Jesus dazu, die Händler samt den von ihnen angebotenen Opfertieren gewaltsam aus dem Tempel zu vertreiben. Diese Aktion provoziert eine Kontroverse zwischen Jesus und jüdischen Gesprächspartnern (Joh 2,18-20), die ein Legitimationszeichen Jesu fordern (V. 18). Jesus fordert sie dazu auf, den Tempel zu zerstören, damit er denselben in drei Tagen wieder errichten könne (V. 19). Die so genannten ›Juden‹ halten wiederum Jesus in Form einer rhetorischen Frage vor, wie unrealistisch sein Anspruch sei, den in langwieriger Arbeit erbauten Tempel in drei Tagen errichten zu können (V. 20). Mit dieser Angabe endet auf der textinternen Erzählebene die Kommunikation zwischen Jesus und seinen Kontrahenten. Es folgt ein für die johanneische Erzählstrategie typischer Kommentar (Joh 2,21 f.), welcher das theologische Anliegen des vierten Evangelisten zu Tage treten lässt. Der johanneischen Pneumatologie zufolge konnte erst nach der Auferstehung Jesu durch das Wirken des Heiligen Geistes erkannt werden, was die eigentliche Aussageintention des Tempelwortes Jesu war (vgl. die thematische Korrespondenz zwischen Joh 2,22 und Joh 16,4b-15). Aus diesem Grund modifiziert der vierte Evangelist das Tempelwort zu einem Bildwort, in welchem einzelne Facetten seiner Deutung des Todes Jesu zu Tage treten und durch welches Jesus als der neue Tempel bezeichnet wird. Diese Deutung lässt sich in nuce bereits an der Gestaltung von Joh 2,19 erkennen. Der Satz Jesu stellt eine Ereignisfolge aus Abbruch und Neubau vor Augen: Dabei ist vom Abbruch in Gestalt eines Imperativs an die Gesprächspartner die Rede, der Aufbau wird dann futurisch mit Jesus als Subjekt ausgesagt. Deutet bereits die Aufforderung zum Abbruch des Tempels, mehr noch ein Neubau in drei Tagen darauf hin, dass der Satz kaum wörtlich gemeint sein kann, so wird durch ein subtiles Wortspiel mit den unterschiedlichen semantischen Dimension des Begriffs ¥gefflrw (egeiro¯) die Übertragung vollends deutlich. Die synoptischen Korrespondenztexte zu Joh 2,19 sind von der Gegenüberstellung der Begriffe ›zerstören‹ (katalÐw kataluo¯) und ›auferbauen‹ (o§kodomffw oikodomeo¯) geprägt (zu Mk 14,57 f.; 15,29; Mt 26,60 f.; 27,39 s. u. die Erläuterungen der Parallelüberlieferungen zu Joh 2,19). Joh 2,19 verwendet hingegen die Kontrastbegriffe ›zerstören‹ (lÐw luo¯) und aufrichten bzw. auferstehen lassen ¥gefflrw (egeiro¯). Auch wenn 711

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¥gefflrw prinzipiell auch für die Errichtung von Bauwerken verwendet werden kann, so zeigt der joh Gebrauch des Verbs bei der Auferweckung des Lazarus (Joh 12,1.9.17) – ebenfalls mit Jesus als Subjekt –, dass der Evangelist auch in Joh 2,19 mit der Doppelsemantik spielt. Auch die überwiegende Begriffsverwendung in neutestamentlichen Texten, wo ¥gefflrw zumeist ein Auferstehungsgeschehen bezeichnet (allgemein zur Totenauferstehung vgl. Mt 10,8; Mk 5,41 par.; 1Kor 15,15-17.20.29.32 etc.; speziell zur Auferstehung Jesu vgl. Mk 16,6 par.; Lk 24,34; Mt 27,64; Röm 4,25; 6,4.9; 2 Kor 5,15 etc.), bestätigt diesen Befund. Allerdings bleibt Joh 2,19 insofern rätselhaft, als sich die Formulierung tŠn naŠn to‰ton (ton naon touton – diesen Tempel) ebenso wie das Pronomen a'tƒn (auton – ihn) im Folgesatz im Erzählkontext auf den realen Tempel beziehen muss. Erst durch den beigefügten Erzählerkommentar in Joh 2,21 f. wird die metaphorische Übertragung auf Jesus vollendet, was durch die explizite Applikation von ¥gefflrw (egeiro¯) auf Jesu Auferstehung in Joh 2,22 unterstrichen wird (vgl. Joh 21,14).

Sozialgeschichtliche Analyse (Bildspendender Bereich) Jesu Tempelaktion und Tempelwort stehen in einer langen Geschichte eines Ringens um eine angemessene theologische Bewertung und frömmigkeitspraktische Gestaltung des Tempelkultes. Der Tempel entwickelte sich bereits im Zuge der josijanischen Reformen (ca. 622 v. Chr.) zum Zentrum jüdischer Kultpraxis und auch zur Zeit des zweiten Tempels (ab 538 v. Chr.) nahm seine Bedeutung für die jüdische Frömmigkeit nicht ab. Unter Herodes dem Großen (Regierungszeit 37 – 4 v. Chr.) gewann der Tempel eine zusätzliche Anziehungskraft und Faszination, da durch eine Vergrößerung des Tempelareals immer mehr Pilgern der Zugang zum jüdischen Zentralheiligtum ermöglicht wurde (freilich ist der in Joh 2,20 vorliegende Verweis auf eine 46-jährige Bauzeit historisch nicht präzise, da die Umbauarbeiten bereits ca. 20 bzw. 19 v. Chr. begannen und sich bis ca. 63 n. Chr. erstreckten [vgl. R. Zimmermann 2004a, 367]). Eine starke Frequentierung erfuhr der Tempel nicht nur während der drei großen jahreszyklischen Wallfahrtsfeste (Mazzotfest, Wochen- und Lesefest, Laubhüttenfest), sondern z. B. auch zum Passafest (vgl. Mk 14,1 f. par.; Lk 2,41-43; Joh 2,13; 12,20 etc.). Es kann kaum verwundern, dass bei der Vielzahl von Wallfahrern der Bedarf entstand, im Tempelareal Opfertiere kaufen zu können. Dass eine derartige Frömmigkeitspraxis theologischen Protest provozieren konnte, dokumentiert sich nicht erst in der Tempelaktion Jesu. Während bereits vor der Zerstörung des salomonischen Tempels die Opferpraxis im Jerusalemer Heiligtum zum Gegenstand scharfer prophetischer Kritik werden konnte (vgl. v. a. Jer 7,30; 19,4; 32,34), so war auch der zweite Tempel keineswegs nur ein einheitsstiftendes Identitätsmerkmal des nachexilischen Judentums. Bereits der Bau des Tempels (520-515 v. Chr.) verschärfte die Spannung zwischen Samaria und Judäa derartig massiv, dass es zu der Errichtung eines ›Konkurrenzheiligtums‹ auf dem nahe Sichem gelegenen Berg Garizim kam. Auch wenn letzteres bereits um ca. 129/128 v. Chr. zerstört wurde, waren die Spannungen zur Zeit Jesu noch deutlich spürbar (vgl. die Anspielung in Joh 4,20-24). Entsprechend dokumentiert die Zehnwochen-Apokalypse, die zeitlich etwas jünger ist als das Danielbuch und somit die Existenz des zweiten Tempels voraussetzt, die Hoffnung auf einen Neubau des Tempels, in welchem eine angemessene Kultpraxis stattfindet (zu entsprechenden 712

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Bestrebungen einer Reform des Tempelkultes vgl. Jub 1,17.27-29; 23,21; 4QFlor I,1-5; 11QTR XXIX,9 f. etc.; ausführlich hierzu Ådna 2000, 25-50). Parallel zu diesen kultkritischen Traditionen entwickelten sich unterschiedliche Formen einer Tempelmetaphorik bzw. einer Spiritualisierung herkömmlicher Tempelvorstellungen. Inwieweit diese Traditionen ebenfalls für die johanneische Gestaltung des Tempelwortes Jesu aufschlussreich sind, soll im Folgenden dargestellt werden.

Analyse des Bedeutungshintergrunds (Bildfeldtradition) Für die Entwicklungsgeschichte frühjüdischer und frühchristlicher Tempelmetaphorik kommt v. a. dem sogenannten Verfassungsentwurf Ezechiels eine besondere Bedeutung zu (Ez 40-48). Der Autor des Ezechielbuches stammte wahrscheinlich aus priesterlichen Kreisen und wirkte bereits seit ca. 593 v. Chr. im babylonischen Exil. Nach der Katastrophe der Zerstörung des salomonischen Tempels entwickelte er sukzessive seine Vision eines neuen Tempels (Rudnig 2000, passim). Auch wenn seine tempeltheologischen Ausführungen sicherlich die Hoffnung auf eine Restitution des Jerusalemer Heiligtums propagierten, inspirierten sie unterschiedliche Konzepte einer Spiritualisierung herkömmlicher Deutungen des Tempels (zum Spektrum entsprechender Konzepte vgl. Ådna 2000, 50-89; Böttrich 1999, 411 ff.). Derartige Vorgaben prägten auch die frühchristliche Tempelmetaphorik. Während z. B. Paulus noch während der Existenz des zweiten Tempels den menschlichen Leib bzw. die Gemeinschaft der Glaubenden als »Tempel Gottes« bzw. des Heiligen Geistes (1Kor 3,16; 6,19; vgl. 2Kor 5,1 dtpaulin. dann Eph 2,22) bezeichnen konnte, so gestaltete der Verfasser der Johannesapokalypse seine Vision des himmlischen Jerusalem konsequent vor dem Hintergrund der tempeltheologischen Konzeption von Ez 40-48 (zu diesen traditionsgeschichtlichen Bezügen vgl. Böttrich 1999, passim; Bachmann 2004, 61-83). Eine kreative Aufnahme entsprechender Traditionen lässt sich auch bei der johanneischen Tempelmetaphorik und der johanneischen Gestaltung des Tempelwortes Jesu erkennen (generell hierzu Coloe 2001, 65-84, Kerr 2002, passim). Indirekt zeigt sich dies z. B. in dem für die johanneische Eschatologie konstitutiven Motiv der so genannten reziproken Immanenz von Gott, Jesus und den Glaubenden, die nur vor dem Hintergrund des Motivs der Einwohnung und Präsenz Gottes im Tempel angemessen verstanden werden können (vgl. Joh 1,14; Rahner 1998, passim; Scholtissek 2000a, 23 ff. bzw. 75 ff.), ferner auch an der Gestaltung des zehnten Kapitels, in welches verschiedene Anspielungen auf die erste Tempelszene in Joh 2,13-21 eingearbeitet werden (zu den tempelmetaphorischen Zügen von Joh 10 vgl. R. Zimmermann 2004a, 363-367, zu entsprechenden Aspekten des Abschiedsgebets Jesu in Joh 17 vgl. zudem Kerr 2002, passim). Besonders deutlich treten diese Bezüge in dem Lebenswasserwort in Joh 7,37-39 zu Tage, dessen Gestaltung und narrative Einbettung von einer subtilen Aussage geprägt sind. Der vierte Evangelist verortet die zwischen Joh 7,14 und Joh 8,59 erzählten Kontroversen zwischen Jesus und unterschiedlichen jüdischen Gesprächspartnern im Jerusalemer Tempel. Das Lebenswasserwort Joh 7,37 f. erfährt zudem eine chronologische Verortung (vgl. Joh 7,37a: ›Am letzten, dem großen Tag des Festes …‹). Diese Angabe spielt auf einen traditionellen jüdischen Festritus an, demzufolge auf dem Höhepunkt des Laubhüttenfestes eine rituelle Wasserspende vollzogen wurde (Schnelle 3 2004, 148). Das Lebenswasserwort ist somit nicht nur im Jerusalemer Tempel verortet, sondern impliziert auch die 713

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Botschaft, dass Jesus der neue Tempel Gottes ist. Traditionsgeschichtlich betrachtet weist Joh 7,37-39 nämlich eine deutliche Affinität zu Ez 47,1-12 auf. In dieser Facette des Verfassungsentwurfs Ezechiels wird betont, dass von dem neu errichteten Tempel ein Wasserstrom ausgehen wird, der allen Kreaturen Leben und Heilung schenkt. In Joh 7,39 wird der Lebenswasserstrom mit dem Heiligen Geist identifiziert, der in der nachösterlichen Zeit von Gott und Jesus zu den Glaubenden gesendet wird. Entsprechend kann Jesus als der Spender eines ›lebendigen Wasser‹ bezeichnet werden, das eine bleibende Stillung menschlichen Durstes schenken kann (Joh 4,13-14). Und dass Jesus sich selbst als den neu errichteten Tempel Gottes versteht, von dem dieses Lebenswasser ausgeht, wird von dem vierten Evangelist indirekt bereits in seiner Modifikation des Tempelwortes angedeutet (Joh 2,19-22). In dieser Hinsicht ist es durchaus gerechtfertigt, die tempelmetaphorischen Züge des vierten Evangeliums als einen, wenn nicht den zentralen Aspekt der johanneischen Bildlichkeit zu verstehen (so Busse 2002, 314-361; zustimmend aufgenommen R. Zimmermann 2004a, 367).

Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Wie kreativ der vierte Evangelist mit den ihm zur Verfügung stehenden Vorgaben umzugehen weiß, zeigt sich noch deutlicher, wenn man die weiteren frühchristlichen Varianten des Tempelwortes Jesu betrachtet. In der frühchristlichen Evangelienliteratur lassen sich neben Joh 2,19 drei weitere Varianten des Tempelwortes Jesu beobachten. Die erste Variante begegnet in der markinischen und matthäischen Passionserzählung. Mk 14,57 f.; Mt 26,60 f. zufolge traten im Prozess gegen Jesus Zeugen auf, die ihm unterstellten, dass er den Tempel abreißen und in drei Tagen wieder errichten wollte. Entsprechend wird in beiden Evangelien erzählt, dass dem am Kreuz hängenden Jesus von Passanten vorgehalten wird, dass er für sich in Anspruch genommen hätte, den Tempel abreißen und wieder aufbauen zu können, sich aber selbst aus dieser Situation am Kreuz nicht befreien könne (Mk 15,29/ Mt 27,39). Ein weiteres Proprium dieser ersten Variante einer Gestaltung des Tempelwortes Jesu besteht darin, dass lediglich attestiert wird, dass Jesus über die Zerstörung und den Wiederaufbau des Tempels gesprochen haben soll – es wird aber nicht erwähnt, wo bzw. bei welchem Anlass er dies tat. Dass z. B. zwischen dem Tempelwort und der so genannten Tempelaktion Jesu ein Zusammenhang besteht, wird nicht herausgestellt. Die zweite Variante des Tempelwortes Jesu begegnet im lukanischen Geschichtswerk. In der lukanischen Prozessdarstellung wird der Vorwurf völlig ausgeblendet, dass Jesus von der Zerstörung und Wiedererbauung des Tempels gesprochen haben soll. Eine Anspielung auf diese gleichermaßen kultkritischen wie politisch brisanten Worte fehlt ebenso in der weiteren lukanischen Passionserzählung, obwohl dieselbe den markinischen und matthäischen Fassungen prinzipiell nahe steht (ebenso wie in Mt 27,40b/ Mk 15,30a wird in Lk 23,37c der gekreuzigte Jesus von Passanten aufgefordert, dass er sich selbst retten soll – der Verweis auf das Tempelwort wird aber ausgeblendet). Dass der Verfasser des lukanischen Geschichtswerks Traditionen über das Tempelwort Jesu kannte, zeigt sich in seiner Darstellung des Prozesses gegen Stephanus (Apg 6,14). Auch in diesem Erzählzusammenhang wird von vermeintlichen Falschzeugen ausgesagt, dass Stephanus gesagt hatte, Jesus wolle ›diese Stätte‹ zerstören und die mosaischen Ordnungen verändern. Im Gegensatz zu den markinisch-matthäischen Texten wird somit lediglich 714

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von einer Zerstörung des Tempels gesprochen und nicht von dessen Neuerrichtung. Für diese Differenz zwischen der markinisch-matthäischen und lukanischen Variante gibt es konträre Erklärungsversuche. Einerseits kann die lukanische Gestaltung des Tempellogions als eine bewusste »inhaltliche wie stilistische Glättung« verstanden werden (so Rahner 1998, 300). Diesem Ansatz zufolge erklärt sich die Auslassung des Tempelwortes aus Mk 14,58 in der lukanischen Passionsgeschichte aus den christologischen Aussageintentionen des dritten Evangelisten, der eine mögliche politische Anstößigkeit der Botschaft Jesu abschwächen möchte. Die verkürzte Aufnahme von Mk 14,58 in Apg 6,14 resultiere aus dem Faktum der Zerstörung des Tempels im jüdischen Krieg, aufgrund derer die Verheißung einer Restitution des Tempels nicht mehr aufrechterhalten werden konnte. Im Gegensatz hierzu wird in einem zweiten Erklärungsansatz die Meinung vertreten, dass die Warnung vor der Zerstörung des Tempels allein auf Stephanus zurückzuführen sei. Die lediglich bei Markus und Matthäus tradierte Verheißung eines Wiederaufbaus stamme demgegenüber von Jesus (Hooker 1988, 16). Eine solcher Interpretationsansatz konnte jedoch zu Recht kaum Zustimmung erfahren, da er nicht erklärt, warum in der markinisch-matthäischen Variante die Zerstörungs- und Neuerrichtungsaussage untrennbar miteinander verschränkt sind. Eine solche Differenzierung wirkt vielmehr wie eine theologisch motivierte Entschärfung des Tempelwortes, durch welche eine mögliche politisch-revolutionäre Dimension der Worte Jesu abgeschwächt wird. Diese Einschätzung gewinnt weiter an Gewicht, wenn man den dritten und vierten Typus einer Gestaltung des Tempelwortes in die Diskussion einbezieht. Diese bieten nämlich jeweils Reminiszenzen zu den zuvor skizzierten Texten, die nun in der Tat als Aussagen Jesu gestaltet sind. Die dritte Variante des Tempelworts begegnet im Thomasevangelium (vgl. EvThom 71: Jesus spricht: »Ich werde [dieses] Haus [zerstören], und niemand wird es [wiederum] erbauen können.« NHC II,2 p. 45,34 f.: [peje is {=Jesus} je tinasˇorsˇr mpeie¯i awo¯ mn laaw nasˇkotf nkesop]). Wie im lukanischen Geschichtswerk wird auch im Thomasevangelium lediglich von einer Zerstörung gesprochen. Es wird sogar eigens betont, dass niemand das zerstörte Haus wieder erbauen kann. Im Gegensatz zu Mk 14,57 f.; 15,29; Mt 26,60 f.; 27,39; Act 6,14 ist EvThom 71 allerdings nicht als eine Verleumdung, sondern in der Tat als ein Wort Jesu gestaltet. Allerdings wird nicht von der Zerstörung des Tempels, sondern von der Zerstörung eines Hauses gesprochen. Was jedoch in diesem Kontext mit ›Haus‹ gemeint ist, bleibt spekulativ. Viele Ausleger, die die Ansicht vertreten, dass das Thomasevangelium verhältnismäßig alte Jesustraditionen erhalten hat, halten EvThom 71 für eine, wenn nicht gar die älteste Traditionsstufe des Tempelwortes Jesu. Es stamme aus einer Zeit, in welcher Jesus noch nicht die Konfrontation mit der Jerusalemer Priesteraristokratie gesucht habe. Die politische Brisanz dieses Logions sei erst entstanden, als es auf den Jerusalemer Tempel bezogen wurde (Crossan 1994, 470-472). Demgegenüber wird in Interpretationsansätzen, die im Thomasevangelium eine gnostische Modifikation frühchristlicher Traditionsbestände erkennen, EvThom 71 vor dem Hintergrund einer gnostischen Verhältnisbestimmung von Leib und Seele interpretiert. Die Vernichtung des Hauses umschreibe somit schlicht die Vernichtung des Körpers Jesu (vgl. Popkes 2005c, 517-520). Die johanneische Gestaltung des Tempelwortes Jesu unterscheidet sich deutlich von den zuvor betrachteten Korrespondenztexten. Die erste grundlegende Differenz be715

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steht darin, dass im Gegensatz zu allen weiteren Entwürfen das Johannesevangelium eine historische Verortung des Tempelwortes bietet. Bereits dieses Detail ist für sich genommen betrachtet aufschlussreich, da die Zuordnung der Tempelreinigung und des Tempelwortes eine hohe historische Plausibilität besitzt (Theißen 3 1989b, 142-159). Die zweite Eigentümlichkeit besteht darin, dass der johanneische Jesus in der Tat selbst zur Zerstörung auffordert. Im Gegensatz zu den synoptischen Korrespondenztexten spricht der johanneische Jesus aber nicht davon, dass er selbst den angesprochenen Tempel zerstören wird. Er fordert vielmehr seine textinternen Kontrahenten dazu heraus, dies zu tun. Für sich selbst nimmt er lediglich in Anspruch, jenen Tempel wieder errichten zu können. Wie bereits angesprochen endet die Kontroverse zwischen Jesus und seinen jüdischen Gesprächspartnern auf der textinternen Gesprächsebene in Joh 2,20. Ebenso wie in den synoptischen Korrespondenztexten wird das Tempelwort Jesu in dieser Kommunikation zunächst auf den Jerusalemer Tempel bezogen. Genau dieser Aspekt wird in Joh 2,21 jedoch als Missverständnis gekennzeichnet. In Form eines für die narrative Gestalt des Johannesevangeliums typischen Erzählerkommentars wird nämlich hervorgehoben, dass Jesus nicht von dem Jerusalemer Tempel gesprochen habe, sondern von dem Tempel seines Leibes. V. 22 führt die johanneische Relativierung dieses Phänomens fort, insofern nun konstatiert wird, dass die Jünger sich nach Jesu Tod an jenes Wort erinnert haben (Joh 2,22a). In diesem Motiv treten die Grundzüge der johanneischen Hermeneutik eindrücklich zu Tage. Eine zentrale Aussageintention der johanneischen Abschiedsreden besteht in der Feststellung, dass Jesus seinen Jüngern nach seinem Weggang den Parakleten senden wird, welcher die Jünger an die Worte Jesu erinnert und ihnen überhaupt erst ein angemessenes Verständnis der Botschaft Jesu ermöglichen wird (vgl. v. a. Joh 14,26). In diesem Sinne propagiert der vierte Evangelist die Überzeugung, dass Jesus nicht von der Zerstörung des Jerusalemer Heiligtums sprach, und führt die Kontroversen um das Tempelwort Jesu auf ein Missverständnis zurück. Im Sinne seiner pneumatologischen Konzeption vertritt der vierte Evangelist die Überzeugung, dass erst nach dem Tod und der Auferstehung Jesu erfasst werden konnte, welche theologische Bedeutung das Tempelwort hatte. Er gestaltet das umstrittene Tempelwort Jesu um und formt es zu einem Bildwort, welches nun zu einer Deutekategorie des Todes und der Auferstehung Jesu wird. Und im Gesamtzusammenhang der johanneischen Deutung des Todes Jesu gewinnt das Tempellogion neue Aussagedimensionen, welche nicht aus den traditionsgeschichtlichen Vorgaben von Joh 2,19 hergeleitet werden können. Einerseits wird auf diese Weise markant zur Geltung gebracht, dass der johanneische Jesus sich bereits zu Beginn seiner öffentlichen Tätigkeit dessen bewusst ist, dass er hingerichtet werden wird. Andererseits wird impliziert der göttliche Vollmachtsanspruch formuliert, welchen der johanneische Jesus für sich in Anspruch nimmt. Während bereits in Joh 2,19b implizit hervorgehoben wird, dass Jesus an seiner eigenen Auferweckung aktiv beteiligt ist, so betont der johanneische Jesus im Zusammenhang seiner Selbstprädikation als der gute Hirte, dass er selbst sein Leben hingibt und es sich selbst wieder nehmen wird (Joh 10,18). Und darüber hinaus impliziert Joh 2,19 im Sinne der antidoketischen Aussageintention des vierten Evangelisten eine positive Aussage über die somatische Dimension der Existenz Jesu, insofern auch der Körper Jesu als Tempel und somit als heilig bezeichnet wird. Und in dieser Hinsicht entspricht die Gestaltung von Joh 2,19 vielen weiteren Facetten der johanneischen Erzählung der Worte und Taten Jesu, in denen der vierte Evan716

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gelist ebenfalls dazu bereit ist, die ihm vorgegebenen Traditionen im Sinne seiner christologischen und pneumatologischen Konzeptionen grundlegend umzugestalten.

Zusammenfassende Auslegung (Deutungshorizonte) Joh 2,19 bringt symptomatisch zur Geltung, was der vierte Evangelist als erzählender Theologe leistet. Joh 2,19 bietet eine Form des Tempelwortes Jesu, in der die historischen Gegebenheiten sicherlich nicht objektiv zu Tage treten, welche ihnen aber partiell näher steht als die synoptischen Varianten bzw. EvThom 71. Der vierte Evangelist verschränkt das Tempelwort mit der Tempelaktion Jesu und räumt ein, dass es sich bei dieser Tradition nicht nur um eine Verleumdung handelt. Allerdings treten an der Ausgestaltung dieser Tradition die hermeneutischen Prinzipien und die theologische Aussageintention des Verfassers des Johannesevangeliums zu Tage. Im Sinne seiner hochchristologischen Aussageintention vertritt der vierte Evangelist die Ansicht, dass Jesus nicht von der Zerstörung des Jerusalemer Heiligtums sprach, und führt die Auseinandersetzungen mit dem Tempelwort Jesu auf ein Missverständnis zurück. Erst nach der Auferstehung Jesu konnte durch die Wirkung des Heiligen Geistes erkannt werden, was die eigentliche Aussageintention des Tempelwortes Jesu war. Der vierte Evangelist formt das Tempelwort um zu einem Bildwort, in welchem einzelne Facetten seiner Deutung des Todes Jesu zu Tage treten. Der johanneische Jesus deutet somit bereits am Anfang seiner öffentlichen Tätigkeit an, dass er hingerichtet werden wird. Zugleich wird jedoch implizit die göttliche Vollmacht umschrieben, welche der vierte Evangelist Jesus zugesteht, insofern bereits Joh 2,19 andeutet, dass Jesus an seinem eigenen Auferstehungsgeschehen beteiligt ist. Zudem wird im Sinne der inkarnationstheologischen Aussageintention des Johannesevangeliums angedeutet, dass auch der Körper Jesu an seiner göttlichen Herrlichkeit partizipiert. Die johanneische Variante des Tempelwortes bereitet somit vor, was in Zusammenhang des Lebenswasserwortes (Joh 7,37-39) und der Aussagen über die reziproke Immanenz von Gott, Jesus und den Glaubenden ausgeführt wird (Joh 14,23 f.; 15,9; 17,26). Jesus ist der neue Tempel, in welchem Gott und Mensch einander begegnen. Diese Facetten johanneischer Theologie verfolgen jedoch nicht nur eine christologische, ekklesiologische und präsentisch-eschatologische Aussageintention. Auch wenn die Gemeinschaft der Glaubenden sich bereits als Ort der Gegenwart Gottes und Jesu verstehen darf, werden die Glaubenden die Erfüllung ihrer Erlösung erst dann erreicht haben, wenn sie in die endgültige Gemeinschaft mit dem Auferstandenen und Gott eingehen (Joh 14,1-4). Das Motiv der Wohnungen (monaffl monai), die Jesus als der Sohn Gottes bei seinem Vater für die Glaubenden bereiten möchte (Joh 14,2 f.), kann nur vor dem Hintergrund der tempelmetaphorischen Züge des Johannesevangeliums bzw. deren traditionsgeschichtlichen Hintergründen angemessen verstanden werden. Sie symbolisieren die vollendete Gottesgemeinschaft der Glaubenden, deren Existenz in der gegenwärtig erfahrbaren Welt nach wie vor von Angst und Bedrängnis geprägt ist (vgl. Joh 14,1; 15,18-25; 16,33; zu den Hintergründen von Joh 14,2 f. vgl. McCaffrey 1988, passim; Frey 1998, 317-331 bzw. den Kommentar zu Joh 14,1-4 in diesem Kompendium).

Enno Edzard Popkes

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Parabeln im Johannesevangelium

Literatur zum Weiterlesen J. Ådna, Jesu Stellung zum Tempel: Die Tempelaktion und das Tempelwort Jesu als Ausdruck seiner messianischen Sendung, WUNT II/119, Tübingen 2000. U. Busse, Die Tempelmetaphorik als ein Beispiel von implizitem Rekurs auf die biblische Tradition im Johannesevangelium, in: C. M. Tuckett (Hg.), The scriptures in the gospels, BEThL 131, Leuven 1997, 395-428. M. L. Coloe, God dwells with us. Temple symbolism in the fourth gospel. Collegeville 2001. J. Frey, Die johanneische Eschatologie. 2. Das johanneische Zeitverständnis, WUNT 110, Tübingen 1998. A. R. Kerr, The Temple of Jesus’ Body: The Temple Theme in the Gospel of John, JSNTSS 220, Sheffield 2002. A. J. Köstenberger, The Destruction of the Second Temple and the Composition of the Fourth Gospel, TRINJ 26 (2005), 205-242. J. McCaffrey, The house with many rooms. The temple theme of Jn. 14,2-3, AnBib 114, Roma 1988. K. Paesler, Das Tempelwort Jesu: Die Tradition von Tempelzerstörung und Tempelerneuerung im Neuen Testament, FRLANT 184, Göttingen 1999. E. E. Popkes, Die Umdeutung des Todes Jesu im koptischen Thomasevangelium, in: J. Frey/ J. Schröter (Hg.), Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, WUNT 181, Tübingen 2005, 513-543. J. Rahner, »Er aber sprach vom Tempel seines Leibes: Jesus von Nazaret als Ort der Offenbarung Gottes im vierten Evangelium, BBB 117, Bodenheim 1998. U. Schnelle, Die Tempelreinigung und die Christologie des Johannesevangeliums, NTS 42 (1996), 359-373. G. Theißen, Die Tempelweissagung Jesu. Prophetie im Spannungsfeld von Stadt und Land, in: ders., Studien zur Soziologie des Urchristentums, WUNT 19, Tübingen 3 1989, 142-159. R. Zimmermann, Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Die Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10, WUNT 171, Tübingen 2004.

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