Ist der Mensch ein freies Wesen?

Ist der Mensch ein freies Wesen? Peter Vollbrecht, Esslingen I. Die französische Revolution hat drei Ideen durch die Jahrhunderte gereicht, die unter...
Author: Uwe Winter
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Ist der Mensch ein freies Wesen? Peter Vollbrecht, Esslingen

I. Die französische Revolution hat drei Ideen durch die Jahrhunderte gereicht, die unterschiedliche Karrieren gemacht haben: liberté, égalité, fraternité, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Es hat großangelegte Experimente mit der Gleichheit gegeben und auch mit der Brüderlichkeit. Wir alle wissen das. Und wir wissen auch, daß alle diese Experimente scheiterten, wenn sie auf Kosten der Freiheit erfolgten, wenn die Freiheit kleingeschrieben wurde, um Gleichheit oder auch Brüderlichkeit durchzusetzen. Von allen drei Ideen kommt also der Freiheit eine besonders prominente Stellung zu. Vielleicht wird sie deshalb in der Trias auch zu Beginn genannt. Menschen können also eher eine sozial unausgewogene Gesellschaft ertragen als eine unfreie, eher die Härte der Ellenbogen als die Gesinnungsschnüffelei. Zumindest gilt dies für die westlichen Gesellschaften. Und die eint eine große Tradition, die Tradition des neuzeitlichen Humanismus. Er ist der Humus, auf dem die westlichen Vorstellungen von Mensch und Gesellschaft, von Ethik und Erziehung gedeihen. Und seit dem 17. Jahrhundert hatte dort die Pflanze der Freiheit die Ackerkrume durchstoßen, gekeimt hatte sie schon Jahrhunderte lang, seit der Renaissance, vielleicht sogar schon seit dem späten Mittelalter. Wie dem auch sei: die Freiheit ist das Großprojekt des neuzeitlichen Humanismus, konkurrenzlos. Und doch – oder gerade deshalb? – ist der Freiheitsgedanke nie unangefochten gewesen. Es gibt eine ganze Menge von Gründen, die Vorstellung zu

bezweifeln, der Mensch sei ein freies Wesen. Und pikanterweise wachsen die Zweifel proportional zum Umfang unseres Wissens. Sind wir nicht, so der soziologische Zweifel, Produkte von Elternhaus, Schule, Gesellschaft? Richten menschliche Gemeinschaften ihr Handeln nicht nach ökonomischem Gewinn und Verlust aus? - so der Zweifel aus materialistischer Perspektive. Die Tiefenpsychologie weist auf die Triebwelt: dort braue sich das ego zusammen. In den Werbeagenturen werden die Bilder und Metaphern entworfen, mit denen der Konsument eingefangen werden soll – was bleibt da noch Raum für Freiheit? Der Evolutionsforscher hält uns Bilder vor Augen, die zeigen, wie sich der Mensch schrittweise aus dem Affen entwickelte, und schließlich suggerieren eilig hingeworfene halbwissenschaftliche Aufsätze, der Mensch sei genetisch programmiert. Und die Hirnforscher erklären, die Kernspinphotos von Großhirnrinde und Hypothalamus ergäben keinerlei Hinweise auf die Existenz menschlicher Freiheit. Gleichwohl: wo Zweifel gesät werden, da ist ein reger menschlicher Geist am Werke. Kann das ein Hinweis auf die Wirksamkeit menschlicher Freiheit sein? Ja, läßt sich vielleicht sogar schließen, daß dieser Moment, wo ich vor Ihnen stehe und einen Gedanken formuliere, daß dieser Moment ein Beleg für die Wirklichkeit der Freiheit ist? Die Dinge sind wahrscheinlich komplizierter, als es den ersten Anschein hat. Loten wir heute dieses Thema etwas genauer aus. Versuchen wir herauszufinden, wie überhaupt sinnvoll von der Möglichkeit menschlicher Freiheit zu reden ist. Denn offensichtlich ist es viel zu einfach, die blanke Opposition von Freiheit und Unfreiheit, von Autonomie – Selbstbestimmung – und Heteronomie – Fremdbestimmung – aufzumachen.

II.

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Nehmen wir, um uns langsam an die Größe unseres heutigen Themas zu gewöhnen, nehmen wir Ausgang an einem fiktionalen Streitgespräch. Und beginnen wir es mit zunächst nur zwei Partnern, Sie werden sehen, es kommen sehr bald andere dazu, die subtilere Positionen vertreten als unsere beiden ersten. Diese jedenfalls üben sich in oppositionellem Gezänk. Der oder die eine vertritt den emphatischen Standpunkt der Freiheit, der oder die andere den entgegengesetzten, daß alles in der Welt streng determiniert sei. ”Mir ist”, so sagt der Freiheitsapostel, ”mir ist der Standpunkt Jean Paul Sartres sehr sympathisch. Sartre sagte einmal: »Der Mensch ist verurteilt, frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, anderweit aber dennoch frei, da er, einmal in die Welt geworfen, für alles verantwortlich ist, was er tut.« Steht es nicht so um uns?” ”Nun”, so entgegnet der Freiheitsskeptiker, ”Sartre blendet. Was soll das denn heißen? Zur Freiheit verurteilt zu sein, das läßt doch an einen Richter denken, der ein Urteil über mich spricht! Zur Freiheit verurteilt zu sein, bedeutet das nicht, eine Fremdbestimmung geradezu anzuerkennen? Ist Sartres Position nicht höchst widersprüchlich?” ”Ich werde versuchen, es dir zu erklären”, meint der Freiheitsbegeisterte. ”Sartre spricht hier als erklärter Atheist. Man muß diesen Standpunkt nicht teilen, aber Sartres Existentialismus ist nun einmal ein atheistischer. Und was dabei herausspringt, ist ein Freiheitsgedanke, der klarer, schärfer, unerbittlicher ist als der eines gläubigen Denkers wie etwa Karl Jaspers. Wir sind, so meint Sartre, allein auf der Welt, wir Menschen als Menschheit. Da sei kein vorgegebener Plan, keine Idee des Menschen, die vor der Erschaffung des Menschen von irgend einem höheren Wesen gehegt worden sei und nach der dieses höhere Wesen den Menschen erschaffen habe. Nein, die Existenz gehe der Essenz voraus, sagt Sartre, und er meint damit: unser nacktes Dasein sei das erste Faktum, und das, was wir aus uns machen, welche gesellschaftliche Rollen wir 3

spielen, welche Erfolge und Mißerfolge wir im Leben anhäufen, das ist erst das Zweite. Sartre will damit sagen: was wir Menschen sind, das haben wir selbst aus uns gemacht. Wir kommen auf die Welt und beginnen dann, unsere Existenz zu machen, wir beginnen, etwas aus uns zu machen. Und das erfolgt aus Freiheit. Denn wir sind die Autoren unseres Lebens, wir sind keine Schreibfeder in den Händen eines höheren Wesens.” ”Daran sind viele Zweifel möglich,” wendet der Skeptiker ein. ”Wir kommen nämlich nicht nackt auf die Welt. Wir haben Jahrmillionen biologischer Evolution hinter uns. Und zudem Jahrtausende kultureller Evolution. Jeder einzelne Mensch verschwindet in diesen Größenordnungen. Ist es nicht viel sinnvoller, da eine Art Superorganismus anzunehmen, der nach eigenen Gesetzen steuert, nach Gesetzen, die nicht die des Individuums sind?” ”Nein”, so protestiert der Verteidiger der Freiheit, ”damit kann ich mich nicht anfreunden. Freiheit ist im Abendland seit der Renaissance das Projekt des Individuums gewesen. Mit dem Freiheitsgedanke hat sich Individualität ja allererst herausgebildet. Und ich möchte gegen Deine Konstruktion von gesellschaftlichen oder kulturellen Superorganismen das schlichte Argument halten, daß bei jedem einzelnen Menschen die Möglichkeit liegt, sein Leben anzunehmen oder fortzuwerfen. Die Tatsache, daß der Mensch die einzige Spezies ist, die ihr Leben fortwerfen kann im Suizid, diese Tatsache belegt doch nachdrücklich, daß der Mensch ein freies Wesen ist. Er ist ein freies Wesen, weil er eben anders programmiert ist als die Natur. Ich habe mir das Suizid-Beispiel von Max Scheler ausgeliehen, einem der Väter der modernen Lehre vom Menschen, der Anthropologie. Die Natur folgt dem Gesetz der Selbsterhaltung, ausnahmslos. Der Mensch hingegen kann mit seinem Bewußtsein den eisernen Ring der Selbsterhaltung durchbrechen, weil der Mensch Geist sei, wie Scheler sagt. Der Mensch läßt sich in seinem Handeln von Ideen und Idealen leiten, und die finden wir nicht in der Sphäre der Natur. Kein Tier würde sich für eine Idee 4

aufopfern. Menschen dagegen sind bereit, ihr Leben zu geben für eine Idee. Das macht den Menschen ja so gefährlich.” Was wird der Skeptiker darauf antworten? Hören wir: ”Dein Suizid-Beispiel hat in meinen Augen nicht die Stärke, menschliche Freiheit zu beweisen,” entgegnet der Skeptiker. ”Was zeigt es denn? Da ist jemand verblendet, da hat sich jemand in eine ausweglose Situation manövriert – jedenfalls glaubt er das – und nun legt er Hand an sich. Freiheit, so verstehe ich doch ihre Anhänger von Spinoza bis Sartre, Freiheit ziele auf ein produktives Machen, Freiheit ziele auf Wachstum, auf einen wie auch immer gearteten Mehrwert inmitten eines kausalen Weltgeschehens. Dein Beispiel des Suizidwilligen aber läuft auf eine bloße Negation hinaus. Und da liegt der Hase im Pfeffer. Freiheit muß doch mehr sein als ein bloßer Abspann und Schwanengesang. Und nun gehe ich zum Gegenangriff, und ich nehme dabei meinen Ausgang von Deinem eigenen Beispiel. Mir zeigt nämlich der Umstand, daß dein SuizidBeispiel

auf

eine

bloße

Negation

hinausläuft,

die

Stärke

des

Kausalzusammenhangs. Der Mensch lebt in Kausalzusammenhängen natürlicher und kultureller Art. Er ist ein Spielball seiner Art, er ist ein Rädchen im gesellschaftlichen Getriebe, er funktioniert und schmiert die ökonomischen Abläufe. Und natürlich hat er Bewußtsein, und als ein mit Bewußtsein begabtes Wesen ist er nicht blind. Ich gebe sogar zu, daß er den Umständen, in denen er lebt und die er erkennt, ein kräftiges Nein entgegenschleudern kann. Doch die Möglichkeit des Nein-Sagens begründet noch lange keine Freiheit. Anders gewendet: dein Versuch, Freiheit durch das Nein-Sagen zu begründen, zeigt doch die Stärke des Kausalnexus. Denn der einzelne Suizid ändert nichts am Kurs des Ganzen. Es springt einer von Bord, das ist es, das Schiff aber pflügt weiter durch die Wellen, so als ob nichts gewesen wäre. Und es ist ja in der Tat nichts gewesen. Was interessiert den Superorganismus das Hadern eines Individuums? 5

Ein letztes Argument möchte ich noch hinzufügen. Ist es nicht merkwürdig, daß wir heute, wo wir die Geschichte des Universums in den großen Zügen nahezu lückenlos konstruieren können, mit der Nase auf den Kausalzusammenhang gestoßen werden? Wie das Universum evolvierte, - ein einziger großer Kausalnexus. Merkwürdig ist dies vor allem deshalb, weil unser Blick in die Tiefen des Universums ein wissenschaftlicher ist, er ist also – mit anderen Worten – ein Blick, der der autoritären Hand der Kirche erst abgerungen werden mußte. Freiheit! Möchte man rufen, wenn man sich der Entstehungsgeschichte der neuzeitlichen Wissenschaft erinnert. Galilei, Kopernikus, Keppler, Giordano Bruno und wie sie alle heißen – sie gelten als die großen Freiheitsköpfe. Doch was zeigt uns die befreite Wissenschaft? Sie zeigt uns eine durch und durch kausal organisierte Welt, sie zeigt uns einen geschlossenen Determinismus. Ich denke, ich werde später im Gespräch noch Beistand erfahren von den Hirnforschern, die einen naturwissenschaftlichen Blick in das getan haben, was die philosophische Tradition mit dem hehren Wort Geist umschrieben hat.” So, nun haben wir den ersten Schlagabtausch gehört. Unterbrechen wir die beiden Streithähne und resümieren wir die Positionen. Dem Skeptiker reichen die Argumente nicht aus, die der Advokat der Freiheitsposition vorbringt. Das stärkste dieser Argumente scheint mir das Suizid-Argument Max Schelers. Es läuft darauf hinaus zu betonen, daß der Mensch in der Biologie nicht aufgeht, wenn wir unter Biologie hier das triebhafte Leben verstehen. Der Mensch sei Geist, und als Geist gehöre der Mensch eben einer anderen Ordnung an als der natürlichen Welt. Aber – reicht das hin, um hier von Freiheit zu sprechen?

III. ”Es ist an der Zeit, endlich die Rede von Freiheit zu klären,” so meldet sich eine dritte Stimme. ”Ihr beide scheint Freiheit als einen Akt, eine Potenz oder eine 6

Qualität

zu

verstehen,

durch

die

ein

freiheitliches

Wesen

den

Kausalzusammenhang der Natur zu durchbrechen vermag. Ihr beide scheint – so kontrovers eure Standpunkte auch sind – darin übereinzustimmen, daß es eine Opposition von Freiheit und Determinismus gibt. Das ist im Wesentlichen auch die Kantische Position. Immanuel Kant hielt ja an der Unterscheidung von physikalischer Welt und Verstandeswelt fest. Die physikalische Welt hielt Kant für streng deterministisch, er war hierin ein Anhänger Isaac Newtons, der die Welt mechanisch erklären wollte und der folglich in der physikalischen Welt keinen Platz für Freiheit erkennen konnte. Freiheit, so meinte Kant, sei ein Grundzug der Verstandeswelt. Der Verstand erzeuge spontan Begriffe und diese Spontaneität sei nichts anderes als Freiheit. Indes, Kant hielt es für unmöglich, diese Freiheit auch beweisen zu können. Und da liegt für mich der Hase im Pfeffer. Die beiden Streithähne – der Skeptiker und der Freiheitsapostel – führen ihre Auseinandersetzung um das Unternehmen Freiheitsbeweis. Der eine meint, die Freiheit beweisen zu können, der andere läßt die Argumente nicht als Beweise durchgehen. Und bei Lichte betrachtet, scheinen sie mir in der Tat für einen Freiheitsbeweis nicht hinzureichen. Der langen Rede kurzer Sinn: wir sollten uns vom Freiheitsbeweis entlasten. Wir sollten die Frage, ob der Mensch ein freies Wesen ist, anders verstehen.” Die beiden anderen Gesprächsteilnehmer haben aufmerksam zugehört. Der dritte wendet sich nun an den zweiten mit folgenden Worten: ”Vielleicht hast du Recht mit deinem Skeptizismus. Aber ich frage dich: weshalb treibt es dich, über dieses Thema zu debattieren? Vielleicht ist dein Engagement in der Sache eine Einrede gegen deine Position!” ”Das verstehe ich nicht!” sagt der Angesprochene. ”Nun, dann frage ich dich: weshalb debattierst du über das Thema der Freiheit?”

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”Ich debattiere,” entgegnet der Skeptiker, ”weil ich Freude am philosophischen Streitgespräch habe und weil ich der Auffassung bin, ich sollte meinen Gesprächspartner desillusionieren!” ”Du debattierst also aus zwei Gründen,” wirft der dritte Gesprächsteilnehmer ein. ”Du debattierst erstens aus eigenen Interessen, Du hast Freude am Gespräch, Du meinst, es würde dir persönlich etwas am Leben fehlen, würdest du dich nicht mit anderen Menschen über die Grundfragen des Lebens austauschen. Stimmt es so?” ”So stimmt es!” ”Und du debattierst zweitens aus uneingennützigen Motiven: du möchtest deine Gesprächspartner vor Illusionen über die Freiheitsidee warnen. Stimmt es so?” ”Ja, so stimmt es!” ”Dann sage mir noch, vor welchen Illusionen du sie warnen möchtest.” ”Nun, es könnte doch sein, daß wir Menschen von unseren eigenen Ideen verhext sind. Die Freiheitsidee könnte eine solche Idee sein, die, wenn wir sie zu ernst nehmen, uns auf gesellschaftliche Irrwege führt. Immer hetzen wir ihr nach, und dabei leben wir hin auf einen Zustand, der ohnehin nie eintreten wird. Wir stunden unser Dasein auf die Zukunft und leben nicht in der Gegenwart.” Der dritte Gesprächspartner schaut den Skeptiker mit großen Augen an. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. ”Nun scheint mir, als habest du dir selber widersprochen,” meint er. ”Denn du verfolgst mit deinem Reden einen klaren Zweck. Du möchtest deine eigene Lebensqualität verbessern, und du möchtest die anderen über Irrtümer aufklären, um ihnen zu helfen, den richtigen Lebenskurs zu finden. In beiden Fällen bist du der Ansicht, der Mensch könne seinen Kurs selbständig setzen. Das aber läuft darauf hinaus, daß auch du annimmst, der Mensch sei ein freies Wesen.” 8

Volltreffer! Jedenfalls ist der Skeptiker sprachlos. Eine sokratische Situation hat sich ergeben, eine klassische Widerlegung. Doch damit ist die Sache für die Freiheit nicht entschieden, das steht auf einem anderen Blatt. Wo stehen wir nun, und wie geht es weiter? Jetzt gesellt sich eine vierte Person dazu und sagt: ”Eine interessante Situation hat sich ergeben. Du, Skeptiker, bist in einem wichtigen Punkt widerlegt. Und diese Widerlegung zeigt einen Grundzug der Freiheit selbst. Du,” und der neue Gesprächspartner wendet sich an den dritten, ”du versprachst vorhin Aufklärung über den Freiheitsbegriff. Das aber war doch nur ein Versprechen. Ich hatte gedacht, du würdest mit dem Kantischen Gedanken einer Gesetzlichkeit der Freiheit kommen. Freiheit, so sagt Kant ja verschiedentlich, Freiheit sei die Fähigkeit, sich selbst das Gesetz seines Handelns zu geben. Aber jetzt sehe ich plötzlich, daß du noch etwas anderes im Blick hast, einen Aspekt der Freiheit nämlich, der noch tiefer reicht. Stellen wir also Kant noch ein Weilchen an den Rand und schauen wir zu, was sich für den Gedanken der Freiheit aus unserer Gesprächssituation ergeben hat. Doch offenbar folgendes: Jeder kommunikative Akt lädt sich die Freiheitsidee auf die Schultern. Wenn ich einen anderen Menschen im Gespräch von meiner Auffassung überzeugen möchte, oder wenn ich – bescheidener noch formuliert – wenn ich mit einem anderen Menschen das Gespräch suche, um mich in der Welt zu orientieren, um zu ermitteln, was richtig sei und was nicht, was ethisch vertretbar sei und was verwerflich, dann treibt mich ein Freiheitsimpuls. Und diesen Impuls sollten wir näher betrachten. Vielleicht gibt er uns einen Fingerzeig auf das, was Freiheit ist. Was also will ich, wenn ich debattiere, was treibt mich da? Und streichen wir alle strategischen Motive beiseite: ich will vielleicht vor den anderen glänzen, möchte mich in Position bringen, möchte beherrschen. Das alles mag sein, aber da ist noch etwas anderes. Ich habe den Eindruck, es geht dem Individuum mit seinem Freiheitsimpuls darum, sich überhaupt zur Welt zu stellen. Es geht also um ein Grundverhältnis 9

des Menschen zur Welt, das immer wieder neu gefunden werden muß. Konfiguriert wird dieses Grundverhältnis von der Freiheit. Freiheit wäre also eine Tathandlung. Das ist bedenkenswert, denn landläufig meint man doch, Freiheit sei eine Qualität des Handelns, nicht aber das Handeln selbst. Es gebe Handlungen aus Zwang und Handlungen aus Freiheit, so sagt man zu Recht, und dann läßt man sich dazu verleiten, die Freiheit als eine Qualität zu begreifen. Eher aber ist sie ein Impuls, und damit selber eine Handlung. Deshalb ist es auch zu kurz gegriffen, wenn man Freiheit als Wahlfreiheit versteht. Aus zwei oder mehreren Optionen mich für eine entscheiden zu können, das setzt gewiß Freiheit voraus. Aber wir bewegen uns mit solchen Gedankenspielen immer schon in einem zu abgehobenen Felde, zu abgehoben von dem, worum unserem Handeln zuinnerst geht: ein Verhältnis zur Welt gewinnen.” Da kann der Skeptiker nicht mehr an sich halten und er ruft aus: ”Ich verstehe das nicht. Was soll das heißen, ein Verhältnis zur Welt zu gewinnen? Das ist mir viel zu schwammig.” Glücklicherweise gesellt sich nun ein fünfter Teilnehmer zur Runde. Er ist übrigens anders als die anderen, das sieht man sofort. Er klopft sich nämlich den Staub der Straße von seiner Kleidung. Er ist eher ein Aktivist, weniger ein Philosoph. Aber, wir werden es gleich hören, er vermag es nicht nur, die Menge für seine politischen Ideen zu gewinnen, er beherrscht auch die leiseren Töne des philosophischen Gesprächs. Heute ist so etwas möglich, heute, nach dem Ende der großen Utopien. ”Vielleicht kann ich hier weiterhelfen,” sagt er. ”Die Idee der Freiheit hat die Menschen ja nicht auf philosophischem Tablett interessiert, sondern im politischen Alltag. Der Untertan im Feudalsystem hat sich emporgearbeitet bis zum Bürger eines demokratischen Rechtsstaates. Diktaturen wurden gestürzt, weil die Menschen dort der Freiheit beraubt waren. Und der Kampf um Freiheit geht immer weiter: es geht um innerbetriebliche Mitbestimmung, um Gleichheit 10

zwischen den Geschlechtern, um Chancengleichheit der sozial Schwachen, um eine demokratische Verteilung des Wissens usw. Vieles könnte man aufzählen, und man würde dabei dann auch verfolgen können, wie geschichtlich die Gegner des Freiheitskampfes der Menschen sich gewandelt haben. Auf der politischen Ebene, so scheint mir, haben wir westliche Menschen wesentliche Ziele erreicht. Zum demokratischen Gemeinwesen können wir doch im Großen und Ganzen ‚Ja‘ sagen. Und das bringt mich zurück zu dem von meinem Vorredner geäußerten Gedanken. Freiheit, so sagte er, sei ein Akt, mit dem das Individuum sich zur Welt in ein Verhältnis setzt. Wenn ich diesen Gedanken auf das politische demokratische Gemeinwesen übertrage, dann folgt daraus doch, daß ich als Staatsbürger meine Freiheit darin erweise, daß ich die demokratischen Traditionen und Institutionen ausdrücklich billige. Und dieser Akt der Billigung kann, ja muß bedeuten, daß ich das demokratische Gemeinwesen gegen Bedrohungen verteidige. Die Verteidigung der Demokratie ist ebenso ein Akt der Freiheit wie die Akzeptanz grundlegender demokratischer Regeln. Und jetzt wird der Ansatz, Freiheit selbst als eine Tathandlung zu verstehen, deutlicher: Freiheit ist wehrhaft. Das sollte man gerade heute unterstreichen, und man sollte es an den Terror adressieren, der sich heutzutage als der große Feind der Freiheit formiert.”

IV. Es

sind

wieder

einmal

schwere

Zeiten

angebrochen

für

die

Geisteswissenschaften. Die Naturwissenschaften haben sich aufgemacht, in die Erbhöfe der Philosophen, der Soziologen, der Psychologen einzudringen. Neuro-Biologen und Biogenetiker haben neuerdings Antworten auf die Frage nach dem Menschen. Und hier stürmen sie ausgerechnet die scheinbar unangreifbarste Bastion der Geisteswissenschaften: die Vorstellung, der Mensch sei ein geistiges Wesen. 11

Der Geist – seit jeher hatte diesem Wort doch etwas Nebulöses angehaftet. Theologenträume haben ihn umrankt, Philosophen haben ihn in die Welt hineingeholt und in Kultur und Geschichte Ausformungen des Geistes gesehen. Und jüngst hat die Mentalitätsforschung dem Geist ein modernes, faßbares Gesicht gegeben. Gleichwohl: der Geist verbirgt sich hinter der Schädeldecke dem Auge des Betrachters. Doch das ändert sich nun. Die Hirnforscher sind dem Geist auf der Spur. Sie versuchen, den Weg eines Gedankens in der Großhirnrinde zu verfolgen. Und sie versuchen herauszufinden, wie überhaupt ein Gedanke entsteht, ja mehr noch: sie sind dem Stoff des Geistigen auf der Spur. Der Geist – er ist nicht mehr nur eine religiöse Metapher. Er ist wie alles, was die Naturwissenschaftler zunächst einmal vor sich haben, er ist ein Stück Materie. Kann die Hirnforschung dem alten Streit um die Freiheit des Menschen einen neuen Impuls geben? Mancher Hirnforscher ist dieser Ansicht, so der renommierte Wolf Singer: Wir Naturwissenschaftler sind durch die Eigendynamik unserer Forschung dazu gebracht worden, uns mit Fragen zu befassen, die traditionell von den Geisteswissenschaften behandelt wurden - Hirnforscher können Fragen nach der Natur von Erkenntnis, Empfindung, Bewusstsein oder dem freien Willen nicht mehr ausweichen. Das Terrain hier ist schwierig. Es ist schwierig, weil das Denken und die Sprache der Naturwissenschaft ein anderes ist als der der Philosophie. Und manchmal scheint es, als merkten die Teilnehmer eines Streitgesprächs nicht, daß sie aneinander vorbeireden. Wolf Singer, um bei ihm zu bleiben, stellt deutlich heraus, daß eine naturwissenschaftliche Beschreibung der Hirnprozesse keinerlei Hinweise auf einen freien Willen erkennen lassen. Ja mehr noch: er stellt die kühne Behauptung auf, daß alle mentalen Zustände – Gedanken und Gefühle – neuronal determiniert sind, d.h. jeder mentale Zustand werde durch das Aktivieren von neuronalen Prozessen erzeugt. Die Nervenzellen sind untereinander vernetzt, bilden sogenannte Karten aus, und das Gefühl von Wut sei durch eine ganz bestimmte neuronale Situation gekennzeichnet, die sich 12

deutlich von einem anderen Gefühl wie – sagen wir – Entrüstung unterscheidet. Wenn es also möglich ist – und Hirnforscher sind dieser Ansicht – daß wir mentale Phänomene auf physikalisch-chemische Phänomene reduzieren können, dann legt das nahe, auch den freien Willen auf neuronale Situationen im Gehirn zu reduzieren. Dann aber ist der Wille nicht frei, denn er wird ja physikalischchemisch gesteuert. Aber Halt! Hier verheddern wir uns im Dickicht zweier Sprachen,

der

naturwissenschaftlichen

und

der

philosophischen.

Der

Naturwissenschaftler wird sagen: die naturwissenschaftliche Annahme eines freien Willens würde darauf hinauslaufen, einen Akteur anzunehmen, der auf die Nervenzellen einwirkt, sie stimuliert, Befehle in die neuralen Karten einschreibt. Eine solche Kommunikation von freiem Willen und Nervenzellen ist aber nicht zu beobachten, folglich müssen wir die Rede vom freien Willen aus der naturwissenschaftlichen Beschreibung des Gehirns ausklammern. Wir verweisen damit die Rede vom freien Willen in das Reich der Vorstellungen, die der Mensch sich von sich und der Welt macht. Anders gesagt: wir trennen strikt die kulturelle Ebene von der naturwissenschaftlichen. „Ich kann bei der Erforschung von Gehirnen nirgendwo ein mentales Agens wie den freien Willen oder die eigene Verantwortung finden - und dennoch gehe ich abends nach Hause und mache meine Kinder dafür verantwortlich, wenn sie irgendwelchen Blödsinn angestellt haben.“ schreibt Wolf Singer, und er fügt hinzu: „Ich halte die Freiheitsvorstellung für eine kulturelle Konstruktion. Sie ist, was ihren Einfluss auf unser Verhalten anlangt, ebenso real wie Glaubens- und Wertesysteme. Aber sie ist inkompatibel mit dem, was wir über die Funktion unserer Gehirne gelernt haben. Und dennoch beruht die Vorstellung, frei zu sein, auf Vorgängen im Gehirn. Sie muss sich also irgendwann im Laufe der kulturellen Evolution ausgebildet haben.“ Ich denke, wir haben hier einen interessanten Faden in der Hand, den wir eigenständig weiterspinnen können.

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