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Author: Nikolas Kneller
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PresseInfo Arbeitsbereich Kommunikation Telefon: 0521/594-313, Fax: 0521/594-333 E-Mail: [email protected] Internet: www.evangelisch-in-westfalen.de Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen Predigt über Matthäus 4,1-11 Abendmahlsgottesdienst in der Neustädter Marienkirche Bielefeld Sonntag Reminiscere, 1. März 2015

Liebe Gemeinde, wie Zwillinge sehen sie aus. Rücken an Rücken sitzen sie. Asketische Gestalten. Gelangweilt und griesgrämig der eine im grauen Gewand. Eine Kugel in der ausgezehrten Hand. Der andere, offenbar besser gestimmt, in brauner Kutte. Auch er hält etwas: Einen dürren Zweig. Wie Zwillinge sehen sie aus. Zum Verwechseln ähnlich. Oder ist es nur eine Person? Ein und derselbe Mensch, Rücken an Rücken mit sich selbst? „Jesus und sein Schatten“ hat die Künstlerin ihr Bild genannt. Es findet sich in einer Kinderbibel (Kinderbibel von Werner Laubi und Annegret Fuchshuber).1) Ein Versuch, die Versuchungsgeschichte Jesu ins Bild zu setzen. Ein Versuch, das Wesen der Versuchung überhaupt darzustellen. Der Versucher nicht als bocksfüßiges, gehörntes Untier – als der Teufel eben. Sondern als die mögliche andere Seite. Als Zwilling. Als Schatten. In der biblischen Erzählung der Schatten Jesu, des Gottessohnes. Auch mein Schatten? Auch unsere andere Seite, die wir nach Paulus Gottes geliebte Söhne und Töchter heißen – und es auch sind?

Ein verwirrendes Bild. Es irritiert. Es bringt durcheinander. Irgendwie zieht es auch in seinen Bann. Versuchung. „Jesus und sein Schatten.“ Im Matthäusevangelium lesen wir: Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. 2 Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. 3 Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. 4 Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5.Mose 8,3): »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.« 5 Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels 6 und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11-12): »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.« 7 Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5.Mose 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.« 8 Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit 9 und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. 10 Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5.Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« 11 Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.

II Liebe Gemeinde, da ist Jesus, der Gottessohn. Da ist der Teufel – Matthäus nennt ihn den „Versucher“ und „Durcheinanderwerfer“. Da sind die Engel. Und wir? Zuschauerinnen und Zuschauer einer interessanten Szene? Ja, wir können durchaus mit Gewinn von außen auf diese Geschichte blicken und von ihr lernen, wer der Gottessohn ist und wie souverän er sich bewährt. Es ist ein uralter Streit der Ausleger. Sie fragen: Geht es hier um Christus? Um seinen göttlichen Weg als Gottessohn? Oder geht es um uns und unsere menschlichen Versuchungen in der Nachfolge Christi? Mir scheint: Die Alternative „Christus oder ich?“ führt in die Irre. Es geht in dieser Geschichte um Christus, weil es um mich geht. Und: Es geht um mich, weil es um Christus geht. Zurück zur Geschichte: Unmittelbar bevor die Szene einsetzt, sehen wir Jesus, wie er getauft wird. Der Geist Gottes kommt über ihn und eine Stimme vom Himmel spricht: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. (Matthäus 3,17) Derselbe Geist, so erzählt Matthäus im direkten Anschluss, führt Jesus in die Wüste, damit er dort versucht würde. Das überliest sich leicht. 2

In Wirklichkeit ist es höchst beunruhigend. Derselbe Geist, der Jesus zum Gottessohn erklärt, führt ihn an den Ort der Versuchung. Offenbar gibt es da einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der göttlichen Erklärung: „Du bist mein geliebtes Kind!“ und der teuflischen Probe: „Bist du Gottes Kind, dann tu dies oder das!“ Offenbar trennt sie nur eine kleine Versuchlichkeit: Der Glaube und sein Umschlag ins glatte Gegenteil. Die Versuchung ist nicht die äußerliche Gegenspielerin des Glaubens. Sie ist seine ureigene, in ihm selbst hausende Gefahr. Die Nähe zu Gott macht anfällig für den Missbrauch dieser Nähe. Ausgerechnet die Kinder Gottes sind besonders gefährdet, ihre Gotteskindschaft zu pervertieren. Aus Frieden Gewalt zu machen. Anstelle von Nachfolge Machtgelüste zu entfalten. Kindschaft in Herrschaft zu verwandeln. III An drei Orte wird Jesus vom Versucher geführt. Zunächst ist da die Wüste. Öde und voller Dämonen; innere Stimmen werden da laut, es gibt Fata Morganas und wilde Tiere; keine Orientierung, leere Horizonte, unerträgliche Hitze am Tag und bitterer Frost bei Nacht. Lebensfeindlich ist die Wüste. Ein Ort des Mangels. Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. (V.3) Was für eine Versuchung! Stell dir vor, du könntest Mangel und Ungewissheit aus der Welt schaffen. Dem Hunger auf Erden ein Ende bereiten. Aus dem überflüssigen Prunk in der Welt Mittel zum Leben machen, Lebensmittel. Steine zu Brot, Stroh zu Gold. Securitas statt certitudo. Sicherheit statt Gewissheit. Garantierte Absicherung und zweifelsfreie Sinnstif3tung für alle. Ehrlich gesagt: Das ist eine tiefe Sehnsucht meines Glaubens. Ist es auch seine Versuchung? Sein Zwilling, sein Schatten? Dann sind da die Stadt und der Tempel. Menschengewirr, Vielfalt, Widersprüche. Da gibt es reiche und arme Vororte, Slums und geschlossene Wohlstandsgesellschaften. Verwaltungspaläste und Banken und Gotteshäuser. Kommerz und Konflikt. Zentrum der Macht. Nabel der Welt. Mitten darin der Tempel – ein heiliges, abgetrenntes Gebiet. Eine senkrechte Achse, die Himmel und Erde miteinander verbindet. Fingerzeig zum Höchsten; Symbol der Gottesnähe. Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab, denn es steht geschrieben (Psalm 91,11f): „Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.“ Was für eine Versuchung! 3

Stell dir vor, du hättest einen eindeutigen Gottesbeweis. Könntest zweifelsfrei sagen: Hier ist Gott! Könntest dich seiner bemächtigen und eindrucksvoll demonstrieren: Seht, er ist auf meiner Seite! Er hilft mir. Er steht mir bei. Macht mich gesund. Gibt mir Recht. Ehrlich gesagt: Das ist eine tiefe Sehnsucht meines Glaubens. Ist es auch seine Versuchung? Sein Zwilling, sein Schatten? Schließlich ist da der Berg. Erhaben über die Niederungen. Weit weg von der Welt. Die Luft ist dünn, der Himmel nah. Ein Ort mit Weitblick und Überblick, mit großen Perspektiven. Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Was für eine Versuchung! Ich könnte die alleinige Macht haben; über alles und alle das Sagen. Endlich käme mit mir das Gute zu seinem Recht. Ich könnte herrschen statt all der Herren, die zur Zeit an der Macht sind. Nur eine klitzekleine Verbeugung bräuchte es dazu. Kaum der Rede wert. Karl Barth schreibt zu dieser Szene: „Ein Abschwören Gottes, ein Übertritt zum Atheismus war als Preis für das alles nicht gefordert. Nur eben ein Hutlüften …, nur eben ein diskreter, unter vier Augen zu vollziehender Kniefall vor dem Teufel ... .“ (KD IV, 287) Eine geheime Sehnsucht auch meines Glaubens? Meine eigene Versuchung? Mein eigener Schatten?

IV Wir werden gegenwärtig Zeugen von allerlei grausamer, religiös begründeter Gewalt, liebe Gemeinde. Wir sehen, wie Religion mit brutalen Alleinherrschaftsansprüchen Schlimmes anrichtet, sind erschrocken und ratlos – und erstaunlich schnell bei der Hand mit dem entschuldigenden Satz: „Mit recht verstandener Religion hat das alles nichts zu tun.“ Dieser Satz wird uns immer weniger geglaubt. Zu recht. Denn er ist falsch oder zumindest reichlich dünn. Das, was im Irak, in Syrien, in Paris und in Kopenhagen geschah und geschieht, habe doch nichts mit dem Islam zu tun, hören wir fromme und friedliebende Muslime verzweifelt betonen. Das klingt aufrichtig. Und zugleich hilflos. Allerdings: Können wir unsererseits ernsthaft behaupten, der Irakkrieg George Bushs habe nichts zu tun gehabt mit dem evangelikalen bible belt in den Südstaaten der USA? Oder die aggressive Rhetorik des Heiligen Russlands habe nichts zu tun mit der Orthodoxie? Oder die Hatz gegen Homosexuelle in vielen Ländern Afrikas habe nichts zu tun mit deren christlicher Missionsgeschichte?

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Nicht selten waren es die höchsten Motive und ehrwürdigsten Traditionen ausgerechnet der Religionen, die tiefstes Leid verursachten, barbarische Taten hervorbrachten und hohe Leichenberge schufen. Religion ist nicht per se gut oder schlecht. Auch unser Glaube ist es nicht. Er ist immer zwiespältig; immer ambivalent. Versuchlich eben. Höchst versuchlich. Hat seinen Schatten bei sich. Wie einen Zwilling. Rücken an Rücken mit sich selbst. Schon in der Bibel ist das so. Wo Gott zum Menschen kommt, gerät der Mensch in Versuchung. Gerade da, wo Gott dem Menschen nah ist, wird es gefährlich: Die menschliche Versuchung liegt nahe, Gott nicht Gott sein zu lassen. Die Grenze zwischen Gott und Mensch nicht anzuerkennen oder misszuverstehen. Davon erzählen viele biblische Geschichten. V Auch die Versuchungsgeschichte Jesu. Bist du wirklich Gottes Sohn, dann tu dies! Bist du wirklich Gottes Sohn, dann tu jenes! Zeig mir, wes Gottes Kind du bist! Zeig es mir und allen anderen. Was für eine Versuchung! Die Versuchung, sich als Gotteskind zu beweisen – und gerade so misszuverstehen. Gottes Nähe zu missbrauchen. Jesus entkommt den verwirrenden Anfechtungen seiner Gottessohnschaft. Und – das ist durchaus keine Nebensache: Er entkommt ihnen nicht aus sich selbst. Etwa weil er eine so große, über jede Versuchung erhabene innere Glaubensgewissheit hätte. Oder weil er die brillanteren Antworten wüsste als der Teufel. Jesus greift auf die eigene Tradition zurück. Erinnert sich an die Geschichte Gottes mit seinen Vätern und Müttern im Glauben. Hört auf Worte, die er sich selbst nicht sagen kann. In diesem Hören auf die Schrift – in einem Sichfestmachen an dem, was ihm von außen zukommt bewahrt sich der Glaube Jesu vor seiner eigenen Versuchung. Nun liegt – und das weiß der Versucher sehr genau! – gerade im Hören auf die Schrift eine nächste Versuchung. Manche greifen zum Gotteswort wie in eine Zauberkiste und nehmen flugs einen passenden Vers heraus. Wie gesagt, der Teufel kennt diese Versuchung. Und versucht´s, was läge näher, auch bei Jesus. Da oben, auf der Zinne des Tempels. Gott und dem Himmel ganz nah: „Du kennst die Zauberkiste der Schrift, Jesus. Du weißt, was geschrieben steht. Da ist ein Wort, das passt genau in diese Situation. 5

Nimm´s isoliert und nimm´s wörtlich. Greif´s heraus, abgesehen von jedem Hintergrund und Zusammenhang. Es steht doch geschrieben.“ Der Versucher versucht´s. Jesus kontert seinen Versuch. Er tut es bemerkenswert schlicht und formal: „Es steht auch geschrieben“, sagt er. Und damit ist alles gesagt. Dieses „Es steht auch geschrieben“ verbietet jede fundamentalistische Auslegung. Es ist die schriftgemäße Erwiderung auf jede Vergottung der Schrift. Nur durch Auslegung und Interpretation kann die Schrift in der Vielfalt ihrer Aussagen recht gehört werden. Die Mühe müssen wir uns schon machen, liebe Gemeinde. Auch im Ringen mit den Schatten unseres eigenen Glaubens. Die Welt retten, Gott beweisen, ihn vor unsere eigenen Überzeugungskarren spannen, Macht haben und Macht ausüben – in kleiner Münze kommen solche Versuchungen auch in meinem Glauben daher. Es sind ganz gewiss Versuchungen auch unserer Kirche. „Das alles hat nichts mit richtig verstandener Religion zu tun“ ist ein falscher Satz. Jedenfalls zu einfach und zu dünn. Es ist gut, wenn die Leute den Satz nicht glauben. Auch uns nicht glauben. Es ist oft eine Mühe, das Wort der Schrift recht zu hören. Eine große, anstrengende Mühe. Und: Sie lohnt sich. Der Psalm, aus dem der Teufel Jesus den schönen und versucherischen Satz von den behütenden Engeln anbietet, geht mit einem verheißungsvollen Gotteswort weiter: Er, der Beter, liebt mich, darum will ich ihn erretten. Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören (Psalm 91,14f). Auf Gott hören, immer neu; ihn anrufen, jeden Tag; um sein Wort ringen, ohne Unterlass: Das wird die Engel auf den Plan bringen, die uns behüten. Das glaube ich gewiss. Amen.

1) Bildnachweis: Jesus und sein Schatten Annegert Fuchshuber aus: Laubi/Fuchshuber, Kinderbibel (c) Verlag Ernst Kaufmann, Lahr

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