UNIVERSITÄT
ERFURT



 


STAATSWISSENSCHAFTLICHE
FAKULTÄT
 STUDIUM
FUNDAMENTALE
 „ITALIEN
‐
POLITIK
UND
GESELLSCHAFT
IM
FILM
“
 DOZENTEN:
DR.
CHRISTIAN
GRYWATSCH
UND
PROF.
DR.
MICHAEL
STRÜBEL




Italien


Widerstand
und
Kriegsende
 ‐ schriftliche
Ausarbeitung
des
Vortrages
 vom
04.
Mai
2009
‐
 
 
 „Se
voi
volete
andare
in
pellegrinaggio
nel
luogo
dove
è
nata
la
nostra
 Costituzione,
andate
nelle
montagne
dove
caddero
i
partigiani,
nelle
carceri
 dove
furono
imprigionati,
nei
campi
dove
fuorno
impiccati.
Dovunque
è
morto
 un
italiano
per
riscattare
la
libertà
e
la
dignità,
andate
lì
o
giovani,
col
pensiero,
 perché
li
è
nata
la
nostra
Costituzione.“
 (Piero
Calamandrei
(1889‐1956),
ital.
Journalist
und
Politiker,
am
26.
Januar
1955)



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 Autor:
 Nils
Küper
 Nordstraße
43/44
 99089
Erfurt



 





 
 ©
Nils
Küper
(September
2009)


Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ................................................................................................................................... 3 2. Der historische Kontext.............................................................................................................. 3 2.1. Der Weg vom Bündnispartner zur besetzten Nation........................................................... 3 2.2. Die Rückkehr Mussolinis .................................................................................................... 6 2.3. Der Beginn des Partisanenkampfes ..................................................................................... 6 2.4. Von der Befreiung Roms bis zum Kriegsende .................................................................... 8 3. Charakteristika der italienischen Widerstandsbewegung........................................................... 9 4. Literaturverzeichnis.................................................................................................................. 10

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1. Einleitung Mit dem Film Paisà schuf Regisseur Roberto Rosselini 1946 unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein Hauptwerk des italienischen Neorealismus. Der Mittelteil seiner Kriegstrilogie, die weiterhin aus den Werken Roma - città aperta (1945) und Germania anno zero (1948)1 besteht, ist insofern typisch für den italienischen Neorealismus, als dass er dem Zuschauer

durch

die

authentische2

Darstellung

verschiedener

Einzelschicksale

die

ungeschminkte Wahrheit und die mit der Diktatur und dem Krieg verbundenen Leiden vor Augen führt. Die sechs chronologisch angeordneten Episoden geben nicht nur Einblicke in das vom Krieg geprägte Alltagsleben, denn die unterschiedlichen Handlungsspielorte sind weiterhin ein exaktes Abbild wichtiger Kriegsschauplätze in Italien nach dem Ende der faschistischen Regierung im Sommer 1943. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die für das Verständnis der Handlung aber auch der Entstehungsgeschichte des Films an sich benötigten historischen Umstände im Überblick darzustellen, ohne dabei - von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen - die Rolle bestimmter politischer und militärischer Figuren im Detail zu beleuchten. Im Fokus der Betrachtung stehen dabei die Entwicklung und die Bedeutung der italienischen Widerstandsbewegung. Auf die besonderen Charakteristika der sogenannten Resistenza (ital. „Widerstand“) soll im zweiten Teil genauer eingegangen werden. 2. Der historische Kontext 2.1. Der Weg vom Bündnispartner zur besetzten Nation Am 22. Mai 1939 unterzeichneten der deutsche Außenminister Joachim von Ribbentrop und sein italienischer Amtskollege Galeazzo Ciano im Beisein von Adolf Hitler den sogenannten Stahlpakt in Berlin. Der Bündnisvertrag sah eine Zusammenarbeit und unbedingte gegenseitige Unterstützung der faschistischen Diktaturen im Kriegsfall vor, wobei der italienische Faschistenführer Benito Mussolini nicht über den unmittelbar bevorstehenden Polenfeldzug des Deutschen Reiches in Kenntnis gesetzt wurde und sich nach dem Überfall der Deutschen auf ihr Nachbarland am 9. September nur mit Mühe aus den vertraglichen Verpflichtungen lösen konnte. Der Kriegseintritt Italiens erfolgte daher erst im Juni 1940 mit der Kriegserklärung des Mittelmeerstaats an Frankreich und Großbritannien.






























































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Die deutschen Titel der Trilogie lauten: Rom - offene Stadt (1945), Paisà (1946) und Deutschland im Jahre Null (1948) 2 Rosselini erreicht die authentische Darstellung der Ereignisse durch eine Reihe formaler Gestaltungsmerkmale: Die Rückkehr für die Dreharbeiten an die Originalschauplätze, der Verzicht auf künstliche Beleuchtung und die Besetzung mit Laienschauspielern in Kombination mit einem hohen Maße an Improvisation verleihen dem Film ein hohes Maß an Authentizität.

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Die Kapitulation der Deutschen Wehrmacht bei Stalingrad am 2. Februar 1943 markierte nicht nur den Wendepunkt im gesamten Kriegsverlauf, sondern hatte auch für die weiteren Ereignisse in Italien eine besondere Bedeutung, da auch zahlreiche italienische Soldaten ihr Leben in der Schlacht von Stalingrad verloren. Die erste ernsthafte Niederlage der Wehrmacht beendete den Mythos der Unbesiegbarkeit der Deutschen und die Trauer über die hohen Verluste eigener Soldaten ließ bei der ohnehin vom Krieg gezeichneten italienischen Bevölkerung den Hass auf die Deutschen anwachsen (Battaglia & Garritano, 1970:15). Die Unzufriedenheit mündete schließlich im März 1943 in zahlreichen Streiks in und um Mailand und Turin, den beiden wichtigsten Industriestädten Norditaliens, und versetzte dem faschistischen Regime Mussolinis einen empfindlichen Schlag. Der italienische Historiker Roberto Battaglia (1970:16), der selbst als Partisane Widerstand gegen deutsche und italienische Faschisten leistete, sieht in diesen Streiks bereits den Ausdruck eines wachsenden politischen Bewusstseins der italienischen Arbeiterklasse. Am 13. Mai mussten die deutsch-italienischen Streitkräfte eine weitere empfindliche Niederlage hinnehmen, dieses Mal in Nordafrika, wo bei Tunis rund 250.000 Deutsche und Italiener in amerikanische und britische Kriegsgefangenschaft gerieten. Durch den Sieg in Tunesien sicherten sich die Alliierten eine strategisch wichtige Basis für den Angriff auf die „Festung Europa“, der am 9. Juli 1943 mit der Landung angloamerikanischer Truppen auf Sizilien begann. An dieser Stelle setzt auch die erste Episode des Films Paisà ein. Die italienischen Soldaten wurden von den Landungstruppen regelrecht überrollt, während Mussolini in Rom den Versuch unternahm, die eigene Armee als unüberwindbares Hindernis zu glorifizieren. Diese jeglicher Grundlage entbehrende Fehleinschätzung, die internationale Lage sowie die Massenaktionen der Arbeiter aus dem Frühjahr führten schließlich dazu, dass der Faschistische Großrat Mussolini am 24. Juli den Oberbefehl über die Streitkräfte entzog und ihn damit de facto entmachtete. Nur einen Tag später ließ König Vittorio Emmanuele III den abgesetzten Diktator verhaften und ernannte Marschall Pietro Badoglio zum neuen Ministerpräsidenten (Battaglia & Garritano, 1970:22). Badoglio, ehemaliger Generalstabschef der Streitkräfte und Kriegsgegner, war von der Hoffnung getrieben, mit Zustimmung der Deutschen sowie der Briten und Amerikaner mehr oder weniger ungescholten aus dem Krieg auszuscheiden. Daher versuchte er einerseits, den Bündnispartner zu beschwichtigen, während er andererseits im Verborgenen mit den Alliierten über einen Waffenstillstand verhandelte. Das erstgenannte Ziel erreichte der neue Ministerpräsident nur bedingt, denn die Vorgänge in Italien wurden vom deutschen Oberkommando von Beginn an misstrauisch beäugt. Als Reaktion auf den politischen Umsturz konzentrierten sie ihre Verbände in Italien, verlagerten zahlreiche Truppen nach Süden und begannen mit der Besetzung von Flugplätzen (Battaglia & Garritano, 1970:26). Bei den Verhandlungen mit den angloamerikanischen Oberbefehlshabern 4
 



 
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hatte Badoglio hingegen mehr Fortune: Am 3. September 1943 unterzeichnete General Castellano als Bevollmächtigter Badoglios einen vorerst geheimen Waffenstillstand, der am 8. September 1943 bekannt gegeben wurde und das Ende der Regierung der 45 Tage3 einläutete, denn am Folgetag flohen der Ministerpräsident und Vittorio Emmanuele III aus Rom nach Pescara (Battaglia & Garritano, 1970:32). Der Grund für die Flucht liegt auf der Hand: Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe waren die alliierten Verbände noch weit von Rom entfernt, sodass die beiden politischen Führer ihre Sicherheit als nicht gewährleistet sahen. Das italienische Volk sah in der Flucht jedoch das feige Eingeständnis der eigenen Schwäche und fühlte sich von Badoglio und dem König im Stich gelassen. Der 9. September ist somit ein weiteres Schlüsselereignis im Hinblick auf die Motive für die Formierung des nationalen Widerstands, denn der Wunsch nach nationaler Befreiung und sofortiger Beendigung des Krieges wurde lauter und setzte neue Kräfte frei. Dieser Prozess gipfelte in der Gründung des Comitato di Liberazione Nazionale (CLN), die noch am selben Tag erfolgte. Den Vorsitz des nationalen Befreiungskomitees übernahm dabei der ehemalige sozialistische Ministerpräsident Ivanoe Bonomi. Die deutschen Militärs reagierten rigoros auf die Bekanntgabe des Waffenstillstands. Das Stichwort Achse leitete die Machtübernahme in Italien und allen von Italien besetzten Gebieten Südosteuropas und Südfrankreichs durch die Deutsche Wehrmacht ein. Innerhalb kurzer Zeit besetzten die Truppen Italien, rund 615.000 italienische Soldaten wurden als Kriegsgefangene nach Deutschland deportiert, 30.000 von ihnen überlebten die Gefangenschaft nicht (Battaglia & Garritano, 1970:41). Bereits am 11. September war Rom fest in deutscher Hand, obwohl die italienischen Truppen in der Provinz Lazio den deutschen Militärs zum Zeitpunkt der Publikation des Waffenstillstands weit überlegen waren. Jedoch wurden die italienischen Soldaten zum Schutz des Königs in Richtung Süden abkommandiert. Es wurde also nicht einmal der Versuch unternommen, die Hauptstadt zu verteidigen. Stattdessen übergaben die in der Stadt verbliebenen Divisionen ihre Waffen an die deutschen Truppen und erkannten den Status Roms als offene Stadt4 an (Battaglia & Garritano, 1970:33f).






























































 3

Zwischen der Ernennung Badoglios am 25. Juli und der Veröffentlichung des Waffenstillstands am 8. September liegen genau 45 Tage 4 Als offene Stadt wird im Kriegsrecht eine Stadt oder Ortschaft bezeichnet, die nicht verteidigt wird. Im Sinne der Haager Landkriegsordnung ist eine offene Stadt damit ein Ort, der besonderen Schutz genießt und nicht angegriffen oder bombardiert werden darf, obwohl der Begriff selber nicht in der Landkriegsordnung erwähnt wird. Der erste Teil der Kriegstrilogie Rossellinis (Roma - città aperta), behandelt genau diese historische Episode im Detail.

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2.2. Die Rückkehr Mussolinis Mussolini wurde nach seiner Verhaftung in einem Hotel in den Abruzzen gefangen gehalten, aus dem er am 12. September von deutschen Einheiten befreit wurde. Nach einem kurzen Aufenthalt in Deutschland und Gesprächen mit Hitler kehrte er am 22. September schließlich in seine Heimat zurück und trat an die Spitze der neu gegründeten Repubblica Sociale Italiana (RSI) in Norditalien, die ihren Regierungssitz in Salò am Gardasee hatte. Die RSI war in jeder Hinsicht ein Geschöpf der deutschen Faschisten und hochgradig von der deutschen Führung abhängig (Battaglia & Garritano, 1970:55). Die Reaktion der Arbeiter in Norditalien ließ nicht lange auf sich warten, und so kam es in den großen Produktionsstätten erneut zu Streiks (Battaglia & Garritano, 1970:59). Die Politik Badoglios war bis dato von der Suche nach Kompromissen und größtmöglicher Sicherheit für die Erhaltung der eigenen Privilegien und denen der herrschenden Kaste geprägt (Battaglia & Garritano, 1970:32f). Erst am 13. Oktober, als Badoglio dem Deutschen Reich den Krieg erklärte, ließ Badoglio die zweigleisige Strategie fallen und handelte erstmals im nationalen Interesse (Battaglia & Garritano, 1970:51). 2.3. Der Beginn des Partisanenkampfes Der Waffenstillstand und die Formation des CLN markieren den Anfang der historischen Periode, die später als Resistenza in die Geschichtsbücher einging - auch wenn die Wurzeln des Widerstands gegen den Faschismus schon in den 1920er Jahren zu finden sind (Battaglia & Garritano, 1970:9). Jedoch kam es erstmals 1934 zu einer Überwindung von Divergenzen und zur Bildung einer einheitlichen Front, als die kommunistische und die sozialistische Partei mit dem Abkommen über die Aktionseinheit, das am 4. August 1943 erneuert wurde, ein gemeinsames Vorgehen gegen die faschistischen Kräfte in Italien beschloss (Battaglia & Garritano, 1970:9,26). Insofern kann der Zweite Weltkrieg als Auslöser für den organisatorischen

Zusammenschluss

aller

politischen

Strömungen

des

italienischen

Antifaschismus gesehen werden, der mit der Gründung des CLN am 9. September 1943 seinen krönenden Abschluss fand (Battaglia & Garritano, 1970:10). Das CLN verstand sich als legitime Vertretung des Volkes und setzte sich an die Spitze der Befreiungsbewegung gegen die deutsche Besatzungsmacht und die kurze Zeit später gegründete RSI. Das konstituierende und gemeinsame Ziel aller im CLN vereinten Parteien war die Bildung einer Regierung des Befreiungskrieges (Battaglia & Garritano, 1970:96), die alle antifaschistischen Kräfte bündelt. Diskussionen über die künftige Staatsform traten in den Hintergrund und rückten erst nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges wieder auf die politische Agenda. Ein beeindruckendes

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Beispiel für die Demonstration der Einheit ist der vom CLN organisierte Generalstreik5 in Norditalien im März 1944, bei dem rund 1,2 Millionen Menschen für acht Tage ihre Arbeit niederlegten (Battaglia & Garritano, 1970:74,77). Nach der Einrichtung der RSI ist Italien faktisch ein zweigeteiltes Land: Im Süden existiert das befreite Königreich Vittorio Emmanueles III mit einer konservativ-liberalen Militärregierung unter Führung Badoglios und unter dem Schutz alliierter Streitkräfte (Andrae, 1995:36), Nordund Mittelitalien hingegen zählten zur RSI, deren Fläche sich mit dem Vormarsch der alliierten Streitkräfte und dem erzwungenen Rückzug der Wehrmacht im Kriegsverlauf immer weiter dezimierte. Friedrich Andrae (1995) verweist darauf, dass diese beiden demokratisch nicht legitimierten Staaten jedoch nur die äußere Aufteilung des Landes repräsentieren, denn nach dem gefühlten Verrat durch die Flucht des Königs flüchteten sich viele Italiener in das dritte, das illegale Italien der immer stärker werdenden Resistenza. Also in jenes Italien des freiheitlich-republikanischen, antimonarchischen und antifaschistischen Widerstands (Andrae, 1995:36). Die Entstehung der Partisanenbewegung vollzog sich im Herbst 1943, nachdem die wenigen Zentren des Widerstands zuvor von den Deutschen rasch überwältigt wurden (Battaglia & Garritano, 1970:46). Die Gründung der kommunistischen Garibaldi-Brigaden im Oktober hatte eine besondere Bedeutung für die Entwicklung der Widerstandsbewegung, da sie dem anfänglichen passiven Abwarten ein Ende setzte (Battaglia & Garritano, 1970:66) und den Startschuss für die Bildung weiterer Partisanengruppen gab. So formierten sich im Winter 1943/1944

im

nördlichen

Italien

weitere

Partisaneneinheiten,

die

mit

zahlreichen

Sabotageakten6 den bewaffneten Widerstand begannen. Die deutsche Besatzungsmacht versuchte die Bewegung durch skrupelloses und brutales Vorgehen im Keim zu ersticken. Der Vormarsch der Alliierten zwang die deutsche Armee, sich immer weiter gen Norden zurückzuziehen. Auf diesem Weg hinterließ die Wehrmacht eine Spur der Verwüstung: Ganze Dörfer wurden geplündert, italienische Zivilisten wurden an die Ostfront deportiert oder zum Stellungsbau in Italien eingesetzt. Mithilfe von sogenannten Sühnemaßnahmen versuchten die Deutschen den Widerstand zu brechen, doch abscheuliche Gewaltexzesse wie beispielsweise das Massaker in den Ardeatinischen Höhlen7 oder das 




























































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Der Streik stand unter dem Motto „Keine Arbeiter, keine Maschinen nach Deutschland“ und zielte somit darauf ab, die deutsche Rüstungsindustrie zu schwächen und den Nachschub zu unterbrechen. 6 Als Beispiel sei an dieser Stelle die Sprengung der Eisenbahnlinie Rom-Cassino angeführt, bei der mehr als 500 deutsche Soldaten getötet wurden (Battaglia & Garritano, 1970:68). 7 Während der Feier zum 25. Gründungstag der Fasci am 24. März 1944 in Rom verübt die Gruppo di Azione Patriottica einen Bombenanschlag, bei dem 33 deutsche Polizeisoldaten getötet wurden. Als Antwort auf den Anschlag erschießen die Deutschen 335 Menschen in den Ardeatinischen Höhlen, einem Höhlensystem in der Nähe

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Massaker von Marzabotto8 verstärkten die feindselige Stimmung in der italienischen Zivilbevölkerung (Andrae, 1995:115ff,129). Immer mehr Italiener sympathisierten mit den Kämpfern der Resistenza, boten ihnen Unterschlupf, versorgten sie mit Nahrungsmitteln oder beteiligten sich aktiv am bewaffneten Widerstand. So stieg die Anzahl der Partisanen im Frühjahr 1944 von rund 25.000 (Februar) auf mehr als 70.000 im Mai (Battaglia & Garritano, 1970:31). In der Folge entstand eine sich gegenseitig bedingende Gewaltspirale, da die Deutschen auf die vermehrten Widerstandshandlungen mit weiteren Vergeltungsschlägen reagierten. Im Januar 1944 erfuhr die Partisanenbewegung durch die Gründung des Corpo Volontariato della Libertà (CVL) eine Militarisierung und die Resistenza erhielt eine militärische Organisation. Die Gründung des Freiwilligenkorps ermöglichte die Koordination von Sabotageund Angriffshandlungen durch eine zentrale Stelle und verlieh dem Widerstand eine höhere Durchschlagskraft. Eine weitere Konsequenz der Einrichtung des CVL war die Aufhebung der Grenze zwischen Politikern und Militärs, da trotz verstärkter Zentralisierung der Befehle jede politische Strömung ihre eigenen Brigaden besaß und somit zumindest teilautonom handeln konnte. So kam es zu einem regelrechten Wettkampf zwischen den einzelnen Brigaden, unter denen die kommunistischen Garibaldi-Brigaden die zahlenmäßig Größten waren, und dadurch zu einer weiteren Entfaltung des Befreiungskampfes (Battaglia & Garritano, 1970:135f). 2.4. Von der Befreiung Roms bis zum Kriegsende Während die Resistenza an Größe und Bedeutung wuchs rückten die alliierten Truppen immer weiter nach Norden vor und befreiten Rom am 4. Juni 1944, woraufhin sich die Deutschen auf die Goten-Linie zwischen Camarra und Rimini zurückzogen (Andrae, 1995:169ff). Mit der Einrichtung eines Generalkommandos wurde zeitgleich die im Januar initiierte Gründung des CVL abgeschlossen. Die unabhängig vom CVL entstandenen Partisanenverbände wurden in das Freiwilligenkorps integriert, dessen Zentrale von Rom in das nach wie vor besetzte Mailand verlegt wurde (Battaglia & Garritano, 1970:138). Das Generalkommando koordinierte fortan den Guerillakrieg in den norditalienischen Provinzen9.




































































































































































































 Roms (Battaglia & Garritano, 1970:100). Battaglia und Garritano (1970:103) stellen hierzu fest: „Das Massaker feuerte den Geist der Auflehnung gegen die deutschen und italienischen Faschisten an und wurde zum Kampfbanner für alle Freiheitskämpfer.“ 8 Zwischen dem 29. September und dem ersten Oktober 1944 töteten Einheiten der Wehrmacht mindestens 776 Zivilisten als Vergeltung für einen Überfall auf eine Polizeikaserne in der Apenninen-Gemeinde Marzabotto durch die autonome Brigade Stella Rossa. 9 Zuletzt kämpften rund 100.000 Freiwillige im Corpo Volontariato della Libertà, die in 104 Divisionen und 52 Brigaden unterschiedlichster politischer Couleur organisiert waren (Andrae, 1995:103).

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Am 18. Juni übernahm Ivanoe Bonomi, der bereits vor der Machtübernahme Mussolinis amtierender Ministerpräsident Italiens war, als Gründungsmitglied und Vorsitzender des CLN den Posten des Ministerpräsidenten einer Koalitionsregierung. Nach der Befreiung Roms stagnierte der Vormarsch der angloamerikanischen Verbände vorerst. Der Grund dafür: Mit der Landung in der Normandie am 6. Juni verlagerte sich der Schwerpunkt des Kriegsgeschehens und Italien wurde zum Nebenschauplatz degradiert. Erst im Frühjahr 1945 nahmen die Alliierten die Offensive wieder auf und drängten die Deutschen unterstützt von den Kämpfern der Resistenza - weiter zurück. Während die alliierten Truppen am 19. April mit der Besetzung der Po-Ebene begannen10, ordnete das CLN den allgemeinen Aufstand an. Daraufhin verließen die Partisanen ihre Verstecke auf dem Land und in den Bergen und strömten in die urbanen Zentren des Nordens, um dort Fabriken und Kasernen zu besetzen. Schließlich wurden Mailand und Turin am 25. April 1945 befreit. Dieses Datum markiert das Ende der faschistischen Diktatur in Italien und damit auch das Ende der Resistenza. Noch heute steht dieser Tag symbolisch für die Befreiung des gesamten Landes von den Nazis11. 3. Charakteristika der italienischen Widerstandsbewegung Die italienische Resistenza ist eine nationale Befreiungsbewegung, die sich in wesentlichen Aspekten von anderen europäischen Widerstandsgruppierungen im Zweiten Weltkrieg unterscheidet. Auf der einen Seite ist sie ein „Volkskrieg“ (Andrae, 1995:99ff),

also ein

nationaler Befreiungskampf gegen die deutsche Besatzungsmacht und die Repubblica Sociale Italiana. Auf der anderen Seite ist die Resistenza jedoch auch eine Bürgerkriegsbewegung, in der Italiener gegen ihre eigenen Landsmänner kämpfen. Dieser Bürgerkrieg findet statt zwischen den Widerstandskämpfern, die für eine Erneuerung der demokratischen Strukturen und einen gesellschaftlichen Wandel einstehen, und den Anhängern des alten und neuen Faschismus. So steht beispielsweise die Aufforderung der Resistenza, sich zu organisieren um die Faschisten und Deutschen zu vertreiben im deutlichen Gegensatz zu der von Vittorio Emmanuele III verfolgten Politik der Flucht und des Kompromisses (Andrae, 1995). Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der italienischen Widerstandsbewegung ist die Tatsache, dass es sich bei ihr um den Beginn eines neuen Krieges handelt und nicht etwa um die Fortsetzung eines zuvor verlorenen Krieges, wie es beispielsweise bei der Résistance francaise in Frankreich der Fall war. Die Resistenza in ihrer endgültigen Form formiert sich erst, nachdem sich Italien offiziell vom Bündnispartner Deutschland abgewandt hat, nämlich zum Zeitpunkt der Waffenstillstandsverkündung am 9. September 1944. 




























































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Das Ende des Krieges in Italien ist auch gleichzeitig das Ende des Films Paisà, denn die sechste Episode - und damit die Schlussepisode - spielt in der Po-Ebene. 11 Noch heute wird der 25. April als Festa della Liberazione jährlich gefeiert und ist neben dem 2. Juni ein italienischer Nationalfeiertag.

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4. Literaturverzeichnis Andrae, F. (1995). Auch gegen Frauen und Kinder. Der Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung in Italien 1943-1945. München/Zürich: Piper. Battaglia, R. & Garritano, G. (1970). Der italienische Widerstandskampf 1943 bis 1945. Berlin: Deutscher Militärverlag.

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