INSTITUT FINANZEN UND STEUERN" e.v

INSTITUT „FINANZEN UND STEUERN" e.V. Postfach 1808 53008 Bonn Nr. 326 Europa auf dem Weg zur Währungsunion: Ursachen und Lehren der EWS-Krise B o n...
Author: Erika Färber
4 downloads 0 Views 6MB Size
INSTITUT „FINANZEN UND STEUERN" e.V. Postfach 1808 53008 Bonn

Nr. 326

Europa auf dem Weg zur Währungsunion: Ursachen und Lehren der EWS-Krise

B o n n , i m A u g u s t 1994

Alle Rechte vorbehalten Bearbeiter: Diplom-Volkswirt Hagen Lesch Preis: 39,50 D M (darin enthalten 7% USt = 2,58

INSTITUT „FINANZEN UND STEUERN" e.V. Postfach 1808 53008 Bonn

Nr. 326

Europa auf dem Weg zur Währungsunion: Ursachen und Lehren der EWS-Krise

B o n n , i m A u g u s t 1994

Das Institut "Finanzen und Steuern" überreicht Ihnen den Grünen Brief Nr. 326: Europa auf dem Weg zur Währungsunion: Ursachen und Lehren der EWS-Krise

I m Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehen die Krise des Europäischen Währungssystems ( E W S ) sowie die Perspektiven für die europäische Währungsintegration nach der Krise. Die Untersuchimg k o m m t zu d e m Ergebnis, daß durch die EWS-Krise rechtzeitig Probleme deutlich geworden sind, die durch die Maastrichter Integrationseuphorie in den Hintergrund getreten waren. Dies gilt insbesondere für das Pro­ b l e m einer mangelnden Konvergenz und für das falsche Management des E W S . Die Krise k a n n für d e n weiteren Integrationsprozeß heilsam sein, w e n n aus den Krisenursachen die richtigen Lehren gezogen und umge­ setzt werden. Voraussetzung für einen Übergang i n eine Europäische Währungsunion sind drei institutionelle Reformen: Die Zentralbanken müssen so schnell w i e möglich v o n politischen Weisungen unabhängig werden, eine unein­ geschränkte Wechselkurskompetenz erhalten und zu einer symmetri­ schen währungspolitischen Koordination untereinander kommen. E i n besonderer D a n k gilt d e m Stifterverband für die Deutsche Wissen­ schaft u n d der Marga und Kurt Möllgaard-Stiftung, die die vorliegende Untersuchung durch ihre finanzielle Unterstützung ermöglicht haben.

Mit vorzüglicher Hochachtung Institut "Finanzen und Steuern" Dr. Adalbert Uelner

Bonn, i m A u g u s t 1994

2

Inhalt Seite 1. Einleitung

7

2. Aufbau und Funktionsweise des E W S

8

2.1

Rechtliche Grundlagen und Ziele

2.2

Die Europäische Währungseinheit

10

2.3

Der Wechselkurs- und Interventionsmechanismus

15

2.4

Der Abweichungsindikator

20

2.5

Die "sehr kurzfristige Finanzierung"

24

3. Erfahrungen im E W S bis zum Juni 1992

8

27

3.1

Anlaufphase

27

3.2

Konsolidierungsphase und Glaubwürdigkeits Strategie

30

3.3

Stabilitätsphase und Asymmetrie

36

3.4

Fazit

44

4. Die Ursachen der EWS-Krise 4.1

45

Eine Chronologie der Ereignisse

45

4.1.1 Das dänische Referendum

45

4.1.2 Die Rolle der Bundesbank

50

4.1.3 Der Wettstreit um die Ankerrolle

61

4.2

Kosten- und Preisdivergenzen

66

4.3

Inkonsistenz wirtschaftspolitischer Ziele

79

4.4

Spekulation und Effizienz der Devisenmärkte

91 3

Seite 5. V o m E W S zur Währungsunion 5.1

Lehren für die Verwirklichung einer E W U

102 102

5.1.1 Konvergenz als notwendige Bedingung einer E W U 102

5.2

5.3

4

5.1.2 Innere Glaubwürdigkeit

106

5.1.3 Übergangsprobleme

110

Rückkehr zu engen Bandbreiten: Reformvorschläge

112

5.2.1 Das Referenzmodell von Stützel

112

5.2.2 Devisenumsatzsteuer und Einlagepflicht

117

5.2.3 Begrenzung der Interventionsverpflichtung

121

5.2.4 Aufhebung der Saldenausgleichsverpflichtung und kollektive Überwachung des Sterilisations­ verhaltens

125

5.2.5 Unbegrenzte bilaterale Finanzierungsfazilität

130

5.2.6 "Dual-Anchor-System"

133

5.2.7 Devisenterminmarktinterventionen

137

Perspektiven erweiterter Bandbreiten

141

5.3.1 Freiwillige unilaterale Wechselkurssteuerung

141

5.3.2 Mehr Kompetenzen für die Zentralbanken

148

6. Zusammenfassung

152

7. Anhänge

158

8. Abbildungsverzeichnis

160

Seite 9. Tabellenverzeichnis

161

10. Abkürzungsverzeichnis

162

11. Literaturverzeichnis

164

5

"I think, the unexpected crises of the EC should be seen as a chance rather than the end of the integration process which, I am convinced, is going to continue." Karl-Otto Vöhl

1. Einleitung I m S o m m e r 1992 begannen die schwersten Währungsturbulenzen seit d e m Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems. Die Turbulenzen en­ deten erst, als das Europäische Währungssystem ( E W S ) durch die Band­ breitenerweiterung der Wechselkurse v o n +/— 2,25 % auf + / - 15 % prak­ tisch außer Kraft gesetzt wurde. Die Krise w a r begleitet v o n den Ratifizierungsproblemen des Maastrichter Vertrages über die Europäische Union und einer Rezession in Westeuropa, die nahezu alle Mitgliedstaa­ ten weit v o n den Konvergenzvorgaben des Maastrichter Vertrages ent­ fernte. D a s Ziel einer Europäischen Währungsunion ( E W U ) schien i m S o m m e r 1993 in weite Ferne gerückt. Inzwischen besteht Anlaß zu einem neuen, aber vorsichtigen Optimismus i m europäischen Einigungsprozeß. A m 12. Oktober 1993 wies das Bun­ desverfassungsgericht die Verfassungsklage gegen den Maastrichter Unionsvertrag zurück. Damit w a r der Weg für das Inkrafttreten des Vertrages z u m 1. November 1993 frei. I m Spätherbst 1993 beruhigte sich auch das E W S , ohne daß es zu d e m befürchteten Abwertungswettlauf und zu geldpolitischen Alleingängen einzelner Mitgliedstaaten g e k o m m e n war. A m 1. Januar 1994 begann planmäßig die zweite Stufe der E W U und i m März 1994 gelang der Durchbruch bei den Beitrittsverhandlungen mit Finnland, Norwegen, Schweden und Österreich. Diese Länder treten der Europäischen U n i o n (EU) unter der Voraussetzung, daß die vorgesehenen Referenden positiv ausfallen werden, z u m 1. J a n u a r 1995 bei. M i t der vorliegenden Untersuchung setzt das Institut Finanzen und Steuern seine dreiteilige Reihe über die Europäische Währungsintegra­ tion fort. N a c h d e m sich die Untersuchung "Konvergenzkriterien einer E u r o p ä i s c h e n W ä h r u n g s u n i o n : Z u r L o g i k der B e s t i m m u n g e n v o n

7

Maastricht" mit den Problemen der Konvergenz und der Konvergenzkri­ terien befaßt hat, stehen die Ursachen und die Lehren der EWS-Krise i m Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit. Die dritte Analyse wird sich mit der Rolle der Lohnpolitik in einer Währungsunion befassen. I m Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht neben einer Analyse der Krisenursachen eine Diskussion darüber, wie neue Krisen während der Übergangsphase zur E W U vermieden werden können. Z u m besseren Verständnis der dargestellten Zusammenhänge sind diesen beiden zen­ tralen Abschnitten zwei einführende Abschnitte vorangestellt, die insbe­ sondere d e m in währungspolitischen Fragestellungen weniger vertrauten Leser als Orientierungshilfe dienen sollen. In Abschnitt 2 w e r d e n der Aufbau und die Funktionsweise des E W S beschrieben. Abschnitt 3 stellt die Entwicklung des Systems bis z u m Ausbruch der Spannungen i m S o m m e r 1992 dar. Eine Beschreibung des Krisenverlaufs und eine aus­ führliche Analyse der Krisenursachen folgen in Abschnitt 4. Abschnitt 5 zieht die Lehren aus der Krise und diskutiert eine Reihe interessanter theoretischer Vorschläge zur Reform des E W S . Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse beschließt die Untersuchung.

2 . Aufbau und Funktionsweise des EWS 2.1

R e c h t l i c h e G r u n d l a g e n u n d Ziele

D i e r e c h t l i c h e n G r u n d l a g e n des E W S e r g e b e n sich aus der "Ent­ schließung des Europäischen Rates v o m 5. Dezember 1978 über die Errichtung des Europäischen Währungssystems ( E W S ) und damit zu­ sammenhängende Fragen", d e m "Abkommen zwischen den Zentralban­ ken der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Funktionsweise des Europäischen Währungssystems" v o m 13. März 1 9 7 9 u n d d e m "Beschluß (Nr. 12/79) des Verwaltungsrats des E F W Z 1}

1)

In der durch die Akte vom 10. Juni 1985 geänderten Fassung.

2)

Europäischer Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit.

8

2 )

v o m 13. März 1979". Das A b k o m m e n zwischen den Zentralbanken stützt sich a u f drei Verordnungen des Rates der Europäischen Gemeinschaft. * 3

4

Das E W S soll zu "einer stabilen Währungszone in Europa" führen. * D u r c h eine engere wahrungspolitische Zusammenarbeit soll d a s System "eine a u f größere innere und äußere Stabilität gerichtete Politik sowohl für Defizit- als auch für Überschußländer [...] gewährleisten." * Äußere Stabilität bedeutet die Stabilisierung der Wechselkurse zwischen den Teilnehmerstaaten des Systems. * Unter innerer Stabilität w i r d "ein höheres M a ß an Währungsstabilität in der Gemeinschaft" verstanden. Über die Ziele der äußeren und inneren Stabilität hinaus soll das Wäh­ rungssystem "die Konvergenz der wirtschaftlichen Entwicklung erleich­ tern und d e m Prozeß der Europäischen U n i o n neue Impulse verleihen". * 5

6

8

M i t der Ratifizierung des Maastrichter Vertrages über die Errichtung einer Europäischen Union wurde die Bedeutung des E W S für die m o n e ­ täre Integration gestärkt. Der i m Maastrichter Vertrag vorgesehene schrittweise Übergang i n die Endstufe der Europäischen Währungsunion ( E W U ) setzt nämlich ein funktionsfähiges E W S voraus. Art. 109 j A b s . 1 des Maastrichter Vertrages i.V.m. Art. 3 des Protokolls über die Konver­ genzkriterien verlangt, daß j e d e s Land, das an der E W U teilnehmen möchte, seine Währung in den letzten zwei Jahren vor der Prüfung über den Eintritt in die Endstufe der E W U ohne starke Spannungen innerhalb

3)

Die Verordnung (EWG) Nr. 907/73 vom 3. April 1973 zur Errichtung eines Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit, die Verordnung (EWG) Nr. 3180/78 vom 18. Dezember 1978 zur Änderung des Wertes der vom Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit verwendeten Rechnungseinheit sowie die Verord­ nung (EWG) Nr. 3181/78 vom 18. Dezember 1978 über das Europäische Währungssy­ stem. Vgl. Committee of Governors (1985).

4)

Vgl. die Ratsentschließung vom 5. Dezember 1978, in: Committee of Governors (1985), S. 13.

5)

Ebenda.

6)

Vgl. Wulms (1992), S. 199.

7)

Vgl. den Auszug aus den Schlußfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates in Brüssel vom 4.-5.12.1978, in: Committee of Governors (1985), S. 11.

8)

Ebenda.

9

der normalen Bandbreiten des E W S gehalten hat. Insbesondere darf der bilaterale Leitkurs einer Währung nicht einseitig gegenüber der Wäh­ rung eines anderen Mitgliedstaates abgewertet werden. D a die Wechselkurse seit Januar 1987 stabil geblieben waren, bestand vor d e m Ausbruch der Krise i m Sommer 1992 vielfach die Auffassung, daß in Europa bereits eine de facto Währungsunion bestehe. * Eine unwider­ rufliche Festschreibung schon stabiler Wechselkurse schien eine eher technische Angelegenheit zu sein. Durch die i m September 1992 ausge­ brochenen Währungsturbulenzen ist diese Illusion aber zerstört worden. Die EWS-Krise hat gezeigt, daß der Übergang in die Endstufe einer Währungsunion schwieriger werden könnte, als ursprünglich angenom­ m e n wurde. Durch die Spekulationswelle v o m S o m m e r 1993 wurden nicht zuletzt Erinnerungen an die frühen siebziger Jahre wach, in denen der erste A n l a u f zur Errichtung einer E W U (der sog. Werner-Plan) i m Sog der Auflösung des Bretton-Woods-Systems und der ersten Ölpreiskrise ins Leere l i e f . 9

10)

2.2

D i e E u r o p ä i s c h e Währungseinheit

Der zentrale Baustein des E W S ist die Europäische Währungseinheit ( E C U ) . Die E C U ist eine Korbwährung, die sich aus den Anteilen aller zwölf a m E W S teilnehmenden Währungen zusammensetzt. W i e Abbil­ dung 1 zeigt, ist bei den Korbanteilen zwischen absoluten und relativen Anteilen zu unterscheiden. Der absolute Korbanteil wird für j e d e s Land auf der Grundlage seines Handelsvolumens, seines Bruttosozialprodukts sowie seiner Quote i m kurzfristigen Währungsbeistand durch den Euro­ päischen R a t festgelegt. Vor Inkrafttretung des Maastrichter Vertrages konnte der Europäische Rat die absoluten Korbanteile der einzelnen Währungen durch emstimmigen Beschluß ändern. Änderungen w a r e n nach spätestens fünf Jahren vorgesehen (vgl. Tabelle 1), konnten theoren )

9)

Vgl. etwa das Manifest europäischer Wirtschaftswissenschaftler "Für die Wirtschafts­ und Währungsunion" vom Juli 1992.

10) Vgl. dazu Deutsche Bundesbank (1992a), S. 281 ff. 11) European Currency Unit.

10

tisch aber auch a u f Antrag eines Mitgliedstaates vorgenommen werden. Revisionen der absoluten Korbanteile w a r e n deshalb vorgesehen, weil Wechselkursänderungen die relativen Anteile (Gewichte) der einzelnen Währungen a m Währungskorb verändern. Veränderungen der relativen Anteile w u r d e n durch eine Neubestimmung der absoluten Anteile so kompensiert, daß die relativen Anteile der wirtschaftlichen Bedeutimg der betreffenden Länder hinreichend Rechnung trugen. ^ I m Maastrich­ ter Vertrag ist festgelegt worden, daß die absoluten Korbanteile in Zu­ kunft nicht m e h r geändert werden (Art. 109 g), eine administrative Korrektur der relativen Anteile zukünftig also unterbleibt. 12

Abbildung 1: D i e Z u s a m m e n s e t z u n g der E u r o p ä i s c h e n W ä h r u n g s e i n h e i t dkr

Quellen: Deutsche Bundesbank; eigene Berechnungen.

12) Vgl. Deutsche Bundesbank (1992a), S. 196.

11

Tabelle 1: D i e Z u s a m m e n s e t z u n g des E C U - K o r b e s

(absolute Korbanteile)

1)

Währung

1.1.1979

17.9.1984

21.9.1989

DM £ FF Lit hfl bfr 1fr dkr ir£ Dr Ptas Esc

0,828 0,0885 1,15 109,0 0,286 3,66 0,14 0,217 0,00759 l)

0,719 0,0878 1,31 140,0 0,256 3,71 0,14 0,219 0,00871 1,15

0,6242 0,08784 1,332 151,8 0,2198 3,301 0,130 0,1976 0,008552 1,440 6,885 1,393

_ D

_1)

_l)

Keine EWS-Teilnahme.

Quelle: Deutsche Bundesbank, Devisenkursstatistik.

Das folgende Beispiel veranschaulicht die durch Wechselkursänderungen verursachten Verschiebungen der relativen Anteile. In Tabelle 2 sind die D-Mark-Kassamittelkurse der EWS-Währungen v o m 10. August 1990 den D-Mark-Kassamittelkursen v o m 11. August 1993 gegenübergestellt (Spalten 2 und 3).

12

Tabelle 2: Prozentuale Korbanteile aufgrund von Tageswerten

Währung

w

jDM

w

jDM

Korbanteil in D M

relativer Korbanteil

bjWj M

( j jDM) DMECU

b

D

100 hfl

100 bfrs 1 ir£ 100 dkr 100 Esc 1 100 1000 100 1 100

1)

£

Ras Lit FF

10.8.90

11.8.93

88,745 4,856 2,684 26,210 1,137 2,984 1,629 1,3635 29,790

88,82 4,69 2,337 24,57 0,975 2,521 1,206 1,0595 28,45

— DM — 0,8094 1,0173 Dr ECU-Tageskurs der DM

W

/w

10.8.90

11.8.93

10.8.90

11.8.93

0,20 0,17" 0,02 0,05 0,02 0,26 0,11 0,21 0,40 0,62 0,02 2,04

0,20^ 0,16" 0,02 0,05 0,01 0,22 0,08 0,16 0,38 0,62 0,01 1,90

9,8 8,3" 1,0 2,5 1,0 12,8 5,4 10,3 19,6 30,5 1,0

10,5 8,4" 1,1 2,6 0,5 11,6 4,2 8,4 20,0 32,6 0,5

Inklusive lfrs.

Quelle: Deutsche Bundesbank, Devisenkursstatistik.

Die Spalten 4 und 5 geben die absoluten Korbanteile (vgl. Tabelle 1) aller Währungen, umgerechnet in D-Mark, an. Der D-Mark-Korbanteil des holländischen Gulden ergibt sich bspw. dadurch, daß sein absoluter Korbanteil bj mit d e m z u m jeweiligen Betrachtungszeitpunkt gültigen Kassakurs wjDM multipliziert wird. Die Korbanteile in Spalte 4 basieren auf den Wechselkursen v o m 10.8.1990, die Korbanteile in Spalte 5 auf d e n Kursen v o m 11.8.1993. Die kräftigen Abwertungen v o n Peseta, Lira u n d britischem Pfund haben nicht nur den in D-Mark umgerechneten Korbanteil dieser Währungen, sondern auch ihren relativen Korbanteil reduziert. D e r relative Korbanteil des britischen Pfunds ist u m 1,2 Prozentpunkte zurückgegangen, sein Gewicht hat sich mithin u m knapp 9,4 Prozent vermindert. Das Gewicht der Lira ist u m 18,4 Prozent, das der Peseta u m 22,2 Prozent zurückgegangen. Interessant ist, daß sich die

13

Gewichte v o n belgischem Franc und französischem Franc trotz Abwer­ tungen erhöht haben. Tabelle 2 zeigt überdies, daß der ECU-Tageskurs der D-Mark v o n 2,04 D M / E C U a u f 1,90 D M / E C U gesunken ist. Der ECU-Tageskurs wiECU errechnet sich als die mit den absoluten Korban­ teilen gewichtete S u m m e der bilateralen Tageskurse aller a m Währungs­ korb teilnehmenden Währungen j = 1 ... n:

n (2.1)w

f f l C Ü

=X

bjWy,

j=i wobei wij = bilateraler Tageskurs der Währung j in Einheiten der Währung i, bj = absoluter Anteil der Währung j im Währungskorb, n

= Anzahl der Währungen im Währungskorb.

Gleichung (2.1) zeigt, daß j e d e Änderung eines bilateralen Tageskurses zu einer Änderung des ECU-Tageskurses führt. D i e E C U entsteht dadurch, daß alle a m E W S beteiligten Notenbanken verpflichtet sind, jeweils 2 0 % ihrer Dollar- u n d Goldreserven durch revolvierende Dreimonatsswaps auf das Europäische Währungsinstitut ( E W I ) zu übertragen. Das E W I schreibt den Notenbanken i m Gegenzug einen entsprechenden Betrag i n E C U gut. * Der Bestand a n offiziellem E C U lag seit 1979 zwischen 23 und 56 Mrd. E C U . 13

1 4 )

Die E C U hat vier Funktionen. Sie ist —

Bezugsgröße für den Wechselkursmechanismus,

13) Vgl. Art. 17.1 des Abkommens zwischen den Zentralbanken in Verbindung mit Art. 109 f Abs. 2 Maastrichter Vertrag. Vor Inkrafttreten der zweiten Stufe der EWU wurden die Reserven auf den Europäischen Fonds für währungspolitische Zusam­ menarbeit (EFWZ) übertragen. Der EFWZ wurde mit Beginn der zweiten Stufe aufgelöst und dessen Aufgaben durch das EWI übernommen. 14) Vgl. Deutsche Bundesbank (1992a), S. 302.

14



Grundlage für den sog. Abweichungsindikator,

— Rechengröße für Operationen i m Interventions- und Kreditmechanismus, — Instrument für den Saldenausgleich zwischen den Währungsbehörden der Europäischen Gemeinschaft. Die jeweilige Funktion der E C U wird i m Kontext dieser EWS-Bausteine dargestellt. 2.3 D e r Wechselkurs- u n d I n t e r v e n t i o n s m e c h a n i s m u s Für j e d e Teilnehmerwährung des E W S wird ein ECU-bezogener Leitkurs festgelegt. Die ECU-Leitkurse dienen zur Festlegung eines Gitters bilateraler Leitkurse (Paritätengitter), d.h. aus den ECU-Leitkursen w e r d e n die bilateralen Leitkurse aller Währungen abgeleitet (vgl. Tabelle 3). Wird für die D-Mark bspw. ein ECU-Leitkurs v o n 1 E C U = 2 D M und für den französischen Franc ein ECU-Leitkurs v o n 1 E C U = 6 FF festgelegt, ergibt sich zwischen D-Mark und Franc ein bilateraler Leitkurs v o n 1 D M = 3 FF. In der währungspolitischen Praxis wird allerdings umgekehrt vorgegangen. Bei der erstmaligen Festlegung der ECU-Leitkurse und der bilateralen Leitkurse wurden die bilateralen Leitkurse des seit April 1972 bestehenden Europäischen Wechselkursverbundes (der sog. WährungsS c h l a n g e ) * übernommen. D e n bilateralen Leitkursen solcher Währungen, die nicht an der Währungs-Schlange teilnahmen (FF, Lit, ir£), w u r d e n die a m 12. M ä r z 1979 (d.h. die unmittelbar vor Inkrafttreten des E W S ) geltenden bilateralen Tageskurse zugrundegelegt. * Die E C U Leitkurse w u r d e n aus den bilateralen Leitkursen und den durch d e n Rat festgelegten Korbanteilen errechnet. Der Zusammenhang zwischen E C U Leitkurs und bilateralen Leitkursen ist in Gleichung (2.2) dargestellt. Danach ergibt sich der ECU-Leitkurs einer Währung i als die mit den 15

16

15) Vgl. Deutsche Bundesbank (1976), S. 23-30. 16) Vgl. Deutsche Bundesbank (1979), S. 12.

15

absoluten Korbanteilen gewichtete S u m m e der bilateralen Leitkurse aller a m Währungskorb teilnehmenden Währungen j = 1 ... n: * 17

(2.2)w

i E C U

n =£

b

j W i

.

j=i wobei w

fficu

= ECU-Leitkurs der Wahrung i, d.h. Wert der ECU in Einheiten der Währung i,

w„

= bilateraler Leitkurs, d.h. Preis der Währung j in Einheiten der Währung i.

A u s Gleichung (2.2) geht hervor, daß j e d e Änderung eines bilateralen Leitkurses zu einer Änderung des ECU-Leitkurses führt. Wertet bspw. die D-Mark gegenüber einer anderen EWS-Währung auf, sinkt der E C U Leitkurs der D-Mark, d.h. die D-Mark wertet gegenüber der E C U auf. Der ECU-Leitkurs w i r d i m Falle einer Neuberechnung aller ECU-Leitkurse (Realignment) zuerst für eine sog. Referenzwährung ermittelt und zwar auf Basis der neu vereinbarten bilateralen Leitkurse. Die übrigen ECU-Leitkurse lassen sich dann aus d e m so ermittelten "Referenz"-ECULeitkurs und den zugrundeliegenden bilateralen Leitkursen a b l e i t e n * Durch Verknüpfung aller bilateralen Leitkurse entsteht das bereits erwähnte Gitter bilateraler Leitkurse. 18

Alle a m Wechselkursmechanismus teilnehmenden Währungen dürfen innerhalb bestimmter Bandbreiten u m ihre bilateralen Leitkurse schwanken. Normalerweise liegen diese Bandbreiten bei +/— 2,25 Prozent, in Ausnahmefallen bei + / - 6 Prozent. M i t d e m K o m m u n i q u e v o m 2. A u g u s t 1993 w u r d e n die Bandbreiten auf + / - 15 Prozent ausgedehnt. * A u s d e n bilateralen Leitkursen u n d der vorgesehenen Bandbreite lassen 19

17)

Vgl. auch Wulms (1992), S. 200 ff.

18) Vgl. Deutsche Bundesbank (1992a), S. 299. 19) Vgl. Communique of the European Community, Brussels, August 2,1993, in: Deutsche Bundesbank, Auszügen aus Presseartikeln, Nr. 53, vom 3.8.1993.

16

sich die i m Paritätengitter neben den Leitkursen angegebenen Höchstund Niedrigstkurse berechnen. Das in Tabelle 3 dargestellte Paritätengittersystem weist (jeweils von oben nach unten) den jeweiligen Höchst-, Leit- und Niedrigstkurs für die alte Bandbreite v o n + / - 2,25 Prozent aus. Die Höchst- und Niedrigstkurse geben den oberen und unteren Interventionspunkt j e d e r Währung an. Stößt der bilaterale Tageskurs zweier Währungen (der Kurs, der sich aus den Devisenmarkttransaktionen tatsächlich ergibt) an einen der Inter­ ventionspunkte, m ü s s e n die betroffenen Notenbanken a m Devisenmarkt intervenieren, u m den bilateralen Tageskurs innerhalb der vorgesehenen Bandbreite zu halten. Bei diesen sog. obligatorischen Interventionen kauft die Zentralbank des Schwachwährungslandes auf d e m Devisenmarkt die eigene Währung gegen Starkwährung, während die Zentralbank des Starkwährungslandes ihre eigene Währung gegen Schwachwährung ver­ kauft. Obligatorische Interventionen müssen nach den EWS-Statuten in unbeschränktem Umfang vorgenommen werden. Es m u ß grundsätzlich in den Währungen der a n den Interventionen beteiligten Zentralbanken interveniert w e r d e n . * 20

Die Zentralbanken haben die Möglichkeit, auf den Devisenmärkten zu intervenieren, bevor die Wechselkurse ihre Interventionspunkte errei­ chen (intramarginale Interventionen). Bei intramarginalen Interventio­ n e n intervenieren die Zentralbanken, u m die Tageskurse a m Devisen­ markt innerhalb der vorgeschriebenen Bandbreite zu beeinflussen. Dabei m ü s s e n sich die Zentralbanken aber untereinander abstimmen. B e i an­ haltenden oder starken Spannungen sieht das System "ausdrücklich" Anpassungen der Leitkurse vor. * Solche Realignments setzen die Zu­ stimmung aller a m Wechselkursmechanismus teilnehmenden Länder voraus, weil - wie bereits erläutert - j e d e Veränderung eines bilateralen 2 x )

22

20) Vgl. Art. 2 des Abkommens zwischen den Zentralbanken der Mitgliedstaaten vom 13. März 1979, in: Committee of Governors (1985), S. 27. 21) So die Terminologie der Deutschen Bundesbank. Vgl. Deutsche Bundesbank (1992a), S.307. 22) Vgl. die Entschließung des Europäischen Rates vom 5. Dezember 1978, Ziffer 3.2., in: Committee of Governors (1985), S. 15.

17

Leitkurses eine Änderung der ECU-Leitkurse aller a m System teilneh­ m e n d e n Währungen bedeutet. Tabelle 3:

Paritätengitter (vom 14.5. -1.8.1993)

Belgien/ Luxemburg

Dänemark

Deutschland

Frankreich

100 bfrs/lfrs

100 dkr



553,00 540,723 528,70

18,9143 18,4938 18,0831 4,959 4,84837 4,740 16,6310 16,2608 15,8990



100 D M 2.109,50 2.062,55 2.016,55 390,16 381,443 373,00

26,810 26,2162 25,630



89,925 87,9257 85,970

343,05 335,386 327,92

100 FF 628,970 614,977 601,295 116,32 113,732 111,20 30,495 29,8164 29,150 —

Irland

2,05664 2,01090 1,96616

11,1208 10,8734 10,6315

42,4268 41,4757 40,5515

12,6480 12,3666 12,0915

Niederlande

5,5870 5,46286 5,3415

30,21 29,5389 28,8825

115,235 112,673 110,1675

34,36 33,5953 32,8475

Portugal

509,230 479,590 451,670

2.753,50 2.593,24 2.442,30

10.504,20 9.891,77 9.319,70

3.131,60 2.949,37 2.777,70

Spanien

407,300 383,589 361,260

2.202,30 2.074,15 1.953,40

8.403,00 7.911,72 7.451,50

2.504,80 2.358,98 2.221,70

18

100 Ir£ Belgien/ Luxemburg

50,8605 49,7289 48,6230

Dänemark

9,4060 9,19676 8,9922

Deutschland

2,466 2,41105 2,357

Frankreich

8,2703 8,08631 7,9064

Irland

,

— — Niederlande

Portugal

Spanien

1)

2,7784 2,71662 2,6562

100 hfl 1.872,15 1.830,54 1.789,85 346,24 338,537 331,02 90,770 88,7526 86,780 304,44 297,661 291,04 37,6478 36,8105 35,9919

— —

253,234 238,495 224,615

9.321,40 8.779,18 8.267,90

202,544 190,755 179,653

7.455,80 7.021,83 6.613,20

100 Esc 22,14 20,8512 19,6375

100 Ptas 27,6810 26,0696 24,5520

4,0945 3,85618 3,6317

5,1193 4,82126 4,5407

1,073 1,01094 0,952

1,342 1,26395 1,190

3,6001 3,39056 3,1933

4,5011 4,23911 3,9923

0,445207 0,419295 0,394892

0,556630 0,524232 0,493722

1,2095 1,13906 1,0728

1,51213 ;

—•

— 84,9260 79,9828 75,3300

1,42413 1,34124 132,750 125,027 117,750

— —

Mit Wirkung vom 2. August 1993 sind die Schwankungsbreiten auf + / - 15 % erweitert worden. Großbritannien und Italien nehmen seit dem 17.9.1992 nicht mehr am Interventionsmechanismus teil.

Quelle: Deutsche Bundesbank.

19

2.4

Der Abweichungsindikator

Der Abweichungsindikator soll darüber Auskunft geben, ob sich eine einzelne Währung "deutlich anders entwickelt" als alle übrigen Währun­ gen des Wechselkursmechanismus. * Er soll Spannungen anzeigen, be­ vor die Währungen an ihre Interventionspunkte stoßen. Bei der Berech­ nung des Indikators wird berücksichtigt, daß Abweichungen des ECU-Ta­ geskurses v o m ECU-Leitkurs aufgrund der Korbdefinition der E C U durch die Schwankungen der bilateralen Tageskurse bestimmt werden. Durch die i m Paritätengitter festgelegten Bandbreiten für die bilateralen Leitkurse w e r d e n die Abweichungen der ECU-Tageskurse v o n ihren ECU-Leitkursen automatisch begrenzt. Befindet sich eine Wahrung ge­ genüber allen übrigen Währungen des Interventionsmechanismus derart in Opposition, daß ihr Wechselkurs u m 2,25 % gegenüber allen Währun­ gen sinkt, wird der ECU-Tageskurs v o m ECU-Leitkurs u m weniger als 2,25 % abweichen, weil der eigene Korbanteil der Währung a m E C U unverändert bleibt und dadurch "stabilisierend" wirkt. Je größer das Korbgewicht der betreffenden Währung, u m so geringer fällt die Abwei­ chung des ECU-Tageskurses v o m ECU-Leitkurs aus. * Bei der Berech­ nung wird die tatsächliche Abweichung des ECU-Tageskurses v o m E C U Leitkurs einer Währung mit der maximal zulässigen Abweichung vergli­ chen. A u f diese Weise wird die Abweichung der Kursentwicklung einer Währung v o m Durchschnitt der anderen Währungen z u m Ausdruck gebracht. * 23

24

25

Die maximal zulässige Abweichung einer Währung ist erreicht, w e n n der bilaterale Tageskurs dieser Währung seine zulässige Bandbreite nach oben oder n a c h unten gegenüber allen anderen Korbwährungen voll ausschöpft, d.h. die betroffene W ä h r u n g g e g e n ü b e r a l l e n ü b r i g e n Korbwährungen an den oberen bzw. unteren Interventionspunkt stößt. In diesem Fall erreicht die Abweichung des ECU-Tageskurses v o m E C U -

23) Vgl. Deutsche Bundesbank (1979), S. 13. 24) Vgl. auch Schröder (1979), S. 236 f. 25) Vgl. Deutsche Bundesbank (1992a), S. 300.

20

Leitkurs ihr M a x i m u m . Rechnerisch ergibt sich die maximal zulässige Abweichimg ( A i ) der Währung i aus der Gleichung: m a x

(2.3) A

m a A i

= (l-a )ß i

i ;

wobei ai = relativer Anteil der Währung i an der ECU (absoluter Anteil von Währung i am Währungskorb, dividiert durch den ECU-Leitkurs der Währung i), ß; = Schwankungsbreite der Währung i um die bilateralen Leit­ kurse. Die maximal zulässige Abweichung der D-Mark lag a m 1.2.1993 bei (1 0,31962) 2,25 % = 1,53 %. Für das irische Punt betrug sie dagegen (1 0,01056) 2,25 % = 2,23 %?® Dies zeigt, daß sich aus den unterschiedlichen Gewichten der einzelnen Währungen i m ECU-Währungskorb unter­ schiedlich große maximale Abweichungen ergeben. Die tatsächliche Abweichung als:

( 2

.

4 )

A

. T

=

"iECU_ w

einer Währung i (Ai ) ergibt sich rechnerisch

"IECÜ.

1 0 0 I

iECU

Für den Abweichungsindikator

( A i ) ergibt sich aus (2.3) und (2.4):

1

(2.5) A. = — — 100. l

» max

26) Vgl. Deutsche Bundesbank, Devisenkursstatistik.

21

W i e bereits angedeutet, dient der Abweichungsindikator als Frühwarn­ system. Überschreitet der Abweichungsindikator einer Währung seine sog. Abweichungsschwelle, müssen Regierung und Zentralbank des be­ troffenen Landes diese Situation durch "angemessene Maßnahmen" kor­ rigieren. D i e Entschließung des Europäischen R a t e s * sieht solche M a ß n a h m e n in 27

— diversifizierten M a ß n a h m e n , —

internen währungspolitischen Maßnahmen,

— Änderungen der Leitkurse, —

anderen wirtschaftspolitischen Maßnahmen.

Die Abweichungsschwelle (Ai ) Hegt bei 75 Prozent der maximalen Abwei­ chungsspanne j e d e r Währung. * 28

(2.6)

4=0,75 ( l - a ) ß . i

i

E i n Beispiel soll diese Zusammenhänge verdeutlichen. Tabelle 4 zeigt in Spalte 2 die bilateralen ECU-Leitkurse v o m 1. Februar 1993. So entspre­ chen bspw. 100 F F 29,8164 D M . I n Spalte 3 wurde angenommen, daß die bilateralen Tageskurse aller EWS-Währungen gegenüber der D-Mark a m 1. Februar 1993 u m 2,25 % zurückgegangen sind. Spalte 4 zeigt den in D-Mark umgerechneten Korbbetrag aller ECU-Währungen unter Annah­ m e der i n Spalte 3 angenommenen bilateralen Tageskurse. Wir betrach­ t e n also den Grenzfall, in d e m die maximal zulässige Abweichung erreicht wird.

27) Vgl. Ziffer 3.6 der Entschließung des Rates vom 5. Dezember 1978, in: Committee of Governors (1985), S. 15 f. 28) Vgl. Ziffer 3.5, ebenda.

22

Tabelle 4: Beispiel z u r B e r e c h n u n g d e s A b w e i c h u n g s i n d i k a t o r s 2)

Währung 100 100 100 1 100 100 100 100 1 1000 1

bfrs(+lfrs) dkr FF Ir£ hfl Esc Ptas Dr £ Lit DM x )

1 }

M

w

DMj

w

4,84837 26,2162 29,8164 2,41105 88,7526 1,08122 1,37386 0,753141 2,41572 1,08725



DMj

4,73928 25,6263 29,1455 2,3568 86,7557 1,0569 1,3429 0,736195 2,36137 1,0628



1)

Fiktive Leitkurse; abgeleitet aus den ECU-Leitkursen.

2)

Angenommene Abweichung aller Währungen um -2,25 %.

bjW Mj D

0,1626 0,0506 0,3882 0,0202 0,1907 0,0147 0,0925 0,0106 0,2074 0,1613 0,6242

Aus Spalte 3 ergibt sich für die D-Mark ein ECU-Tageskurs v o n 1,923. Der ECU-Leitkurs w u r d e zum 1. Februar 1993 auf 1,95294 festgelegt. Daraus ergibt sich für die tatsächliche Abweichung: T . 1,923 - 1,95294 DM" 1,95294 "

ö

'° '

d.h. die D-Mark hat sich gegenüber der E C U u m 1,53 % aufgewertet. Die tatsächliche Abweichung der D-Mark entspricht damit ihrer maximal zulässigen Abweichung, die a m 1. Februar 1993 bei 1,53 % lag. Der daraus resultierende Abweichungsindikator v o n 100 % übersteigt die Abweichungsschwelle u m 25 %, so daß "angemessene Maßnahmen" notwendig würden. Wie bereits erwähnt, soll der Abweichungsindikator als Frühwarnsystem fungieren. D i e Deutsche Bundesbank wies schon i n ihrem Monatsbericht v o m März 1979 auf Konstruktionsmängel des Indikators hin. Es ließe sich nicht eindeutig beantworten, "ob der Indikator zuerst reagiert, oder aber

23

die bilateralen Interventionspunkte gegenüber einer oder mehreren Wäh­ rungen vorher erreicht werden". * E s sei möglich, daß einzelne Währun­ gen bei der vereinbarten Abweichungsschwelle v o n 75 % ihre bilateralen Interventionspunkte erreichen, ohne die Abweichungsschwelle zuvor überschritten zu haben. 29

Tatsächlich wurden schon in der Anfangsphase des E W S die Interventi­ onspunkte erreicht, ohne daß zuvor der Indikator ausgelöst worden war. * Der Abweichungsindikator w a r in der Praxis kein zuverlässiges Frühwarnsystem. Der Indikator verlor überdies durch die Zunahme intramargmaler Interventionen an Bedeutung, weil intramarginale In­ terventionen A b w e i c h u n g e n der ECU-Tageskurse v o n ihren Leitkursen entgegenwirkten und dadurch Spannungen frühzeitig abgebaut wur­ den. * A u f den praktischen Wert des Indikators wird bei der Analyse der EWS-Krise seit d e m Spätsommer 1992 deshalb nicht eingegangen. 30

31

2.5

1

D i e "sehr kurzfristige Finanzierung '

U m sicherzustellen, daß die Zentralbanken ihren unbegrenzten InterventionsverpfÜchtungen i m Falle obligatorischer Interventionen nachkom­ m e n können, eröffnen sich die beteiligten Zentralbanken gegenseitig sehr kurzfristige Kreditfazilitäten in unbegrenzter Höhe. * Eine solche sehr kurzfristige gegenseitige Kreditgewährung ist notwendig, weil die einzel­ nen Zentralbanken in der Regel nicht über genügend Devisenreserven verfügen, u m i m erforderlichen Umfang obligatorisch intervenieren zu können. 32

Die "sehr kurzfristige Finanzierung" soll anhand eines Beispiels erklärt werden. A n g e n o m m e n sei, daß der französische Franc gegenüber der D-Mark seinen unteren Interventionspunkt erreicht hat und die Banque

29) Vgl. Deutsche Bundesbank (1979), S. 15. 30) Vgl. dazu Kleinheyer (1987), S. 101 ff. 31) Vgl. Deutsche Bundesbank (1989), S. 33. 32) Vgl. Art. 6 des Abkommens zwischen den Zentralbanken vom 13. März 1979, in: Committee of Governors (1985), S. 29 ff.

24

de France keine D-Mark-Reserven m e h r besitzt, m i t denen sie interve­ nieren kann. In diesem Fall unterrichtet die Banque de France die Deutsche Bundesbank, die ihr einen für die Interventionszwecke ange­ messenen D-Mark-Kredit gewährt. Der D-Mark-Kredit wird z u m E C U Tageskurs i n E C U umgerechnet und auf Finanzierungskonten verbucht, die b e i m E W I geführt w e r d e n und a u f E C U lauten. * Die Bundesbank erhält a u f ihrem Finanzierungskonto ein entsprechendes ECU-Gutha­ ben, die B a n q u e de France auf ihrem Finanzierungskonto eine entspre­ chende ECU-Belastung. Die Salden auf den Finanzierungskonten werden mit d e m gewichteten Durchschnitt repräsentativer Geldmarktsätze verzinst. * 33

34

I m September 1987 wurde i m sog. Basel/Nyborg-Abkommen festgelegt, daß Interventionskredite i m R a h m e n der "sehr kurzfristigen Finanzie­ rung" spätestens dreieinhalb Monate nach seiner Entstehung fällig wer­ den. * Die Fälligkeit k a n n sich auf Antrag der Schuldnerzentralbank automatisch u m drei Monate verlängern, solange der Kreditbetrag die doppelte H ö h e der Schuldnerquote der Schuldnerzentralbank i m kurzfri­ stigen Währungsbeistand nicht überschreitet. * Die Fälligkeit darüber hinausgehender Beträge k a n n nur mit Zustimmung der Gläubigerzen35

36

33)

Vgl. Art. 7 des Abkommens zwischen den Zentralbanken in der durch Art. 109 f Abs. 2 des Maastrichter Vertrages gültigen Fassung. Das Abkommen zwischen den Zentralbanken sah ursprünglich den EFWZ als Verrechnungsstelle vor.

34)

Vgl. Art. 8 des Abkommens zwischen den Zentralbanken.

35)

Vgl. Art. 1 der Pressemitteilung der EG-Notenbankgouverneure und des EFWZ vom 18. September 1987 über die Vereinbarungen zur Stärkung des EWS, in: Deutsche Bundesbank (1988), S. 68.

36)

Der kurzfristige Währungsbeistand beruht auf einem Abkommen der Zentralban­ ken der EG-Mitgliedstaaten vom 9. Februar 1970, das am 10. Dezember 1985 novel­ liert wurde. Dieses Beistandssystem ist nicht Bestandteil des EWS. Es kann im Falle vorübergehender Zahlungsbilanzdefizite eingesetzt werden. Vgl. dazu Deutsche Bundesbank (1992a), S. 311 ff. Die Schuldnerquoten im kurzfristigen Währungsbei­ stand lauten seit dem 1.1.1986 (in Mio. ECU): Deutsche Bundesbank 1.740, Bank of England: 1.740, Banque de France: 1.740, Banca d'Italia: 1.160, Banca de Espana: 725, Banque Nationale de Belgique: 580; Nederlandsche Bank: 580, Danmarks National­ bank: 260; Bank of Greece: 150, Banco de Portugal: 145, Central Bank of Ireland: 100.

25

tralbank verlängert werden. Eine weitere Verlängerung u m drei Monate ist nur i m Einvernehmen mit der Gläubigernotenbank möglich. N a c h Art. 16 des A b k o m m e n s zwischen den Zentralbanken v o m 13. März 1979 sah der Saldenausgleich v o n Finanzierungsgeschäften i m R a h m e n der "sehr kurzfristigen Finanzierung" so aus, daß ein Kreditbetrag bis z u 50 % in E C U zurückgezahlt werden konnte. Der Restbetrag war entweder i n Gläubigerwährung oder mit anderen Reserven zurückzuzahlen. Seit d e m Basel/Nyborg-Abkommen ist die Gläubigerzentralbank gehalten, Rückzahlungen bis z u 100 % in E C U zu akzeptieren, solange dies nicht zu einer unausgewogenen Zusammensetzung ihrer Reserven u n d zur Bildung übermäßiger ECU-Schuldner- und Gläubigerpositionen führt. * 37

Mit d e m Basel/Nyborg-Abkommen steht die "sehr kurzfristige Finanzie­ rung" i m Prinzip auch für intramarginale Interventionen zur Verfügung. Dies erschien gerechtfertigt, "weil intramarginale Interventionen in ge­ wissen Situationen helfen können, obligatorische Interventionen z u ver­ meiden". * I n der Pressemitteilung der Notenbankgouverneure heißt es dazu: "Der Rückgriff auf diese Finanzierung soll n u n zwar nicht automa­ tisch werden, aber es wird die Vermutung eingeführt, daß intramarginale Interventionen in EWS-Währungen [...] unter bestimmten Voraussetzun­ gen in die sehr kurzfristige Finanzierung über den E F W Z einbezogen w e r d e n k ö n n e n [...]." 38

V o r a u s s e t z u n g ist eine Z u s t i m m u n g der betroffenen N o t e n b a n k e n . A u ß e r d e m ist die Kreditgewährung über das E W I betragsmäßig a u f die doppelte H ö h e der Schuldnerquote der Schuldnerzentralbank i m kurzfri­ stigen Währungsbeistand begrenzt und die Gläubigerzentralbank k a n n eine Rückzahlung i n ihrer eigenen Währung verlangen. D e r Saldenausgleich i n E C U oder i n Gläubigerwährung hat unterschied­ liche Auswirkungen auf die Geldmenge des Gläubigerlandes. Zunächst entstehen der Gläubigerzentralbank durch die Kreditgewährung eine

37) Vgl. Art. 3 der Pressemitteilung vom 18. September 1987, in: Deutsche Bundesbank (1988), S. 68. 38) Vgl. Deutsche Bundesbank (1988), S. 69. 39) Vgl. Art. 2 der Pressemitteilung vom 18. September 1987.

26

ECU-Forderung gegenüber d e m E W I und d e m E W I eine ECU-Forderung gegenüber der Schuldnerzentralbank. Zahlt die Schuldnerzentralbank ihre ECU-Verbindlichkeiten gegenüber d e m E W I in Gläubigerwährung zurück, k a n n das E W I seine ECU-Verbindlichkeiten gegenüber der Gläu­ bigerzentralbank ebenfalls in Gläubigerwährung zurückzahlen. Dadurch wird die ECU-Forderung der Gläubigerzentralbank gegenüber d e m E W I wieder aufgelöst und die m i t der Kreditgewährung verbundene Geldmen­ genausweitung des Gläubigerlandes wieder rückgängig gemacht. Zahlt die Schuldnerzentralbank ihre ECU-Verbindhchkeiten gegenüber d e m E W I dagegen in E C U zurück, k a n n das E W I seine ECU-Verbindhch­ keiten gegenüber der Gläubigerzentralbank nicht in Gläubigerwährung zurückzahlen. In diesem Fall bleiben die ECU-Forderungen der Gläubi­ gerzentralbank gegenüber d e m E W I bestehen und die Geldmenge des Gläubigerlandes steigt dauerhaft an. Allerdings besteht die Möglichkeit, daß die Gläubigerzentralbank d e n interventionsbedingten Geldmen­ genanstieg durch eine entsprechende Verknappung des heimischen Geld­ angebots neutralisiert (Sterilisation). Für die Schuldnerzentralbank bedeutet eine Rückzahlung in E C U einen Rückgang ihrer ECU-Forderung gegenüber d e m E W I . Dies k o m m t fak­ tisch einem Verlust eines Teils ihrer b e i m E W I eingelegten Gold- und Dollarreserven gleich.

3. Erfahrungen im EWS bis zum Juni 1992 3.1

Anlaufphase

Die Entwicklung des E W S läßt sich in mehrere Phasen einteilen. Die Anlaufphase des Systems ist durch eine Reihe v o n Leitkursanpassungen (Realignments) charakterisiert. Infolge unterschiedlicher wirtschaftspo­ litischer Präferenzen in den einzelnen Teilnehmerstaaten mußten die Leitkurse bis z u m März 1983 immerhin siebenmal angepaßt werden. Ungerer beschreibt diese Phase des E W S treffend "as a period of trial and orientation". * 40

Ein Beispiel für die diesem Zeitraum zugrundeliegenden unterschiedli­ chen Vorstellungen über den Phillips-Kurven Trade off zwischen Inflation

27

und Beschäftigung und den sich daraus ergebenden wirtschaftspoliti­ schen Reaktionen liefert die französische Wirtschaftspolitik zu Beginn der achtziger Jahre. * Die französischen Sozialisten versuchten nach ihrer Regierungsübernahme i m Frühjahr 1981 die wirtschaftliche Akti­ vität mit Hilfe einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik zu beleben. Die französische Volkswirtschaft präsentierte sich zu diesem Zeitpunkt in einer alles anderen als gesunden Verfassimg: Nach der zweiten Ölpreiskrise stiegen die Inflationsrate i m Jahre 1980 auf über 13 Prozent, die Arbeitslosenquote a u f 6,3 Prozent (im Jahresdurchschnitt 1974-80: 4,8 Prozent) und das Leistungsbilanzdefizit auf 1,4 Prozent * (in Prozent des BIP). In einem gesunden Zustand befand sich lediglich der französische Staatshaushalt. Positiv w a r darüber hinaus, daß der französische Franc die ersten beiden Jahre i m E W S ohne Abwertung überstand. 41

42

Die expansive Geld- und Fiskalpolitik der sozialistischen Regierung (u.a. w u r d e n 1981/82 200.000 Personen neu in den öffentlichen Dienst einge­ stellt, der Mindestlohn i m Juni 1981 nominal u m 10 % angehoben, die Arbeitszeit verkürzt und viele Unternehmen verstaatlicht) brach i m Frühjahr 1983 zusammen, ohne daß sich die prognostizierten Erfolge eingestellt hatten: Das reale BIP-Wachstum blieb 1982/83 mit 1,8 und 0,7 Prozent unter den Zielen v o n 3,1 u n d 2 Prozent, die Inflation und die Arbeitslosigkeit verharrten jeweils auf ihren Ausgangsniveaus. D e n Preis für seinen wirtschaftspolitischen Alleingang zahlte Frankreich mit einem Verlust seiner Devisenreserven und drei Abwertungen des französischen Francs: i m Oktober 1981 wurde der Franc gegenüber der D-Mark u m 8,8 Prozent, i m Juni 1982 u m 10,6 Prozent und i m März 1983 u m 8,2 Prozent abgewertet (vgl. Tabelle 5). Bereits nach der Abwertung i m S o m m e r 1982 leitete die Regierung Mitterand erste Stabilisierungsmaßnahmen ein.

40) Vgl. Ungerer (1990), S. 334. 41) Zu den folgenden Ausführungen vgl. Sachs und Wyplosz (1986), S. 267 ff. 42) 0,6 Prozent nach Angaben der OECD.

28

Tabelle 5: A u i w e r t u n g e n der D - M a r k g e g e n ü b e r a n d e r e n E W S - W ä h r u n g e n 1979 - 1 9 8 3 (in Prozent der bilateralen Leitkurse)

Realignments

bfr/lfr

dkr

FF

hfl

ir£

Lit

24.09.1979 30.11.1979 23.03.1981 05.10.1981 22.02.1982 14.06.1982 21.03.1983

2,0 —

5,0 5,0

2,0

—:



5,5 9,3 4,3 3,9

5,5 3,1 4,3 2,9

— 8,8

2,0 — — —





10,6 8,2

— 1,9

2,0 — — 5,5 — 4,3 9,3

2,0 — 6,4 8,8 — 7,2 8,2

kumulativ

27,5

28,6

32,8

3,9

22,6

37,0



Quellen: Deutsche Bundesbank; eigene Berechnungen.

Mit A u s n a h m e des holländischen Gulden gerieten während der Anfangsphase auch die übrigen EWS-Währungen gegenüber der D-Mark regelmäßig unter Abwertungsdruck (vgl. Tabelle 5). Ursächlich für die häufigen Reahgnments waren die ökonomischen Divergenzen zu Beginn der achtziger Jahre. Tabelle 6 gibt Auskunft über die unterschiedliche Preisentwicklung, die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte und das reale Wachstum der Volkswirtschaften. Es fällt auf, daß die Abwertungsländer i m Vergleich zu Deutschland und den Niederlanden nicht nur sehr hohe Preissteigerungsraten aufwiesen (mit A u s n a h m e Belgiens/Luxemburgs), sondern auch hohe Leistungsbilanzdefizite. Der Abwertungsbedarf resultierte offenbar nicht allein aus Inflationsunterschieden, sondern auch aus Leistungsbilanzungleichgewichten. Dies gilt besonders für Belgien, Dän e m a r k und Irland. Ein Zusammenhang zwischen realem BIP-Wachstum und Abwertungen läßt sich aus Tabelle 6 nicht beobachten.

29

Tabelle 6:

Ökonomische Divergenzen in der Anlaufphase des EWS 1

Inflation *

Land

2

Leistungsbilanzsaldo *

reales BIP-Wachstum

1980 1981 1982 1983 1980 1981 1982 1983 1980 1981 1982 1983 B

3)

DK D F IRL I LUX NL

3)

6,4 10,7 5,9 13,5 18,6 20,4 7,5 6,9

8,7 12,0 6,2 13,4 19,6 18,0 8,6 5,8

7,8 10,2 5,1 11,8 14,9 17,1 10,6 5,5

7,1 6,8 3,3 9,7 9,2 14,8 8,3 2,9

0,5 0,5 4,1 -0,9 1,5 3,0 2,5 2,1 - 0 , 4 -0,9 0,8 0,2 -0,9 1,6 1,1 0,9 1,6 2,5 0,7 1,2 6,3 3,1 3,3 2,3 -0,2 0,4 0,6 0,2 1,0 4,1 0,8 -0,6 3,0 — 1,1 0,9 -0,7 - 1 , 4 - 1,7 - 1,9 + 3,0 + 2,9 1,4

- 4,1 - 3,7 - 1,7 - 0,6 -11,1 - 2,2

- 4,2 - 3,2 - 0,5 - 0,8 -14,1 - 2,2

+ -

2,8 4,0 0,8 2,2 9,9 1,4

+ -

1)

Verbraucherpreise.

2)

in Prozent des BIP; ein negatives Vorzeichen gibt ein Defizit an.

3)

Angabe für B und LUX.

Quellen: Europäische Kommission, OECD.

3.2 Konsolidierungsphase und Glaubwürdigkeitsstrategie Die Realignments v o m Februar 1982 und März 1983 leiteten bei einigen Teilnehmerstaaten des E W S eine wirtschaftspolitische Trendwende ein. * Belgien n a h m 1982 eine nominale A b w e r t u n g in Kauf, die die vorangegangene reale Aufwertung nicht voll kompensierte. D i e neue wirtschaftspolitische Strategie Belgiens zielte vielmehr darauf ab, die durch die reale Aufwertung verschlechterte internationale Wettbewerbs­ fähigkeit des Landes durch binnenwirtschaftliche M a ß n a h m e n auszu­ gleichen. I m März 1983 ging auch Frankreich zu einer "hard-currency"43

43) Vgl. Ungerer (1990), S. 335.

30

Strategie über. Frankreich bekräftigte seine Entschlossenheit, auch zu­ künftig a m Wechselkursmechanismus des E W S teilzunehmen u n d die dazu notwendigen internen Anpassungsmaßnahmen durchzuführen. Die Neuorientierung der wirtschaftspolitischen Präferenzen leitete eine zweite Phase des E W S ein, die bis Anfang 1987 andauerte. Diese Konso­ lidierungsphase brachte das E W S seinem Ziel näher, i n Europa eine Zone innerer u n d äußerer Stabilität z u schaffen. Abbildung 2 zeigt, daß die durchschnittliche Inflationsrate der EWS-Teilnehmer seit 1981/82 deut­ lich zurückgegangen ist u n d sich bei etwa 4 Prozent eingependelt hat. Damit verbunden w a r ein enormer Konvergenzprozeß: Die Standardab­ weichung ging v o n 5,7 Prozent (1980) auf 2,5 Prozent (1987) zurück. Abbildung 2: Preiskonvergenz innerhalb u n d außerhalb des E W S

Mittelwert E W S - L a n d e r w

Mittelwert O E C D - L a n d e r

Standardabwetehung EWS—Lander

1

1 1

1 1 i

1 1

1 1

i

1 1

1179 1 S K M B I 1 1 B S Z l B B 3 1 B B 4 1 B B 5 1 B U l H 7 1 B B a i B H l B B < ] 1 B B 1

IIB!

Jahr

Quellen: OECD, Eurostat.

31

Darüber hinaus w u r d e n weniger Realignments notwendig. Vom Frühjahr 1983 bis z u m Frühjahr 1986 mußte lediglich die Lira einmal abgewertet werden. Ein allgemeiner Anpassungsbedarf entstand nur noch i m April 1986 und i m J a n u a r 1987 (vgl. Tabelle 7). Die D-Mark wertete zwischen 1983 und 1987 gegenüber allen a m Wechselkurs- und Interventionsmechanismus teilnehmenden Währungen deutlich weniger a u f als zwischen 1979 u n d 1983. Tabelle 7: Aufwertungen der D-Mark gegenüber anderen E W S - W ä h r u n g e n 1983 - 1 9 8 7

(in Prozent der bilateralen Leitkurse) Realignments 22.07.1985 7.04.1986 4.08.1986 12.01.1987 kumulativ

bfrs/lfrs

dkr

FF

hfl

ir£

2,0

2,0

6,2

3,0 8,7 3,0 15,3

1,0

3,0

3,0

_ — — —

3,0

5,1

9,4









_

lit 8,5 3,0



3,0

15,1

Quellen: Deutsche Bundesbank; eigene Berechnungen.

Tabelle 8 zeigt, daß auch die Variabilität des nominalen Außenwertes der D-Mark gegenüber den EWS-Währungen gegenüber der Anfangsphase teilweise deutlich zurückgegangen ist. Eine A u s n a h m e bildet lediglich die Variabilität des nominalen Außenwerts der D-Mark gegenüber d e m irischen Punt. Diese ging erst in der dritten Phase des E W S zurück (vgl. Tabelle 8). Auffallend ist die große Variabilität des nominalen Außenwertes der D-Mark gegenüber d e m a m Interventionsmechanismus nicht teilnehmenden britischen Pfund. Die Verringerung der nominalen Wechselkursschwankungen setzte sich bis z u m Frühsommer 1992 fort. Mit Beginn der Wechselkursspannungen h a b e n seit Juni 1992 die nominalen Schwankungen v o n Lira, irischem P u n t und britischem Pfund und seit August 1993 auch die v o n französischem Franc, belgischem Franc und

32

Dänenkrone zugenommen Berechnungen der Deutschen Bundesbank bis 1989 zeigen, daß auch der reale Außenwert der D-Mark gegenüber d e m belgischen Franc, d e m französischen Franc und der Lira zurückgegangen, gegenüber d e m holländischen Gulden aber leicht angestiegen i s t . 44

Tabelle 8: Variabilität der A u ß e n w e r t e n t w i c k l u n g d e r D - M a r k (Standardabweichung der relativen monatlichen Veränderung des nominalen Außenwertes) ^~~~~^VVähru ng

FF

Lit

hfl

bfr

dkr

ir£

£

1,04 0,72 0,37 0,56 0,87

1,03 0,78 0,55 3,33 2,98

0,49 0,23 0,09 0,17 0,12

1,20 0,37 0,19 0,34 1,02

0,96 0,41 0,36 0,48 1,38

0,70 1,28 0,24 2,12

2,54 2,36 1,52 3,31 2,96

Zeitraum ^ ^ - - « « ^ II/79-I/83 II/83-Jan/87 Feb/87-Mai/92 Jun/92-Juh793 Jun/92-Pebr/94

2,16

Quellen:Deutsche Bundesbank, Monatsberichte; eigene Berechnungen.

D e r Systemwechsel v o n einer Inflationspolitik zu einer Disinflationspolitik ist auch außerhalb des E W S zu beobachten (vgl. Abbildung 2, Mittelwert der OECD-Länder) und damit kein EWS-spezifischer Vorgang. Das E W S bietet als Fixkurssystem allerdings einen institutionellen Rahmen, m i t d e m sich die Anpassungskosten bzw. Wohlfahrtsverluste eines solchen Systemwechsels mindern lassen. Anpassungskosten entstehen, weil die Ankündigung einer Regierung oder Zentralbank, die Inflationsrate zu reduzieren in den A u g e n der Märkte nicht glaubwürdig sein m u ß . Die Märkte wissen, daß die Regierung einen Anreiz hat, die angekündigte Inflationsrate nicht einzuhalten, u m durch eine Überraschungsinflation Beschäftigungseffekte zu erzielen. * Verhalten sich die Marktteilnehmer 45

44) Vgl. Deutsche Bundesbank (1989), S. 33. 45) Vgl. dazu ausführlich Lesch (1993), S. 42 ff, oder Gros und Thygesen (1992), S. 126 ff.

33

rational, w e r d e n sie ihre Inflationserwartungen nicht n a c h unten korri­ gieren, so daß der Systemwechsel ex ante unterbleibt oder nur auf Kosten temporärer Produktions- und Beschäftigungsverluste möglich ist. Einen A u s w e g aus diesem Dilemma weist die Strategie, den Wechselkurs der eigenen Währung gegenüber einer Währung zu fixieren, die stabil ist und schon eine hinreichende Reputation genießt. * Sind die Marktteil­ nehmer v o n der Dauerhaftigkeit einer solchen Anbindung überzeugt, geht die Glaubwürdigkeit der stabilen Währung auf die "angekettete" Wäh­ rung über. D a s E W S schuf einen Rahmen, die Kosten einer Disinflationspolitik mit Hilfe einer solchen Strategie zu reduzieren, was besonders für Länder mit hoher Inflation attraktiv w a r : "EMS membership amounts to borrowing the Bundesbank's credibility." * 46

4 7 )

48

Die "credibihty"-Interpretation unterstellt, daß eine Wechselkursfixie­ rung glaubwürdiger als die Ankündigung eines Geldmengenziels ist. * Diese A n n a h m e ließe sich damit begründen, daß eine Aufgabe der Wechselkursfixierung m i t höheren nationalen und internationalen Reputati­ onsverlusten verbunden sei als eine Verfehlung des Geldmengenziels. Der Austritt v o n britischem Pfund und italienischer Lira aus d e m Interven­ tionsmechanismus des E W S i m September 1992 machte aber deutlich, daß Wechselkursvereinbarungen jederzeit ausgesetzt w e r d e n konnten. Als Folge dieser Austritte geriet die Glaubwürdigkeit fast aller Wechsel­ kursfixierungen ins Wanken. Länder, die an der Wechselkursanbindung festhielten, m u ß t e n deshalb auf ihre Kapitalmarktanleihen eine hohe Risikoprämie zahlen. Dieser Zusammenhang ist einer der Ursachen für den Z u s a m m e n b r u c h des E W S * und die Wiederherstellung der Glaub­ würdigkeit der Wechselkursfixierung ist das Kernproblem des Übergangs zur E W U . * 49

5 0

51

46) Vgl. Giavazzi und Pagano (1988). 47) Vgl. Giavazzi und Pagano (1988), Collins (1988) oder Melitz (1988). 48) Vgl. Wyplosz (1988), S. 2. 49) Vgl. Fratianni und von Hagen (1990b), S. 361. 50) Vgl. dazu Abschnitt 4.3. 51) Vgl. dazu Abschnitt 5.

34

Empirische Uberprüfungen der "credibility"-Interpretation lassen nicht eindeutig erkennen, ob die Kosten der Disinflation durch die Wechselkursanbindune an die D-Mark tatsächlich gemildert worden sind. * Die übliche Messung der Disinflationskosten durch das sog. "sacrifice ratio", d.h. der relativen Änderung v o n Inflation und Arbeitslosigkeit innerhalb einer bestimmten Periode, führt j e nach Periodenabgrenzung zu unter­ schiedlichen Ergebnissen. Eine solche Messung ist ohnehin unbefriedi­ gend, da beide Variablen v o n einer Vielzahl anderer Faktoren determi­ niert werden. A u f eine Diskussion der "sacrifice ratio's" wird daher ver­ zichtet. 52

Gegenüber der Anlaufphase änderte sich während der Konsolidierungs­ phase nicht nur die währungspolitische Strategie der Teilnehmerstaaten, sondern auch die Praxis der Währungspolitik. U m die Wechselkurse besser beeinflussen und stabilisieren zu können, w u r d e weniger obliga­ torisch interveniert, sondern m e h r intramarginal (vgl. Abbildung 3). Mit Hilfe intramarginaler Interventionen, die anfänglich stark mit Dollar-De­ visen, später z u n e h m e n d m i t D-Mark-Devisen abgewickelt wurden, konnten die Zentralbanken spekulativen Devisenmarktoperationen früh­ zeitig entgegenwirken - eine Interventionspolitik, die lange Zeit durchaus wirkungsvoll w a r - aber insbesondere in der dritten Phase nach 1987 zu beträchtlichen außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten beitrug.

52) Vgl. die Diskussion bei Gros und Thygesen (1992), S. 127 ff.

35

Abbildung 3: Obligatorische u n d intramarginale D-Mark-Interventionen i m E W S (Saldo aus Verkäufen u n d Käufen)

3.3

Stabilitätsphase u n d A s y m m e t r i e

Nach d e m Realignment v o m 12.1.1987 folgte eine über fünf Jahre andau­ ernde Stabilität der nominalen Wechselkurse. * Während dieser Stabi­ litätsphase entwickelte sich ein sog. Kern-EWS aus den Benelux-Ländern, Dänemark, Frankreich, Irland und Deutschland. I m Kern-EWS ent53

53) Mit dem Eintritt in die normale Bandbreite am 8.1.1990 wurde lediglich die Lira aus technischen Gründen abgewertet.

36

wickelte sich ein hoher Grad an Preis- und Nominalzinskonvergenz (vgl. die Abbildungen 2 und 4). In den übrigen Ländern (Peripherie) verharrten die Inflationsraten dagegen auf einem deutlich höheren Niveau.

Abbildung 4: Kurzfristige Nominalzinsdi£ferenz a u s g e w ä h l t e r E W S - W ä h r u n g e n g e g e n ü b e r der D - M a r k 13T-

1ÜT0

]G

11

B]

l>

Bt

H

BC

87

8S

69

SO

01

B2

BJ

Jahr

Quelle:

Europäische Kommission.

Die Konvergenz der Inflationsraten darf aber nicht verdecken, daß sich auch i m Kern-EWS einige makroökonomische Variablen weiterhin divergent entwickelten. Dies zeigt ein Blick auf Tabelle 9.

37

Tabelle 9:

Konvergenzentwicklung 1987 -1993 Entwicklung der Verbraucherpreise Jahr

D

1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993

B

0,8 1,4 3,1 2,7 3,9 4,0 4,2

DK

F

4,6 4,0 4,3 2,6 2,5 1,9 1,4

1,9 1,6 3,4 3,6 2,5 2,1 2,8

IRL

3,2 2,7 3,4 2,9 3,0 2,4 2,3

I

2,6 2,9 3,6 1,6 2,3 2,6 2,3

NL

5,3 5,7 7,2 5,2 6,9 5,4 4,4

E

0,2 0,5 1,2 2,2 3,4 3,0 2,1

5,7 5,0 6,6 6,5 6,3 6,4 4,7

Leistungsbilanzsalden (in % des BD?) Jahr 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993

B

D 4,1 4,3 4,8 3,6 - 1,1 - 1,2» - 1,2

DK

1,3 1,7 1,7 0,9 1,8 1,8 1,3

U

U

- 2,9 - 1,3 - 1,5 0,5 1,4 3,0 2,8

F -

0,2 0,3 0,5 0,9 0,5 0,2 0,6

IRL

I

- 0,2 0,0 - 1,7 - 0,7 2,0 3,6 3,4

-

NL

0,2 0,7 1,3 1,4 1,8 2,1 0,1

1,9 2,8 3,5 3,8 3,6 3,2 3,0

E -

0,1 1,1 3,2 3,7 3,6 3,8 2,7

Defizitquote (in % des BIP) Jahr 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993

D + -

1,9 2,2 0,1 2,1 3,5 2,3 3,8

B -

7,5 6,8 6,7 5,8 6,6 6,9 7,4

DK + + -

2,4 0,6 0,5 1,5 2,2 2,6 4,4

F -

1,9 1,7 1,3 1,5 2,1 3,9 5,9

IRL -

8,5 4,5 1,7 2,2 2,0 2,2 3,0

I -

11,0 10,7 9,9 10,9 10,2 9,5 10,0

NL -

5,9 4,6 4,7 5,1 2,5 3,5 4,0

E -

3,1 3,3 2,8 3,9 5,2 4,6 7,2

Reale Lohnstückkosten (1986 = 100) Jahr 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1)

D 100,5 99,1 97,4 96,4 97,1 97,3 97,4

B

DK

F

97,9 95,3 92,3 94,6 96,3 96,3 97,9

103,6 103,4 101,3 100,3 98,9 98,0 98,4

98,8 96,7 95,3 95,9 96,3 95,4 95,3

Gesamtdeutschland.

Quelle: Europäische Kommission.

38

IRL 97,9 97,2 92,5 93,6 94,1 94,5 95,4

I

NL

E

99,4 98,2 97,8 99,5 100,1 99,0 97,0

102,5 101,2 98,1 98,1 98,4 99,6 100,8

99,7 99,1 97,3 97,1 96,7 96,4 96,2

Große Unterschiede bestanden i m Bereich der Haushaltepolitik. In Bel­ gien lag dio Defizitquote der öffentlichen Haushalte zwischen 5,8 und 7,5 Prozent, in den Niederlanden bis 1990 jährlich bei fast 5 Prozent und i m Peripherie-Land Italien bei reichlich 10 Prozent. Die hohen Defizitquoten führten in diesen Ländern zu einem beschleunigten Anstieg der öffentli­ chen Schuldenquote. * Tabelle 9 zeigt ferner, daß Irland eine deutliche Rückführung der Defizitquote gelang, w ä h r e n d die Defizitquote in Deutschland stark anstieg. D e n i m Maastrichter Vertrag festgelegten Referenzwert v o n 3 Prozent * erreichten 1993 lediglich Irland und das in Tabelle 9 nicht berücksichtigte Luxemburg. 54

55

A u c h der Außenhandel entwickelte sich innerhalb und außerhalb des Kern-EWS recht unterschiedlich. Hier fällt auf, daß Länder mit über­ durchschnittlichen Inflationsraten (Italien, Spanien) hohe Leistungsbi­ lanzdefizite aufweisen. A u f diesen Befund wird i m Laufe der Untersu­ chung noch näher eingegangen. Das dänische und französische Lei­ stungsbilanzdefizit kehrte sich i m Laufe der Jahre in einen Leistungsbi­ lanzüberschuß u m , während sich der deutsche Überschuß (infolge der deutschen Einheit) in ein Defizit verwandelte. Anhaltend hohe Leistungs­ bilanzüberschuss e weisen Irland und die Niederlande auf. Unterschiedlich stellt sich schließlich auch das Kostengefälle in der Gemeinschaft dar. Das gilt sowohl für die Kapitalkosten als auch für die Arbeitekosten. Hier gibt besonders der Blick auf die Realzinsen und die realen Lohnstückkosten Aufschluß. Abbildung 5 zeigt die Realzinsdiffe­ renz einiger EWS-Länder gegenüber Deutschland. Bis 1989 näherten sich die Realzinsen deutlich an, danach entwickelten sie sich aber wieder auseinander. Die Realzinsentwicklung steht damit in Kontrast zur kon­ vergenten Nominalzinsentwicklung. Unterschiede gibt es auch in der Entwicklung der realen Lohnstückkosten, obwohl nur ein relativ kurzer Betrachtungszeitraum (1987 - 1993) zugrunde gelegt wurde. Während D ä n e m a r k und die Niederlande 1993 Indizes v o n 98,4 bzw. 100,8 aufwie­ sen (Basisjahr 1986 = 100), lag der Index in Irland und Frankreich bei

54) Vgl. dazu Lesch (1993), S. 49 ff. 55) Vgl. das Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit.

39

95,4 bzw. 95,3. Zwischen 1987 und 1993 entwickelte sich zwischen Irland und den Niederlanden ein reales Kostengefälle von über 5 Prozent.

Der anhaltende Wirtschaftsaufschwung der achtziger Jahre und die B o o m p h a s e zwischen 1989 und 1991 rückten diese makroökonomischen Divergenzen in den Hintergrund. Länder wie Italien und Spanien vertei­ digten ihre nominalen Wechselkurse m i t h o h e n Nominalzinsen, die be­ trächtliche Kapitalimporte auslösten. A u c h die Länder des Kern-EWS behielten mit Ausnahme der Niederlande gegenüber Deutschland einen Zinsvorsprung (nominal und real). M i t der andauernden Wechselkurssta40

bilität setzte eine "Verstetigung der Wechselkurserwartungen" das E W S vorübergehend zu einer Art de facto Währungsunion ließ.

ein, die werden

Während des Disinflationsprozesses wurde die Ankerrolle der D-Mark von d e n Partnerländern i m E W S als ein probates Mittel zur Steigerung ihrer geldpolitischen Glaubwürdigkeit angesehen. N a c h d e m die Inflati­ onsraten aber auf ein als stabilitätspolitisch vertretbar angesehenes Maß zurückgegangen waren, wurde die Ankerrolle der D-Mark den Partner­ staaten zunehmend lästig. * Die Fixierung der Wechselkurse schränkte den Spielraum für eine eigenständige nationale Geldpolitik weitgehend ein. Dies wurde durch die Kapitalverkehrsliberalisierung z u m 30.6.1990 noch verstärkt. Eine autonome Zinssenkung löste Kapitalexporte aus, so daß der nominale Wechselkurs unter Druck geriet und die Zinssenkung wieder zurückgenommen werden mußte. So entstand in Europa eine geldpolitische Koordination, die m a n häufig als die sog. Dominanz der D-Mark bezeichnet. Obwohl die empirischen Untersuchungen diese D Mark-Dominanz nicht eindeutig belegen *, ist zumindest die Ankerrolle der D-Mark unumstritten. Sie zeigt sich deutlich in der Zinsfuhrerschaft der Deutschen Bundesbank. * 57

58

59

60

Fratianni und v o n H a g e n * testeten die D-Mark-Dominanz mit Hilfe von Veränderungen der Geldmarktzinsen und der Geldbasis. Für d e n Zeit­ r a u m v o n 1979 bis 1988 k o m m e n ihre Untersuchungen zu d e m Ergebnis, daß die deutschen Zinssätze und die deutsche Geldmenge auf geldpoliti­ sche Aktionen in anderen EWS-Ländern reagierten, d.h. die deutsche Geldpolitik nicht ganz unabhängig v o n der Politik der Partnerstaaten war. Die übrigen Länder des Systems reagierten allerdings stärker auf deutsche geldpolitische Impulse als umgekehrt, so daß eine Ankerrolle der D-Mark durchaus gegeben ist. Fratianni und v o n H a g e n k o m m e n zu

56) Vgl. Matthes (1993), S. 27. 57) Dieses Problem wird im Verlauf der Untersuchung noch ausführlich diskutiert. 58) Vgl. Fratianni und von Hagen (1990a) und (1990b). 59) Vgl. dazu Debaere (1993). 60) Vgl. Fratianni und von Hagen (1990a) und (1990b).

41

d e m Ergebnis, daß die deutsche Position i m E W S eher durch eine lang­ fristige Unabhängigkeit als durch eine Dominanz beschrieben wird. Die Ankerrolle der D-Mark ergibt sich aus der asymmetrischen Funkti­ onsweise des E W S . A u s den in den E W S - A b k o m m e n vereinbarten Inter­ ventionsverpflichtungen ergibt sich zwar eine "formale Symmetrie der Interventionsverpflichtungen": * Stößt der Wechselkurs zweier Währun­ gen an den oberen bzw. unteren Interventionspunkt, sind beide Zentral­ banken z u unbegrenzten Interventionen verpflichtet. A u c h der Abwei­ chungsindikator w a r dazu gedacht, die Anpassungslasten symmetrisch zu verteilen: Theoretisch müßte ein Starkwährungsland wirtschafts- und insbesondere geldpolitische Korrekturen i n d e m Fall vornehmen, in d e m sein Wechselkurs einseitig v o n allen übrigen Wechselkursen abweicht. D i e tatsächlichen Interventionsvorgänge heben diese "formale Symme­ trie" allerdings auf. Sie sollen daher etwas genauer erläutert w e r d e n * 61

62

Die Auswirkungen der Interventionen auf die nationale Geldmenge läßt sich anhand einer vereinfachten Zentralbank-Bilanzidentität zeigen: die Geldmenge ( M ) , die Passivseite der Bilanz, ist identisch mit der S u m m e aus den internationalen Devisenreserven (R) und der heimischen Geld­ komponente (D), der Aktivseite der Bilanz:

(3.1) M = R + D .

R entsteht durch d e n Erwerb v o n in ausländischer Währung denominier­ ten Aktiva, D entsteht durch die Kreditgewährung der Zentralbank an die inländischen Geschäftsbanken. Wie w i r k e n nun die Interventionsvorgänge auf die Komponenten der Geldmenge u n d welche Reaktionen werden dadurch induziert? Durch die obligatorischen Interventionen des Starkwährungslandes steigt die Geld­ m e n g e des Starkwährungslandes, während die Geldmenge des Schwach-

61) Vgl. Bofinger (1988), S. 320. 62) Vgl. zu den folgenden Ausführungen auch Bofinger (1988), S. 320 ff., (1993a), S. 397 ff.

42

wahrungslandes unverändert bleibt. Durch die obligatorischen Interven­ tionen des Schwachwährungslandes sinkt die Geldmenge des Schwachwährungslandes, während die Geldmenge des Starkwährungslandes un­ verändert bleibt. * U m d i e s e Liquiditätseffekte zu neutralisieren, müßten beide Länder Anpassungsmaßnahmen ergreifen. Darin liegt die "formale Symmetrie der Interventionsverpflichtungen". Dieser symmetri­ sche Liquiditätseffekt tritt aber nur dann auf, w e n n die Devisenmarktin­ terventionen v o n den Notenbanken nicht wieder durch gegenläufige Ope­ rationen a m inländischen Geldmarkt neutralisiert werden. In diesem Fall spricht m a n v o n einer Sterilisierung v o n Interventionen. 63

Eine Aufgliederung der Geldmenge in D und R gemäß Gleichung (3.1) zeigt, daß sich der Liquiditätseffekt aus einem Reserveeffekt ergibt: Durch die Interventionen sinken die Devisenreserven des Schwachwährungs­ landes, während die Devisenreserven des Starkwährungslandes steigen. Daraus resultieren asymmetrische Anpassungszwänge. Das Schwachwährungsland verfügt nur über beschränkte Devisenreserven und kann daher nur begrenzt intervenieren. Sind die Reserven erschöpt, muß es seine Geldpolitik an die des Starkwährungslandes anpassen oder abwer­ ten. D a s Schwachwährungsland kann sich zwar b e i m E W I beliebig viel Interventionswährung ausleihen, m u ß diese aber gemäß der Fristsetzun­ gen i m R a h m e n der "sehr kurzfristigen Finanzierung" mit eigenen Wäh­ rungsreserven wieder zurückzahlen. * Das Starkwährungsland kann dagegen unbegrenzt intervenieren. Dies führt allerdings zu einem unkon­ trollierten Geldmengenwachstum. 64

Das Starkwährungsland kann einem unkontrollierten Geldmengenwach­ stum entgegenwirken, i n d e m es seine seine interventionsbedingte Geld­ mengenerhöhung durch eine Reduzierung der heimischen Geldkompo­ nente neutralisiert (vgl. Gleichung 3.1). Eine Sterilisierung hängt v o m Sterilisationspotential ® des Starlwahrungslandes ab. Es ist klar, daß 6

63) Zu einer detaillierten Analyse der Geldmengeneffekte der Interventionen vgl. Bofinger(1991),S.lllff. 64) Vgl. Abschnitt 2.5. 65) Das Sterilisationspotential wird durch die mögliche Veränderung der heimischen Geldkomponente bestimmt. Dazu gehören die Refinanzierungskredite an das inlän-

43

das Starkwährungsland den interventionsbedingten Zufluß a n Devisen­ reserven u m s o problemloser verkraften kann, j e größer sein Sterilisati­ onspotential ist. N o c h stärker fallen die Anpassungslasten der Schwachwährungsländer bei intramarginalen Interventionen aus, wenngleich die Vereinbarungen von Basel/Nyborg * die Asymmetrie etwas verringert haben. Bevor intra­ marginale Interventionen i m R a h m e n der "sehr kurzfristigen Finanzie­ rung" über das E W I abgewickelt werden konnten, ergaben sich asymme­ trische Reserve- und Liquiditätseffekte: D a die Interventionen allein aus bestehenden Reserveguthaben finanziert wurden, nahmen die Reserven und die Liquidität i m Schwachwährungsland ab, während sie i m Stark­ währungsland unbeeinflußt blieben. Die seit Basel/Nyborg mögliche Fi­ nanzierung intramarginaler Interventionen über das E W I erhöht n u n den Interventionsspielraum für die Schwachwährungsland-Zentralbank. Letztlich müssen die Verbindlichkeiten b e i m E W I aber w i e d e r u m durch Devisenreserven beglichen werden. Die Anpassungslast wird lediglich aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. 66

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß sich die Schwachwährungs­ länder der Geldpolitik des Ankerlandes anpassen müssen, sofern sie ihre Wechselkurse verteidigen wollen. Dadurch fällt der Geldpolitik des A n ­ kerlandes ein binnenwirtschaftlicher Freiheitsgrad zu, der auf das ganze System zurückwirkt. 3.4 Fazit Das E W S ist seiner Zielsetzung nach innerer und äußerer Stabilität bis z u m Juni 1992 durchaus gerecht geworden: Die Inflationsraten näherten sich auf niedrigem N i v e a u an, so daß weniger Realignments notwendig wurden. Bis 1987 w a r das E W S ein System fester, aber anpassungsfähiger

dische Bankensystem, kurzfristig mobilisierbare Schatzwechsel und der Refinanzie­ rungsbedarf, der sich aus einer Anhebung der Mindestreservesätze ergeben würde. Vgl. Bofinger (1993a), S. 399. 66) Vgl. Abschnitt 2.5.

44

Wechselkurse, in d e m unterschiedliche Inflationsentwicklungen entspre­ chende Wechselkursanpassungen auslösten. N a c h 1987 entwickelte sich das System trotz bestehender Inflationsdiffe­ renzen zu einer de facto Währungsunion. Dies erklärt sich dadurch, daß m i t der Strategie der D-Mark-Anbindung eine zunehmende Politisierung der Wechselkurse einherging. Realignments w a r e n politisch nicht mehr opportun, weil eingestanden worden wäre, daß eine dauerhafte Wechselkursanbindung nicht durchgehalten w e r d e n kann. Über den damit ver­ bundenen (mutmaßlichen) politischen oder nationalen Prestigeverlust hinaus wäre die Strategie anderer Mitgliedstaaten gescheitert, die Glaub­ würdigkeit der Bundesbank zu importieren. Die anhaltend stabilen Wechselkurse führten zu einer Integrationseupho­ rie, die sich in den Maastrichter Beschlüssen über die Errichtung einer Europäischen Währungsunion niederschlug. N a c h den Erfahrungen aus der EWS-Krise ist allerdings klar, daß die Stabilität der Wechselkurse vor d e m Hintergrund anhaltender ökonomischer Divergenzen in zweierlei Hinsicht kontraproduktiv war: kurzfristig kontraproduktiv für die Stabi­ lität des E W S , langfristig kontraproduktiv für die Währungsintegration. Dies wird aus den Abschnitten vier und fünf deutlich werden.

4 . Die Ursachen der EWS-Krise 4.1

E i n e C h r o n o l o g i e der Ereignisse

4.1.1 Das dänische

Referendum

Die Krise des E W S hängt eng mit den Maastrichter Beschlüssen zur Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion ( W W U ) zusammen Die Unterzeichnung des Vertrages durch die Staats- u n d Regierungschefs a m 7.2.1992 in Lissabon verfestigte die offenbar bei vielen Marktteilneh­ m e r n schon vorhandene Erwartung, daß Leitkursanpassungen zukünftig eher die A u s n a h m e seien. Diese Wechselkurserwartimgen w a r e n keines­ falls "irrational": Z w a r bestanden zwischen den einzelnen Volkswirtschaf­ ten durchaus Divergenzen, die einer dauerhaften Wechselkursfixierung widersprachen. Die Märkte wußten aber, daß Realignments auf einen erbitterten politischen Widerstand stießen. 45

Viele Marktteilnehmer ignorierten die vorhandenen Divergenzen, weil sie erwarteten, daß diese durch binnenwirtschaftliche Anpassungen besei­ tigt w e r d e n könnten. Andere Marktteilnehmer gingen offenbar davon aus, rechtzeitig vor einer Abwertung aus ihren Engagements in mutmaßlichen Schwachwährungen herauszukommen. * Diese Erwartungen führten zu h o h e n Kapitalzuflüssen in hochverzinsliche Währungen wie Lira und Peseta - auch aus d e m Dollarraum. * Allein zwischen Anfang 1990 und Mitte 1992 betrug der Nettoauslandserwerb spanischer Anleihen 27 Mrd. US-Dollar, der Nettoauslandserwerb britischer, italienischer und schwe­ discher Anleihen z u s a m m e n 112 Mrd. US-Dollar. * 67

68

69

Durch den negativen Ausgang des dänischen Referendums a m 2 . Juni 1 9 9 2 * w u r d e diese Wechselkursillusion zerstört. Der EG-Währungsaus­ schuß vermutet in seinem Gutachten über die EWS-Krise: "The delays and temporary set-backs encountered in the process of ratifying the Maastricht Treaty led markets to assume [... ] a weakening of commitment to the current E M S parity-grid and possibly even to the system itself." * Das "Nein" der D ä n e n z u m Maastrichter Vertrag und die Unsicherheit über d e n Ausgang des französischen Referendums i m September 1 9 9 2 * lösten auf den Kapitalmärkten eine umfangreiche Absicherung der Enga70

71

72

67) Vgl. Group of Ten (1993), S. 12. 68) Die Zehnergruppe weist in diesem Zusammenhang auf das sog. "Convergence-trading" hin. Die hinter dem "Konvergenzhandel" stehende Strategie ist, Dollarmittel in hochver­ zinsliche Währungen, z.B. Lira, zu investieren und das Wechselkursrisiko nicht über einen Terminverkauf von Lira, sondern D-Mark abzusichern, weil der Terminabschlag gegenüber dem Dollar bei der D-Mark geringer ist als bei der Lira. Diese Absicherung des Wechselkursrisikos über eine "proxy hedge" ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn ein konstanter Lira-D-Mark-Kurs erwartet wird. 69) Vgl. Group of Ten (1993), S. 11 und Tabelle 15 in Abschnitt 4.2. 70) Bei einer Wahlbeteiligung von 82,9 % stimmten 50,7 % der Wähler gegen und 49,3 % der Wähler für den Maastrichter Vertrag. 71) Vgl. Monetary Committee (1993), S. 12 ff. 72) Umfragen ergaben, daß im Juli 1992 25 % aller Franzosen noch nicht wußten, wie sie beim Referendum abstimmen würden. Für die Annahme der Verträge waren 47 %, dagegen waren 28 %. Vgl. Müller (1993), S. 5.

46

73

gements in mutmaßlichen Schwachwährungen aus: * Offene Positionen in Schwachwährungen w u r d e n durch Termingeschäfte glattgestellt, was über den Arbitragemechanismus auf die Kassamärkte zurückwirkte. Besonders betroffen w a r e n zunächst das britische Pfund und die italienische Lira (vgl. Abbildungen 6 und 7).

Abbildung 6: W e c h s e l k u r s e n t w i c k l u n g des b r i t i s c h e n P f u n d s (1 £ = ... D M ) Höchatkura

Durchschnittlicher Kaaaakura

5/02

7/02

B/02

11/02

UFSH

1/03

3/93

S/93

7/93

9/93

11/BJ

1/04

t

Quelle: Deutsche Bundesbank, Devisenkursstatistik.

73) Vgl. Group of Ten (1993), S. 12 ff.

47

Abbildung 7: W e c h s e l k u r s e n t w i c k l u n g d e r italienischen L i r a (1000 Lit = ... D M )

1.35-L

1.3 + H&chstkura 1.25--

Leitkurs Niedrigatkura

W

1.2"

LIODurchschnittlicher Kaaaakura LI --

1.05 - •

5/02

7/02

0/02

11/02

1/03

3/83

5/83

7/03

0/03

11/03

1/04

t Quelle:

Deutsche Bundesbank, Devisenkursstatistik.

Das britische Pfund sank gegenüber der D-Mark v o n 2,932 D M / £ a m 2.6.1992 bis z u m Monatsende u m über 3 Pfennige auf 2,899 D M / £ . Diese leichte Abwertungstendenz des Pfunds verstärkte sich in den Folgemonaten. Bis z u m 31.7.1992 ging der Pfundkurs u m weitere 6 Pfennige auf 2,839 D M / £ zurück. A m 31.8.1992 lag er mit 2,794 D M / £ nur noch knapp über seinem unteren Interventionspunkt v o n 2,778 DM/£. Dies entsprach einer Abwertung v o n fast 5 % gegenüber d e m Kurs v o m 2.6.1992 (vgl. auch Tabelle 10). 7 4 )

74) Zu den Wechselkursen vgl. Deutsche Bundesbank, Devisenkursstatistik.

48

Der Lira-Kurs sank zwischen d e m 2.6.1992 und Ende August zwar nur u m knapp 2 Pfennige bzw. u m 1,4 %, (2.6.1992: 1,3275 DM/1000 Lit, 31.8.1992: 1,3085 DM/1000 Lit). Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß eine stärkere Lira-Abwertung durch intramarginale Interventionen verhindert wurde. Von Ende Januar bis Ende August 1992 sanken die italienischen Währungsreserven v o n knapp 4 2 Mrd. US-Dollar auf 20,4 M r d . US-Dollar. -* D e n n o c h lag der Lira-Kurs nur noch knapp über seinem unteren Interventionspunkt v o n 1,3065 DM/1000 Lit. Die A b wärtsentwicklung der Lira hatte schon lange vor d e m dänischen Referend u m i m S o m m e r 1989 begonnen. Zwischen A u g u s t 1989 u n d Anfang Juli 1992 betrug die Lira-Abwertung rund 4,6 %. 75

Tabelle 10: Wechselkursänderungen

gegenüber der D-Mark

z w i s c h e n J u n i u n d A u g u s t 1992

Juni

Land bfr dkr FF ir£ Lit hfl Esc Ras

£

+ -

0,0% 0,1% 0,0% 0,3 % 0,4% 0,1% 0,8 % 1,3% 1,2%

Juli - 0,1% 0,0% - 0,4% - 0,1% + 0,1% - 0,0% - 1,7% + 0,2% - 2,0%

August -

0,2% 0,5% 1,0% 0,9% 1,1% 0,0% 2,7 % 1,7% 1,6%

Juni-August -

0,3% 0,6% 1,5% 1,3% 1,4% 0,1% 5,5% 4,0% 4,7 %

Quellen: Deutsche Bundesbank, Devisenkursstatistik; eigene Berechnungen.

A u c h die übrigen Währungen des Wechselkursmechanismus verloren seit d e m dänischen Referendum gegenüber der D-Mark an Wert (vgl. Tabelle

75)

Vgl. Goldstein et al. (1993), S. 53.

49

10). A m stärksten betroffen w a r e n die Weichwährungen: die spanische Peseta wertete u m 4 % und der portugiesische Escudo u m 5,5 % ab. Dennoch lagen beide Kurse, für die die erweiterte Bandbreite v o n + / - 6 % galt, noch deutlich über ihren unteren Interventionspunkten. A u s d e m Bereich der Kernwährungen werteten der französische Franc und das irische Pfund leicht gegenüber der D-Mark ab. Die Dänenkrone, der holländische Gulden und der belgische Franc blieben dagegen stabil. 4.1.2 Die Rolle der

Bundesbank

A m 16. Juli 1992 beschloß die Deutsche Bundesbank, den Diskontsatz von 8 auf 8,75 % anzuheben. Die Bundesbank begründete ihre Diskontsatzanhebung mit binnenwirtschafthchen Argumenten. * Sie verzichtete auf eine gleichzeitige Anhebung des Lombardsatzes und der Wertpapierpensionssätze, u m die Auswirkungen auf das internationale Zins- und Wechselkursgefüge so gering w i e möglich zu halten. * Dennoch löste diese Diskontsatzanhebung in einer Phase, in der einige EG-Staaten mit niedrigen Inflationsraten und rückläufigem Wirtschaftswachstum kon­ frontiert waren, Spannungen aus. Eine restriktive Geldpolitik w a r für diese Länder konjunkturpolitisch untragbar. D a eine autonome, binnen­ wirtschaftlich ausgerichtete Geldpolitik bei fixen Wechselkursen und freiem Kapitalverkehr nicht möglich war, * verstärkte sich auf den Märkten die Unsicherheit über die künftige Wechselkursentwicklung. Zunächst beschränkten sich die Anleger darauf, ihre Engagements in 76

77

78

76) Die Diskontsatzanhebung zielte auf eine Eindämmung des Preisauftriebs (die durch­ schnittliche Inflationsrate lag im alten Bundesgebiet während des ersten Halbjahres bei 4.4 %), des Geldmengenwachstums (die Geldmenge M3 wuchs mit einer Trendrate von 8.5 % und übertraf den Zielkomdor von 3,5 - 5,5 % erheblich) und der zu starken Ausweitung des Kreditvolumens ab. Außerdem sollte das internationale Vertrauen in die D-Mark gestärkt werden. Vgl. die Pressenotiz der Deutschen Bundesbank vom 16.7.1992. 77) Vgl. Deutsche Bundesbank, Geschäftsbericht 1992, S. 55. 78) In der Literatur wird diese Situation, ergänzt um den freien Güterverkehr, als "inconslstency-quartett" bezeichnet. Vgl. Padoa-Schioppa (1988).

50

Schwachwährungen abzusichern, ohne gezielt gegen eine bestimmte Währung zu spekulieren. * 79

I m weiteren Verlauf zeigte sich, daß die Interventionen der Zentralbank e n die Devisenmärkte nicht mehr beruhigen konnten. Dies ist angesichts eines täglichen weltweiten Handelsvolumens v o n fast einer Billion U S Dollar auch nicht weiter überraschend. * I m September 1992 verkauften die Zentralbanken i m R a h m e n intramarginaler Interventionen 88,2 Mrd. D M und i m R a h m e n obligatorischer Interventionen 61,3 Mrd. D M . Insgesamt betrugen die iVeftoverkäufe 140,7 Mrd. D M . Die Banca d'Italia gab bekannt, i m September 1992 24 Mrd. US-Dollar zur Verteidigung der Lira eingesetzt zu haben. * Trotzdem konnte sich die Lira a m 10. u n d 11. September nicht mehr von ihrem unteren Interventionspunkt lösen. M i t Wirkung v o m 14. September wurde sie u m 7 % abgewertet. 80

81

U m die Spannungen aus d e m System herauszunehmen, senkte die Bundesbank z u m 14.9.1992 den Diskontsatz v o n 8,75 auf 8,25 % und den Lombardsatz v o n 9,75 auf 9,5 %. Dennoch werteten Pfund, Lira und Peseta weiter ab. D a s Pfund erreichte seinen unteren Interventionspunkt a m 16. September und blieb ungeachtet konzertierter Interventionen * und trotz einer Erhöhung der M i n i m u m Lending Rate v o n 10 a u f 12 % durch die B a n k o f England, die darüber hinaus eine Erhöhung a u f 15 % für den nächsten Tag ankündigte, a m unteren Interventionspunkt hängen. M i t Wirkung z u m 17. September w u r d e n sowohl das Pfund als auch die Lira aus d e m Wechselkursmechanismus des E W S herausgenommen. Die Peseta w u r d e mit Wirkung z u m 17.9.1992 u m 5 % abgewertet (vgl. Tabelle 11). 82

79) Vgl. Group of Ten (1993), S. 12 ff. 80) Eine Erhebung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ergab im April 1992 ein tägliches weltweites Handelsvolumen von 880 Mrd. US-Dollar. Vgl. Bank für internationalen Zahlungsausgleich (1993), S. 216. 81) Bank für internationalen Zahlungsausgleich (1993), S. 207. 82) Angeblich kaufte die Bank of England allein am frühen Morgen des 16.9. über 2 Mrd. £, um den Pfundkurs zu stabilisieren. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 17.9.1992, In Europa geraten gleich drei Wahrungen außer Rand und Band.

51

Tabelle 11: A b w e r t u n g e n z w i s c h e n S e p t e m b e r 1992 u n d A u g u s t 1993

1992 Sept. 14 bfr dkr FF ir£ Lit hfl Esc Ptas £ F

17

1993 Nov.

Febr.

Mai

Aug.

23

1

23

2 WB WB WB WB

-10,0 - 7,0

1)

F

-5.0 F

2)

-6,0 -6,0

-6,5 -8,0

WB WB

= Floating.

WB = Weite Bandbreite ( + / - 1 5 %). 1)

Abwertung der Lira um 3,5 %, Aufwertung aller übrigen Währungen des Wechselkursmechanismus um 3,5 %.

2)

Die Bank of England setzte ihre Interventionen zugunsten des Pfunds im Laufe des 16.9.1992 aus.

Quelle: Pressemitteilungen.

Mit d e m Ausscheiden v o n Lira und britischem Pfund w a r die Glaubwürdigkeit des Systems gestört. Die Spekulanten sahen offenbar die Möglichkeit, eine Währung nach der anderen aus d e m System herausbrechen zu k ö n n e n . * A u f diese Weise wurde die Stabilität der Leitkurse fast aller 83

83) Vgl. Matthes (1993), S.U.

52

Währungen getestet (vgl. Abbildung 8). Durch die engen Bandbreiten w a r die Tür zu einer A r t Einbahnstraßenspekulation ("one-way bets") geöffnet. Sofern eine spekulative Attacke erfolgreich w a r und die attackierte Währung u m einen bestimmten Prozentsatz abwerten mußte, lag der obere Interventionspunkt der neuen Bandbreite unter d e m unteren Interventionspunkt der alten Bandbreite. Damit lockte ein nahezu sicherer Spekulationsgewinn: Die Spekulanten n a h m e n Schwachwährungskredite auf, verkauften den Kreditbetrag kassa gegen eine Starkwährung, warteten auf eine Abwertung und erzielten dann b e i m Rücktausch in die Schwachwährung einen Kursgewinn, der ihre Kreditkosten überkompensierte. Diese Kalkulation ging allerdings nicht immer auf, da zunächst nicht alle attackierten Währungen - insbesondere der französische Franc und die Dänenkrone — abwerteten. Pfund u n d Lira gingen nach der Entscheidung, beide Währungen floaten zu lassen, z u m "freien Fall" über (vgl. Abbildungen 6 und 7). Das Pfund wertete gegenüber seinem a m 16.9.1992 geltenden unteren Interventionspunkt bis Anfang November 1992 u m fast 14 % und gegenüber seinem Tageskurs v o m 2.6.1992 u m über 18 % ab. N a c h d e m Tief von 2,332 D M / £ a m 24.2.1993 pendelte sich das Pfund bei 2,50 DM/£ ein. Die Lira sackte bis z u m Jahresende 1992 gegenüber ihrem a m 2.6.1992 geltenden Tageskurs u m fast 18 %, gegenüber ihrem unteren Interventionspunkt v o m 16.9.1992 u m fast 11 % ab. Ihr Tief erreichte die Lira a m 2.4.1993 mit 0,9975 DM/1000 Lit. A u c h innerhalb des Wechselkursmechanismus bildeten sich in den folgenden Monaten regelrechte Spekulationswellen, die - wie bereits angedeutet — nicht i m m e r zu einem für die Spekulanten gewünschten Ergebnis führten. Unmittelbar nach d e m Austritt v o n Pfund und Lira geriet der französische Franc unter Druck. Die Spekulationswelle konnte mit Hilfe intramarginaler Interventionen (zwischen d e m 14. und 24. September kaufte die Banque de France 150 Mrd. F F ' ) , kräftiger Zinssatzanhebungen (auf 20 % für Tagesgeld und auf 45 % für Wochengelder) und einer "Gemeinsamen Erklärung" der Regierungen und Zentralbanken Frank8 4

84) Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 7.10.1992, Wer gegen den Franc spekuliert, verliert. Siehe auch Bank für internationalen Zahlungsausgleich (1993), S. 207.

53

Abbildung 8: W e c h s e l k u r s s c h w a n k u n g e n i m S e p t e m b e r / O k t o b e r 1992 Pfundkurs I m S e p t . / O k t . 1 9 9 2

2.85 2.9- 2.85- •

2.35 1 | t ) | | | l i l | l l | l l * t | I i t 1 1 I 1 2 3 4 7 0 9 10 11 14 19 IV 17 1B 21 22 23 24 29 2B 29 30 1 2 9

Sept/Okt.



Pfundkurs I m SepL/Okt. 1992



Unterer I nterventionspunkt

Lirakurs Im S e p t . / O k t 1 9 9 2

1.32-r

W

1

2 3 4 7 B 9 10 11 14 I i I I 17 18 21 22 23 24 25 29 29 30 1 2 5

g | |

SepL/Okt.



Lirakurs Im S e p t . / O k t . 1992

54

— Unterer I nterventl onspunkt

Kurs d e s f r a n z ö s i s c h e n Francs I m S e p t . / O k t . 1 9 9 2

20.2 M.H 29.1

I 1

I t

I 3

I *

I 7

I I I I I I I l l I I 1 I I I I I I B B 10 11 14 15 11 17 1B 21 22 23 24 25 28 29 30

I 1

1 2 S

SepL/Okt.



Kurs d e 3 f r a n z ö s i s c h e n Francs Im S e p t . / O k t . 1992



Unterer Interventlonspunkt

Kurs d e s Irischen Punts Im S e p t / O k t .

IM* I I 1

1

I 3

I

I

I

4 7

I

1 I

I [

I

L I

)

I

I

I

I

I

I

I

I

I

1992

1 1

I

I

I

10 11 1413 1117 1821 22 2324 25 2628 30 1 2 9 (

7

1

Sept/Okt.



Kurs d e s Irischen Punts I m S e p t . / O k t . 1992



Unterer Interventionspunkt

Kurs d e r P e s e t a Im S e p t . / O k t

1.35

1

I

I

I

I

[

I

1

2

3

4

7

S

S 10 11 14 15 1« 17 1 6 21 22 23 24 25 26 28 30



Quelle:

56

1992

I

1

I

I

I

I

I

I

I

I

Sept/Okt.

Kurs d e r P e s e t a Im Sept/Okt. 1992



Deutsche Bundesbank, Devisenkursstatistik.

1

I

I

I

I

I

I 1

2

6

Unterer Interventi anspunkt

Abbildung 9: W e c h s e l k u r s e n t w i c k l u n g der s p a n i s c h e n P e s e t a (100Ptas= ...DM)

1.05-! 7/82

[553 Quelle:

1

1 B/82

i

1 11/82

1

1 1/83

1

1

1

3/83

1

1

5/83

1 7/83

1

) 9/83

1

1 11/83

1

1 1/8*

t Deutsche Bundesbank, Devisenkursstatistik.

reichs und Deutschlands, welche die geltenden Leitkurse rechtfertigte, abgewehrt werden. N a c h d e m die schwedischen Behörden ihre freiwillige Bindung der schwedischen Krone an den E C U a m 19. N o v e m b e r aufga­ ben, verstärkte sich die seit der September-Abwertung zu beobachtende kontinuierliche Schwäche der Peseta (vgl. Abbildung 9). Die Peseta w u r d e z u s a m m e n mit d e m Escudo mit Wirkung z u m 23. November 1992 u m jeweils 6 % abgewertet. Die Schwäche der skandinavischen Währungen - a m 10. Dezember gaben auch die norwegischen Währungsbehörden die freiwillige ECU-Bindung der norwegischen Krone auf - griff Anfang Dezember auf die dänische Krone über. Anhaltend schwach tendierten auch der französiche Franc und das irische Punt. Obwohl die irische Zentralbank zur A b w e h r des

57

85

Drucks auf das Punt den Tagesgeldsatz n a c h schwedischem V o r b i l d ' stark anhob (zeitweise 100 % ) , blieb das Punt schwach und mußte mit Wirkung z u m 1. Februar 1993 u m 10 % abgewertet werden. Das irische P u n t hatte gegenüber d e m britischen Pfund stark aufgewertet (rund 15 % ) , w a s angesichts der engen Außenhandelsbeziehungen der beiden Länder problematisch war: rund ein Drittel des irischen Exports geht nach Großbritannien und rund 40 % der irischen Importe k o m m e n aus Großbrit a n n i e n . D e r Leitkurs des französischen Francs konnte dagegen durch massive intramarginale Interventionen verteidigt werden. 86

Abbildung 10: W e c h s e l k u r s e n t w i c k l u n g des i r i s c h e n P u n t s (1 i r £ = ... D M ) Höchstkurs

Durchschnittlicher Kassakurs



Leitkurs

Niedrigstkurs

Quelle:

85)

Deutsche Bundesbank, Devisenkursstatistik.

Um die Krone zu stützen, hatte die schwedische Reichsbank den Geldmarktzins im September vorübergehend auf 500 % angehoben.

86)

58

Vgl. auch Walsh (1993).

Abbildung 11: Wechselkursentwicklung des französischen Francs (100FF = ...DM) Hflchatkura

30.3-

30.1-

Leitkurs

29.8

29.7-

w

\

29 JS

Durchschnittlicher

I

29 J

Kaaaakura

/

29.1

\

28.9

\

28.7-

28.57/92

1

1 9/92

Erâl Quelle:

I

1

1 11/92

1

1 1/93

11—1

1

3/93

s—-t—1—I 5/93

7/93

/ r^f 9/93

)—i—1 11/93

1/94

t Deutsche Bundesbank, Devisenkursstatistik.

Die B u n d e s b a n k begann i m Februar eine "Politik der vorsichtigen Zins­ s e n k u n g " . ' D e r Diskontsatz w u r d e bis E n d e April in mehreren Schritten 87

auf 7,25 %, der Lombardsatz auf 8,5 % herabgesetzt. Abgesehen v o n einer

87)

Vgl. die Pressenotiz der Deutschen Bundesbank vom 22. April 1993.

59

weiteren Abwertung v o n Peseta und Escudo a m 13. Mai 1993 ( u m 8 % bzw. 6,5 % ) n a h m e n die Spannungen i m Wechselkurssystem nach und n a c h ab (vgl. Abbildungen 11 bis 13). D e r französische Franc wertete gegenüber seinem März-Tief bis Ende J u n i u m bis zu 1,5 % auf. Abbildung 12: Wechselkursentwicklung des belgischen Francs (100bfrs. = ...DM)

Höchatkura

Leitkurs Durchschnitt]icher Kasaakurs

7/B2

B/82

11/B2

1/93

S/B3

3/83

7/B3

t Quelle:

60

Deutsche Bundesbank, Devisenkursstatistik.

B/83

11/83

1/B4

A b b i l d u n g 13: W e c h s e l k u r s e n t w i c k l u n g der d ä n i s c h e n K r o n e (100 dkr = ... D M ) HSchstkurs

Leltkura

7/82

Quelle:

8/82

11/82

1/83

3/83

5/33

7/83

8/83

11/83

1/84

Deutsche Bundesbank, Devisenkursstatistik.

4.2.3 D e r Wettstreit um die

Ankerrolle

I m März 1993 verloren die regierenden Sozialisten die Wahlen zur fran­ zösischen Nationalversammlung. N a c h d e m die neue bürgerliche Regie­ rung Balladur bekräftigt hatte, an der Politik des "franc fort" festzuhal­ ten, erholte sich der Kurs des französischen Francs. Die Banque de France nutzte d e n Aufwertungstrend des Francs und senkte bis z u m 2 . Juli 1993 ihren Interventionssatz * in zehn Schritten v o n 9,1 auf 6,75 %. I m gleichen Zeitraum ging der Tagesgeldsatz auf d e m französischen Geld88

88) Der Satz, zu dem die Banque de France kurzfristige Papiere am Geldmarkt kauft.

61

m a r k t v o n über 11 auf 7,5 % (Ende Juni) zurück. A u c h andere Notenban­ k e n nutzten die Entspannungsphase zu Zinssenkungen. Die Leitzinssen­ kungen fielen i n allen Ländern des Wechselkursmechanismus stärker aus als in Deutschland (Tabelle 12). Tabelle 12: D i s k o n t s ä t z e i m Vergleich

31.03.1993

B DK D pl) IRL NL P E

2)

3 )

30.06.1993

7,0 9,5 7,5 9,1 9,5 7,0 14,5 13,0

6,25 7,75 7,25 7,0 7,75 6,25 13,5 11,25

1)

Interventionssatz.

2)

Satz für Notenbankkredit (Short Term Facility Rate).

3)

10-Tage-Pensionssatz der Notenbank.

Diff.

-0,75 -1,75 -0,25 -2,1 -1,75 -0,75 -1,0 -1,75

Quelle: Deutsche Bundesbank, Monatsberichte.

I m Juni lagen die Tagesgeldsätze Belgiens, Frankreichs und der Nieder­ lande i m Monatsdurchschnitt unter d e m deutschen Tagesgeldsatz. * Als a m 2 1 . Juni 1993 die Notenbanken der Niederlande, Belgiens, Öster­ reichs und Portugals i n einer konzertierten Aktion einer Leitzinssenkung der B a n q u e de France folgten, ohne daß die Deutsche Bundesbank ihre Leitzinsen zurücknahm, wurde dies als "Zeichen für die Auflösimg des 89

89) Deutschland 7,82 %, Belgien 7,08 %, Frankreich 7,68 %, Niederlande 7,06 %. Anga­ ben: Deutsche Bundesbank, Monatsberichte.

62

D-Mark-Blocks" gewertet. ' Die Financial Times zitierte d e n Leiter der Forschungsabteilung der Banque de France, André Icard, mit der Bemer­ kung: "I a m not saying it will become the anchor [the French Franc, A n m . des Verfassers] but it will become one anchor among others. T h e most important thing to m e is that our interest rates are below those in r> Germany."91) M i t d e m Hinweis a u f die Wirtschaftsprobleme in Deutschland w u r d e bereits Anfang Juni eine Diskussion über die Ankerrolle der D-Mark a u s g e l ö s t . ' Der Börsenspekulant George Soros, einer der Hauptakteure der September-Krise , schrieb in einem offenen Brief über die Stärke bzw. Schwäche der D-Mark: " I expect the mark to fall against all major currencies including even sterling. [... ] T h e Bundesbank has kept interest rates too high, too long. It could have lowered short-term rates gradually without endangering its reputation, but it missed the boat. [... ] But n o w it is too late: the markets have begun to discount the inevitable and eventually the Bundesbank will capitulate. I do not expect the Bundes­ bank to alter its stance as long as H e l m u t Schlesinger is at its helm, but his retirement is only a few months a w a y . " ' 92

94

Die Bundesbank gewann ihre Zinsführerschaft in Europa bereits mit ihrer Leitzinssenkung v o m 1. Juli 1993 zurück. Fast alle Notenbanken folgten diesem Schritt. Auffallend dabei war, daß die meisten Notenban­ k e n den Zinsschritt der Bundesbank nicht in vollem Umfang übernah­ men. Die Diskontsatzsenkung der Bundesbank betrug einen halben Pro­ zentpunkt, bei fast allen übrigen N o t e n b a n k e n - d a r u n t e r die niederlän-

90) Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.6.1993, Serie von Leitzinssenkungen in Europa. 91) Financial Times vom 23.6.1993, Bank of France sees anchor role for franc in ERM. 92) Vgl. etwa Financial Times vom 1.6.1993, Europe adapts to a dragging German anchor. 93) Soros gewann nach eigenen Angaben mit seiner Spekulation gegen das britische Pfund rund 1 Mrd. US-Dollar. Vgl. Die Zeit vom 25.3.1994, Risiko ohne Grenzen. 94) Vgl. The Times vom 9.6.1993, Down with the mark: Soros now targets the Bundesbank; abgedruckt in: Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Auszüge aus Presseartikeln Nr. 42, S. 5.

63

dische und belgische Zentralbank sowie die Banque de France — wurden die entsprechenden Zinssätze dagegen nur u m einen Viertel Prozent­ punkt gesenkt. Möglicherweise w a r diese Zinsrunde ein Signal für die Spekulanten, die dauerhafte Tragbarkeit der neuen Zins-WechselkursKombination zu testen. Dieser neuerlichen Spekulationswelle hielten die Notenbanken und damit auch die Wechselkurse nicht stand. D e r franzö­ sische France rutschte bis Mitte Juli nahe a n seinen unteren Interven­ tionspunkt ab und w a r a m 30. Juli trotz massiver Interventionen nicht mehr v o n i h m z u lösen. Die Schwäche des französischen Francs übertrug sich auf alle übrigen Währungen des Wechselkursmechanismus mit Aus­ n a h m e des holländischen Gulden. A u c h der belgische Franc fiel der Spekulation diesmal z u m Opfer. Die Bundesbank verzichtete in dieser Krise auf eine neuerliche Diskont­ satzsenkung. Sie senkte a m 2 9 . Juli 1993 lediglich den Lombardsatz u m einen halben Prozentpunkt. Diese M a ß n a h m e reichte aber nicht aus, u m die Märkte z u beruhigen. Das Interventionsvolumen zur Verteidigung des französischen Francs betrug mindestens 3 0 0 Mrd. F F (rd. 9 0 Mrd. D M ) . Laut Wochenausweis v o m 2 2 . bis 29.7.1993 setzte die Banque de France 100,5 Mrd. F F (30 Mrd. D M ) ein, weitere 101 Mrd. F F besorgte sie sich über die "sehr kurzfristige Finanzierung" b e i m E F W Z und weitere 30 M r d . D M wandte die Bundesbank für die Stützung des französischen Franc auf. * I m Wochenausweis für die erste Augustwoche wies die B a n q u e de France ein Minus der Währungsreserven v o n 185,5 Mrd. FF (etwa 5 2 Mrd. D M ) aus. * Obwohl das Interventionsvolumen v o n 300 M r d . F F doppelt so h o c h ausfiel wie das jeweilige Interventionsvolumen der Franc-Krisen v o m September und November/Dezember 1992, gelang es nicht, den Franc zu stabilisieren. A u f Initiative des deutschen Finanz­ ministers w u r d e der EG-Währungsausschuß einberufen. 95

96

D e r Währungsausschuß entschied sich gegen den französischen Vor­ schlag, die D-Mark und eventuell den mit ihr fest verbundenen Gulden

95) Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 12.8.1993, Auffüllung der Währungsreserven hat Vorrang. 96) Vgl. Frankfurter Allgemeine vom 13.8.1993, Deutsche Devisenreserven stark gestie­ gen.

64

floaten zu lassen und aus den übrigen Währungen einen Franc-Block zu bilden. A n g e n o m m e n wurde stattdessen der deutsche Vorschlag, die Bandbreiten aller EWS-Währungen deutlich auszuweiten. -* Die Finanz­ minister und Notenbankgouverneure einigten sich darauf, die Leitkurse unverändert zu lassen, die zulässigen Schwankungsmargen aber a u f 15 % n a c h oben und unten zu erweitern. Die obligatorische Interventions­ verpflichtung setzt demnach erst dann ein, w e n n der Marktkurs sich u m + / - 15 % v o n seinem bilateralen Leitkurs entfernt hat. * D u r c h diese Beschlüsse sollte der Bestand des E W S gesichert u n d den Notenbanken ein Spielraum gewährt werden, die nationale Geldpolitik mehr an den binnenwirtschaftlichen Erfordernissen ausrichten zu können. 97

98

Nach der Bandbreitenerweiterung k a m es zu starken Abwertungen des französischen und belgischen Francs sowie der Dänenkrone. A u s d e m Kernwährungsbereich blieb nur der holländische Gulden v o n den speku­ lativen Angriffen verschont. Es k a m allerdings nicht zu einem Abwer­ tungswettlauf. I m Spätherbst kehrte sich die Wechselkursentwicklung stattdessen wieder u m . Der französische u n d der belgische Franc kehrten in die alte enge Bandbreite zurück, w a s zeitweise auch der Dänenkrone gelang. Das dänische Referendum v o m 2.6.1992, die Diskontsatzanhebung der Bundesbank v o m 16.7.1992 und die unterlassene Diskontsatzsenkung der Bundesbank a m 29.7.1993 w a r e n jeweils Auslöser v o n Spannungen innerhalb des E W S . Die hinter den geschilderten Ereignissen stehenden tieferen Ursachen w e r d e n in den folgenden Abschnitten 4.2 bis 4.4 analy­ siert. Die tieferen Ursachen sind darin zu sehen, daß sich außerhalb des Kernwährungsbereichs beträchtliche reale Aufwertungen entwickelt hat­ ten (vgl. Abschnitt 4.2) u n d innerhalb des Kernwährungsbereichs ein Zielkonflikt zwischen binnen- und außenwirtschaftlichen Zielsetzungen entstanden w a r (vgl. Abschnitt 4.3). Das Verlaufsmuster der Währungs­ krise wirft die Frage auf, ob das Inkonsistenzproblem auf einer mangeln­ den Effizienz der Devisenmärkte beruht (vgl. Absfehnitt 4.4).

97)

Diesen Vorschlag hatte Williamson bereits im Anschluß an die September-Krise unterbreitet. Vgl. Williamson (1992).

98)

Vgl. Communique of the European Community, Brussels, August 2,1993.

65

4.2

Kosten- u n d P r e i s d i v e r g e n z e n

Eine erste Ursache der Wechselkursspannungen sind die seit 1987 auf­ gelaufenen Kosten- und Preisdivergenzen. A u s Abbildung 2 (Standardab­ weichung EWS-Länder) ist ersichtlich, daß sich die Inflationsraten der EWS-Teilnehmer zwar annäherten, nach d e m Realignment v o m Januar 1987 aber dennoch Unterschiede bestehen blieben. Diese Unterschiede führten teilweise zu beträchtlichen realwirtschaftlichen Ungleichgewich­ ten, weil Länder m i t überdurchschnittlich hohen Inflationsraten ihre Kostennachteile nicht mit Hilfe des nominalen Wechselkurses kompen­ sieren konnten. Das Preis- und Kostengefälle schlug stattdessen voll auf die Wettbewerbsfähigkeit durch. E i n Beispiel soll dieses Problem veranschaulichen: Zwei Länder, A u n d B, produzieren jeweils ein handelbares Gut X , das sie i m Inland und i m Ausland anbieten. I m Ausgangszustand beträgt der Preis des Gutes X in Land A P A = 100 und in Land B P ^ = 50. Der Wechselkurs wird i m Sinne der Kaufkraftparitätentheorie nach d e m Gesetz des einheitlichen Preises als eA,B = P A / P B = 2 bestimmt. Daraus folgt, daß beide Anbieter in j e d e m Land i m m e r z u m (in der jeweiligen Landeswährung) selben Preis anbie­ ten können. Zwischen beiden Ländern bestehe eine Vereinbarung, die nominalen Wechselkurse konstant zu halten (Fixkurssystem). Angenom­ men, die Zentralbank v o n Land B erhöht ihre Geldmenge stärker als die Zentralbank v o n L a n d A. Die aus der Geldmengenexpansion resultieren­ de höhere Inflationserwartung führe zu einem Anstieg der Nominallöhne in L a n d A u m 5 % u n d in L a n d B u m 10 %. Ferner sei angenommen, daß beide Anbieter diesen Kostenanstieg voll i m Preis überwälzen können, so daß P A = 1 0 5 und P ^ = 5 5 gilt. Bei unverändertem Wechselkurs würde der Produzent aus L a n d B das Gut X in L a n d A zu P A = eAB • P ^ = 110 anbieten, während der Produzent aus Land A n u r P A = 105 verlangt. I m eigenen L a n d sieht sich der Produzent aus L a n d B einem Konkurrenz­ preis des Anbieters aus Land A v o n P ^ = P A / e A , B = 52,5 ausgesetzt. Der höhere Kosten- und Preisanstieg führt also in einem Fixkurssystem mit konstanten nominalen Wechselkursen zu einem Wettbewerbsnachteil. ^ X

3

X

X

X

3

X

3

X

3

X

99

99) Unter der Annahme, daß der Kostenanstieg nicht auf den Güterpreis überwälzt werden kann (vollkommener Wettbewerb), würden die Gewinne beider Anbieter sinken, wobei

66

Der Produzent aus Land B kann sein Produkt möglicherweise nicht mehr absetzen. I m Rahmen des vorliegenden Fixkurssystems könnte dieser Wettbewerbsnachteil durch eine Änderung des Wechselkurses neutrali­ siert werden: Die Währung v o n L a n d B müßte auf eA,B = 1,91 (= 105/55) abgewertet werden. Die Auswirkungen v o n Preis- und Kostendivergenzen lassen sich a m realen Wechselkurs ablesen. Während der nominale Wechselkurs angibt, wie viele inländische Währungseinheiten für den Kauf einer ausländi­ schen Währungseinheit aufzubringen sind, stellt der reale Wechselkurs auf den Kaufkraftvergleich zweier Währungen ab. Formal ergibt sich der reale Wechselkurs, w e n n der nominale Wechselkurs u m das in- und ausländische Preisniveau bereinigt wird:

(4.1)

r

e = - ^ , wobei e

r

e P P

: realer Wechselkurs, : nominaler Wechselkurs,

a

: ausländisches Preisniveau, : inländisches Preisniveau.

Bei freiem Güterverkehr m ü ß t e n - sofern Transaktionskosten vernach­ lässigt w e r d e n - homogene handelbare Güter i m In- u n d Ausland nach Umrechnung über den (nominalen) Wechselkurs zu einem einheitlichen Preis angeboten werden, mithin die Kaufkraft beider Währungen i m Inu n d Ausland gleich sein. Ist diese absolute Form der Kaufkraftparitäten­ theorie erfüllt, beträgt der reale Wechselkurs e = 1. r

sinken, wobei der Produzent, der einen höheren Kostenanstieg zu verkraften hat, wiederum relativ benachteiligt wäre.

67

U m die Veränderungen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit a m realen Wechselkurs ablesen zu können, wird Gleichung (4.1) nach der Zeit differenziert u n d in Wachstumsraten ausgedrückt. Für die reale Wechsel­ kursänderung folgt d a n n * : 100

(4.2)

r

a

e =e + 7c -ji,

A

wobei das Symbol " " die jeweilige Wachstumsrate (Veränderungsrate) bezeichnet und n die Inflationsrate (relative Veränderung des Preisni­ veaus). A u s Gleichung (4.2) wird deutlich, daß der reale Wechselkurs dann konstant bleibt ( e = 0), w e n n die Änderung des nominalen Wechselkurses der Differenz zwischen den Inflationsraten entspricht (e = JC - jc ). Wäre diese relative Form der Kaufkraftparitätentheorie erfüllt, w ü r d e n sich Preis- bzw. Kostendivergenzen nicht i n realen Wechselkursänderungen niederschlagen u n d dadurch auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit durchschlagen, sondern in der Änderungsrate des nominalen Wechsel­ kurses widerspiegeln. r

a

Eine Überpnifung der Wechselkursentwicklung zwischen Januar 1987 u n d Juni 1992 zeigt, daß sich die kumulierten Preis- und Kostendivergen­ zen zwischen Ländern mit enger Bandbreite auf der einen u n d Ländern m i t weiter Bandbreite auf der anderen Seite weniger in nominalen, sondern weit m e h r i n realen Wechselkursänderungen niedergeschlagen haben. Tabelle 13 stellt in den Spalten 2 bis 4 die kumulierten Inflations­ differenzen der einzelnen EWS-Teilnehmerstaaten i m Verhältnis zu Deut­ schland dar. In Spalte 2 ist die kumulierte Inflationsdifferenz für den Zeitraum Januar 1987 bis Juni 1992, in Spalte 3 für Januar 1987 bis Januar 1993 und in Spalte 4 für Januar 1987 bis Juli 1993 angegeben. Für dieselben Zeiträume sind in den Spalten 5 bis 7 die nominalen Wechselkursänderungen u n d in den Spalten 8 bis 10 die entsprechenden realen Wechselkursänderungen aufgeführt.

100) Zur Herleitung vgl. Anhang I.

68

Die Inflationsdifferenzen w u r d e n auf Basis v o n Verbraucherpreisindizes berechnet, die neben handelbaren auch nicht-handelbare Güter einschließen. Diese Vorgehensweise w a r notwendig, weil keine verläßlichen und vergleichbaren Berechnungen über Preisindizes handelbarer Güter vorliegen. Bei den Berechnungen in Tabelle 13 bleibt unberücksichtigt, daß ein realer Aufwertungsbedarf entsteht, sofern sich (in Relation z u m Ausland) nicht-handelbare Güter stärker als handelbare Güter verteuern. A u f diesen Zusammenhang w i r d bei der Interpretation der Ergebnisse in Tabelle 13 n o c h eingegangen. Trotz dieses methodischen Einwands geben die Berechnungen einen wichtigen Hinweis auf die Richtung der realen Wechselkursentwicklung.

Tabelle 13: Reale Wechselkursänderungen gegenüber der D-Mark 1987 -1993 (auf Basis v o n Verbraucherpreisen)

1

Land

TI*-* *

7t

-TT,

TC -TC

*2)

2

è>

*2)

-r2)

g

r2)

(1/87-6/92) (1/87-1/93) (1/87-7/93) (1/87-6/92) (1/87-1/93) (1/87-7/93) (1/87-6/92) (1/87-1/93) (1/87-7/93)

B

DK F IRL NL I P E

UK

• 0,8 4,7 2,6 3,4 • 4,7 22,2 62,0 20,1 24,0

, 1,8 1,5 1,2 1,9 6,3 22,2 64,7 22,0 19,8

2,0 0,6 0,6 0,2 6,6 23,7 68,2 22,5 20,7

0,9 1,4 0,8 0,0 0,2 5,8 7,2 11,9 4,8

1,0 2,3 2,4 1,8 0,4 22,8 14,7 1,8 12,2

0,3 2,5 2,1 9,7 0,2 23,6 23,9 13,6 8,1

0,1 3,3 1,8 3,4 4,5 16,4 54,8 32,0 28,8

0,8 1,8 1,2 1,6 • 5,9 •• 0,6 50,0 20,2 7,6

-

1,7 1,9 1,5 9,5 6,4 0,1 44,3 8,9 12,6

1

1)

Verbraucherpreisindex auf Monatsbasis; Dez. 1986 = 100.

2)

E n negatives Vorzeichen bedeutet Abwertung, ein positives Vorzeichen Aufwertung gegenüber der D-Mark.

Quellen: Deutsche Bundesbank, Eurostat; eigene Berechnungen.

69

Das stärkste Inflationsgefälle gegenüber der D-Mark weisen Länder auf, die entweder gar nicht oder mit erweiterter Bandbreite a m Wechselkursund Interventionsmechanismus teilgenommen h a b e n . ' So betrug die auf der Basis monatlicher Verbraucherpreisänderungen berechnete kumulierte Inflationsdifferenz i m Verhältnis zu Deutschland für d e n Zeitr a u m J a n u a r 1987 bis Juni 1992 i m Falle Italiens 22,2 %, Spaniens 20,1 %, Großbritanniens 24,0 % und Portugals 62,0 %. Bei d e n Teilnehmern m i t enger Bandbreite ist dagegen eine deutliche Konvergenz der Inflationsraten zu beobachten. Hier haben die nahezu konstanten nominalen Wechselkurse bis Juni 1992 keine größeren realen Wechselkursänderungen bewirkt. Lediglich b e i m holländischen Gulden ist eine reale Abwertung gegenüber der D-Mark v o n 4,5 % z u beobachten. Der Gulden müßte gegenüber der D-Mark also nominal aufwerten, u m das kumulierte Inflationsgefälle zu kompensieren. 1 0 1

E i n völlig anderes Bild entsteht bei Betrachtung der Länder ohne bzw. mit erweiterter Bandbreite. Obwohl die Inflation in Spanien und Großbritannien deutlich höher als in Deutschland war, werteten diese Währungen zwischen 1987 und Mitte 1992 nominal auf statt ab (vgl. die Spalten 5 bis 7, Tabelle 13). Der Peseta-Kurs stieg v o n 1,43 D M (pro 100 Ptas) auf über 1,60 D M (pro 100 Ptas). Der Pfund-Kurs stieg von 2,798 D M (pro 1 £ ) E n d e Januar 1987 nahezu kontinuierlich auf3,253 D M i m Januar 1989 an. D a n a c h begann eine Abwärtsbewegung: Bis z u m Juni 1992 pendelte sich das Pfund bei gut 2,90 D M ein. A u c h die Lira tendierte lange Zeit fest. Sie bewegte sich n a c h Reduzierung ihrer Bandbreite a m 8.1.1990 bis z u m September 1990 und zwischen M ä r z und Oktober 1991 oberhalb ihres bilateralen D-Mark-Leitkurses. I m S o m m e r 1991 setzte bei der Lira allerdings eine stetige Abwärtsentwicklung ein, so daß die reale Lira-Aufwertung zwischen Januar 1987 u n d J u n i 1992 deutlich unter d e n entsprechenden realen Aufwertungen v o n Peseta und Pfund lag. A u s d e m Inflationsgefälle und den nominalen Aufwertungen ergab sich bis z u m J u n i 1992 eine reale Peseta-Aufwertung v o n 32,0 %, eine reale Pfund-Aufwertung v o n 28,8 % und eine reale Lira-Aufwertung v o n 16,4 %. Diese

101) Zu dieser Gruppe gehört auch Italien, das seine Schwankungsbreite im Januar 1990 auf + / - 2,25 % reduzierte.

70

FeUentwicklungen der realen Wechselkurse (misalignments) w e r d e n durch die Berechnung der realen Wechselkurse auf Basis der nominalen Lohnstückkosten bestätigt. Für die Lira ergibt sich bei dieser Berech­ nungsmethode eine reale Aufwertung v o n 16,8 %, für die Peseta 31,1 % und für das britische Pfund sogar 34,9 % . * 1 0 2

Eichengreen und Wyplosz betonen, daß bei der Interpretation der realen Peseta-Aufwertung die Einkommensdynamik in diesem Land zu berück­ sichtigen sei, die zu einem starken Preisanstieg i m Bereich der nicht-han­ delbaren Güter geführt habe (Balassa-Samuelson-Effekt). * Eine Erhö­ hung des relativen Preises zwischen nicht-handelbaren und handelbaren Gütern führt bei Geltung der Kaufkraftparitätentheorie zu einer realen Aufwertung. * A u c h in Großbritannien ist der relative Preis zwischen nicht-handelbaren und handelbaren Gütern Ende der achtziger Jahre stark angestiegen, so daß auch das britische Pfund real aufwerten m u ß t e . * Dennoch dürfte sich ein Großteil der realen Aufwertungen v o n Pfund u n d Peseta auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der betrof­ fenen Volkswirts chaften ausgewirkt haben. 103

104

105

Die Auswirkungen der realen Wechselkursverzerrungen lassen sich an der Entwicklung der Leistungsbilanzsalden ablesen. Eine reale Aufwer­ tung führt zu einer Verschlechterung der internationalen Wettbewerbs­ fähigkeit, die sich ceteris paribus in einer Verschlechterung der Lei­ stungsbilanz niederschlägt. Spanien, das nach Portugal — gemessen an der Veränderung des realen Wechselkurses - den größten internationalen Wettbewerbsverlust hinnehmen mußte, hatte 1986 noch einen Leistungs-

102) Gros und Steinherr schätzen die Überbewertung der Lira auf 15 - 20 %, die Überbe­ wertung von britischem Pfund und Peseta aber nur auf 10 - 1 5 %. Vgl. Gros und Steinherr (1993), S. 145. Diese Schätzungen beruhen aber offenbar nicht auf der realen Wechselkursentwicklung zwischen 1987 und 1992, sondern auf einem länger­ fristigen Kaufkraftvergleich. Zu Kaufkraftvergleichen vgl. auch Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (1993a). 103) Vgl. Eichengreen und Wyplosz (1993b), S. 19. 104) Zur Begründung und formalen Herleitung dieses Zusammenhangs vgl. Abschnitt 4.3 sowie Anhang II. 105) Eichengreen und Wyplosz führen den relativen Preisanstieg im Falle Großbritanni­ ens auf den Ölpreisverfall zurück.

71

bilanzüberschuß in Höhe v o n 3,9 Mrd. US-Dollar bzw. in H ö h e v o n 1,7 % des BIP. 1992 wies die spanische Leistungsbilanz einen Fehlbetrag von 18,9 M r d . US-Dollar bzw. 3,3 % des BIP auf (vgl. Tabelle 14). Ähnlich fiel der Umächwung in der italienischen Leistungsbilanz aus. Der Überschuß v o n 2,4 M r d . US-Dollar (0,4 % des BD?) i m Jahre 1986 hat sich bis 1992 zu einem Defizit v o n 26,6 Mrd. US-Dollar (bzw. 2,2 % des B I P ) entwickelt. In beiden Ländern haben die kräftigen Abwertungen seit September 1992 i m Jahre 1993 zu einer deutlichen Verbesserung der Leistungsbilanz geführt. Italien konnte sogar einen Überschuß i n H ö h e v o n 4,7 M r d . US-Dollar (0,4 % des BIP) erzielen. Einen weiteren Aufschluß über die Wettbewerbsposition erhält m a n bei Betrachtung der Handelsbilanz. Während das Handelsbilanzdefizit das Leistungsbilanzdefizit i n Spanien deutlich ü b e r t r i f f t ' u n d die an der Leistungsbilanzentwicklung ablesbare Wettbewerbsschwäche der spani­ schen Wirtschaft bestätigt, ist i m Falle Italiens eine differenziertere Betrachtung notwendig. D i e italienische Handelsbilanz hat sich seit 1989 nicht weiter v e r s c h l e c h t e r t . ' Die Verschlechterung der Leistungsbilanz geht dagegen wesentlich auf eine i m m e r defizitärere Entwicklung der Kapitalertragsbilanz zurück, deren Ursache i n der extremen Auslands­ verschuldung des italienischen Staates z u finden i s t . ' 106

107

1 0 8

Die Betrachtung der Leistungsbilanzsalden führt z u d e m Ergebnis, daß die Wettbewerbsfähigkeit der spanischen und italienischen Wirtschaft enorm gelitten haben. D i e Leistungsbilanzentwicklung wird zwar auch durch andere Faktoren (inländische Absorption, Wachstum des Volksein­ k o m m e n s ) bestimmt. Die Entwicklung dieser Einflußgrößen macht Lei­ stungsbilanzänderungen in den empirisch beobachtbaren Größenordnun­ gen aber w e n i g w a h r s c h e i n l i c h . ' 109

106) Das spanische Handelsbilanzdefizit betrug 1990 29,5 Mrd., 1991 31,8 Mrd. und 1992 37,3 Mrd. US-Dollar. Vgl. Bank für internationalen Zahlungsausgleich (1993), S. 89. 107) Die italienische Handelsbilanz war 1987 (0,1 Mrd.), 1988 (1,4 Mrd.), 1989 (2,2 Mrd.) und 1991 (0,9 Mrd. US- Dollar) defizitär, 1990 (0,6 Mrd.) und 1992 (2,4 Mrd. US-Dol­ lar) aber im Uberschuß. 108) Das Defizit der italienischen Kapitalertragsbilanz stieg von 6,6 Mrd. US-Dollar (1987) kontinuierlich auf 20,2 Mrd. US-Dollar (1992) an.

72

Tabelle 14: Leistungsbilanzsalden a u s g e w ä h l t e r E U - L ä n d e r (in M r d . US-Dollar)

Land D« F I P E UK

1986

1987

1988

1989

1990

1991

1992

1993

39,5 1.9 2,4 1,2 3,9 - 1,3

45,9 - 5,0 - 1.6 0,4 - 0,1 - 8,2

50,7 - 4,7 - 5,9 - 1.0 - 3,7 -29,6

57,5 - 5,6 -11,0 0,2 -10,9 -36,8

47,3 -15,1 -14,8 - 0,2 -16,9 -32,5

-20,0 - 6,8 -21,4 - 0,7 -16,7 -13,5

-25,3 4,0 -26,6 - 0,2 -18,9 -15,1

-20,2 9,8 4,7 - 0,4 -11,3 -17,1

-

-

-

( in % des BIP) 1 }

D F I P E UK 1)

4,4 0,3 0,4 3,9 1,7 - 0,2

4,1 - 0,6 - 0,2 1,2 0,0 - 1.2

-

4,2 0,5 0,7 2,5 1,1 3,5

4,9 - 0,6 - 1,3 0,4 - 2,9 - 4,4

-

3,0 1,3 1.4 0,3 3,4 3,4

1,2 0,6 1,9 1,0 3,2 1,3

-

1,3 0,3 2,2 0,2 3,3 1,4

1,1 0,8 0,4 - 0,5 - 2,3 - 1,8

Bis 1990 Westdeutschland, ab 1991 Gesamtdeutschland.

Quelle: O E C D , Economic Outlook, N o . 54.

In Italien wurde der massive Lirakursverfall aber noch durch andere F a k t o r e n begünstigt. Dies zeigen die periodisch auftretenden LiraSchwächen seit d e m Übergang z u m Floating. D e r EG-Währungsaus­ schuß verweist hier i n seinem Gutachten auf die anhaltenden Haushalts-

109) Selbst wenn der Leistungsbilanzumschwung maßgeblich auf andere Einflußgrößen zurückgeführt werden könnte, hätte die reale Wechselkursentwicklung einer Kor­ rektur der Defizite im W e g e gestanden.

73

Schwierigkeiten. Obwohl auch Italien damit begonnen hat, sein Pri­ märdefizit abzubauen, ist es bislang nicht gelungen, den Anstieg der Staats Verschuldung unter Kontrolle zu b r i n g e n . ' Inzwischen hat die Staatsverschuldung das italienische B I P übertroffen. Eine h o h e Staats­ verschuldung m a c h t den Wechselkurs gegen spekulative Attacken anfal­ lig, weil insbesondere bei größeren Refinanzierungsaktionen die Regie­ r u n g an niedrigen Zinsen interessiert ist, so daß eine Erhöhung der Nominalzinsen zur Verteidigung des Wechselkurses ausscheidet. Eine A b w e h r spekulativer Attacken m u ß sich unter diesen U m s t ä n d e n weit­ gehend auf Devisenmarktinterventionen b e s c h r ä n k e n . ' Ein weiterer Grund für die periodischen Attacken gegen die Lira ist i n der Krise des politischen Systems und den daraus resultierenden Unsicherheiten über die wirtschaftliche Zukunft Italiens zu sehen. 111

112

I m Falle Großbritanniens hat die starke reale Aufwertung des Pfundes zu einer Verschlechterung v o n Leistungs- und Handelsbilanz geführt. Die seit 1990 zu beobachtende Verbesserung der Leistungsbilanz (vgl. Tabelle 14) beruht i m wesentlichen auf d e m unterschiedlichen Konjunkturzyklus zwischen d e n angelsächsischen Ländern a u f der einen und Westeuropa auf der anderen Seite. In Großbritannien setzte die Rezession bereits Mitte 1990 ein; i m übrigen Westeuropa erst Mitte bis E n d e 1992. Daraus resultierte ein dämpfender Effekt a u f die britischen Importe. W i e bereits in Abschnitt 4.1.1 angedeutet, gehen die Wechselkursverzer­ rungen auf die massiven Kapitalzuflüsse in Länder mit inflationsbedingt höheren Nominalzinsen zurück (vgl. Tabelle 15). Besonders dynamisch entwickelten sich die Zuflüsse nach Italien: sie stiegen v o n 3,6 Bio. Lira (1986) auf 51,5 Bio. Lira (1990) an. Schon 1991, also vor der Währungs­ krise, n a h m e n die Kapitalzuflüsse n a c h Italien deutlich ab, während sie i n Spanien 1991 erst ihren Höhepunkt erreichten (3,2 Bio. Ptas). A u c h nach Großbritannien floß zwischen 1987 und 1991 viel Kapital. Die

110) Vgl. Monetary Committee (1993), Ziffer 2.2, S. 2. 111) Vgl. dazu Lesch (1993), S. 54 ff. 112) Vgl. Masson und Taylor (1992), S. 285 f.

74

Kapitalzuflüsse Frankreichs w a r e n dagegen wesentlich geringer. Aller­ dings w a r a u c h das französische Nominalzinsniveau niedriger. T a b e l l e 15: Nettokapitalzuflüsse a u s g e w ä h l t e r M i t g l i e d s t a a t e n (in M r d . nationaler Währungseinheit)

Land UK I

E F D

1986 -

0,2 3.597 - 373 6,5 - 82,6

1987

1988

12,2 16,3 11.721 21.297 1.418 1.311 - 26,0 19,3 - 39,0 - 127,5

1)

Januar-September 1992.

2)

Januar-Juni 1992.

1989 13,8 33.940 1.950 43,4 - 135,6

1990

1991

1992

11,2 8,3 0,7« 51.503 26.583 12.366 3.229 2.281 1.155« 183,2 - 20,4 - 244,1« 14,4 - 90,1 26,0 2)

2)

Quelle: Internationaler Währungsfonds.

Wie lassen sich die massiven Kapitalzuflüsse in Länder mit inflationsbe­ dingt hohen Nominalzinsen erklären? Normalerweise berücksichtigt ein international operierender Anleger bei seiner Anlageentscheidung nicht allein die Nominalzinsdifferenz, sondern auch das Währungsrisiko. Da hohe Nominalzinsen hohe Inflationserwartungen widerspiegeln, muß mit einer Abwertung der höher verzinslichen Währungen gerechnet werden, sofern die Inflation tatsächlich höher als i m Ausland ist. Der Ausschuß der Zentralbankgouverneure stellt in seinem Gutachten über die E W S Krise v o m September 1992 fest, daß "the impact which economic balances and/or policy dilemmas could normally b e expected to have on exchange rate relationships was offset, prior to June 1992, by market expectations that the process towards E M U would reduce the likelyhood of changes i n central parities. These market expectations motivated large capital 1 1 3 )

113) European Monetary Union.

75

inflows into higher yielding E M S currencies since the late 1980s until the sommerofl992." 1 1 4 )

Die Ursache der Kapitalzuflüsse in hochverzinsliche Währungen ist dem­ n a c h darin zu sehen, daß die Märkte das System als eine de facto Währungsunion mit stabilen Wechselkursen b e t r a c h t e t e n . ' E i n Indi­ kator, der auf eine solche Verstetigung der Wechselkurserwartungen schließen läßt, ist der Devisenterminkurs. '* Liegt der Terminkurs au­ ßerhalb der maximal zulässigen Bandbreite des Kassakurses, wird inner­ halb des Betrachtungszeitraumes ein Realignment erwartet. Tatsächlich haben sich die prozentualen Abweichungen der Terminkurse für Zwölf­ monatsgeld v o m bilateralen D-Mark-Leitkurs i n den letzten Jahren aber so stark reduziert, daß die Terminkurse meistens innerhalb der Bandbrei­ te n o t i e r t e n . ' 115

116

117

Die Verstetigung der Wechselkurserwartungen führte zu d e m bereits erwähnten P h ä n o m e n des Konvergenzhandels *: Die Anleger n a h m e n die Zinsvorteile weitgehend ohne Wechselkurssicherung m i t . ' A u f diese Weise flössen auch umfangreiche Dollarmittel in hochverzinsliche Wäh­ rungen, wobei das Dollarkursrisiko nicht durch einen Terminverkauf der hochverzinslichen Währung, sondern mit Hilfe einer "proxy hedge" ge­ deckt wurde, deren Terminabschlag gegenüber d e m Dollar geringer war. N a c h einer vorsichtigen Schätzung des Internationalen Währungsfonds 118

1 1 9

114) Vgl. Committee of Governors (1993b), S. 2. 115) Vgl. Monetary Committee (1993), Ziffer 2.5, S. 3. 116) Vgl. Committee of Governors (1992), S. 43 ff. 117) Vgl. Committee of Governors (1992), S. 45. Der Terminkurs läßt nur Rückschlüsse auf die kurzfristigen Wechselkurserwartungen zu. Als einen Indikator, der mehr über die langfristigen Wechselkurserwartungen aussagt, führt der Ausschuß der Zentralbankpräsidenten das langfristige Nominalzinsniveau an. Hier spreche insbe­ sondere die 1990-1991 erreichte Annäherung der Nominalzinsen für eine Versteti­ gung der Wechselkurserwartungen. Gleichzeitig betont der Ausschuß aber, daß der Indikator 'langfristiges Nominalzinsniveau" mit Vorsicht z u interpretieren sei. 118) Vgl. Goldstein et al. (1993), S. 8 ff und S. 49 f, Group of Ten (1993), S. 11. 119) Vgl. Deutsche Bundesbank (1993a), S. 81.

76

belief sich das Volumen des Konvergenzhandels seit Januar 1987 a u f rd. 300 Mrd. US-Dollar. * 120

Die entstandenen Ungleichgewichte sind durch den zunächst expansiven Stimulus der deutschen Wiedervereinigung verdeckt w o r d e n . * Als die­ se Sonderkonjunktur ausgelaufen war, und der Maastricht-Kurs durch das negative dänische Referendum i n Frage gestellt wurde, zerbrach die Fixkursillusion vieler Kapitalanleger. D a m i t w a r der W e g für eine markt­ mäßige Neubestimmung der Wechselkurse frei. E s k a m schlagartig zu einer massiven Nachfrage n a c h D-Mark-Anlagen, u m offene Positionen in v e r m e i n t l i c h e n S c h w a c h w ä h r u n g e n glattzustellen, S c h w a c h w ä h rungsanlagen umzutauschen und später auch u m zu spekulieren. 121

Die September-Krise und die nachfolgenden Spannungen h a b e n die rea­ len Wechselkursverzerrungen bis z u m Jahreswechsel 1992/93 nur z u m Teil korrigiert (vgl. Tabelle 13). Anfang 1993 w a r die reale Lira-Aufwer­ tung gegenüber Januar 1987 durch die nominale Abwertung wieder rückgängig gemacht worden. Das Pfund notierte zu diesem Zeitpunkt real aber noch u m 7,6 % über seinem Kurs v o m Januar 1987, die Peseta immerhin n o c h u m 20,2 %. Es ist daher nicht weiter überraschend, daß die Peseta i m M a i 1993 erneut abgewertet w u r d e . * I m Juli 1993 lag die reale Peseta-Aufwertung gegenüber Januar 1987 dann nur n o c h bei 8,9 %. Während der Krise v o m Juli 1993 gerieten Pfund, Lira und Peseta nicht m e h r unter Abwertungsdruck. Daraus könnte der Schluß gezogen werden, daß die vorausgegangene Korrektur der Wechselkurse ausrei­ chend war. 122

U m dies besser beurteilen zu können, bietet sich ein Kaufkraftvergleich zwischen den betreffenden Währungen an. Bei einem Kaufkraftvergleich wird die Kaufkraft einer Währung i m Inland und - nach U m t a u s c h in die Auslandswährung - i m Ausland verglichen. Es handelt sich dabei u m einen Niveauvergleich, bei d e m ein wesentlich längerer Entwicklungszei­ t r a u m zugrundegelegt wird als bei den periodenbezogenen Berechnungen

120) Vgl. Goldstein et al. (1993), S. 10. 121) Vgl. Committee of Governors (1993b). 122) Vgl. auch Smeets (1993), S. 458.

77

in Tabelle 13. B e i solchen Niveauvergleichen ergibt sich das Problem, welches Basisjahr d e m unmittelbaren Preisvergleich zwischen In- und Ausland zugrundegelegt, wird. ' ' Der im folgenden diskutierte Kauf­ kraftindex w u r d e als Relation zwischen d e n durch das Statistische Bun­ desamt monatlich ermittelten Verbrauchergeldparitäten ^ und d e m De­ visenkurs (in Prozent) ermittelt. E i n Kaufkraftindex v o n 100 % würde bedeuten, daß die Kaufkraft der D-Mark i m In- und Ausland identisch ist. E i n Index v o n unter 100 % bedeutet, daß die Kaufkraft der D-Mark i m Ausland niedriger als i m Inland ist und ein Index v o n über 100 % , daß die Kaufkraft der D-Mark i m Ausland höher als i m Inland ist. I m ersten Fall ist die D-Mark unter-, i m zweiten Fall ist die D-Mark ( i m Sinne der Kaufkraftparitätentheorie) überbewertet. 1

2,1

124

I m Juli 1992 lag der Index für die Kaufkraft der D-Mark i n Großbritan­ nien bei 93,7 % , in Italien bei 90,2 % und in Spanien bei 90,6 % . Vor A u s b r u c h der EWS-Krise führte ein U m t a u s c h v o n D-Mark (bei an­ schließender Verwendung des Umtauschbetrages in d e m entsprechenden L a n d ) also zu e i n e m Kaufkraftverlust v o n 6,3 % i m Falle des britischen Pfunds, v o n 9,8 % i m Falle der Lira und v o n 9,4 % i m Falle der Peseta. Die D-Mark w a r unterbewertet, bzw. Pfund, Lira und Peseta überbewer­ tet. N a c h den Währungsturbulenzen zeigt der Kaufkraftvergleich eine Unterbewertung v o n Pfund, Lira und Peseta bzw. Überbewertung der D-Mark an: So betrug der Index für die Kaufkraft der D-Mark in Großbri­ tannien i m N o v e m b e r 1993 108,8 %, in Italien 114,7 % und in Spanien 113,0 %.

123) Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 17, Reihe 10, Internationaler Vergleich der Verbraucherpreise, 1992, S. 7 f. Dort findet sich auch eine Angabe über die jeweiligen Basisjahre. 124) Die Verbrauchergeldparität gibt an, wie viele inländische Geldeinheiten erforderlich sind, u m die gleichen Gütermengen bestimmter Qualität im Inland zu erwerben, die man im Ausland für eine ausländische Geldeinheit erhält. Die Verbrauchergeldpa­ rität unterscheidet sich von der Kaufkraftparität dadurch, daß sich die Verbraucher­ geldparität ausschließlich auf Waren und Dienstleistungendes privaten Verbrauchs beschränkt.

78

Der portugiesische Escudo wertete real a m stärksten auf. Die reale Escudo-Aufwertung gegenüber der D-Mark betrug zwischen Januar 1987 und Juni 1992 über 50 %. Entsprechend sieht die Entwicklung der portugiesischen Leistungs- und Handelsbilanz aus (vgl. Tabelle 14). A u c h i m Falle Portugals dürfte der Balassa-Samuelson-Effekt eine große Rolle spielen, so daß die Höhe der realen Aufwertung etwas zu relativieren ist. Die Lohnstückkosten Portugals sind i m internationalen Vergleich zwar noch günstig; ihr starker A n s t i e g * läßt allerdings vermuten, daß sich eine weitere reale Escudo-Aufwertung negativ auf die portugiesische Wettbewerbsfähigkeit ausgewirkt hätte. 126

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß sich n a c h 1987 außerhalb des Kernwährungsbereichs Preis- und Kostendivergenzen aufstauten, die zu realen Aufwertungen führten und dadurch die internationale Wettbe­ werbsfähigkeit der betroffenen Volkswirtschaften beeinträchtigt hatten. Diese Fehlentwicklungen wurden durch die kräftigen nominalen Abwer­ tungen korrigiert. Der nominale Abwertungsdruck, unter d e m Währun­ gen des Kernwährungsbereichs standen, läßt sich dagegen nicht mit Preis- und Kostendivergenzen begründen. Hier m ü s s e n andere Faktoren eine Rolle gespielt haben. 4.3

I n k o n s i s t e n z wirtschaftspolitischer Ziele

Die spekulativen Attacken gegen Währungen aus d e m Kernwährungsbe­ reich beruhen a u f einer Inkonsistenz wirtschaftspolitischer Ziele, die aus den asymmetrischen ökonomischen Auswirkungen der deutschen Verei­ nigung resultierten. Durch den günstigen Umtauschkurs der ostdeut­ schen Sparguthaben und durch die gewaltigen Finanztransfers nach Ostdeutschland w u r d e dort ein Nachfrageboom ausgelöst, der durch das westdeutsche Güterangebot allein nicht befriedigt werden konnte. Es k a m zu einem massiven Importanstieg und zu einem U m s c h w u n g i n der

125) 1987 betrug das Handelsbilanzdefizit 3,6 Mrd., 1992 9,5 Mrd. US-Dollar. 126) Gegenüber den EG-Mitgliedstaaten stieg der Index für die relativen Lohnstückko­ sten (1961 - 73 = 100) zwischen 1987 und Ende 1992 von 81,1 auf 117,8 an. Angaben: Europäische Kommission.

79

deutschen Leistungsbilanz: Hatte Westdeutschland 1989 noch einen Überschuß v o n 108 Mrd. D M , wies Gesamtdeutschland i m Jahre 1992 ein Defizit v o n 39,4 M r d . D M aus. Zunächst wirkte sich die deutsche Vereinigung auf die Partnerstaaten w i e ein gewaltiges keynesianisches Konjunkturprogramm aus, da sich der vereinigungsbedingte Nachfrage­ b o o m gleichmäßig auf die EG-Handelspartner verteilte und den Wirtschaftsabschwung, unter d e m bereits die U S A u n d Großbritannien litten, in diesen Ländern hinausschob. T a b e l l e 16: D i e d e u t s c h e Leistungsbilanz v o r u n d n a c h der d e u t s c h e n V e r e i n i g u n g (Saldo i n M r d . D M )

Land Alle Länder EG-Mitgliedstaaten B/LUX DK F GR I IRL NL P E UK Quelle:

1989

1992

108,0 66,9 10,8 4,7 23,2 - 0,02 7,2 - 0,9 - 3,2 0,9 7,4 28,9

-39,4 -13,5 - 1,9 - 0,07 9,2 - 0,01 - 1,9 - 2,5 -12,5 0,3 4,7 11,7

Deutsche Bundesbank, Zahlungsbilanzstatistik.

Tabelle 16 zeigt, daß sich der bilaterale Leistungsbilanzsaldo Deut­ schlands gegenüber allen Mitgliedstaaten mit A u s n a h m e Griechenlands deutlich verschlechtert hat. Die Europäische K o m m i s s i o n schätzte das durch d e n Nachfrageboom in den Mitgliedstaaten zusätzlich ausgelöste

80

7 )

Wirtschaftswachstum auf 0,4 % für 1990 und 0,6 % für 1991. " Für 1992 schätzte die B a n k für internationalen Zahlungsausgleich den Wachs­ tumsimpuls in derselben Größenordnung (0,5 % ) e i n . * 128

Der ostdeutsche Nachfrageboom belastete trotz seines Wachstumseffek­ tes den Wechselkursmechanismus. Z u m einen verdeckte die Verbesse­ rung der Leistungsbilanzpositionen gegenüber Deutschland die Bedeu­ tung der seit 1987 aufgelaufenen Ungleichgewichte, deren Korrektur weiter aufgeschoben w u r d e . * Z u m anderen erwies sich der deutsche Policy-Mix als p r o b l e m a t i s c h . * D i e Transferzahlungen n a c h Ost­ deutschland wurden z u m erheblichen Teil über Kreditaufnahmen finan­ ziert. D i e expansive deutsche Fiskalpolitik übte durch ihre Nachfragesti­ mulierung nicht nur Druck auf das deutsche Preisniveau aus, sondern erhöhte auch das deutsche Zinsniveau. U m Kapitalabflüsse und damit eine Abwertung ihrer Währungen zu verhindern, w a r e n die Partnerstaa­ ten gezwungen, sich d e m hohen deutschen Nominalzinsniveau anzupas­ sen. Dadurch entstand ein Dilemma, "in which the adaption of the same nominal interest rates as Germany implied very high real interest rates in a context of significantly slowing economic growth and increasing unemployment." * 129

130

1 3x

Schließlich verlangte die deutsche Wiedervereinigung eine reale Aufwer­ tung der D-Mark, die sich bei konstanten nominalen Wechselkursen dadurch einstellte, daß die deutsche Inflationsrate über das Niveau der ausländischen Inflationsraten anstieg. * Der reale Aufwertungsbedarf der D-Mark ergab sich, weil die deutsche Vereinigung einen asymmetri132

127) Vgl. Europäische Kommission (1992), S. 8, vgl. auch Issing (1992). 128) Vgl. Bank für internationalen Zahlungsausgleich (1993), S. 35. 129) Vgl. Committee of Governors (1993b), S. 2. 130) Vgl. Monetary Committee (1993), S. 3. 131) Vgl. Monetary Committee (1993), S. 3. 132) Vgl. Eichengreen und Wyplosz (1993a), Feuerstein (1993), Neumann (1993a), Portes (1993), Smeets (1993), Vaubel (1993) und Williamson (1992). Eine entgegengesetzte Auffassung vertreten Bofmger und Pohl. Vgl. Bofinger (1993d) und Pohl (1993), S. 172.

81

sehen Nachfrageschock darstellte. ' D a sich die zusätzhehe Nachfrage auf das In- u n d Ausland verteilte, lag keine Nachfrageverlagerung zwi­ schen In- und Ausland i m Sinne der traditionellen Theorie optimaler Währungsräume v o r . ) Die Asymmetrie bestand vielmehr darin, daß ein Teil der zusätzlichen Nachfrage in Deutschland auf handelbare Güter und der andere Teil auf nicht-handelbare Güter entfiel. Während die erhöhte Nachfrage nach handelbaren Gütern durch höhere Importe befriedigt w e r d e n konnte, mußte die erhöhte Nachfrage nach nicht-handelbaren Gütern allein durch das beschränkte inländische Güterangebot gedeckt w e r d e n I m Bereich der nicht-handelbaren Güter w a r der Preisdruck d e m n a c h größer, so daß sich der relative Preis zwischen nicht-handelba­ ren und handelbaren Gütern e r h ö h t e . * Die relative Verteuerung nichthandelbarer Güter löste nicht nur eine Ressourcenverlagerung zugunsten dieses Produktionsbereichs aus, sondern auch eine reale Aufwertung der D-Mark. 1 3 4

135

Dieser Z u s a m m e n h a n g läßt sich mit Hilfe der Kaufkraftparitätentheorie darstellen, wobei nicht nur handelbare, sondern auch nicht-handelbare Güter berücksichtigt w e r d e n . * Das Gesetz des einheitlichen Preises gelte nur für den Bereich handelbarer Güter. D e r nominale Wechselkurs ist d a n n definiert als: 136

P

H

(4.3) e = - f . P

133) Vgl. Eichengreen und W y p l o s z (1993b), S. 2 2 ff. 134) Vgl. Bofinger (1993b), S. 4, Feuerstein (1993), S. 549. Nach der Theorie optimaler Währungsräume ist eine Änderung des realen Wechselkurses zwischen zwei Ländern notwendig, wenn die Nachfrage nach Gütern des einen Landes zulasten der Nach­ frage nach Gütern des anderen Landes steigt. 135) Vgl. Siebert (1993), Feuerstein (1993). 136) Eichengreen und W y p l o s z analysieren den realen Aufwertungsbedarf im Rahmen eines modifizierten Mundell-Flemming-Modells. Sie stellen die asymmetrische Nach­ fragewirkung so dar, daß sie der aggregierten Nachfrage des deutschen Gütermark­ tes eine zusätzliche Komponente beifügen, die die höhere Nachfrage nach "home goods" ausdrücken soll. Vgl. Eichengreen und W y p l o s z (1993b), S. 22 ff.

82

Das gesamtwirtschaftliche Preisniveau setzt sich aus einem gewichteten Durchschnitt der Preise für handelbare Güter P H und nicht-handelbare Güter P N zusammen, wobei a den relativen Anteil handelbarer Güter a m gesamten Warenkorb darstellt:

(4.4) P = a P

H

+ (l-a)P . N

Wird Gleichung (4.4) nach P H aufgelöst und analog P ^ abgeleitet und in (4.3) eingesetzt, f o l g t : ' 13

a

0

CAK, P q + (i-« : (4.5) e = — —p a + (1-oc) a

a

wobei ß ( = P N / P H ) der relative Preis zwischen nicht-handelbaren handelbaren Gütern ist.

und

Der nominale Wechselkurs bestimmt sich aus einer nominalen Kompo­ nente P / P und einer realen Komponente, die v o n den relativen Preisen ß und ß abhängt. Steigt ß, m u ß ceteris paribus entweder der nominale Wechselkurs e sinken (nominale Aufwertung) oder das inländische Preis­ niveau gegenüber d e m ausländischen Preisniveau steigen (P > P ) . Dieser zweite Anpassungsprozeß bedeutet, daß der reale Wechselkurs (vgl. Glei­ chung 4.1) sinkt. Er w a r auch der i m R a h m e n der EWS-Vereinbarungen beschrittene Weg: Der reale Aufwertungsbedarf der D-Mark vollzog sich bei fixen nominalen Wechselkursen über eine i m Vergleich zu den Kern­ währungsländern höhere deutsche I n f l a t i o n s r a t e . ' a

a

a

138

137) Vgl. Anhang n. 138) Der reale Aufwertungsbedarf der D-Mark ergab sich insbesondere gegenüber den Ländern des Kemwährungsbereichs, weil in den Peripherieländern durch den BalassaSamuelson-Effekt ebenfalls ein realer Aufwertungsbedarf bestand.

83

Es ist eine empirische Frage, wie stark sich der relative Preis ß nach der deutschen Vereinigung erhöht hat. N a c h einer Schätzung des Ausschus­ ses der Zentralbankgouverneure lag die Inflationsrate nicht-handelbarer Güter 1992 in Deutschland bei 5,5 %, die handelbarer Güter bei 2,7 %. Diese Inflationsdifferenz von immerhin 2,8 Prozentpunkten lag deutlich über den Differenzen v o n 1990 (0,7 % ) und 1991 (0,6 % ) . Leider ist kein Vergleich zwischen ß und ß möglich, da die v o m Ausschuß der Zentral­ bankgouverneure veröffentlichten Näherungswerte der Mitgliedstaaten n a c h unterschiedlichen Methoden berechnet worden sind. 1 3 9 )

a

Der reale Aufwertungsbedarf der D-Mark setzte i m Ausland eine restrik­ tivere Geldpolitik als i n Deutschland voraus. Dadurch entstand zwischen Deutschland und seinen EWS-Partnerstaaten ein Zielkonflikt, der 1992 kulminierte. Die westdeutsche Inflationsrate w a r von 2,7 % i m Jahre 1990 über 3,5 % i m Jahre 1991 auf 4 % i m Jahre 1992 angestiegen. 1993 lag sie bei 4,2 %. Gleichzeitig explodierte die deutsche Geldmenge: Das Geldmengenaggregat M 3 wuchs 1992 mit einer Jahresrate von 7,4 % und lag damit u m knapp 2 % über seinem oberen Zielkorridor. Die Bundes­ bank versuchte daher in der ersten Jahreshälfte 1992 die Geldmengenex­ pansion durch höhere Geldmarktzinsen zu bremsen. Dies sollte gleichzei­ tig die Glaubwürdigkeit in ihre Stabilitätspolitik festigen. In den meisten übrigen Partnerstaaten blieb die Geldmengenexpansion dagegen mode­ rat und die Inflationsrate ging merklich zurück (vgl. Tabelle 17). Diese Konstellation setzte sich 1993 fort. Besonders auffallig ist der Restriktionsgrad der Geldpolitik in D ä n e m a r k u n d Frankreich. Die inländische Komponente des Geldmengenwach­ stums schrumpfte in Dänemark 1992 u m 9,1 %, nachdem sie schon 1991 nur mit 1,4 % zugenommen hatte. In Frankreich war die Geldpolitik 1990 und 1991 a m restriktivsten. 1992 erreichte die Expansion der Geldmenge M 3 zwar den oberen R a n d des Korridors, lag aber deutlich unter d e m M3-Wachstum in Deutschland.

139) Vgl. Comittee of Governors (1993a), S. 15.

84

Tabelle 17: G e l d m e n g e n a g g r e g a t e u n d Inflationsraten

1991

1990 Land

B DK D F

Zielva­ riable

Ziel

Ergebnis

Inflati­ onsrate

Ziel

Ergebnis

3,5 1

DMC ' M3 M2 M3 M2 DMC ' ALP ' M3 M0

I

1

NL E

4

- 6

3,5

5,5

-

0, 9

2, 6

1,4

5, 6

2, 7

5,2

0,5

3, 4

9, 9

6, 5

5 - 8

9,0

6

2,5

7 - 8

11,2

6, 7

7

5 - 1 6 6

- 9

2

6,5

-

9,5

1

-

5

-11

2,3

9, 5

2,5

1992 Land

B DK D F I

NL E UK

Zielva­ riable

Ziel

10, 8

11, 3

3 )

UK

3, 8

Ergebnis

1993 Inflati­ onsrate

Ziel

Ergebnis

2, 4 1

DMC ' M3 M2 M3 M2 DMC ' ALP ' M3 MO ' 1

4

7

3,5

5, 5

-

9, 1

2,1

9, 4

4,0

4 - 6

5, 9

5 - 7

5, 9

5,3

7 - 8

10, 6

3,7

5,1

5, 9

3,8

3,7

2

3

4,5

-

6,5

7,4

2,8

8

-11

0 - 4

6, 5

1,5

7

7,8

4,5

-

7,5

8, 6

0

-

4

5, 6

1)

Inländische Komponente des Geldmengenwachstums.

2)

Liquide Mittel in der Hand privater Nichtbariken.

3)

Weit abgegrenzte monetäre B asis.

4)

Schätzung.

Quellen: Ausschuß der Zentralbankgouvemeure, BIZ, Jahresberichte.

85

Divergenzen gab es aber nicht allein i m monetären, sondern auch i m realwirtschaftlichen Bereich. In Westdeutschland herrschte bis Mitte 1991 Hochkonjunktur, während sich das reale Wachstum des BIP in den übrigen Ländern abschwächte (vgl. Abbildung 14) und Großbritannien bereits seit Mitte 1990 in einer Rezession steckte. Abbildung 14 zeigt diese Wachstumsschere für Deutschland, Frankreich, Italien und die Nieder­ lande. Während sich die Bundesbank wegen der bis in das zweite Quartal 1992 andauernden wirtschaftlichen Dynamik in Deutschland und w e g e n ihrer Probleme bei der geldpolitischen Steuerung zu Zinssenkungen nicht veranlaßt sah, wuchs in den Nachbarstaaten der Wunsch nach geldpoli­ tischen Lockerungen. A b b i l d u n g 14: E n t w i c k l u n g des B S P / B I P a u s g e w ä h l t e r Mitgliedstaaten 1989 b i s 1993 (Ende 1988 = 100) 114-r

UK e sa-l

1

1—I

II

III

!

1

1—I

1/90

II

III

1

^—I—I

hIII

l/M

Quelle:

86

IV

IV

I/B1

II

III

IV

I/BÎ

Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung.

IV

1/83

Die Folge w a r eine Inkonsistenz wirtschaftspolitischer Ziele in Westeu­ ropa. I n Deutschland stand die Bekämpfung der Inflation, in den Nach­ barländern die Bekämpfung der Stagnation i m Vordergrund. Eine den binnenwirtschaftlichen Erfordernissen angemessene nationale Geldpo­ litik stand aber i m Konflikt zu d e m außenwirtschaftlichen Ziel, die (nominalen) Wechselkurse zu verteidigen. A m deutlichsten sichtbar wird diese Inkonsistenz wirtschaftspolitischer Ziele b e i m Vergleich der Real­ zinsen (vgl. Abbildungen 15 und 16).

87

A b b i l d u n g 16: Realzinsdifferenz z u Deutschland: Belgien

Realzinsdifferenz z u D e u t s c h l a n d : D ä n e m a r k

Vrst

88

Quartal



langfristig



kurzfristig

Realzinsdifferenz zu Deutschland: Frankreich



langfristig

ED kurzfristig

Quellen: OECD, Main Economic Indicators, IWF, International Financial Statistics; eigene Be­ rechnungen.

Abbildung 15 zeigt, daß Deutschland seit d e m ersten Quartal 1992 die niedrigsten Realzinsen aufweist. Vergleichbar niedrig waren die Realzin­ sen i n den Niederlanden, während die Realzinsen der übrigen in Abbil­ dung 15 berücksichtigten EWS-Länder u m 1-2 Prozentpunkte über d e n deutschen Realzinsen lagen. Ein Blick a u f Abbildung 16 zeigt, daß die Realzinsunterschiede zwischen d e m dritten Quartal 1991 und d e m zwei­ ten Quartal 1992 recht stabil blieben. I m dritten Quartal 1992 k a m es in Italien, D ä n e m a r k u n d Frankreich z u einem überdurchschnittlichen Realzinsanstieg, der die wachsenden Wechselkursspannungen widerspie­ gelt (vgl. Abbildung 15). N a c h d e m Austritt aus d e m Interventionsmecha­ nismus des E W S sanken die Realzinsen in Italien und Großbritannien. A u c h in Belgien gingen die Realzinsen zurück. In Dänemark und Frank­ reich stiegen sie dagegen i m vierten Quartal 1992 u n d i m ersten Quartal 1993 besonders i m kurzfristigen Bereich stark an (vgl. Abbildung 16).

89

Erst i m zweiten Quartal 1993 setzte dort eine Entspannungsphase ein (vgl. Abschnitt 4.1.3). Die in d e n Realzinsdifferenzen enthaltene Risikoprämie drückte das Mißtrauen der Märkte aus, Dänemark und Frankreich würden den R e ­ striktionsgrad ihrer Geldpolitik w e g e n der schwachen Konjunktur nicht aufrechterhalten und ihr Wechselkursziel aufgeben. Die Märkte erwarte­ ten, daß die Politiker das Beschäftigungsziel d e m Wechselkursziel über­ ordnen würden, so daß i m m e r wieder "Unruhe" * in das E W S hineinge­ tragen wurde. Bei der Juli-Krise überrascht aber der Umstand, daß Belgien und Dänemark unter der Führung Frankreichs seit d e m Früh­ j a h r 1993 den Realzinsabstand zu Deutschland kontinuierlich senken konnten. Das Realzinsgefälle pendelte sich Ende Juni etwa auf d e m Niveau der ersten Jahreshälfte 1992 e i n . * N a c h d e m diese Entwicklung z u m Stillstand k a m , entlud sich eine Spekulationswelle, die z u m Zusam­ menbruch des Systems führte. Offenbar reichten die Zinssenkungen nicht aus, u m die Inkonsistenz wirtschaftspolitischer Ziele und damit das Mißtrauen der Märkte zu beseitigen. File bemerkt, daß der Rückfall des Franc-Kurses einsetzte, n a c h d e m ein staatliches Konjunkturforschimgsinstitut eine negative Konjunkturprognose für Frankreich veröffentlicht hatte. Dies habe bei den Märkten z u der Einschätzung geführt, daß die Möglichkeiten einer Abkoppelung v o m Zinsniveau der Bundesbank er­ schöpft gewesen s e i e n . * 140

141

142

Weitere Zinssenkungen hätten entsprechende Zinssenkungen der Deut­ schen Bundesbank vorausgesetzt, w o z u die Bundesbank aber aus stabi­ litätspolitischen Gründen nicht bereit war. U m den Zusammenbruch des Systems zu vermeiden, hätte sich die Bundesbank stärker an außenwirt­ schaftlichen als an binnenwirtschaftlichen Erfordernissen orientieren müssen. * 143

140) Vgl. Pohl (1993), S. 172. 141) Im Juni 1993 betrug die kurzfristige Realzinsdifferenz für Belgien 1,2 %, Dänemark 3,6 % und Frankreich 1,9 %. 142) Vgl. File (1993), S. 461 f. 143) Amerikanische Wissenschaftler führen die Spannungen und den Zusammenbruch des EWS entsprechend auf die restriktive Zinspolitik der Bundesbank zurück. Vgl. Blan-

90

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die deutsche Wiedervereini­ gung zu einem realen Aufwertungsbedarf der D-Mark führte, der sich nicht über eine nominale Aufwertung vollzog, sondern über eine i m Vergleich z u m Ausland höhere deutsche Inflationsrate. Durch die zur Stabilisierung der Wechselkurse i m E W S notwendige Ankoppelung an das hohe deutsche Zinsniveau enstand in den Nachbarländern (insbeson­ dere des Kernwähnxngsbereichs) ein geldpolitischer Restriktionsgrad, der mit der konjunkturellen Situation in diesen Ländern unvereinbar war. D u r c h den Konflikt zwischen binnen- und außenwirtschaftlichen Zielsetzungen (Inkonsistenzproblem) entstand das Terrain für spekulati­ ve Attacken: Die Spekulanten erwarteten, daß die Kernwährungsländer das Ziel fester Wechselkurse ihren Zinssenkungswünschen unterordnen und deshalb abwerten würden. Die Märkte verlangten daher eine Risiko­ prämie, die wiederum den Zielkonflikt und damit auch die Abwertungs­ erwartungen verstärkte. 4.4

S p e k u l a t i o n u n d Effizienz d e r D e v i s e n m ä r k t e

Der Währungsausschuß erklärte in seinem Kommunique v o m 2. August 1993, daß die Bandbreitenerweiterung i m E W S als Antwort auf die spekulativen Kapitalbewegungen zu verstehen ist, die in Art und Umfang außergewöhnlich und fundamentalwirtschaftlich nicht zu rechtfertigen s e i e n . ' N a c h Auffassung Bofingers handelt es sich bei dieser fundamentalwirtschaftlich unbegründeten Spekulation u m "ein massives Markt­ versagen der internationalen Geld- und K a p i t a l m ä r k t e " ' . Die wesent­ liche Ursache für den Zusammenbruch des E W S sei in der Rolle der Devisenmärkte zu sehen: Das Inkonsistenzproblem beruhe auf einer unangemessenen Bewertung v o n Währungen mit niedriger Inflationsra­ te, die die betroffenen Länder zu einer Hochzinspolitik gezwungen habe, 144

145

chard et al. (1993). Im gleichen Sinne äußern sich Pohl und File. Vgl. Pohl (1993), S. 172 und File (1993), S. 461 ff. 144) Vgl. Communique' of the European Community, Brüssels, August 2,1993. 145) Vgl. Bofinger (1993b), S. 454.

91

die nicht lange durchgehalten w e r d e n konnte. ' Die Argumentation Bofingers knüpft nicht an die v o n politischer Seite verschiedentlich ver­ muteten Verschwörungstheorien a n , ' sondern an das in aller Regel als optimal oder effizient angesehene "Gleichgewicht" der Devisenmärkte. 1 4 7

1 4 8 )

A u f d e n Devisenmärkten ist das Transaktionsvolumen durch die Globa­ lisierung der Kapitalmärkte e n o r m gewachsen. N a c h der letzten Umfrage von April 1992 bei 26 Zentralbanken lag der weltweite Devisenumsatz bei 880 Mrd. US-Dollar j e H a n d e l s t a g . ' Hinter dieser Entwicklung stehen die durch die Liberalisierung und die Modernisierung des Kapitalver­ kehrs verbesserten Möglichkeiten internationaler Portfoliodiversifizie­ rung. Sie w e r d e n insbesondere durch die sog. institutionellen Investoren w i e Pensionsfonds, Versicherungsgesellschaften, multinationale Unter­ n e h m e n und Investmentfonds g e n u t z t . ' D u r c h den technischen Fort­ schritt in der Telekommunikation u n d i m computergestützten Prograromhandel können heute in Sekundenschnelle enorme Kapitalbewe­ gungen ausgelöst werden. Produktinnovationen, insbesondere die Ent­ wicklung derivativer F m a n z i n s t r u m e n t e , ' ermöglichen Geschäfte ohne oder mit nur geringem Kapitaleinsatz. Dies löst eine beträchtliche Hebel­ wirkung a u f das Volumen der Kapitalströme aus. 149

150

151

D u r c h die Z u n a h m e grenzüberschreitender Finanztransaktionen ist auch das Potential für spekulative Kapitalbewegungen größer geworden. Inter­ ventionen der Zentralbanken zur Beeinflussung v o n Wechselkursent­ wicklungen verlangen daher einen immer höheren Mitteleinsatz der Zentralbanken. E i n S y s t e m fixer, aber anpassungsfähiger Wechselkurse ist gegen spekulative Angriffe viel anfälliger geworden.

146) Vgl. Bofinger (1993b), S. 454. 147) Vgl. dazu Portes (1993), S. 9 f. 148) Vgl. Bofinger (1993c) und Vehrkamp (1993). 149) Vgl. Group of Ten (1993), S. 4, Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (1993), S.216. 150) Vgl. Group of Ten (1993), S. 4. 151) Vgl. dazu Deutsche Bundesbank (1993c), S. 47 ff.

92

Die These v o m Marktversagen unterscheidet zwischen der individuellen Rationalität der Spekulanten und der makroökonomischen Optimalität der Wechselkursentwicklung: * Die Existenz mikroökonomischer Ratio­ nalität fuhrt nicht notwendigerweise z u makroökonomischer Optimali­ tät, so daß sich marktbestimmte Wechselkurse nicht unbedingt in der Weise verhalten, wie das aus ökonomischer Sicht als optimal anzusehen ist. ' 152

1 5 3

Mikroökonomische Rationalität setzt voraus, daß die Marktteilnehmer ihrem Verhalten alle verfügbaren Informationen zugrundelegen, d.h. rationale Erwartungen bilden. Diese Bedingung w a r während der Wäh­ rungskrise offenbar erfüllt: Die Spekulanten nutzten einfach die durch Termin- u n d Kassaspekulation realisierbaren Gewinne. Die typische Form, in der ein Spekulant eine Währung attackiert, sind die sog. Leer­ verkäufe (short sales). * Bei Leerverkäufen schließt ein Spekulant mit einer Geschäftsbank einen Terminkontrakt ab, der d e n Verkauf einer abwertungsverdächtigen Währung zu einem späteren Zeitpunkt vorsieht. Dabei erwartet der Spekulant, daß der zukünftige Kassakurs unter d e m Terminkurs hegt. A u f diese Weise benötigt er keinerlei Kapital. Z u m Zeitpunkt der Erfüllung des Termingeschäfts nimmt, er den vertraglich vereinbarten Betrag der abgewerteten Währung auf d e m Kassamarkt auf. Die Differenz zwischen Termin- und Kassakurs ist sein Gewinn. Das Risiko liegt für den Spekulanten darin, daß die abwertungsverdächtige Währung nicht abwertet und der Kassakurs nicht unter den Terminkurs fällt. 154

155

K o m m t es auf den Terminmärkten zu L i q u i d i t ä t s v e r k n a p p u n g e n , ' müssen die Spekulanten auf die Kassaspekulation ausweichen. Bei der Kassaspekulation n i m m t der Spekulant einen Kredit in der abwertungs-

152) Vgl. Bofinger (1993d), S. 8. 153) Vgl. Bofinger (1993b), S. 455. 154) Vgl. Goldstein et al. (1993), S. 40. 155) Dies zeigt sich an den Spannen zwischen Brief- und Geldkurs. Diese stiegen während der September-Krise extrem an. Für die Lira und das britische Pfund gab es im September 1992 zeitweilig überhaupt keine Terminnotierungen.

93

verdächtigen Währung auf und verkauft den Kreditbetrag kassa gegen eine Starkwährung. D e n entsprechenden Starkwährungsbetrag legt er auf d e m Geldmarkt des Starkwährungslandes zinsbringend an. N a c h d e m die Schwachwährung abgewertet w o r d e n ist, kauft der Spekulant die Schwachwährung kassa zurück. Ein Gewinn entsteht, w e n n die at­ tackierte Währung so stark abwertet, daß die i n der Regel positive Zinsdifferenz aus der Mittelaufhahme in Schwachwährung und der Mit­ telverwendung in Starkwährung überkompensiert wird. B e i d e Spekulationsgeschäfte hatten insbesondere deshalb gute Ge­ winnaussichten, weil die Spekulationsrichtung eindimensional war, d.h. nur in eine Richtung gehen konnte (one-way bets): Sofern durch die spekulative Attacke ein R e a h g n m e n t ausgelöst wurde, w a r es bei den engen Bandbreiten wahrscheinlich, daß der neue obere Interventions­ punkt unter d e m alten unteren Interventionspunkt h e g e n würde. Da­ durch entfiel das Risiko, daß sich der Kassakurs n a c h der Attacke wieder auf seinem alten N i v e a u einpendeln könnte u n d ein Spekulationsgewinn verhindert w ü r d e (Nicht-Wiederaufwertungsgarantie). Durch die Band­ breitenerweiterung v o m A u g u s t 1993 entfiel die Festlegung eines neuen oberen Interventionspunktes, sofern die spekulative Attacke die Währun­ gen nicht aus d e m erweiterten Korridor heraustrieb. E i n Spekulant konnte sich n u n nicht m e h r auf eine Nicht-Wiederaufwertungsgarantie verlassen. A u f makroökonomischer Ebene ist die Definition v o n Rationalität bzw. Optimalität schwieriger als auf mikroökonomischer Ebene. Als Orientie­ rungspunkt für einen makroökonomisch optimalen Wechselkursverlauf läßt sich die Kaufkraftparitätentheorie heranziehen. * Die Kaufkraft­ paritätentheorie "provides a n important n o r m for macroeconomic optimality i n a world with differing national inflation rates. If there are no other disturbances, one can clearly show that exchange rates that deviate from this path would lead to macroeconomic disequilibria over time. O f course, 156

156) Vgl. Bofinger (1993d), S. 9 f und Vehrkamp (1993), S. 641. Eine Alternative wäre das Konzept der "fundamental equilibrium exchange rate" (FEER) von Williamson. Vgl. dazu Williamson (1993).

94

PPP ' is only a rough approximation to such a normative approach, but it has the m a i n advantage to provide an extension o f the neöclassical paradigm to the open economy." * Der Zusammenhang der Kaufkraft­ paritätentheorie mit der neoklassischen Theorie ergibt sich dadurch, daß die Kaufkraftparitätentheorie eine Approximation des Gesetzes des ein­ heitlichen Preises ist, das d e m neoklassischen Paradigma zugrundehegt. 158

Die Optimalität eines Wechselkursverlaufs i m Sinne der Kaufkraftpari­ tätentheorie ist i m R a h m e n eines Festkurssystems w i e d e m E W S gege­ ben, w e n n sich die Devisenmärkte bei der Bewertung v o n Währungen i m wesentlichen a n makroökonomischen Fundamentalfaktoren wie der In­ flationsrate und - sofern eine Monetisierung v o n Staatsschulden nicht ausgeschlossen ist — der Budgetdefizite orientieren. Ein Festkurssystem funktioniert dann in der Weise, daß solche Länder unter Abwertungsdruck geraten, die eine inflatorische Wirtschaftspolitik verfolgen. Die Funktion der Märkte besteht darin, die notwendigen Realignments durch periodi­ sche spekulative Attacken auf stärker inflationierende Währungen aus­ zulösen, sofern sie politisch nicht gewollt s i n d . * I m Sinne der Kaufkraft­ logik stellt der Abwertungsdruck einen Sanktionsmechanismus gegen­ über Ländern m i t inflatorischer Wirtschaftspolitik dar. 159

Während der Währungskrisen w a r dieser Sanktionsmechanismus außer Kraft g e s e t z t , ' ' da die Märkte ihre Wechselkurserwartungen nicht mehr an den bestehenden Inflationsdivergenzen, sondern an einer Inkonsistenz zwischen binnen- und außenwirtschaftlichen Zielen (vgl. Abschnitt 4.3) orientierten: * A u s Sicht der Märkte waren die Wechselkursverein160

161

157) Purchasing Power Parity. 158) Vgl. Bofinger (1993d), S. 9 f. 159) Ein Beispiel für die Funktionsfähigkeit der Märkte in einem solchen Referenzsystem ist die EWS-Phase bis 1987. 160) Bofinger betont, daß der Sanktionsmechanismus bereits seit 1990 auch im Falle Italiens und Spaniens außer Kraft gesetzt war. Vgl. Bofinger (1993d), S. 12 f. 161) Vehrkamp spricht von einer Ausrichtung der Wechselkurserwartungen an anderen fundamentalen Faktoren. Vgl. Vehrkamp (1993), S. 641. Die Group of Ten stellt in ihrem Gutachten fest, daß auch nicht-fundamentale Faktoren kurzfristig eine Rolle gespielt haben. Hier sind besonders die sog. "stop-and-loss Orders" zu erwähnen.

95

barungen i m Bereich des Kern-EWS unglaubwürdig, weil das Realzins­ niveau außerhalb Deutschlands zu h o c h war. Bofinger ist der Auffassung, daß die D-Mark zwischen 1991 und 1993 entsprechend der Logik der Kaufkraftparitätentheorie - hätte nominal abwerten m ü s s e n . * Dies hätte zur Folge gehabt, daß das Nominalzins­ niveau in Ländern mit unterdurchschnitthcher Inflation (Belgien, Däne­ m a r k u n d Frankreich) unter das deutsche Nominalzinsniveau gesunken w ä r e . * Folgt m a n dieser Auffassung, k o m m t m a n z u d e m Ergebnis, daß Länder m i t unterdurchschnittlicher Inflation auch ihre Realzinsen hät­ ten senken können, so daß ein Inkonsistenzproblem möglicherweise nicht entstanden wäre: Erst durch den makroökonomisch nicht optimalen Wechselkursverlauf wäre es zu e i n e m Inkonsistenzproblem g e k o m m e n Die Märkte hätten sich den Nährboden für ihre spekulativen Aktionen sozusagen selbst bereitet. 162

1 6 3

Bofinger erklärt diese Falschbewertung der Wechselkurse — oder schärfer formuliert: das durch die Falschbewertung der Wechselkurse z u m Aus­ druck k o m m e n d e Marktversagen - m i t der fehlenden realwirtschaftli­ chen Verankerung der Preisbildung a u f den Devisenmärkten, die darauf beruht, daß das Volumen der Leistungsbilanztransaktionen i m Vergleich zu den internationalen Kapitalströmen zu gering s e i . * Stattdessen hänge die Preisbildung auf den Devisenmärkten maßgeblich v o m erwar­ teten Wechselkurs a b . * D a m i t wird die zukünftige Bewertung einer Währung durch die Märkte zur wichtigsten Information des einzelnen Marktteilnehmers. 164

1 6 5

Vgl. Group of Ten (1993), S. 52 f. 162) Diese Auffassung vertritt auch Pohl, wobei Pohl den Abwertungsbedarf der D-Mark auch durch die hohen deutschen Haushaltsdefizite, die mangelnde Perspektive ihrer Konsolidierung und durch die defizitäre deutsche Leistungsbilanz begründet. Vgl. Pohl (1993), S. 172. 163) Vgl. Bofinger (1993d), S. 14. 164) Vgl. Bofinger (1993c), S. 455. 165) Vgl. Bofinger (1993d), S. 6 und Tobin (1978), S. 157 f.

96

Die Erwartungsbildung auf den Devisenmärkten läßt sich mit Hilfe von sog. "focal points" (Brennpunkten) erklären. ^ Bei der Informationssu­ che auf den Devisenmärkten orientiert sich die individuelle Erwartung an der allgemeinen Erwartung. Dies sei anhand des folgenden Beispiels illustriert: Zwei Spieler, A und B, bilden ein Paar, ohne miteinander in Kommunikation treten zu können. Sie sind räumlich voneinander ge­ trennt und haben den Auftrag, sich gegenseitig in einer Großstadt zu suchen. W i e werden sich die beiden Spieler verhalten? Spieler A geht an den Ort, v o n d e m er glaubt, daß B hingeht. B geht an den Ort, v o n d e m er glaubt, daß A hingeht. Also wird A an den Ort gehen, v o n d e m er glaubt, daß B hingeht, weil B glaubt, daß A dorthingeht u.s.w.. 166

Das hier vorhegende Koordinationsproblem wird durch "focal points" gelöst. Beide Spieler w e r d e n vermutlich einen Ort aufsuchen, der ganz allgemein als Treffpunkt bekannt ist. E i n "focal point" entsteht also aufgrund allgemeiner Erfahrungen. Entwickelt sich ein "focal point", folgen i h m immer mehr Individuen, so daß ein sich selbstverstärkender Prozeß entsteht. Mit d e m Ausbruch der September-Krise v o n 1992 platzte der alte "focal point" stabiler Wechselkurserwartungen (Fixkursülusion) und es mußte sich ein neuer "focal point" entwickeln: Es wurde erwartet, daß inmitten der Währungsturbulenzen letztlich nur die D-Mark als "save haven" für die Investoren in Frage k a m . ^ Dieser neue "focal point" bildete sich aufgrund der über Jahrzehnte hinweg gewonnenen Reputa­ tion der D-Mark. D u r c h den neuen "focal point" entstand eine Abwer­ tungsphantasie die sich auch auf die Kernwährungsländer Belgien, Frankreich, Dänemark und Irland bezog. D a sich diese Länder mit A u s n a h m e Irlands für eine A b w e h r der Spekulation entschlossen, ent­ stand das bereits beschriebene Dilemma untragbar hoher Realzinsen, das zu einer Spekulation gegen die bestehenden Paritäten einlud. 167

Entscheidend für die These v o m Marktversagen ist die Annahme, daß die D-Mark nominal hätte abwerten müssen. Es stellt sich natürlich die Frage, ob diese A n n a h m e realistisch ist. A u s theoretischer Sicht ist

166) Vgl. Sudgen (1989), S. 93 ff. 167) Vgl. Bofinger (1993d), S. 14 ff.

97

einzuwenden, daß die Inflationsdifferenzen zwischen Deutschland und den Ländern des Kernwährungsbereichs nicht Ursache für eine nominale D-Mark-Abwertung waren, sondern eine Folge des realen Aufwertungs­ bedarfs der D - M a r k . * Wäre der reale Aufwertungsbedarf der D-Mark über eine nominale D-Mark-Aufwertung vollzogen worden, hätten sich die Inflationsraten zwischen Deutschland und seinen Partnerländern angenähert: D a s deutsche Preisniveau wäre infolge niedrigerer Import­ preise weniger stark gestiegen, die ausländischen Preisniveaus wären aufgrund höherer Importpreise stärker gestiegen. D a eine nominale Auf­ wertung ausblieb, mußten sich die Inflationsdifferenzen einstellen. Bofingers Argumentation setzt an den Inflationsdifferenzen an, die einen nominalen D-Mark-Abwertungsbedarf signalisierten; die Gegenargu­ mentation setzt a m realen D-Mark-Aufwertungsbedarf an, der sich bei konstanten nominalen Wechselkursen über unterschiedliche Inflations­ raten vollziehen mußte. 168

E i n zweiter E i n w a n d ist, daß sich ein nominaler D-Mark-Abwertungsbe­ darf lediglich für den Zeitraum 1991 bis 1993 ergibt. Legt m a n einen längeren Betrachtungszeitraum zugrunde, z.B. 1987 bis 1993, ergibt sich gegenüber den Kernwährungsländern dagegen kein nominaler D-MarkAbwertungsbedarf. * Wird der Betrachtungszeitraum darüber hinaus auf zukünftige Perioden ausgedehnt, ist die antizipierte Inflationsent­ wicklung z u berücksichtigen. Offenbar sahen die Märkte für die D-Mark keinen Abwertungsbedarf, weil sie erwarteten, daß die Deutsche Bundes­ bank die Preisstabilität wiederherstellen würde. 169

Die Entwicklung des realen Wechselkurses seit Juli 1990 spricht eher für die These eines realen D-Mark-Aufwertungsbedafs, ohne allerdings die Theorie v o m Marktversagen vollständig zu widerlegen. Dies ist auch nicht weiter überraschend, weil beide Theorien das Inkonsistenzproblem, das die Wechselkursentwicklung determiniert hat, erklären. Tabelle 18 zeigt, daß der belgische Franc, der französische Franc und die Dänenkro­ ne zwischen Juli 1990 und Juni 1992 gegenüber der D-Mark real zwischen 1,4 % und 3,6 % abwerteten. Diese Abwertung vollzog sich weitgehend

168) Vgl. dazu Abschnitt 4.3. 169) Vgl. dazu die Inflationsdifferenzen in Tabelle 13.

98

über eine i m Vergleich zu Westdeutschland geringere Inflationsrate (vgl. die Spalte K -iz). Die reale Abwertung setzte sich bis z u m Juli 1993 fort. Bei fast konstanten nominalen Wechselkursen verursachte der anhalten­ de Stabilitätsvorsprung reale Abwertungen gegenüber der D-Mark von 2,6 % i m Falle des belgischen Francs, 3,7 % i m Falle des französischen Francs und 7,5 % i m Falle der Dänenkrone. a

Ein Blick auf die Wechselkursentwicklung nach der Bandbreitenerweite­ rung v o m 2. August 1993 zeigt ein deutliches Überschießen der Wechsel­ kurse, das sich nicht durch monetäre Ursachen begründen l ä ß t . ^ Mitte August hatte der französische Franc gegenüber Anfang Juli 1990 real u m 8,6 %, die Dänenkrone sogar u m 14,4 % abgewertet. Der belgische Franc wertete bis Mitte Oktober real u m 9,3 % ab. I m Herbst 1993 kehrte sich die Abwertungstendenz u m : Der belgische und französische Franc notier­ ten Anfang Dezember wieder innerhalb der alten engen Bandbreite, an der sich auch die Dänenkrone orientierte. Die realen Abwertungen dieser Währungen w u r d e n entsprechend korrigiert: I m Januar 1994 betrug die reale Abwertung des belgischen Francs gegenüber der D-Mark seit 1990 nur n o c h 3,5 %, die des französischen Francs noch 5,1 % und die der Dänenkrone noch 9,2 %. 170

Das Überschießen der Wechselkurse läßt sich dadurch erklären, daß das Inkonsistenzproblem auch nach der Bandbreitenerweiterung fortbe­ stand. Ein Blick auf Abbildung 16 zeigt i m Falle Belgiens sogar eine eindeutige Verscriärfung des Problems: Die kurzfristige Realzinsdifferenz zu Deutschland stieg i m dritten und vierten Quartal 1993 deutlich und die langfristige Realzinsdifferenz leicht an. A u c h in Frankreich und Dänemark blieb i m Vergleich zu Deutschland eine erhebliche Realzins­ differenz bestehen. Die Märkte gingen offenbar davon aus, daß der durch die Bandbreitenerweiterung mögliche Zinssenkungsspielraum auch ge­ nutzt würde, u m das Inkonsistenzproblem zu mildern. Durch diese Zins­ senkungserwartung enstand eine Abwertungsphantasie, die weitere spe­ kulative Attacken auslöste.

170) Vgl. dazu die Geldmengenentwicklung in Tabelle 17,

99

N a c h d e m Belgien, D ä n e m a r k und Frankreich an ihrer restriktiven Geld­ politik festhielten, verflog die Abwertungsphantasie und die spekulative Blase p l a t z t e . ' D i e Theorie der "focal points" liefert eine mögliche Erklärung. I m A u g u s t 1993 bildete sich ein "focal point", der v o n der Vorstellung eines allgemeinen Abwertungswettlaufs ausging. Als Frank­ reich, Belgien u n d D ä n e m a r k a n ihrer restriktiven Geldpolitik festhiel­ ten, platzte dieser "focal point" und es bildete sich ein neuer "focal point", der offenbar auf den Stabilitätswillen der betroffenen Länder vertraute. Der n e u e "focal point" berücksichtigt vermutlich auch, daß die Bundes­ bank d e n Partnerländern durch weitere Zinssenkungen einen Zinssen­ kungsspielraum ermöglicht hat, der das absolute Realzinsniveau dieser Länder reduzierte (vgl. Abbildung 15) und dadurch auch das Inkonsistenzproblem e n t s c h ä r f t e . ' 171

172

171) Eine spekulative Blase ist ein explosiver Pfad der Wechselkursentwicklung, bei der sich der aktuelle Wechselkurs immer weiter von dem Wechselkurs entfernt, der sich aufgrund der Fundamentaldaten, insbesondere der Preisentwicklungen, ergeben müßte. Die Märkte erwarten, daß eine bestimmte Wechselkursentwicklung über einen bestimmten Zeitraum hinweg anhält. Durch den Verkauf der abwertenden Währung tritt die erwartete Abwertung dann auch tatsächlich ein, so daß sich die Spekulanten durch ihr Verhalten ihren eigenen Nährboden säen (self-fulfilling-prophecy). 172) Abbildung 16 zeigt ja lediglich, daß die Realzinsdifferenzen gegenüber Deutschland fortbestanden. Das absolute Realzinsniveau konnte aber im vierten Quartal 1993 gesenkt werden, so daß sich von daher auch eine Entspannung des Inkonsistenzproblems ergab.

100

Tabelle 18: R e a l e W e c h s e l k u r s e n t w i c k l u n g 1990 - 1 9 9 3 (reale Wechselkursänderungen in Prozent)

r

e (7/90-6/92)

Währung Gesamt

r

e (7/90-7/93)

davon

davon

Gesamt è

bfr dkr FF

-1,4 -2,6 -1,5

-1,4 -3,6 -1,5 r

Währung

2)

-9,3 -14,4 -8,6

+ 0,0 -0,9 -0,3

r

e (7/90-iy94)

davon

Gesamt

TT*-* *

è

-2,6 -6,2 -3,4

-6,7 -8,2 -5,2

1

-2,6 -6,4 -3,4

-2,6 -7,5 -3,7

e (7/90-min ) Gesamt

bfr dkr FF

-0,0 -1,0 -0,0

è

davon T^-TC *

è

-3,3 -7,3 -4,0

-0,2 -1,9 -1,1

1

-3,5 -9,2 -5,1

1)

Verbraucherpreisindex auf Monatsbasis; Juni 1990 = 100.

2)

Tiefstwerte: bfr = Oktober; dkr, FF = August.

Quellen: Deutsche Bundesbank, Eurostat; eigene Berechnungen.

101

5. Vom EWS zur Währungsunion 5.1 Lehren für die Verwirklichung einer EWU 5.1.1 Konvergenz

als notwendige

Bedingung

einer

EWU

N a c h der Bandbreitenerweiterung v o m August 1993 sah es zunächst so aus, als ob die i m Maastrichter Vertrag anvisierte Währungsunion in weite Ferne gerückt sei. Die bisherigen Erfahrungen m i t erweiterten Bandbreiten lassen aber hoffen, daß die EWS-Krise die europäische Währungsintegration nicht nachhaltig stören wird. Die Krise hat nämlich rechtzeitig Probleme aufgedeckt, die während des weiteren Übergangs­ prozesses zur E W U ohnehin sichtbar geworden wären. Sofern aus der EWS-Krise die richtigen Lehren gezogen werden, wird die europäische Währungsintegration sogar verstärkt aus der Krise hervorgehen. Die wichtigste Lehre aus der EWS-Krise ist, daß ein Fixkurssystem und damit auch eine Währungsunion nur dauerhaft bestehen können, w e n n ein hinreichender Grad an Konvergenz zwischen den Teilnehmerländern des Systems besteht. Dies bedeutet erstens, daß das E W S w ä h r e n d der Übergangsphase zur E W U als ein System fixer, aber anpassungsfähiger Wechselkurse u n d nicht als vorgezogene Währungsunion verstanden w e r d e n darf: Die Wechselkurse sind i m Falle ökonomischer Divergenzen rechtzeitig anzupassen. Dies bedeutet zweitens, daß der Eintritt in die Endstufe der E W U nachhaltige Konvergenzfortschritte voraussetzt. Die EWS-Krise hat ganz klar gezeigt, daß politische Erklärungen die notwendige Konvergenz nicht ersetzen können} ® Erst w e n n die Wechsel­ kurspolitik nicht m e h r v o n politischen Prestigeüberlegungen dominiert wird, k a n n das E W S seine Glaubwürdigkeit wiedererlangen und das System zur Stabilität zurückkehren. Sobald sich ökonomische Divergen­ zen aufstauen und eine rechtzeitige Anpassung der Wechselkurse aus politischen Gründen unterbleibt, w e r d e n spekulative Attacken provo1

173) Dies wurde bereits in den Gutachten des Währungs- und des Gouverneursausschusses betont. Vgl. Monetary Committee (1993) und Committee of Governors (1993b).

102

ziert, die — w i e in der jüngsten Vergangenheit - auf Länder mit gesunden Fundamentaldaten übergreifen könnten. U m die Gefahr politischer Einflußnahme auf die Wechselkurse zu mini­ mieren, müssen alle Teilnehmerstaaten ihre Zentralbanken vor politi­ scher Einflußnahme schützen. Dies setzt voraus, daß den Zentralbanken Autonomie gewährt wird und sie nicht um jeden Preis ein Wechselkursziel verfolgen müssen. In diesem Zusammenhang ist auch der i m Maastrichter Vertrag festgelegte Zeitplan für den Eintritt in die Endstufe der E W U zu überdenken. Der Terminautomatismus des Vertrages beinhaltet die Ge­ fahr, daß bei der Prüfung der Konvergenzkriterien politische Wünsche ökonomischen Erfordernissen übergeordnet werden und voreilig in die Endstufe der E W U eingetreten wird. Wie wichtig es ist, den Konvergenzfortschritten Vorrang gegenüber einem politisch motivierten Terminautomatismus einzuräumen, wird deutlich, w e n n mögliche Anpassungsprozesse betrachtet werden, durch die ökono­ mische Divergenzen innerhalb einer Währungsunion beseitigt werden können. D a die nominalen Wechselkurse in einer Währungsunion unwi­ derruflich fixiert sind, fällt der (nominale) Wechselkurs als Anpassungs­ instrument weg. Kumulierte Preis- und Kostendivergenzen m ü s s e n über binnenwirtschaftliche Anpassungsprozesse beseitigt werden. Unterbleibt eine binnenwirtschaftHche Anpassung, führt der Verlust an internationa­ ler Wettbewerbsfähigkeit zu regionalen (oder nationalen) Problemen, die die E U als Ganzes berühren. Eine Beseitigung ökonomischer Ungleichgewichte (unter einem Un­ gleichgewicht ist hier zu verstehen, daß ein Land an Wettbewerbsfähig­ keit verliert, weil es mit einem überbewerteten Wechselkurs in die Wäh­ rungsunion eintritt) innerhalb einer Währungsunion setzt entweder eine hohe Flexibilität v o n Löhnen und Preisen oder eine hohe Faktormobilität voraus, da eine Abwertung (wie i m Falle der EWS-Krise) ausscheidet. Bei hoher Faktormobilität würde der aus der Überbewertung des Wechsel­ kurses resultierende Anstieg der Arbeitslosigkeit einfach durch eine A b ­ wanderung v o n Arbeitskräften verhindert: Die Arbeitskräfte wurden dorthin abwandern, w o ein relativer Gewinn an Wettbewerbsfähigkeit zu mehr Output u n d Beschäftigung führt.

103

Die Mobilität des Produktionsfaktors Arbeit ist innerhalb der E U ge­ ring. Tabelle 19 weist in Spalte 2 die H ö h e der Gesamtbevölkerung der EU-Staaten aus, in Spalte 3 die Höhe der Bevölkerung aus anderen EU-Ländern und in Spalte 4 die Höhe der Bevölkerung aus Nicht-EULändern. Spalte 5 gibt den prozentualen Anteil der EU-Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung eines Landes an. Aus den Angaben ergibt sich, daß 1991 nur 1,4 % der EU-Bürger in anderen EU-Ländern wohnten. Dabei bildet Luxemburg mit 26,4 % eine Ausnahme innerhalb der Union. A u c h Belgien liegt mit einem Anteil von 5,5 % weit über d e m EU-Durch­ schnitt. D i e geringe Mobilität innerhalb der E U bestätigt sich auch i m Vergleich mit anderen Währungsräumen w i e den U S A oder K a n a d a . ^ 1 7 4 )

175

Tabelle 19: B e v ö l k e r u n g u n d M i g r a t i o n i n n e r h a l b der E U 1991 Bevölkerung 1991 (Mio.)

(1) B DK D GR F IRL I LUX NL P E UK Quelle:

Gesamt

Andere EU-Staaten

Nicht EU-Staaten

Andere EU-Staaten in %

(2)

(3)

(4)

(5)

9,97 5,15 79,58 9,32 56,65 3,52 57,76 0,39 15,01 9,86 38,78 56,08

0,55 0,03 1,44 0,05 1,31 0,07 0,15 0,10 0,17 0,03 0,27 0,78

0,35 0,13 3,90 0,18 2,29 0,02 0,63 0,01 0,52 0,08

— 1,02

CEPR (1993), S. 70; eigene Berechnungen.

174) Vgl. CEPR (1993), S. 69 ff., Englander und Egedo (1992), S. 11. 175) Vgl. Englander und Egedo (1992), Tabelle 4, S. 45.

104

5,5 0,5 1,8 0,6 2,3 8,0 2,6 26,4 1,1 0,3 0,7 1,4

Eine alternative Anpassung zur Faktormobilität wäre eine Reallohnsen­ kung. Unter der Voraussetzung, daß eine hinreichende Preisflexibilität gegeben i s t , * w ü r d e eine Reallohnsenkung die Wettbewerbsfähigkeit einer Region verbessern und einen A b b a u v o n Arbeitsplätzen vermeiden. Indikatoren zur Beurteilung der ReaLlohnflexibihtät sind die kurzfristige Preiselastizität der Nominallöhne und die Steigung der kurzfristigen Phillips-Kurve. Die Preiselastizität der Nominallöhne gibt an, w i e stark die Nominallöhne auf Preissteigerungen reagieren. M i t Hilfe der Stei­ gung der Phillips-Kurve wird ermittelt, w i e sich Arbeitslosigkeit a u f die Entwicklung der Nominallöhne auswirkt. * 176

177

Untersuchungen zur kurzfristigen Preiselastizität der Nominallöhne k o m m e n zu d e m Ergebnis, daß Preissteigerungen in Belgien, D ä n e m a r k und Spanien (mit jeweils 25 % ) sowie in Großbritannien (33 % ) innerhalb der ersten sechs Monate nicht so stark auf die Nominallöhne durchschla­ gen. I n Frankreich u n d d e n Niederlanden (jeweils 5 0 % ) , in Italien (60 % ) und in Deutschland (75 % ) schlagen Preissteigerungen kurzfristig stärker auf die Nominallöhne d u r c h . * 178

Bei der Betrachtung der Steigung der kurzfristigen Phillips-Kurve zeigt sich, daß die Arbeitslosigkeit innerhalb der E U ceteris paribus zwischen 2,5 (Italien) und 10 Prozentpunkten (Dänemark) zunehmen müßte, u m den Nominallohnanstieg u m einen Prozentpunkt zu verlangsamen. In J a p a n liegt der Vergleichswert bei 0,5 Prozentpunkten, in den U S A bei 1,3 Prozentpunkten. In diesen beiden Ländern reagieren die Nominallöh­ ne also wesentlich stärker auf einen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Eine Kombination der beiden Indikatoren ergibt für Großbritannien, die Niederlande, Deutschland und Frankreich einen hohen Reallohnrigidi­ tätsgrad, für Italien einen mittleren und für D ä n e m a r k und Belgien einen geringen, wobei die niedrigsten Rigiditätsgrade in der E U n o c h deutlich

176) Eine hinreichende Preisflexibiii tat ist in dem Sinne zu verstehen, daß sich gesunkene Produktionskosten auch in niedrigeren Produkrpreisen niederschlagen. 177) Vgl. Europäische Kommission (1990), S. 189 f. 178) Zum Vergleich die Angaben für Japan und die USA: 66 bzw. 14 %. Zu allen Angaben vgl. Europäische Kommission (1990), S. 189.

105

über denen in den U S A und J a p a n liegen. ' Diese empirischen Ergeb­ nisse deuten an, wie schwierig eine binnenwirtschaftliche Anpassung innerhalb einer Währungsunion ist. Unterbleibt eine solche Anpassung, verfestigen sich bestehende Ungleichgewichte: Die Wettbewerbsfähigkeit bleibt niedrig und die Arbeitslosigkeit entsprechend hoch. Die betroffenen Regionen m ü ß t e n dann in die Struktur- und Regionalhilfen der Union integriert w e r d e n bzw. - sofern sie bereits integriert sind - zusätzliche Finanzmittel erhalten. Dies setzt wiederum eine Aufstockung der vorhan­ denen Mittel voraus. Damit liefe das Problem mangelnder Konvergenz auf eine Erhöhung von Transferzahlungen innerhalb der Union hinaus. Die damit verbundenen verteilungspolitischen Konflikte sollten nicht unterschätzt werden. Sie stellen ein Risiko für die politische Stabilität der Währungsunion dar. Darüber hinaus besteht die Gefahr, daß Trans­ ferzahlungen die Anpassungsflexibilität der Regionen weiter reduzieren, s o daß sich der ganze Prozeß aufschaukeln kann. 1 8 0 )

5.1.2 Innere

Glaubwürdigkeit

Eine weitere Lehre der EWS-Krise ist, daß nicht nur gegen Währungen mit schlechten Fundamentaldaten, d.h. überdurchschnittlichen Inflati­ onsraten u n d h o h e n Haushaltsdefiziten spekuliert wird, sondern auch gegen Währungen mit gesunden Fundamentaldaten: Sehen die Speku­ lanten eine anhaltende Inkonsistenz zwischen internen und externen wirtschaftspolitischen Zielen, erwarten sie eine Abwertimg der durch das Inkonsistenzproblem betroffenen Währung. D a bei engen Wechselkurs­ bandbreiten fast sichere Spekulationsgewinne locken, mobilisieren die Spekulanten ein Spekulationspotential, das die Interventionsbereit­ schaft der Zentralbanken übersteigen kann. Grundlage dieser Argumen­ tation bildet das sog. K r u g m a n - M o d e l l . ^ K r u g m a n nimmt in seinem Modell an, daß die Devisenreserven der Zentralbanken begrenzt sind und eine "one-way Option" für die Spekulanten besteht. Sobald die Inflations181

179) Vgl. Europäische Kommission (1990), S. 162. 180) Vgl. de Grauwe (1993), S. 12. De Grauwe diskutiert das Problem der realen Konvergenz im Zusammenhang länderspezifischer Schocks in einer Wahrungsunion. 181) Vgl. Krugman (1979).

106

erwartungen eines Landes steigen - z.B. aufgrund eines Konfliktes zwi­ schen binnen- und außenwirtschaftlichen Zielen, der in zukünftigen Pe­ rioden eine expansive Geldpolitik erwarten läßt - , kaufen die Spekulan­ ten die Devisenreserven ihrer Zentralbank auf, u m eine reale Abwertung ihres (in nationaler Währung angelegten) Vermögens zu vermeiden. Die Privaten schichten ihr Vermögen dabei u m : Sie kaufen ausländische Aktiva und verkaufen heimische Aktiva. Die nationale Zentralbank dient dabei als Finanzintermediär, der ausländische Aktiva gegen inländische Aktiva zu einem fixen Wechselkurs tauscht. Dies ist solange möglich, wie die Zentralbank Devisenreserven besitzt. Sobald die Privaten alle Reser­ ven ihrer Zentralbank gekauft haben, wertet die nationale Währung ab, das nationale Preisniveau steigt und der Realwert des in nationaler Währung angelegten Vermögens sinkt, während der Realwert des in ausländischer Währung angelegten Vermögens konstant bleibt. Spekulative Attacken können aber auch in einer Situation konsistenter makroökonomischer Zielsetzungen auftreten, w e n n die Spekulanten er­ warten, daß eine spekulative Attacke eine Änderung der Wirtschaftspo­ litik a u s l ö s t . * Grundlage dieser Argumentation bildet ein Modell v o n Obstfeld. * Obstfeld geht in seinem Modell v o n einem Fixkurssystem aus, in d e m kein Konflikt zwischen binnen- und außenwirtschaftlichen Zielen vorliegt, so daß die ökonomischen Voraussetzungen für eine Wech­ selkursstabilisierung erfüllt sind. I m Fall einer spekulativen Attacke verteidigt eine Zentralbank ihren Wechselkurs solange, bis ihre als be­ schränkt angenommenen Devisenreserven erschöpft s i n d . * Die zentra­ le Idee des Modells ist, daß unterschiedliche Gleichgewichte abgeleitet 182

183

184

182) Vgl. Obstfeld (1986), S. 72, Eichengreen und Wyplosz (1993b), S. 32 ff. 183) Vgl. Obstfeld (1986), Eichengreen und Wyplosz (1993a), S. 7 f, (1993b), S. 36 ff, Goldstein et al. (1993), S. 47 f. 184) Die Annahme beschränkter Reserven der Zentralbanken ist für die Ergebnisse der Modelle von Krugman und Obstfeld entscheidend, weil spekulative Attacken nur unter dieser Bedingung erfolgreich sein können. Die Annahme läßt sich damit begründen, daß die Starkwährungszentralbank der Schwachwährungszentralbank nicht unbeschränkt Interventionskredite gewähren wird, weil sie sonst ihr Ziel "Preisstabilität" aufgeben müßte. Vgl. Goldstein et al. (1993), S. 47. Das Problem beschränkter Devisenreserven wird im weiteren Verlauf von Abschnitt 5 ausführlich diskutiert.

107

w e r d e n können. Dies ergibt sich aus der Überlegung, daß eine Zentral­ bank, die aufgrund einer fundamental ungerechtfertigten spekulativen Attacke ihre Währung abwerten mußte, nach der Abwertung vor zwei Alternativen steht. I n Alternative 1 strebt die Zentralbank den Wechsel­ kurs an, der vor der Krise galt, in Alternative 2 läßt sie den neuen Kurs unterbewertet. Obstfeld unterstellt in seiner Analyse vollkommene Infor­ mation, d.h. die Akteure wissen, für welche der beiden Alternativen sich die Zentralbank entscheiden wird. Eine Rückkehr z u m alten Kursniveau (Alternative 1) setzt die Fortset­ zung einer restriktiven Geldpolitik voraus. Antizipieren die Märkte dies, haben die Spekulanten - sofern sie sich rational verhalten - keinen Anreiz, eine Währung zu attackieren. Die Intuition ist die, daß ein Verlust der Reserven bei konstanter heimischer Geldkomponente die Geldmenge des attackierten Landes A reduziert. Gleichzeitig steigen die Reserven des Aufwertungslandes B. Es hängt v o m Sterihsationsverhalten v o n L a n d B ab, ob die Geldmenge in L a n d B steigt oder konstant bleibt. In beiden Fällen ist die Geldpolitik v o n L a n d B aber expansiver als die Geldpolitik v o n L a n d A , so daß L a n d B abwerten und die attackierte Währung A aufwerten m u ß , sobald die Spekulanten ihre Gewinne realisieren und die abgewertete Währung zurückkaufen wollen. Damit läge der Realisati­ onspreis der Spekulanten, d.h. der Preis, zu d e m die Spekulanten ihre offenen Positionen auflösen müßten, aber unter ihrem K a u f p r e i s . ' Da die Spekulanten Verluste m a c h e n würden, wird eine spekulative Attacke gar nicht erst e n t s t e h e n . ' 185

186

Antizipieren die Märkte dagegen eine weiche Geldpolitik (Alternative 2), die durch eine Ausweitung der heimischen Geldkomponente in L a n d A gekennzeichnet ist, k o m m t es zu spekulativen Attacken, w e n n die Geld­ m e n g e in Land A stärker als die Geldmenge in L a n d B expandiert. In diesem Fall w ü r d e die spekulative Attacke ex post durch eine expansive

185) Verkauft ein Spekulant beispielsweise 100.000 FF zu einem D-Mark-Kurs von 100 FF = 30,00 DM und tauscht er die 30.000 DM nach einer FF-Aufwertung zu einem D-Mark-Kurs von 90 FF = 30,00 DM (Realisationspreis) zurück, macht er einen Verlust von rund 10.000 FF. 186) Vgl. Obstfeld (1986), S. 74, Eichengreen und Wyplosz (1993b), S. 38.

108

Geldpolitik akkomodiert, so daß die attackierte Währung tatsächlich abwerten müßte. Die Spekulanten können hier durch "one-way bets" Gewinne erzielen. D i e zentrale Aussage des Obstfeld-Modells besteht darin, daß eine speku­ lative Attacke nicht auftritt, w e n n die attackierte Zentralbank den Märk­ ten glaubhaft m a c h e n kann, daß sie während u n d nach einer Attacke an einer strikt stabilitätsorientierten Geldpolitik festhalten wird. Die Stabi­ lität eines Systems fixer, aber anpassungsfähiger Wechselkurse hängt also entscheidend v o n der Glaubwürdigkeit der Zentralbanken ab. Die EWS-Krise hat gezeigt, daß sich die für die Stabilität des Systems notwendige Glaubwürdigkeit nicht allein durch die Strategie des Glaub­ würdigkeitsimports erreichen läßt. Die Schwachstelle dieser Strategie ist, daß die Märkte ihr Vertrauen in die Geldpolitik eines Landes a n die Wechselkursgarantie dieses Landes knüpfen. Sobald die Wechselkursga­ rantie unglaubwürdig wird, stellen die Märkte die Stabilitätsorientie­ rung der gesamten Geldpolitik i n Frage. I m R a h m e n des E W S hatte dies zur Folge, daß sich die Mitgliedstaaten an ihre Wechselkursgarantie klammerten und eine Abwertung u m j e d e n Preis vermeiden wollten: Durch die fehlenden Wechselkursanpassungen litten die Peripherielän­ der unter einem permanenten realen Aufwertungsdruck und die Kern­ währungsländer n a h m e n untragbare Realzinsniveaus in Kauf. Letztlich führten die dadurch induzierten Wohlfahrtsverluste aber doch zu einer Freigabe der W e c h s e l k u r s e . ^ 187

Für die Stabilität des E W S und für einen reibungslosen Übergang zur E W U wird entscheidend sein, ob den Teilnehmerstaaten der Aufbau einer inneren Glaubwürdigkeit gelingt. Innere Glaubwürdigkeit bedeutet, daß eine v o n politischen Weisungen unabhängige Zentralbank eine d e m Ziel der Preisstabilität verpflichtete Geldpolitik macht und die Märkte dieser Geldpolitik vertrauen. Über die formelle Unabhängigkeit hinaus ist dabei entscheidend, daß eine Zentralbank auch materiell unabhängig ist, d.h. politischem Druck nicht nachgibt. Dies w i r d umso eher möglich sein,

187) Dabei war es gerade das Ziel dieser Strategie, Wohlfahrtsverluste durch den Über­ gang zu einer harten Geldpolitik zu vermeiden. Vgl. Abschnitt 3.2.

109

desto ausgeprägter der stabilitätspolitische Konsens einer Gesellschaft ist. Der Gewinn innerer Glaubwürdigkeit wird einen geldpolitischen Freiheitsgrad schaffen, der ein flexibleres Management des E W S möglich m a c h e n und das System vor sich-selbsterfüllenden spekulativen Attacken schützen wird. 1 8 8 )

5.1.3

Übergangsprobleme

Der Maastrichter Vertrag über die Europäische Union verlangt, d a ß der Europäische R a t vor d e m Eintritt in die Endstufe der E W U prüft, "ob die einzelnen Mitgliedstaaten die notwendigen Voraussetzungen für die Ein­ führung einer einheitlichen Währung erfüllen" (Art. 109 j Abs. 2). Grund­ lage dieser Prüfung bilden die in Art. 109 j A b s . 1 des Maastrichter Vertrages genannten K o n v e r g e n z k r i t e r i e n . Unter anderem wird dort eine "Einhaltung der normalen Bandbreiten des Wechselkursmechanis­ mus des Europäischen Währungssystems seit mindestens zwei Jahren ohne A b w e r t u n g gegenüber der Währung eines anderen Mitgliedstaates" verlangt. 189

Das Wechselkurskriterium ist vor d e m Hintergrund zu verstehen, daß während der Vertragsverhandlungen vielfach die Auffassung bestand, das E W S stelle bereits eine de facto Währungsunion dar, auf deren Grundlage der Übergang in die Endstufe der Währungsunion zu errei­ chen sei. Seit der Bandbreitenerweiterung v o m 2. August 1993 stellt sich aber das Problem, was unter einer "normalen" Bandbreite im Sinne des Konvergenzkriteriums "Wechselkursstabilität" zu verstehen ist. D e m Geist des Maastrichter Vertrages entspricht es zweifellos, an der alten engen

188) Mit Beginn der zweiten Stufe haben Belgien, Frankreich und Spanien ihren Zentralban­ ken weitgehende Autonomie eingeräumt. Es ist interessant, wie die Märkte auf das Kompetenzgerangel zwischen Regierung und Notenbank reagieren: Als im April 1994 die französische Regierung Balladur von der inzwischen unabhängigen Banque de France weitere Zinssenkungen verlangte, neigte der französische Franc wieder zur Schwäche. Dies ist ein Zeichen dafür, daß sich eine Notenbank in der politischen Praxis erst einmal als emanzipiert erweisen muß. 189) Vgl. dazu ausführlich Lesch (1993).

110

Bandbreite v o n + / - 2,25 % festzuhalten und diese weiterhin als normale Bandbreite zu interpretieren. •* 190

D a ungerechtfertigte spekulative Attacken größere Wechselkursschwan­ kungen auslösen können, Hegt eine pragmatische Auslegung des Wech­ selkurskriteriums nahe. Für eine pragmatische Auslegung spricht auch, daß spekulative Attacken während der Übergangsphase v o m E W S zur E W U dadurch ausgelöst werden könnten, daß der Anreiz der Zentralban­ ken, an einer strikt stabilitätsorientierten Geldpolitik festzuhalten, durch den Maastrichter Vertrag gemindert werden k ö n n t e : ' Erzwingt eine spekulative Attacke eine Abwertung während des Prüfungszeitrau­ mes für das Wechselkurskriterium, wäre das v o n der Abwertung betrof­ fene L a n d nicht mehr für die Währungsunion qualifiziert. Damit entfiele der Anreiz, einen strikten geldpolitischen Kurs aufrechtzuerhalten (Al­ ternative 2 des Obstfeld-Modells): "Thus, although there already existed scope for speculative crises due to competitiveness problems, that scope was greatly widened by the perverse incentives built into the Maastricht Treaty." 1 9 1

192)

Das Problem ist, welche Richtschnur für eine pragmatische Auslegung gelten soll. Die einfachste Lösung w ä r e sicherlich, die erweiterte Band­ breite v o n + / - 15 % als "normale" Bandbreite zu interpretieren. Der Vorteil dieser Lösung läge darin, daß das Spekulationsrisiko mit d e m Wegfall einer "one-way option" viel größer wäre. Dies w ü r d e Spekulanten abschrecken und die Einhaltung der Bandbreiten wesentlich erleichtern. Gegen diese Lösung spricht aber, daß ein Interpretationsspielraum für das Wechselkurskriterium die Forderung nach sich ziehen würde, auch bei anderen Konvergenzkriterien - insbesondere bei den fiskalischen Kriterien

190) Ein weiteres Problem ist, daß das Wechselkurskriterium mit dem Zinskriterium in Konflikt geraten kann, da ein attackierter Wechselkurs während einer spekulativen Attacke durch zinspolitische Maßnahmen gestützt werden könnte, dies aber wiederum eine Erfüllung des Zinskriteriums verhindern kann. Vgl. Deutsches Institut für Wirt­ schaftsforschung (1993b). 191) Vgl. Eichengreen und Wyplosz (1993a), S. 7 f. 192) Vgl. Eichengreen und Wyplosz (1993a), S. 8. Als Beispiel wird das Verhalten Großbri­ tanniens nach seinem EWS-Austritt angeführt.

111

-Interpretationsspielräume zu eröffnen. Prinzipiell wäre eine Neude­ finition der Konvergenzkriterien zwar zu begrüßen, weil insbesondere die fiskalischen Konvergenzkriterien ökonomisch nicht überzeugen kön­ n e n . * Angesichts der bereits vorhandenen Bestrebungen, die Kriterien aufzuweichen, ist aber k a u m zu erwarten, daß eine pragmatische Ausle­ gung oder gar eine Neudefinition der Konvergenzkriterien mehr durch ökonomische Logik als durch politischen Opportunismus bestimmt sein wird als die derzeit gültigen Bestimmungen. U m eine allgemeine Aufweichnung der Konvergenzkriterien zu vermeiden, sollte d e m Wechsel­ kurskriterium weiterhin die enge Bandbreite zugrunde gelegt werden. 194

Scheidet eine pragmatische Auslegung des Wechselkurskriteriums aus, so daß unter der "normalen" Bandbreite weiterhin die enge Bandbreite verstanden wird, muß geprüft werden, ob und unter welchen Vorausset­ zungen eine Rückkehr zu engen Bandbreiten möglich ist. Angesichts des i m Maastrichter Vertrag anvisierten Zeitplans besteht hier ein konkreter Handlungsbedarf. Soll an d e m Terminplan für den Eintritt in die Endstu­ fe der Währungsunion festgehalten werden, w ü r d e der Prüfzeitraum für das Wechselkurskriterium bereits im Laufe des Jahres 1994 beginnen, da der Europäische R a t 1996 über den Eintritt in die Endstufe der Wäh­ r u n g s u n i o n z u m 1.1.1997 zu entscheiden hat. Würde d a g e g e n der 1.1.1999 als Termin anvisiert, könnten die Bandbreiten vorläufig noch bei + / - 15 % bleiben. D a eine politische Entscheidung über eine (mögliche) Reform des E W S noch aussteht, werden i m folgenden Abschnitt verschie­ dene Reformvorschläge diskutiert. 5.2

R ü c k k e h r z u e n g e n Bandbreiten: R e f o r m v o r s c h l ä g e

5.2.1 Das Referenzmodell

von

Stützel

Die Grundvoraussetzung einer Bandbreitenreduzierung ist, daß die wirt­ schaftspolitischen Zielkonflikte zwischen den Teilnehmerstaaten ausge­ räumt sind. Dies setzt besonders i m Kernwährungsbereich eine Konver-

193) Die fiskalischen Kriterien umfassen die Defizitquote, die normalerweise bei 3 % liegen muß, sowie die Schuldenquote, die sich erkennbar auf 60 % zu bewegen muß. 194) Vgl. Lesch (1993), S. 49 ff.

112

genz v o n Inflationsraten und Inflationserwartungen voraus: Eine WechSelkursfixierung darf nicht zu untragbaren Realzinsniveaus fuhren (vgl. Abschnitt 4.3). Trotzdem können spekulative Attacken nach einer Band­ breitenreduzierung nicht ausgeschlossen werden (vgl. die Argumentation des Obstfeld-Modells), weil die Märkte die Verbindlichkeit einer Band­ breitenreduzierung testen könnten. E s ist daher zu überlegen, w i e die Position der Zentralbanken gegenüber den Spekulanten gestärkt werden kann. Bei der Diskussion dieses Problems entsteht häufig der Eindruck, die Zentralbanken seien gegenüber den Spekulanten nahezu machtlos. Dies liegt daran, daß nicht alle Handlungsmöglichkeiten der Zentralbanken betrachtet werden. Die in Abschnitt 5.1.2 dargestellten Modelle von K r u g m a n und Obstfeld machen dies deutlich. Beide Modelle analysieren spekulative Attacken nicht nur unter der Annahme, daß die Devisenre­ serven der Zentralbanken so beschränkt sind, daß sie v o n den Spekulan­ ten einfach "aufgekauft" w e r d e n können, sondern auch unter Vernachläs­ sigung der Kostenseite der Spekulation: Die Zinssätze der durch eine spekulative Attacke betroffenen Währungen sind exogen vorgegeben. Die Modelle argumentieren allein auf Basis der Ertragsseite, d.h. auf Grundlage erwarteter Wechselkursänderungen: Spekulation ist lohnend, w e n n die Spekulanten erwarten, daß ihr Realisationspreis unter ihrem Kaufpreis liegt. Bei einer Endogenisierung der Zinssätze erhalten die Zentralbanken einen zusätzlichen Aktionsparameter, so daß sich das Problem spekulativer Attacken anders darstellt: "Zu jeder WechselkursÄnderungs-Erwartung eines potentiellen Spekulanten läßt sich eine Dif­ ferenz zwischen einem höheren Zinssatz für die weichere und einem niedrigeren Zinssatz für die härtere Währung angeben, die so groß ist, daß d e m Spekulanten, müßte er mit dieser Zinsdifferenz rechnen, die Lust a m Spekulationsgeschäft verginge." * Die Zentralbanken können also den in den Modellen beschriebenen "Run" auf ihre Devisenreserven durch eine Erhöhung der Kreditzinsen verhindern, d.h. ihre Position gegenüber den Spekulanten selbst stärken. 195

195) Vgl. Stützel (1973), S. 136.

113

Dies soll mit Hilfe eines Beispiels deutlich gemacht werden: Angenom­ men, ein Spekulant erwartet innerhalb einer Woche eine 5 %ige Abwer­ tung des französischen Francs gegenüber der D-Mark. Der Spekulant n i m m t einen Franc-Kredit z u m Zins i m i t einer Laufzeit v o n einer Woche auf, tauscht d e n Kreditbetrag in D-Mark u m und legt den D-Mark-Betrag z u m Zins i = 6 % p.a. für eine Woche an. A u f Jabresbasis berechnet ergibt sich aus dieser Transaktion ein Zinssatz von 263 % . ^ Die französische Zentralbank könnte n u n - w i e in d e n Modellen v o n K r u g m a n und Obst­ feld a n g e n o m m e n — versuchen, durch Devisenmarktinterventionen eine Abwertung zu verhindern: Die Spekulanten kaufen dann solange Devi­ senreserven w i e die Zentralbank Reserven bereitstellt. Alternativ - und dies wird i n den Modellen nicht betrachtet — könnte die Zentralbank aber auch ihren Kreditzins so stark anheben, daß die Zinsdifferenz d e m Spe­ kulanten die Gewinnerwartung nimmt I m R a h m e n des vorliegenden Beispiels müßte i auf 263 % angehoben werden. Bei diesem Kreditzins besteht kein Anreiz mehr, gegen den Franc zu spekulieren, da Ertrags­ und Kostenseite des Spekulanten identisch sind. D

1 9 6

Extrem hohe Zinssätze sind nur zur A b w e h r ganz kurzfristiger Spekula­ tion notwendig. Erwartet der Spekulant eine 5 %ige Franc-Abwertung innerhalb eines Monats, läge die Verzinsung auf Jahresbasis bei 60 %. In diesem Fall müßte i nur auf 66 % angehoben werden. Bei einem Betrachtungszeitraum v o n einem J a h r wäre eine Anhebung v o n i auf 11 % ausreichend. ^ Zinssätze für Anlagen mit längeren Laufzeiten würden durch die kurzfristigen Zinsabstände k a u m berührt. F

197

Das Beispiel zeigt, daß die Zentralbanken jede Spekulation abwehren können, indem sie einfach kein neues Zentralbankgeld mehr bereitstellen: Die Spekulanten müssen die Devisenreserven der Zentralbanken mit Zentralbankgeld bezahlen. Liefert die Zentralbank kein Zentralbankgeld mehr, k o m m t es durch den U m t a u s c h v o n Zentralbankgeld i n Devisenre­ serven zu einer Liquiditätsverknappung und einem entsprechenden A n -

196) Eine Abwertung von 5 % innerhalb einer Woche entspricht auf Jahresbasis einem Zinssatz von 257 %. Hinzu kommt die 6 %ige Verzinsung der Auslandsartlage. D

197) Dabei wurde unterstellt, daß i für die verschiedenen Anlagezeiträume identisch ist.

114

stieg der Zinssätze, der die Spekulanten abschreckt und die Devisen­ märkte wieder ins Gleichgewicht bringt: "Würde die Notenbank einer berannten Währung strikt darauf verzichten, auf den Zinssatz ihres eigenen Geldes durch eigene Kreditgewährung, A n k a u f von Inlandwech­ seln u.a. Einfluß zu nehmen, so bewirkte die Tätigkeit von Währungsspe­ kulanten, daß der Fächer der Zinssätze der besprochenen Währung sich marktmäßig genau bis auf j e n e Breite aufspreizte, die die Spekulation ersticken l ä ß t . " 198)

E i n solches Verhalten impliziert, daß die Zentralbanken i m Falle eines "Runs" auf ihre Devisenreserven auf eine Sterilisierung ihrer Interven­ tionen verzichten müßten, damit die kontraktive Wirkung der Interven­ tionen auf Geldmenge und Zinsniveau nicht neutralisiert wird. Bei unsterilisierten Interventionen stellt sich aber das Problem, wieviel Inter­ ventionen zur Herausbildung einer Zinsstruktur notwendig sind, die die Devisenmärkte wieder ins Gleichgewicht bringt. Die H ö h e der Interven­ tionen ließe sich begrenzen, w e n n die notwendigen Zinssteigerungen auf direktem Wege durch eine Reduzierung der heimischen Geldkomponente induziert würden. Eine Zentralbank k a n n das Zinsinstrument nicht einsetzen, w e n n sie weisungsgebunden ist und die Regierung eine Anhebung der Zinssätze ablehnt. In diesem Fall müßte sie ein Wechselkursziel allein durch Interventionen verfolgen. Aber auch eine unabhängige Zentralbank wird in der währungspoktischen Praxis mit Problemen konfrontiert, die einem Einsatz des Zinsinstruments entgegenstehen k ö n n e n Die extremen Zins­ anhebungen bei kurzfristigen Laufzeiten treffen nicht allein die Speku­ lanten, sondern auch andere kurzfristig operierende private Investoren und die öffentlichen Haushalte. Gelingt es der Zentralbank, eine speku­ lative Attacke relativ schnell abzuwehren, bleiben die Kosten extremer Zinsanhebungen gering. Bei anhaltenden Attacken wächst aber die Ge­ fahr, daß der Zinsanstieg auch auf längere Laufzeiten durchschlägt und dadurch die wirtschaftliche Aktivität stärker beeinträchtigt w i r d . ' Dies bedeutet letztlich, daß sich die Zentralbank durch den Einsatz des Zins1 9 9

198) Vgl. Stützel (1973), S. 142. 199) Vgl. auch Goldstein et al. (1993), S. 15 und Eichengreen und Wyplosz (1993a), S. 9 f.

115

instruments selbst ein Inkonsistenzproblem schafft. Für die Märkte stellt sich dann die Frage, w i e lange die Zentralbank ihren Kurs aufrechterhal­ ten kann. Entscheidend für das Ausmaß und die Dauer der Zinsanhebung sind, wie die Märkte eine Zinsanhebung beurteilen: Eine spekulative Attacke wird schnell zusammenbrechen (oder erst gar nicht entstehen), w e n n die Märkte einen uneingeschränkten Einsatz des Zinsinstruments erwarten, die Zinsanhebung also glaubwürdig ist. Der Währungsausschuß bemerkt dazu: "Delayed interest-rate changes, grudgingly made, can have a per­ verse effect on the markets to the extent that the resulting very high short-term rates can lead markets to doubt whether the authorities will be able to maintain t h e m for long because of the impact on the domestic economy." * 200

Besonders schwierig ist der Einsatz des Zinsinstruments, w e n n eine spekulative Attacke auf einem Inkonsistenzproblem beruht. A u f der einen Seite verschärft der Einsatz des Zinsinstruments das Inkonsistenzpro­ blem, weil das Realzinsniveau i m attackierten L a n d noch untragbarer wird. A u f der anderen Seite k a n n eine restriktive Geldpolitik die stabili­ tätspolitische Glaubwürdigkeit so erhöhen, daß die Märkte keine Abwer­ tungsrisikoprämie mehr verlangen. Dadurch sinken die Realzinsen und das Inkonsistenzproblem wird entschärft oder sogar beseitigt. Welcher Effekt dominiert, hängt v o n der Glaubwürdigkeit der betroffenen Zentral­ bank ab: Je höher die Glaubwürdigkeit, desto schneller schwindet die Abwertungserwartung und desto geringer fällt der zur Spekulationsab­ w e h r notwendige Anstieg des Zinsniveaus aus. Bleiben die Märkte dage­ gen skeptisch, müßte das Zinsniveau längere Zeit über das Vor-KrisenZinsniveau angehoben werden, wodurch das Inkonsistenzproblem ver­ schärft würde. 20

Insgesamt bleibt festzuhalten, daß eine Zentralbank den " S c h l ü s s e l " « zur Spekulationsabwehr selbst in der H a n d hält, da letztlich sie die Volkswirtschaft mit Liquidität versorgt. Es k o m m t aber auf die gesamt-

200) Vgl. Monetary Committee (1993), S. 8. 201) Vgl. Stützel (1973), S. 142.

116

wirtschaftliche Situation und die institutionelle Stellung der Zentralbank an, ob und wie lange sie eine zur Spekulationsabwehr notwendige, extrem restriktive Geldpolitik durchhalten kann. 5.2.2 Devisenumsatzsteuer

und

Einlagepflicht

Eine Alternative z u m Zinsinstrument liegt darin, die Spekulanten durch eine Besteuerung grenzüberschreitender Devisentransaktionen zu diszi­ plinieren. * Dies ist durch eine Devisenumsatzsteuer oder eine Einlage­ pflicht möglich. Die Idee einer Devisenumsatzsteuer geht auf Tobin zu­ rück. Deshalb w i r d sie auch als "Ibbin-tax" b e z e i c h n e t . * Bei der "Tobintax" w e r d e n Devisentransaktionen so besteuert, daß sich das Zinsarbitra­ gegleichgewicht eines Spekulanten zugunsten der attackierten Währung ändert. Gleichung (5.1) zeigt das (ungesichterte) Arbitragegleichgewicht eines Kapitalanlegers bei Existenz einer Devisenumsatzsteuer: * 202

203

204

CK i \ (5.1)

l

a

• = i

s

6

s

( ~ ) - — —

s wobei

i i s s z t

a

e

, +

z

-

,

t = Inlandszins, = Auslandszins, = erwarteter Devisenkassakurs, = Devisenkassakurs, = Devisenumsatzsteuer, = Dauer der Anlage.

Gleichung (5.1) zeigt, daß sich das Arbitragegleichgewicht durch eine Devisenumsatzsteuer zugunsten (zuungunsten) der Inlandswährung (Auslandswährung) ändert, ohne daß zinspolitische Reaktionen notwen­ dig sind. Bei gegebener Anlagedauer t und gegebenen Zinssätzen m u ß die

202) Vgl. Eichengreen und Wyplosz (1993a), (1993b), (1993c). 203) Vgl. Tobin (1978). 204) Vgl. auch Wulms (1992), S. 172 f.

117

erwartete Abwertung der Inlandswährung umso höher ausfallen, desto höher die Devisenumsatzsteuer z ist. Wird keine Änderung des Wechselkurses erwartet, muß die Zinsdifferenz zwischen Auslands- und Inlandszins umso größer sein, desto höher z ist. A n g e n o m m e n , der Auslandszins liege bei 6 % und es wird innerhalb eines Jahres eine Abwertung der Inlandswährung u m 5 % erwartet. Der Inlandszins müßte, sofern keine Devisenumsatzsteuer erhoben wird, i m Arbitragegleichgewicht 11 % betragen, wobei die Zinsdifferenz v o n 5 % die Risikoprämie auf die erwartete Abwertung v o n 5 % ist. D i e Zinsdifferenz ließe sich durch eine Devisenumsatzsteuer i n H ö h e v o n 2,5 % pro Transaktion, also insgesamt 5 % vermeiden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Steuer zweimal anfällt: b e i m A n k a u f und b e i m Verkauf der Auslandswährung. Erwartet der Spekulant innerhalb eines Monats eine Abwertung der Inlandswährung u m 6 %, müßte bei unverändertem Inlandszins eine Devisenumsatzsteuer v o n 0,25 % pro Transaktion (0,5 % gesamt) erhoben werden, u m die Inlandswährung zu schützen. Wird auf eine Abwertung innerhalb einer Woche spekuliert, müßte die erwartete Abwertung bei einer Devisenumsatzsteuer v o n 0,25 % pro Transaktion mindestens 26 % betragen. Eine Devisenumsatzsteuer verteuert also insbesondere kurzfristige Transaktionen, z.B. spekulative 48Stunden Trips, während langfristige Investitionen weniger beeinflußt werden. Die Alternative zur 'Tobin-tax" sind unverzinsliche Einlagepflichten für Finanzinstitutionen m i t offenen Devisenpositionen. -* Dabei wird ein Teil der offenen Positionen unverzinslich bei der Zentralbank hinterlegt. Diese implizite F o r m der Besteuerung hat den Vorteil, daß die Steuer mit d e m Zinssatz ansteigt, da die Opportunitätskosten der Finanztransaktio n steigen. E i n e 100 %ige Einlagepflicht führt bei einer Anlagedauer von einem J a h r und einem Auslandszins v o n 5 % zu einer impliziten Steuer von ebenfalls 5 %. Die Banco de España hat eine solche Einlagepflicht während der EWS-Krise zeitweise eingeführt. 205

205) Vgl. Eichengreen und Wyplosz (1993a), (1993b), (1993c).

118

Beide F o r m e n der Besteuerung sind keine optimalen, sondern "second best"-Lösungen. Sie behindern die Kapitalmobihtät und fuhren z u einer weniger effizienten Kapitalallokation. E s ist allerdings fraglich, w i e effi­ zient die Kapitalallokation liberalisierter Kapitalmärkte ohne Besteue­ rung ist (vgl. auch Abschnitt 4.4). Tobin bemerkt dazu: "Whether the market is 'efficient' in the deeper economic-informational sense is very dubious. In these markets, as in other markets for financial instruments, speculation on future prices is the dominating preoccupation o f the participants. " ' 2 0 6

)

Bofinger k o m m t zu d e m Ergebnis: "In sum, the specific nature of foreign exchange markets does not allow to draw the ex ante conclusion 'the market k n o w s best'. The simple reference to the potato market does not suffice. W h e t h e r the outcomes of the foreign exchange market lead to a social optimum can also not be answered b y simply using the Pareto criterion. Because of the macroeconomic nature of the exchange rate ("price of two monies"), one has to assess this optimality not only in terms of allocative efficiency but also in terms of traditional macroeconomic targets." 207)

Lamfalussy verweist auf die Instabilität der Finanzmärkte: "History has provided us with abundant evidence of market instability of two kinds even in the absence of government misbehaviour. One is short-term volatility. T h e other is large-scale and long-lasting 'overshooting'of finan­ cial asset prices. In some instances y o u m a y call this financial bubbles. In others - witness the exchange markets - w e tend to talk about misalign­ ments, i.e. price movements which are not justified b y the evolution of the underlying fundamentals. Both boil d o w n to the same thing: asset prices loosing touch with 'reality'." 208)

206) Vgl. Tobin (1978), S. 157. 207) Vgl. Bofinger (1993b), S. 8 und Abschnitt 4.4. 208) Vgl. Lamfalussy (1993), S. 12 f.

119

Vor d e m Hintergrund einer solch skeptischen Bewertung der Effizienz liberalisierter Kapital- und Devisenmärkte w ä r e eine Verzerrung des Marktes durch die 'Tobin-tax" vertretbar. Eine T o b i n - t a x " ist allerdings mit einer Reihe v o n Problemen verbunden. Nachteilig ist, daß bei der Besteuerung nicht zwischen Hedging-Transaktionen und spekulativen Transaktionen differenziert w e r d e n kann, so daß durch die Besteuerung von Hedging-Transaktionen auch reine Handelstransaktionen beeinflußt w e r d e n . * Darüber hinaus wirkt eine Devisenumsatzsteuer zwar speku­ lativen Operationen a u f den regulierten Märkten entgegen, die Speku­ lanten können aber in iniregulierte Finanzzentren abwandern und dort offshore-Märkte entwickeln. Bei einer entsprechenden Liquidität der offshore-Märkte w ü r d e n spekulative Attacken lediglich v o n onshore- a u f offshore-Märkte verlagert. * U m dies zu vermeiden, w ä r e eine Regulie­ rung aller Finanzzentren notwendig, d.h. auch der Devisenverkehr zwi­ schen onshore- und offshore-Märkten m ü ß t e besteuert werden. Eichengreen u n d Wyplosz betonen allerdings, daß das Spekulationspotential anderer Finanzzentren beschränkt sei. Die Bedrohung, die dieses Poten­ tial für d e n Wechselkurs darstelle, ließe sich leicht kontrollieren. * 209

210

211

E i n weiteres Problem ist, daß Einlagepflichten oder Devisenumsatzsteu­ ern die Integration der Kapitalmärkte behindern würden. Dies wider­ spricht der Endstufe der E W U u n d stellt einen Rückschritt auf d e m W e g zur Errichtung einer E W U dar. * Eichengreen und Wyplosz halten dieser Befürchtimg entgegen, daß eine Devisenumsatzsteuer weder eine administrative Kontrolle noch ein Verbot sei. Jeder Anleger habe nach w i e vor die Möglichkeit, Devisen zu kaufen. Eine Einlagepflicht behindere die Entwicklung eines einheitlichen Finanzmarktes nicht mehr als eine nationale Karottensteuer die Entwicklung eines einheitlichen Karotten­ m a r k t e s . * Allerdings w ü r d e die Entwicklung eines Finanzplatzes ge212

213

209) Vgl. Bofinger (1993d), S. 18. 210) Vgl. The Wall Street Journal Europe, "Capital controls will only hurt, Mr. Delors", vom 30.9.1993. 211) Vgl. Eichengreen und Wyplosz (1993c). 212) Vgl. AMUE (1993), S. 150.

120

bremst, w e n n i h m durch die Einlagepflicht Liquidität entzogen wird. Einlagepflichten sollten daher zeitlich begrenzt w e r d e n . ' Die Entwick­ lung eines Finanzplatzes w i r d aber auch dadurch gebremst, daß die Rahmenbedingungen für die Akteure weniger verläßlich sind. Die größere Unsicherheit führt zu entsprechenden Risikoprämien. 2 1 4

E s ist wahrscheinlich, daß Spekulanten und andere international operie­ rende Anleger versuchen werden, die "Tobin-tax" zu umgehen. D a eine Steuervermeidung aber ebenfalls mit Kosten verbunden ist, wird das Arbitragekalkül auch i m Falle einer Steuervermeidung i m Sinne der "Tobin-tax" beeinflußt. Eine Einlagepflicht wirft große praktische Probleme auf: Die Erfassung des Tviter-Tageshandels setzt voraus, daß alle offenen Positionen einer Finanzinstitution täglich gemeldet werden müssen. Die Meldungen müs­ sen kontrolliert werden. Zur Erfassung des Z/ifra-Tageshandels, auf den ein Großteil des Devisenhandels entfällt, müßten offene Positionen von Minute zu Minute erfaßt w e r d e n . ' 2 1 5

5.2.3 Begrenzung

der

Interventionsverpflichtung

Ausgangspunkt eines Reformvorschlags v o n Bishop ist die These, i m derzeitigen Interventionsmechanismus sei der Disziplinierungsdruck auf die Schwachwährungsländer zu schwach: "The weakness of existing E R M ' system is, that the central b a n k of a country receiving a capital inflow has no certainty that the central bank of the country w h o s e currency's value is the lowest of the E R M group will tighten monetary conditions enough to stop its capital outflow. There is no guarantee that the combined m o n e y supply of the two countries will not rise and even­ tually threaten price stability in the 'inflow' c o u n t r y " . ' 2 1 6

217

213) Vgl. Eichengreen und Wyplosz (1993b), S. 74. 214) Vgl. Eichengreen und Wyplosz (1993b), S. 74 f. 215) Vgl. Bofinger (1993d), S. 18. 216) Exchange Rate Mechanism. 217) Vgl. Bishop (1993), S. 4. Das dahinterstehende Grundproblem ist das Sterilisationsver-

121

Eine — allerdings zeitlich befristete — Lösung sieht Bishop darin, daß die nationalen Zentralbanken ihre Geldpolitik enger koordinieren. Die Koor­ dination läuft i m Gegensatz zu den übrigen Vorschlägen, die eine Reform des Interventionsmechanismus v o r s e h e n , ^ nicht auf mehr Symmetrie hinaus, sondern auf m e h r Asymmetrie: Die Gläubigerzentralbank (Zen­ tralbank des Starkwährungslandes) soll während einer Währungskrise die geldpolitische Steuerung der Schuldnerzentralbank (Zentralbank des Schwachwährungslandes) übernehmen und die Glaubwürdigkeit in die Geldpolitik des Schuldnerlandes wiederherstellen. 218

Im Falle einer Währungskrise würden die Interventionsverpfhchtungen ausgesetzt, sobald das Interventionsvolumen einen bestimmten Grenz­ wert überschreitet. ^ D e r Grenzwert dient als Indikator eines "serious loss of confidence in the sustainability of policy [ . . . ] " . * Sobald die Zentralbank des Schwachwährungslandes (Schuldnerzentralbank) ihre Devisenreserven verbraucht hat und der Wechselkurs auf den unteren Interventionspunkt fallt, verliert sie ihre geldpolitische Autonomie. Die Schuldnerzentralbank verpflichtet sich, kein Geld mehr zu s c h ö p f e n ^ und die geldpolitische Steuerung der Zentralbank des Hartwährungslandes (Gläubigerzentralbank) zu übertragen. Die Gläubigerzentralbank übernimmt dann die Kursstützung der Schwachwährung solange, bis das Interventionsvolumen den festgelegten Grenzwert erreicht hat. 219

220

221

halten der beteiligten Zentralbanken. Je höher der Sterilisationsgrad, desto geringer sind die Interventionswirkungen und die Gefahr, daß die Stabilität des Gläubigerlandes gefährdet wird. Im Gegensatz zu Bishop leitet Thygesen aus diesem Problem eine symmetrische EWS-Reform ab. Vgl. dazu Abschnitt 5.2.4. 218) Vgl. dazu die Abschnitte 5.2.4 und 5.2.5. 219) Bishop schlägt vor, das Interventionsvolumen auf 15 % des "broad money supply" des unter Abwertungsdruck geratenen Landes zu beschränken. Im Falle einer Krise des französischen Francs würde das gesamte Interventionsvolumen auf 120 Mrd. ECU (ca. 233 Mrd. DM) beschränkt, sofern die Geldmenge M3 als Basis herangezogen würde. Vgl. Bishop (1993), S. 5 und S. 10. 220) Vgl. Bishop (1993), S. 5. 221) Sie "friert" also die heimische Geldkomponente ein.

122

D a die Schuldnerzentralbank den Spekulanten keine Liquidität mehr bereitstellt, mit denen sie die Devisenreserven der Zentralbanken auf­ kaufen können, k o m m t es i m Schwachwährungsland zu einem Zinsan­ stieg, der die Spekulanten abschreckt. Dies entspricht der Intention des Referenzmodells v o n Stützel. Bishop weicht den v o n Stützel geforderten Liquiditätsstop aber auf, i n d e m er vorschlägt, daß die Starkwährungszentralbank mit den ihr zufließenden Schwachwährungsdevisen den Geldmarkt des Schwachwahrungslandes steuern soll. Bishop spricht in diesem Zusammenhang v o n einem "Recycling": Die Gläubigerzentral­ bank steuert die Geldmarktliquidität des Schwachwahrungslandes, in­ d e m sie öffentliche Anleihen des Schwachwahrungslandes i n Pension nimmt und dafür Liquidität bereitstellt. Die Liquiditätsversorgung soll so restriktiv sein, daß der Abwertungsdruck a u f das Schwachwährungs­ land durch Zinssteigerungen gemildert wird. Sobald die Glaubwürdigkeit in die Geldpolitik des Schwachwahrungslan­ des wiederhergestellt ist, fließt ein Teil des abgewanderten Kapitals automatisch in das Schwachwährungsland z u r ü c k Der dadurch ausgelö­ ste Anstieg der Devisenreserven wirkt zwar expansiv, doch steht diesem Effekt der kontraktive Effekt aus der Nicht-Prolongation der Wertpapierpensionsgeschäfte gegenüber. Die geldpolitische Autonomie geht d a n n schrittweise wieder a u f die Schuldnerzentralbank über. Der Anstieg der Devisenreserven des Starkwährungslandes bleibt allerdings bestehen. Das Starkwährungsland müßte den Reserveanstieg sterilisieren. U m die Glaubwürdigkeit eines solchen Mechanismus zu erhöhen, ver­ pflichtet sich die Regierung des Schwachwahrungslandes, den Rückzah­ lungskurs der Bonds an die Kaufkraft der stärksten Währung zu binden. Wertet eine Währung A u m x % gegenüber ihrem unteren Interventions­ punkt zur Währung B ab, wird der auf Währung A lautende Rückzah­ lungskurs eines Staatsbonds u m den Abwertungsbetrag x heraufgesetzt. Die Besitzer v o n Staatsbonds w ü r d e n so in H ö h e des Abwertungsprozent­ satzes kompensiert. Eine solche "hard-currency link" w ü r d e nicht nur die Glaubwürdigkeit erhöhen, sondern auch verhindern, daß Anleger die B o n d s aufgrund eines drohenden Abwertungsrisikos abstoßen oder hedgen. Dies wirkt i m Falle eines Abwertungsdrucks stabilisierend.

123

Ein Land, das an d e m System teilnehmen möchte, m u ß das Konvergenz­ kriterium "Preisstabilität erfüllen. Die Zentralbank m u ß politisch unabhängig sein und den gesetzlichen Auftrag haben, Preisstabilität zu gewährleisten. Schließlich muß der Rückzahlungskurs öffentlicher Anlei­ h e n an die Kaufkraft der stabilsten Währung des Systems gebunden werden. * ,,222)

223

Mit der Implementierung eines solchen Übergangssystems könnte den Finanzmärkten signalisiert werden, daß eine Währungsunion unter eini­ gen M i t g l i e d s t a a t e n - o d e r anders ausgedrückt: eine Kernwährungsunion — möglich w ä r e . * Die Regierungen hätten durch ihren Verzicht, die reale Staatsschuld abzuwerten ("hard-currency link"), die Möglichkeit, ihre Glaubwürdigkeit entscheidend zu verbessern. A u ß e r d e m werde die Stabilitätspräferenz der teilnehmenden Mitgliedstaaten durch die Be­ reitschaft unterstrichen, die geldpolitische Souveränität an die Zentral­ b a n k (Zentralbanken) mit der besten Marktperformance abzutreten. Dies geht allerdings zulasten des Aufbaus einer eigenen, d.h. selbst erworbe­ nen Reputation: Wie i m Falle der Glaubwürdigkeitsstrategie wird die Reputation v o n außen "geborgt". 224

Das Grundproblem des Bishop-Vorschlags Hegt darin, daß eine Verlage­ rung der geldpolitischen Autonomie auf ein anderes L a n d (oder mehrere andere Länder) politisch k a u m durchsetzbar i s t . * Eine Autonomiever­ lagerung wäre allenfalls dann denkbar, w e n n die Geldpolitik auf eine supranationale Institution übertragen würde. Mit der Errichtung einer Europäischen Zentralbank und einer Währungsunion wird dies mittelfri225

222) Das Protokoll über die Konvergenzkriterien nach Art. 109 j des Maastrichter Vertra­ ges legt dazu fest, daß die durchschnittliche Inflationsrate um nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über der Inflationsrate jener - höchstens drei - Mitgliedstaaten liegen darf, die auf dem Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben. 223) Vgl. Bishop (1993), S. 8. 224) Vgl. Bishop (1993), S. 10 f. 225) Thygesen betont darüber hinaus: "This approach [...] may not even appeal to a large creditor central bank, because the task of resuming responsibility for another coun­ try's monetary policy at a time when political integration is only moderatly advanced and become very burdensome." Vgl. Thygesen (1993), S. 26.

124

stig j a auch angestrebt. Während der Übergangsphase v o m E W S zur Währungsunion wäre auf der Grundlage v o n Axt. 109 f A b s . 7 des Maastrichter Vertrages eine zeitlich befristete Steuerung der Geldpolitik eines Schwachwährungslandes durch das EWI d e n k b a r . ' Es ist aber zur Zeit nicht zu erkennen, daß die Regierungen und die gerade politisch unabhängig werdenden Zentralbanken einer Autonomieverlagerung auf das E W I zustimmen werden, weil dies den Aufbau einer eigenen Glaub­ würdigkeit behindern würde. 226

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der Bishop-Vorschlag speku­ lative Attacken durch eine restriktive Geldpolitik bei begrenzten Inter­ ventionsverpflichtungen abwehren will. Die Spekulationsabwehr wird überwiegend v o n der Zentralbank mit der höheren Reputation übernom­ men. Dadurch wird d e n Märkten glaubwürdig signalisiert, daß das Schwachwährungsland auch i m Falle einer erzwungenen Abwertung an einer stabilitätsorientierten Geldpolitik festhalten wird, die Abwertung also nicht ex post durch eine weichere Geldpolitik akkomodiert w i r d . Diese Lösung verhindert allerdings, daß attackierte Zentralbanken durch ihr eigenes Verhalten a n Glaubwürdigkeit gewinnen können. 2 2 7

5.2.4 Aufhebung der Saldenausgleichsverpflichtung Überwachung des Sterilisationsverhaltens

und

kollektive

Andere Reformansätze zielen darauf ab, die Interventionsmöglichkeiten der Zentralbanken zu verbessern. Die derzeitigen EWS-Regeln sehen zwar vor, daß j e d e Zentralbank zur Spekulationsabwehr i m R a h m e n der "sehr kurzfristigen Finanzierung" unbegrenzte Interventionskredite auf­ n e h m e n kann. In der währungspolitischen Praxis steht einer unbegrenz-

226) Art. 109 f Abs. 7 des Maastrichter Vertrages legt fest: "Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des EWI diesem durch einstimmigen Beschluß weitere Aufgaben im Rahmen der Vorbereitung der dritten Stufe übertragen." 227) Im Kontext des Obstfeld-Modells wissen die Spekulanten, daß sie sich in Fall 1 befinden, d.h. einer "harten" Zentralbank gegenüberstehen. Die von Eichengreen und Wyplosz kritisierten "perverse incentives built into the Maastricht Treaty" kämen nicht zum Tragen. Vgl. Abschnitt 5.1.3.

125

ten Aufnahme v o n Interventionskrediten aber entgegen, daß es kein "free lunch" gibt, d.h. alle Interventionskredite innerhalb bestimmter Zeiträu­ m e zurückgezahlt w e r d e n müssen: Dadurch werden die Interventionsmöglichkeiten der Zentralbanken zur A b w e h r spekulativer Attacken be­ schränkt. Die faktische Beschränkung der Interventionsmöglichkeiten könnte ge­ lockert werden, i n d e m die Saldenausgleichsverpflichtimg der "sehr kurz­ fristigen Finanzierung" innerhalb eines Kernwährungsbereichs aufgeho­ ben w ü r d e . * Die Zentralbank einer unter Abwertungsdruck stehenden Währung w ä r e dann in der Lage, ihre Währung ohne Rücksicht auf den Stand ihrer Devisenreserven bzw. eventueller Rückzahlungen v o n Inter­ ventionskrediten zu verteidigen. Der Reformvorschlag sieht weiter vor, die Bandbreiten zwischen den Kernwährungen v o n gegenwärtig +/— 15 % auf +/— 1 % zu verringern und die bilateralen Leitkurse zwischen diesen Währungen bis z u m Übergang in die E W U definitiv festzuschreiben. Z u m Kernwährungsbereich könnten Dänemark, Frankreich, die Beneluxstaaten, Deutschland und gegebenenfalls Irland g e h ö r e n . * Diese Länder w ü r d e n dann eine "de facto Währungsunion" eingehen. 228

229

Eine solche "Währungsunion der Kernländer" setzt zwei Bedingungen v o r a u s : * Erstens müßte eine "Währungsunion der Kernländer" stabi­ litätspolitisch dadurch abgesichert werden, daß den beteiligten Noten­ banken eine uneingeschränkte politische und ökonomische Autonomie gewährt wird. Zweitens w ä r e eine derartige Vereinbarung zeitlich zu befristen Ende 1996 könnte der Europäische Rat überprüfen, ob die 'Währungsunion der Kernländer" erfolgreich war. Erfolgsmaßstab wäre die jährliche durchschnittliche Inflationsrate. Sofern die Prüfung durch den Europäischen Rat positiv ausfällt, sollen die Länder der Kernwäh­ rungsunion - unabhängig v o n der Erfüllung der übrigen Konvergenzkri­ terien - in die Endstufe der E W U eintreten. Eine erfolgreiche Kernwäh­ rungsunion wird so z u m "Testfall" einer E W U . Bofinger sieht i m Falle 230

228) Vgl. Bofinger (1993c), S. 60 f, AMUE (1993), S. 170 ff. 229) Vgl. Bofinger (1993c), S. 59. 230) Vgl. Bofinger (1993c), S. 61.

126

einer erfolgreichen K e m w a h r u n g s u n i o n sogar die Möglichkeit, den Peri­ pherieländern - ungeachtet einer Erfüllung der Konvergenzkriterien die EWU-Teilnahme schon 1997 zu ermöglichen, weil durch die erfolgrei­ che "Währungsunion der Kernländer" bereits eine glaubwürdige Geldpo­ litik existiere, die Reputation der Europäischen Zentralbank (EZB) mit­ hin gesichert sei. Dies wäre allerdings ein eindeutiger Verstoß gegen den Maastrichter Vertrag. B e i m Bofinger-Vorschlag ist zu berücksichtigen, daß eine Ausweitung der Interventionen nur sinnvoll ist, w e n n die beteiligten Zentralbanken nicht sterilisieren. ^ D u r c h die Interventionen sinken die Devisenreserven des Schwachwährungslandes. I m Schwachwährungsland ergibt sich also eine kontraktive, zinssteigernde Wirkimg. I m Starkwährungsland steigen die Devisenreserven an. Hier ergibt sich eine expansive, zinssenkende Wir­ kung. Die auf diese Weise entstehende Zinsdifferenz beseitigt den A b - bzw. Aufwertungsdruck. Durch eine Sterilisierung werden die durch die Ände­ rung der Reserven ausgelösten kontraktiven bzw. expansiven Wirkungen neutralisiert. Das Starkwährungsland gleicht seinen Anstieg der Devi­ senreserven durch eine Senkung der heimischen Geldkomponente aus. Das Schwachwährungsland neutralisiert den interventionsbedingten Re­ serveabfluß durch eine Ausweitung der heimischen Geldkomponente. Die Sterilisierung verhindert also die Zinsdifferenzierung, die zur Beseiti­ gung des Abwertungsdrucks notwendig ist. 23

Es könnte n u n argumentiert werden, ein der spekulativen Attacke zu­ grundeliegendes Inkonsistenzproblem würde durch unsterilisierte Inter­ ventionen verschärft, da es im Schwachwährungsland zu einem Zinsan­ stieg k o m m t . Dieser Zinsanstieg sei aber nicht notwendig, weil die Zen­ tralbanken bei unbegrenzten Interventionsmöglichkeiten über mehr Li­ quidität als die Spekulanten verfügen und dadurch j e d e Spekulation abwehren könnten. Diese Argumentation übersieht aber erstens, daß die Zentralbanken den Spekulanten i m Falle einer Sterilisierung ihrer Inter­ ventionen genau die Liquidität (zu günstigen Kreditzinsen) zur Verfü­ gung stellen, die sie z u m "Run" auf die Devisenreserven der Zentralban­ ken benötigen. Dabei erhalten die Spekulanten umso mehr Liquidität, j e

231) Vgl. Thygesen (1993), S. 26.

127

länger und j e m e h r durch die Zentralbanken interveniert wird. Eine Aufhebung der Saldenausgleichsverpflichtung erhöht also nicht nur das Interventionspotential der Zentralbanken, sondern auch das Spekulati­ onspotential. Die Argumentation übersieht zweitens, daß unbegrenzte Interventionen in der währungspolitischen Praxis nicht durchsetzbar sind, weil sie die Geldmarktsteuerung des Gläubigerlandes unmöglich m a c h e n würden. Jedes Gläubigerland wird sich i m Ernstfall gegen eine unbegrenzte Interventionskreditgewährung w e h r e n . ' 2 3 2

E i n weiteres Problem des Bofinger-Vorschlags ist, daß er zu unkooperati­ vem Verhalten zwischen den Zentralbanken fuhren kann. Durch die Aufhebung der Saldenausgleichsverpflichtung kann sich die Gläubiger­ zentralbank m i t einem starken und langandauerden Anstieg ihrer Devi­ senreserven konfrontiert sehen. Durch eine Sterilisierung kann sie nicht nur die expansive Wirkung eines eventuellen Reservezuflusses neutrali­ sieren, sondern auch die Interventionslasten auf die Schuldnerzentral­ bank z u r ü c k w ä l z e n . ' Je stärker die RückÜberwälzung der Interventi­ onslasten auf die Schwachwährungszentralbank, desto schneller kann die Schwachwährungszentralbank eine Abwertung ihrer Währung einem weiteren Abfluß v o n Devisenreserven bzw. einem weiteren Anstieg v o n Interventionsverbindlichkeiten vorziehen: "The deficit country m a y resort too quickly to the instrument it can control, viz. a D e v a l u a t i o n . " ' 233

234

Thygesen schlägt daher vor, die Sterilisierung v o n Devisenmarktinter­ ventionen i m Falle akuter Wechselkursspannungen a u s z u s e t z e n . ' U m die Aussetzung der Sterilisierungen durchzusetzen, solle das E W I die Interventionen durchführen, den jeweiligen Sterilisationsgrad vorgeben und das Sterilisationsverhalten überwachen. Die nationalen Zentralban­ k e n m ü ß t e n a u f der Grundlage v o n Art. 6.4 des Protokolls über die Satzung des E W I d e m E W I Währungsreserven übertragen und von 235

232) Die Deutsche Bundesbank bezieht in ihrem Geschäftsbericht für das Jahr 1993 bereits gegen eine Ausweitung der gegenseitigen Beistandsverpflichtungen Stellung. Vgl. Deutsche Bundesbank (1994), S. 91. 233) Vgl. Thygesen (1993), S. 25 ff und AMUE (1993), S. 174. 234) Vgl. Thygesen (1993), S. 27. 235) Vgl. auch Thygesen (1993).

128

diesem verwalten lassen. Ein Sterilisationsverzicht setzt voraus, daß ein spekulativer Druck fundamental ungerechtfertigt i s t . * A u f diese Weise soll (wie schon i m Bofinger-Vorschlag) der Befürchtung Rechnung getra­ gen werden, daß ein solcher Mechanismus den W e g zu weicher Geldpolitik frei macht. 236

Mit unbegrenzten unsterilisierten Interventionen läßt sich zwar eine Zinsdifferenzierung erreichen, die zur A b w e h r spekulativer Attacken ausreicht. E s stellt sich aber die Frage, wieviel Interventionen dafür notwendig sind. D a eine Zinsdifferenzierung durch eine entsprechende Anpassung der heimischen Geldkomponente auch auf direktem Wege möglich ist, erscheint der U m w e g über Interventionen umständlich. M a n m u ß aber berücksichtigen, daß die beiden Alternativen mit unterschied­ lichen Anpassungslasten verbunden sind: Während in den Vorschlägen von Stützel und Bishop das Schwachwährungsland die zinspolitische Anpassungslast allein trägt, wird sie i m Vorschlag von Bofinger/Thygesen v o m Stark- und Schwachwährungsland getragen. E i n Problem ist beiden Alternativen gemeinsam: J e länger i m Schwachwährungsland die Zinsen angehoben w e r d e n müssen, u m die Abwertungserwartung der Märkte zu zerstreuen, desto größer ist die Gefahr, daß ein Inkonsistenzproblem entsteht oder ein bereits bestehendes Inkonsistenzproblem verschärft wird. Der Thygesen-Vorschlag setzt wie der Bishop-Vorschlag eine Supranationalisierung der geldpolitischen Souveränität voraus, die durch Art. 109 f Abs. 7 des Maastrichter Vertrages schon während der zweiten Stufe der Währungsunion möglich wäre. Thygesen hält einen graduellen Übergang in die Endstufe der E W U für sinnvoller als eine einmalige umfassende Kompetenzverlagerung: "Paradoxically, the more the transition as telescoped into a few years, the less substantial the concrete provisions for transition b e c a m e . " * Mit der Unabhängigkeit der nationalen Geldpoli­ tik und d e m Ende der restriktiven Geldpolitik in Deutschland ergäbe sich eine neue Situation in Europa, in der "the anchor function will widen to 237

236) Vgl. Thygesen (1993), S. 28. Thygesen schlägt ferner vor, den jeweils angemessenen Sterilisationsgrad von Fall zu Fall zu bestimmen. 237) Vgl. Thygesen (1993), S. 32.

129

comprise all the countries conducting stable exchange rate policies whether this development is planned or n o t . " * Die angemessene Antwort auf diese Entwicklung sei eine freiwillige geldpolitische Koordinati­ on, die auf kollektive Aktionen und ein gemeinsames Management hin­ auslaufen müsse, "so that de facto the system begins to operate as a closer substitute for a c o m m o n monetary p o l i c y " . * 238

239

Politisch wird der Vorschlag aber ebenso wie der Bofinger-Vorschlag den Widerstand der Deutschen Bundesbank hervorrufen. Die Bundesbank hat bereits erklärt, daß sie eine Erweiterimg der gegenseitigen Bei­ standshilfen für bedenklich h ä l t . * Portes stellt dazu fest: "We knew about German dominance and the role of the D M as the 'anchor' currency. W e were told there were extensive coordination and intervention mecha­ nisms. B u t the Bundesbank could not i n fact c o m m i t to unlimited inter­ vention, because that would b e to sacrifice its monetary policy autonomy, w h i c h it w a s (and is) not ready to do, short of E M U itself. A n d it had long ago explicitly rejected unsterilised intervention, even for a short peri240

5.2.5 Unbegrenzte

bilaterale

Finanzierungsfazilität

Die Association for the Monetary Union o f Europe ( A M U E ) schlägt vor, die bislang übliche Gewährung v o n Interventionskrediten innerhalb des Stabilitätskerns durch eine unbegrenzte bilaterale Finanzierungsfazilität (additional unhmited long-term finance facility) zu ersetzen. * Interven­ tionen, die durch bilaterale Fazilitäten finanziert werden, unterhegen keiner Saldenausgleichsverpflichtung und werden nicht sterilisiert. Da­ mit stellt dieser Mechanismus z u m einen sicher, daß den Zentralbanken die zur Verteidigung der Währungsparitäten notwendigen Devisenreser242

238) Vgl. Thygesen (1993), S. 34. 239) Vgl. Thygesen (1993), S. 33. 240) Vgl. Deutsche Bundesbank (1994), S. 91. 241) Vgl. Portes (1993), S.6. 242) Vgl. AMUE (1993), S. 174 ff.

130

ven zur Verfügung stehen; zum anderen w e r d e n die Interventionswirkun­ gen nicht durch das Sterilisationsverhalten der Zentralbank neutrali­ siert. D i e bilateralen Fazilitäten werden vertraulich behandelt. Alle an diesem Mechanismus beteiligten Zentralbanken handeln auf freiwilliger bilate­ raler Basis die Bedingungen aus, unter denen eine bilaterale Fazilität gewährt wird u n d legen die H ö h e der Fazilität fest. Die Märkte werden über diese vertraulichen Vereinbarungen nicht informiert. Ziel ist, die Marktteilnehmer i m unklaren darüber zu lassen, wie groß die Fazilitäten sind. Die i m R a h m e n der bilateralen Finanzierungsfazilitäten entstehen­ den Gläubiger- und Schuldnerpositionen werden mit den Devisenreser­ ven verrechnet, die m i t d e m Eintritt in die Endstufe der Währungsunion auf die E Z B übertragen w e r d e n . * Die Teilnahme an d e m Mechanismus setzt also voraus, daß das betreffende L a n d an der Endstufe teilnehmen will. Ferner wird eine politisch unabhängige Notenbank vorausgesetzt. 243

D i e Einhaltung der freiwilligen bilateralen Vereinbarungen wird durch das E W I überwacht. Unstimmigkeiten unter den Vertragsparteien wer­ den unter Vermittlung des E W I ausgeräumt. Ist dies nicht möglich, wird die Vereinbarung ausgesetzt oder aufgehoben. D i e Möglichkeit, eine bila­ terale Vereinbarung aufkündigen zu können, soll die notwendige Diszi­ plin unter den Teilnehmerländern sicherstellen. Die Glaubwürdigkeit des Systems könnte durch eine "non-devaluation option" erhöht werden, die der "hard-currency link" des Bishop-Vorschlags vergleichbar ist. Eine solche Verpflichtung w ü r d e den Anreiz mindern, die Fazilität zur A b w e h r einer i m Sinne der Logik der Kaufkraftparitätentheorie gerechtfertigten Spekulation zu "mißbrauchen", da die Kreditfazilität i m Falle einer Abwertung z u m alten Kurs zurückgezahlt w e r d e n m u ß . * 244

Die Konzeption des AMUE-Vorschlags entspricht der Konzeption des Bofinger/Thygesen-Vorschlags. In beiden Modellen w e r d e n die Interven­ tionsmöglichkeiten durch Interventionskredite so ausgeweitet, daß spe-

243) Sollte es nicht zu einem Eintritt in die Endstufe kommen, wäre eine Tilgung über einen längeren Zeitraum denkbar, wobei die Kredite verzinst werden könnten. 244) Vgl. AMUE (1993), S. 176.

131

kulative Attacken über eine entsprechende Zinsdifferenzierung abge­ wehrt w e r d e n können. I m AMUE-Vorschlag werden die Interventionskre­ dite allerdings vertraulich behandelt. Die Vertraulichkeit der bilateralen Fazilitäten soll bewirken, daß "Market participants are [...] kept in uncertainty about the amounts committed. All they would k n o w is that central banks have the capacity to resist any speculative attack t . . . ] . " ' Es wird aber nicht ausgeführt, worin der Vorteil dieser Konzeption i m Vergleich zu einer Suspendierung der Saldenausgleichsverpflichtung He­ gen soll. 245

Der AMUE-Vorschlag stößt auf dieselben Probleme w i e der Bofinger/Thyg e s e n - V o r s c h l a g . ' Eine Ausweitung der Interventionsmöglichkeiten ist nur sinnvoll, w e n n nicht gleichzeitig (über Sterilisierungen) das Speku­ lationspotential mitausgeweitet wird. A u ß e r d e m setzen unbegrenzte In­ terventionen die Bereitschaft einer Gläubigerzentralbank voraus, auch i m Ernstfall unbegrenzt Interventionskredite zu gewähren. Positiv zu bewerten ist, daß die politisch unabhängigen Zentralbanken innerhalb beider Beistandssysteme durch eine stabilitätsorientierte Geldpolitik eine eigene Glaubwürdigkeit aufbauen können. 246

Der Ausschuß für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik des Europäi­ schen Parlaments kritisiert die d e m A M U E - und d e m Bofinger/ThygesenVorschlag zugrundeliegende Konzeption eines Europas der mehreren Geschwindigkeiten. D u r c h die Errichtung einer Kernwährungsunion w e r d e der Spekulationsdruck auf Währungen der Peripherieländer zu­ nehmen, so daß es dort zu einem Abwertungswettlauf k o m m e n könne, der den gesamten Binnenmarkt gefährde. Ferner werde nicht klar, w e r i m Falle des Erfolges einer Kernwährungsunion Gewinner oder Verlierer ist, bzw. w o außerhalb der Kernunion Wohlfahrtsgewinne a n f a l l e n . ' 247

245) Vgl. AMUE (1993), S. 175. 246) Vgl. die Ausführungen in Abschnitt 5.2.4. 247) Vgl. Committee on Economic and Monetary Affairs and Industrial Policy (1993), S. 13.

132

5.2.6

"Dual-Anchor-System"

Das "Dual-Anchor-System" ist ein Reformvorschlag des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik des Europäischen Parlaments, der a m 2 7 . Oktober 1993 v o m Europäischen Parlament gebilligt wur­ d e . * D i e Ausgangsthese lautet, daß die D-Mark ihre Ankerrolle in der Gegenwart und in der Zukunft nicht mehr voll erfüllen k ö n n e . * Diese These wird damit begründet, daß die D-Mark nach der deutschen Verei­ nigung einige Voraussetzungen verloren habe, die eine Ankerwährung erfüllen m ü s s e . * Erstens sei die D-Mark nicht mehr die stabilste Währung des Systems, zweitens würde die Position der D-Mark bedroht, w e n n die einigungsbedingten Leistungsbilanzdefizite länger anhielten und drittens führe die Inflationskonvergenz innerhalb des Stabilitäts­ kerns dazu, daß "an anchor currency in the proper sense of the world no longer exists." * 248

249

250

251

Der Berichterstatter des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Indu­ striepolitik, Cravinho, schlägt daher vor, die Ankerrolle zwischen der D-Mark u n d der E C U zu teilen. * Dieser Vorschlag überrascht z u m einen, weil die A M U E in ihrem Bericht für das Europäische Parlament bereits die Auffassung vertreten hat, daß ein "dual-anchor-system" prak­ tisch äquivalent zu der Schaffung einer Parallelwährung sei - eine Idee, die bereits i m Delors-Bericht verworfen worden ist. Z u m anderen über­ rascht der Vorschlag, weil der logische Zusammenhang zwischen der Ausgangsthese und d e m Lösungsansatz nicht klar wird. 252

248) Vgl. die "Resolution on EMS plus 1992 Programme: Lessons to be drawn for the Implementation of the EMU", des Europäischen Parlaments vom 27.10.1993. 249) Vgl. Committee on Economic and Monetary Affairs and Industrial Policy (1993), S. 13. 250) Vgl. AMUE (1993), S. 123 ff. 251) Vgl. AMUE (1993), S. 123. 252) Vgl. Cravinho (1993) und die endgültige Fassung des Cravinho-Berichts: Committee on Economic and Monetary Affairs and Industrial Policy (1993).

133

D i e Grundidee des "dual-anchor-systems" ist, die Parität zwischen D M a r k und E C U konstant zu halten. Eine solche "Härtung" der E C U setzt voraus, daß — Art. 109 g des Maastrichter Vertrages so interpretiert wird, daß nicht die absoluten Korbanteile, sondern die relativen Korbanteile eingefro­ ren werden. Bleiben die absoluten Korbanteile variabel, besteht die Möglichkeit, die ECU-DM-Parität auch dann konstant zu lassen, w e n n eine oder mehrere Währungen gegenüber der D-Mark abwerten (vgl. a u c h Abschnitt 2.2 - 2.3.): Wertet beispielsweise der französische Franc gegenüber der D-Mark ab, würde sein absoluter Anteil so heraufgesetzt, daß der in D M ausgedrückte Korbanteil des französi­ schen Francs konstant bleibt, — das E W I gemäß Art. 6.4 des Protokolls über die Satzung des Europäi­ schen Währungsinstituts als Agent der nationalen Zentralbanken Währungsreserven hält und verwaltet und gemäß Art. 109 f Abs. 7 des Maastrichter Vertrages weitere Aufgaben i m R a h m e n der Vorberei­ tung der dritten Stufe übertragen bekommt. Konkret wird i m Cravinho-Bericht vorgeschlagen, daß die Zentralbanken 20 % der Gold- und Dollarreserven b e i m E W I hinterlegen, mit denen das E W I auf den Devisenmärkten intervenieren kann, —

die E C U n a c h einem unvermeidbaren Realignment j e d e s m a l so neu definiert wird, daß der ECU-DM-Kurs konstant bleibt.

D e r Doppelanker in F o r m einer stabilen ECU-DM-Parität zielt auf sym­ metrische Interventionslasten ab. D a z u erarbeitet das E W I Leitlinien ("operational rules"), die die geldpolitische Koordination unter den Mit­ gliedstaaten r e g e l t . * Weicht ein L a n d v o n den Leitlinien des E W I ab, m u ß es seine nationale Währung gegen ECU-Reserven zurückkaufen {"repurchasing clause"). Cravinho schlägt vor, Abweichungen mit Hilfe eines Zinsindikators festzustellen. * Das E W I kontrolliert die gesamte 253

254

253) Vgl. Committee on Economic and Monetary Affairs and Industrial Policy (1993), S. 16. 254) Vgl. Cravinho (1993), S. 10. Diese Idee wurde vom Parlamentsausschuß nicht übernom­ men.

134

Liquidität, i n d e m sie eine feste Relation zwischen einer europäischen Geldmenge M und einer "grande totale" M garantiert. M setzt sich aus der deutschen Geldmenge (in der Abgrenzung M 3 ) u n d den ECU-Reser­ v e n des E W I (den durch Gold- und Dollarübertragungen entstandenen ECU-Forderungen der Mitgliedstaaten gegenüber d e m E W I ) zusammen, M aus der S u m m e der nationalen Geldmengen mit Ausnahme der deutschen Geldmenge. E

T

E

T

U m das Zusammenwirken der einzelnen Bausteine des Doppelankersy­ stems verstehen zu k ö n n e n , * wird angenommen, daß L a n d x seine inländische Geldkomponente D erhöht, während die heimische Geld­ komponente in allen übrigen Ländern unverändert bleibt. Ferner sei angenommen, daß die Erhöhung v o n D nicht i m Einklang mit den EWI-Leitlinien stehe. Durch die Ausweitung v o n D gerät die Währung x unter Abwertungsdruck, so daß interveniert w e r d e n m u ß . Die "repurchasing clause" verpflichtet L a n d x, seine Währung gegen E C U zurückzu­ kaufen. L a n d x löst dazu einen Teil seiner aus Gold- und Dollareinlagen entstandenen ECU-Forderungen gegenüber d e m E W I auf und erhält i m Gegenzug v o m E W I nationale Währung. Dadurch sinken in L a n d x die Reserven R und die Geldmenge M . 255

x

x

x

x

x

Das E W I erwirbt die Devisen des Schwachwährungslandes x, i n d e m es auf d e m Devisenmarkt Schwachwährung gegen Starkwährung kauft. Die dazu notwendige Starkwährung erhält das E W I v o m Starkwährungsland, das i m Gegenzug eine zusätzliche ECU-Forderung gegenüber d e m E W I erhält. Diese zusätzlichen ECU-Verbindlichkeiten des E W I w e r d e n durch die A b n a h m e der ECU-Verbindlichkeiten des E W I gegenüber d e m Schwachwährungsland neutralisiert. Per Saldo bleiben die ECU-Verbind­ lichkeiten des E W I unverändert. Die dargestellten Interventionsvorgänge stellen nicht sicher, daß die Relation zwischen M und M konstant bleibt. Gilt d D = d R (d steht für die Veränderung), bleibt zwar M unverändert. Handelt es sich b e i m Starkwährungsland u m Deutschland, steigt aber M , da die ECU-FordeE

T

x

x

E

255) Vgl. zur Symbolik und zum Zusammenhang von M, D und R Gleichung (3.1) in Abschnitt 3.3.

135

rungen des Starkwährungslandes (Deutschland) gegenüber d e m E W I durch die Bereitstellung von Interventionswährung zugenommen haben. Dieses Problem ließe sich dadurch lösen, daß die Deutsche Bundesbank ihren Anstieg der Devisenreserven sterilisiert, so daß die deutsche Geld­ m e n g e und damit auch die europäische Geldmenge M unverändert bleiben. A u f diese Weise müßte die Bundesbank eine Einschränkung ihres geldpolitischen Freüieitsgrades hinnehmen und einen Teil der interven­ tionsbedingten Anpassungslasten ü b e r n e h m e n . ' E

256

E i n allgemeineres Problem ist, daß das System überhaupt nicht disku­ tiert, ob und wie eine Rückkehr zu engen Bandbreiten im EWS möglich wäre. * A u ß e r d e m bleibt unklar, wie eine Währungsunion für alle Län­ der der Europäischen Union gleichzeitig beginnen könnte, obwohl dies gerade das Anliegen des Unterausschusses Währung war. Allein durch die in d e m Cravinho-Papier geäußerte Kritik an der Idee einer Kernwäh­ rungsunion läßt sich der Konvergenzprozeß, auf den es b e i m Eintritt in die Endstufe a n k o m m e n wird, nicht b e s c h l e u n i g e n . ' 257

258

D i e Europäische K o m m i s s i o n kritisiert, daß der Cravinho-Vorschlag rechtlich m i t d e m Maastrichter Vertrag und d e m dort verankerten Stu­ fenplan für die Wirtschafts- und Währungsunion nicht vereinbar sei. E i n weiteres P r o b l e m stelle die Neudefinition der E C U dar. Die Finanzmärkte h ä t t e n sich bereits darauf eingestellt, daß m i t Inkraftsetzung des Maastrichter Vertrages die Zusammensetzung des ECU-Währungskorbs eingefroren w e r d e . ' 2 5 9

256) Neumann spricht von einer durch die Bundesbank zu bewirkende Garantie der bilateralen Kurse im EWS, was eine Aushebelung der deutschen Geldpolitik durch die Partner bedeuten würde. Vgl. Neumann (1993b), S . U . 257) Vgl. auch die Kritik der Vorsitzenden des Unterausschusses Währung, Christa RandzioPlath, vor dem Europäischen Parlament. Vgl. Handelsblau vom 28.10.1993, "Doppel­ ankersystem" aus DM und ECU stößt in Brüssel auf Widerstand. 258) Auf dieses Problem wurde auch während der Debatte des Europäischen Parlaments am 27.10.1993 hingewiesen. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.10.1993, Kein "Doppelanker" aus DM/ECU. 259) Vgl. Handelsblatt vom 28.10.1993, "Doppelankersystem" aus DM und ECU stößt in Brüssel auf Widerstand.

136

5.2.7

Devisenterminmarktinterventionen

E i n in der politischen Diskussion bislang weniger beachteter Vorschlag besteht darin, daß die Zentralbanken nicht auf denDevisenkassamärkten, sondern auf denDevisenterminmärkten intervenieren sollten. * D i e Idee ist, denKassakurs unter Ausnutzung der Zinsarbitrage über den Termin­ kurs indirekt zu beeinflussen. Dieser Zusammenhang soll anhand eines Beispiels veranschaulicht werden. 260

Betrachtet werden zwei Länder A und B. Zwischen beiden Ländern besteht vollkommene Kapitalmobilität. Das Zinsniveau beider Länder sei identisch ( i = i ) . I m Ausgangsgleichgewicht (Periode 0) zwischen Kassa­ markt und Terminmarkt stimmen Termin- und Kassakurs überein, d.h. es gilt so = fo (s=Kassakurs, f=Terminkurs; das Subskriptum gibt die jeweilige Periode an). Diese Ausgangssituation ist in Abbildung 17 graA

B

rri

rrt

phisch dargestellt. A und N bezeichnen auf d e m jeweiligen M a r k t die Angebots- und Nachfragefunktion aufgrund v o n Außenhandelstransak­ tionen. Angenommen, die Spekulanten erwarten in Periode 1 eine Abwertung der Währung A, d.h. s i - fo > 0 ( s i ist der erwartete Kassakurs in Periode 1). Die Spekulanten kaufen dann auf d e m Terminmarkt Währung B, die sie z u m Erfüllungszeitpunkt des Termingeschäfts in Periode 1 auf d e m K a s s a m a r k t wieder verkaufen. Sie erwarten dabei pro investierte Kapi­ taleinheit einen G e w i n n i n H ö h e der Differenz aus i h r e m Realisati­ onspreis ( d e m Kassakurs in Periode 1) und ihrem Kaufpreis ( d e m Termin­ kurs in Periode 0). e

e

In Abbildung 17 verschiebt sich die Nachfragefunktion auf d e m Terminm a r k t v o n N auf N + N . N ist die zusätzliche Nachfrage der Spekulan­ ten. A u f d e m Terminmarkt führt die steigende Nachfrage nach Währung B zu einem Anstieg des Terminkurses v o n fo auf fo'. Es entsteht ein Report, (fo'-so)/so > 0, der den tatsächlichen Swapsatz sw* über den kritischen Swapsatz s w der Arbitrageure ansteigen läßt. I m kritischen Swapsatz w a r i m Ausgangszustand das Arbitragegleichgewicht erfüllt: k

260) Vgl. Lehment (1993), Sohmen (1969), S. 122 ff.

137

A b b i l d u n g 17: Der Zinsarbitragemechanismus

Kassamarkt

Terminmarkt

Umsatz

B

Umsatz

B

IFSt

A

(5.2)

B

k

i = i + sw , k

wobei s w = (f - s ) / s 0

A

0

k

0

a

und s w = sw* .

Da i = i , gilt sw = sw = 0. D u r c h die Terrninmarkttransaktion der Spekulanten und d e m daraus resultierenden Anstieg des tatsächlichen über d e n kritischen Swapsatz wird Gleichung (5.2) zur Ungleichung (5.3), d.h. das Arbitragegleichgewicht wird gestört:

,

c

O

N

(5.3)

.A l

Suggest Documents