Je schneller desto besser?
Mediale und personale Kommunikation in der Psychosomatischen Medizin Prof. Claus Buddeberg Zürich Rheinfelder Tage 01.04.2011
CB ZH
E-mails von gestern: -
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[email protected] : PREIS HAMMER: Vivanza, der günstige PDE-5Hemmer für die Schweiz
[email protected] : Schicken Sie mir Rezept für Ritalin, ich laufe auf dem letzten Zacken…
[email protected]: Billigflug nach New York, heute noch buchen!
[email protected]: Behandlungsdaten Praxis bis 31.03.11 schon eingegeben?
[email protected]: Neue Faltwand für Praxis ist da, wann kann sie montiert werden?
[email protected] : Bitte um Notfallkonsultation, mein Mann hat eine Freundin
[email protected] : Termin für Zahnbehandlung am 3.4.11 ist ok
Vier Fünftel der menschlichen Kommunikation besteht aus Geschwätz
Stanislaw Lem, polnischer Schritsteller
Je schneller desto besser?
Grundeigenschaften menschlicher Kommunikation Kommunikationsformen in der Medizin Personale Kommunikation Mediale Kommunikation Geschwätz und Dialog in der Medizin
Grundeigenschaften
Man kann nicht nicht kommunizieren Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und Beziehungsaspekt Kommunikationsabläufe definieren Beziehungen Kommunikation bedient sich digitaler und analoger Modalitäten Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind symmetrisch oder komplementär
Formen der Gesundheitskommunikation
Direkte Personale Kommunikation
Kommunikation über interaktive Medien
zwischen Arzt und Patient, Tendenz Zwischen Gesundheitsprofessionellen und Patienten, Tendenz
Kommunikation über Massenmedien
Eindirektional über Fernsehen und Internet; Tendenz
Arzt
Patient
Was soll wann, wie, zwischen wem kommuniziert werden?
Informationsgewinnung ?
Marketing
Zielsetzungen der Gesundheitskommunikation
Werbung Psychotherapie
Informationsvermittlung
Beziehungsgestaltung APB
Gesundheitsförderung
Beratung Begleitung
Virtuelle Gesprächspartner in der Spitzenmedizin SÄ: Spezialärzte/-ärztinnen
PFP: Pflegefachpersonen
AD: Administrat. Personal
MPB: Med. Partnerberufe
SÄ
PFP
AD
MPB AA
Pat.
F
MPat F: Forschende POL: Politiker
POL
B
MPat.: Mitpatienten B: Besucher
Virtuelle Gesprächspartner in der Hausarztmedizin SÄ: Spezialärzte/-ärztinnen
FA: Familienangehörige
FG: Fachgesellschaft
VE: Virtuelle Experten
SÄ
FA
FG VE HA
Pat.
FMH
FHM: Ärztegesellschaften VT: Versicherungsträger
KM VT
GI
KM: Komplementärmediziner GI: Gesundheitsindustrielle
Personale Kommunikation
Merkmale (1)
Absprache von Ort und Zeit der Teilnehmenden erforderlich Verbale und averbale Informationsübermittlung gleichzeitig Averbale Mitteilungen (Mimik und Gestik) sind potentiell mehrdeutig Vertraulichkeit möglich Kongruenz bzw. Diskrepanz zwischen verbaler und averbaler Kommunikation wahrnehmbar
Personale Kommunikation
Merkmale (2)
Informationsaustausch simultan auf drei Kanälen (Kognition, Emotion, Verhalten) Interaktionelle Beziehungsgestaltung Korrigierende emotionale Beziehungserfahrungen möglich Fördert bzw. behindert Vertrauensbildung
Missverständnis ist die häufigste Form menschlicher Kommunikation
Peter Benary, deutscher Musikwissenschaftler
Fallvignette A „Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich meiner Mutter die Hälfte meiner Leber spenden soll oder nicht“ 22-jährige Frau, deren 55-jährige Mutter sich in einem lebensbedrohlichen Leberkoma befindet
Fazit 1 Personale Kommunikation in der Form eines A-P-Dialoges wird heute u.a. erschwert durch …… -
anonyme virtuelle Gesprächsteilnehmer Menge und Komplexität der Informationen Erwartungs- und Zeitdruck zunehmendes Misstrauen in zwischenmenschlichen Beziehungen
Mediale Kommunikation
Merkmale (1)
Von Ort und Zeit unabhängig Rasch über grosse Distanzen möglich Zahl der potentiellen Teilnehmenden unbegrenzt Grössere Anonymität von Sender und Empfänger
Mediale Kommunikation
Merkmale (2)
Informationsmenge potentiell unbegrenzt Emotionale Mitteilungen werden „digitalisiert „(sind damit manipulierbar) Informationsaustausch vorwiegend auf einem Kanal (Kognition) „Industrialisierte Kommunikation“ verändert unser Denken
Gesundheitskommunikation über interaktive Medien Beispiel E-Health
(Kacher, Wiest & Schumacher, 2000)
Veränderung unseres Denkens durch das Internet ? (F. Schirrmacher FAZ 8.1.2010)
Das Internet verändert jeden Aspekt des Denkens von Menschen: Ihre Wahrnehmung, ihre Aufmerksamkeit, ihr Gedächtnis, ihre Sprache, ihre Kreativität u.v.m. (Geoffrey Miller, Evolutionspsychologe) Die Informationsverschmutzung hat viele scheussliche Nebenfolgen (Nassim N. Taleb, Risk Engineer) Für jedes allgemein akzeptierte Wissenspartikel, das ich finde, ist sofort jemand zur Hand, der es in Abrede stellt. Jede Tatsache hat eine Gegentatsache……Ich bin mir zunehmend über gar nichts mehr sicher (Kevin Kelly, Editor des Magazins WIRED)
Veränderungen des Denkens durch das Internet? (2)
Statt auf eine Frage oder Intuition zunächst ziellos in meiner eigenen Unwissenheit herumzustochern, fange ich gleich damit an, etwas zu tun. Ich reagiere heute auf Ideen, bevor ich über sie nachdenke (Kevin Kelly; Editor des Magazins WIRED) Ich bin geübter darin geworden, durch die Stromschnellen des Netzes zu steuern, doch hat meine Fähigkeit, mich für längere Zeit auf eine Sache zu konzentrieren, stetig nachgelassen …..Unser Denken wird seichter, während wir uns ans Netz anpassen (Nicholas Carr, Wissenschaftspublizist) Das Internet stellt unsere kognitiven Funktionen um. Von der Informationssuche in unserem Kopf auf die Informationssuche ausserhalb unseres Kopfes (Gerd Gigerenzer, Psychologe)
„Informationsmüll“ in der heutigen Medizin
Versprechungen von fragwürdigen Experten (Internet, E-health-Provider) Leistungsdokumentation an Stelle vertrauensvoller Kommunikation Gleichbehandlung von Mini- u. Maxi-Befunden Viele informieren, einige lesen, wenige überlegen, jeder weiss es besser Viele sind zuständig, niemand ist verantwortlich
Mediale Arzt-PatientKommunikation Die modernen Nachrichtenmittel bürden uns mehr Probleme auf, als die menschliche Natur aushalten kann Anne Morow Lindbergh, amerikanische Schriftstellerin
Fallvignette B
Ich bin schwer krank, ich brauche bald eine halbe Leber! LG Harald
Fazit 2 Mediale Kommunikation ist u.a. ungeeignet zur/für ……. - Übermittlung schlechter Nachrichten - Kompromissfindung bei Meinungsdifferenzen - Lösung von Konflikten - hypothetische Interpretationen - Aufbau/Pflege vertrauensvoller Beziehungen
„Gretchenfrage 1“: Wer kommuniziert mit wem, wo, über was, zu welchem Zeitpunkt, mit welchem Medium, in welcher Absicht, auf welches Ziel hin? J. Pollok 1952, Convergence
Welche Information wird von wem (nicht) aufgenommen, weitergeleitet, beantwortet, interdisziplinär und interprofessionell (nicht) diskutiert und in koordiniertes therapeutisches Handeln (nicht) umgesetzt?
„Gretchenfrage 2“
Auf dem Bildschirm herrscht heute Gestammel, das die gemeinschaftliche Kommunikation zerstört
Edgar Reitz, deutscher Regisseur
Mediale und personale Kommunikation Fragen an die Psychosomatische Medizin
Wo liegen Grenzen der medialen Kommunikation in der Medizin und in der Arzt-PatientBeziehung? Welche Informationen sollten in jedem Fall personal kommuniziert werden? Partnerschaftliche Beziehungsgestaltung mittels personaler Kommunikation oder Instrumentalisierung von Beziehungen mittels medialer Kommunikation?
Die höchste Form der Kommunikation ist der Dialog
August Everding, deutscher Regisseur und Intendant